Armenische Märchen -  - E-Book

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Beschreibung

Die Armenier, die für sich ein eigenes Alphabet erfanden, haben auch wunderbare Märchen erzählt. Die interessantesten, fantasievollsten, nach Mundart ganz verschiedenen 25 Märchen sind in diesem Band versammelt und eröffnen eine Welt voller Abenteuer. Ein Schatzhaus des Orients.

Die Diederichs-Reihe »Märchen der Weltliteratur« ist die umfassendste Sammlung ursprünglicher Erzählliteratur aller Völker und Zeiten. Sie versammelt das Schönste, was sich die Menschen je erzählt haben: Mythen und Legenden, Göttersagen und Dämonengeschichten, Feen- und Zaubermärchen, gewitzte Tierfabeln und herrliche Schwänke. Wer die Eigenart anderer Völker verstehen will, wird hier Wege abseits des Mainstreams finden. Eine moderne Märchenbibliothek für eBook-Leser.

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Seitenzahl: 390

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Inhaltsverzeichnis

1. Der Priestersohn – ein Bär2. Armen und Sarmen3. Vom Derwisch und von den Mädchen4. Die Froschjungfrau5. Die Janitscharenmaid6. Herr Amir7. Der Sohn der Löwin8. General Žuškin9. Die Stieftochter10. Der Goldkopffisch11. Der Sohn des Jägers12. Der Zimmermannssohn13. Die grausame Mutter14. Die drei weisen Brüder15. Der Rotfisch16. Die Tochter des hinterindischen Chinesenkaisers17. Mond und Sonne18. Die Geschichte vom Sohn des Schah Abbas19. Der weise Junge20. Der Wollkämmer als König21. Was geschrieben steht – gilt22. Miso, der Sattler23. Der Kaufmann24. Der Riemenmensch25. König AlamCopyright

1. Der Priestersohn – ein Bär

Es lebte einst ein Priester, dieser Priester ging Holz holen. An jener Stelle, wo das Holz ist, begegnet dem Priester eine Bärin. Diese Bärin spricht zu dem Priester: »Du mußt zu mir kommen, mir beiwohnen, nach einem Jahr kommst du her und holst deinen Sohn, kommst du nicht, so werde ich dir noch einmal begegnen – und mache dir den Garaus.«

Dieser Priester verspätet sich, er geht nicht, nach einem Jahr geht er wieder Holz holen. Da begegnet ihm die Bärin, spricht zu dem Priester und sagt: »Warum bist du nicht rechtzeitig gekommen?« Der Priester antwortet: »Es kam mir aus dem Sinn.« Da sagt die Bärin: »Ei, jetzt bist du wenigstens gekommen, nimm deinen Sohn, wenn nicht – so ist dein Ende gekommen.« Der Priester nimmt seinen Sohn und bringt ihn zu sich nach Hause. Der Priester zieht diesen Jungen in seinem Hause auf; der Junge wächst schnell heran, er geht nach draußen, um mit den anderen Kindern zu spielen. Da geht er spielen mit den Nachbarskindern, einem Kind bricht er die Hand, dem anderen bricht er das Bein, dem dritten den Kopf. Diese Kinder gehen in ihre Häuser und erzählen ihren Vätern: »Der Sohn des Priesters bricht uns den Kopf, die Hand und das Bein.«

Die Väter sagen zu ihren Kindern: »Es macht nichts, das ist einmal. Wenn er noch einmal eure Beine und eure Hände bricht, dann werden wir den Priester und auch seinen Sohn bestrafen.«

Die Kinder gehen von neuem spielen. Der Sohn des Priesters fängt an, die Kinder zu schlagen, ihnen die Arme zu brechen. Die Kinder gehen und beklagen sich abermals bei ihren Vätern.

Die Väter rufen den Priester heraus und sagen: »Dein Sohn bricht unseren Kindern nicht nur einmal oder zweimal den Arm, das Bein, den Kopf, wir sagen dir, daß wir deinen priesterlichen Dienst nicht länger haben wollen, da dein Sohn solch ein Unheil auf die Häupter unserer Kinder bringt. Ei, Geistlicher, wir sagen dir, entweder entfernst du deinen Sohn aus dem Dorf, oder du entfernst dich selbst.«

Dieser Priester geht zu sich nach Hause, überlegt und sagt zu seinem Sohn: »Ei, Sohn, das Volk entfernt uns aus dem Dorf, jagt uns fort.« Der Sohn des Priesters erwidert ihm: »Aus welchem Grund jagen sie uns fort?« Der Priester aber spricht: »Als du spieltest, brachst du den Nachbarskindern das Bein und den Arm.«

Dann sagt der Priester: »Nimm ein Maß Gold und entferne dich.« Da antwortet dieser Bursche: »Ich will kein Gold, bringe dieses Gold fort und gib es einem Schmied, er soll für mich einen neun Pud schweren Stab schmieden.« Der Priester sagt: »Das wird sehr gut sein.« Er bringt es fort, gibt das Gold dem Schmied, daß der einen neun Pud schweren Stab schmiede. Dieser Schmied fängt an, den neun Pud schweren Stab zu schmieden, macht ihn fertig und gibt ihn dem Sohn des Priesters.

Der Priestersohn verläßt das Dorf, da sieht er, daß ein armer Mann Holz holen geht – auf einem Karren, vor den ein Paar Ochsen gespannt ist, diese vorgespannten Ochsen werden von Drachen, Višapen gefressen. Der Priestersohn sieht, daß dieser arme Mann zu weinen anfängt. Er fragt: »Ei, armer Mann, weshalb weinst du?« Der Arme antwortet: »Ich bin gekommen, Holz zu sammeln, da haben diese Višape meine Ochsen aufgefressen; jetzt bin ich unglücklich zurückgeblieben.« Der Priestersohn spricht: »Kennst du den Aufenthaltsort dieser Višape, so zeige ihn mir.« Er geht voran und zeigt ihm die Višape. Da spricht der Priestersohn zu den Višapen: »Dieser arme Mann hat nur ein Ochsengespann, wollt ihr das auch fressen?« Die Višape antworten: »Wenn wir können, so fressen wir auch dich.«

Da antwortet der Priestersohn: »Nun, dann versucht es mal.«

Dann wird der Priestersohn zornig, schlägt jeden von ihnen mit dem Stab, da werden die Višape zahm und rufen: »Ei, ei, was war das für ein erstaunlicher Mensch!« Der Bursche antwortet den Višapen: »Wollt ihr wohl gehen und diesem armen Mann das Holz nach Hause tragen, wenn nicht, so schlage ich euch noch einmal.« Da sagen die Višape: »Priestersohn, weshalb noch einmal schlagen, wir gehen freiwillig.«

Sie stehen auf und gehen, da kommen sie zu diesem Holz. Sie spannen sich vor den Karren. Der Priestersohn setzt sich ihnen dann auf die Schultern – und so fahren sie, fahren das Holz ins Haus dieses Armen. Die Dorfbewohner sahen, daß vorgespannte Višape den Priestersohn tragen.

Sie gehen hin und sagen zu dem Priester: »Auf daß Gott dein Haus zerstöre, welches Unheil brachtest du uns. Wir glaubten schon, dein Sohn ist weg aus dem Dorf, damit unsere Kinder ruhiger werden, jetzt ist er gekommen, hat Višape vorgespannt, Holz aufgeladen und es hergebracht, daß die Višape das Dorf aussaugen.« Bei diesen Worten treibt der Priestersohn die vorgespannten Višape zur Tür dieses Armen.

Diese Leute rufen: »Ei, Priestersohn, welch ein Unheil trägst du da auf das Haupt unseres Dorfes!« Der Priestersohn aber antwortet: »Was für ein Unheil trage ich denn auf das Haupt eures Dorfes?« Das Volk sagt: »Du brachtest diese Višape her, daß sie das Dorf aussaugen.« Da antwortet der Bursche: »Fürchtet euch nicht, sie haben die Ochsen dieses armen Mannes gefressen, seinetwegen spannte ich sie ein und fuhr das Holz zur Tür dieses Armen; ich werde den Višapen nicht erlauben, euch einen Schaden zuzufügen, ich werde sie vernichten.«

So spricht er und schlägt jeden dieser Višape zweimal mit diesem Stab, sie verrecken sofort. Dann sagt er zu den Dorfbewohnern: »Vergrabt diese Višape sofort in der Erde, dann seid ihr sie los.«

Dann verläßt er sie und geht an einen andern Ort. Wie er so geht, sieht er da: vor den Bäumen steht ein Mensch und will Zweige von den Bäumen abreißen, da reißt er die Bäume mit den Wurzeln aus. Der Priestersohn sagt: »Das ist ein Könner, fürwahr, das ist ein Könner!« Der Baumreißer antwortet: »Ein Könner? Ein Könner ist der Priestersohn, wenn er Višape vorspannen und forttreiben konnte; ist das etwa keine Kunst?« Der Priestersohn fragt: »Wenn der Priestersohn hier wäre, würdest du mit ihm Bruderschaft schließen?« Der, welcher die Bäume mit den Wurzeln ausriß, antwortet: »Wieso denn nicht? Ich würde mit ihm Bruderschaft schließen.« – »Nun«, sagt jener, »so werden wir nicht einsam sein, sondern zu zweit.« Und so schlossen sie Bruderschaft und gehen weiter.

Sie gingen lange oder kurz, plötzlich sehen sie: da liegt ein Berg auf den Schultern eines Menschen. Der Priestersohn sagt: »Das ist ein Könner, fürwahr, das ist eine Kunst, daß er den Berg schleppte!« Dieser Bergschlepper antwortet: »Ein Könner? Ein Könner ist dieser Priestersohn, da er Višape vorspannen und forttreiben konnte.« Da fragt der Priestersohn: »Wenn dieser Priestersohn hier wäre, würdest du mit ihm Bruderschaft schließen?« Da antwortet der Bergschlepper: »Das würde sehr gut sein.« So wurden sie sich einig und gehen weiter.

Gehen sie lange oder wenig, das weiß nur Gott, sie gehen und sehen: da im Feld sind Trümmer, da ist ein Haus, und da rufen sie: »Das wird uns ein Haus sein.« An diesem Abend richten sie sich dort ein. Am Morgen beschlossen sie, einer von ihnen soll zu Hause bleiben, das Essen und das Übrige vorbereiten, das häusliche Feuer am Herd erhalten, und am Abend die Kerzen anzünden. Er fragt: »Wer von uns bleibt hier?« Sie holen den Bergschlepper und sagen: »Bleibe du hier, du kochst das Essen und was dazugehört.« Sie stehen auf und gehen ins Feld auf die Jagd. Am Abend hatte der Bergschlepper das Essen und was dazugehört vorbereitet, daß jene Burschen, die auf die Jagd gegangen waren, kämen, um zu essen. Plötzlich sieht er, daß zur Essenszeit ein großer Kater kam, er schlug diesem Mann mit dem Schwanz übers Gesicht, der Mann verlor das Bewußtsein, dann fraß der Kater das Essen auf und ging fort. Diese Burschen kamen am Abend heim und sahen: weder ein Feuer, weder Kerzen, noch Essen, nichts ist da. Da sagen sie: »Na, warum hast du kein Essen, kein Feuer, keine Kerzen bereitet?« Dieser Bergschlepper antwortet: »Ich bin krank geworden, deshalb konnte ich es nicht.« Da sagt der Priestersohn: »Baumreißer, jetzt bleibe du hier und bereite das Essen.«

Dann gehen sie fort. Er fängt an, das Essen zu bereiten, dann sieht er, da ist ein Kater gekommen, der schlug diesem Baumreißer mit dem Schwanz übers Gesicht, dieser Mann verlor auch das Bewußtsein, fiel zu Boden, der Kater fraß das Essen auf und ließ ihn da, ging fort. Am Abend kamen der Bergschlepper und der Priestersohn, sie sahen, daß kein Essen da ist, dieser Bursche aber ist krank. Der Priestersohn fragt: »Ei, Bursche, wie ist das geschehen, daß du nichts zubereitet hast?« Der antwortet: »Ich bin krank.« Da sagt der Priestersohn: »Heute bleibe ich hier, ich will das Essen bereiten.«

Sie gehen zu zweit ins Feld, der Priestersohn bleibt zu Hause. Er bereitet das Essen und sieht, daß plötzlich ein großer Kater da ist, der trat ins Haus, und als er diesen Priestersohn mit dem Schwanz schlagen will, da schlug der Priestersohn diesen Kater mit dem Stab über den Hals, der Kopf riß ab, dann rollte er mit glänzenden Augen fort. Der Bursche folgte ihm, ging und sah, wie dieser Kopf durch ein Loch rollte, er folgte ihm und sah in dieses Loch, da schlug dem Priestersohn plötzlich Feuer ins Gesicht, er verlor an dieser Grube das Bewußtsein, dann kam er nach ein paar Stunden wieder zu sich, stand auf und ging zurück in ihr Haus. Am Abend, als dieser Bergschlepper und der Baumreißer kamen, sahen sie Feuer im Herd und die Kerzen brennen, auch das Essen war bereit, und der Priestersohn selbst saß munter dabei. Danach sagten sie: »Du, Priestersohn, du bist aber tapfer, du machtest das Feuer an und hast die Kerzen entzündet und bist nicht krank geworden, was war’s also?« Der Priestersohn aber antwortet: »Kommt bloß her!« Er führt sie hin, zeigt ihnen den Kater und fragt: »Ei, hat euch dieser Kater krank geschlagen?« Da antworten diese Burschen: »Sehr richtig, er schlug uns mit seinem Schwanz, wir verloren das Bewußtsein und wurden krank.«

Da sagt der Priestersohn: »Nun, steht auf, nehmt ein großes Seil, gehen wir.« Sie nehmen das Seil und gehen zu dieser Grube, binden das Seil dem Baumreißer an den Rücken und lassen ihn hinab in diese Grube. Als er bis zur Hälfte hinabgelassen ist, schreit er: »Zieht mich heraus, ich verbrenne!« Sie ziehen ihn heraus.

Da sagt der Priestersohn: »Bindet mir das Seil an den Rücken.« Sie binden es ihm an den Rücken und lassen ihn hinab in die Grube. Bevor sie ihn hinablassen, sagt der Priestersohn: »Soviel ich auch schreien mag: ›Ich verbrenne‹, laßt mich da hängen.«

Dieser Priestersohn hängt über der Grube und schreit: »Ich verbrenne!« Soviel er auch schreit: ›Ich verbrenne‹, sie lassen ihn dennoch hinab, er gelangt hinunter und erreicht den Boden der Grube, er brennt nicht mehr, kommt näher und sieht, daß dort ein Višap schläft und ebenfalls ein schönes Mädchen. Von diesem Mädchen geht eine Flamme aus, welche alles verbrennt, deshalb konnten sie nicht in die Grube hinab. Der Bursche zieht sein Schwert und haut den Višap auf den Kopf, er schlägt ihm sechs Köpfe ab, einer bleibt übrig. Es war ja ein siebenköpfiger Višap. Der Višap ruft: »Ei, Bursche, schlage noch einmal zu, schlage noch einmal zu!« Da antwortet der Bursche: »Meine Mutter hat mich nur einmal geboren.« Er schlägt nicht mehr zu, und der Višap verreckt.

»Das Seil«, ruft der Bursche dem Mädchen zu, »binde du dich daran, du sollst die erste sein.« Das Mädchen aber weigert sich und antwortet dem Priestersohn: »Geh du zuerst hinauf.« Und sie meint: »Gehe ich zuerst, so ziehen diese Burschen dich danach nicht mehr aus der Grube.« Da antwortet der Priestersohn: »Wenn sie meine Brüder sind, so holen sie mich heraus.« – »Na, gut, wenn es so ist! Hier hast du aber einen Stein und einen Feuerstein, wenn du gegen den Feuerstein schlägst, so erscheint vor dir ein Holzpferd, du sitzt auf, drückst es mit den Beinen zusammen, und es hebt dich auf und trägt dich über das Loch hinaus.« So sagte das Mädchen und zieht sich hinauf. Die beiden Burschen oben an der Grube sehen, daß dieses Mädchen sehr schön ist. »Lassen wir den Priestersohn in der Grube«, sagen sie, »nehmen wir das Mädchen und gehen wir!« Sie lassen ihn zurück; soviel der Priestersohn auch bittet: »Zieht mich aus der Grube«, sie schauen nicht hin und sagen: »Wir holen dich nicht heraus.« Da sagt der Priestersohn: »Es ist wahr, was das Mädchen gesagt hatte: ›Gehe du zuerst hinauf, gehe ich – so werden sie dich nicht herausholen!‹«

Dann schlägt er gegen den Feuerstein und siehe, das Holzpferd ist da. Er sitzt auf und gelangt hinaus durch dieses Loch, er geht und sieht, die beiden Burschen hauen und streiten sich, einer schreit: »Dieses Mädchen muß ich haben«, und jener: »Nein, ich will es nehmen.« Der Priestersohn greift nach seinem Stab, und kaum hat er jeden der beiden Burschen einmal damit geschlagen, da verrecken sie. Er wirft sie in jene Grube, dann trägt er einen großen Stein herbei und verstopft die Grube.

Danach heiraten dieses Mädchen und der Priestersohn, sieben Tage und sieben Nächte feiern sie die Hochzeit. Sie erreichten schon ihr Ziel, möget ihr auch euer Ziel erreichen.

2. Armen und Sarmen

Es lebte einmal ein steinreicher König. Dieser Herrscher wohnte mit seiner Frau in einem sehr schönen Schloß. Es hatte Türme aus Marmor und Säulen, die ganz mit Gold verziert waren, mit Edelsteinen, Korallen und Perlen. Seine Truhen steckten voller Kleinodien, Gold und kostbaren Steinen. Am schönsten aber war seine Frau, zierlich wie eine Peri, in golddurchwirkte Gewänder gekleidet, mit Gold und Brillanten geschmückt. Sie war wie eine voll erblühte Blume.

Der König besaß einen schönen, grünen Garten, der ganz in Blüten stand, voller Rosen, Nelken und anderer Blumen. Es wuchsen dort gute, erlesene Bäume; nichts fehlte in diesem Garten. Was konnte man aber damit anfangen, wenn es für all diesen Reichtum keine Erben gab? Des Königs und der Königin Herzen waren immer voller Schwermut, ihre Augen voller Tränen.

Man sagt, der Mensch könne für Geld alles kaufen, aber das ist eine Lüge; versuche mal, für Geld dir Kinder zu erwerben, wenn du keine hast! Oder versuche doch, bitte sehr, einen Kranken durch Geld zu heilen! Ach, alles ist Lug und Trug! Wenn du kannst, so sieh dich um, so lange du jung bist und merk es dir, daß alles Schein und Lüge ist: Liebe ist Lüge, der Wirt ist Trug – heute Wirt im Haus, morgen schon aus!

Einmal kam in ihr Schloß ein Derwisch, dunkel wie ein Mühlstein. Er hatte eine Hakennase und trug eine gehörnte Pelzmütze. Er war ein dürrer Mann von hohem Wuchs, aber ganz entkräftet. Dieser Derwisch kommt auf den Schloßhof, setzt sich auf einen Stein und sagt: »Es lebe der König! Mögen Eure Tage voller Freude sein! Nimm diesen roten Apfel, die eine Hälfte iß selbst, und die andere Hälfte gib deiner Frau. Ihr bekommt zwei Söhne, einen für euch, den anderen – mir! Wenn Ihr einverstanden seid, so nehmt den Apfel, seid Ihr es nicht, so nehmt ihn nicht!«

Der König und die Königin stimmen zu. Dieser Derwisch gibt ihnen den Apfel und verschwindet aus ihrem Blick. Den halben Apfel ißt der König, die andere Hälfte die Königin.

Es vergehen neun Monate, neun Tage und neun Stunden, neun Minuten und neun Sekunden. Gott beschert ihnen zwei Söhne. Jenen, der etwas früher auf die Welt kam, nannte man Armen und den anderen – Sarmen. Sie wuchsen nicht in Monaten, sondern in Tagen, wurden immer schöner, und schon waren sie zu hübschen Burschen herangewachsen.

Da sehen sie plötzlich einen finsteren Derwisch mit gerunzelten Brauen nahen, und ohne etwas zu sagen, nahm er Armen, um ihn fortzuführen. Was konnten da der König und die Königin schon machen? Das Herz tat ihnen sehr weh, sie weinten, aber es gab keinen anderen Ausweg, sie hatten es ja versprochen.

Beim Weggehen sagte Armen heimlich zu Sarmen: »Sarmen, wenn die Rosen in unserem Garten verdorren, so folge eilends meinem Ruf!« Der Derwisch nahm den Burschen, und sie gingen fort. Vater und Mutter beweinten Armen so, daß sich aus ihren Tränen Seen bildeten. Wollen wir sie dort lassen, und schauen wir, wohin man Armen führte.

Der Derwisch brachte Armen in eine ferne Steppe, dort war ein großer Garten, in dem Garten aber war ein Schloß. Sie traten ein in dieses Schloß. Ein Schloß, und was für eines! Die Wände waren aus Gold, der Fußboden aus Glas, alle Zimmer waren voll guter, erlesener Sachen, voll Meisterstücke und Leckerbissen aus aller Welt! Der Derwisch besaß auch einen Zauberstab, mit seiner Hilfe warf er Menschen in den Ofen, briet sie und aß sie.

Der Derwisch wollte auch Armen in den Ofen werfen und fressen. Er ließ Armen zu Hause, er selber aber ging in das ferne Gebirge, um Ziegen zu jagen, sie heimzubringen, davon ein Fleischgericht für den Burschen zu braten, daß er fett werde. Und ist er fett geworden, wollte er ihn backen und fressen.

Als der Derwisch einen guten Ziegenbock erjagt hatte, lud er ihn sich auf die Schulter und kehrte heim. Er heizt den Ofen, bis er von allen Seiten feuerrot glüht, dann bäckt er diesen Ziegenbock und ißt ihn auf. Und so wächst Armen heran und wird dicker. Einmal, als der Derwisch ausgegangen war, um Ziegen zu jagen, wanderte Armen durch die Zimmer des Schlosses, da erblickte er plötzlich an der Wand eines Zimmers einen Spiegel. Daraus vernahm er ein Knistern, und ein Mädchen kam zum Vorschein. Ach, was für ein Mädchen! Man möchte auf Essen und Trinken verzichten, nur es anschauen. Das Mädchen gab ihm zu verstehen, daß der Derwisch ihn fressen will. Und während sie da so stehen, sehen sie plötzlich den Derwisch kommen, der trägt einen Bock, dessen Augen dem Wasser des Meeres glichen, und seine Hörner waren spitz und scharf wie krumme Säbel, blank wie Kupfer, blitzend wie Diamant. Der Derwisch backte auch diesen Bock, sie aßen sich satt. Dann heizte der Derwisch tüchtig den Ofen wieder ein und fing an, rund um den Ofen zu tanzen, er ermunterte Armen, auch mitzutanzen, daß er Armen mit jenem Stab am Bein packe und ihn in den Ofen werfe, dann wollte er ihn backen und fressen.

Armen aber ahnte es, das Mädchen hatte ihn ja gewarnt, darum sagte er nur: »Vater Derwisch, ich ging heute so viel zu Fuß, daß ich müde bin, ich kann nicht tanzen.« Der Derwisch suchte ihn zu überreden: komm doch tanzen! Aber Armen stand nicht auf.

Schließlich gab er die Hoffnung auf, kehrte später ins Schloß zurück und suchte sich zu unterhalten. Im Verlauf des Gesprächs sagte Armen: »Vater Derwisch, ich möchte auch in jenes Gebirge gehen, ich will auch Ziegen jagen.« Der Derwisch wollte es zuerst nicht erlauben, aber dann willigte er ein. Am Morgen gingen sie auf die Jagd. An jenem Tage wanderten sie viel, doch Ziegen fanden sie nicht. Sonst gab es reichlich Ziegen, an jenem Tage aber gab es keine.

Auf dem Rückweg sahen sie auf einer grünen Wiese einen einzelnen, sehr schönen Hirsch weiden. Armen läßt den Zügel los, und das Pferd eilt im Galopp zu diesem Hirsch. Dieser Hirsch war kein gewöhnlicher Hirsch, es war die Tochter einer alten Hexe. Sie verwandelte sich jeden Tag in einen Hirsch, ging hinaus und verlockte junge Jägerburschen. Sie läuft fort und weicht in eine große Höhle aus. Armen eilt ihr nach und will schon in die Höhle eindringen, da bemerkt er plötzlich ein altes Weib vor sich, die Lippen hängen ihr bis zum Boden herab, und in der Hand hält sie einen Stab.

Das alte Weib rief böse: »Halte dich fern von dieser Höhle! Wieviel Köpfe hast du eigentlich, daß du dich in mein Land wagtest, und damit nicht genug, willst du auch noch meine sanfte Hirschkuh fangen! Keine Schlange auf dem Bauch kriechend, kein Vogel mit seinen Flügeln konnte diese Gegend erreichen, in welche du nun kamst!« Armen – von der Hirschkuh bezaubert – erwiderte: »Ei, Alte, gib mir deine Tochter zur Frau.«

Nach langem Hin und Her sagte die Alte: »Na, gut, was ist da noch zu reden. Aber wer meine Tochter haben will, der muß mit mir von sechs Uhr abends bis acht Uhr durch die Nacht Karten spielen. Und außerdem setzen wir dem Kater eine Kerze auf den Kopf: fällt die Kerze herunter, so hast du gewonnen, fällt sie aber nicht herunter, so darf ich dich also mit meinem Zauberstab in einen Stein verwandeln, wie jene da, die du vor dir siehst – lauter Fürstensöhne, Khansöhne, Prinzen; ich habe sie alle in Stein verwandelt.«

Armen war einverstanden. Nach dem Essen setzten sie sich zum Kartenspiel. Es graute schon der Morgen, der Kater aber rührt sich nicht vom Fleck. Armen will schon die Hoffnung verlieren. Endlich geht die Sonne auf, und das alte Weib verwandelt Armen in einen Stein. Lassen wir nun Armen in Gestalt eines Steines dort, und kehren wir zu Sarmen zurück.

Sarmen wacht in der Nacht auf und sieht die Rosen im Garten welken. Er nimmt Abschied von Vater und Mutter, holt seine Waffe, schwingt sich auf sein feuriges Pferd und folgt dem Ruf des Bruders. Sarmen treibt das Pferd an, gelangt zu einer Ebene, in dieser Ebene sieht er einen Garten und darin ein Schloß. Da ist das Schloß des Derwischs. Als der Bursche hineinging, dachte der Derwisch, dies sei Armen, so ähnlich waren sie einander. Er sagte: »Mein Sohn, wenn du müde bist, so komm, setz dich hin und ruh dich aus.«

Sie kamen ins Gespräch, und der Derwisch fragte: »Wie war die Jagd, gab es keine Beute in jenem Gebirge?« Und während er das sagte, ahnte Sarmen sogleich, woher der Wind weht, und er sagte darauf: »Vater Derwisch, es gab keine Beute, morgen gehe ich wieder, vielleicht erbeute ich dann etwas.«

Als es ein wenig hell wurde, stand der Derwisch auf und zog ins Gebirge. Sarmen jedoch rüstete sich auf den Weg zu seinem Bruder. Plötzlich hört er etwas knistern. Und da sieht er im Spiegel an der Wand ein schönes Mädchen. Die Schöne merkte aber, daß nicht Armen vor ihr steht. Sie gibt ihm zu verstehen: »Ei, schöner Bursche, da du dem Ruf deines Bruders folgst, so merke meine Worte gut! Wenn du aus dieser Ebene herauskommst und zu den Bergen gehst, so erhebt sich ein Hügel vor dir, du gehst daran vorbei, und dort auf dem grünen Felde wirst du einen einzelnen schönen Hirsch weiden sehen. Dieser Hirsch wird so schön sein, daß du ausrufen wirst: ich will nicht essen, nicht trinken, nur auf diesen Hirsch will ich schauen! Wenn du ihm nachjagst, so läuft er fort und weicht in eine Höhle aus. Du kannst ihn nicht erbeuten, denn er ist die Tochter einer alten Zauberin und kein schöner Berghirsch. Vorher noch, wenn du über jene Ebene gehst, wirst du drei Mäuse fangen, stecke sie in deine Tasche. Du wirst sie später brauchen können.«

Als er das alles gehört hatte, nimmt Sarmen seine Waffe, besteigt sein feuriges Pferd und reitet fort. Unterwegs nimmt er drei Mäuse mit, steckt sie in die Tasche. Sarmen suchte lange hier und dort, fand aber nichts. Endlich wollte er schon zurückkehren, da sah er plötzlich, wie ein schöner Hirsch vor ihm herlief und dann in einer Höhle verschwand. Sarmen gab dem Pferd die Sporen und jagte dem Hirsch nach, erreichte die Höhle und fing an, die Steine vom Eingang wegzuräumen, um einzudringen und den Hirsch zu fangen, da sieht er plötzlich eine alte Zauberin kommen mit einem Zauberstab in der Hand. Dieses alte Weib war ein mißgestaltetes, häßliches Wesen mit langen Lippen bis zum Boden.

Sie kommt böse erregt herbei, und ihre Augen sind blutrot, sie stampft mit dem Fuß auf die Erde und ruft: »Wieviele Köpfe hast du, daß du dich erdreistest, deinen Fuß auf mein Land zu stellen? Keine Schlange auf dem Bauch kriechend, kein Vogel auf seinen Flügeln vermochten hierher zu gelangen, du aber bist eingedrungen – oh, oh, – das ist dir noch wenig, du verfolgst auch noch meine Tochter!«

Sarmen beachtete die Worte der Alten gar nicht. Er wandte sich um und sagte: »Da ist er, mein schöner Hirsch, ich muß ihn fangen.« – »Das ist kein Hirsch, das ist meine Tochter!« Sarmen sagte darauf: »Wenn das so ist, muß ich sie erst recht nehmen.« Die Alte erwiderte: »Du kannst sie nur unter einer Bedingung nehmen. Die Bedingung ist die, daß wir zu zweit Karten spielen. Eine Kerze wird auf dem Kopf des Katers stehen. Fällt die Kerze vom Kopf des Katers herunter, so ist das Mädchen dein, möge es dir wohl bekommen, wie die Milch deiner Mutter. Bleibt aber die Kerze bis zum Morgengrauen auf dem Kopf des Katers, so verwandle ich dich in einen Stein. Schau mal auf diese Steine! Es waren alles junge Burschen, so wie du – Fürstensöhne und Prinzen.«

Sarmen war einverstanden und sagte: »Wenn ich es nicht schaffe, möge dein Stab mich in einen Stein verwandeln.« Sie fingen an, in einem Zimmer Karten zu spielen, am Tisch in der Mitte des Zimmers. Neben diesem Tisch saß ein Kater mit einer Kerze auf dem Kopf. Sie spielten Karten vom Abend bis Mitternacht, der Kater aber rührte sich nicht vom Fleck. Sarmen holte eine Maus hervor und ließ sie vor dem Kater los. Der Kater wurde schon unruhig, aber die Alte schrie ihn an, und der Kater saß still. Sie spielten und spielten Karten. Da hörte Sarmen schon die Hähne krähen. Die Sterne am Himmel verloschen einer nach dem anderen, und hinter jenem Gebüsch dort, das auf dem Gebirge wuchs, fing es von einer Seite her an, rot zu scheinen, allmählich wurde es hell. Sarmen zog heimlich die zweite Maus heraus und warf sie vor den Kater.

Der Kater wollte sich auf die Maus stürzen, um sie zu fangen, aber die Alte schrie ihn so an, daß der Kater sich nicht vom Fleck rührte. Als das Morgenrot aufging, warf Sarmen die dritte Maus vor den Kater. Der Kater warf die Kerze ab und lief der Maus nach. Die Alte wollte den Stab nehmen, Sarmen schlagen und ihn in einen Stein verwandeln, aber im gleichen Augenblick griff Sarmen selbst nach dem Stab, riß ihn der Alten aus der Hand, schlug ihr auf den Kopf und rief: »Sage sofort, wo mein Bruder ist!«

Die Alte verlor ihre Kraft, und so führte sie ihn und zeigte ihm neben all jenen anderen den Stein Armens. Sarmen zog sein Schwert und zerhieb das Weib in Stücke. Dann schlug er mit dem Stab auf jene Steine und belebte sie alle. Zuletzt erweckte er auch seinen Bruder zum Leben.

Als sie alle ins Leben zurückgekehrt waren, traten diese Fürstensöhne und Prinzen heran und küßten ihrem Befreier die Hand, sie dankten ihm und zogen in ihre Heimat.

Armen und Sarmen nahmen jenes Mädchen, die Tochter der Hexe, und gingen zum Schloß des Derwischs. Als der sie kommen sah, freute er sich sehr und sagte zu sich: »Aus einem wurden zwei, aus zweien – drei.« Er heizte den Ofen, bis er von allen vier Seiten feuerrot glühte und die Flamme zum Himmel emporstieg. Er holte einen Ziegenbock und backte ihn, den aßen sie auf. Danach fing der Derwisch an, um den Ofen herumzutanzen. Er rief Armen, er solle kommen und mit ihm tanzen. Armen aber blieb sitzen und sagte: »Vater Derwisch, zuerst tanze du, danach will auch ich tanzen.«

Als er das gehört hatte, fing der Derwisch an, am Rande des Ofens zu tanzen. Sarmen schlug ihn mit dem Zauberstab auf den Fuß, und der Derwisch fiel in den Ofen und verbrannte. Gerade in diesem Augenblick schrie das Mädchen aus dem Spiegel an der Wand: »Ei, schließt doch schnell den Ofen, sonst kommt der Derwisch noch heraus.« Sarmen schlug sofort die Ofentür zu.

Der Derwisch flehte sie an, mit dem Schaber im Ofen zu kratzen, das Mädchen aber rief warnend: »Kratzt nicht mit dem Schaber, wenn ihr das tut, knäuelt sich der Derwisch zusammen und frißt euch noch auf!« Sie kratzten nicht und ließen den Derwisch zu Asche verbrennen. Armen eilt zum Spiegel an der Wand, zerschlägt ihn ganz schnell und befreit jenes Mädchen. Dieses Mädchen war so schön, daß dem, der sie anschaute, fast die Sinne schwanden. Armen und Sarmen raffen den ganzen Reichtum des Derwischs zusammen, und mit den beiden Mädchen machen sie sich auf den Weg in die Heimat, in das Schloß. Vater und Mutter waren sehr erfreut, als sie ihre beiden Söhne gesund und munter vor sich sahen. Vierzig Tage, vierzig Nächte feierten sie deren Hochzeit, sie vermählten die Söhne mit jenen Mädchen. Auch das Volk frohlockte. Danach lebten sie fröhlich. Der Vater war sehr alt geworden. Er teilt seinen Reichtum in zwei Hälften, die eine gibt er Armen, die andere Sarmen, und auch die Macht überträgt er ihnen. So lebten der König und seine Frau fröhlich und glücklich bis zum Ende ihrer Tage und standen wie ein Berg hinter dem Rücken ihrer Söhne.

Das Böse wurde bestraft, das Gute trug den Sieg davon.

3. Vom Derwisch und von den Mädchen

Es lebte einmal eine Frau, diese Frau hatte drei Töchter. Da kam ein Derwisch und forderte für sich die älteste Tochter, führte sie nach Hause, und als er sie zu sich nach Hause gebracht hatte, gab er ihr ein Stück rohes Fleisch und sagte: »Du mußt dieses Stück rohen Fleisches essen, wenn du es ißt, so bist du meine Frau, ißt du es nicht, so erwürge ich dich, trage dich fort und hänge dich im Keller auf.«

Das Mädchen antwortete: »Ich kann nicht vor dir essen, geh hinaus, dann esse ich.« Als der Derwisch hinausgegangen war, trug das Mädchen das Fleisch fort und steckte es in den Backofen. Er kam und fragte: »Mädchen, hast du das Fleisch gegessen?« – »Ja, ich habe es gegessen«, antwortete das Mädchen. Der Derwisch fragte: »Fleisch, wo bist du?« Das Fleisch ließ sich vernehmen: »Hier bin ich, im Backofen.« Der Derwisch erwürgte das Mädchen, trug es fort und hängte es im Keller auf. Dann ging er und sagte zu der mittleren Tochter: »Deine Schwester ist krank, komm und sieh nach ihr, bis sie gesund wird.« Die mittlere Tochter folgte dem Derwisch und kam zu ihm nach Hause. »Mädchen«, sagte der Derwisch, »du mußt dieses Stück Fleisch essen, ißt du es nicht, so erwürge ich dich, ebenso wie ich deine Schwester erwürgt habe, und hänge auch dich im Keller auf.« Das Mädchen antwortete: »Geh hinaus, ich werde es essen, vor dir kann ich nicht essen.«

Der Derwisch ging hinaus. Das Mädchen trug das Fleisch fort, steckte es in eine Ritze in der Wand. Der Derwisch kehrte zurück, kam hin und fragte: »Mädchen, hast du das Fleisch gegessen?« – »Ja«, sagte das Mädchen. »Fleisch, wo bist du?« fragte der Derwisch. »Hier bin ich, in der Ritze, in der Wand«, antwortete das Fleisch. Der Derwisch erwürgte das Mädchen und trug es fort, dann ging er und sagte zu der jüngsten Tochter: »Deine Schwestern sind krank, komm her, schau nach.«

Das Mädchen antwortete: »Geh du schon voran, ich gehe und hole zwei Melonen aus dem Garten, dann komme ich, um nach meinen Schwestern zu schauen.« Das Mädchen ging in den Garten, der Gärtner sagte zu ihr: »Mädchen, möge dein Haus nicht einstürzen, dieser Derwisch ist ein Zauberer, er wird dich ebenso wie deine Schwestern fortführen und erwürgen; er hat die beiden schon erwürgt und im Keller aufgehängt, wenn du hingehst, so lege dir ein Kätzchen an den Busen und geh hin. Wenn der Derwisch dir rohes Fleisch reicht, so gib du das Fleisch dem Kätzchen und halte es am Busen versteckt, so rettest du vielleicht deine Seele.«

Das Mädchen nahm zwei Melonen, legte sich das Kätzchen an den Busen und ging zum Derwisch. Die Schwestern sind nicht da. Der Derwisch nahm das Mädchen bei der Hand, führte es fort, stellte es über dem Keller hin und sagte: »Siehst du? Da sind deine Schwestern; nimm dieses Stück Fleisch, iß es auf, wenn du es ißt – so bist du meine Frau, ißt du es nicht – so erwürge ich auch dich, trage dich hin und hänge dich im Keller auf.« Das Mädchen antwortete: »Ich kann vor dir nicht essen, ich bitte dich, geh hinaus.« Das Mädchen gab das Fleisch dem Kätzchen, das fraß es auf, sie legte sich das Kätzchen auf die Brust, band es sich fest, daß der Derwisch es nicht sähe. Nach einer Weile kam der Derwisch und fragte: »Mädchen, hast du das Fleisch gegessen?« – »Ja, ich habe es gegessen«, antwortete das Mädchen. »Fleisch, wo bist du?« fragte der Derwisch. Das Fleisch antwortete vom Busen des Mädchens her: »Hier bin ich, zwischen schwarzen und weißen Eingeweiden, im Bauch.« – »Braves Mädchen!« sagte der Derwisch, »dafür, daß du das Fleisch gegessen hast, bin ich dein Mann, und du bist meine Frau. Nun komm, ich will den Kopf auf deine Knie legen, vierzig Tage lang werde ich schlafen, du aber rühre dich nicht von deinem Platz, damit ich gut ausschlafe.«

Nachdem der Derwisch fest eingeschlafen war, legte das Mädchen leise seinen Kopf auf ein Kissen, bemerkte in seinem Bart ein Schlüsselbund, nahm die Schlüssel und ging kreuz und quer durchs Haus. Sie öffnete eine Tür – da ist es voll von Gold und Silber, sie öffnete eine zweite Tür – da liegen Schätze und Kleindien haufenweise, sie öffnet noch eine Tür – da sieht sie in einem Stall ein Pferd angebunden stehen, das hat drei Köpfe, vor dem einen liegt Heu, vor dem zweiten ein dreiblättriges Kleeblatt, vor dem dritten – ein Stein. Flugs nahm sie den Stein und warf ihn zur Seite, das dreiblättrige Kleeblatt riß sie aus. Das Pferd aber konnte sprechen. »Mädchen«, sagte das Pferd, »sieh dich vor, wenn wir ausreißen und fort sind, und wenn es der Derwisch merkt, so kann sich keiner von uns retten. Ich habe Durst, führe mich dorthin zu jener Quelle, ich will mich reichlich satt trinken, wasche auch du deine Hände und Zöpfe, schütte Säcke voll Gold und Silber, dann reißen wir aus und sind fort.«

Das Mädchen nahm so viel Gold und Silber wie es konnte, lud es auf das Pferd, befestigte oben den Sattel, wusch sich die Zöpfe – da verwandelte sie sich in ein feuriges, flammendes Mädchen mit goldglänzenden Haaren, setzte sich aufs Pferd und machte sich auf den Weg. Es blieb kein Dorf, keine Stadt, kein Meer und kein Festland übrig, durch das sie nicht geritten wären. Sie ritten, ritten und machten am Rande der Stadt eines fernen Königs halt. Das Mädchen küßte die Augen des Pferdes und entließ es in die Freiheit, daß es ginge, wohin es wolle. Sie aber trat in das Haus einer Alten am Rande der Stadt, entbot ihr einen Gruß, und ihr Gruß wurde erwidert.

»Liebe Großmutter«, sagte sie, »willst du mich nicht als Tochter aufnehmen, ich bin eine Waise, obdachlos und weiß nicht, wo ich leben könnte, hätte ich nur eine Wohnstatt, um mich einzurichten.« Und sie holte eine Handvoll Gold hervor und gab sie der Alten. Die Alte nahm das Gold, sprang vor Freude auf und rief: »Ich habe gerade keine Nachkommen, werde du die Tochter meiner Seele, ich will dich hüten wie mein Augenlicht!«

Von Tag zu Tag wuchs das Mädchen unter der Hand der Alten heran und wurde immer schöner; trank sie Wasser – so strahlte ihre Kehle, sie war lieblich wie Minze, hatte schwarze Augen, goldschimmernde Zöpfe und Brauen wie Bogen.

Eines Tages sprach es sich in der Stadt herum, daß der König seinen Sohn verheiraten wollte, sie müßten einen Papagei fliegen lassen; das Mädchen, auf dessen Kopf er sich setzt, gibt der König seinem Sohne zur Frau. Als man den Papagei fliegen ließ, flog er zum Haus der Alten. »Nun, was soll es bedeuten«, fragten die Leute, »ist dem Königssohn etwa die Alte bestimmt?« Nicht nur einmal, nicht zweimal, so oft sie den Papagei auch fliegen ließen, er flog und setzte sich auf das Haus der Alten. »Zum Teufel«, sagten sie, »wollen wir hineingehen und sehen, wer dort ist.«

Sie gingen hinein, und was sehen sie da? – ein Mädchen bedient die Alte. Sie nahmen es bei der Hand, führten es ins Freie, und der Papagei machte sogleich ›hops‹ – und ließ sich auf dem Kopf des Mädchens nieder. Man überbrachte die Nachricht dem König, der König sandte seinen Sohn, er solle sich das Mädchen ansehen, ob sie ihm gefalle oder nicht. Dem schwanden beinahe die Sinne. »Sie ist für mich alles«, rief er. Da sagten die Leute des Königs: »Alte, der König will deine Tochter für seinen Sohn, was sagst du dazu?« – »Hier ist sie, meine Tochter, sie müßt ihr fragen, nicht mich«, sagte die Alte.

Das Mädchen meinte: »Wenn der Königssohn das tut, was ich ihm sage, so heirate ich ihn, tut er es nicht, so heirate ich ihn nicht.« – »Was befiehlst du denn?« – »Dort, wo ich wohnen werde, müssen vierzig Türen sein, die ins Innere führen; drinnen und draußen sollen je zwei Türhüter wachen, niemand soll mein Gesicht sehen, außer dem Königssohn und meinen Zofen.« War das etwa schwer für den König? Man baute das Haus mit vierzig Türen, die ins Innere führen, an den Türen stellte man Türhüter auf, man holte die Tochter der Alten her für den Sohn des Königs, sieben Tage und sieben Nächte lang feierte man die Hochzeit und ergötzte sich. Mögen sich der Bräutigam und seine Braut aneinander freuen, wir wollen uns dem Derwisch zuwenden.

Als die vierzig Tage um waren, erwachte der Derwisch und vermißte die Schlüssel in seinem Bart, suchte hier und dort, und das Mädchen war auch nicht mehr da, alle Riegel im Hause waren offen. Da ging er, seine ganze Habe band er in Ballen zusammen, belud Pferde und Maultiere, nahm die Gestalt eines Kaufmanns an und zog durch Dörfer, durch Städte, durch Länder. Wohin er auch zog, überall verteilte er Geld, schenkte Gaben diesem und jenem, um Nachrichten über das Mädchen zu erhalten, aber keiner wußte etwas Neues zu berichten. Endlich geriet er in die Stadt des Königs, eröffnete dort einen Laden. Es sprach sich in der Stadt bald herum, ein steinreicher Kaufherr sei gekommen, was gibt es da nicht alles in seinem Laden – Kleinodien, Schmuck, Ringe und Perlen.

Eines Tages nahm der Derwisch einen vollen Sack mit Schmuck, Ohrgehängen und Ringen, Achaten und Smaragden, und ging an die Fenster der königlichen Schwiegertochter. Kaum erblickten ihn die Zofen, so liefen sie heraus, kaum wurde der Sack aufgemacht, da lief ihnen das Wasser aus dem Munde, alle redeten durcheinander, fingen an zu handeln, der Derwisch aber sagte: »Bis eure Herrin die Ware nicht angeschaut hat, ob ihr nicht etwas gefällt, so lange verkaufe ich euch nichts.« Die Zofen liefen in die Gemächer zurück und bemühten sich sehr, ihre Herrin zum Anschauen der Ware zu überreden. Endlich durften sie den Kaufmann hereinführen. Als das Mädchen den Derwisch erblickte, wurde es fast ohnmächtig.

»Du Hure«, sagte der Derwisch, »weißt du etwa nicht, daß du dich von mir sowieso nicht befreien kannst, wenn du dich auch in den Himmel erhebst oder in den Abgrund steigst? Nun, schnell, geh mir voran, wir ziehen fort.« – »Nur du auf Erden und Gott im Himmel gelten für mich, Derwisch, gehen wir«, sagte das Mädchen, »denn ich habe mich in der Tat nicht von dir befreit.«

Der Derwisch ging voran, sie folgte ihm, als sie an die Tür kamen, sagte das Mädchen, bevor sie hindurchgingen: »Oh, weißer Reiter, Heiliger Sergius, ich gelobe, dir das zu opfern, was aus meinem Leibe geboren wird« und – bums! – stieß sie den Derwisch mit dem Fuß in den Rücken. Als der Derwisch mit Nase und Mund nach unten fiel, schlug der Türhüter von links und der Türhüter von rechts auf den Derwisch ein, hauten ihn in Stückchen, das Mädchen war gerettet.

Als die Zeit herankam, legte sich die königliche Schwiegertochter nieder und gebar eine Tochter. Als sie niedergekommen war, gelobte sie von neuem dem Heiligen Sergius und sprach: »Ich habe dir ein Gelübde getan, hier, meine Tochter werde ich dir opfern.« Das Kind wuchs heran, es wurde sieben oder acht Jahre alt, einmal ging es hinaus, da sah es an der Schwelle einen Greis mit einem weißen Bart stehen, es lief hin und berichtete es der Mutter, die Mutter sagte: »Geh und lade ihn ins Haus, ich gebe alles für seine Macht hin, das ist der Heilige Sergius.« Das Mädchen ging hin, nahm den Greis bei der Hand, um ihn ins Haus zu führen, der Greis segnete das Mädchen und sprach:

»Lachst du im Sommer – so fällt der Schnee, Lachst du im Winter – so blüht die Rose, Trittst du mit dem rechten Fuß auf – so rieselt Gold, Trittst du mit dem linken Fuß auf – so rieselt Silber.«

Das sprach er und verschwand.

Das Mädchen wuchs heran, es kam die Zeit, da es heiraten sollte, wenn es mit dem rechten Fuß aufstampfte – so rieselte Gold, stampfte es mit dem linken Fuß auf, so rieselte Silber, sowie sie nur zu lachen anfing, bedeckten sich Wände und Decken mit Rosen und Minze. Die Kunde über sie ging durch die ganze Welt.

Ein König aus einem fernen Lande entsandte eine Botschaft und warb um dieses Mädchen für seinen Sohn. Man machte das Mädchen fertig, bereitete die Mitgift vor, gab ihr eine Zofe, brachte sie auf den Weg, segnete sie und ließ sie fahren. Diese Zofe führte heimlich ihre eigene Tochter mit. Unterwegs fuhren sie durch eine dürre Wüste, Wasser zu finden war unmöglich, die Prinzessin bekam Durst, sie sagte zu ihrer Zofe: »Oh, wenn ich nur ein Tröpfchen Wasser trinken könnte, der Mund ist mir ausgetrocknet.«

Die Zofe ging, blieb eine Weile fort, kehrte zurück und sagte: »Die Prinzessin soll sich die Augen ausreißen und sie hergeben, so bekommt sie Wasser.« Da rief das Mädchen: »Ich kann wohl ohne Augen auskommen, aber nicht ohne Wasser leben, hier hast du meine Augen, nimm sie fort, wenn du mir nur ein Tröpfchen Wasser bringst.« Die Zofe riß dem Mädchen beide Augen aus, gab ihr ein Tröpfchen Wasser, nahm sie bei der Hand, führte sie fort, ließ sie in einer Höhle allein zurück, ihre Tochter aber kleidete sie an, schmückte sie wie eine Braut, und so zogen sie weiter. Sie gingen, gingen und erreichten die Stadt des Königs, sie feierten die Hochzeit, vermählten das Mädchen mit dem Burschen, sieben Tage, sieben Nächte aßen, tranken, schmausten sie und vergnügten sich.

Ein armer Mann hatte sieben blinde Töchter. Dieser Mann begab sich einmal in den Wald, um Reisig zu sammeln und es zu verkaufen, um dafür ein wenig Brot für seine Töchter zu kaufen. Er trat in eine Höhle hinein und sah: da liegt ein blindes Mädchen, da meinte er: »Ich habe schon sieben blinde Töchter, ich will auch sie nehmen, so sind es acht, Gott wird ihr Glück geben. Nun, erstmal will ich gehen und es meinen Töchtern erzählen, will wissen, was sie dazu sagen, dann komme ich wieder und hole sie heim.« Die Töchter sagten: »Das fehlt gerade noch, unser Leben ist auch so schon schwer, kommt noch eine dazu, so nimmt sie uns das Brot weg.« Die jüngste Tochter aber sagte: »Lieber Vater, hole sie her, ich werde ihr die Hälfte meines Brotes geben, sie ist unglücklich, sie darf dort nicht bleiben, dort wird sie sterben, die Obdachlose.«

Dieser Mann brachte aber das Mädchen nicht mit, er ließ es dort und kehrte heim. Das Mädchen weinte lange, vergoß Tränen, aber es war nichts zu machen.

Ihr Verlobter – der Königssohn – begab sich an diesem Tage auf die Jagd, als er vorüberging, hörte er ein Weinen, er ging in die Höhle und erblickte das Mädchen. Heimlich fuhr der Teufel in ihn, der Königssohn näherte sich dem Mädchen, und danach ging er fort. Das Mädchen wurde schwanger.

»O weh, wehe mir, mein Unglück reicht noch nicht aus, nun stürzte auch diese Schande noch auf mein Haupt.« Ihr Herz füllte sich mit Kummer, aus Schwermut wurde sie schläfrig, sie schlummerte ein. Im Traum erschien ihr der Heilige Sergius und sprach: »Fürchte dich nicht, du wirst dich von dieser Bürde befreien. Beim Morgengrauen wird ein Mann kommen, der Reisig sammelt, der wird dich mit nach Hause nehmen, wenn er kommt, so bitte ihn, er möge dich zu der nächstgelegenen Quelle führen, dorthin fliegen zwei Täubchen zur Tränke, die werfen an der Quelle zwei Federn ab, du nimmst sie, befeuchtest sie im Wasser und wäschst dir damit die Augen, dann wirst du so wie du früher warst.«

Bei Tagesanbruch kam der Mann und sagte: »Steh auf, Kind, steh auf, ich nehme dich bei der Hand und führe dich zu mir nach Hause. Ich habe sieben blinde Töchter, zusammen mit dir sind es acht, so wie sie lebten, so wirst auch du zusammen mit ihnen leben, vielleicht beschert Gott dir Glück.«

»Lieber Papa, ich bitte dich untertänigst: hier in der Nähe fließt eine Quelle, führe mich dorthin, ich will mir ein wenig Wasser ins Gesicht spritzen.« Der Mann führte das Mädchen zu der Quelle, das Mädchen befeuchtete die Federn in der Quelle, spülte sich die Augen, wusch sich, und nach dem Willen Gottes wurde sie, wie sie vorher gewesen war, rein und gesund. Sie standen auf und machten sich auf den Weg. Das Mädchen trat mit dem rechten Fuß auf – da rieselte Gold, sie trat mit dem linken Fuß auf – da rieselte Silber. Der Mann suchte es zusammen und warf es in seinen Sack. An jenem Tage trug der Vater statt des Reisigs einen Haufen Gold und Silber heim. Der Vater war sehr gut aufgelegt. Er kaufte für seine Töchter vielerlei Tand. Die jüngste Tochter sagte: »Lieber Vater, siehst du, ich sagte ja: hole dieses arme Mädchen her, ich werde mit ihr mein Brot teilen.« Die ältesten Töchter sagten: »Du mußt auch uns zu der Quelle führen, wir werden uns waschen, und unsere Augen werden sich öffnen.«