Artenschutz - Jürgen Trautner - E-Book

Artenschutz E-Book

Jürgen Trautner

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Beschreibung

Zunächst geht es um die Grundlagen: Was ist Artenschutz? Was sind seine Rahmenbedingungen und Ziele, auf welchen Richtlinien und Gesetzen baut er auf? Das Buch erläutert die gängigen Konzepte und beschreibt alle wichtigen juristischen und fachlichen Begriffe sowie deren Auslegung durch Behörden und Gerichte. Im Zentrum steht die Frage: Wie ist Artenschutz zu konzipieren, um in der Planungs- und Naturschutzpraxis nachhaltige Erfolge für die Artenvielfalt zu erzielen. In rund 20 ausführlichen Praxisbeispielen zeigen dazu ausgewiesene Experten, wie wirkungsvoller Artenschutz gelingt.

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Seitenzahl: 530

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Praxisbibliothek

NATURSCHUTZ

und Landschaftsplanung

Herausgegeben von Professor Dr. Eckhard Jedicke

Jürgen Trautner

Artenschutz

Rechtliche Pflichten, fachliche Konzepte, Umsetzung in der Praxis

Mit Beiträgen zu Praxisbeispielen von:Ulrich Bense, Martin Biedermann, Michael Bräunicke, Manfred Colling, Nele Cornils, Jürgen Dilger, Thomas Fartmann, Michael Franz, Josef Grom, Klaus Handke, Julia Hecht, Felix Helbing, Gabriel Hermann, Wolfgang Kraus, Ulrich Lanz, Heiko Liebel, Nora Magg, Johannes Mayer, Hans-Ulrich Müller, Thorsten Münsch, Birgit Olbrich, Julia Ott, Sebastian Rall, Jörg Rietze, Arno Schwarzer, Roland Steiner, Florian Straub, Gregor Stuhldreher, Axel Theilen, Jennifer Theobald

152 Farbfotos 39 Diagramme und Zeichnungen 15 Tabellen

Inhalt

Vorwort des Reihenherausgebers

1Einführung

1.1Was ist Artenschutz und warum braucht man ihn?

1.2Im Fokus: Bedrohte Arten und Arten, für die eine besondere Verantwortlichkeit besteht

1.3Worauf Artenschutz fußt: Historie und Begründungen

1.4Und der Mensch bleibt auf der Strecke?

1.5Akteure im Artenschutz

2Gefährdung, Ursachen und Handlungsfelder

2.1Der globale Rahmen

2.2Situation in Deutschland und Österreich

2.3Handlungsfelder

3Rechtliche Regelungen zum Artenschutz – eine Übersicht

3.1Internationale Konventionen

3.2Beispiele außereuropäischer Regelungen

3.3Europäische Richtlinien und Verordnungen

3.3.1Vogelschutzrichtlinie (VRL)

3.3.2FFH-Richtlinie (FFH-RL)

3.3.3Sonstige Richtlinien und Verordnungen

3.4Regelungen in Deutschland

3.4.1Aufgaben des Artenschutzes und das Verhältnis zu anderen fachgesetzlichen Regelungen

3.4.2Allgemeiner Artenschutz nach Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)

3.4.3Besonderer Artenschutz nach BNatSchG

3.4.4Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV)

3.4.5Direkter oder indirekter Artenschutz durch sonstige Rechtsvorschriften

4Die zentralen Begriffe zum Artenschutz

4.1Schutzstatus und Verbotstyp

4.1.1Besonders geschützt

4.1.2Streng geschützt

4.1.3Europäische Vogelart

4.1.4Art des Anhangs IV der FFH-Richtlinie

4.1.5Art, für die eine nationale Verantwortlichkeit besteht

4.1.6Zugriffsverbote

4.1.7Besitz- und Vermarktungsverbote

4.2Beweggründe einer Handlung: von Mutwilligkeit und Absicht

4.3Tiere, Pflanzen und ihre Entwicklungsformen

4.3.1Art

4.3.2Wild lebend

4.3.3Tiere und Pflanzen

4.3.4Entwicklungsform

4.4Lebensstätten und Habitate der Arten

4.4.1Fortpflanzungsstätte

4.4.2Ruhestätte

4.4.3 (Reine) Nahrungsfläche

4.4.4Habitat, Lebensstätte und Biotop

4.4.5Potenzielle Lebensstätte/Habitatpotenzial

4.4.6Verbindungsweg/Verbundkorridor

4.4.7Pflanzenstandort

4.5Population, ökologische Funktion und räumlicher Zusammenhang

4.5.1Population

4.5.2Lokale Population

4.5.3Metapopulation

4.5.4Ökologische Funktion/Funktionalität

4.5.5Räumlicher Zusammenhang

4.6Erhaltungszustand

4.6.1Erhaltungszustand einer Art und Ebene seiner Bewertung

4.6.2Günstiger Erhaltungszustand

4.6.3Verschlechterung des Erhaltungszustandes

4.6.4Erhaltungsgrad

4.7Zerstörung, Beschädigung und Entnahme (von Lebensstätten und Standorten)

4.8Störung

4.8.1Störung als solche

4.8.2Erhebliche Störung

4.8.3Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten

4.9Fang und Individuenverluste oder physische Beeinträchtigung

4.9.1Nachstellen und Fang von Tieren, Entnahme von Tierentwicklungsformen und von Pflanzen

4.9.2Tötung und Verletzung von Tieren, Beschädigung oder Zerstörung von Pflanzen

4.9.3Signifikant erhöhtes Tötungs- oder Verletzungsrisiko

4.10Unvermeidbarkeit

4.11Ausnahme und Befreiung

4.11.1Ausnahme nach § 45 BNatSchG

4.11.2Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt

4.11.3Maßgeblich günstige Auswirkungen auf die Umwelt

4.11.4Andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses

4.11.5Alternativenprüfung

4.11.6Ausnahme bei ungünstigem Erhaltungszustand

4.11.7Befreiung nach § 67 BNatSchG

4.11.8Ausnahme nach BArtSchV

4.12Maßnahmen

4.12.1Vermeidung und Minderung

4.12.2 (Vorgezogene) Ausgleichsmaßnahme, funktionserhaltende Maßnahme (sog. CEF-Maßnahme)

4.12.3Maßnahme zur Verhinderung einer Verschlechterung des Erhaltungszustands (sog. FCS-Maßnahme)

4.12.4Monitoring, Funktionskontrollen und Risikomanagement

4.13Beurteilungsspielraum der Behörde und Aussagesicherheit

4.14Zielart

5Artenschutz in Planungs- und Zulassungsverfahren

5.1Planungsebenen und Zulassung – Bedeutung von Fragen des Artenschutzes

5.2Relevante Arten

5.3Inhalte, Methoden und Tiefe der Untersuchung

5.4Bewertung der Artenschutzbelange und berührter Verbote

5.5Fallbeispiel

5.6Defizite, Probleme und Gegensteuerung

6Artenschutz und Landnutzung

6.1Die Privilegierung von Forst- und Landwirtschaft

6.2Grenzen der artenschutzrechtlich erlaubten Landnutzung

6.3Defizite bei Vorgaben, Förderungen, Kontrollen und Vollzug gegenüber Landnutzern

7Naturschutz intern – Ringen um Prioritäten und Wege

7.1Komplexer Rahmen und mangelnde Mittel

7.2Exkurs: Wie „naturnah“ muss Artenschutz handeln?

7.3Exkurs: Überschießender Individuenschutz im Artenschutz?

8Weitere Themenfelder des Artenschutzes

8.1Privates Umfeld

8.1.1Haus und Garten

8.1.2Reise

8.1.3Spezifische Beschäftigung mit Tier- oder Pflanzenarten

8.2Sport und Freizeit

8.3Jagd und Fischerei

8.4Zoologische und Botanische Gärten sowie Wiederansiedlungsprojekte

8.5Überwachung und Ahndung von Verstößen

9Fachkonzepte des Artenschutzes

9.1Bewertungsfragen und räumliche Konzepte

9.2Beispiel Zielartenkonzept Baden-Württemberg

10Praxisbeispiele: Artenschutzmaßnahmen erfolgreich umsetzen

10.1Vorbemerkungen und Übersicht

10.2Funktionserhalt für Feldlerchenreviere

10.3Etablierung einer Kiebitzbrutkolonie

10.4Wiesenweihenmanagement in der Agrarlandschaft

10.5Bereitstellung neuer Zauneidechsenlebensräume

10.6Innerstädtischer Lebensraum für die Mauereidechse

10.7Technisches Gewässer für die Wechselkröte

10.8Wochenstubenquartiere für die Kleine Hufeisennase

10.9Individuenschutz der Bachmuschel bei Gewässerverlegung

10.10Funktionserhalt von Nachtkerzenschwärmer-Lebensstätten

10.11Schutzprojekt für einen Lichtwald-Tagfalter

10.12Habitatmanagement für einen strauchbewohnenden Tagfalter

10.13Bestandsförderung des Alpenbockkäfers

10.14Sicherung der Östlichen Grille in einem Weinberggebiet

10.15Fortpflanzungsgewässer für die Arktische Smaragdlibelle

10.16Ausgleichsmaßnahmen für die Blauflügelige Ödlandschrecke

11Wichtige Ziele für die Landnutzung

12Schlussbemerkungen und Dank

Literatur

Die Autoren

Bildquellen

Impressum

Vorwort des Reihenherausgebers

Der Verlust an Biodiversität hat global gesehen die planetaren Grenzen überschritten und gefährdet die Resilienz der Erde. Die Aussterberate beträgt das Zehn- bis Hundertfache dessen, was Wissenschaftler als „sicheren Handlungsspielraum“ definiert haben. Verschärfend für die Situation wirkt die gleichzeitige Grenzüberschreitung auch bezüglich des Klimawandels, der biogeochemischen Stoffkreisläufe (Stickstoff und Phosphor) und der Landnutzungsänderungen. Arten zu schützen und ihre Populationen aktiv zu entwickeln, ist daher dringender denn je.

Und dennoch polarisiert der Artenschutz in der Fachwelt wie in der Gesellschaft mehr denn je. Eine rechtssichere Prüfung und Abarbeitung des Artenschutzrechts ist heute die Voraussetzung für die Realisierung vieler Bauvorhaben. In der Öffentlichkeit werden einzelne Maßnahmen wie die Umsiedlung von Zaun- und Mauereidechsen als maßlose Übertreibung der Naturschutzbelange und Benachteiligung des Menschen dargestellt. Und doch liegen die anteiligen Kosten des Naturschutzes insgesamt bei großen Bauvorhaben in aller Regel deutlich unter 5% der Baukosten. Auch fachintern wird zumindest hinter vorgehaltener Hand immer wieder diskutiert, ob die rechtlich angezeigten Maßnahmen tatsächlich notwendig und/oder erfolgreich sind.

Höchste Zeit also, das in den letzten gut vier Jahrzehnten sukzessive gewachsene Artenschutzrecht mit seinen Pflichten und die fachlichen Konzepte für deren Bewältigung in einem Fachbuch übersichtlich zusammenzuführen. Jürgen Trautner schließt mit dem vorliegenden Buch eine große Lücke. Mit der von ihm 1987 begründeten und bis heute als geschäftsführender Gesellschafter geleiteten Arbeitsgruppe für Tierökologie und Planung hat er sich einen Erfahrungsschatz im Artenschutz wie kaum ein anderer erarbeitet – sowohl bei der planerischen Bearbeitung und bei der Realisierung und Erfolgskontrolle von Projekten und Maßnahmen als auch bei methodisch-konzeptionellen Aufgaben zur Bewältigung des Artenschutzes. Diese Expertise vermittelt er gebündelt, illustriert durch Praxisbeispiele von 30 Autorinnen und Autoren.

Als rechtliches Fundament dienen vor allem das Washingtoner Artenschutzübereinkommen, die Vogelschutz- und die FFH-Richtlinie sowie auf nationaler Ebene in Deutschland Bundesnaturschutzgesetz und Bundesartenschutzverordnung. Aus diesen resultiert eine Fachterminologie, deren Kenntnis für die rechtskonforme Umsetzung essenziell ist und die ausführlich vorgestellt wird. Diese Fachbegriffe werden mit den diskutierten Artenschutzkonzepten in Verbindung gebracht und sodann in die Systematik von Planungs- und Zulassungsverfahren eingeführt, ergänzt durch eine artenschutzrechtliche Bewertung von Landnutzungen. Dabei nimmt Jürgen Trautner auch eine kritisch-konstruktive Position zum naturschutzinternen Ringen um Prioritäten und Wege ein: In einem eigenen Kapitel würdigt er die berechtigte Diskussion um übergeordnete Prioritäten im Naturschutz, dessen unzureichende Ausstattung sowie einen „überschießenden“ Individuenschutz und liefert Lösungsvorschläge. Einen besonderen Fundus stellen 15 Beispielprojekte des Artenschutzes dar, die jeweils auf mehreren Seiten geschildert werden. So werden das methodische Vorgehen bei der Abarbeitung der artenschutzrechtlichen und fachlichen Aufgaben transparent, aber auch dessen Grenzen.

Entstanden ist ein einzigartiges Kompendium, welches sowohl im Studium als auch in der Berufspraxis rasch ein unentbehrlicher Leitfaden sein wird. Zu wünschen ist, dass das Buch rasch zu einer verbesserten Umsetzung des Artenschutzes in der Praxis und zu dessen weiterer Stärkung beitragen wird.

Geisenheim, Januar 2020

Prof. Dr. Eckhard Jedicke

Herausgeber der Praxisbibliothek

Naturschutz und Landschaftsplanung

1Einführung

1.1 Was ist Artenschutz und warum braucht man ihn?

Verfolgt man die Berichte in den Medien, so scheint der Artenschutz bei uns vor allem von Kuriositäten, absurden Hemmnissen für die Infrastruktur und übertriebenen Kosten bestimmt zu sein. Da wird über Tausende von Euro für den Schutz einer einzelnen Eidechse berichtet, die Deutsche Bahn erstattet Anzeige wegen des Verdachts, Aktivisten hätten Kot einer geschützten Käferart in einem ihrer Projektgebiete platziert, ein fiktiver Feldhamsterverleih macht von sich reden und Windkraftbetreiber argwöhnen, Windkraftgegner würden tote Fledermäuse unter ihre Windräder legen.

Abb. 1-1 Die Amsel (Turdus merula) gehört zu den bekanntesten Tierarten Deutschlands, nicht zuletzt weil man sie stet im Siedlungsbereich beobachten kann. Trotz regionaler Bestandsrückgänge in den letzten Jahren durch das 2010 erstmals in Deutschland aufgetretene Usutu-Virus (s. Lühken et al. 2017) ist die Art derzeit nicht gefährdet.

Dies alles sei zunächst dahingestellt, denn nichts davon hat mit den zentralen fachlichen Fragen und Problemen des Artenschutzes zu tun. Wenn an späterer Stelle solche Fälle erneut zur Sprache kommen, so nur im Kontext bestimmter überschießender Regelungen und der Frage, wie im Naturschutz eigentlich kommuniziert und sachgerecht gearbeitet werden kann.

Unsere einheimische Flora und Fauna ist artenärmer als diejenige tropischer Länder, aber weder ist sie „arm“ noch einfach überschaubar. Unter den allgemein mehr oder minder populären einheimischen Arten finden sich etwa Amsel und Star, um zwei in einem der bekanntesten deutschen Kinder- und Frühlingslieder genannte Vögel aufzugreifen („Alle Vögel sind schon da“, Text Hoffmann von Fallersleben, 1835). Ebenso zählen Arten wie das Reh, der Feldhase und das Tagpfauenauge zu den bekannteren. Hinter der „Drossel“ und dem „Fink“, auch aus dem genannten Lied, könnten sich jeweils mehrere Arten verbergen. Denn in Deutschland leben zwölf hier regelmäßig brütende Finken (Arten der Familie Fringilidae) in freier Wildbahn, darunter allerdings nur zwei, die den Finken tatsächlich im Namen führen, der Buchfink und der Grünfink. Unter den Drosseln finden sich neben der Amsel (Abb. 1-1) noch vier weitere regelmäßig brütende Arten bei uns (s. Barthel & Helbig 2005).

In Deutschland gibt es insgesamt rund 48 000 Tier-, 9 500 Pflanzen- und 14 400 Pilzarten (BfN 2015, Völkl & Blick 2004), und ähnliche Größenordnungen finden sich in Österreich (dort rund 46 000 Tier-, 11 500 Pflanzen und 10 000 Pilzarten, s. Rabitsch & Essl 2009). Angesichts dieser Zahlen mag es durchschnittlich Naturinteressierte beruhigen, dass niemand alle diese Arten kennt, geschweige denn zu unterscheiden vermag. Beunruhigend ist allerdings, neben der konkreten Gefährdung vieler Arten, dass die Artenkenntnis in der Bevölkerung sinkt und eine „Erosion“ der Artspezialisten zu beklagen ist, die unterschiedliche Gründe hat (Frobel & Schlumprecht 2016).

Wenn Schüler im Rahmen einer Studie nach der Jahrtausendwende im Durchschnitt nur vier von zwölf Gartenvögeln erkannten (Zahner et al. 2007) und sich dieser Anteil tendenziell sogar noch verschlechtert hat (Gerl & Zahner 2019), so zeigt dies ein grundlegendes Problem: Die Wertschätzung von Artenvielfalt und die Akzeptanz konkreter Artenschutzmaßnahmen sind nicht sehr hoch. Doch kann erst bei Kenntnis einer Art und ihrer Lebensweise überhaupt beurteilt werden, ob Handlungsbedarf besteht und was die Art tatsächlich für ihren Schutz benötigt oder nicht.

Gerade daraus ergibt sich auch, dass Artenschutz als eigenständiges fachliches, rechtliches und praxisbezogenes Instrument des Naturschutzes behandelt werden muss. Denn der Schutz von Arten als wesentlichem Teil der „Biologischen Vielfalt“ (Biodiversität) ist nicht oder jedenfalls nicht allein durch ein allgemein ausgerichtetes System des Biotopschutzes zu erreichen. Biotope bilden zwar räumlich-typologisch voneinander abgrenzbare Lebensstätten für Tiere und Pflanzen und beherbergen mehr oder weniger spezifische Lebensgemeinschaften (Biozönosen). Auch können sie mit vergleichsweise wenig Aufwand flächendeckend und von einer größeren Zahl an Personen kartiert und bewertet werden und sind schon deshalb eine wichtige Objektebene des Naturschutzes. Schließlich bilden sie in ihrer Ausprägung spezifische Standort- und Nutzungseinflüsse ab, sodass der Schutz gefährdeter oder seltener Biotoptypen gleichzeitig zum Schutz von Arten beiträgt. Dies gilt aber eben bei Weitem nicht für alle Arten, die eines Schutzes bedürfen.

Das lässt sich an der Bedeutung von Äckern für den Artenschutz veranschaulichen. Der Deutsche Rat für Landespflege formulierte bereits in den 1980er-Jahren in einer Stellungnahme: „Die gefährdeten (schutzwürdigen) Biotope und die gefährdeten (schutzwürdigen) Arten decken sich jedoch nicht. So ist der Biotop Acker als Fläche nicht gefährdet, die an ihn gebundenen Ackerwildkräuter und -tiere sind es in hohem Maße“ (DRL 1985). Bis heute wird diese Tatsache, dass nämlich Artenschutz auch auf scheinbar weniger schutzwürdigen Flächen greifen muss, in der Praxis von Naturschutz und Landschaftsplanung sowie der Fachplanung nicht ausreichend berücksichtigt. So stellte etwa im Rechtsstreit um eine Eisenbahntrasse das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig noch im November 2017 fest, dass sich im behandelten Fall nach den zugrunde zu legenden Bewertungsmaßstäben erhebliche Fehler bei der Eingriffs- und Ausgleichsbilanz ergeben hatten. Der Grund: Betroffene und verloren gehende Ackerflächen seien nach Auffassung des Gerichts zu gering bewertet und dabei ihre Funktion als Lebensraum für eine Reihe gefährdeter Vogelarten der offenen Feldflur (Feldlerche, Rebhuhn, Schafstelze) verkannt worden. Auch seien weitere indirekte Beeinträchtigungen unberücksichtigt geblieben, wie z. B. Verinselung, Trennwirkung und Verlärmung. Eine Zerschneidung der in ihrer Nutzung kleinteilig strukturierten Feldflur, die als Brut- und Nahrungshabitat genutzt werde, sei geeignet, den ökologischen Wert dieser Flächen erheblich zu mindern (BVerwG, Urt. v. 9. 11. 2017 – 3 A 4.15, Rn. 77 ff.).

Solche Situationen beschränken sich nicht nur auf einzelne Planungsvorhaben und Ackerlebensräume, vielmehr spielen weitere Aspekte eine Rolle. So sind die Gründe dafür, dass Biotopschutz per se nicht ausreicht, u. a. in den spezifischen, biologisch-ökologischen Merkmalen und Ansprüchen der Arten zu suchen. Denn viele Arten

• sind nicht auf einen einzelnen, nach bestimmten Kriterien definierten Biotop angewiesen, sondern auf Kombinationen aus mehreren,

• benötigen zudem besondere Strukturen innerhalb des jeweiligen Biotops, die teils nicht, teils sogar negativ in die übliche Bewertungspraxis für Biotoptypen eingehen (etwa vegetationsarme Stellen, Abb. 1-2),

• haben spezifische Flächenansprüche, die sich zwischen den Arten stark unterscheiden können und oft nichts mit den „Mindestgrößen“ zu tun haben, ab denen ein bestimmter Biotoptyp angesprochen und als gut ausgebildet bewertet wird,

• reagieren sensibel auf Wirkfaktoren, die ansonsten keinerlei direkten Einfluss auf Biotope haben, beispielsweise Lichtquellen, denen eine prekäre Anlock- oder Störwirkung auf zahlreiche nachtaktive Tierarten zukommt (Abb. 1-3), sowie Freizeitaktivitäten oder Verkehrslärm mit Beeinträchtigung hiergegen empfindlicher Vogelarten,

• werden gezielt, teils illegal verfolgt (wenn auch in Deutschland weniger) oder unterliegen durch zulässige jagdliche sowie fischerei- oder landwirtschaftliche Praxis einer massiven Gefährdung, ohne dass zuzuordnende Biotope als solche verloren gehen.

Weitere Gesichtspunkte ergeben sich z. B. aufgrund gestaffelter Schutzprioritäten (etwa infolge einer besonderen weltweiten Verantwortlichkeit für den Schutz bestimmter Arten, s. Kap. 1.2, S. 14 ff.) oder einer räumlich gegenüber dem Biotoptyp stärker differenzierten Verbreitung. In solchen Fällen kann der gleiche Biotoptyp in verschiedenen Naturräumen oder bei unterschiedlicher Ausstattung mit Habitatstrukturen aufgrund konkreter Artvorkommen sehr unterschiedlich zu bewerten sein. Zudem können sich auch Abweichungen z. B. für das vorrangige Pflegemanagement ergeben.

Schließlich kommt hinzu, dass Maßnahmen und Ziele des Naturschutzes, die für Biotope allgemein formuliert werden, oftmals nicht ausreichend auf die in diesen Biotopen „mit“ zu schützenden Arten abgestimmt sind.

Auch das Bundesamt für Naturschutz unterstreicht in seinem Artenschutzreport 2015, dass über den Schutz von Biotopen und Ökosystemen hinaus etwa „der Ausbau und die Ergänzung bestehender Artenschutzprogramme erforderlich [sind]“, um „gezielt die Bestände […] von besonders gefährdeten Arten sowie von Arten, für die Deutschland eine besondere Verantwortlichkeit hat, zu schützen und zu erhalten“ (BfN 2015).

Artenschutz hat insoweit nicht nur eine Daseinsberechtigung, sondern ist zwingend erforderlich, um Naturschutz im rechtlichen wie auch im fachlichen Kontext ausreichend umsetzen zu können – konzeptionell und in der Praxis.

Abb. 1-2 „Verwundungen“ des Bodens und der Pflanzendecke – wie hier in einem Gebiet mit Heide und Sandrasen – sind für bestimmte Wildbienenarten essenzielle Niststätten, bieten günstige Keimbedingungen für rückläufige Pflanzenarten dieser Lebensraumtypen und stellen den Lebensraum von Sandlaufkäfern dar. In der klassischen, nicht ausreichend auf Artansprüche ausgerichteten Biotoppflege wird aber gerade das Entstehen solcher Verwundungen oft vermieden.

Abb. 1-3 Lichtquellen können nachtaktive Arten und ihre Populationen durch Stör- oder Anlockwirkung gefährden. Mittlerweile stellt die Lichtverschmutzung ein globales Problem dar.

Unter einer Art im fachlichen Sinn versteht man im Allgemeinen eine Gruppe sich untereinander fortpflanzender Individuen und Populationen, die sich von anderen derartigen Gruppen auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen mehr oder weniger deutlich abgrenzt (s. Exkurs 1-1 auf S. 12).

Die Art als Schutzgegenstand im rechtlichen Sinn ist im deutschen Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) jede Art, Unterart oder Teilpopulation einer Art bzw. Unterart von Tieren, Pflanzen, Flechten und Pilzen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG). Dies macht deutlich, dass die genetische Vielfalt auch innerhalb der Arten zu schützen ist – etwa in Form von Populationen in natürlicherweise voneinander separierten Verbreitungsarealen, wie sie beispielsweise infolge der Eiszeiten entstanden sind. Das steht im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt, die auf Organismen jeglicher Herkunft einschließlich der innerartlichen Vielfalt abzielen – sowie auf die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören (s. United Nations 1992, dort Art. 2). Lediglich für Artvorkommen, die außerhalb ihrer natürlichen Verbreitungsareale (etwa durch Verschleppung) begründet wurden, gibt es abweichende Sicht- und Vorgehensweisen. Besonders hervorzuheben ist die Bekämpfung sogenannter invasiver Arten (s. Kap. 3.3.3, S. 46; den einleitenden Abschnitt von Kap. 8 und die Gefährdungsbeispiele in Kap. 2.1).

Der Schutz des einzelnen Individuums spielt im Artenschutz zwar eine Rolle, ist jedoch aus fachlicher Sicht je nach Art ganz unterschiedlich zu bewerten (vgl. Bernotat & Dierschke 2016): Kann er bei weitverbreiteten, häufigen Arten nahezu irrelevant sein, kommt ihm im Fall von Arten mit sehr geringen Bestandsgrößen zuweilen eine sehr hohe Bedeutung zu (vgl. auch Kap. 7.3, S. 157 ff. und Kap. 10, S. 227 ff.). Im Unterschied zum Tierschutz hat der Artenschutz nicht das Leben und Wohlbefinden des einzelnen Tieres (vgl. in Deutschland Tierschutzgesetz [TierSchG] § 1) als eigenständiges Ziel im Fokus. Aber auch der Artenschutz weist Regelungen auf, die z. B. die mutwillige Beunruhigung sowie die Verletzung oder Tötung von Tieren ohne vernünftigen Grund untersagen, so etwa § 39 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.

Zur Art im fachlichen Sinn Exkurs 1-1

Ein wissenschaftlicher Artname besteht im gültigen System aus zwei eigentlichen Namensteilen, dem der Gattung als übergeordnete Einheit (beginnend mit Großbuchstabe) sowie der klein geschriebenen artspezifischen Bezeichnung. Für den Fall von Unterarten wird ein dritter Namensteil beigefügt. Die Begriffe entstammen meist der griechischen oder lateinischen Sprache und es existieren strikte Regeln der Namensgebung (Nomenklatur). Teil der gesamten wissenschaftlichen Bezeichnung sind zudem das Jahr der Erstbeschreibung und der oder die Namen derjenigen Personen, die die Art entsprechend beschrieben und benannt haben. Die Merkmale zur Differenzierung von Arten müssen weder in der äußeren Körpergestalt einfach erkennbar sein noch sich überhaupt signifikant morphologisch darstellen. Wesentliche Unterschiede können sich auch auf physiologischer Ebene, im Verhalten oder etwa in den ökologischen Ansprüchen zeigen. Ein einheitlicher wissenschaftlicher Artbegriff und ein einheitliches Vorgehen für die Grenzziehung zwischen Arten existieren leider nicht. Vielmehr gibt es hierzu sehr unterschiedliche Ansätze, wobei heute vielfach die genetischen „Distanzen“ in den Vordergrund gestellt werden. Interessanterweise lässt sich im Erbgut vieler ökologisch sowie im Körperbau klar unterscheidbarer Arten ein Mosaik unterschiedlicher Ursprünge erkennen. Das gilt auch beim Menschen, zu dem „für einige Populationen mindestens zwei andere Arten, der Neandertaler und der Denisova-Mensch, einen Beitrag geleistet haben“ (Pfenninger 2016 mit Bezug auf Racimo et al. 2015).

Eine Art soll jedenfalls eine von anderen Arten unterschiedene evolutionäre Entwicklungslinie repräsentieren. Von einigen Wissenschaftlern wird – auch unter Gesichtspunkten des effektiven Schutzes der biologischen Vielfalt – eine stärkere Vereinheitlichung und zugleich Beschränkung, u. a. bei der Neubeschreibung oder Auftrennung von Arten bzw. bei deren Anerkennung, gefordert (Garnett & Christidis 2017).

Zum Artenschutz trägt die artbezogene Forschung bei, insbesondere wenn sie auf die Klärung der Verbreitung und der Lebensraumansprüche von Arten ausgerichtet ist sowie auf die Analyse von Gefährdungsursachen und die Entwicklung wirksamer Schutzmaßnahmen.

Darüber hinaus ist es notwendig, die Beschäftigung mit Arten als Teil des Bildungs- und Ausbildungsauftrags aus Artikel 12 des bereits zitierten Übereinkommens über die biologische Vielfalt verstärkt zu fördern.

Eine aktuelle Definition des Artenschutzes muss die konzeptionelle Ebene ebenso einbeziehen, wie sie Bezug auf Artlebensräume prägende Prozesse und die räumlich-funktionale Vernetzung zwischen Teillebensräumen und Populationen nehmen sollte.

Artenschutz ist demnach als Gesamtheit an Konzepten, Regelungen und konkreten Maßnahmen zu sehen, um alle natürlich in einem Gebiet vorkommenden, wild lebenden Arten in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder einen solchen wiederherzustellen. Hierzu gehören untrennbar die Sicherung der genetischen Vielfalt von Arten und deren Anpassungsfähigkeit (Schaefer 2012: 21), ebenso wie ein qualitativ und quantitativ ausreichender Schutz ihrer Lebensräume, der diese prägenden Prozesse sowie der ggf. erforderlichen räumlich-funktionalen Vernetzung. Artbezogen kann sich dies auf sehr unterschiedliche räumliche Maßstabsebenen erstrecken (aus: Trautner 2018).

Zu den folgenden Abschnitten des Buches ist noch anzumerken, dass die Kapitel 1 bis 3 im Blickwinkel weiter gerichtet sind und in größerem Umfang Beispiele und Ausführungen zur europaweiten oder globalen Situation beinhalten. Ab Kapitel 4 rückt Deutschland in den Mittelpunkt, wobei teilweise auch Arbeiten aus anderen Staaten zitiert werden.

1.2 Im Fokus: Bedrohte Arten und Arten, für die eine besondere Verantwortlichkeit besteht

Auch wenn es zunächst Aufgabe ist, jedwede Organismen als Teil der Biodiversität zu schützen, so ist doch klar, dass sich der Artenschutz nicht gleichmäßig um alle Arten kümmern kann oder muss, selbst wenn hierfür ausreichende Mittel zur Verfügung stehen würden und für jede Art ein guter Kenntnisstand vorläge.

Worauf also muss der Artenschutz fokussieren? Aus fachlicher Perspektive sicherlich nicht nur auf große und attraktive oder zumindest „nette“ Arten, auch wenn für diese in der Öffentlichkeit oft eine höhere Maßnahmenakzeptanz erreichbar wäre. Verstärkt in den Blick zu nehmen sind auch nicht solche Arten, für die eine günstige Situation besteht und eine positive Prognose zu stellen ist. Ist dagegen eine Verschlechterung der Situation bislang ungefährdeter Arten zu erwarten, so berührt dies schon die engeren Aufgaben des Artenschutzes. Dabei kann die Dringlichkeit der Maßnahmen von dem zu erwartenden Ausmaß der Bedrohung und ihrer Geschwindigkeit abhängig gemacht werden.

Tatsächlich ist der Fokus des Artenschutzes vor dem Hintergrund der aktuell bereits kritischen Situation vieler Arten aber in der Regel noch enger zu fassen (Abb. 1-4): Besondere Berücksichtigung müssen einerseits gefährdete Arten und andererseits solche Arten erfahren, für die eine besondere Verantwortlichkeit gegeben ist (so auch BVerwG, Hinweisbeschl. v. 2. 10. 2014 – 7 A 14.12, Rn. 18). Eine besondere Verantwortlichkeit resultiert beispielsweise aus der weltweiten Gefährdung oder einem kleinen Verbreitungsareal der jeweiligen Art. Sowohl der Gefährdungsgrad als auch die Verantwortlichkeit sind nach fachlichen Kriterien skalierbar. Im weltweiten Rahmen sind die Kategorien und Kriterien der IUCN (2012) ein anerkanntes System zur Gefährdungsbeurteilung, an dem sich auch die aktuellen Bearbeitungen der Roten Listen, z. B. in Österreich (BMLFUW 2005 sowie Folgebände) und Deutschland (BfN 2009 sowie Folgebände, s. Exkurs 1-2) orientieren. Gefährdungsgrad und Verantwortlichkeit (s. Exkurs 1-3) gehören zu wesentlichen Kriterien bei der Ableitung sogenannter „Zielarten“ des Naturschutzes (s. Kap. 4.14, S. 105 und Kap. 9, S. 185 ff.).

Abb. 1-4 Fachlicher Fokus des Artenschutzes. Die Größe der einzelnen Felder entspricht nicht den tatsächlichen Artenzahlen/-anteilen (leicht verändert aus: Trautner 2018). Mit dem Begriff „Schlüsselarten“ sind Arten mit besonderer Bedeutung für Nahrungsnetz oder Lebensraumstruktur gemeint (z. B. große Pflanzenfresser oder der Schwarzspecht, dessen selbst gezimmerte Baumhöhlen später von weiteren Arten genutzt werden).

Bei Arten, für die eine besondere Verantwortlichkeit, aber (noch) keine Gefährdung besteht, kann sich der Artenschutz im Wesentlichen auf eine Beobachtung beschränken. Für bedrohte Arten besteht Bedarf, den Gefährdungsursachen entgegenzusteuern. Dazu sind diese Ursachen zunächst zu identifizieren und sinnvolle Maßnahmen abzuleiten. Zwar gibt es objektiv aussichtslose Fälle, u. a. durch unaufhaltbare klimatische Veränderungen oder Einschleppungen invasiver, bislang nicht beherrschbarer Arten (s. z. B. Chiba & Cowie 2016), aber die sind eher die Ausnahme. Ansonsten gilt, dass Anstrengungen zum Artenschutz nie von vornherein umsonst sind. Meist sind Rückgangsursachen gut identifizierbar (weil wissenschaftlich belegt oder fachlich plausibel) und die vorrangig erforderlichen Maßnahmen können benannt werden.

Ein zentraler Begriff der europäischen Regelungen zum Artenschutz ist der des „günstigen Erhaltungszustands“, der fachlich sehr sinnvoll ist und auch in die deutsche Gesetzgebung Eingang gefunden hat. Nach Art. 1 Buchst. i der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie – Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) bezieht sich dieser Begriff auf die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten auswirken können. Als günstig wird der Erhaltungszustand dann betrachtet, wenn unter Berücksichtigung der Populationsdynamik einer Art anzunehmen ist, dass (a) diese Art ein lebensfähiges Element ihres natürlichen Lebensraumes bildet und langfristig bilden wird, (b) das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch vermutlich in absehbarer Zeit abnehmen wird und (c) ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern. Als „natürlich“ werden dabei nicht nur solche Lebensräume verstanden, die ohne menschlichen Einfluss bestehen oder sich entwickelt haben. Vielmehr sind nach Anhang I dieser Richtlinie auch Lebensraumtypen geschützt, die etwa einer Nutzung oder Pflege unterliegen (so bestimmte, durch Mahd geprägte Grünlandtypen, s. dazu auch Kap. 7.2, S. 149 ff.).

Der Artenschutz muss sich am Maßstab des günstigen Erhaltungszustands orientieren; an ihm sind letztlich Erfolg und Misserfolg zu messen. Soweit in der Landschaft keine natürlichen oder „naturnahen“ und zugleich für eine bedrohte Art geeigneten Lebensräume mehr existieren oder zumindest mittelfristig nicht wiederherstellbar sind, kann auch die Einbeziehung technisch geprägter Habitatstrukturen in ein Schutzmanagement zu erwägen sein (s. auch das Praxisbeispiel in Kap. 10.7, S. 216 ff.).

Um den in Abb. 1-4 (S. 13) skizzierten Fokus des Artenschutzes zu veranschaulichen, werden nachfolgend (bis S. 21) sechs Beispielarten in Kurzporträts vorgestellt, eine Pflanzen- und zwei Wirbeltierarten (Exkurse 1-4 bis 1-6) sowie drei Insektenarten aus der Familie der Laufkäfer (Carabidae, Exkurse 1-7 bis 1-9). Sie alle kommen auch in Deutschland und Österreich vor.

In Europa wie auch weltweit gibt es eine große Zahl an Arten mit sehr kleinen Verbreitungsarealen und besonderer Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates bzw. der jeweiligen Region. So gehören viele Arten aus Gebirgsregionen und von Inseln zu dieser Gruppe, deren Gesamtverbreitungsareale sehr klein sein können. Dies gilt aber nicht nur für Pflanzen oder bodenbewohnende, flugunfähige Insekten mit nahezu punktuellen Vorkommen. Auch unter den flugfähigen Vögeln sind Fälle mit geringer Arealgröße bekannt, z. B. der Chathamsturmvogel (Pterodoma axillaris) mit einem Verbreitungsareal von wenigen Quadratkilometern im neuseeländischen Inselgebiet (s. Stattersfield & Capper 2000).

Adlerfarn (Pteridium aquilinum) Exkurs 1-4

Bis zu 2 m hoher Farn, der von Nordamerika über Europa und Teile Afrikas, den Indischen Subkontinent und weitere Teile Asiens bis nach Japan verbreitet ist, wobei allerdings mehrere Unterarten unterschieden werden. Unter für ihn günstigen Bedingungen kann er in großen Herden auftreten und – etwa in beweideten Gebieten – zur Problempflanze für Weidemanagement und Landschaftspflege werden. Zugleich übernimmt er aber regional bestimmte wichtige Habitatfunktionen, etwa in Lebensräumen des Feurigen Perlmutterfalters (Argynnis adippe) in England (Butterfly Conservation 2006). Insoweit kann er mittelbar durchaus für Artenschutzmaßnahmen relevant werden, ist aber nicht selbst Gegenstand des besonderen Artenschutzes.

Abb. 1-5 Adlerfarn (links) und Gesamtverbreitung des Adlerfarns (rechts), basierend auf Meusel et al. (1965), aktualisiert unter Heranziehung u. a. von Thomson (2008) sowie Wolf et al. (2015).

Schwarzspecht (Dryocopus martius) Exkurs 1-5

Paläarktisch von Spanien bis in den Norden Japans verbreitete Vogelart, eine Unterart tritt in Südwestchina und Tibet auf. Bewohner nicht zu dichter Wälder, der insbesondere zur Nahrungssuche auch offene Strukturen in den Wäldern und an deren Rändern nutzt. „Schlüsselart“ für weitere Waldbewohner, da er Bruthöhlen in Bäumen anlegt, die dann von anderen Arten (etwa weiteren höhlenbrütenden Vogelarten, Holzkäferarten usw.) als Lebensraumstruktur genutzt werden können. Kommt gut mit Forstwirtschaft zurecht, wenn diese einen Mindestanteil an älteren Bäumen (Stammdurchmesser in Brusthöhe ab 50 cm) als Brutbäume und an lichteren Beständen oder offenen Strukturen im Waldverband sichert. In Deutschland ungefährdet.

Abb. 1-6 Schwarzspecht (links) und Gesamtverbreitung des Schwarzspechts (rechts; nach Winkler & Christie 2002).

Da der rechtlich vermittelte Schutz von Arten bislang weder international noch in Deutschland ausreichend auf Gefährdung und Verantwortlichkeit abstellt, darf sich der Artenschutz keinesfalls auf solche Arten beschränken, denen ein bestimmter Schutzstatus zukommt (in Deutschland etwa nicht auf die besonders und streng geschützten Arten).

1.3 Worauf Artenschutz fußt: Historie und Begründungen

Ansätze des Artenschutzes reichen weit zurück und dürften zunächst ausschließlich religiöse oder auf die Sicherung der Ernährung ausgerichtete Gründe gehabt haben. Ein Beispiel ist der Schutz von Seevögeln im Inka-Reich an der peruanischen Küste, über den Garcilaco Inca de la Vega (1609: 183) berichtet. Der in großer Menge an den Nistplätzen hinterlassene Dung (Guano) dieser Seevögel stellte eine so bedeutende Ressource als Dünger für die Felder dar, dass es bei Todesstrafe verboten war, die Tiere an ihren Nistplätzen zu stören oder sie zu töten.

In einer tabellarischen Übersicht bei Piechocki (2006: 43 f.) finden sich auch weitere Daten zur frühen Artenschutzgeschichte; in Tab. 1-1 mit Beispielen zum Vogelschutz wird darauf zurückgegriffen.

Wernsmann (2005: 27) berichtet in einem Kapitel über historische Beispiele einer Lenkung durch das Steuerrecht, dass die Stadt Potsdam im Jahr 1844 eine Nachtigallensteuer einführte. Diese wurde auf die Haltung der Vögel (die ja zuvor gefangen werden mussten) erhoben, um die Art in den königlichen Gärten zu schützen. Auch Jahrzehnte später, als keine gehaltenen Nachtigallen mehr angemeldet waren, wurde die Steuer zu präventiven Zwecken aufrechterhalten.

Tab. 1-1 Beispieldaten der Naturschutzgeschichte in Mitteleuropa mit Bezug zum Vogelschutz (Auszüge aus Piechocki 2006, Tab. 1, leicht verändert und ergänzt durch weitere Daten u. a. aus NABU o. J.)

Jahr

Ereignis

1335

Züricher Vogelschutzverordnung

1490

Nürnberger Verbot des Nachtigallenfangs

1698

Der Senat der Stadt Lübeck gebietet dem Schießen und Fangen von Vögeln Einhalt

1713

Verbot der Zerstörung von Vogelnestern durch die Gräflich Lippische Regierung

1735

Gebot gegen streunende Katzen durch die Hessische Regierung

1818

Verbot des Vogelfanges während der Brutzeit (Kgl. Berghauptstadt zu Clausthal)

1862

Verbot der Jagd bisher „schädlicher“ Vögel im Fürstentum Lippe

1888

Erlass des Deutschen Vogelschutzgesetzes

1899

Gründung des Bundes für Vogelschutz (erste Präsidentin Lina Hähnle 1851–1941), der Vorläuferorganisation des späteren NABU (Naturschutzbund Deutschland) und des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern (LBV)

1923

Gründung der deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz

1933–1945

Der Bund für Vogelschutz begrüßt offiziell die Machtübernahme Hitlers; spätere Umbenennung in Reichsbund für Vogelschutz (RfV), in dem nach Satzungsänderung nur noch „deutsche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes“ als Mitglieder akzeptiert werden. In dieser Zeit u. a. einerseits „kriegswichtige Spatzenbekämpfung“ und andererseits Nistkastenbau sowie Winterfütterung für Vögel auch durch Soldaten an der Front.

1979

Richtlinie über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (Richtlinie 79/409/EWG) auf europäischer Ebene – Vogelschutzrichtlinie

Bereits 1792 hatte sich Johann Matthäus Bechstein gegen die gezielte Verfolgung zahlreicher Arten durch Jäger und Förster gewandt und hierzu ein wichtiges Werk verfasst. Dieses verstand er als Anleitung, welche „den Forstmann bestimmt, nur das, was wirklich schädlich ist, zu verfolgen, und das, was ihm nur schädlich scheint, aber in der That mehr oder weniger nützlich ist, zu schonen“ (Bechstein 1792: Vorrede, V). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde den dort zitierten Regelungen zufolge ein Fang- und Schießgeld für zahlreiche Arten bezahlt, darunter beispielsweise für „eine wilde Katze zu aller Zeit gegen Ablieferung der Nase“ sowie „einen Steinadler zu aller Zeit gegen Ablieferung beyder Fänge“ (Bechstein 1792: Vorrede, VI f.). Auf die Bedeutung der Publikation Bechsteins als „erste wichtige Schrift für den Artenschutz“ weist Stubbe (1998) hin. Die Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) wurde bei ihrer wissenschaftlichen Beschreibung im Jahr 1817 jenem Autor gewidmet; diese Art fand in der Neuzeit auch in der Rechtsprechung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts zum Arten- und Habitatschutz Niederschlag (z. B. BVerwG, Urt. v. 13. 5. 2009 – A 73.07, Rn. 59 ff.).

Eine umfassendere Darstellung zur Historie des Artenschutzes würde den Rahmen dieses Buches bei Weitem sprengen. Daher wird nachfolgend nur im Überblick auf die Entwicklung der Gesetzgebung in Deutschland und Österreich seit den 1930er-Jahren eingegangen.

Gelbbauchunke (Bombina variegata) Exkurs 1-6

Nur in Europa mit mäßig großem Verbreitungsgebiet vorkommende Amphibienart, an deren Populationen Deutschland einen bedeutenden Anteil hat. Hier besteht eine besondere Verantwortlichkeit für den Schutz der Art, die auch in den Anhängen II und IV der europäischen FFH-Richtlinie geführt wird. Sie ist in Deutschland stark gefährdet und ihr an sich einfacher Schutz u. a. mit dem Problem behaftet, dass ihre Fortpflanzungsgewässer im allgemeinen Empfinden der Bevölkerung als unschön und störend erscheinen. Zudem werden die zum Entstehen dieser Gewässer regelmäßig notwendigen Bodenverwundungen etwa in der Forstwirtschaft als Bodenschäden eingeordnet, auch wenn sie nur lokal sehr begrenzt auftreten. Die Art braucht besonnte, sich stark erwärmende Rohboden- oder Flachgewässer ohne Fressfeinde. Solche Bedingungen findet sie etwa in tiefen Fahrspuren. Ihre Bestände sind u. a. infolge der aktuellen Forstpraxis vielfach nur über spezifische Artenschutzmaßnahmen zu erhalten bzw. zu fördern.

Abb. 1-7 Gelbbauchunke (links) und Gesamtverbreitung der Gelbbauchunke (rechts, verändert nach Gollmann et al. 2012).

1935 wurde in Deutschland das Reichsnaturschutzgesetz erlassen, dessen Vorbereitung bereits in der Weimarer Republik begonnen hatte und das in § 11 dazu ermächtigte, Anordnungen zum Schutz von Pflanzen und Tieren nach § 2 zu erlassen. Diesem § 2 zufolge erstreckte sich der Schutz von Pflanzen und nicht jagdbaren Tieren auf die Erhaltung seltener und in ihrem Bestand bedrohter Pflanzen- und Tierarten sowie auf die missbräuchliche Aneignung und Verwertung derselben. In der Präambel dieses Gesetzes wird bereits auf die durch intensive Land- und Forstwirtschaft, einseitige Flurbereinigung und Nadelholzkultur grundlegend veränderte Landschaft und Vegetation hingewiesen. Die 1936 in Ergänzung zum Reichsnaturschutzgesetz erlassene Naturschutzverordnung beinhaltete dann allgemeine und spezielle Schutzvorschriften für wild wachsende Pflanzen, Vögel und andere wild lebende, nicht jagdbare Tierarten. Geschützt wurden dabei auch Fledermäuse, Schläferarten, Kriechtiere und viele Lurche sowie bestimmte Insektenarten und -gruppen (so etwa ein Großteil der heimischen Tagfalterarten). Bei Pflanzen wurde zwischen teilweise und vollkommen geschützten Arten unterschieden, bei den Insekten erstreckte sich der Schutz meist nur auf das Verbot einer gewerblichen Verarbeitung.

Nach Ende des Dritten Reiches galten diese Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Länderrecht weiter, während man in den 1950er-Jahren die Naturschutzgesetzgebung auf Länderebene zu novellieren begann, aber noch keine Anstrengungen für ein bundesweites Gesetz unternommen wurden (vgl. Kolodziejcok 2007 mit Zeitzeugenschilderung zur Entstehung des BNatSchG). Diese begannen erst später und Ende 1976 trat das Bundesnaturschutzgesetz in seiner ersten Fassung in Kraft. Darin wurden der Schutz und die Pflege der wild wachsenden und wild lebenden Pflanzen und Tiere als Teil des Naturhaushalts als einer der Grundsätze von Naturschutz und Landschaftspflege etabliert (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 BNatSchG 1976). In den §§ 20 f. wurden zudem Schutzbestimmungen für Arten vorgezeichnet, die sich allerdings weitestgehend auf den direkten Zugriff durch Fang, Pflücken o. Ä. sowie den Handel beschränkten. Im Ländervorbehalt des § 26 wurde schließlich bestimmt, dass die Länder weitere Vorschriften zum Artenschutz erlassen, insbesondere über den Schutz der Lebens- und Zufluchtsstätten sowie die Lebensräume wild lebender Tiere (Abs. 1 Nr. 1). 1980 folgte die Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV 1980), u. a. mit einer konkreten Liste der geschützten Arten und einer Differenzierung des Schutzstatus. Sowohl das BNatSchG als auch die BArtSchV erfuhren in der Folge mehrfache Änderungen bzw. Neufassungen, wobei auch die artenschutzrechtlichen Bestimmungen und ihre Anwendungsbereiche insbesondere in Anpassung an internationale Vorgaben teils wesentlich geändert wurden. Eine Übersicht mit Verlinkung der einzelnen Dokumente bietet das Bundesamt für Naturschutz (BfN 2014). Ein entscheidender Schritt im Artenschutzrecht war die Änderung im Jahr 2007 infolge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 10. 1. 2006 (EuGH – C-98/03). Die Novelle sah eine strikte Berücksichtigung der artenschutzrechtlichen Regelungen der nach Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten auch für ansonsten zulässige Eingriffe vor.

Goldglänzender Laufkäfer (Carabus auronitens) Exkurs 1-7

Insektenart aus der Familie der Laufkäfer (Carabidae) mit vergleichsweise kleinem zentraleuropäischem Areal. Deutschland liegt im Arealzentrum, beherbergt mehr als ein Zehntel der Populationen und trägt somit eine hohe Verantwortlichkeit für den Erhalt ihrer Vorkommen. Die innerhalb Deutschlands stet in Wäldern unterschiedlicher Typen vor allem kolliner bis montaner Lagen auftretende Art ist hier zugleich ungefährdet. Zwar kann sie bei klimatischen Veränderungen negativ betroffen sein, hieraus wird aber auch mittelfristig noch kein besonderes Gefährdungspotenzial abgeleitet. Beobachtungs-, aber ansonsten kein Handlungsbedarf.

Abb. 1-8 Goldglänzender Laufkäfer (links), Gesamtverbreitung (rechts oben, nach Turin et al. 2003) und Verbreitung in Deutschland (rechts unten, nach Trautner et al. 2017).

Schwarzblauer Ahlenläufer (Bembidion atrocaeruleum) Exkurs 1-8

Laufkäferart mit relativ kleinem zentraleuropäischem Areal, für die Deutschland zunächst aus den gleichen Gründen wie bei der vorhergehenden Art eine hohe Verantwortlichkeit hat. Diese Art ist allerdings in Deutschland stark gefährdet, weil ihr durch Uferverbau, Einengung von Auestandorten oder Veränderungen der Fließgewässerdynamik vielerorts Lebensraum entzogen wurde. Die Wiederentwicklung großer Kies- und Schotterufer unter natürlichem Geschiebe- und Wasserhaushalt an besiedelbaren Bächen und Flüssen ist eine wichtige Schutzmaßnahme, die es verstärkt zu ergreifen gilt.

Abb. 1-9 Schwarzblauer Ahlenläufer (links), Gesamtverbreitung (rechts oben) und Verbreitung in Deutschland (rechts unten, nach Trautner et al. 2017).

Berchtesgadener Flinkläufer (Trechus latibuli) Exkurs 1-9

Die nur knapp unter einem halben Zentimeter große Laufkäferart ist ein Endemit am Schneibstein in den Berchtesgadener Alpen an der Grenze von Deutschland (Bayern) und Österreich (Salzburg). Populationsgrößen sind aufgrund fehlender Untersuchungen schwer abschätzbar, jedoch ist das von dieser Art tatsächlich besiedelte Gesamtareal nach gegenwärtigem Kenntnisstand nur knapp 3 km2groß. Der Lebensraum wird von Paill & Kahlen (2009) mit „Dolinen und steil eingegrabenen Karstrinnen im klüftigen Schrattenkarst des Schneibsteins“ beschrieben. Deutschland und Österreich sind in besonders hohem Maße für den Erhalt der Art verantwortlich. In der deutschen Roten Liste ist sie als R (extrem selten) klassifiziert. Bereits lokale Eingriffe, etwa im Rahmen touristischer Projekte, könnten wesentliche Anteile des Weltbestandes beeinträchtigen. Für den Lebensraum ist daher ein strenges Schutzregime erforderlich und angemessen. Bei Projekten muss die Art im Rahmen der Umweltprüfung spezifisch berücksichtigt werden.

Abb. 1-10 Berchtesgadener Flinkläufer (links), der Maßstabstrich entspricht 1 mm, Gesamtverbreitung (rechts oben), und Verbreitung in Deutschland (rechts unten, verändert nach Trautner et al. 2014).

In der DDR nahm die Entwicklung einen anderen Gang. Im Jahr 1970 war eine Naturschutzverordnung in Anknüpfung an das Landeskulturgesetz erlassen worden, die 1984 durch eine Artenschutzbestimmung ergänzt wurde. Die Pflanzen- und Tierarten wurden unterschiedlichen Schutzkategorien (vom Aussterben bedroht, bestandsgefährdet, seltene sowie kulturell und volkswirtschaftlich wertvolle Arten, vgl. § 1 Abs. 1 Artenschutzbestimmung) zugeordnet. Den Räten der Bezirke und Kreise der DDR wurde die Verpflichtung auferlegt, die Erhaltung der geschützten Tier- und Pflanzenarten zu sichern, wozu sie weitere Maßnahmen zur Bestandssicherung und Vermehrung festlegen konnten (§ 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2). Bei „notwendiger Veränderung der Lebensgrundlagen von Pflanzen“ geschützter Arten konnte – ebenso wie bei Tierarten – eine Umsiedlung gestattet oder veranlasst werden. Ansonsten zielten die Bestimmungen in besonderem Maße auf Verbote oder Regulierung der Aneignung bzw. der Haltung und des Handels mit Arten ab.

In Österreich wurden die gesetzlichen Bestimmungen des Naturschutzes nach Ende des Dritten Reiches auf Ebene der einzelnen Bundesländer (auch im Artenschutz) weiterentwickelt; eine bundeseinheitliche Regelung gibt es dort bislang nicht.

Zu Einzelbegründungen des Artenschutzes sei auf Eser et al. (2011) und die zusammenfassende Darstellung im Artenschutzreport des BfN (2015) verwiesen. Die Begründungen umfassen sowohl sogenannte Klugheitsargumente (u. a. ökonomische Bedeutung von Arten), Glücksargumente (u. a. Naturerfahrung) und ethische Argumente (u. a. eigenständiger Daseinswert) als auch das Argument der gesetzlichen Verpflichtung einschließlich der Erfüllung internationaler Vereinbarungen. Nicht alle diese Argumente lassen sich zwanglos auf jede Art anwenden, dennoch wird hiermit der allgemeine Rahmen für den Artenschutz und den Schutz der Artenvielfalt als Teil der Biodiversität umrissen. Im Jahr 1982 unterstrich das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer Entscheidung, dass Tiere Bestandteil des mannigfach gefährdeten Naturhaushaltes sind, dessen Erhaltung in hohem Maße dem Gemeinwohl dient. Dabei führte das Gericht aus, dass die Allgemeinheit ein überragendes Interesse daran habe, die Tierwelt in ihrer durch Zivilisationseinflüsse ohnehin gefährdeten Vielfalt nicht nur in der Gegenwart, sondern auch für kommende Generationen zu erhalten. Das Gewicht dieses Allgemeininteresses würde durch die internationalen Vereinbarungen über Schutz und Erhaltung solcher Tiere unterstrichen und gelte verstärkt für Arten, die vom Aussterben bedroht seien, da sich dieser Vorgang nicht mehr rückgängig machen ließe (BVerfG, Urt. v. 3. 11. 1982, Az. 1 BvL 4/78, BVerfGE 61, 291).

1.4 Und der Mensch bleibt auf der Strecke?

Immer wieder wird man in der Praxis mit dem Vorwurf konfrontiert, Arten würden geschützt, doch um die Menschen würde man sich nicht oder nicht in ausreichendem Maße kümmern. Dies steht meist im Zusammenhang mit persönlichen Betroffenheiten oder mit Verständnisproblemen beruflich Beteiligter bei Projekten wie etwa Infrastrukturplanungen. „Schutz für jede Schnecke und der Mensch bleibt auf der Strecke“ lauteten etwa Spruchbänder einer Bürgerinitiative. In einem anderen Fall wurde eingeworfen, Zauneidechsen oder bestimmte Vogelarten unterlägen einem strengeren Schutz als Menschen. Aber auch aus der Landwirtschaft wird beklagt, man leide ohnehin schon unter unzumutbaren Belastungen und müsse nun auch noch den Artenschutz berücksichtigen, der den Landwirten „den letzten Stoß“ versetze.

Tatsächlich gibt es Arten, die beispielsweise sensibler auf Schall- oder Lichtquellen und auch sensibler auf bestimmte stoffliche Belastungen reagieren als der Mensch, und bei denen daher in der Umweltprüfung andere, teils strengere Werte für solche Belastungen berücksichtigt werden müssen. Und in anderen Fällen wird etwa das lokale, privatwirtschaftliche Interesse an einer Fläche und einer bestimmten Form der Landnutzung gegenüber hochrangiger zu bewertenden Funktionen für den Artenschutz unterliegen. Solches muss nach fachlichen Kriterien bewertet und in Entscheidungen berücksichtigt werden – nicht immer einfach für die persönlich Betroffenen.

Hierfür liegt aber ein an sich ausreichendes fachliches, rechtliches und planungsbezogenes Instrumentarium vor, bei dem „der Mensch“ keineswegs pauschal ins Hintertreffen gegenüber dem Artenschutz gerät, der gleichwohl ein gewichtiges Allgemeininteresse darstellt. Dies wird bereits durch die Formulierung der Ziele von Naturschutz und Landschaftspflege im deutschen BNatSchG (§ 1 Abs. 1) deutlich: Dieses hebt zum einen neben dem Eigenwert der Natur auch deren Funktion als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen hervor und berücksichtigt zum anderen Attribute wie Schönheit und Erholungswert. In zahlreichen anderen umweltbezogenen Regelwerken, darunter den auf europäische Vorgaben zurückgehenden Gesetzen über die Umweltverträglichkeitsprüfung in Deutschland und Österreich, spielt der Mensch als Schutzgut eine zentrale Rolle, etwa mit den Aspekten der menschlichen Gesundheit oder des kulturellen Erbes.

Hier ist nicht der Ort, um das Problem der aus „materialistische[m] Maximierungsdenken“ resultierenden Krise zu diskutieren. Im Schatten dieser Krise oder eher in deren Brandungswelle ruft Stéphane Hessel (2011: 19 f.) dazu auf, dass endlich „Ethik, Gerechtigkeit, nachhaltiges Gleichgewicht unsere Anliegen werden“.

Die prekäre Situation des Artenschutzes ist Teil jener Krise und über erforderliche Zwischenlösungen und Einzelmaßnahmen hinaus wohl auch nur gesamthaft mit ihr zu bewältigen. Auch dabei bliebe der Mensch nicht auf der Strecke, ganz im Gegenteil.

1.5 Akteure im Artenschutz

Artenschutz ist zunächst eine Aufgabe staatlicher bzw. öffentlicher Organe. Dies reicht in Deutschland von der Bundes- bis zur Kommunalebene und umfasst unterschiedliche Behörden einschließlich beigeordneter Fachinstitutionen und -personen. Während bestimmte Zuständigkeiten im BNatSchG fixiert sind, gibt es für andere gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen auf Länderebene. Seitens öffentlicher Institutionen werden auch Arbeitshilfen und Leitfäden herausgegeben sowie naturschutzfachlich-planerische Instrumente entwickelt bzw. deren Entwicklung in Auftrag gegeben oder gefördert (in Baden-Württemberg z. B. das Informationssystem Zielartenkonzept, vgl. Jooß et al. 2009, LUBW 2009; s. Kap. 9.2, S. 189).

Tab. 1-2 gibt beispielhaft Zuständigkeiten und Aufgaben öffentlicher Stellen bezüglich des Artenschutzes in Deutschland wieder. Diese Liste ist weder für Deutschland und die Bundesländer noch für die Aufgaben der einzelnen Institutionen vollständig, sondern beinhaltet nur einige wesentliche Aspekte, um die Bandbreite und Verteilung der Tätigkeiten zu verdeutlichen.

Bereits diese Zusammenstellung macht Bezüge zu weiteren Akteuren erkennbar, etwa wenn es um die Förderung von Maßnahmen, die Information anderer oder um die Überwachung und Regulierung bestimmter Aktivitäten geht – z. B. im Bereich des Handels, der Forschung oder der Land- und Forstwirtschaft.

Neben staatlichen Stellen sind im Artenschutz in hohem Maße NGOs (non-governmental organizations, nichtstaatliche Organisationen) tätig, aber auch Einzelpersonen mit besonderem Engagement. Ohne diese nichtstaatlichen, teils aber mit öffentlichen Mitteln geförderten Aktivitäten wären sowohl in Deutschland und Österreich als auch weltweit viele Artenschutzprojekte nicht möglich und die Situation gefährdeter Arten noch dramatischer, als sie es aktuell ist.

Beispiele international tätiger, nichtstaatlicher Organisationen mit deutlichem Bezug oder Schwerpunkt im Artenschutz sind WWF (s. z. B. WWF Deutschland 2014), Traffic, Bird-Life und SeaSheperd, um nur einige wenige mit teils sehr unterschiedlichen Schwerpunkten und Arbeitsweisen zu nennen. Die Umsetzung erfolgreicher Artenschutzprojekte steht dabei vielfach in enger Verknüpfung mit wirtschaftlichen und sozialen Aspekten, etwa wenn es um die Sicherstellung einer nachhaltigen Versorgung ortsansässiger Landnutzer, um die Honorierung für den Artenschutz relevanter Leistungen, aber auch um deren örtliche und überörtliche Akzeptanz geht.

Auch im deutschen Sprachraum ist das Spektrum an Vereinen, Gesellschaften, Stiftungen und Einzelpersonen, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Artenschutz tätig sind, sehr breit. Teils sind die entsprechenden Aktivitäten regional oder lokal beschränkt. Hierauf kann an dieser Stelle nicht vertiefend eingegangen werden. Von den 2013 in einer zusammenfassenden Dokumentation gelisteten 140 Umweltstiftungen in Deutschland (Bundesverband Deutscher Stiftungen e. V. 2013) nennen knapp 20 % konkret (auch) den Artenschutz als Ziel bzw. Förderbereich oder führen entsprechende Beispiele an. Auch die Naturschutzverbände verfolgen immer wieder Aktivitäten bzw. Projekte, die jedenfalls mittelbar dem Artenschutz zugutekommen können, etwa mit der Pflege von Schutzgebieten (Abb. 1-11), teils aber auch direkt auf den Artenschutz ausgerichtet sind. Daneben können Projekte der Umweltbildung auch Aspekte des Artenschutzes vermitteln (Abb. 1-12).

Tab. 1-2Beispiele zu Aufgaben und Zuständigkeiten öffentlicher Organe im Artenschutz in Deutschland (nicht vollständig, Stand Anfang 2018).

Bundesebene

Bundesamt für Naturschutz (BfN)

Dem Bundesumweltministerium nachgeordnete Behörde a) Beratung (u. a. fachliche Entscheidungsgrundlagen für Politik und Verwaltung) b) Förderung und Betreuung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben sowie von Modellprojekten auch zum Artenschutz, etwa Runge et al. (2010) c) Genehmigungen für die Ein- und Ausfuhr geschützter Arten nach CITES (Übereinkommen über den Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen) d) Direkt für den Naturschutz zuständige Vollzugsbehörde für die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) der Nord- und Ostsee (12 bis 200 Seemeilen jenseits der Küstenlinie) e) Zuständige Behörde für den Vollzug des Nagoya-Protokolls in Deutschland (betrifft die Nutzung genetischer Ressourcen) f) Öffentlichkeitsarbeit und Information, u. a. Bereitstellung von Fachinformationssystemen wie dasjenige zu geschützten Arten (Wisia-online)

Zoll

a) Überwachung der Ein- und Ausfuhr von geschützten Tieren und Pflanzen (einschließlich Teilen oder Erzeugnissen daraus) bei gewerblichen Sendungen wie auch im Reiseverkehr b) Verwahrung sowie ggf. Beschlagnahme, Einziehung und Verwertung von Exemplaren oder Produkten, soweit verbotswidrig oder ohne erforderliche Dokumente ein- bzw. ausgeführt

Landesebene (hier Baden-Württemberg)

Landesanstalt für Umwelt, Naturschutz und Messungen (LUBW)

Naturschutzfachbehörde unter Fachaufsicht des Umweltministeriums a) Erstellung und Fortschreibung eines Arten- und Biotopschutzprogramms b) Bekanntgabe bzw. Erstellung Roter Listen gefährdeter Arten c) Grundsatzfragen des Vogelschutzes als staatliche Vogelschutzwarte d) Landesweite Mess- und Überwachungsnetze einschließlich eines Artenmonitorings für bestimmte Artengruppen

Regierungspräsidien als höhere Naturschutzbehörde

a) Bestimmte konzeptionelle Naturschutzfragen und die Information der Öffentlichkeit auch zum Artenschutz b) Betreuung und Entwicklung von Naturschutzgebieten, auch im Hinblick auf spezielle Arten c) Genehmigungen zur Ausbringung von Tieren und Pflanzen in die freie Natur sowie Maßnahmen gegen invasive Arten d) Artenschutzrechtliche Ausnahmen oder Befreiungen für streng geschützte Tier- und Pflanzenarten e) Artenschutzrechtliche Ausnahmen oder Befreiungen für den Geltungsbereich eines Naturschutzgebietes oder einer Kernzone eines Biosphärengebiets f) Unterstützung des Naturschutzfonds in der Planung und Abwicklung von Fördermaßnahmen

Kommunalebene (hier Baden-Württemberg)

Untere Naturschutzbehörden an den Landratsämtern und bei kreisfreien Städten

a) Primär zuständige Behörde für die Beurteilung des Artenschutzes bei Fachplanungen und für bestimmte Fragen der Bauleitplanung, soweit in speziellen Fällen nicht anders bestimmt b) Betreuung und Entwicklung von Naturdenkmalen, auch im Hinblick auf spezielle Arten c) Artenschutzrechtliche Ausnahmen oder Befreiungen für nicht streng geschützte Tier- und Pflanzenarten d) Betreuung von Fördermaßnahmen u. a. im Agrarbereich, auch für spezielle Arten e) Anordnung von Bewirtschaftungsvorgaben, soweit die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung – ggf. auch unter Berücksichtigung sonstiger Maßnahmen – den Erhaltungszustand der lokalen Population einer europarechtlich geschützten Art verschlechtert f) Beurteilung von Umweltschäden an bestimmten Arten und ihren Lebensräumen sowie Ableitung/Prüfung ggf. erforderlicher Sanierungsmaßnahmen

Städte und Gemeinden

a) Abarbeitung des Artenschutzes in der Bauleitplanung, insbesondere bei aus dem Flächennutzungsplan entwickelten Bebauungsplänen b) Prüfung/Berücksichtigung des Artenschutzes als Teil öffentlicher Belange in der baurechtlichen Zulassung (sofern dort erforderlich und der Landkreis nicht die zuständige untere Baurechtsbehörde ist, ggf. Beteiligung der unteren Naturschutzbehörde)

Im letzten Jahrzehnt hat das fachliche und rechtliche Erfordernis eines artenschutzrechtlichen Funktionserhalts bzw. einer Kompensation für Eingriffe infolge von Infrastruktur- oder anderweitigen Projekten erheblich zugenommen. Zahlreiche Flächen müssten mit solchen Maßgaben belegt sein. Hier sind die Projektträger teils über viele Jahre in der Verantwortung, eine Funktion der entsprechenden Maßnahmen zu gewährleisten und diese zu belegen – insbesondere über ein maßnahmenbezogenes Monitoring, zu dem Berichte an die zuständigen Behörden vorzulegen sind. Es ist dazu wie in einigen anderen Bereichen bislang ein erhebliches Umsetzungs- und Kontrolldefizit festzustellen.

Zu den Akteuren im Artenschutz gehören zudem die Landnutzer, etwa wenn sie für bestimmte Maßnahmen Förderungen erhalten (oftmals in anderen Zusammenhängen, aber mit eingeschränkter Wirkung auch für den Artenschutz), teils aber auch in Eigeninitiative.

Und letztlich soll die Wissenschaft nicht unerwähnt bleiben, denn konzeptionell, vorbereitend und teils projektbegleitend können wissenschaftliche Studien in hohem Maße Zielen des Artenschutzes dienen: Insbesondere wenn es um fachliche Grundsatzfragen geht, auf die etwa populationsbiologische und -genetische Studien wichtige Antworten liefern können, welche mit den ansonsten in der Naturschutzpraxis üblichen und ansonsten auch angemessenen Methoden nicht erlangt werden können. Von sehr großer Bedeutung sind auch die taxonomische und systematische sowie die faunistische Forschung, die entscheidende Grundlagen für die weitergehende Beschäftigung mit Arten bereitstellen. Diese wird keineswegs vorrangig oder gar ausschließlich institutionell und in öffentlicher Trägerschaft geleistet, sondern in großem Umfang durch ehrenamtliche Personen, die sich als „Berufene“ etwa in den Fachbereichen Ornithologie (Vogelkunde), Botanik (Pflanzenkunde) und Entomologie (Insektenkunde) engagieren.

Abb. 1-11 Pflegearbeiten – hier zum Zurückdrängen von Gehölzen – in einem Naturschutzgebiet unter Beteiligung des ehrenamtlichen Naturschutzes.

Abb. 1-12 Schüler beteiligen sich im Rahmen eines Pilotprojekts zur Umweltbildung an Erfassungen uferbewohnender Insekten.

Jeder kann Akteur sein: Ein paar Tipps zum Einstieg Exkurs 1-10

Nehmen Sie Artenschutz ernst, auch wenn Sie sich selbst nicht stärker in diesem Bereich engagieren wollen. Artenschutz ist nicht (nur) eine Spielwiese für komische Leute. Vielmehr gilt: Jeder kann Akteur sein. Im Folgenden finden Sie einige Hinweise, wie Sie auch ohne große Vorkenntnisse zum Artenschutz beitragen können.

Wenn Sie Artenschutz finanziell unterstützen wollen, dann spenden Sie nicht für das Erstbeste unter dem Label Natur und Umwelt. Auch die bekannteste oder in den Medien präsenteste Organisation ist vermutlich nicht am dringendsten auf Ihre Unterstützung angewiesen. Nehmen Sie sich lieber etwas Zeit für Ihr Vorhaben und schauen Sie, welche Aktivitäten im Artenschutz Sie für besonders wertvoll halten und daher unterstützen möchten, besonders auch lokal oder regional.

Letzteres gilt vor allem auch, wenn Sie sich selbst im Artenschutz einbringen wollen – mit eigenen Ideen oder Ihrer Arbeitskraft. Dazu schadet es nicht, bei den zuständigen Personen im Umweltamt Ihrer Stadt oder Ihres Landkreises anzufragen, sie geben Ihnen gerne Tipps, wo Ihre Hilfe gerade am sinnvollsten ist.

Wenn Sie sich mit einer speziellen Artengruppe beschäftigen wollen, nur zu! Es ist wichtig, dem Schwund an Artenkenntnis und Artenkennern entgegenzusteuern. Und wenn Sie dann auch noch eine Artengruppe ohne Fell, Schuppen, Federn oder Blüten wählen, dringen Sie vielleicht schon bald in einen Bereich vor, in dem sich kaum noch andere Personen auskennen und betätigen. Zumindest auf Bundes-, vielfach aber auch auf Landesebene gibt es Fachgesellschaften zu Mykologie (Pilzkunde), Entomologie (Insektenkunde) oder noch spezielleren Gebieten, die Unterstützung geben können. Lassen Sie sich nicht von den wissenschaftlichen Namen solcher Gruppen und deren Lieblingsarten abschrecken.

Abb. 1-13 Apps zur Artbestimmung werden immer leistungsfähiger, sie können Artenwissen nicht ersetzen, aber den Einstieg in die Artenkenntnis und damit in den Artenschutz erleichtern.

Bilden Sie sich Ihre Meinung zu Artenschutzthemen nicht (nur) nach dem, was die Allgemeinheit zu wissen glaubt und schon gar nicht anhand von romantisch verklärten Vorstellungen über das Leben der Organismen in Natur, Wald und „Wildnis“. In manchen Fällen mag dies zusammenpassen, aber oftmals ist die Sache vielschichtiger. Versuchen Sie stattdessen, fachliche Argumentationen nachzuvollziehen – und zu hinterfragen.

Im Zusammenhang mit dem Thema Insektensterben hört man immer wieder, man könne im eigenen Garten anfangen, etwas dagegen zu tun. Das ist bestimmt nicht falsch, und man darf und sollte sich sehr wohl damit beschäftigen, was man am Haus oder im eigenen Garten für den Artschutz erreichen kann. Gehen Sie dann aber eigene Wege und bieten Sie etwas, was in den Gärten der Umgebung fehlt. Dies kann ein Beitrag zur lokalen Artenvielfalt sein, macht Freude und übt Sie zudem im Beobachten. Andererseits stößt man im engeren Umfeld von Haus und Garten doch recht bald an die Grenzen der Schutzbemühungen, denn die stark gefährdeten Arten, für die besonderer Handlungsbedarf besteht, siedeln sich in den allermeisten Fällen selbst bei hervorragender Gestaltung nicht im Garten an. Ausnahmen gibt es zwar, aber wenn man sich sonst mit artenschutzfachlich wichtigen Fragen (und Arten) befassen möchte, muss man über den eigenen Gartenzaun hinwegschauen.

Lesen Sie dazu später in Kap. 8.1 weiter.

2Gefährdung, Ursachen und Handlungsfelder

2.1 Der globale Rahmen

Weltweit sind bislang rund 1,5 Millionen Arten wissenschaftlich beschrieben, worunter der Großteil zu den Insekten gehört. Es ist aber wahrscheinlich, dass die tatsächlichen Artenzahlen wesentlich höher sind – insbesondere unter Einbeziehung von Bakterien (vgl. Larsen et al. 2017). Aber auch unter mehrzelligen Organismen sind noch viele bislang unbeschriebene Arten zu erwarten, von denen ein Teil ausgestorben sein wird, bevor er überhaupt erfasst und beschrieben werden konnte.

Weltweit hat das Aussterben von Arten im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten nach aktuellen Analysen eine Größenordnung und Geschwindigkeit erreicht, die als Massenaussterben bewertet wird und wesentlich über der natürlichen, ohne menschliche Aktivitäten zu erwartende Aussterberate liegt (Ceballos et al. 2015, Pimm et al. 2014).

Bereits aus historischer Zeit ist die Ausrottung einer ganzen Reihe von Wirbeltieren durch direkte Verfolgung dokumentiert. Beispiel ist der ehemals in einer kleinen Region des südlichen Afrika vorkommende Blaubock (Hippotragus leucophaeus, Abb. 2-1), dem die zweifelhafte Ehre zuteil wurde, zur ersten von europäischen Siedlern durch Jagd ausgerotteten afrikanischen Antilopenart zu werden; das letzte Exemplar des Blaubocks wurde um 1800 geschossen (IUCN SSC Antelope Specialist Group 2008, Klein 1974). Als zweites Beispiel aus der Fülle ausgerotteter Arten sei Stellers Seekuh (Hydrodamalis gigas, Abb. 2-2) genannt, deren damals letzte Population 1748 auf der Beringinsel entdeckt und vor allem durch Jagd auf die Tiere wegen ihres Fleisches und Leders in kurzer Zeit vernichtet wurde (Domning et al. 2008, Rothauscher 2008, Turvey & Risley 2006).

Auch heute noch stellt die direkte und teils illegale Verfolgung von Tierarten (mit nachfolgendem Handel der Tiere oder der daraus gewonnenen Erzeugnisse) einen nicht zu vernachlässigenden Gefährdungsfaktor dar, ebenso die direkte und teils illegale Entnahme und Nutzung von Pflanzenarten. Ripple et al. (2016) zählen knapp über 300 weltweit bedrohte Säugetierarten zu denjenigen Arten, bei denen die Bejagung durch den Menschen, vor allem zur Ernährung, den aktuell bedeutendsten Gefährdungsfaktor darstellt; sie heben darüber hinaus negative Kaskadeneffekte für die biologische Vielfalt hervor, wenn bejagte Arten mit Schlüsselfunktionen für von ihnen abhängige weitere Arten und Lebensraumstrukturen entfallen. Zu den durch Jagd bedrohten Arten zählt beispielsweise die Steppenkragentrappe (Chlamydotis macqueenii), bei der – wie Untersuchungen zeigen – auch regelmäßige Nachzucht und Auswilderung die jagdbedingten Verluste nicht ausgleichen und die Wildpopulation nicht sichern können; nur eine Begrenzung der Jagd wird als geeignet angesehen, das Überleben der Steppenkragentrappe langfristig zu gewährleisten (Dolman et al. 2018).

Ein Beispiel für Vogelarten, die durch Entnahme und Handel stark bedroht sind, ist der Afrikanische Graupapagei (Psittacus erithacus). Von dieser weltweit als Haustier beliebten Art erfolgten in sehr großem Umfang Wildentnahmen. Zusammen mit Eingriffen in seinen Lebensraum haben diese u. a. dazu geführt, dass sein Bestand etwa in Ghana seit 1992 um 90–99 % reduziert wurde (Annorbah et al. 2016) und der Vogel in Kamerun bereits mindestens 55 % seines historisch dokumentierten Verbreitungsgebiets verloren hat (Tamungang et al. 2014).

Zahlreiche Tierarten werden zudem zwar nicht direkt durch den Menschen, aber durch von ihm verschleppte oder absichtlich eingeführte Tiere sowie (teils verwilderte) Haustiere ausgerottet und gefährdet. Hier sind insbesondere Hauskatzen zu nennen, die u. a. auf Inseln für mindestens 14 % der globalen Aussterbeereignisse bei Vögeln, Säugetieren und Reptilien verantwortlich gemacht werden (Medina et al. 2011). Andere Fälle mit gravierenden Aussterberaten sind beispielsweise bei Landmollusken belegt. So wurde ein großer Teil der endemischen Baumschnecken (Partulidae) der Gesellschaftsinseln durch die räuberische Landschnecke Euglandina rosea ausgerottet, die dort ab Mitte der 1970er-Jahre bewusst zur biologischen Kontrolle einer anderen nicht einheimischen Schnecke eingeführt worden war (Coote & Loeve 2003, Lee et al. 2007, 2009). Ähnliches trat auf japanischen Inseln auf (z. B. Chiba & Cowie 2016, Abb. 2-3).

Für etwa ein Sechstel der Landfläche der Erde wurde eine hohe Anfälligkeit gegenüber biologischen Invasionen gebietsfremder Arten ermittelt, wobei diese Gebiete wesentliche Anteile in Zentren der biologischen Vielfalt und in wirtschaftlich sich noch entwickelnden Ländern beinhalten (Early et al. 2016). Nach den Ergebnissen jener Studie unterscheiden sich die vorherrschenden Invasionswege wesentlich nach der wirtschaftlichen Situation: In Ländern mit hohem Einkommen sind Importe, insbesondere von Pflanzen und Haustieren, der wesentliche Vektor, in Ländern mit niedrigem Einkommen ist es der Flugverkehr. Bei süßwasserbewohnenden und marinen invasiven Arten spielt der Schiffsverkehr eine wesentliche Rolle bei der Verschleppung, u. a. in Ballastwassertanks (z. B. Keller et al. 2011).

Abb. 2-1 Historische Darstellung des Blaubocks (Hippotragus leucophaeus), einer durch Jagd ausgerotteten Antilopenart (Zeichnung von Allamand aus dem Jahr 1778).

Abb. 2-2 Der Zoologe G. W. Steller bei der Vermessung eines toten Exemplars von Stellers Seekuh (Hydrodamalis gigas) auf der Beringinsel am 12. Juli 1742 (Rekonstruktion von L. Stejneger aus Golder 1925).

Abb. 2-3 Auswirkung des eingeführten räuberischen Plattwurms Platydemus manokwari auf Landschneckenarten der Gattung Mandarina auf Chichijima (Ogasawara-Inseln, Japan) seit 1986. Bis zum Jahr 2014 hat nur die Art Mandarina chichijimana auf lediglich zwei kleinen Halbinseln überlebt. Die unterbrochene Linie zeigt die P.-manokwari-Ausbreitungsfront (aus Chiba & Cowie 2016, leicht verändert).

Zu den weltweit gravierendsten Gefährdungsfaktoren gehören aber die direkte Habitatzerstörung oder -degradation infolge land-, forst- und fischereiwirtschaftlicher Übernutzung, Ausdehnung intensiv genutzter Flächen sowie der Industrialisierung und fortschreitenden Urbanisierung (Abb. 2-4, 2-5, 2-6). Diese Faktoren tragen auch zu Veränderungen des Klimas bei, die ebenfalls eine zunehmende Gefährdungsursache darstellen. Beeinträchtigungen wirken direkt oder indirekt in unterschiedlichem Ausmaß sowohl auf terrestrische als auch auf süßwasser- und meeresbewohnende Arten.

Rund 13 % der weltweit knapp 11 000 Vogelarten sind derzeit in unterschiedlichem Ausmaß gefährdet, weitere 9 % wurden in die Vorwarnliste aufgenommen („near-threatened“), weil sie nahe an einer Gefährdung stehen (BirdLife International 2018).

Unter den Reptilien werden knapp ein Fünftel aller Arten weltweit als bedroht eingestuft, während für ein weiteres Fünftel die Daten für eine Bewertung nicht ausreichen (Böhm et al. 2013).

Bei Amphibien ist die Gefährdungssituation schon wesentlich kritischer. Hier sind von den knapp 6 700 weltweit bewerteten Arten (rd. 85 % der Amphibienfauna) bereits 41 % als gefährdet einzustufen (IUCN 2018). Neben vielen auch bei anderen Artengruppen wirksamen Gefährdungen ist bei Amphibien die Pilzerkrankung Chytridiomykose als ernsthafte Bedrohung zu nennen (Catenazzi 2015). Vor dem Hintergrund klimatischer Veränderungen und weiterer Beeinträchtigungen hat sich die Bewertung der weltweiten Situation von Korallen in kurzer Zeit gravierend verschlechtert (Abb. 2-7).

Abb. 2-4 Zersiedelung und landwirtschaftliche Sonderkulturen (hier unter Folie) drängen die Pflanzen- und Tierwelt vieler Küstenregionen auf wenige Restflächen zurück.

Abb. 2-5 Der weltweite Handel und Personenverkehr sowie die dafür benötigte Infrastruktur führen zu gravierenden direkten und indirekten Bedrohungen von Arten, u. a. durch Verschleppung invasiver Arten, durch Flächenverbrauch in sensiblen Bereichen (z. B. für Hafenanlagen) und durch den technischen Ausbau von Wasserstraßen.

Abb. 2-6 Fisch ist ein wesentliches Nahrungsmittel. Hier ein Blick in den Fischmarkt von Tokio. Aber der nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Fischfang in den Weltmeeren gefährdet nicht nur Populationen der befischten Arten, sondern über Beifang oder physische Beschädigung von Lebensräumen auch eine Vielzahl weiterer Arten.