Arym Var - Dominik Michalke - E-Book

Arym Var E-Book

Dominik Michalke

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Beschreibung

2. Auflage Behebung von Rechtschreibfehlern, verbessertes Inhaltsverzeichnis und komplett überarbeitete Formatierung In einer kleinen Forschungsstation auf einem unerforschten Planeten im Arym Var-System soll der Kommunikationsoffizier Kargan seine Strafe absitzen. Als unerklärliche Phänomene auftreten und ein wissenschaftliches Außenteam schließlich spurlos verschwindet, macht Kargan sich mit wenigen Verbündeten auf die Suche nach den Verbliebenen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er noch nicht, dass er selbst ein jahrhundertealtes Artefakt finden soll, das den Schlüssel für eine beängstigende Macht darstellt, die sich langsam aber sicher von jenseits des Systems nähert. Inspiriert von Autoren wie Dan Simmons und Stephen King entstand zwischen 2007 und 2009 dieses Werk mit über tausend Seiten, die Unterhaltung in Form von Spannung, originellen Ideen, Abwechslung und Horror beinhalten.

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Arym Var

Dominik Michalke

2. Auflage

Copyright 2014 Dominik Michalke

published by epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-0184-0

 

Prolog

Ich bin ein Sucher.

Ich sehe die Dinge so, wie sie Meinesgleichen seit Anbeginn ihrer Existenz immer zu sehen pflegten. Die Lehren Mahibs vermittelten mir, dass wir dazu auserkoren wurden, die Sucher zu sein. Es ist nicht der Sinn der Dinge, weiter darüber nachzudenken in meiner jetzigen Daseinsform. Ich habe Mahib zu gehorchen. Gerade jetzt, denn die Zeit ist gekommen.

Ich bin ein Sucher. Ich jage jene, die sich seit Beginn des Serano-Zeitalters ausgebreitet haben wie ein Virus, wie eine Krankheit. Jene, die das Geschenk der Technologie Mahibs gestohlen und missbraucht haben, um sich auszubreiten und sich mit ihrer nun erlangten Macht über die wahren gläubigen Kinder Mahibs zu stellen wie die der Griff der leibhaftigen Hand Dorimors.

Sie nehmen sich ohne zu fragen, besetzen Planeten ohne Rücksicht auf dessen vorhandene Bewohner, greifen in den wahren Plan Mahibs ein und stellen ihre Gesetze als die einzig wahren über das Universum wie eine Doktrin.

So stand es bereits vorhergesehen in den Lehren Mahibs, und so ist es nun eingetroffen. Dies ist das Zeichen für Meinesgleichen.

Ich befinde mich in meinem Reich. Mahib schenkte uns zu Beginn der Existenz seine Kinder aus Erde, die Planeten, um uns einen Ort zum Leben zu bieten. Er verstreute sie gleichmäßig über ganz Arym Var, um seine Güte und Gerechtigkeit, sowie seine unendliche Macht zu demonstrieren. Mein Reich befindet sich auf einem seiner schönsten Kinder der Welt, welches den wahren Namen Ar-Ervariem trägt. Meine zukünftige Beute missachtet die Lehren Mahibs und gibt den Kindern der Erde blasphemische Namen, sodass beispielsweise Ar-Ervariem im Arym Var-System bereits als Endeavour bekannt ist. Auch andere Kinder wurden umbenannt. Darunter der von der Beute verseuchte Planet Saltoris und die Uriel-Reihe. Arym Var ist der heilige Name unseres Heimatsystems. Der einzige Name, der bislang noch nicht verschmutzt wurde.

Sie hätten uns nie erreicht, hätten sie nicht die Portale gefunden. Sie verstehen die Portale nicht, denn sie übersteigen ihre primitive Vorstellungskraft.

Nur unsere Vorfahren wussten das Artefakt Mahibs zu erbauen und zu verstehen und überlieferten es in unseren geheimen Schriften. Die Portale – die Bänder Mahibs – die die Galaxien des Universums miteinander verbinden...

Doch meine Rasse ist alt, sehr alt, und die Welt wandelt sich, jede Sekunde.

So bin ich einer der letzten verbliebenen Hüter von Arym Var.

Dennoch werde ich auf die Jagd gehen, zu der Mahib mich berufen hat, um dem Geist meines Volkes bis zum letzten Atemzug zu folgen.

Die Zeit für die Jagd auf die Beute namens Mensch hat begonnen...

1

Es war stockfinster.

Die fünf Soldaten aktivierten die Pulslampen auf Gewehren und Helmen und tasteten die Umgebung damit ab. Außer dunkelgrauem zerfurchtem Gestein ringsum war nichts zu erkennen.

Foster wollte sich aus Gewohnheit an das Headset am rechten Ohr fassen bevor er sprach, aber der Helm seines Anzugs trennte es vom Vakuum.

»Alle bereit?« Die Kommunikationseinheit knisterte.

»Roger«, drang die Antwort synchron von vier Stimmen über das Team-Kom direkt in Fosters Helm.

»Waffen entsichern und los. Giebels, Murdoc, sie nehmen den östlichen Eingang in die Tiefe. Lanzett, Akriba, sie kommen mit mir.« Foster war es gewohnt, Befehle zu geben.

»Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir zusammenbleiben würden, Sir?« fragte Murdoc. Seine Stimme klang unsicher.

Foster schnaubte. »Zweifeln sie daran, dass ich weiß was ich tue, Soldat?«

»Nein, Sir«, erwiderte Murdoc kurz.

»Dann halten sie gefälligst den Mund. Ab jetzt wird das Kom nur benutzt, wenn es etwas Wichtiges gibt. Los!«

Die Gruppe Soldaten spaltete sich auf. Sie befanden sich noch nahe der Oberfläche des Asteroiden. Von hier aus konnte man die zwei Höhleneingänge erkennen, die in die Finsternis führten wie schwarze Schlünde ins Nichts.

Murdoc hielt vor dem Eingang inne.

»Hast du Schiss, Kleiner?« spottete Giebels und lachte kurz auf, was sich durch Murdocs Kom wie das Wiehern eines Pferdes anhörte.

»Schwachsinn« erwiderte er unsicher und schritt in den beklemmend engen Durchgang, sein Neutronengewehr starr nach vorne gerichtet. Kleine Kieselsteine barsten unter Murdocs Stiefel zur Seite, doch er selbst hörte nichts, spürte sie nur. Der Cheops Mark IV Kampfpanzer der Karndalf-Kantongarde war wie eine zweite Haut, die sich um seinen Träger legte und ihn vollkommen gegenüber externen Einflüssen abschirmte – sogar gegen Hitze bis zu viertausend Grad und radioaktiver Strahlung. Dies führte auch zu absoluter Schalldichte. Doch selbst wenn Murdoc seine Außenmikrofone aktiviert gehabt hätte, wäre der Schall nie durch das Vakuum auf dem Asteroiden – einer von tausenden im Aaron-Schwarm – zum Helm von Murdoc durchgedrungen.

Dafür besaßen die Panzeranzüge weiterentwickelte visuelle Schnittstellen, die Umgebungsinformationen per Skin-Connector direkt auf der Netzhaut des Anzugbenutzers darstellten.

Murdoc schritt langsam voran und beleuchtete die Umgebung mit der Pulslampe auf seinem Neutronengewehr. Giebels betrat hinter ihm den Eingang.

»Wenn du Schiss kriegst, dann lass einfach Onkel Alfred vor«, grunzte Giebels und wieherte erneut kurz auf. »Ansonsten pass auf da vorne. Sie haben bestimmt wieder Brutwächter, diese elenden Zodiac-Sprösslinge. So wie beim letzten Trip auf dem stinkenden Kleipp-Asteroiden. Richtig widerliche Dinger, und greifen immer von der Seite an, wo man nicht darauf gefasst ist. Ja, ja, die Anzüge sind die stabilsten der ganzen Kantongarde. Aber verlass dich mal nicht zu sehr drauf. Ein kleiner Riss in der Membran und – schwupp! –verabschiedet sich der Sauerstoff. Und dann heißet es ‚Leb wohl, Papi! Ich flieg jetzt zum Mann im Mond!‘« Giebels wieherte, als hätte er den Witz des Jahrhunderts gemacht. Bei ‚Leb wohl, Papi! Ich fliege jetzt zum Mann im Mond!‘ verstellte er seine Stimme zu der eines Kindes, was sich durch Murdocs Kom lächerlich anhörte.

Der Karndalf-Soldat verdrehte lediglich die Augen, was Alfred Giebels nicht sehen konnte, da er hinter ihm stand. Murdoc konnte Giebels nicht ausstehen. Ohne sich beirren zu lassen schritt er langsam voran.

»Wofür braucht Dr. Adelfing diesen Fötus überhaupt?« fragte er.

»Was bist du? Ein beschissener Journalist oder Soldat? Du weißt was unsere Zielsetzung ist. Keine Fragen – Mission ausführen.« Giebels schmatzte, als hätte er einen Kaugummi im Mund, was unter derartigen Umständen strikt verboten gewesen wäre.

Murdoc schwieg.

Nach einiger Zeit und weiteren spöttischen Anmerkungen von Giebels machte der Durchgang eine leichte Linkskurve und wurde breiter, bis er schließlich in eine größere Auswölbung mündete. Der Ort erinnerte an den der Startposition des Teams und hatte lediglich etwas kleinere Ausmaße.

Giebels kam hinter Murdoc hervor und beleuchtete die Wände auf der rechten Seite. Mehrere Eingänge, die meisten größer als der, durch den sie gerade gegangen waren, kamen zum Vorschein. Diese schwarzen Löcher in der Wand verschluckten ohne weiteres das Licht von Giebels Pulslampen.

»Warte.« Giebels war abrupt stehen geblieben und fasste sich mit der Hand an seinen Helm.

»Ich habe hier was auf dem Vis. Laut Informationen von Dr. Adelfing sollte sich der Fötus des Zodiacs tiefer im Asteroiden befinden. Einer dieser Wege hier führt Richtung Kern des Asteroiden, und ich empfange da irgendwas.«

Murdoc schloss seine Augen und konzentrierte sich. Die bläulichen Fäden des Visualizers schimmerten auf seiner Netzhaut auf und bildeten eine Art imaginäres Menü. Per Gedanke führte Murdoc einen Umgebungssonarstoß aus. Irreführenderweise wurde diese Option als Sonar bezeichnet, wobei ein radarähnliches Wellensignal vom Kampfpanzer ausgebreitet wurde und Resonanz bei Lebensformen als rötliche Strukturen auf der Netzhaut visualisierte.

Murdoc registrierte etwas, das sich weit unter Giebels Standort befand. Jemand aus dem Team? Vielleicht Foster? Nein, überlegte Murdoc, sie waren zu dritt aufgebrochen, waren weiter westlich und konnten sich nicht so schnell bereits so tief im Asteroiden befinden. Außerdem mussten sie außer Reichweite des Sonars sein. Es konnte sich tatsächlich um den Fötus eines Zodiacs handeln, den das Soldatenteam aus fünf Mann für Dr. Adelfing und im Namen des Karndalf-Kantons beschaffen sollte. Oder es war einer der Wächter. Murdoc erschauerte bei dem Gedanken. Du bist Soldat bei der Kantongarde, da hat man keine Angst, nur den eisernen Willen, versuchte er sich einzureden. Doch es half nichts, es war Murdocs erster Einsatz.

Und wenn es ein Zodiac selbst war? Eins der Sucherwesen, die noch Teilweise im Arym Var-System ihr Unwesen trieben und der Ausbreitung der Andragon-Kantone entgegenwirkten? Eines dieser Wesen konnte fünf Soldaten der Kantongarde auslöschen wie nichts, so erzählte man sich die Horrormärchen in den Kasernen. Doch die Operationen wurden genauestens geplant, versuchte sich Murdoc selbst erneut zu beruhigen, dieser Dr. Adelfing hatte bei der Missionsbesprechung für die sichere Abwesenheit jeglicher Zodiacs im Aaron Schwarm garantiert. Es konnten sich lediglich Wächter des Zodiac-Fötus in den unterirdischen Systemen des kleinen Asteroiden befinden, die mit Waffengewalt auszuschalten waren. Für derartige Einsätze war Murdoc schließlich ausgebildet worden.

Die Stimme Fosters über das Team-Kom riss Murdoc aus seinen Gedanken.

»Hier Foster. Statusbericht.«

Giebels antwortete. »Sir, wir befinden uns gerade in einem größeren Gewölbe etwa eineinhalb Kilometer nordöstlich unserer Ausgangsposition – Richtungsorientiert nach Cheops Mark IV System versteht sich. Seitlich von uns befinden sich mehrere Eingänge, einer davon scheint tiefer in den Asteroiden zu führen. Wir haben hier etwas ... auf dem Vis, Sir.«

»Definieren sie ‚etwas‘«. Foster dehnte das Wort ‚etwas‘ mit gereiztem Unterton.

»Es könnte sich um den Fötus handeln, aber wir sind uns nicht sicher. Die Wände sind zu dick, als dass das Vis uns eine genauere Geometrie des Objekts darstellen könnte. Aber es hat sich seither nicht im Geringsten bewegt. Das könnte einen Wächter ausschließen.«

Giebels leuchtete an die Decke des Gewölbes.

»Ziehen sie keine voreiligen Schlüsse, Giebels«, sagte Foster mit fester Stimme. »Nehmen sie den Eingang in Richtung des Zentrums des Asteroiden und checken sie die Lage da unten. Geben sie auf sich Acht.«

Giebels schnitt eine Grimasse unter dem Visier seines Helms.

»Was uns betrifft«, fuhr Foster fort, »wir sind derzeit in einem länglichen Ganggewölbe, das sich auch etwa anderthalb Kilometer nördlich unseres Ausgangspunkts befindet. Unsere Vis zeigen absolut nichts. Das muss aber noch nichts bedeuten. Setzen sie ihren Weg fort, wir bleiben in Kontakt. Foster out.«

»Na dann wollen wir mal, Kleiner. Ladies First!« rief Giebels breit grinsend und machte eine weisende Geste in Richtung des mittleren Eingangs, der wie ein schwarzes Loch über Murdoc aufragte.

»Ich bin nicht klein«, murmelte der Karndalf-Soldat.

Der Abstieg erwies sich als einfacher als Murdoc befürchtet hatte. Die Gravitationsstiefel, die auf die Standard-Schwerkraft von 1 g justiert waren, ermöglichten ein relativ unkompliziertes Abwärtsbewegen in der steilen Höhle. Nach einiger Zeit wurde Murdoc klar, dass sie sich mit fast neunzig Grad senkrecht auf den Mittelpunkt des Asteroidenzentrums zu bewegen mussten.

Die Gravitationsstiefel des Cheops-Anzugs erzeugten ihr Feld direkt senkrecht unter der Sohle, was einem das Gefühl vermittelte, auf einem Planeten mit völlig normaler Schwerkraft zu gehen, wie etwa auf Saltoris oder auf der neue Erde im ‚Erbe des Lichts‘-System. Der Unterschied jedoch war, dass man genauso gut kopfüber an einer Decke hängen konnte. Es war schlichtweg ungewohnt.

Nach einiger Zeit wurde ein blasser Lichtschimmer sichtbar. Murdoc interpretierte die Erscheinung irrtümlicherweise erst als Hirngespinst, das ihm das seltene Flackern der Pulslampe seines Gewehrs erzeugt hatte. Doch je weiter sie voranschritten, desto deutlicher war das Schimmern weit unten zu vernehmen.

»Da unten ist was«, brummte Giebels Stimme durch das Kom.

Murdoc zögerte. »Können Zodiacs sich nicht in absoluter Dunkelheit fortbewegen? Das war zumindest, was uns Dr. Adelfing beim Briefing ...«

»Zodiacs ja«, unterbrach ihn Giebels. »Aber ein Fötus eines Zodiacs wird in einer bestimmten Laugen-Gebärflüssigkeit gehalten, die fluoreszierende Bestandteile enthält. Das heißt ...«

»Das heißt?«

»Das heißt ... Bingo. Wir sind definitiv auf dem richtigen Weg. Wir müssen Foster kontaktieren.« Giebels aktivierte sein Team-Kom. »Foster, bitte melden. Hier Giebels.«

Es kam keine Antwort. Lediglich das leise gleichmäßige Rauschen des Koms war zu vernehmen.

Murdoc spürte Angst in sich hervorkriechen. »Sie antworten nicht, Giebels! Was ist da los? Warum sagen sie nichts?«

Giebels ignorierte ihn. »Foster, bitte kommen«, wiederholte er. Murdoc blickte nach unten. Es war fast schon eine Art Raum zu erkennen, aus der das fahle Licht kam und in den der Höhlengang zu münden schien. Das Kom rauschte leise. Murdoc versuchte sich zu beherrschen, doch er fühlte sich äußerst unwohl. »Was ist mit ihnen, Giebels? Was sollen wir jetzt ... ich meine...«

»Beruhig dich mal, Kleiner. Das muss nichts weiter bedeuten, wahrscheinlich blockieren die dicken Felswände das Kom-Signal. Wir kennen unsere Mission und setzen sie fort«, sagte Giebels.

Murdoc merkte, dass er sein Gewehr so fest umklammerte, so dass seine Hände schon schmerzten. »Aber das Kom-Signal geht doch durch eine bescheuerte Felswand, ich habe noch nie gehört, dass ...«

»Es gibt Mineralien, die kennt noch nicht mal Dr. Adelfing, Kleiner. Wer weiß, was unser Signal blockiert. Jetzt reiß dich zusammen und geh voran.«

Giebels Ton war bestimmt, aber sein Gesicht sagte etwas anderes.

Nach etwa einer Viertelstunde mündete der Höhlengang in ein großes Gewölbe. Murdoc und Giebels deaktivierten ihre Gravitationsstiefel und ließen sich das letzte Stück aus dem Höhlengang herunter langsam in das Gewölbe sinken. Dieses war durch kleine Durchgänge mit vielen weiteren, meist kleineren Höhlensystemen verbunden. Das ganze Bild war unter einem grünlichen Schimmern zu erkennen, das vom Boden ausging. Bei genauerem Hinsehen stellte Murdoc fest, dass sich mehrere Rinnen am Boden entlang zogen, in denen sich eine seltsame grünlich fluoreszierende Masse befand, wie in einem kleinen Rinnsal. Von ihr ging das Licht aus. Allerdings bewegte sich die Masse nicht, sondern schien starr zu stehen wie ein eingefrorener kleiner Bach. Die Masse pulsierte in unregelmäßigen Intervallen. Die Rinnen zogen sich in verschiedenen Richtungen durch die kleineren Höhlensysteme, schienen jedoch in einer Richtung zusammenzulaufen.

»Pass auf wo du hintrittst«, sagte Giebels ungewöhnlich leise und aktivierte wieder seine Gravitationsstiefel.

»Am besten gehe ich jetzt vor. Diese stinkenden Brutlöcher sind mir unheimlich, also lass uns diesen Fötus finden und dann nichts wie weg hier.«

Murdoc schloss die Augen und initialisierte sein Vis. Das Bild, das der Sonarstoß auf seiner Netzhaut erzeugte, traf ihn wie ein Blitz. Es hatte sich deutlich verändert. Es war nun nicht mehr ein Objekt zu sehen, sondern etwa einhundert. Alle befanden sich gleichmäßig verteilt um Murdoc und Giebels in den Seitenhöhlen.

Murdoc zwang sich dazu, nicht in Panik zu geraten während er sprach.

»Giebels, ... ich weiß jetzt warum wir das Objekt vorhin nicht identifizieren konnten ... Du solltest dir das ansehen.«

Murdoc sah aus dem Augenwinkel wie Giebels sich mit der rechten Hand an den Helm fasste.

»Scheiße«, fluchte er. »Es war überhaupt nicht ein Objekt, wir waren nur so weit weg, dass es aussah wie eins. Aber es war ein Knäuel aus hundert Objekten. Warte ...«

Murdoc sah Giebels geschlossene Augenlider durch seinen Helm zucken.

» ... Es ist eine verdammte Kolonie an Föten! So etwas habe ich noch nie gesehen ... das ist einfach unglaublich!«

»Und wir sind mittendrin«, murmelte Murdoc.

»Ja, aber es sind keine Wächter hier, es sind ...« Giebels stockte.

»Was? Was ist? Rede mit mir verdammt?« Murdoc geriet in Panik, war jedoch noch imstande seine Augen zu schließen.

Rote eierförmige Objekte. Wie vorhin. Aber da war etwas. Es bewegte sich etwas, das anders als die eierförmigen Objekte aussah. Der Visualizer formte etwas, das aussah, als hätte es nach außen gespreizt mehrere Fühler, oder vielleicht Arme. Es bewegte sich langsam, direkt aus der Richtung vor ihnen.

Murdoc konnte nicht sagen, ob es sich in ihre Richtung bewegte. Da war ein Objekt. Dann kam ein zweites wie aus dem Nichts auf das Vis, das sich in der Nähe des anderen befand. Dann kam ein drittes, von weiter rechts. Ein viertes. Ein fünftes. Die Bewegungen schienen zum Stillstand zu kommen, wie die Ruhe vor einem Sturm.

Der Umgebungssonarstoß entfachte einen Impuls, der über etwa zwei Erdminuten die Umgebung visualisierte. Nach diesem Zeitraum verblasste das Bild langsam und man musste erneut Anzugenergie für einen weiteren Sonarstoß investieren. Dies war Murdoc egal, als sein Vis-Bild verblasste. Für einen Augenblick sah Murdoc lediglich das absolute Schwarz seiner Augenlider und am Rand seines Sichtfelds das kleine Vis-Menü. Er aktivierte den Sonarstoß und erschrak. Sie bewegten sich, doch viel schneller als vorhin. Und diesmal kamen sie direkt auf Murdoc und Giebels zu.

Bevor Murdoc den nächsten Gedanken fassen konnte, wurde er von Giebels in die Realität zurückgerissen. »Murdoc es sind Wächter! Reiß’ dich zusammen, sie kommen! Du nimmst sie frontal, ich übernehme die rechte Seite!«

Da kamen sie.

Sie waren kleiner als Murdoc erwartet hatte, doch sie waren auch flinker.

Das, was er erst als Fühler oder Arme interpretiert hatte, sah jetzt eher wie dunkelbraune Spinnenbeine aus. Das Seltsame war, dass etwa zehn dieser Spinnenbeine nach unten, und zehn weitere spiegelverkehrt nach oben gerichtet waren, was ein äußerst bizarres Bild gab. Die Wächter benutzten die Beine, um sich in den engen Höhlenverbindungen fortzubewegen. Dort wo das Gesicht hätte sitzen müssen, befand sich lediglich ein grauer Wulst, aus dem zwei pechschwarze kugelrunde Augen hervorstarrten.

Alles passierte sehr schnell und lief ab wie ein stiller Kampf.

Giebels feuerte zuerst. Das Neutronengewehr, das wegen des Vakuums nicht zu hören war, gab mehrere grelle bläuliche Lichtblitze von sich, die in Richtung der von rechts anrückenden zwei Wächtern rasten. Der erste wurde von der Salve gestreift, taumelte, Spinnenbeine zerbarsten an seiner Seite. Er verlor den Halt am Höhlengang und wurde aufgrund der extrem geringen Schwerkraft quer durch das Gewölbe geschleudert, bis er an einer Felswand zerschmetterte.

Spinnenbeine und dunkle Flüssigkeit füllten Murdocs Sichtfeld.

Der zweite Wächter wich geschickt aus und setzte zum Sprung auf Giebels an.

Genau zum gleichen Augenblick rasten drei weitere Wächter direkt auf Murdoc zu.

Murdoc zielte und zog den Abzug durch. Einen kurzen Augenblick war er vom blauweißen Licht geblendet, doch er hielt sein Gewehr fest umklammert und feuerte mindestens zwanzig Projektile. Instinktiv sank er in die Hocke und hielt sein Gewehr immer noch auf die Position der Angreifer gerichtet.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Giebels sich zu Boden warf, um dem Sprung des anderen Wächters zu entgehen, doch eines der Spinnenbeine schrammte quer über seinen Rücken.

Murdoc hörte Giebels im Kom aufschreien.

Vor Murdocs Füße schlitterte ein zerschmetterter Wächter, doch Murdoc konnte sehen, wie die beiden anderen, auf die er gefeuert hatte, in einer Seitenhöhle verschwanden.

Giebels feuerte wieder. Er lag ausgestreckt auf dem Boden und sein Cheops Mark IV Panzer schien standgehalten zu haben. Der Wächter, der Giebels attackiert hatte, raste mit atemberaubender Geschwindigkeit quer über die Seitenwand des Höhlengewölbes, während die Neutronenprojektile des Soldaten in einer Spur hinter ihm einschlugen und fußballgroße Löcher in die Wand rissen.

Murdoc spürte das Adrenalin in seinen Adern. Wohin waren die beiden Wächter verschwunden? Hektisch, aber dennoch geübt tastete er im Chaos des Gefechts die gesamte Umgebung um sich herum ab. Er überlegte, ob er in den Seitenhöhlengang laufen sollte, oder es wagen sollte, einen Sonarstoß auszusenden, als ihn etwas mit voller Wucht auf den Helm donnerte. Er verlor das Gleichgewicht und kippte auf die Seite, während er benommen realisierte, dass ein Wächter offensichtlich aus einem Höhlendurchgang direkt über ihm geschossen war.

Bevor Murdoc zu Boden ging, wurde er herumgerissen und blickte in die pechschwarzen Augen eines Wächters, der ihn mit seinen unteren zehn Spinnenbeinen bearbeitete und mit den oberen Murdocs Waffe wegschleuderte.

Murdoc rang mit aller Kraft mit dem Wächter, um sich die Spinnenbeine vom Leib zu halten. Immer wieder schossen die spitzen Glieder des Wächters nach vorne. Murdoc wurde klar, dass der Wächter versuchte, sein Visier zu zertrümmern. Die Talusklinge, schoss es Murdoc durch den Kopf.

Der Cheops Mark IV Panzer trug seinen Ruf als bester Kampfpanzer der Kantongarde nicht nur wegen den Schutzoptionen gegen externe Einflüsse.

Er besaß auch weitere Funktionen, die in Kampfsituationen von großer Hilfe waren. In der Verkleidung der rechten Armschiene war eine ausfahrbare Talusklinge immenser Stabilität eingebettet, die der Schärfe eines Diamanten Konkurrenz machen konnte.

Innerhalb einer Hundertstelsekunde schloss Murdoc die Augen und ließ per Gedanke über den Skin-Connector die Klinge herausschnellen. Im selben Moment setzte der Wächter, der Murdoc umklammert hielt und mit seinen Spinnenbeinen attackierte, zum Sprung auf die andere Seite des Gewölbes an.

So wollte er den Karndalf-Soldaten an der Wand zerquetschen. In Todesangst schaffte dieser es, seine rechte Hand mit der Talusklinge aus dem Griff des Wächters zu befreien und einen seitlichen Hieb zu vollführen, der mindestens zwei oder drei Spinnenarme vom Torso trennte. Im Wulst des Wächters öffnete sich ein abscheuliches Loch – das wohl den Mund darstellte – zu einem stummen Schrei und der Griff des Wächters, der Murdoc umklammerte wie eine Zange, lockerte sich.

Hätte Murdoc weniger als zwei Erdsekunden gehabt, um seine Position zu verändern und die Gravitationsstiefel entgegen der Höhlenwand zu richten, auf die er zuraste, hätte es ihn zerschmettert. Die Stiefel bremsten den Aufschlag automatisch ab. Murdoc verlor keine weitere Sekunde und drehte sich schnell zur Seite weg, weil sich der angeschlagene Wächter im Flug bereits wieder erholt zu haben schien und die Spinnenbeine nach ihm ausstreckte. Am Rande vernahm er, dass Giebels den anderen Wächter mit dem Neutronengewehr erwischt hatte, jedoch bereits vom fünften Wächter attackiert wurde, der vorhin vor Murdoc in dem seitlichen Höhlengang verschwunden war.

Ehe sich Murdoc versah, war er erneut im Griff des Wächters, der jedoch deutlich unkontrollierter als vorhin mit seinen verbliebenen Spinnenbeinen nach Murdoc schlug. Die harte Spitze eines Spinnenbeins traf Murdocs Helm zweimal hart hintereinander. Sein Kopf dröhnte, doch der Panzerhelm hielt stand.

Murdoc registrierte, dass die Bewegungen des Wächters ungezielter und langsamer wurden und wehrte sich halbwegs mit der linken Hand, während er mit der Rechten Kraft sammelte. In einem geeigneten Augenblick befreite er sie mit einem festen Ruck und holte zum Schlag aus. Die Talusklinge schimmerte im grünlichen Licht der fluoreszierenden Masse, die aus den Rinnen im Boden strahlte. Einen Augenblick, der Murdoc wie in Zeitlupe vorkam, starrte ihn der Wächter mit seinen pechschwarzen großen Augen direkt an.

Murdoc schlug zu.

Er traf den Wächter direkt im Gesicht, wenn man den grauen Wulst mit den schwarzen Kugeln als ein solches bezeichnen konnte. Murdoc hörte nichts, doch er spürte ein Knacken, als die Talusklinge eindrang und den Schädel des Wesens spaltete. Schmierige dunkle Flüssigkeit spritze zu allen Seiten ungebremst durch das Vakuum. Der Wächter taumelte rückwärts, knickte ein und sank zu Boden, wo er wie ein Haufen aus Spinnenbeinen und wabernder dunkler Flüssigkeit verendete.

Ohne nachzudenken hastete Murdoc an dem Kadaver vorbei zu seinem Neutronengewehr und hob es auf. Ein markerschütternder Schrei schoss durch das Kom seines Helms. Er wirbelte herum und sah, wie Giebels mit seiner Waffe auf den fünften Wächter einschlug, während dieser versuchte, sie ihm aus der Hand zu reißen.

»Giebels, geh zur Seite!« schrie Murdoc. Giebels gehorchte augenblicklich und ließ sich nach hinten fallen. Murdoc zielte und schoss. Er konnte die rasche Ausweichbewegung des Wächters ausmachen, bevor der blauweiße Lichtblitz des Neutronengewehrs seine Augen blendete. Nach dem Abklingen des Effekts auf seiner Netzhaut war der Wächter verschwunden.

»Wo ist es? Wo ist es hin, Giebels, verdammt!«, keuchte Murdoc.

»Scheiße, verdammt noch mal«, fluchte Giebels. »Es ist da durch glaub ich.

Nein warte ... ach Mist! Sonarstoß!« Giebels schloss die Augen, öffnete sie wieder für drei Erdsekunden und schloss sie erneut. »Ja, es ist da durch, aber warte ... es haut ab ... es bewegt sich weg von uns, und das rasend schnell. Es ... es ist außer Reichweite!«

»Das war verdammt knapp! Warum hat uns keiner gesagt wie schnell diese Biester sind!« sagte Murdoc. Er zitterte noch am ganzen Körper.

»Das sind keine gewöhnlichen Wächter. Auf dem letzten Einsatz in den Kleipp-Asteroiden sind wir ja auch welchen begegnet. Aber die waren anders, die waren viel langsamer. Irgendetwas stinkt hier ganz gewaltig in diesem Loch!« Giebels hatte immer noch die Augen geschlossen während er sprach.

Murdoc überprüfte sein Neutronengewehr. »Ist mit dir alles in Ordnung?«

Er versuchte beiläufig zu klingen. Er wunderte sich im gleichen Augenblick über sich selbst angesichts der Tatsache, dass sie sich vor kurzem noch in Lebensgefahr befunden hatten und er dennoch bereits wieder seinen Standard-Groll gegenüber Giebels hegte.

Giebels öffnete die Augen und grinste. »Na, Kleiner, brauchst keine Angst haben«, sagte er in gönnerischem Ton. »Onkel Alfred gibt nicht so leicht den Löffel ab.«

»Wenn ich nicht gewesen wäre, würdest du wahrscheinlich gerade nicht solche Sprüche klopfen«, murmelte Murdoc.

Giebels grinste lediglich weiter und überprüfte seinen Anzug auf Schäden während er sprach. »Jetzt versuchen wir erst noch einmal Foster zu kontaktieren. Bei Misserfolg krallen wir uns den Fötus und dann – Abflug.«

Zwei Erdminuten lang versuchte Giebels per Team-Kom Foster zu erreichen, jedoch erfolglos. Wohl wissend, dass es kaum einen Unterschied machen würde, veränderte er mehrmals seine Standposition innerhalb des Gewölbes.

Murdoc wunderte sich, wie schnell sich Giebels von dem eben erlebten Schrecken erholt hatte.

Die Anzugenergie von Murdocs Cheops Mark IV Kampfpanzer betrug nur noch fünfundfünfzig Prozent, doch Murdoc war zu unsicher um auf ununterbrochene Sonarstöße zu verzichten. Die Gefahr, erneut die Spinnenfüße eines Wächters auf seinen Helm donnern zu spüren, war ihm zu riskant. Doch lediglich die roten eierförmigen Objekte – die Föten – waren ringsum zu erkennen.

»Absolute Totenstille«, sagte Giebels leise. »Wo ist der nächstgelegene Fötus? Oder sollen wir ‚Ene, Mene, Miste‘ machen?« Giebels’ Raucherwiehern dröhnte umso lauter durch das Kom.

»Da lang«, knurrte Murdoc und deutete auf einen der zahlreichen Verbindungsdurchgänge des Höhlengewölbes, in das drei Rinnen mit grünlicher Masse führten.

Der Weg zu dem Fötus entpuppte sich als schwieriger, als Murdoc erwartet hatte. Nach dem Durchgang waren sie durch mehrere kleine Höhlengewölbe gekommen und befanden sich nun in einem regelrechten Labyrinth aus Tunnelsystemen, die durch das schwache, leicht pulsierende Licht der fluoreszierenden Masse in den Rinnen am Boden beleuchtet wurden. Ohne die Funktionen des Sonarstoßes und der Topografiescanning-Einrichtung des Cheops-Panzers hätte Murdoc sich mit hoher Wahrscheinlichkeit komplett verirrt. Hinzu kam, dass die Bodenoberfläche sich verändert hatte. Während sie bis zu dem großen Höhlengewölbe relativ glatt und eben gewesen war, war sie jetzt umso zerfurchter und rau. An manchen Stellen ragten schiefrige Spitzen aus dem Boden, die den Gravitationsstiefeln das Aufsetzen erschwerten.

Giebels blieb an einer Kreuzung zweier Höhlengänge stehen und schwenkte seine Waffe von rechts nach links und wieder zurück. »Wohin jetzt, werte Höhlenführungskraft?« spottete er.

Murdoc befragte sein Vis und wies nach links, als er antwortete. »Dort entlang. Es kann nicht mehr weit sein. Wächter sind keine in Sicht.« Im selben Moment fragte sich Murdoc, warum Giebels überhaupt ihn fragte, anstatt selbst das Vis zu benutzen.

Giebels wollte etwas Spöttisches erwidern, doch im selben Moment rutschte er ab und glitt mit seinem rechten Bein in eine der fußbreiten Rinnen, die die grünlich leuchtende Masse führten. Er knurrte etwas Unverständliches und stemmte sich hoch, während Murdoc versuchte, seinen Lachreiz zu unterdrücken.

»Gottverdammt, jetzt habe ich das Zeug auch noch an meinem Stiefel«, grunzte er und rubbelte mit dem Handschuh des Cheops-Anzugs über seinen Fuß, der fast komplett mit der fluoreszierenden klebrigen Masse bedeckt war.

Dadurch wurde der Stiefel jedoch nicht sauberer, die Masse wurde lediglich verschmiert und befand sich nun zusätzlich an Giebels Handschuh.

Murdoc konnte sich nicht mehr halten und prustete los, wodurch einen Augenblick die gesamte Anspannung verlorenging, die ihre Situation in ihm hervorgerufen hatte.

»Sehr witzig. Du bist der nächste der grün leuchtet, aber am ganzen Körper, das versprech’ ich dir.« Giebels klang überhaupt nicht begeistert.

Als Murdoc sich wieder gefasst hatte begann er sich zu fragen, ob die Masse eine negative Einwirkung auf den Anzug haben könnte. Ihm fiel auf, dass sie in der gesamten Zeit noch keine stoffliche Analyse vorgenommen hatten.

Murdoc ärgerte sich über sich selbst. ‚Umgebung analysieren und bei Informationsklarheit zielstrebig voranschreiten‘, so war ihnen Grundsatz Nummer eins in Außenmissionen auf der Akademie der Karndalf-Kantongarde eingebläut worden. Noch mehr jedoch ärgerte er sich über Giebels, der ihn durch seine Spötteleien stets abgelenkt hatte und selbst auch nicht auf die Idee gekommen war.

Bevor Murdoc dazu kam, sein Vis zu aktivieren und die stoffliche Analyse zu initialisieren, bekam er einen Schock, dass er fast in seinen Anzug uriniert hätte. Auch Giebels zuckte merklich zusammen und riss instinktiv seine am Boden abgelegte Waffe hoch, als das Team-Kom mit einem lauten Zischen die Ruhe durchbrach.

Was zu hören war, ließ Murdoc augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren. Fosters Stimme war sehr undeutlich, kombiniert mit Rauschen, in Sprachfetzen zu vernehmen. Im Hintergrund schien ein Kampf zu toben. Das Geschrei von Lanzett und Akriba in Fosters Kom war unüberhörbar.

»Foster Hier, Murdoc Gieb ... melden! Fos ... doc ... .melden! Akrib ... kommt, pass auf! ... haben hier ... hafte Probleme! Gott ... das ... schnell ...«

Einen Moment lang ging die Stimme komplett im Rauschen unter. Giebels fluchte und versuchte zu antworten. »Giebels hier, Foster, melden sie sich! Foster! Was zum Teufel ist los bei ihnen? Foster! Sind es Wächter?«

Eine Sekunde war absolute Stille zu vernehmen, nicht einmal Rauschen.

Dann wurde sie von einem lang gezogenen, schrillen Schrei durchbrochen.

Murdoc war eiskalt, obwohl die Innentemperatur des Cheops-Anzugs auf eine angenehme Standardtemperatur von dreiundzwanzig Grad eingestellt war. Er wollte irgendetwas sagen, doch er schaffte es nur, Giebels mit offenem Mund anzustarren. Giebels starrte zurück.

Da meldete sich das Team-Kom wieder. » ... keine Wächter ... nie ... unbekannt ... so schnell! Keine Zeit ... brauchen dringend Hilfe! ... mich ... standen? ... chen ... dri ... Hilfe! Lanzett ... schwer verletzt ... Fötus ... kommt ...« Die letzten Worte waren kaum mehr zu verstehen und wurden von anschwellendem Rauschen und Zischgeräuschen überlagert, bis die Verbindung komplett abbrach.

Fosters Stimme echote in Murdocs Ohren. »Was sollen wir jetzt machen?«, stammelte er. »Und was ist mit dem Fötus? Sie sind zu weit weg, ich meine, die Mission ...«

»Scheiss’ auf den Fötus!« brüllte Giebels und formte die Hand zu einer Faust. »Das sind meine Teamkollegen, wir müssen ihnen helfen! Hol’ du den gottverdammten Fötus, wenn du das für richtig hältst!«

»Du ... du hast recht. Wir müssen ihnen helfen. Und wir sollten uns nicht trennen.«

Giebels schnaubte nur verächtlich und stapfte schnell mit großen Schritten an Murdoc vorbei in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Da ertönte das Karndalf-Signal in Murdocs als auch in Giebels Helm. Rein theoretisch befanden sich die fünf Soldaten außerhalb jeglicher Karndalf-Flottenkreuzer-Reichweite. Das Soldatenteam, unter der Führung von Sergeant Foster, war eins der vielen kleinen Spezialteams, die vom Karndalf-Kanton eingesetzt wurden. Jeder Flottenkreuzer des Karndalf-Kantons besaß mindestens zehn dieser Teams, um in den zuständigen Sektoren zu operieren.

Diese Teams wurden mit Perser-Transportshuttles, auch Autoshuttles genannt, zu den Einsatzorten transportiert. Die Autoshuttles wurden komplett von einem im Computer vorprogrammierten Kurs geleitet und automatisch per Autopilot gesteuert, damit der wohlbekannte und von Soldaten oftmals verpönte ‚perfekte Zeitplan‘ eingehalten werden konnte. Das Karndalf-Kanton hatte seit einigen Jahren einen neuen Kantonführer, eine Frau namens Amelie Sakarelij, die den strikten Zeitplan eingeführt hatte.

Fosters Team war mit einem Perser-Transportshuttle in die Nähe des Asteroiden im Aaron-Schwarm geflogen, von wo aus sie sich in den Asteroiden selbst hinein teleportiert hatten. Die Reise hatte sieben Stunden gedauert.

Mit Planetargravitationsantrieb eine Zeitdauer von sieben Stunden zu reisen bedeutete, dass man sich weit genug von seinem Mutterschiff entfernte, als dass eine Funkkommunikation ohne Überbrückungsanlagen wie auf Uriel 2 stattfinden konnte.

Das Karndalf-Signal jedoch war das Zeichen, dass ein Funkspruch eines Flottenkreuzers in Reichweite bevorstand. Dies konnte unmöglich der Fall sein, weil die Flottenkreuzer reguläre Zirkulationspfade durch das Arym Var-System verfolgten, die sie so gut wie nie verließen. Diese Pfade basierten auf dem Planetargravitationsnutzprinzip, das den Schiffen mit entsprechendem Antrieb ermöglichte, sich ohne großen Energieverlust durch den Weltraum zu bewegen.

Die Zirkulationspfade waren so berechnet, dass die Kreuzer in einem Zeitraum von meistens mehreren Monaten bestimmte Punkte im Arym Var-System passierten und am Ende der Route wieder an ihrem Ausgangspunkt ankamen. Die vielen Kreuzer der Kantone waren gleichmäßig über das gesamte System verteilt und deckten so jeden Winkel ab. Durch die Zirkulationspfade konnten Operationen optimal geplant werden.

Deswegen war es untypisch, dass Flottenkreuzer den Pfad verließen, weil dadurch das gesamte Planungskonzept der Kantone beeinträchtigt war.

Voller Ungläubigkeit blieb Giebels stehen und horchte.

Eine monotone Männerstimme meldete sich. »Hier spricht die Olympfregatte Marx, Authentifizierungscode Alpha K-255-7624698. Bitte um die stimmliche Identifikation der Soldaten ‚Alfred Giebels‘ und ‚John Casper Murdoc‘.«

Giebels und Murdoc sahen sich fassungslos an. Olympfregatte? Die einzigen Schiffe die oftmals außerhalb der Zirkulationspfade agierten waren Botschafterschiffe und Olympfregatten. Während Botschafterschiffe Nachrichten überlieferten und Botschafter schnell zu internen Kantonvermittlungen transportierten, wurden Olympfregatten nur von den obersten Vorsitzenden und Generälen des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses kommandiert – der übergeordneten Fraktion, die zumindest versuchte, die einzelnen Kantone zusammenzuhalten und zu steuern. Der Authentifizierungscode, den die Stimme vermittelt hatte, war ein Code, der Murdoc und Giebels auf dem Vis bestätigte, dass es sich tatsächlich um die Marx handelte. Die Anwesenheit eines derartigen Schiffes musste einen schwerwiegenden Grund haben. Der Andragon-Kanton-Zusammenschluss war sämtlichen Kantonen übergeordnet, weshalb Murdoc und Giebels dem Befehl der stimmlichen Identifikation sofort Folge leisten mussten.

»Alfred Giebels«, sagte Giebels schließlich.

Murdoc folgte seinem Beispiel und sagte: »John Casper Murdoc.«

Murdoc wusste, dass es sich um eine Floskel handelte. Die stimmliche Identifikation diente lediglich dazu, dass die betroffene Person ihre Lokalisierung anerkannte. Die Scanner der Marx hatten bereits längst die Identifikationssignaturen über Murdocs und Giebels’ Skin-Connector analysiert.

»Bestätigt«, sagte die monotone Stimme. »Unter der Befehlsleitung von Amelie Sakarelij haben wir ihre Mission, die unter der wichtigen Operation ‚Zeus‘ läuft, beobachtet.«

Sakarelij? Operation ‚Zeus‘? Beobachtet? Dies fragte Giebels Gesichtsausdruck geradezu, als Murdoc ihn ungläubig anstarrte.

Die Stimme fuhr fort. »Ich muss ihnen im Namen der Andragon-Kantone erneut bekräftigen, wie wichtig der Besitz des Missionsobjektes für den Zusammenschluss ist.«

Der Andragon-Kanton-Zusammenschluss ... wofür benötigt der Zusammenschluss Föten der Zodiac-Lebensform?, schoss es Murdoc durch den Kopf.

Sie waren offiziell im Auftrag des Karndalf-Kantons hierhergekommen, um für Dr. Adelfing den Fötus zu beschaffen. Doch wie es aussah, steckte viel mehr dahinter.

Doch die monotone Stimme war noch nicht fertig. »Angesichts ihrer kürzlichen Entscheidung, ihren Teamkameraden so kurz vor dem Ziel zu Hilfe zu eilen, mussten wir interferieren. Wir befehlen ihnen nun unumgänglich aufgrund der genannten Prioritäten ihre Mission fortzusetzen.«

Giebels Gesichtsausdruck lief von Ungläubigkeit in Wut über. Sie waren die ganze Zeit beobachtet und belauscht worden, wie Versuchsobjekte. Und jetzt wurden sie wie Marionetten behandelt. Giebels war Soldat. Er wusste, dass er Befehle strikt zu befolgen hatte. Er war zu vielem bereit und machte so gut wie alles was man von ihm verlangte anstandslos, doch seine Teammitglieder im Stich zu lassen, brachte ihn in einen schweren Konflikt mit sich selbst und der Befehlsgewalt. Es war wie Verrat für ihn, seit er im zweiten ‚Erbe des Lichts‘-Konflikt einen Kameraden zurücklassen musste, um den Tod hundert anderer zu verhindern.

Giebels versuchte gefasst zu klingen, als er antwortete. »Bei allem Respekt, Sir, wir können hierher zurückkehren und unsere Mission fortsetzen, nachdem wir unsere Teamkameraden, die dringend Hilfe benötigen, unterstützt haben.«

»Negativ, Mission unverzüglich fortsetzen.«

Giebels verlor die Fassung. »Verdammt, wissen sie was sie da verlangen? Jede Sekunde die wir weiterquatschen kann jemand von den anderen am Sterben sein! Sie brauchen unverzüglich Hilfe! Sofort!«

»Negativ, Mission fortsetzen.«

Giebels schien unter dem Helm rot anzulaufen. »Verflucht seid ihr, und euer gottverdammter Fötus.«

Eine kurze Pause folgte und eine andere Stimme meldete sich zu Wort.

»Sie wagen, sich der Befehlskette des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses zu widersetzen? Sie setzen augenblicklich ihre Mission ohne Umschweife fort oder es wird ausschlaggebende Konsequenzen für ihr Dasein als Soldat der Karndalf-Kantongarde haben!«

Murdoc kannte die giftige und dennoch autoritäre Stimme eindeutig. Es war die von Dr. Adelfing. Was zum Teufel hatte dieser Mann auf einer Olympfregatte des Zusammenschlusses zu tun?

»Der Fötus ist von unschätzbarem Wert, der jenen ihres Soldatenhirns offensichtlich um Größen übersteigt«, geiferte Adelfing. »Beschaffen sie mir diesen Fötus! Im Namen der Andragon-Kantone!«

Giebels öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Doch sein grimmiger Blick sprach Bände. Murdoc konnte Giebels verstehen, doch er hatte zu großen Respekt-Erstrecht vor der Tatsache, dass sie es mit einer Olympfregatte mit der Kantonführerin persönlich zu tun hatten, die sich jedoch noch nicht selbst zu Wort gemeldet hatte.

»Und jetzt setzen sie ihren Arsch in Bewegung und tun sie ihren verdammten Job!« brüllte Adelfing durch das Interstellar-Kom und ein kurzer brummender Ton signalisierte das Ende der Interstellar-Verbindung. Murdoc war sich jedoch sicher, dass Giebels und er nach wie vor von der Marx überwacht und jede ihrer Bewegungen kontrolliert wurden.

Er setzte sich zögerlich in Bewegung. Er wusste, dass ein Befehl des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses über allen Befehlen der einzelnen Kantone stand und eine Verweigerung augenblicklich Murdocs Karriere in der Garde beenden würde.

Giebels machte einen Schritt und blieb stehen. »Scheiss’ auf den Zusammenschluss, scheiss’ auf den Fötus! Das wird mich ein Leben lang verfolgen, wenn ich jetzt nicht gehe!« schrie er und nahm mit schnellen Schritten den Weg in die andere Richtung wieder auf.

»Giebels! Nein!« Murdoc wusste nicht was er machen sollte. Aufhalten konnte er ihn nicht mehr, hätte es jedoch sowieso nicht geschafft, denn Giebels war fest entschlossen. Er bewegte sich erstaunlich schnell mit seinen Gravitationsstiefeln, die Waffe starr nach vorne gerichtet.

Sofort ertönte erneut Dr. Adelfings geifernde Stimme im Interstellar-Kom der Soldaten. »Giebels! Das wird fatale Konsequenzen nach sich ziehen! Seien sie sich darüber im Klaren, Giebels!«

Nach einer kurzen Pause sagte Adelfing: »John Casper Murdoc! Sie wissen was zu tun ist. Erfüllen sie die Erwartungen der Andragon-Kantone!«

Murdoc fluchte in Gedanken und setzte sich in Bewegung. Bei einem Blick auf das Vis zeigte das Umgebungssonar, dass sich an der Umgebung nicht viel verändert hatte und dass keine Wächter in Sicht waren. Er setzte seinen Weg zähneknirschend fort. Die Angst erfüllte ihn zunehmend, der einzige in diesem komplexen System aus Höhlengewölben und kleinen Verbindungstunneln zu sein.

Warum beschaffen sie sich ihren verdammten Fötus nicht selbst, dachte er.

Doch ihm fiel ein, dass er sich in einem Asteroiden mitten im Aaron-Schwarm, einem riesigen Asteroidenfeld in der Nähe von Infidelis, befand. Eine riesige Olympfregatte, noch dazu eine wie die Marx, konnte unmöglich in dieses Asteroidenfeld fliegen, ohne Schaden zu nehmen.

Teleportation – eine erst vor kurzem errungene Technologie – funktionierte nur auf extrem kleine Distanzen, weswegen das Team überhaupt nötig war.

Der Flottenkreuzer, auf dem Murdoc stationiert war, hatte bei der Missionsplanung eine Oberflächensonde zur Erkundung geschickt. Diese hatte bei einem Topografie-Scanvorgang einen Hinweis auf das große Gewölbe geliefert, in das sich Foster mit seinem Team vom Perser-Transportshuttle aus hatte hinein teleportieren können.

Teleporter benötigten immer klare Informationen über das exakte Zielgebiet, da sonst leicht schwerwiegende Unfälle passieren konnten. Die Technologie basierte auf Raumkrümmung, da ein tatsächlicher entmaterialisierter Transport eines Objektes von einem Punkt ohne Verbindungslinie zu einem anderen Punkt unmöglich war. Der Raum wurde mit immensem Energieaufwand phasenweise verändert, so dass sich ein Spalt bildete – eine Art Miniaturwurmloch – durch das das Objekt oder die Person bewegt werden konnte. Der Teleportationsspalt zwang über sehr kurze Zeit das Raumkontinuum, sich an den gewünschten Stellen zu nähern – dem Eintritts- und dem Ausgangspunkt.

In dieser kleinen Zeitspanne musste sich das Teleportationsobjekt durch den Spalt bewegen.

Es gab noch keine bekannten Generatoren oder Energiespeicher, die eine so große Kapazität an Energie aufbrachten, als dass man größere Distanzen hätte überwinden können. Deswegen waren die herkömmlichen Methoden immer noch unabdingbar.

Murdoc überprüfte regelmäßig sein Vis und bewegte sich auf sein Ziel zu.

Schließlich gelangte er zu einem Durchgang, durch den aus fünf anderen Seitenhöhlen kommend Rinnen mit grünlichem Schimmerlicht flossen. Diese verschwanden im Gewölbe dahinter. Murdoc wusste, dass sich dort ein Fötus befinden musste, doch er blieb stehen und sprach über sein Team-Kom.

»Giebels, kannst du mich hören? Giebels?«

Lediglich das endlose, leise Rauschen war in Murdocs Helm zu vernehmen.

Das Wellensignal musste durch die Wände bereits abgeschirmt werden. Oder war Giebels bereits tot? Murdoc versuchte den Gedanken zu verdrängen, doch er hatte den fünften Wächter nicht vergessen, der ihnen entwischt war. Angst überkam ihn und er fühlte sich allein. Ganz allein in der Dunkelheit. Sein Umgebungssonar hatte nicht mehr genug Energie, um in einem größeren Radius zu scannen, weil Murdoc es nach dem Kampf mit den Wächtern zu oft benutzt hatte. Er hoffte, dass sich Giebels bereits außerhalb des kleineren Scanradius befand und deswegen nicht zu erkennen war.

Fest umklammerte er sein Neutronengewehr und schritt durch den Durchgang.

Giebels war wütend.

Mit eingeübten Bewegungen ging er so schnell wie es mit Gravitationsstiefeln möglich war den senkrechten Tunnel hinauf, den Murdoc und er vor nun mittlerweile fast zwei Stunden heruntergekommen waren. Immer wieder aktivierte er nun auch Umgebungssonarstöße, um das Umfeld nach Lebensformen abzuscannen. Noch war nichts zu erkennen außer den Föten, die sich unter ihm langsam entfernten. Und da war noch etwas dazwischen. Es musste dieser Jungspund von Murdoc sein, der lieber den Befehlen von Dr. Adelfing folge, als seinen Teamkameraden zu helfen. Doch er würde es noch spüren, was schlimmere Konsequenzen als jene von Befehlshabern für einen Menschen bedeuten konnten. Gefühle, mit denen man selbst zu ringen hatte, Tag für Tag.

Gesichter, die einen anstarrten, wenn man nachts die Augen schloss. Stimmen, die man hörte, wenn es keine anderen Geräusche in der Umgebung zu hören gab. Murdoc würde es noch spüren, früher oder später. Das war der Fluch einer Karriere als Soldat in der Kantongarde. Es würde immer so weit kommen, dessen war sich Giebels sicher.

Ihm waren die Drohungen von Adelfing egal. Selbst wenn ihm Ravenberg persönlich den Befehl geben würde umzukehren, würde er ihn jetzt nicht befolgen. Er hatte sowieso vor, aus der Garde auszusteigen. Lieber würde er ab jetzt in einer Erzmine auf Mol Ondune schuften, als weiterhin derartigen Konflikten ausgeliefert zu sein.

Giebels erreichte die Eingangsstelle, die in den Abstiegtunnel zu den Föten führte und bewegte sich in Richtung des Extraktionspunktes des Teams zurück.

Als er damals im zweiten ‚Erbe des Lichts‘-Konflikt seinen Kameraden hatte zurücklassen müssen, war Giebels ein anderer Mensch geworden. Er erinnerte sich zurück.

Der Reaktor der Gefechtsstation ‚Terra 7‘ auf dem dritten Jupitermond im ‚Erbe des Lichts‘-System drohte nach einem Bombenbeschuss zu kollabieren.

Sein Soldatenkollege und Freund Mark Soldner befand sich noch im Isolationsraum um den Reaktor. Doch es konnte sich nur um Erdsekunden handeln, bis der Reaktor explodieren würde, einen Riss in die Hülle der Station reißen und alle 100 Soldaten der Station in den Weltraum schleudern würde. Deswegen hatte Giebels handeln müssen. Er hatte den Reaktorraum per Fernschaltung isoliert und den kollabierenden Reaktor mit einem Kühlplasmid, einer kühlenden Substanz, zum Stillstand gebracht. Die Substanz war in den Raum eingedrungen, hatte das Problem gelöst und seinen Freund vor Giebels Augen zu Eis erstarren lassen. Der flehende Gesichtsausdruck Soldners, der vor dem Fenster der Isolationstür zu Grunde gegangen war, hatte sich in Giebels Gedächtnis eingeprägt wie eine Gravur.

Seitdem war Giebels anders. Nach außen war er immer noch der spöttische Kettenraucher Giebels, doch innerlich hatte er sich verändert. Sein Handeln war das Produkt dieser Änderung.

Er erreichte das riesige Gewölbe, in das sich das Soldatenteam zu Beginn der Mission teleportiert hatte und wählte den Eingang in das Höhlensystem, das Foster mit Lanzett und Akriba genommen hatte. Giebels sendete Sonarstöße und entdeckte drei Objekte in mehreren hundert Metern Entfernung. Er setzte seinen Weg hastig fort und achtete kaum auf die Umgebung.

Er war gefeiert worden, hatte einen Orden für seine grandiose Rettungsaktion gekommen. Es hatte ihm absolut nichts bedeutet. Giebels hatte sich selbst versucht einzureden, dass er das Richtige getan hatte. Er hatte sich und alle anderen gerettet. Doch er wusste es jetzt besser, wie man sich fühlte. Er würde lieber selbst sterben als nochmals einen Freund im Stich zu lassen. Foster war sein Freund. Sie hatten schon viel zusammen durchgemacht. Giebels würde es sich nicht verzeihen können wenn ...

Er stockte.

War da gerade eine etwas vor seiner Pulslampe vorbeigehuscht?

Giebels hatte keine Angst. Er war einfach nur verdammt sauer. Auf Adelfing und die ganzen Andragon-Kantone, auf Murdoc, den Feigling, auf diese gottverdammte stinkende Höhle und auf das, was auch immer Fosters Team angegriffen hatte.

»Komm raus, du Mistvieh! Zeig dich, stell dich mir entgegen! Glaubst du ernsthaft ich fürchte mich?« Giebels realisierte, dass er alleine in seinem Helm brüllte und nichts nach draußen drang. Hektisch schwenkte er die Waffe hin und her und beleuchtete die Wände. Da war nichts.

»Ausgeburt der Hölle. Leg dich nicht mit Onkel Alfred an ...«, murmelte er nun unsicher und setzte seinen Weg fort. Während er voranschritt, drehte er sich mehrmals um und beleuchtete den Weg, den er gekommen war.

Langsam aber sicher wurde sich Giebels seiner Situation wieder bewusst und der Hochmut und die Wut wichen der heranschleichenden Angst.

Er durchschritt einen Durchgang und kam in ein hufeisenförmiges Höhlengewölbe. Er machte einen weiteren Schritt und stockte erneut. Der Gravitationsstiefel schien in etwas Weichem zu versinken. Doch bevor Giebels seine Pulslampe nach unten richten konnte, fiel der Lichtschein quer durch den Raum und ließ seinen Blick erstarren.

Murdoc fiel als erstes die Erhöhung des Bodens zentral in der Mitte des Gewölbeabschnitts auf. Mehrere Rinnen mit grünlicher, fluoreszierender Masse führten die Erhöhung von allen Seiten hinauf und liefen direkt im höchsten Punkt in einer Art Becken zusammen. Murdoc hatte mittlerweile die grünliche Masse als ungefährliche, eiweißhaltige Nährlösung identifiziert. Die genaue Funktion in Verbindung mit den Föten war ihm jedoch unbekannt.

In dem Becken in der Mitte der Erhöhung befand sich ein Objekt.

Murdoc wurde klar, dass es sich um einen Fötus eines Zodiacs – eines Sucherwesens aus Arym Var – handeln musste. Er führte einen letzten Sonarstoß aus, der keine Bewegungen zeigte. Nur die roten eierförmigen Objekte lagen unbeweglich wie pulsierende Bluttropfen auf Murdocs imaginärem Bild.

Den Blick starr auf das Zentrum des Gewölbes gerichtet, fasste sich der Soldat mit der einen Hand an den Rücken, wo sich der Kompaktbehälter befand. Mit der anderen Hand ließ er sein Neutronengewehr los, das langsam durch das Vakuum zu Boden sank.

Bei dem Kompaktbehälter handelte es sich um ein Transportgefäß, das alle Arten von Objekten transportieren konnte. So wie der Cheops Mark IV Kampfanzug gegen negative externe Einflüsse schützte, so konnte der Kompaktbehälter auch verstrahlte Objekte und ähnliche Dinge transportieren und nach außen abschirmen. Rein theoretisch konnte er sogar ein kleines schwarzes Loch transportieren. Er war nicht größer als ein normaler Spiel-Würfel und entfaltete bei Druckausübung auf eine der Würfelseiten sein volles Volumen.

Mit diesem Stück Technologie konnte Murdoc den Fötus transportieren.

Er entfaltete den Kompaktbehälter und nahm ihn am Griff, der sich nach dem Transformationsprozess an der oberen Seite des kubusartigen Objektes gebildet hatte.

Langsam bewegte er sich auf den Fötus zu und streckte seine rechte Hand aus, während er in der linken den Öffnungsschalter des Kompaktbehälters an dessen Griff betätigte.

In diesem Moment wurde Murdoc ruckartig nach hinten gerissen, so dass es ihm sämtliche Luft aus den Lungen presste. Völlig überrascht und fassungslos schaute er in die pechschwarzen Augen und das wulstige Gesicht eines Wächters – des fünften Wächters – der sich über seinem zu Fall gekommenem Körper aufbaute wie ein dunkles Gerüst aus Spinnenbeinen.

Wie ist er so schnell hergekommen, schoss es Murdoc durch den Kopf. Meine Waffe, ich brauche meine ...

Der markerschütternde Schlag eines Spinnenbeins traf seinen Helm und rammte ihn mit einem Krachen gegen den Boden des Gewölbes. Murdocs Kopf wurde gegen die Innenwand des Helms geschleudert.

Ihm wurde kurz schwarz vor Augen. Doch er wollte nicht sterben. Nicht hier, im düsteren grünlichen Licht der Höhle eines Asteroiden irgendwo im Aaron-Schwarm. Er fuhr seine Talusklinge aus, während der Wächter ihm mit seinen Spinnenbeinen zusetzte.

Er wollte zuschlagen, doch sein Arm bewegte sich nicht. Er stellte fest, dass der Wächter mehrere seiner Spinnenbeine auf seine Hand stemmte.

Murdoc biss die Zähne zusammen. Die Hand ließ sich nicht bewegen, der Wächter war zu stark. Murdoc wartete auf weitere Schläge auf seinen Helm, doch der Wächter schien seine ganze Taktik geändert zu haben. Langsam sank die graue Masse auf Murdoc herab, die den Körper des Wächters darstellte.

Weitere Spinnenbeine schienen ihn von allen Seiten zu umfassen, so dass sich Murdoc nicht mehr rühren konnte. Er war gefangen im festen Griff des Wächters.

Dann kam der Schmerz.

Murdoc schrie, bevor er realisierte, woher dieser kam. Der Wächter zog mit aller Kraft seine Spinnenbeine an sich, um ihn zu zerquetschen.

Der robuste, aber dennoch elastische Cheops Kampfanzug war aus einem Material, das jegliche Projektilkugel sowie diverse energetische Geschosse ohne weiteres abblocken oder absorbieren konnte wie eine kugelsichere Weste. Das Material verhärtete sich in dem Moment wo eine Kugel einschlug mit einer Geschwindigkeit, die schneller als die der Kugel selbst war und ließ diese einfach abprallen. Geschosse aus Energiewaffen, ob mit Plasma betriebene Waffen oder Tachyonlanzen, wurden weitestgehend absorbiert und nach Möglichkeit sogar in Anzugenergie umgewandelt.

Doch bei langsamem aber festem Druck wie in diesem Falle interpretierte der Anzug keine Gefahr.

Murdoc bekam keine Luft mehr. Sterne tanzten über sein Blickfeld.

Jetzt mach was, Soldat. Handle, sonst verreckst du. Die innere Stimme durchwehte Murdoc wie die Luft, die seinen Lungen entwich.

Der Anzug. Was kann man mit dem Anzug anstellen?

Wie in Zeitraffer spielten sich die verschiedenen Funktionen und Anwendungen des Cheops Mark IV Kampfanzuges in Murdoc Kopf ab, die von einem Techniker während seiner Ausbildung einmal erläutert worden waren.

Projektilschutz, Strahlenschutz, Kom-Einheit, Vis-Einheit, Skin-Connector, Umgebungsanpasser, Gravitationsstiefel ...

Umgebungsanpasser. Das war die letzte Möglichkeit. Der Umgebungsanpasser war ursprünglich eine automatische Funktion des Anzugs, seine Oberfläche der der Umgebung anzupassen. Dies allein ermöglichte dem Benutzer von den vielen Anwendungsbereichen des Anzugs zu profitieren. Man konnte sich auf einem Gasriesen aufhalten, in Säure baden oder auf einem Eisplaneten übernachten. Der Anzug produzierte immer genau die Gegenmaßnahme, die zum Überleben notwendig war. Befand sich Säure auf dem Anzug, wurde sofort eine starke Base zur Neutralisation generiert. Genauso kühlte der Anzug bei enormer Hitze ab und fing weis zu glühen an, wenn die Temperaturen unter fünftausend Grad Celsius gingen.

Der Umgebungsanpasser konnte manuell beeinflusst werden, was jedoch nicht ratsam war, da es dem Anzug permanenten Schaden anrichten oder sogar zur Kollabierung des elastischen Exoskeletts führen konnte, wenn die äußeren Einflüsse der Umgebung nicht der Wirkung des Anpassers entgegenwirkten.

Doch dies war ein Notfall und Murdoc musste es riskieren, denn er hatte keine andere Wahl.

Eine erneute Woge der Schmerzen überfloss ihn, doch Murdoc hatte keine Luft mehr zu schreien. Er versuchte das Knacken einiger Rippen in seinem Oberkörper zu ignorieren, schloss die Augen und aktivierte sein Vis.

Alles geschah in weniger als einer Sekunde.

Murdoc betätigte per Gedanke die manuelle Umgebungsanpasser-Bedienung und erhöhte die Außentemperatur seines Anzugs auf tausend Grad. Ein Warnsignal, das die Umrisse des Exoskeletts seines Anzugs orange blinkend darstellte, erschien in seinem Sichtfeld.

Murdoc ignorierte es.

Es funktionierte. Der Wächter lockerte seinen Griff um Murdocs Oberkörper. Doch er ließ nicht ganz von ihm ab. Einige Spinnenbeine lösten sich von Murdoc und begannen wilder denn je auf seinen Körper einzuschlagen. Die wulstige Fratze des Wächters hatte sich zu einem verzerrten Gebilde verändert und der Mund des Wesens war zu einem schwarzen Loch aufgerissen.

Murdoc biss die Zähne zusammen dass es knirschte und erhöhte die Temperatur auf dreitausend Grad. Die orange blinkenden Lichter des Exoskeletts in seinem Blickfeld wurden mehr und die Umgebung um Murdoc erstrahlte in einem gelben Licht. Der Anzug schien sich knisternd zusammenzuziehen, doch was Murdoc hörte waren lediglich die Schläge des verschmorenden Wächters.

Mit einem Schrei löste sich der Soldat aus dem Griff und bohrte mit voller Wucht die Talusklinge in das rechte Auge des Wächters. Die Kreatur zuckte und vollführte mehrere unkoordinierte Hiebe mit seinen vorderen Spinnenbeinen. Diese Zeit nutzte Murdoc aus, um sich aufzurichten. Er reduzierte die Außentemperatur seines Anzugs augenblicklich auf Normaltemperatur und stellte den Umgebungsanpasser auf Automatik.

Er stellte fest, dass die äußeren Enden der Spinnenbeine des Wächters vollkommen verschmort waren und seine wulstigen Körper langsam zu Boden zwangen.

Voller Aggression hieb Murdoc mehrfach auf das Torso des Wächters ein, ohne auf die dunkle, zu allen Seiten wegspritzende Flüssigkeit zu achten.

Der Wächter sackte in sich zusammen und bewegte sich nicht mehr.

Keuchend stand Murdoc mit ausgefahrener Talusklinge über dem Kadaver und starrte immer noch voller Rage nach unten. Er merkte, dass er am ganzen Körper zitterte und sein Oberkörper verursachte stechende Schmerzen.

Ein leiser Schrei entwich seinem Mund, als das Karndalf-Signal ertönte.

»Verflucht noch mal! Erschrecken sie mich nicht schon wieder so!«, platzte es aus ihm heraus, bevor sich Dr. Adelfing zu Wort melden konnte. Dieser ignorierte seinen Gefühlsausbruch und sprach mit seiner markanten giftig klingenden Stimme. »Gute Arbeit, John Casper. Wir dachten schon kurzzeitig sie würden ... uns enttäuschen. Ihre Lebenszeichen waren vorübergehend ... bedenklich«.

Murdoc ballte die Hände zu Fäusten und ließ seine Talusklinge am rechten Arm einfahren.

»Und nun beenden sie ihre Mission. Beschaffen sie einen Fötus und vernichten sie die anderen«, fuhr Adelfing fort.

»Vernichten sie die ... anderen? Meine Mission lautete ...«

»Ihre Mission«, schnitt Adelfings Wort durch Murdocs Satz wie ein Messer, »wurde soeben aktualisiert.«

»Warum müssen sie zerstört werden? Was spielt es für eine Rolle ob ...«

Adelfings Stimme erhob sich. »Widersetzen sie sich nicht länger den ausdrücklichen Befehlen des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses! Bringen sie drei Sprengladungen an geeigneten Positionen an und begraben sie damit die restlichen Föten! Wenn sie ein weiteres Mal die Befehle des Zusammenschlusses in Frage stellen, bringe ich sie vor das Kriegsgericht!«

Die Verbindung wurde beendet.

Murdoc war wütend, doch er hatte keine Wahl, er musste gehorchen.

Er führte mehrere Sonarstöße aus, bevor er sich erneut dem Zentrum des Raums näherte.

Dieses Mal wurde er nicht völlig unerwartet nach hinten gerissen und er konnte sich dem Fötus nähern. Er verstand nach wie vor nicht, wie der Wächter seinem Sonar hatte entgehen können. Doch das spielte jetzt keine Rolle.

Vorsichtig berührte er den Fötus an der Unterseite mit seinem Handschuh.

Er fühlte sich sehr weich und zerbrechlich an. Langsam aber bestimmt hob er das eierförmige Objekt, das mit einer grünlichen Maserung überzogen war und führte es in den Kompaktbehälter ein. Grünlich, fluoreszierende Tropfen schwebten langsam aus dem Becken in das Gewölbe. Murdoc verschloss den Behälter und befestigte ihn wie einen kleinen Rucksack an der dafür vorgesehenen Halterung am Rücken seines Anzugs.

Die Energie seines Anzugs hatte besonders unter dem Modifizieren des Umgebungsanpassers gelitten und betrug nur noch vierundzwanzig Prozent. Sonarstöße mit großer Reichweite waren für Murdoc nun sowieso außer Frage, nur noch kleine Reichweiten und wenige gezielte Topografiescans blieben ihm noch übrig. Er konnte froh sein, wenn er lebendig aus der Höhle kommen würde, gerade jetzt, wo er noch die Sprengladungen anzubringen hatte. Ihm lief die Zeit davon und er wusste nicht, wie lange die Energie des Anzugs ihn noch mit Luft und Strom für die Gravitationsstiefel versorgen würde. Er musste sich beeilen.

So schnell er konnte suchte er sich mit einigen gezielten Topografiescans Positionen aus, an denen er drei Sprengladungen platzieren konnte und setzte sich dann in Bewegung.

Murdoc verstand nun noch weniger, was das alles zu bedeuten hatte. Er kannte Missionen durch Erzählungen in der Kantongarde, bei denen die Teams für Wissenschaftler unter gefährlichen Situationen Gesteins-oder Pflanzenproben beschaffen mussten. Doch immer dienten diese Beschaffungen einem klaren Zweck. Die Erforschung einer Pflanzenspezies, die Herstellung eines Krankheitsheilmittels. Doch die Beschaffung eines lebendigen Objekts unter der Koordination des mysteriösen Dr. Adelfing war ihm von Beginn an seltsam vorgekommen.

Doch warum mussten diese Objekte nun allesamt vernichtet werden? Was wurde dadurch bezweckt?

Murdoc erreichte die erste Stelle und platzierte eine Sprengladung. Die Ladungen gehörten zum Standard-Equipment eines Karndalf-Soldaten und wurden normalerweise benötigt, um beispielsweise verschüttete Zugänge frei zu sprengen. Drei dieser Ladungen würden vollkommen ausreichen, um die komplette Struktur des Höhlensystems zu zerstören und alle Föten zu begraben, die sich darin befanden.

»John.«

Für einen entsetzlichen Moment dachte Murdoc, die monotone Stimme würde direkt in seinem Kopf erklingen, wie von einem Geist dort hinein platziert.

Doch er überhörte nicht das leise Knistern des Team-Koms am Ende des Wortes.

»Giebels? Giebels, sind sie das? Sagen sie was Giebels! Sprechen sie schon!«

Das nervtötende leise, unaufklärende Rauschen des Team-Koms war fast schlimmer als die ausbleibende Antwort.

Murdoc merkte, dass er die Luft angehalten hatte und atmete langsam aus, als wolle er damit vermeiden, die schreckliche Stille in seinem Helm und um ihn herum zu brechen.

Das Vis alarmierte über die Zwanzig-Prozent-Grenze der Anzugenergie, die soeben erreicht worden war.

Murdoc nahm ruckartig die zweite Sprengladung aus seinem Gürtel und setzte sich in Bewegung.

Er passierte mehrere kleine Gewölbeabschnitte, in denen sich weitere Föten befanden, bis er an der nächsten geeigneten Sprengstelle ankam. In diesem Gewölbe waren besonders viele Rinnen mit grünlicher Masse, die den Raum heller beleuchteten als Murdoc es bisher gesehen hatte. Er platzierte die Sprengladung und ging zügig weiter.

Als er die dritte Sprengladung anbringen wollte, knisterte sein Team-Kom kurz laut auf und ließ ihn zusammenzucken.

»Giebels?«, flüsterte er kaum hörbar.

Der Schein der Pulslampe auf seinem Helm schweifte über den Boden und entblößte eine Gesteinsformation, die Murdoc an eine Fratze mit Katzenohren erinnerte.

Du bist der letzte! Alle sind Tot außer dir! Du bist ganz allein im Dunkeln und keiner wird dir helfen! Die Fratze schien Murdoc mit einer spöttischen Kinderlied-Melodie zu besingen.

»Leck mich«, murmelte er und drehte sich in Richtung Wand, um die letzte Sprengladung anzubringen.

Da er keine Befehle über einen Zeitcountdown erhalten hatte, hatte er bei sämtlichen Sprengladungen die Fernzündoption aktiviert. Sobald er den Asteroiden verlassen hatte, würde er die Ladungen per Gedankenbefehl über das Vis zünden. Er konnte nicht riskieren, noch länger auf dem Asteroiden zu verweilen. Drei Sprengladungen würden unter Umständen sogar den ganzen Felsbrocken zerschmettern.

Seine Aufgabe hier war erledigt.

So schnell Murdoc konnte machte er sich auf den Weg zu dem senkrechten Tunnel, den Giebels und er beim Abstieg heruntergekommen waren. Murdoc wollte nur noch weg von hier. Weg von der Dunkelheit, weg von den Föten, weg vom fluoreszierenden, grünlichen Licht. Er hastete so schnell es seine Gravitationsstiefel ermöglichten durch das verwinkelte Höhlensystem mit den vielen Föten. Immer wenn er einen Gang passierte, in dem keine Rinne mit grünlich schimmerndem Licht war, verspürte er das Bedürfnis, sich umzudrehen und den Weg abzuleuchten. Er hatte das Gefühl, als würde eine Präsenz, wie der düstere Schleier der Dunkelheit hinter ihm alles verschlucken und in Nichts auflösen.

Einige Kurzstrecken-Umgebungssonarstöße zeigten nichts weiter als die ruhenden Föten. Doch Murdoc wusste immer noch nicht, was mit Foster, Lanzett, Akriba und seit kurzem nun Giebels passiert war.

Murdoc erschauerte.

Sein Neutronengewehr! Er hatte sein Neutronengewehr in der Fötuskammer nach dem Kampf mit dem fünften Wächter liegen lassen. Er verfluchte sich einmal und abermals. Wie hatte ihm nur so etwas passieren können? Noch dazu in einer derartigen Situation! Abgesehen davon, dass er nun keine Fernkampfwaffe mehr besaß, hatte er nun zur Beleuchtung des Höhlensystems nur noch die etwas schwächere Pulslampe auf seinem Kampfpanzer-Helm zur Verfügung.

Vor Wut über sich selbst schrie er laut auf in seinem Helm, ohne an Geschwindigkeit nachzulassen. Es gab kein Zurück mehr. Und er hatte bereits mehr als einen Wächter mit allein seiner Talusklinge besiegt. Doch eine weitere Aktion wie die Modifikation des Umgebungsanpassers würde seine Anzugenergie in extrem kritische Bereiche bringen. So etwas konnte er sich nicht noch einmal erlauben.

Murdoc fluchte ein letztes Mal und erreichte zu seiner Erleichterung den senkrechten Höhlengang, der Giebels und ihn zur Fötus-Kolonie geführt hatte.

Ohne großartig abzubremsen setzte Murdoc zu einem waghalsigen Sprung in Richtung des Tunnels an, der etwa drei Meter breit war.

Zu seinem Erstaunen war ihm der Sprung relativ gut gelungen und er schwebte mittig durch den Durchgang, drehte sich um neunzig Grad und fand mit seinen Gravitationsstiefeln halt.

Genau in dem Moment, als seine Füße zu Boden kamen, schoss ein lautes Zischen des Team-Koms durch Murdocs Helm.

Er keuchte die für den Sprung angehaltene Luft laut aus, um sich von dem Schock abzulenken. Er hätte das Team-Kom auch ausschalten können, doch das wollte er nicht riskieren. Wer wusste, ob sich Giebels oder jemand von den anderen am Ende nicht doch noch meldete?

Murdoc hastete weiter den dunklen Tunnel nach oben. Die Zehn-Prozent-Grenze der Anzugenergie wurde soeben unterschritten. Er konnte es schaffen.

Er würde es schaffen! Von oben aus war es nicht mehr weit bis zum Extraktionspunkt. Aber was war mit Giebels? Sollte er nach ihm suchen? Verdammt, sollten sie ihn Feigling nennen, sollten sie ihn beschimpfen, was auch immer da oben passiert war, Murdoc wollte nicht das gleiche Schicksal erfahren wie die anderen, dessen war er sich sicher. Seine Anzugenergie würde sowieso nicht mehr reichen. Er musste zum Extraktionspunkt.

Wie ein Kribbeln am Rücken verspürte Murdoc wieder diese Präsenz, die hinter ihm alles zu verschlingen schien. Er schaute nicht zurück.

Die Pulslampe auf seinem Helm setzte kurz aus und ging wieder an. Einen Moment war er in absoluter Dunkelheit gewesen.

Nein, nicht meine Pulslampe. Nicht die Lampe! Die Lampe muss halten!

Die Standard-Pulslampen auf den Neutronengewehren oder an Cheops Mark IV Helmen der Kantongarde hielten vier Monate in brennendem Zustand. Diese Lampe konnte einfach nicht den Geist aufgeben.

Die Dunkelheit! Sie verschlingt dich und löst dich in Nichts auf!

Murdoc verscheuchte die singende Fratze mit den Katzenohren aus seinem Gedächtnis und rannte weiter.

Bald kam er dort an, wo Giebels und er Foster Lagebericht erstattet hatten, bevor sie den Kontakt zu dem Missionsleiter verloren hatten.