Arme kleine Antje - Karin Bucha - E-Book

Arme kleine Antje E-Book

Karin Bucha

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Beschreibung

Karin Bucha ist eine der erfolgreichsten Volksschriftstellerinnen und hat sich mit ihren ergreifenden Schicksalsromanen in die Herzen von Millionen LeserInnen geschrieben. Dabei stand für diese großartige Schriftstellerin die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach Fürsorge, Kinderglück und Mutterliebe stets im Mittelpunkt. Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht. Gewitternacht! Blitze zucken rosa-violett vom nachtschwarzen Himmel, zerreißen für Bruchteile von Sekunden die schweren Wolkenwände. Regen peitscht und der Wind heult schaurig durch die Dunkelheit, rüttelt an den Läden des Waldhauses und treibt sein Spiel mit ihnen, pfeifend braust er durch den Kamin. »Ekelhaftes Wetter«, sagt Heiner Voß zu dem väterlichen Freund, der tief in Gedanken versunken an dem bis zum Erdboden reichenden Fenster lehnt und den entfesselten Elementen lauscht. »Hm«, erwidert der nur. Heiner Voß greift zum Schürhaken und entfacht das Feuer, legte einige dicke Holzkloben auf die Glut und lehnt sich wieder in dem tiefen Sessel zurecht. Den Blick hält er auf Dietrich Umbach geheftet. Seine Blicke gleiten über die reglose, elegante und doch so kraftvolle Gestalt. Er seufzt unterdrückt und starrt wieder in die hellauf lodernden Flammen. Ihn fröstelt trotz der Wärme, die angenehm den weiten, prachtvollen Raum durchströmt. Flutet diese Kälte von der hohen Männergestalt her? Oder kommt sie aus dem eigenen Herzen? »Dietrich!« »Bitte?« kommt es fragend vom Fenster her. »Wirst du mir wohl ein paar Minuten zuhören?« »So wichtig?« Es klingt gleichgültig.

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Karin Bucha Classic – 70 –

Arme kleine Antje

Karin Bucha

Gewitternacht! Blitze zucken rosa-violett vom nachtschwarzen Himmel, zerreißen für Bruchteile von Sekunden die schweren Wolkenwände. Regen peitscht und der Wind heult schaurig durch die Dunkelheit, rüttelt an den Läden des Waldhauses und treibt sein Spiel mit ihnen, pfeifend braust er durch den Kamin.

»Ekelhaftes Wetter«, sagt Heiner Voß zu dem väterlichen Freund, der tief in Gedanken versunken an dem bis zum Erdboden reichenden Fenster lehnt und den entfesselten Elementen lauscht.

»Hm«, erwidert der nur.

Heiner Voß greift zum Schürhaken und entfacht das Feuer, legte einige dicke Holzkloben auf die Glut und lehnt sich wieder in dem tiefen Sessel zurecht. Den Blick hält er auf Dietrich Umbach geheftet. Seine Blicke gleiten über die reglose, elegante und doch so kraftvolle Gestalt. Er seufzt unterdrückt und starrt wieder in die hellauf lodernden Flammen. Ihn fröstelt trotz der Wärme, die angenehm den weiten, prachtvollen Raum durchströmt.

Flutet diese Kälte von der hohen Männergestalt her? Oder kommt sie aus dem eigenen Herzen?

»Dietrich!«

»Bitte?« kommt es fragend vom Fenster her.

»Wirst du mir wohl ein paar Minuten zuhören?«

»So wichtig?« Es klingt gleichgültig.

»Sehr, Dietrich.« Heiner hält es nicht mehr auf seinem Platz. Ihn treibt die innere Unruhe empor. »Für mich ist es von größter Wichtigkeit.« Seine Stimme bebt.

Ohne sich zu wenden, spöttelt Umbach: »Bin gespannt, was du wichtig nennst.«

»Dietrich, bitte, nimm mich ernst.«

Der junge Mann steht zitternd hinter Umbach, dem schwerreichen Großindustriellen. Mühsam unterdrückt er seine Erregung.

Gelassen wendet sich Dietrich Umbach ins Zimmer, geht auf den Kamin zu und auf den ihm gegenüberstehenden Sessel deutend, läßt er sich nieder.

»Bitte, ich stehe dir zur Verfügung.«

»Gestatte, daß ich mir Bewegung mache, ich – ich…«

Heiner bricht erregt ab und durchquert den weiten Raum. Vor Umbach bleibt er wieder stehen.

»Dietrich, ich begrüße die Gelegenheit, daß ich endlich einmal ungestört mit dir sprechen kann. Ich danke dir auch, daß du mich mit dir genommen hast. Sonst pflegst du ja deine kurzen Urlaubstage allein zu verbringen.« Er zögert einen Moment, fährt dann fort: »Ich – ich muß es dir sagen. Ich kann nicht Kaufmann werden! Ich kann es nicht. Alles, was ich in deinem Auftrag unternehme, geschieht mit innerer Unlust. Ich zwinge mich zu allem nur, um dich nicht zu enttäuschen. Nur, um nicht undankbar zu sein, arbeite ich nach deinem Wunsch. Aber ich kann es nicht länger ertragen. Ich bitte dich, Dietrich, laß mich mein Musikstudium zu Ende bringen.«

»Niemals!«

»Dietrich!«

»Ich wünsche…«

»Ich wünsche, ich wünsche«, unterbricht Heiner ihn verzweifelt und ballt die Fäuste. »Ich kann das schon nicht mehr hören. Jeder Satz beginnt mit ›ich wünsche‹. In den Werken höre ich: ›Herr Umbach wünscht‹. Deine Angestellten sagen: ›Herr Umbach wünscht‹. Mit diesen verfluchten ›Ich wünsche‹ tötest du jeden anderen Willen neben dir. Ich werde zur Zerrfigur meiner selbst. Ich verachte mich deshalb schon selbst. Ich…, ich…«

Erschöpft bricht er im Sessel zusammen. Stöhnend birgt er das Gesicht in den Händen.

»Bist du nun fertig?« fragt Umbach gelassen, die hellen, herrischen Augen streng auf Heiner geheftet.

»Fertig! Fertig!« keucht Heiner. »Noch lange nicht. Aber es ist doch zwecklos. An deinem Willen zerbricht alles.« Mutlos sinkt er in sich zusammen.

»Gut, daß du es einsiehst. Jedes Wort in dieser Beziehung ist wirklich zwecklos.«

Gelassen entzündet sich Umbach eine Zigarette und erhebt sich. Langsam kehrt er zum Fenster zurück und starrt in das Brausen und Tosen.

»Hilfe!«

Heiner zuckt empor.

»Da rief doch einer!«

Dietrich Umbach hat schon das Fenster aufgerissen und lauscht in die dunkle Nacht hinaus.

»Hilfe! Zu Hilfe!«

Er stößt das Fenster zu. Ein Sprühregen hat ihn überschüttet. Er spürt es kaum.

»Komm! Menschen in Not!«

Mit ein paar Sätzen steht er in der Diele des Hauses, und dort erscheint wie aus dem Erdboden gewachsen Friedrich mit dem Ledermantel vor ihm.

»Das kam aus dem Steinbruch, Herr Umbach. Ich möchte mitkommen, vielleicht kann ich helfen.«

»Nein, hierbleiben!« Dietrich schlüpft in den Mantel, lehnt die Hilfe des Alten ab. Er weist auf Heiner, der bereits angezogen ist. »Genügt, wenn Herr Voß mitkommt.« Und direkt zu Heiner sagt er: »Nimm die Seile und die Windlampe mit. Ich geh’ voraus.«

Friedrich hat schon alles herbeigeschleppt. Das Seil legt er Heiner über die Schulter und reicht ihm das Windlicht. Im Nu taucht er neben Umbach auf. Schwer kämpfen sich die beiden Männer vorwärts. Der Sturm wirft sich ihnen wie ein Untier entgegen, zwingt sie aber nicht nieder. Regen peitscht ihnen das Gesicht.

Keuchend erreichen sie den Steinbruch und verhalten lauschend den Schritt. Außer dem Sturm, der in den Bäumen rast, ist nichts zu hören.

»Hier müssen wir suchen. Aus dieser Richtung kam der Hilferuf«, schreit Umbach.

Meter um Meter leuchten sie den Boden und die an dieser Stelle steil abfallenden Wän-

de ab, die nur hier und da von dichtem Gebüsch unterbrochen sind.

»Da, da!« Heiner drückt das Windlicht tiefer und neigt sich über den Hang. »Bei dem ersten Strauch liegt ein Mensch.«

Umbach rollt das Seil auf und beginnt den Abstieg. Da steht Heiner schon keuchend neben ihm.

»Laß mich hinab, Dietrich.«

»Wieso? Ist mein Leben wertvoller als deines?« Auch in dieser Minute verläßt ihn der Spott nicht.

»Ja, Dietrich, dein Leben ist wertvoller als meins. Denk an deine Werke, die den Chef brauchen.«

»Die werden auch ohne mich weiterbestehen. Aufgepaßt!«

Schon ist er in der Tiefe verschwunden. Heiner muß alle Kräfte anspannen, um das Seil zu sichern.

Endlose Minuten vergehen für Heiner, in denen er um Dietrich Umbachs Leben zittert. Er spürt, wie sehr er im Grunde an diesem Mann hängt, der sein Wohltäter ist. Und es ist nicht nur Dankbarkeit. Hat er ihn nicht aus dem Waisenhaus in sein Haus geholt? Eine vorzügliche Erziehung hat er ihm angedeihen lassen. Nur keine Sonne, keine Wärme. Warum Dietrich wohl so hart ist? denkt Heiner.

Da wird am Seil gerissen. Heiner arbeitet, daß ihm die Adern zu platzen drohen und ihm der Schweiß aus den Poren bricht.

Langsam, Schritt um Schritt, arbeitet Umbach sich empor, bis er keuchend und schwer atmend eine Gestalt vor Heiners Füße legt.

»Es ist eine Frau. Schnell ins Haus zurück.«

Ehe Heiner recht begriffen hat, hat Umbach die Last auf seine Arme genommen und kämpft sich durch Sturm und Regen vorwärts, dem Waldhaus zu.

*

Eigentlich ist es ein Bündel triefender Kleider, das Dietrich Umbach sorglich in die Kissen der Couch gleiten läßt.

Sekundenlang zögert er, dann gibt er dem neben ihm stehenden Heiner ein Zeichen, worauf dieser das Zimmer verläßt.

Umbachs Hände zittern leicht, als er Stück für Stück die Kleidung von dem regungslosen Körper streift. Nur eine Minute liegt die Frau in makelloser, schimmernder Nacktheit vor ihm, dann rafft er rasch die seidene Decke auf und breitet sie über so viel Schönheit und Liebreiz. Bis unters Kinn zieht er sie empor.

Jetzt ist er wieder ganz beherrscht. Er knotet das Tuch auf, das unförmig Gesicht und Kopf umschließt. Eine Fülle rotblonden Lockengewirrs fällt auf die grünseidene Decke.

Ein schmales, von feinen Brauen gezeichnetes Frauenantlitz, ein schwellender, jetzt blasser, schmerzverzogener Mund. Seidige Wimpern werfen zarte Schatten auf die bleichen Wangen.

Mit einem Entsetzenslaut ruckt Umbach empor, um sich im nächsten Augenblick tiefer über das schöne Gesicht zu neigen.

»Antje Ratzky«, flüstert er überwältigt. Unbewegt starrt er in die lieblichen Züge, als müßte er sie sich für ewig und alle Zeiten einprägen. Dann wendet er sich schroff von dem Lager ab, wandert ruhelos über die weichen Teppiche.

»Die Vergangenheit steht auf«, murmelt er.

»Wie steht es mit der Frau? Ist sie verletzt?« Heiner kommt auf Zehenspitzen näher.

Wie aus schwerem Traum erwachend, fährt Umbach sich über Stirn und Augen.

»Unverletzt. Die Frau hat Glück gehabt. Ich vermute den Ausbruch eines Fiebers. Die Ohnmacht müßte längst vorüber sein. Nimm dich ihrer an. Friedrich schicke ich gleich mit einem Eisbeutel. Ich gehe mich inzwischen umziehen.«

Kopfschüttelnd starrt Heiner hinter dem Hausherrn her. Warum ist Dietrich so verstört? Geht er nicht gebückt, als trage er eine unsichtbare Last?

Dann reißt er sich von seinen Gedanken los und wendet seine ungeteilte Aufmerksamkeit der fremden Frau zu.

»Mein Gott, wie schön«, flüstert er und betrachtet fast andächtig das wächserne Antlitz. Die Ohnmacht beunruhigt ihn. Er nimmt die schlaff herabhängende Hand auf, fühlt den Puls und legt sie behutsam auf die Decke zurück. Die Hand ist schmal und feingegliedert.

Da erscheint Friedrich mit einem Tablett. Ihm folgt Dietrich fast auf den Fuß, umgezogen, im bequemen Hausmantel. Sofort bemüht er sich um die Kranke, reibt Stirn und Schläfen mit belebender Essenz ein und legt den Eisbeutel auf.

Von der Seite her wirft Heiner einen forschenden Blick auf Dietrich Umbach, der mit der Ruhe und Sicherheit eines Arztes arbeitet.

Keine Regung spiegelt sich in den harten Zügen. Er muß sich getäuscht haben, anzunehmen, es gäbe etwas, das ihn aus seiner Ruhe herausreißen könnte.

Die Fremde regt sich, atmet tief und schlägt die Augen auf. Große dunkelgraue Augensterne. Fremd und verwirrt irren ihre Blicke umher. Ohne etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen, schließen sich die Lider wieder. Die Lippen bewegen sich, undeutliche Worte, unterbrochen von schmerzlichem Stöhnen.

Heiner kann keinen Blick wenden von dem blassen Antlitz, auf dem Grauen und Entsetzen liegen.

Umbach wechselt unermüdlich Eisbeutel, die Friedrich ihm reicht.

Die Zeit verrinnt. Die Stille im Zimmer ist bedrückend und lastend. Umbachs knappe Befehle an Friedrich und das schwere Atmen der Kranken unterbrechen sie.

Sie wird etwas unruhig. Plötzlich fährt sie empor und wehrt sich mit beiden Händen verzweifelt gegen einen unsichtbaren Feind.

»Nein! Nein! Ich will nicht. Erbarmen, Vater, Erbarmen!«

Die Worte ersterben in einem Wimmern. Der blonde Kopf sinkt ermattet zurück.

»Ich rufe den Arzt«, flüstert Heiner, von Mitleid gepackt. Die wirren Fieberphantasien erschüttern ihn.

»Nicht nötig«, gibt Umbach unbewegt zurück. »Ich bezwinge das Fieber. Geh schlafen, Heiner. Auch Sie, Friedrich. Ich brauche Sie nicht mehr.«

Als Heiner den Mund zu einer Antwort öffnen will, winkt Umbach herrisch ab. »Ich wünsche allein zu sein!«

Noch einen langen, schmerzlichen Blick wirft Heiner über die schöne, rätselhafte Fremde. Nur ungern verläßt er den Raum.

Lautlos räumt Friedrich im Zimmer auf, schürt noch einmal das Feuer. Mit einem geflüsterten: »Gute Nacht, Herr Umbach«, zieht er sich zurück.

»Gute Nacht!«

Die Tür klappt zu. Dietrich Umbach und die fremde Frau sind allein.

*

»Antje Ratzky! Antje Ratzky! Hörst du mich? Antje Ratzky!«

Immer wieder ruft Umbach, neigt sich tief über das Frauenantlitz.

Die schweren dunkelumschatteten Lider zucken. Langsam, ganz langsam zittern sie empor. Die fieberglänzenden Augen ruhen lange auf Umbachs gespannten Zügen. Sie scheint zu grübeln. Die Augenbrauen ziehen sich im angestrengten Nachdenken zusammen.

»Antje Ratzky!«

Ein Zittern läuft über ihre Glieder. Die Hände rucken empor, strecken sich abwehrend gegen den Mann aus.

»Nein! Nein!«

Es ist ein Verzweiflungsschrei, der aus tiefstem Herzen kommt. Für Sekunden ist der Schleier zerrissen, der über ihr Denken gebreitet war.

»Dietrich Umbach!« Und noch einmal: »Dieter Umbach!«

Dann sinkt der blonde Kopf haltlos zur Seite. Sie ist wieder ohnmächtig geworden.

Umbach richtet sich auf und wischt sich den Schweiß von der Stirn wie nach schwerer Arbeit. Eine Weile verharrt er reglos, dann nimmt er die Hand der Frau auf und legt sie auf die Decke zurück. Dabei atmet er auf: Ihr Herz schlägt ruhig und gleichmäßig.

Nach einigen Augenblicken schöpft sie tief Atem und schlägt die Augen auf, nur sekundenlang, um sie sofort wieder zu schließen. Sie streckt sich wie im tiefen Behagen, und nach kurzer Zeit verraten leise, gleichmäßige Atemzüge, daß sie eingeschlummert ist.

Erschöpft nimmt Dietrich Umbach seinen Platz am Krankenlager wieder ein. Im Haus sind alle Geräusche verstummt. Nur der Schlag der hohen Standuhr zittert durch die Stille.

Vor dem Fenster kämpft die Nacht mit dem jungen aufziehenden Morgen. Der Sturm ist vorüber. Tief am Horizont steigt die Sonne auf, der neue Tag beginnt.

Umbach, den Kopf in die Hand gestützt, verharrt tief in Gedanken versunken.

Noch gellt ihm ihr Schrei in den Ohren. Dieter hat sie ihn genannt. Wieviel Jahre ist es her, daß er den Kosenamen von den heißgeliebten Lippen gehört hat? Ach, so viele Jahre sind verflossen, seit die einzige Frau, die er unendlich geliebt hat, in die kühle Erde sank und gleichzeitig sein Herz mitnahm. Seine Mutter!

Die Vergangenheit streckt die Arme nach ihm aus und hält ihn eisern gepackt. Und alles wird wieder lebendig und wird von ihm in diesen einsamen Morgenstunden noch einmal durchlebt und durchlitten.

Alles Leid, aller Schmerz, der ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist: Ein harter, unbeugsamer, aber auch einsamer Mann.

*

Dietrich Umbach und Heiner Voß stehen sich gegenüber. Heiner erregt, Umbach abwartend, äußerlich ruhig und gelassen erscheinend. »Du kennst die Frau?«

»Ja!«

»Und was hast du mit ihr vor?«

Umbachs Brauen heben sich. »Soll das ein Verhör sein?«

Flüchtige Röte jagt über Heiners Stirn.

»Verzeih, Dietrich, so ist es nicht gemeint. Ich kenne dein Gerechtigkeitsgefühl, deine Ehrenhaftigkeit…«

»Bitte keine Lobrede«, schneidet Umbach ihm kalt die Rede ab. »Ich reise in einer Stunde ab und überlasse dir den Platz am Lager Antje Ratzkys. Ich schicke umgehend ein Dienstmädchen aus der Stadt. Antje Ratzky genießt unumschränkte Gastfreundschaft in meinem Haus. Über ihre Zukunftspläne wirst du mir Bericht geben. Verlebe deinen Urlaub gut, du hast ja nun Gesellschaft.« Ein dünnes Lächeln huscht über sein Gesicht. »Die junge Dame ist außer Lebensgefahr. Ein paar Tage Bettruhe und sie wird auch die Erkältung überwunden haben. Zur rechten Zeit hörst du wieder von mir.«

Er reicht Heiner die Hand, die dieser nur zögernd ergreift.

»Dietrich, brichst du wegen Antje Ratzky deinen Urlaub ab?«

Ein kurzes Zögern.

»Nein!«

»Dietrich, warum läßt du mich keinen Anteil nehmen an dem, was dich angeht, was dich persönlich betrifft? Immer verschließt du dein Inneres vor mir«, sagt Heiner leise.

»Laß das, Heiner«, erwidert Umbach schroff und greift zu seinem leichten Mantel. »Es gibt nichts, worüber zu sprechen wäre. Auf Wiedersehen!«

Heiner steht noch auf demselben Platz, grübelnd und entmutigt, als von draußen das Anlassen eines Motors aufklingt. Eme Wagentür wird zugeworfen. Mit dunklem Summen gleitet Umbachs Auto am Fenster vorüber. Das Motorengeräusch verliert sich in der Ferne.

»Und er hat doch etwas zu verbergen«, murmelt Heiner, dann sucht er das Krankenzimmer auf.

*

Auch Antje Ratzky hat den Wagen wegfahren hören.

Mit großen, ängstlichen Augen betrachtet sie ihre Umgebung. Seit sie erwacht ist, grübelt sie über das nach, was gewesen ist und weshalb sie in diesem prachtvollen Zimmer mit den kostbaren Möbeln, den echten Teppichen, den tiefen Sesseln, dem marmornen Kamin und den prächtigen Gemälden liegt.

Sie schlägt die Decke zurück und erkennt mit Schrecken ihre Nacktheit.

»Mein Gott!« flüstert sie entsetzt. »Was ist geschehen?«

So findet Heiner sie, ganz in Tränen aufgelöst. Die Decke hält sie krampfhaft bis ans Kinn gepreßt

Lächelnd läßt sich Heiner neben ihr nieder. Jetzt bei Tageslicht erscheint sie ihm kindhaft jung und noch lieblicher, zumal die erschrockenen Grauaugen mit einer verzweifelten Frage an ihm hängen.

»Gestatten Sie, mein Name ist Heiner Voß. Machen Sie keine so ängstlichen Augen, kleine Dame. Sie sind nicht unter die Räuber geraten. Mein Freund, der Herr dieses Hauses, hat Sie unter Lebensgefahr aus dem Steinbruch geangelt.«

Während Heiner gewollt fröhlich Auskunft gibt, grübelt sie. Sie meint, ein schmales dunkles Männergesicht vor sich zu sehen, helle Augen. Sie hört eine wohllautende und doch so harte Stimme.

»Der Herr dieses Hauses«, wiederholt sie nachdenklich.

»Ja, Antje Ratzky, der Herr dieses Hauses. Dietrich Umbach, hat sie…«

»Dieter Umbach«, formen ihre Lippen den Namen nach. Ihr Gesicht überzieht sich mit schneeiger Blässe.

»Nein! Nein! Das kann nicht möglich sein«, weint sie laut auf. »Ich muß fort, sofort, wenn Dieter Umbach kommt, darf er mich nicht mehr vorfinden. Ich muß fort! So hören Sie doch! Ich darf nicht in diesem Haus bleiben.«

Beruhigend drückt Heiner die erregte junge Frau in die Kissen zurück.