reSomnium - Dominik Michalke - E-Book

reSomnium E-Book

Dominik Michalke

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Beschreibung

2671: Der Wissenschaftler und Raumschiffpilot Aven Barker gerät in eine Anomalie und stürzt völlig alleine auf einem Eisplaneten ab. Dort findet er eine seltsame, verlassene Station vor. In der Hoffnung, Teile zur Reparatur seines Raumschiffes zu finden, begibt sich Aven auf eine Forschungsmission. Als er jedoch von einer fremdartigen Macht angegriffen wird, bleiben nur die Flucht und Verbarrikadierung in der menschenleeren Station. Vor die Wahl gestellt, zu sterben oder alles zu riskieren, dringt Aven immer tiefer in die unterirdischen Ebenen des Bauwerks vor - verfolgt von den tödlichen Erscheinungsformen jener bösartigen Spezies. Wird es ihm gelingen, nicht nur die Hintergründe der Basis und seines Absturzes zu enthüllen, sondern auch gegen den Verursacher vorzugehen?

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Æris

4. Kapitel

Æris

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

1.

Ich wache auf.

Es kam schon mehrmals vor, vielleicht zwei oder drei Mal in den letzten Monaten. Die Art des Aufwachens ist unterschiedlich. Mal verläuft es eher sanft. Man blickt auf die Uhr, dreht sich im Bett um und schläft weiter. Vielleicht tief und fest wie bereits zuvor. Vielleicht jedoch etwas unruhiger, oder ein leichterer Schlaf.

Ein anderes Mal wacht man auf, geplagt von einem Alptraum, mit Schweiß auf der Stirn, die Fetzen des Traums noch halb präsent im Kopf. Man schießt hoch, sitzt aufrecht im Bett und wartet, bis die Impressionen, die Bilder und die Gefühle langsam abklingen und man sich wieder beruhigt. Wie auch immer diese Arten des Aufwachens sein mögen, sie sind gängig, teils unangenehm, teils leicht zu vergessen. Sie sind ein gewöhnlicher Teil des menschlichen Daseins, völlig normale Begebenheiten, die ein jeder Mensch in seinem Leben erfährt.

Doch heute ist etwas anders.

Ich spüre es sofort, wie eine unsichtbare Spannung, wie eine flüsternde Stimme in meinem Kopf, unendlich leise und doch vernehmbar. Die Stimme, dass ich heute nicht ohne Grund aufgewacht bin.

Ich richte mich auf und wundere mich über die Gänsehaut auf meinem Körper, wo doch der Controller die Temperatur des Raumschiffs auf konstante und angenehme 20 Grad regelt. Ich blicke auf die Uhr neben meinem Bett und frage ich mich, woher nur dieses seltsame Gefühl kommt. Das Gefühl, dass ich heute Nacht nicht ohne wichtigen Grund aufgewacht bin. Dass ich geradezu etwas zu spüren glaube, das anders ist als all die anderen Nächte der vergangenen Monate, die ich genau hier, in diesem Raum, in diesem Bett, auf diesem Raumschiff verbracht habe.

Langsam und mühsam richte ich mich auf und mustere die hellrote Anzeige der Uhr neben meinem Bett, welche die Uhrzeit von 3:34 Uhr in das dunkle Zimmer strahlt. Zwar befinde ich mich im Weltraum, allein auf meinem Forschungsraumschiff, doch die Erdzeit wird nach wie vor eingehalten, damit der Rhythmus des Schlafens und Wachens nicht aus der Reihe gerät.

Obwohl ich mich noch halb so fühle, als würde ich schlafen, zieht mich das Gefühl aus dem Bett, dass ich etwas feststellen muss oder werde. Und gleichermaßen die Neugier, herauszufinden, was dieses unaufhörliche Gefühl erzeugt, seit ich meine Augen aufgeschlagen habe. Gerade so, ohne über den Stuhl vor dem kleinen Arbeitstisch zu stolpern, schaffe ich es, das Hauptlicht meines bescheidenen Schlafgemachs anzuschalten und mich schlaftrunken umzublicken.

Das Bettlaken auf dem Bett am Rand des Zimmers ist zerknittert und verrutscht, das Kissen eingedrückt und die Decke wirkt achtlos zurückgeworfen. Geradezu, als hätte hier in meinem Bett ein Kampf stattgefunden, geht es mir gerade durch den Kopf, als mein Blick unweigerlich wieder auf die rote Anzeige der digitalen Uhr neben meinem Bett fällt.

Sie zeigt noch immer 3:34 Uhr, obwohl meines Erachtens bereits mindestens zwei Minuten verstrichen sein müssen, seit ich aus dem Bett gestiegen bin und mich müde aufgerichtet habe.

Ich denke mir nichts weiter dabei und nähere mich dem Monitor an der Wand, der für den Schlaf abgedunkelt ist. Der Monitor ermöglicht es mir, Zugriff auf die wichtigsten Informationen zu nehmen, die das Raumschiff, seine Position und sämtliche schiffsinterne Daten betreffen.

Nachdem ich mich ausgiebig geräkelt und die Müdigkeit halbwegs abgeschüttelt habe, berühre ich leicht das Touchpad neben der Tastatur und betrachte gedankenverloren das schimmernde, blaue Firmenlogo „ALCATEC“, welches um seine Achse rotiert und schließlich die Sicht auf die ebenfalls in blau gehaltene, unscheinbare Benutzeroberfläche freigibt.

In dem Moment, als ich das rote Sondersymbol des Controllers sehe, habe ich es schon fast wieder geschafft zu vergessen, was für ein seltsames Gefühl mich während des Wachwerdens begleitet hat.

Doch nun, da ich das Symbol blinken sehe, wie ein rotes Auge, ein Bote des Ungewissen, da kommt alles wieder hoch und ich fühle mich unwohl.

Der Controller, die KI des Hauptrechenkerns meines Raumschiffs, welcher für die Kontrolle sämtlicher schiffsinterner Funktionen zuständig ist, kontaktiert mich direkt.

Nicht, dass dies sonderlich ungewöhnlich wäre. Des Öfteren gibt der Controller diese Nachrichten aus, wenn es irgendwelche Dinge zu melden gibt, die nicht vom Rechenkern selbst gelöst werden können oder der Entscheidungen des Commanders bedürfen.

Oft sind es Dinge, die mit geringem Aufwand behoben werden können. Beispielsweise die Entscheidung, ob die Umleitung der Treibstoffzufuhr von Tank Nummer Eins zu Tank Nummer zwei wie empfohlen frühzeitig durchgeführt, oder ob der restliche Treibstoff extrahiert werden soll, was den speziellen Treibstoffbehältern laut Vorschriften der Raumbehörde nicht gerade zugute kommen soll.

Diese Entscheidungen sind mit einer simplen Berührung des Touchpads an der entsprechenden Stelle auf der Benutzeroberfläche aus der Welt zu schaffen.

Doch wie zuvor, als ich im Bett aufwachte, durchdringt mich auch hier nun ein seltsames Gefühl, dass heute etwas ganz und gar nicht gewöhnlich an dieser Kontaktierung des Controllers ist.

Ich betrachte meine Hand, wie sie das Touchpad berührt und auf das Sondersymbol manövriert. Sachte tippe ich das Touchpad an, um die Meldung auf dem Bildschirm zu visualisieren.

Folgende Nachricht zeigt sich vor meinen Augen:

Ich stelle fest, dass ich den Atem angehalten habe und geradewegs durch die Worte starre, sodass die Sätze der merkwürdigen Sondernachricht verschwimmen und unlesbar werden.

Normalerweise sind alle Sondernachrichten gleich aufgebaut und vollkommen logisch. Die Begriffe über der eigentlichen Nachricht geben Auskunft über die Art der Nachricht. Während bei ‚Klasse’ nicht selten ‚Bestätigungsanforderung’ oder ‚Entscheidungsfrage’ zu finden ist, befindet sich hinter dem Wort ‚Ursprung’ für gewöhnlich ein Begriff wie ‚Antriebssysteme’ oder ‚Treibstofftanks’.

Bei dieser Nachricht jedoch ist nichts von beidem enthalten. Ein unklares ‚Nicht definierbar’ ist aufzufinden, was mich unweigerlich nervös macht. Doch viel seltsamer ist der Inhalt der Nachricht, der lediglich eine Aufforderung darstellt, die Brücke aufzusuchen und völlig unlogischerweise etwas von manueller Kurskorrektur vermittelt.

Dies war bisher noch nie der Fall. Alle, und damit meine ich auch alle, Nachrichten konnten bisher von meinem Zimmer aus überprüft und bearbeitet werden. Doch heute fordert mich der Controller auf, die Brücke aufzusuchen.

Da ich nun noch nervöser als zuvor bin und der Sache endgültig auf den Grund gehen will, ziehe ich schnell meine Standard-Bordkleidung an. Neben einem silbernen Oberteil (bestückt mit dem entsprechenden ALCATEC-Logo) ziehe ich mir eine enge, aber dennoch bequeme graue Hose an, bevor ich in meine Schuhe schlüpfe.

Müde bin ich längst nicht mehr. Vielmehr bin ich hellwach, unsicher und gleichermaßen auf eine seltsame Art und Weise gespannt, fast als stünde einem ein spannendes Abenteuer bevor. Allerdings muss ich ehrlich sein, dass ich trotz der eintönigen Tagesabläufe auf meinem Raumschiff auf ein zu bewegendes Abenteuer verzichten kann.

Ich öffne die Tür, blicke kurz den Gang entlang und gehe dann geradewegs über die Kreuzung im Kern des Aufenthaltsbereichs in Richtung der Brücke des kleinen Forschungsraumschiffs.

Die Brücke ist abgedunkelt. Ich weiß, dass der Controller im Zeitraum während meines Schlafsegments die Lichtquellen zur Energieeinsparung deaktiviert, doch eigentlich müsste er sie nun aktivieren, da ich die Brücke betreten habe.

Aus irgendwelchen Gründen ist dies jedoch nicht der Fall.

Lediglich das rötlich blinkende Licht über Terminal 01 leuchtet und wirft Schatten in die Ecken der halbkreisförmigen Brücke, die man aufgrund ihrer Größe vermutlich eher als Cockpit bezeichnen sollte. Ich werfe kurz einen Blick aus dem Frontfenster, betrachte die stillstehenden Sterne, die mich wie tausend weiße Augen anzustarren scheinen und nähere mich dann dem Hauptterminal des Raumschiffes mit der Signierung ‚Terminal 01’.

Zunächst überfliege ich die roten Zeilen auf schwarzem Hintergrund (die dieselbe Nachricht ausgeben wie jene in meinem Quartier) und widme mich dann der eigentlichen Anzeige, die der Controller auf dem Hauptdisplay darstellt.

Was ich sehe, lässt mich zunächst völlig kalt. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil es nicht möglich sein kann. Es muss sich um einen technischen Defekt handeln, der auch die unsinnige Nachricht erklären könnte.

Auf dem Display ist die vollkommen veränderte Position meines Raumschiffes ersichtlich. Ich befinde mich nicht auf einem abgewichenen Kurs zu meinem Ziel, vielmehr befinde ich mich völlig woanders. Geradezu in einer anderen Galaxie, was natürlich völlig unmöglich ist, da mein Raumschiff gar nicht genügend Treibstoff besitzt, um auch nur annäherungsweise meinen eigentlichen Sektor des Aufenthalts zu verlassen.

Die Sternenkonstellationen sind verändert. Der Controller interpretiert die Konstellation ebenfalls als ‚unbekannt’, obwohl die Schiffsdatenbank sämtliche der bekannten Sektoren gespeichert hat. In nicht allzu großer Distanz zu meinem Raumschiff befindet sich ein ebenfalls unbekannter Planet.

Ein technischer Fehler, eindeutig. Es kam noch nie vor, dass der Controller Fehler verursachte, doch ausschließen kann man es nicht (so die Originalworte der entsprechenden Techniker).

Doch wie kann so eine Fehlfunktion entstehen?

Schlagartig, als ich die Grafik noch ein weiteres Mal begutachte, wird mir äußerst unbehaglich zumute, da die seltsame Sternenkonstellation etwas Unheimliches an sich hat.

Die vollkommen berechtigten Fragen schießen mir schlagartig durch den Kopf - Wieso sollte ein Computer eine wirre Sternenkonstellation erzeugen und diese eigenständig als ‚unbekannt’ einstufen?

Riss im Weltraum. Ein Wurmloch. Quantensprung.

Unzusammenhängende Begriffe wandern durch meinen Kopf, als mein Blick auf das Frontfenster der Brücke wandert. Auf das Fenster aus speziellem Solarglas, das den Blick auf den echten Weltraum freigibt. Das Fenster, das nicht lügt. Das Fenster, das keine falsche Information liefern kann wie ein fehlerhafter Computer. Das Fenster, welches die Sternenkonstellation und den nahe gelegenen Planeten auf dem Display des Terminals direkt vor meinen Augen sichtbar macht.

Schockiert über diese Erkenntnis zucke ich zurück und starre mit geöffnetem Mund eine Weile in den Weltraum.

Ruhig bleiben, denke ich mir. Ruhig bleiben, nicht die Nerven verlieren. Alles hat eine plausible Erklärung. Doch die hämmernde Erkenntnis, dass wirklich etwas absolut nicht in Ordnung ist, erlaubt mir keine Ruhe.

Keuchend starre ich nun auf das Display der Hauptkonsole.

Meine Finger rasen über die Bedienfläche und fordern den Controller auf, einen Bericht über den Verlauf der letzten zehn Stunden auszugeben.

Plötzlich jedoch, noch bevor ich den endgültigen Befehl geben kann, verschwimmt die unbekannte Sternenkonstellation geradewegs auf dem Display. Ein schwaches Rauschen ertönt.

Die Sternenkonstellation verändert sich nicht in diesem Sinne, doch einige Sterne scheinen zu zittern und sprunghaft ihre Position zu verändern. Zumindest wirkt es so, was ich zu sehen bekomme. Ich atme einmal tief ein und wische mir schlaftrunken mit den Händen die Augenwinkel aus. Ich schüttle den Kopf und werfe einen weiteren Blick auf das Display. Wenn ich mich recht entsinne, kommt mir die Sternenkonstellation tatsächlich durchaus bekannt vor. Habe ich mir nur etwas eingebildet? Das Bezeichnungsregister des Controllers öffnet sich automatisch und wirft völlig unvermittelt den Begriff des bekannten Sektors aus, in dem ich mich eigentlich befinden sollte.

Ich richte meinen Blick auf das Frontfenster. Ich kann keinen großen Unterschied zu vorhin erkennen, auch der Planet ist noch vorhanden. Ich blicke wieder auf das Display und stelle fest, dass der Planet ebenfalls mit einem Namen versehen wurde. Es handelt sich tatsächlich lediglich um einen der Planeten, die ich auf meinem Heimweg passieren muss.

Ich weiß nicht, was dieser seltsame Vorfall zu bedeuten hat, aber offensichtlich scheint es sich doch nur um einen technischen Defekt gehandelt zu haben. Die Müdigkeit muss mir einen Streich gespielt haben. Kaum zu glauben, wie sehr man sich selbst etwas vormachen und sich in etwas hineinsteigern kann, denke ich mir kopfschüttelnd. Der Controller hat den Kurs des Heimwegs auf der Hauptanzeige aktiviert. Alles ist wie immer, nichts ist ungewöhnlich.

Und dafür wird man aus dem Schlaf gerissen, denke ich mürrisch und bemerke am Rande, dass die Beleuchtung der Brücke aktiviert ist. Sie muss sich bereits aktiviert haben, während ich gerade meine Einbildung von Wurmlöchern und Raumsprüngen an die Spitze getrieben habe.

Vor mich hin murmelnd stapfe ich träge aus der Brücke und lasse das blinkende Terminal mit seinen Anzeigen darauf zurück.

Ich freue mich auf die Wärme meines gemütlichen Bettes, während ich den Zentralgang entlang gehe. Die Zeit, die ich nun verplempert habe, werde ich morgen länger schlafen, denke ich mir (obwohl ich sehr wohl weiß, dass dadurch mein Tagesplan leicht über den Haufen geworfen werden kann) und lasse mich schließlich wohlig stöhnend auf meine Matratze sinken. Noch einen Moment sehe ich den seltsamen Planeten vor meinen Augen, der natürlich nur nicht betitelt war – simpler Controllerfehler – und ich schlafe rasch ein.

2.

Mein Name ist Aven Barker. Ich bin Wissenschaftler. Oder Söldner. Eigentlich beides, wenn man es genau nimmt.

Wir schreiben das Jahr 2671, in dem die menschliche Zivilisation nach mehrfachen Rückschlägen und Komplikationen endlich begonnen hat, den Weltraum wieder effektiv zu erforschen.

Nach der Bildung diverser Gruppierungen für die unterschiedlichen Bereiche (Sicherheit, Forschung, Kommunikation, Neubesiedlung und so weiter) hatte sich schließlich eine Vereinigung mit der Kurzbezeichnung ALCATEC herauskristallisiert, die eine wichtige Schnittstelle zwischen den separat agierenden Gruppen darstellt.

Im Gegensatz zu geförderten großen und teilweise umständlichen Weltraummissionen von früher hat sich das System in diesem Jahrhundert nun dahingehend geändert, dass Personen selbstständig oder in kleineren Gruppen auf Auftragsbasis Missionen annehmen können und den Gruppierungen von ALCATEC zugewiesen werden.

Man könnte also von einer Art “Freelancer-Tätigkeit” sprechen:

Fähige Einzelpersonen qualifizieren sich allein oder in Teams für Missionen, die von ALCATEC gegen Universalkredite ausgeschrieben werden und verdienen sich so ihren Lebensunterhalt. Sie wurden nach kurzer Zeit als Extentioner bezeichnet.

Mit modernsten Technologien wurde es möglich, dass Ausrüstung und Transportmittel wie kleine Raumschiffe für normale Bürger zugänglich und finanzierbar wurden. Der Ansturm an Interessenten war in kürzester Zeit enorm. Zum einen wegen der Abenteuerlust vieler, zum anderen aber hauptsächlich auch wegen der großzügigen Kreditbeträge, die den Erfolgreichen (und oft notgedrungen Geldbedürftigen) von ausgeschriebenen Missionen überlassen wurden.

Innerhalb kürzester Zeit explodierte das Weltraumbusiness geradezu und die Menschheit fing an, weitere Schritte zur großflächigen Expansion in den Weltraum zu unternehmen.

Ich selbst stieg vor ca. 13 Jahren in das Geschäft ein, spezialisierte mich schließlich auf den wissenschaftlichen Bereich und habe nunmehr keine Probleme an Aufträge zu kommen, da ich durch meine langjährige Erfahrung punkten kann und durch meine Erfolgsquote von 96% als einer der zuverlässigsten Extentioner auf dem Markt gelte. Es stellte sich für mich schon nach kurzer Zeit heraus, dass ich persönlich weitaus lieber und vor allem effektiver alleine reise. Daher begann ich schon früh, eine Großzahl an Missionen im Alleingang erfolgreich zu absolvieren, was ebenfalls einen guten Ruf förderte.

Mein Raumschiff ist ein kleines Wissenschaftsschiff der Klasse Erra. Es fliegt nach einer Kurseingabe mit Autopilot vollautomatisch und führt sogar den Dockvorgang an der ALCATEC-Station automatisch aus. Dies bedeutet, dass ich unter Umständen sogar ohne einen Finger zu krümmen vor der Schleusentür verharren könnte, bis die Flugzeit verstrichen und das Raumschiff am Zielhafen angekommen ist. Dort würde sich die Tür öffnen und ich könnte heraus spazieren.

In der Praxis sieht es natürlich wieder ein wenig anders aus, da teilweise Fehlfunktionen auftreten oder Controller-Befehle bestätigt werden müssen. Dies dient gleichzeitig auch als Überprüfung für den Controller, ob der Insasse des Raumschiffs bei Gesundheit oder überhaupt am Leben ist. Falls mehrere Stunden keine Rückmeldung durch den Piloten erfolgt, würde der Controller in ein Notfallprogramm springen, bei dem alle Entscheidungen basierend auf Berechnungen des Kerns getroffen werden. Der Controller schaltet von seiner normalen Autopilotfunktion auf einen Kontrollmodus und würde im Bestfall einen möglichen verletzten Piloten ohne Umschweife zur nächstliegenden Raumstation bringen.

Der Aufbau des Raumschiffs ist schlicht, aber effizient. Der vordere Teil mit der Brücke ist durch einen kurzen Verbindungsgang mit einem zentralen Aufenthaltsbereich verbunden, von dem wiederum alle Bereiche durch weitere Verbindungen zugänglich sind: Der Maschinenraum, das Bad und die Schlafkabine im hinteren Bereich des Schiffes, die Arbeitskabine im linken Flügel - Eine Kombination aus Labor, Büro und Werkstatt - sowie die Schleuse im rechten Teil des Raumschiffes, mit der seitlich an Raumstationen angedockt wird. Lediglich der Rampenbereich zum Verlassen des gelandeten Raumschiffs (beispielsweise für Außenmissionen) wird durch eine Leiter nach unten im Aufenthaltsbereich betreten.

Erdzeit 9:20 - 24.April - Jahr 2679 - Raumschiff der Klasse Erra.

Ich stehe nach einer ausgiebigen Dusche im Aufenthaltsbereich und durchstöbere Geschmacksrichtungen für die Weltraumnahrungsausgabe an der Küchenwand.

Blaubeermuffingeschmack. Limettentorte. Zitronengras-Kaugummigeschmack.

Zitronengras-Kaugummigeschmack? Das kann nicht euer Ernst sein, denke ich mir mürrisch und wische in einer ausfallenden Bewegung über das Touchpad, um weiterzuscrollen. Eigentlich suche ich nur etwas Einfaches, Stinknormales. Aprikose vielleicht. Oder Erdbeere, um irgendwie eine Art Verbindung zu reichlich gedeckten Frühstückstischen aus der Kindheit mit frischem Brot und Erdbeermarmelade herzustellen. Aber die Entwickler der neuen Nahrungsgeneratoren denken offensichtlich, sie müssen immer etwas besonders Tolles, Ausgefallenes integrieren. Dabei geht es nur darum, die immer ähnlich nahrhaften und vitaminreichen Essensrationen geschmacklich zu verschleiern und sie besser aufnehmbar zu machen.

Leise knurrend entscheide ich mich schließlich für die Limettentorte und sehe zu, wie eine grüngelbliche Paste, die eher an Übergebenes erinnert, die Fülldüse verlässt und auf einem kleinen Teller ein sich aufkringelndes Würstchen erzeugt (Vergleiche diesbezüglich verwerfe ich gedanklich rasch, um eine weitere schlechte Morgenlaune gründlich zu vermeiden).

Ich nehme den Teller sowie meinen bereits zuvor zubereiteten Kaffee und setze mich an den Tisch des oktogonal aufgebauten Aufenthaltsraumes im Zentrum meines Forschungsschiffes. Ich klappe das Display auf dem Tisch hoch, um auf den Controller und seine Funktionen zuzugreifen.

Meine Limettentortenpaste schmatzend (so schlecht ist sie gar nicht, wie sie aussieht) wische ich mit raschen Gesten die Entertainment-Menüpunkte Filme, Spiele, Lexika, Weltraumzeitung und Musik beiseite und greife auf die übergeordneten Menüpunkte zu, um noch einmal die Missionsbeschreibung zu überfliegen. Ich möchte abgleichen, ob alle Missionspunkte in meinem Missionsbericht ordnungsgemäß protokolliert wurden. Die Mission wurde bereits ausgeführt und ich befinde mich auf dem Rückweg zu meiner zugewiesenen ALCATEC-Raumstation, um die Berichtübergabe zu tätigen und meine wohlverdienten Kredite einzustreichen. Dies geht jedoch problemfreier über die Bühne, wenn lästige, jedoch notwendige Formalitäten beachtet werden.

Langsam scrolle ich über die Beschreibung, die eine Erforschung eines Asteroidenfeldes im Kappa-System und die zugehörige Abhandlung von Geologie, Astronomie und Meteorologie erläutert.

In diesem Moment erinnere ich mich an die Ereignisse heute Nacht, die ich bis zu diesem Zeitpunkt schon wieder vergessen hatte. Merkwürdig, aber was solls. Ein Traum? Nein, dafür war es zu real. Ein kurzer Blick auf den Nachrichtenverlauf des Controllers zeigt mir, dass ich richtig liege. Die merkwürdige Nachricht von 3:33 ist die Letzte im Verlauf.

Grübelnd setze richte ich mich auf und werfe einen Blick auf die Uhr über dem Zugang zur Brücke, die mittlerweile 9:27 Erdzeit anzeigt. Irgendetwas lässt mir plötzlich keine Ruhe mehr, als kämen sämtliche Gefühle aus der Nacht auf einen Schlag zurück.

Ich möchte der Sache nochmal etwas genauer nachgehen und entscheide mich, direkt zur Brücke zu gehen.

Zurück bleibt lediglich das halb aufgegessene Häufchen Limettentortenpaste, als ich mit der Kaffeetasse in der Hand durch die Schiebetüre in den Verbindungsgang zur Brücke haste.

Nichts, außer die schnöde Verlaufsline des Raumschiffs nach Kurs, ist im Schiffslogbuch zu sehen. An der Seite sieht man die aktuelle Sternenkonstellation sowie einen unbenannten Weltraumnebel, der wie geplant beim Rückflug auf halber Strecke passiert werden soll.

Obwohl mich das Ergebnis bestätigen sollte, dass meine Vermutung über einen Controllerfehler der Wahrheit entspricht, bin ich nahezu enttäuscht. Wie ein unterbewusstes, unruhiges Gefühl, als würde jemand oder etwas in mir noch mehr Antworten fordern, wo es keine gibt.

Mit einer einfachen Handgeste zoome ich auf die 3D-Ansicht des Raumschiffes im aktuellen System heran und schalte mit einem Tippen auf die Zeitverlaufsüberprüfung um.

Dies ermöglicht mir, mithilfe von einfachen Vor-, Zurück- und Pause-Symbolen den Flug bis zum jetzigen Zeitpunkt manuell nachzuvollziehen.

Ich betätige den Zurück-Button und beobachte, wie die Darstellung des Raumschiffs im 3D-Raum mit der Zeitangabe und mitsamt den vorbeifliegenden Sternen und Planeten rückwärts abläuft.

Bei Erdzeit 3:31 hebe ich den Finger vom “Zurück”-Symbol auf dem Display, um die Abspielung anschließend in normaler Geschwindigkeit wieder ablaufen zu lassen. Im Augenwinkel überfliege ich nebenher die Controller-Statusmeldungen, die ab und an Aktualisierungen wie “03:31:22 Update:

Energiesparmodus - ATX 85%” oder “03:31:47 Update:

Automatische Partikelfilterreinigung” auswerfen.

Stumm und mit leicht geöffnetem Mund stehe ich da und warte weitere anderthalb Minuten, um den Moment um 3:33 Uhr zu analysieren.

Das Raumschiff bahnt sich seinen Weg in der 3D-Darstellung und hinterlässt dabei einen dünnen bläulichen Schweif, der den Kurs darstellt. Die Zeit verstreicht, die Missionszeituhr tickt.

3:32 Uhr und 47 Sekunden. Nichts Ungewöhnliches. Das Raumschiff fliegt weiter. Am Rande des in 3D dargestellten Quadranten ist der Planet zu erkennen, der um diese Zeit nachts passiert wurde.

3:32 Uhr und 58 Sekunden. Meine Augen werden ein wenig trocken, da ich angestrengt dastehe und auf das Display starre, ohne zu zwinkern. Das Raumschiff fliegt weiter in der Darstellung.

59 Sekunden.

3:33 Uhr. Im Augenwinkel sehe ich die Controllerbenachrichtigung im Verlauf erscheinen, die ich nachts erhalten habe.

Allerdings ändert sich sonst überhaupt nichts in der Darstellung.

Unzufrieden gebe ich ein schnaubendes Geräusch von mir und analysiere angestrengt die Darstellung. Sterne - in Position.

Planet - in Position. Raumschiff...Nun ja, in Position. Das einzig Merkwürdige ist nach wie vor die Controllernachricht, die insbesondere angesichts der nicht-irregulären Begebenheiten wenig Sinn ergibt.

Ich spule noch einmal auf 3:32 Uhr zurück und sehe mir die Aufzeichnung erneut an. Das gleiche Schauspiel wird erneut am Display dargestellt. Raumschiff fliegt, Sterne wandern, Zeit verstreicht und schließlich die Controllernachricht, ohne irgendwelche Veränderungen.

Das Ganze wiederhole ich mehrere Male, wobei ich abwechselnd auf das Raumschiff, die Sterne und das Gesamtbild mit Statusmeldungen achte.

Das Ergebnis bleibt jedoch das gleiche: Nichts Ungewöhnliches.

Ich spule noch ein wenig hin und her, lasse die Aufzeichnung im Schnelldurchlauf um 22:00 Uhr des vergangenen Tages ablaufen (ebenfalls ohne Besonderheiten) und starte schließlich ein letztes Mal die Aufzeichnung ab Minute 3:30.

Ohne noch sonderlich auf das Display zu achten, starre ich schließlich durch das halbkreisförmige Brückenpult hindurch und fange gedankenverloren an, die Melodie eines alten Radiosongs zu summen.

Das kleine Raumschiffsymbol sieht aus wie ein Haifisch, denke ich gerade, als die Controllernachricht wiederholt um 3:33 Uhr im Verlauf erscheint.

In einer automatisierten Bewegung, die optisch eher an einen Schlag beim Tennis erinnern muss, befördere ich meinen Finger auf das Pause-Symbol.

Die Aufzeichnung kommt zum Stillstand.

Eine ganze Weile beobachte ich die angehaltene Darstellung des Raumschiffs und der Sternenkonstellation und nehme einen Schluck aus der Kaffeetasse.

Schließlich fange ich an, den Gedanken zu akzeptieren, dass meine Unzufriedenheit und das drängende Gefühl im Unterbewussten zur Aufklärung der Anomalie hier nicht beantwortet werden sollen.

Ich wende mich seufzend ab, ohne das aktivierte Display weiter zu beachten und mache Anstalten, in den Aufenthaltsbereich zurückzugehen. Auf halbem Wege jedoch fällt mir ein, dass ich meine Kaffeetasse auf dem Brückenpult stehen gelassen habe.

Daher schlage ich eine sportliche Kehrtwende ein und gehe zügig auf das Brückenpult zu, wo ich die Hand nach der Kaffeetasse ausstrecke und ungläubig den flackernden Stern in der Ecke des Displays anstarre.

Eine Mischung aus Triumph und schlagartiger Nervosität steigt in mir hoch.

Sofort wird mir klar, dass es sich um etwas handelt, das zuvor nicht sichtbar war. Ungläubig starre ich auf den flackernden Stern, der an- und ausgeht, als würde man in unregelmäßigen Abständen einen Lichtschalter betätigen und dabei die Glühbirne beobachten.

Man hätte nun natürlich auch dieses Phänomen wieder einem Controllerfehler zuordnen können, aber eine innere Stimme in mir sagt, dass mehr dahinter stecken muss.

Während ich mich dem Standbild nähere und den flackernden Stern weiter beobachte, geschieht plötzlich das Gleiche mit einem weiteren Stern einige Zentimeter weiter auf dem Display.

Verwirrt blicke ich auf dem Display umher. Ein weiterer Stern.

Und noch einer. Langsam aber sicher fängt es an, wie ein kleiner blinkender Weihnachtsbaum zu wirken. Immer mehr Sterne fangen an zu blinken, nicht nur am Rand, mittlerweile auch auf der anderen Seite und mittig im Display in der Nähe des Raumschiffs.

Ich aktiviere das zweite Display daneben, um auf den Controller zuzugreifen, ohne die Darstellung des anderen Displays zu deaktivieren. Meine Augen springen zwischen den beiden Displays hin und her. Die blinkenden Sterne werden immer mehr.

Ich greife auf die direkte Kommandozeile des Displays zu und gebe einen Befehl zur Echtzeit-Statusüberprüfung ein.

Ich fluche leise, als ich mich mehrmals vertippe, abgelenkt vom ständigen Wechseln meines Blickes auf das Display mit dem stillstehenden Kursverlauf. Wobei man mittlerweile nicht mehr von stillstehend reden kann, da fast alle Sterne wild blinken und den kompletten sichtbaren Teil des Systems übernommen haben.

Ich gebe ergänzende Befehle auf dem Nachbardisplay ein und bestätige. Folgende Statusmeldung wird mir vom Controller zurückgegeben:

ALCATEC -

CONTROLLER – MAIN R100 – ECHTZEIT-STATUSSCAN

UHRZEIT DER BEFEHLSEINGABE: 9:38

SCANNE...

M100: Statusscan abgeschlossen.

ERGEBNISSE:

Schiffbasissysteme: OK

Lebenserhaltungssysteme: OK

Antriebssteuerung: OK

Energieverwaltung: OK - Energiekapazität bei 68%

Allgemeine Subsystemprüfung: Keine Fehler oder Anomalien gefunden.

ENDE DER NACHRICHT

“Warum!”, spreche ich energisch aus und schlage mit der Hand gegen das Brückenpult. Offensichtlich ist, dass hier etwas Seltsames im Gange ist, aber keine Fehlermeldung spricht dafür. Ich merke, wie ich die Worte “Keine Fehler oder Anomalien” geradezu mit Missmut mit den Augen abtaste.

Ich betätige die Option mehrmals, den letzten ausgewählten Befehl zu wiederholen, doch das Ergebnis bleibt das Gleiche.

“Das ist doch Mist”, grummle ich. “Was geht hier vor sich?”

Natürlich antwortet mir niemand. Ich bin der einzige Passagier auf diesem kleinen Raumschiff und draußen ist nichts als das endlose Weltall zu sehen. Die Sprachschnittstelle des Controllers ist bereits seit dem Start der Mission defekt. Ich hatte vor, sie nach der Rückkehr zu ALCATEC zu reparieren.

Daher bleibt nichts nach meinem Ausruf zurück als das leise Summen der technischen Geräte und das Rauschen des Antriebs aus dem hinteren Bereich des Schiffs.

Bis sich ein leises Klicken in das Ambiente miteingliedert.

Ich verharre.

Die Sterne haben aufgehört zu blinken. Das Display mit dem Kursverlauf ist nach wie vor pausiert, aber das Schauspiel scheint vorbei zu sein. Doch bei genauerem Hinsehen merke ich, dass plötzlich ein Stern verschwunden ist.

“Was?”, murmle ich und nähere erneut meinen Kopf dem merkwürdigen Abbild. Das Klicken scheint aus dem Display zu kommen, genauer gesagt aus dem kleinen Lautsprecher an der Seite, der sonst für akustische Signale oder jegliches anderes Audiomaterial gedacht ist, das vom Display wiedergegeben werden soll.

Weitere Sterne verschwinden. Mit verschwinden meine ich, dass sie einfach aus der Konstellationsdarstellung des Displays verschwinden, als hätten sie nie existiert. Der Raum “leert” sich.

Das leise Klicken scheint dabei nicht synchron aufzutauchen.

Es belastet jedoch meine Nerven, wie ich feststellen muss.

“Was um alles in der Welt passiert hier?”, spreche ich leise aus und beobachte die Sterne beim Verschwinden.

Ein Stern weg, noch ein Stern weg - es geht immer schneller.

Bereits die Hälfte der Sterne im Sektor sind verschwunden.

Lediglich das Raumschiff im Zentrum und der Planet bleiben vom Schauspiel unberührt.

Der Planet.

Erschrocken weiche ich zurück, als ich bemerke, dass die Bezeichnung des Planeten verschwunden ist. Stattdessen prangt ein Schildchen mit der schnöden Bezeichnung “Unbekannt” neben dem Objekt. Doch das ist noch nicht alles:

Die Farbe hat sich ebenfalls geändert. Das sättigungsarme Gelb des kugelförmigen Objektes hat sich in ein gräuliches Weiß verwandelt.

Display-Darstellungsfehler, Controllerfehler - Die sich anbahnenden Worte haben keine Wirkung mehr in meinen Gedanken. Endlich habe ich die Bestätigung, die ich unbedingt wollte.

Etwas stimmt hier nicht.

Mein Blick fällt jetzt auf das Raumschiff im Zentrum, das lediglich von zehn oder zwölf Sternen umgeben ist. Die Sterne verschwinden.

Neun, acht, sieben.

Ich sehe mich auf der halbkreisförmigen Brücke um, werfe einen Blick aus dem Hauptfenster (alle Sterne sind dort wie gewohnt sichtbar) und einen weiteren auf das zweite Display.

sechs, fünf, vier, drei.

Das Knacken des Displays trommelt in meinen Ohren, scheint lauter zu sein, obwohl es keinen Unterschied zu vorhin gibt.

Zwei, eins.

Ungläubig betrachte ich das Display.

Null.

Das Knacken ist weg. Auf dem Display ist zentriert mein Raumschiff. Diagonal dazu der weiße verfärbte Planet mit der Bezeichnung “Unbekannt”.

Einen kurzen Moment scheint alles stillzustehen, während ich starr auf das Display in der Brücke blicke.

Ein krachendes Knacken. Aus den Lautsprechern des Raumschiffs. Es müssen alle sein, die gleichzeitig das gleiche Geräusch von sich geben. Das aus dem Display, nur viel lauter, aggressiver und markanter.

Ich zucke erschrocken zusammen.

Zeitgleich fällt die Beleuchtung auf der Brücke aus. Schwaches rotes Standby-Licht färbt das halbkreisförmige Brückenpult in ein blutiges Ambiente.

Ich sehe hektisch um mich. Dunkelheit, nur das Leuchten der Displays und die Sterne draußen im Weltall… Moment mal. Wo sind die Sterne?

Ein Blick aus dem Hauptfenster der Brücke lässt mich einen ungläubigen Schrei ausstoßen. Außer Schwärze ist nichts zu sehen. kalte Schwärze - und ein weißer Planet im oberen rechten Eck.

Ein lautes Knacken durch die Lautsprecher. Ich zucke erneut zusammen.

Ein weiteres Knacken. Wie ein Rhythmus. Herzschläge. Wie das Einschlagen mit einem Baseballschläger auf einen daraufhin brechenden Plastiktisch.

Ich spüre Panik in mir heraufkriechen, schaffe es jedoch trotz der Umstände so versiert zu sein, eine Befehlswiederholung am zweiten Display durchzuführen.

Das Ergebnis lässt mich ein Stück zurückweichen.

ALCATEC - -

-CONTROLLER – MAIN R100 – ECHTZEIT-STATUSSCAN

AAAAAZZZZZZZZ

UHRZEIZEIZEIZEIT DER BEFEHLSEINGABE: E:EE

SCANNE...EEEE

M100: Statusscan abgeschEXOlossen. EXO

ERGEXOEXOBNISSE:

Schiffbasissysteme: FehleEXON

Lebenserhaltungssysteme: EXON

Antriebssteuerung: EEE

Energieverwaltung: EEE- Energiekapazität bei EXONENEEE

Allgemeine Subsystemprüfung: Warnung: Nicht identifiEXONEN

Die Nachricht ist unbrauchbar aufgrund der kryptischen Fetzen innerhalb der Ergebnisanzeige.

In Panik und Nervosität aufgrund dessen, was soeben hier Unerklärliches passiert, donnere ich wie verrückt auf das Eingabefeld des zweiten Displays, versuche einen anderen Befehl einzutippen, vertippe mich und weiche schließlich zurück. Ich fasse mir panisch an den Kopf und drehe mich im Kreis, als würde ich irgendwo einen Ausweg aus dieser Situation finden können.

Ein heftiges lautes Knacken, lauter als alle bisherigen zuvor, schallt über die Brücke.

“Verdammt!”, brülle ich.

Zeitgleich geht das Licht wieder an. Als wäre nie etwas passiert, zeigt das Display den pausierten Status des Kurses an. Alle Sterne sind wieder da wie zuvor und der Planet ist gelblich gefärbt.

Ich richte den Blick auf das Hauptfenster. Wie zu erwarten befinden sich dort draußen alle Sterne, die sich dort auch befinden sollten. Das Spektakel ist vorüber.

Es gibt nun zwei Möglichkeiten.

Möglichkeit 1: Ich bin verrückt. Weltraumkoller. Zu lange allein gewesen. Das wäre dann aber schon sehr merkwürdig, da die Zeitspanne von 17 Tagen zwar lange, aber nicht so lange ist, dass man sich darüber ernsthafte Gedanken machen müsste.

Geschweige denn, dass es ein derartiges Chaos rechtfertigen würde.

Es war alles sehr real, allerdings ist bis auf meine Erinnerung nichts mehr von eben übrig. Sogar die dargestellte Statusscan-Nachricht entspricht der vorherigen Nachricht, bei der alles in Ordnung war.

Dennoch ist für mich Möglichkeit 2 die unangenehme realistische Alternative: Etwas stimmt nicht. Mit dem Raumschiff, mit dem Kurs, mit Irgendetwas.

Ich habe das ungute Gefühl, dass ich auf meinem kleinen Rückflug, der nicht mehr lange hätte andauern sollen, in eine Art Weltraumanomalie geraten bin.

Das Schlimme daran ist, dass die Scanner des Schiffs damit absolut nichts anzufangen wissen und ich somit blind bin. Die Erforschung sollte sich als schwierig erweisen, wenn man davon absieht, dass ich daran generell im Moment absolut nicht interessiert bin und lieber meine Kredite für den erfolgreichen Abschluss der eigentlichen Mission beziehe.

Tatsache ist, dass ich allein im Raum Unmengen an Kilometern von der ALCATEC-Station entfernt bin und sich hier unerklärliche Dinge abspielen. Ich bin vollständig auf mich allein gestellt und muss mir selbst eine Vorgehensweise überlegen.

“Okay”, presse ich so ruhig wie möglich heraus und versuche einen klaren Kopf zu bekommen. Es gibt nicht viel andere Optionen, als die ganze Sache systematisch zu überprüfen und mit wissenschaftlicher Expertise heranzugehen.

Ich entferne die Kursdarstellung vom Display auf dem Hauptpult der Brücke und starte ein Analysewerkzeug. Ich lasse eine Laufzeitprüfung sowie eine Integritätsprüfung über alle Kerne und Speicher des Controllers starten. Damit sollte das Rechenzentrum des Raumschiffs erstmal eine Weile beschäftigt sein. Zudem plane ich nach dem Abschluss die Aufzeichnung von Videostreams der Bordaußenkameras sowie Audioaufzeichnungen. Ich leite die Energiereserven auf die Sensoren, um deren Leistungsfähigkeit zu steigern und schließe meine Eingaben mit dem Wichtigsten von allem ab:

Die Erhöhung der Antriebsgeschwindigkeit.

Dies hat zwar einen größeren Energieverlust und somit höhere Treibstoffkosten zur Folge, jedoch ist mir das unter diesen Umständen egal. Das was vorhin passiert ist, ist mir nicht geheuer und nicht erklärbar. Ich möchte diese Reise so schnell wie möglich abschließen.

Ich lasse meinen Blick noch einmal über sämtliche laufenden Scans auf dem Display wandern und schließlich über die Brücke. Das leise Summen der Geräte und das Leuchten der Displays wirkt geradezu unschuldig.

Ich knurre leise und verlasse die Brücke.

Den Rest des Tages verbringe ich mit den obligatorischen Dingen, die so auf dem Plan stehen. Kleine Wartungsarbeiten, den Missionsbericht abschließen. Viel ist es nicht, sodass ich mir die restliche Zeit irgendwie vertreiben kann. Ich spiele eine Runde Schach gegen die KI des Controllers (natürlich ist die Fehlerquote auf “sehr hoch” eingestellt, da ich mich nicht von einer klapprigen Maschine besiegen lassen will) und esse noch eine Portion “Schweinemedallions an Morchelrahmsauce”, die leider an ein trauriges Häufchen Asche erinnert.

Danach verbringe ich den Abend mit Musik und einer Folge “Quantenpraktiker”, bis ich schließlich auf die Uhr sehe und das Bedürfnis verspüre, mich wieder in meine Schlafkabine zu begeben.

Bei aller Ablenkung und Zeitvertreib geht mir jedoch nicht aus dem Kopf, was für ein seltsames Schauspiel sich heute und auch schon nachts abgespielt hat.

Mit einem sehr unguten Gefühl steige ich in mein schmales Bett und ziehe mir die Decke bis unter die Nase während ich starr nach oben blicke. Wenn es zweimal passiert, passiert es auch ein drittes Mal. Oder ein viertes, fünftes, sechstes Mal, pocht eine Stimme durch meinen Kopf.

Ich verwerfe die Gedanken, dimme das Licht, drehe mich auf die Seite und finde nach mindestens einer halben Stunde endlich einen unruhigen, leichten Schlaf.

Erdzeit 3:33 - 25.April - Jahr 2679 - Raumschiff der Klasse Erra.

Ich schrecke hoch. Mein Atem geht schnell. Hechelnd drehe ich meinen Kopf langsam zur Seite und mustere das abgedunkelte Display der Controller-Schnittstelle. Es ist wieder soweit - ich wache erneut auf, weil ich dieses merkwürdige Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt.

Auch wenn es mir unangenehm ist, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt, muss ich das Display aktivieren und nachsehen.

Ich ziehe ruckartig die dünne Bettdecke von meinem Körper und springe in einer raschen Bewegung aus dem Bett. Ich beobachte, wie meine Hand rasch auf das Display zurast und der Zeigefinger grob darauf einschlägt.

Das Display erhellt sich und zeigt das rotierende ALCATEC Logo. Es verschwindet schließlich und zeigt das rote Sondersymbol, was mir erneut einen Schock durch die Glieder jagt. Wie es da so blinkt, macht mich nahezu aggressiv. Es hat dort nicht zu blinken, mich mit irgendwelchen unheimlichen Anomalien zu beschäftigen, es hat gefälligst auszubleiben und mich auf meinem Heimweg in Frieden zu lassen, denke ich wütend und tippe heftig auf das Symbol.

ALCATEC -

CONTROLLER – SUB R202 – SONDERNACHRICHT

UHRZEIT DER SENDUNG: 3:33

KLASSE: NICHT DEFINIERBAR

BETREFF: NICHT DEFINIEREXBAR

URSPRUNG: EXOUNBEKANNT

BEGINN DER NACHRICHT

C-R202: Bitte suchen sie zur manuellen Überprüfung und zur Korrektur der derzeitEXONEN Position Terminal 01 auf der Brücke auf.

Fehler: Detaillierte Beschreibung und LösungLösungLösungLösung

Es gibt Besuch.

ENDE DER NACHRICHT

Während ich erstmals die Angst in mir hochsteigen spüre, versuche ich mich verzweifelt an strukturierter Herangehensweise und Fehleranalyse festzuklammern.

Ständig scheint das Wort “EXONEN” in bruchstückhafter oder kompletter Form die fehlerhaften Nachrichten zu durchlöchern.

Wie ein Virus, das sich ausbreitet und teilweise Elemente verändert oder zerstört.

Wenn man mal davon absieht, dass ich nun genau um die gleiche Uhrzeit wie am Vortag mitten in der Nacht eine völlig unerklärliche Controllersondermeldung erhalten habe, völlig allein im Weltraum in einem kleinen Raumschiff sitze und zum ersten Mal im Leben absolut keine Idee für eine Vorgehensweise entwickeln kann.

Einer der Gründe, warum ich Wissenschaftler geworden bin, ist genau der, dass sich alles erklären lässt. Geister? - Unfug.

Magie? - Unfug. Alles ist erklärbar. Alles hat eine wissenschaftliche Ursache, die sich nach sorgfältiger Abhandlung von Prozessen, die mit der Materie in Verbindung stehen, herausfinden, analysieren und schließlich erläutern lässt.

Doch während ich mir gut zurede, mich auf meine Gedanken konzentriere und mich dadurch ablenke, springt geradezu die letzte Zeile der Nachricht erneut in mein Blickfeld. Die Zeile, die ich am meisten versucht habe zu ignorieren. Die Zeile, die am wenigsten Sinn ergibt, die garantiert niemals vom Controller stammen kann. Die Zeile, die unvermeidbar Angst auslöst:

Es gibt Besuch.

Völlig irrwitzig, unverständlich und mit Sicherheit nicht ansatzweise Bestandteil der Ausgabe-Stringwerte der Controller-Benachrichtigungseinheit.

Ich habe mich schon gestern sehr unwohl an Bord gefühlt, doch dies schlägt alles.

Es gibt Besuch? Eine fremde Lebensform an Bord? Ein schlechter Scherz? Die Gedanken rasen mir durch den Kopf.

Ich schlage mir leicht ins Gesicht. Ein Traum ist es nicht, soviel steht fest.

Ich besitze eine Waffe an Bord, die fester Bestandteil der Standard-Ausrüstung ist. Sie kam bisher noch nie zum Einsatz, weil die Missionen fast ausschließlich von Bord aus zu erfüllen waren. Lediglich einige Außeneinsätze mit Raumanzug auf kargen, unbewohnten Exoplaneten oder Asteroiden zur Aufnahme von Proben waren früher notwendig. Dies ist jedoch mittlerweile auch kaum noch nötig, weil der relativ neue Bohrer in meinem Raumschiff beispielsweise Gesteinsproben direkt nach der Landung bequem von Bord aus nehmen kann.

Jetzt im Moment jedoch wünsche ich mir diese Waffe jedoch erstmals herbei, wenngleich ich nicht glaube, dass jemand oder etwas, das den Controller meines Raumschiffs ohne nachträglich erkennbare Spuren so manipulieren kann, durch eine Handfeuerwaffe aufgehalten werden kann. Es geht dabei wohl eher um die Sicherheit, die man sich damit vorheuchelt.

Ich merke ein kleines Blitzen aus dem Augenwinkel. Ich richte meinen Blick wieder auf das Display und stelle fest, dass die Nachricht verschwunden ist.

Zunächst denke ich, dass sie sich im Eingangskorb des Nachrichtensystems befindet und nur minimiert wurde. Ein Blick auf das Eingangssymbol zeigt mir, dass die Nachricht jedoch komplett verschwunden ist, als hätte sie nie existiert.

Ich runzle meine Stirn und klicke mehrmals auf das Eingangssymbol, das neben sich eine kleine Null stehen hat.

Natürlich hat meine Tat keine Wirkung. Die Nachricht ist verschwunden. Sie war kurz da - und dann war sie einfach wieder weg.

“Was ist das nun wieder für ein Spuk?”, murmle ich leise und runzle die Stirn. “Was soll das? Was ist hier los?”

Ich überlege kurz, mich einfach wieder ins Bett zu legen und so zu tun, als wäre nie etwas gewesen. Ich würde einschlafen, alles vergessen, morgen aufwachen und meinem Ziel ein ganzes Stück näher sein.

Stattdessen schlüpfe ich in meinen Bordanzug.

So tun als wäre nichts, wäre zwecklos, da eben sehr wohl etwas ist. Anders als die vorherige Nacht sind meine Sinne sind geschärft und klar. Eine unterschwellige Anspannung sitzt in meinem Bauch. Es fühlt sich an, als wäre mein Körper in einer Art Alarmmodus.

Ich stelle mich vor die Schiebetür meiner Schlafkabine und verharre. Erstmals wird mir klar, dass ich mich in Gefahr befinden und diese direkt hinter der Tür liegen könnte. Die unerklärlichen Phänomene kürzlich lassen zwar auf keine konkrete Gefahr schließen, aber das ist vermutlich genau das, was die Sache erst recht schwierig macht.

Ich fasse mir ein Herz und öffne die Tür.

Vor mir verläuft seitlich der Verbindungsgang, der den Aufenthaltsbereich im Zentrum mit dem Maschinenraum im Heck verbindet. Er ist abgedunkelt. Lediglich die schwache Standby-Beleuchtung ist aktiv, die einen bläulichen Schein auf die grauen Metallplatten des Ganges legt.

Der Controller hätte bereits längst registriert haben müssen, dass ich mich auf dem Gang befinde. Automatisiert hätte das Licht aktiviert werden müssen.

Doch nichts dergleichen ist passiert. Nachricht verschwunden hin oder her, das komische Phänomen seit einem Tag ist definitiv noch nicht verschwunden.

Ich verwerfe die Gedanken, die sich wünschen, dass alles nur ein kleiner Tagtraum war und morgen früh wieder alles bestens ist. Dann setze ich einen Fuß in den Gang.

Ich verharre, als würde ich auf eine Reaktion warten. Da nichts weiter passiert, setze ich mich langsam in Bewegung und taste mich mit den Händen an der kühlen Metallwand des Gangs entlang. Langsam gewöhnen sich meine Augen an das abgedunkelte Licht und ich benötige die Stütze nicht mehr.

Zeitgleich stellt sich mir im Kopf eine Frage: Ab auf die Brücke oder in den Ladungsbereich, in dem die Waffe verstaut ist.

Ich verwerfe den Gedanken an eine Waffe. Zum einen aus nervöser Ungeduld, zum anderen, weil sich bisher nur merkwürdige Dinge auf der Brücke abgespielt haben, die sich laut Anzeigen außerhalb des Schiffs befunden haben.

Abgesehen von den merkwürdigen Geräuschen.

Dennoch, denke ich. Ich bin Wissenschaftler und kein Soldat.

Ab auf die Brücke.

Ich bewege mich auf die Schiebetür zu, die mich vom Aufenthaltsbereich trennt. Der Bewegungssensor öffnet sie, als ich mich in entsprechender Reichweite befinde. Dahinter befindet sich der Aufenthaltsbereich, ebenfalls abgedunkelt und in schwacher Standby-Beleuchtung.

Ich verwerfe schließlich sämtliche restlichen, ängstlichen Gedanken und setze mich zügig in Bewegung. Ziel ist das kleine Fach gegenüber der Küchenzeile, in dem alltäglich gebrauchte Gegenstände gelagert werden. Aufgrund meiner kleinen Schwäche für Chaos befinden sich dort auch Objekte, die eigentlich nichts im Aufenthaltsbereich zu suchen haben, darunter ein handliches Analysegerät.

Ich öffne das Fach und wühle in den Gegenständen. Zwei gebrauchte Kaffeetassen sowie ein altes, kaputtes Ladegerät werden gedankenverloren ignoriert, bis ich schließlich das Analysegerät in den Händen halte. Ich schalte es an und überprüfe die Initialisierung der Software.

Das Licht im Raum fängt an zu flackern.

Schlagartig wende ich meinen Kopf und muss darauf achten, dass mir das Gerät nicht entgleitet.

Die Deckenleuchten scheinen verrückt zu spielen. In unregelmäßigen Abständen gehen sie an und aus, was ein Flackern verursacht. Mehrere längere Pausen, in denen das Licht aus ist, legen den Aufenthaltsbereich in absolute Schwärze.

Mein Puls steigt. Es reicht langsam, denke ich, richte mich auf und bewege mich an den Tisch in der Mitte. Mit aggressiven Fingerschlägen trommle ich auf das Display, um die Schnittstelle zum Controller zu benutzen. Ich greife auf die Statuseinstellungen des Raumschiffs zu und navigiere in den Bereich “Beleuchtung”.

Eine schematische Skizze des Schiffs zeigt mit Farbunterscheidung die aktiven Lampen im Raumschiff.

Zu meinem Entsetzen sind alle Lampen als aktiv eingeblendet.

Und ich spreche nicht von den Standby-Leuchten sondern von der Hauptbeleuchtung.

Ungläubig starre ich auf das Display.

Im Hintergrund flackert die bläuliche Standby-Beleuchtung.

Eine lange Pause legt den Raum in totale Dunkelheit.

Ich spüre Gänsehaut an meinem Körper, während ich und das fahl leuchtende Display die einzig lebendig wirkenden Dinge im Weltraum zu sein scheinen. Etwas zwingt mich dazu, den Blick nicht abzuwenden und in die Schwärze zu blicken.

Ich tippe mittig auf die schematische Darstellung, um das Licht des Aufenthaltsbereichs manuell zu steuern. Ich tippe auf den Schalter, der das Licht an- oder ausschaltet.

Keine Reaktion.

Die lange dunkle Pause ist vorüber und das bläuliche Flackern setzt sich fort.

Ich schaffe es, leicht auszuatmen und starte einen Diagnosescan für das Beleuchtungssystem.

Dieser wirft mir jedoch nach wenigen Sekunden lediglich die Meldung aus, dass das System zu 100% funktioniere.

Mein Blick fällt wieder auf das Analysegerät, das vermutlich zuletzt vor zwei oder drei Monaten seinen Einsatz hatte. Ich navigiere hier ebenfalls durch die Menüs und richte mir einen Echtzeit-Scan ein, der ab sofort die Umgebung auf dem Raumschiff überprüfen soll.

Zunächst überprüfe ich Temperaturschwankungen in unmittelbarer Reichweite, dann über 50 Meter Entfernung, was mein Schiff komplett abdeckt. Ich füge Strahlungsmessung, Luftbeschaffenheit und weitere Komponenten hinzu. Bisher hat die Analyse noch keine ungewöhnlichen Ergebnisse geliefert.

Ich bewege mich kreisförmig um den Tisch in der Mitte des Aufenthaltsbereiches herum, während ich das Gerät vor mich halte und von links nach rechts schwenke.

Da die Analysen nach wie vor keine Anomalien vermelden, verharre ich und realisiere, dass ich einen Punkt bisher hinausgeschoben habe. Das Hinzufügen dieser Analyse zum Gerät fällt mir definitiv am schwersten: Anzeichen von fremden Lebensformen.

Mit feuchten Fingern bestätige ich die Eingabe auf dem Analysewerkzeug und richte es vor mich. Ich taste die Wände vor mir mit den Augen ab, als würde ich den Scan damit unterstützen wollen.

Die anderen Eingaben haben keine relevanten oder ungewöhnlichen Messwerte zurückgegeben. Dementsprechend ist die Wahrscheinlichkeit schwindend gering, dass beim Scan nach fremden Lebensformen ein anderes Ergebnis herauskommen sollte.

Ich merke, dass ich mir gut zurede und richte schließlich den Blick wieder auf das Gerät.

Fremde Lebensformen erkannt: 5241514514.

Schmunzelnd und kopfschüttelnd mustere ich das Gerät. Das kann natürlich nicht sein. Ich bin sogar ein wenig beruhigt. Ich hatte tatsächlich schon mit der unheimlichen Zahl 1 gerechnet.

Ein fremdes Etwas an Bord, das sein Unwesen treibt. Eine Tür, die sich plötzlich öffnet, mit einem Monster dahinter. Schon amüsant, in was man sich so hineinsteigern kann.

Ich erstarre, als ich mir die räumliche Analyse genauer ansehe.

Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück und stoße dabei gegen die Kante des Tischs, an dem ich gestern noch meine Limettentortenpaste verspeist habe.

Es scheint überall zu sein. Genauer gesagt in allen Leitungen, in allen Kanälen und Kabeln des Raumschiffes.

Winzige tausend Lebensformen? Ein Virus, der Technik befallen kann? Ein Schwarm-Wesen? Aber wie erklärt das die Phänomene außerhalb des Raumschiffs?

Auch wenn ich schockiert bin, verspüre ich auch ein leichtes Gefühl von Genugtuung. Sogar Erleichterung, denn ich habe endlich den Beweis, den ich wollte.

Denke ich, denn im nächsten Moment klappt das mühsam errichtete Kartenhäuschen auch schon wieder in sich zusammen.

Ungläubig schwenke ich den Scanner hin und her und starre auf die Anzeige, die plötzlich keine einzige Lebensform mehr registriert.

Dies ist einfach unmöglich. Unglaublich, denke ich und richte meinen Blick entschlossen auf die Schiebetür zur Brücke.

Etwas ist da, dann wieder nicht. Etwas erscheint, dann wieder nicht. Etwas spielt sich ab, dann wieder nicht. Ich habe das Spiel gehörig satt. Entschlossen setze ich mich in Bewegung, um die Brücke erneut aufzusuchen.

Angst und Unsicherheit habe ich schlagartig durch Wut und Missmut ausgetauscht, da ich mir vorkomme, als würde mich jemand veräppeln wollen. Als würde jemand ein Spiel mit mir treiben. Wie eine Katze, die mit ihrer Beute spielt… Ich wische den Gedanken mental beiseite und trample durch den Verbindungsgang zur Brücke. Mein Analysegerät ist noch immer in Aktion. Ich schwenke es vor mir in alle Richtungen, während ich laufe, ohne mit etwas anderem als irreführenden Signalen oder eben gar nichts zu rechnen.

Im Moment, als sich die Tür zur Brücke öffnet, setzt das Licht erneut komplett aus. Zu sehen sind die Lichter der Displays - und das, was sich außerhalb des Raumschiffes befindet.

Sternenloser Weltraum und ein Planet.

Mich wundert der sternenlose Weltraum kaum noch. Ebenso, dass der Planet eine weiße Färbung hat. Was diesmal jedoch meine Aufmerksamkeit einfängt, ist die Tatsache, dass der Planet sich nahezu zentriert vor dem Hauptfenster befindet.

Und größer geworden ist.

Größer als gestern, größer als sonst irgendwas - Verdammt, wie groß ist überhaupt größer?

Ich möchte nicht sagen, dass sich das Raumschiff darauf zubewegt, da alles relativ statisch wirkt, aber im Vergleich zum Vortag befindet sich der Planet definitiv näher am Raumschiff als zuvor.

Ich muss mir eingestehen, dass das Bild, das sich mir zeigt, etwas unglaublich Bedrohliches an sich hat. Die Brücke, in Dunkelheit gelegt, der absolut sternenlose Weltraum hinter dem Hauptfenster und ein kalt wirkender, weißer Planet, der wie ein Augapfel auf mich herabblickt. Mich begutachtet.

Ich versuche trotz der erneut heranschleichenden Panik einen klaren Kopf zu bewahren. Gestern habe ich ausführliche Langzeitscans gestartet. Warum nicht die Gunst der Stunde nutzen, um die Ergebnisse zu prüfen?

Ich nähere mich dem Display auf dem Hauptpult der Brücke und versuche dabei, den Blick nicht vom Weltraum draußen abzuwenden. Erst, als ich mich unmittelbar vor dem Display befinde, wage ich einen Blick nach unten.

Ich navigiere durch die Menüführung des Controller-Hauptmenüs, um auf die Scanergebnisse zuzugreifen. Mein Blick springt hektisch zwischen dem Display und dem Planeten vor dem Raumschiff hin und her.

Ich erreiche die Ergebnisausgabe in der Schiffscomputer-internen Ordnerstruktur und sehe - nichts. Nein, mit nichts meine ich nicht, dass die Scans keine Ergebnisse geliefert haben, sondern eben nichts. Keine Scans vorhanden. Keine Ausgabeformulare. Nichts. Als hätte ich nie irgendwelche Scans in Auftrag gegeben.

Spätestens jetzt fängt mir an zu dämmern, dass ich meine wissenschaftliche Herangehensweise langsam beiseite legen sollte. Spätestens jetzt dämmert mir, dass ich einen Gegenspieler habe. Jemanden oder Etwas, das mich angreift.

Nicht auf physische Weise, sondern viel schlimmer, auf unerklärliche, subtile Weise.

Langsam wandert mein Blick nach oben auf das Hauptfenster.

Der Planet ist noch größer.

Täusche ich mich, oder ist er wirklich größer als gerade eben?

Das Licht geht an und beginnt zu flackern. Hier auf der Brücke ist es rötlich, was die unheimliche Situation nicht gerade verbessert. Langsam gehe ich vor das halbkreisförmige Brückenpult und nähere mich dem Hauptfenster, bis meine Nase fast das Spezialglas berührt.

Gegenüber von mir der Planet in kaltem Weiß, der Augapfel im sternenlosen Nichts, starre ich ohne zu zwinkern nach vorne und beiße die Zähne zusammen.

Wer bist du, denke ich. Was bist du.

Lautes Knacken aus den Lautsprechern donnert in meinen Ohren. Es erinnert nahezu an eine Antwort in einer Sprache, die ich nicht verstehen kann.

Ich wirble herum. Das Flackern der Lichter ähnelt mittlerweile eher einem Stroboskop in einer Disko.

Energisch bewege ich mich mit großen Schritten vor das Pult und hämmere ein weiteres Mal Befehle in die Tasten. Ich möchte wissen, was in Gottes Namen mit diesem Planeten los ist.

Die astronomische Karte zeigt das, was sich auch außerhalb des Raumschiffs befindet: Nichts, außer dem Planeten.

Ich starte Echtzeitanalysen und nehme zusätzlich die Daten mit einer Streamspeicherfunktion auf, um sie irgendwie als Videodatei zu behalten und nicht erneut gähnende Leere vorzufinden.

Ohne den Blick abzuwenden, versuche ich, die knackenden Geräusche in den Lautsprechern zu ignorieren und beobachte gebannt den Fortschrittsbalken des Scans.

Daten über den Planeten kommen herein. Endlich etwas Greifbares.

ALCATEC -

CONTROLLER – MAIN R100 – BERICHT

UHRZEIT DER AUSWERTUNG: 3:38

KLASSE: ALPHA

BETREFF: INTERSTELLARE PLANETENANALYSE