Arztroman Dreierband 1007 - Anna Martach - E-Book

Arztroman Dreierband 1007 E-Book

Anna Martach

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Der lange Weg zu deinem Herzen (Anna Martach) Heiße Liebe - kalte Herzen (Anna Martach) Geisel des Herzens (Thomas West) Wintersport-Weltcup in Hindelfingen! Und Daniel Ingold betreut die Sportler. Schon bald stellt er aber fest, dass er durch seine neue Position zwangsläufig in Intrigen hineingezogen wird! Wie kann er es schaffen, sich aus diesem Sumpf zu befreien? Gleichzeitig fliegen unter den Wettkampfteilnehmern auch noch Amors Pfeile.

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Seitenzahl: 377

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Anna Martach

Arztroman Dreierband 3007

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Inhaltsverzeichnis

Arztroman Dreierband 3007

Copyright

Der lange Weg zu deinem Herzen

Heiße Liebe – kalte Herzen

Geisel seines Herzens

Arztroman Dreierband 3007

Anna Martach, Thomas West

Dieser Band enthält folgende Romane :

Der lange Weg zu deinem Herzen (Anna Martach)

Heiße Liebe - kalte Herzen (Anna Martach)

Geisel des Herzens (Thomas West)

Wintersport-Weltcup in Hindelfingen! Und Daniel Ingold betreut die Sportler. Schon bald stellt er aber fest, dass er durch seine neue Position zwangsläufig in Intrigen hineingezogen wird! Wie kann er es schaffen, sich aus diesem Sumpf zu befreien? Gleichzeitig fliegen unter den Wettkampfteilnehmern auch noch Amors Pfeile.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Alles rund um Belletristik!

Der lange Weg zu deinem Herzen

Alpendoktor Daniel Ingold – Band 8

von Anna Martach

Der Umfang dieses Buchs entspricht 101 Taschenbuchseiten.

Wird aus Hagen Kneiffel und der patenten Astrid Krämer ein Paar? Alles scheint dafür – und zugleich alles dagegen zu sprechen, denn im beschaulichen Hindelfingen schlagen die Wogen hoch: Ein Bauvorhaben entzweit die Einwohner. Und wie können sich zwei Herzen vereinigen, wenn die Liebenden auf gegnerischen Seiten stehen? Daniel Ingold versucht sich als Vermittler.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

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1

„Das muss viel schneller gehen. Wie lang täten die denn noch brauchen?“, presste Doktor Daniel Ingold zwischen den Zähnen hervor. Vor ihm auf der Straße lag ein junger Bursche, der dringend ins Hospital musste. Nach einem Unfall mit dem Motorrad hatte er sich schwer verletzt, und es war ein reiner Zufall gewesen, dass der Arzt grad hier vorbeigefahren war und rasch erste fachliche Hilfe leisten konnte.

Welch ein Leichtsinn, um diese Jahreszeit mit dem Motorrad so schnell zu fahren. Überall gab’s Tonnen von Laub, was sich auf den Straßen sammelte, und nach jedem Regenschauer bildete sich ein tückischer Schmierfilm, der selbst Autos zum Rutschen brachte. Um wieviel mehr waren Zweiräder gefährdet?

Und Menschen besaßen nun mal keine Knautschzone, die vor schweren Verletzungen schützen konnte. Da tat auch der Helm net viel helfen, wenn die übrige Kleidung nicht aus stabilem Material bestand, was wenigstens große Fleischwunden verhinderte. So auch dieser junge Bursche hier. Er hatte ganz normale Jeans getragen und eine Jacke, die in Fetzen vom Körper gehangen hatte, als der Arzt den Burschen aufgefunden hatte.

Wäre net ausgerechnet der Daniel hier, hätte der junge Mann vermutlich so viel Blut verloren, dass nix und niemand ihn noch hätte retten können. Doch hier auf der Straße waren die Mittel des Arztes auch eng begrenzt, und sein Blick glitt immer wieder die Straße entlang, ob denn nicht endlich der Rettungswagen auftauchte und den Verletzten rasch in Sicherheit brachte.

Aber die Straßen hinaus aus Hindelfingen waren kurvig, eng und teilweise in einem beklagenswerten Zustand, da dauerte es halt seine Zeit, bis der Wagen durchkommen konnte. Zuviel Zeit vielleicht?

Es war ja schon lang immer wieder im Gespräch, dass eine neue breite, gut ausgebaute Straße am Fuß des Grimsteigs verwirklicht werden sollte. Bisher war das Vorhaben jedoch an den immensen Kosten gescheitert, die allein für die Trasse ausgegeben werden mussten. In diesem Augenblick wünschte sich der Daniel allerdings, dass jemand das Geld schon mal dafür ausgegeben hätte, dann müßte er sich jetzt keine Sorgen darum machen, ob der Bursche hier vor ihm überhaupt so lang leben würde, dass er noch das Zimmer im Hospital zu sehen bekam.

Noch einmal horchte er mit dem Stethoskop die Lunge ab, überprüfte die Verbände und versuchte, eine weitere Blutung zu stillen, während sich ein Stöhnen den blutigen Lippen des Burschen entrang.

In der Ferne klang das Jaulen eines Martinshorns auf. Endlich kamen die Kollegen! Der Daniel atmete auf. Dringend genug hatte er die ganze Sache bei seinem Anruf ja schon gemacht. Aber wahrscheinlich war der Wagen nicht schneller durchgekommen.

„Jetzt tät’s nimmer lang dauern“, murmelte der Arzt und strich dem Verletzten über die schweißige kalte Stirn. Ob der Bursche ihn durch die tiefe Bewusstlosigkeit überhaupt hören konnte, wusste er nicht. Aber ein tröstendes Wort konnte auch nicht schaden.

„Da drüben ist kaum ein Durchkommen“, erklärte der Fahrer des Rettungswagens wenig später. „Ein Auto hat eine Panne, und bis der Abschleppwagen kommt, muss man streckenweise einspurig daran entlang. Tut wirklich mal Zeit werden, dass eine ordentliche Straße gebaut wird.“

„Hat alles Vor- und Nachteile“, meinte der Daniel und schaute zu, wie der Verletzte gleich an den Tropfen mit Ringerlösung und Natriumlösung angeschlossen wurde. Nun würde man schon mal den Kreislauf stabil halten können. Und im Hospital gab’s die Kollegen, die sich um die diversen Wunden kümmern konnten. Er jedenfalls hatte sein Bestes getan, und er hoffte, es würde ausreichen. Sehr nachdenklich fuhr er heim.

Ja, wirklich, alles hatte Vor- und Nachteile. Für manche Leut’ wär’s ganz sicher ein Segen, tät’s endlich eine neue Straße geben. Und doch, die meisten Menschen in Hindelfingen unterm Grimsteig, wie es in der Werbebroschüre für die Touristik hieß, wollten keine bessere Anbindung an die große weite Welt. Unruhe würde es bringen, viele fremde Leut’, und die Beschaulichkeit wäre ein für allemal dahin.

Dabei hatte niemand etwas gegen Gäste, schließlich gab’s ja auch das Feriendorf, in dem das ganze Jahr über Betrieb herrschte, und in dem Feriengäste stets willkommen waren. Doch dabei handelte es sich meist um solche, die bereit waren, sich in das Leben am Ort einzugliedern. Irgendwie war die Welt noch in Ordnung in Hindelfingen, und die neue Straße würde diese Ordnung zerstören – mochte sie auch für einige wenige ein Segen sein.

Das alles ging dem Arzt durch den Kopf, während er jetzt sein Haus erreichte, wo die Sprechstunde eigentlich schon längst begonnen hatte. In der Praxis beruhigten seine beiden guten Geister, Hermine Walther und Maria Schwetzinger, grad die Patienten, die ein bisserl ungeduldig wurden. Aber schließlich ging so ein Notfall vor, und er hatte sich ja von unterwegs gemeldet, damit die Leut’ halt eben Bescheid wussten. Bis zu einem gewissen Grad hatte auch ein jeder Verständnis dafür.

Die Maria strahlte den Doktor an, wie sie es fast immer tat, wenn sie ihn sah. Seit dem ersten Tag hier in der Praxis schwärmte sie insgeheim für den Doktor, was er selbst noch gar nicht bemerkt hatte und die Hermine gutmütig ignorierte. Die ältere Frau, von den meisten nur liebevoll Minchen genannt, drückte dem Daniel die Karteikarte des ersten Patienten in die Hand und half ihm in seinen weißen Kittel. Dabei berichtete sie die Neuigkeiten, die ihn vielleicht interessieren konnten.

„Haben S’ schon gehört? Es heißt, die neue Straße soll jetzt doch gebaut werden“, erzählte sie, und der Daniel hielt verdutzt inne, hatte er das Thema nicht grad in Gedanken noch gewälzt?

Der Arzt seufzte dann schließlich. „Na ja, wie ich grad wieder gesehen hab, wär’s net verkehrt, damit man die Kreisstadt mit dem Hospital schneller erreichen könnt. Aber wer hat das nun schon wieder erzählt? Unsere Vreni vielleicht? Dann tät’ ich’s mit Vorsicht betrachten.“

Minchen lachte auf. Jedermann kannte die Kollmannberger Vreni, die Klatschbase von Hindelfingen. Und in der Tat musste man vorsichtig sein mit dem, was sie an Gerüchten unter die Leute brachte.

„Nein, es war net die Vreni. Im Rathaus haben’s ein Schreiben bekommen, und dann gleich einen Aushang im Kasten mit den Veröffentlichungen gemacht. Heut’ Abend schon ist eine Versammlung des Bürgerbegehrens dagegen.“

„Da verliert auch niemand Zeit, was? Der Protest liegt aber doch eh schon bei der Kreisverwaltung. Was soll denn dann noch diese Versammlung?“ Der Arzt wunderte sich nicht wenig, aber die Hermine war ja noch nicht fertig mit ihren Neuigkeiten.

„Na, die planen doch schon eine Demonstration. Schließlich wird doch in dieser Woche noch mal das Gelände vermessen, und gleich am Montag sollen die Arbeiten beginnen. Die wollen uns hier vor vollendete Tatsachen stellen.“

„Na, da legst dich nieder. Warum pressiert's denn so plötzlich?“, entfuhr es dem Daniel.

„Ach, ich glaub’, die hatten grad ein bisserl Geld übrig“, meinte Minchen trocken. „Und bevor die das an die Landesregierung zurückgeben, wird's eher verbaut, ob’s nun nötig ist oder net.“

Der Daniel schüttelte den Kopf und ging ins Sprechzimmer. Er sah schon jetzt eine Menge Schwierigkeiten voraus, denn es gab nur wenige Menschen hier in Hindelfingen, die sich mit dem Gedanken an diese neue Straße anfreunden konnten. Die meisten waren nicht der Meinung, dass es sich als Segen erweisen würde. Deshalb hatten sie sich in einem Bürgerbegehren gegen den Bau zusammengeschlossen und bereits mehrere Protestnoten bei der Kreis- und Landesregierung eingereicht, bisher allerdings ohne Erfolg – ja, sogar ohne eine Antwort.

Aber das würde sicher nicht alles bleiben, wenn aus den Plänen jetzt Tatsachen werden sollten. Einige Leute hatten im Vorfeld bereits gedroht, dass sie nicht tatenlos zuschauen würden, wenn die Bauarbeiten beginnen sollten.

Der Daniel nahm sich vor, heut’ abend die Versammlung ebenfalls zu besuchen. Vielleicht konnte er beruhigend auf die Leute einwirken. Und sicher wäre es auch gut, wenn der alte Huber, sein Vorgänger hier in der Praxis, dabei war. Sein Wort hatte eine Menge Gewicht.

Seufzend machte sich der Doktor daran, sich erst einmal auf die großen und kleinen Wehwehchen seiner Patienten zu konzentrieren.

2

„Aber meine verehrten Damen und Herren, so kommen wir doch nicht weiter. Sie sollten gute Argumente anführen können, um den Bau der Straße jetzt noch zu verweigern. Es reicht bei weitem nicht aus, nur zu erklären, dass Fremde in den Ort kommen, oder die Landschaft darunter leidet.“ Der Beauftragte der Kreisverwaltung war ein hochgewachsener schlanker Mann mit einer viel zu großen Brille für das schmale Gesicht. Sein Anzug aus feinem Stoff und mit einem perfekten Schnitt wirkte in dieser Umgebung irgendwie fehl am Platze – so wie der ganze Mann selbst.

Herbert Bockmann, so lautete sein Name, fühlte sich etwas hilflos. Man hatte ihn ziemlich überraschend, und leider auch völlig unvorbereitet, nach Hindelfingen geschickt. Nun hatte er das Gefühl, gegen eine undurchdringliche Mauer zu kämpfen, denn niemand hier am Ort sprach in der gleichen Weise wie er – wie ein Bürokrat eben. Er ging auch nicht darauf ein, dass sich noch niemand bei den Bürgern hier gemeldet hatte, obwohl ja eine Petition vorlag, die den Bau verhindern sollte.

Unglücklich schaute er in die Runde, auf der verzweifelten Suche nach jemandem, der ihn unterstützen würde. Doch überall sah er nur ablehnende, ja sogar wütende Gesichter. Eines davon gehörte der Astrid Krämer, einem bildhübschen, feschen Madl, das allerdings so eine Art Anführer der Rebellen zu sein schien. Wenn die Astrid die Stimme erhob, wurde es still im großen Saal vom Kreuzkrug, und die Leut’ hörten zu.

Jetzt stand sie auf und wandte sich an den Bockmann. Ihre Augen blitzten ihn an, doch ihre Stimme war fest, nicht aufgeregt oder hysterisch, sondern sachlich und beherrscht.

„Ich weiß net recht, welche Art von Beeinträchtigung Ihnen sonst noch genehm ist“, begann sie mit leichtem Spott. „Hindelfingen ist ein Ort mit wenigen Ansiedlungen von Gewerbebetrieben, aber mit einem Feriendorf, welches vielen unserer Bürger Lohn und Brot gibt. Die Gäste, die hierher kommen, schätzen die Ruhe und Abgeschiedenheit. Wir alle haben ein recht freundschaftliches Verhältnis zueinander, und die Leut’ täten erwarten, dass hier alles ein bisserl beschaulicher ist. Eine Straße, wie S’ die bauen wollen, bringt Durchreiseverkehr, Unfälle und fremde Leut’, die hier nix verloren haben. Dazu kommt, dass die Landschaft verschandelt wird. Der Grimsteig ist das Markenzeichen von Hindelfingen. Und genau da am Fuß wollen S’ jetzt die Straße bauen und damit das einheitliche Bild zerstören?“

„Das ist aber doch nur Landschaftskosmetik, denn immerhin wird der Grimsteig, der ja als unberechenbar gilt, vor Lawinen und Erdrutschen geschützt“, wandte der Bockmann etwas unsicher ein. „Die Straße wird im Laufe der Zeit an den bestehenden Verhältnissen ...“

„Landschaftskosmetik?“ Die Astrid glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, und unter den anderen Anwesenden erhob sich ein aufgeregtes Gemurmel.

„Was täten S’ denn wohl sagen, wenn da ein Wildfremder herkäme und bestimmen würd’, dass durch Ihre gute Stube eine Eisenbahn gebaut werden muss, weil’s irgendeinem Bürokraten so passen tät’, und es ja zum Segen für alle wäre? Die Schienenführung müsst halt eben so sein, aber immerhin wär’s ja eine Verschönerung des Zimmers, Landschaftskosmetik halt. Da würden S’ auch net unwidersprochen danebenstehen, net einmal dann, wenn man Ihnen versprechen tät’, dass die Böschung nach Wunsch bepflanzt wird. Und genauso fühlen wir uns hier. Der Grimsteig gehört, so wie er ist, zu unserem Leben. Den können S’ net einfach mit einer Straße verstümmeln und behaupten, es wäre zum wohl der Allgemeinheit. Und bisher haben wir’s auch immer geschafft, uns vor den Lawinen und Erdrutschen selbst zu schützen. Da braucht’s kein Landestraßenbauamt, was keine Ahnung hat, was wirklich Not tut. Die Allgemeinheit sind wir nämlich, und wir wollen diese Straße net.“

In einer so klaren und deutlichen Sprache hatte wohl noch niemand mit dem Bockmann gesprochen. Und er hatte auch noch nie mit derart erbittertem Widerstand zu tun gehabt. Meist machten die Leut’ einen Aufstand, weil net genug Mittel für den Straßenbau vorhanden waren. Der umgekehrte Fall war ein absolutes Novum.

Die Astrid war der Meinung, alles gesagt zu haben, was im Augenblick zu sagen war. Unter dem Beifall der Bürger setzte sie sich wieder auf ihren Platz.

Nun aber stand der alte Alois Huber auf. Er hatte mehr als vierzig Jahre hier am Ort als Arzt gearbeitet, kannte die Anwesenden alle persönlich und wusste demnach auch, was er von ihnen zu halten hatte. Einige besaßen gar keine eigene Meinung, sie waren Mitläufer, weil halt eben die meisten Leut’ dagegen waren. Interessant und wichtig waren Menschen wie die Astrid, oder auch der Friedrich Vorderegger, die beide sehr konkret sagen konnten, was an der neuen Straße störte.

„Hört’s mir mal alle zu“, begann der alte Doktor. „Die Astrid hat sehr klar gesagt, was viele von euch denken. Und ich kann mir vorstellen, dass dem Herrn Bockmann nix davon passen tät’. Aber hat schon mal einer von euch über die Vorteile nachgedacht, die durch die neue Straße entstehen könnten?“

„Wo hast die denn gefunden, Alois?“

„In der Waldbrunnschlucht, die sind da abgestürzt.“

„In der Theine, die hat ein Strudel verschluckt.“

Einige Mannsbilder überboten sich förmlich darin, witzige Bemerkungen über die Feststellung vom Huber zu finden.

„Wenn ich mich so narrisch benehmen tät’ wie ihr, würd’ ich im Hospital anfragen, ob in der geschlossenen Abteilung noch ein Platzerl frei ist“, brummte der Alois, und die Zwischenrufe verstummten. „Wir alle leben hier recht zufrieden, ja, ich auch. Und doch gibt’s wenigstens einen guten Grund für die Straße. Habt’s ihr schon mal ausgerechnet, wie lang ein Krankenwagen braucht, um hierher zu kommen – und mit einem Patienten auch wieder zurück? Grad heut’ hat der Daniel diese Erfahrung mal wieder gemacht. Wir wissen noch net, ob der junge Bursch’ durchkommen wird, der sich bei einem Unfall schwer verletzt hat. Und wär’ der Daniel net rein zufällig da gewesen, wär’s ohnehin zu spät gewesen. Der Krankenwagen hat über eine halbe Stunde gebraucht, um auf der Landstraße voran zu kommen, weil eine Panne bei einem Auto die Fahrbahn blockiert hat.“

„Du kannst aber doch net von diesem einen Fall darauf schließen, dass ganz Hindelfingen deswegen eine neue Straße braucht“, widersprach nun plötzlich die Kollmannberger Vreni. Diese Frau war allgemein als Klatschbase bekannt und gefürchtet. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie sich hier auch eingefunden hatte. Doch dass sie aktiv in die Diskussion Eingriff, war bemerkenswert, denn meist hörte sie nur zu und machte aus dem eher ungesagten neue Gerüchte.

Der Huber schaute sie nun ernst, aber freundlich an. „Hast schon mal drüber nachgedacht, wie das für den einzelnen ausschaut, Vreni? Wenn dein Sepp einen Herzanfall bekommt, der Daniel und ich grad unterwegs sind, was machst dann? Du wartest. Und der Rettungswagen kommt net.“

„Alois, das ist zu weit hergeholt“, unterbrach die Astrid. „Wenn’s wirklich so ernst ausschaut, dann müssen wir schauen, eine andere Möglichkeit zu finden. Wenn wir alle sammeln, dann sollt’ es uns gelingen einen Rettungswagen hier bei der Feuerwehr zu stationieren.“

„Dann hast immer noch keinen Doktor, wenn wir unterwegs sind“, gab der Daniel in diesem Moment zu bedenken. Auch er stand auf und schaute in die Runde. „Versteht mich und den Huber bitte net falsch. Auf der einen Seite finden wir’s auch grässlich, wenn sich da so ein Bandwurm mit Autos drauf durch unsere Landschaft schlängelt. Aber wir sehen auch die andere Seite, und die sagt uns, dass Menschenleben in Gefahr sind.“

„Da tätst jetzt aber maßlos übertreiben“, meldete sich nun auch der Vorderegger. „Seid mal ehrlich, wie viele Fälle hat’s gegeben, wo’s dringende Transporte gab? Das können aufs Jahr gerechnet net mehr als zwei gewesen sein. Und bisher hat’s immer gut gegangen, ist noch keiner gestorben, weil der Wagen zu spät kam. Ich glaube net, dass ihr daraus die Notwendigkeit ableiten könnt, dass die Straße unbedingt gebaut werden muss.“

„Halt, wart’ mal, Friedrich, jetzt tätst uns da was unterstellen, was keiner von uns so gesagt hat. Der Daniel und ich geben zu bedenken, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es mal net mehr ausreicht mit dem Transport. Falls jemand stirbt, eben weil der Wagen zu spät kommt, dann möcht’ ich net das Geschrei hören. Wärst dann net der erste, der die neue Straße fordert? Aber das tät’ ja net heißen, dass wir um jeden Preis die Straße haben wollen.“

Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Natürlich hatten die beiden Ärzte nicht unrecht. Aber wirklich, bisher war immer noch alles gut gegangen. Warum sollt’ es dann irgendwann anders sein?

„Ich glaub’, dass ihr alle viel zu schwarz seht“, rief die Vreni wieder dazwischen. „Ich hab volles Vertrauen darein, dass einer von euch beiden zur Stelle ist, wenn es Not tut. Und dann tät’s reichen, wenn auch später der Rettungswagen kommt. Es bleibt dabei, wir brauchen diese Straße net.“

„Aber meine liebe gute Frau, ob es Ihnen nun passt oder nicht – die Straße wird ab Montag gebaut. Da können Sie hier ruhig noch so lang diskutieren und protestieren, wie es Ihnen gefällt, Sie werden an den bestehenden Tatsachen nichts ändern.“ Der Bockmann hätte sich am liebsten die Haare gerauft. Worüber redeten diese Leut’ eigentlich? Die meisten waren gegen den Bau, die Ärzte schienen dafür, und doch lief alles wieder darauf hinaus, dass sie alle geschlossen gegen die Straße waren. Oder hatte er da irgendwo etwas verpasst?

„Ich bin ganz bestimmt net Ihre liebe gute Frau“, fauchte die Vreni den Bockmann an. „Ich weiß sowieso net, was so ein Lackaff’ hier soll, der erst auf der Landkarte nachschaun muss, wo Hindelfingen überhaupt liegt.“

„Der hat doch eh keine Ahnung“, lachte eines der Mannsbilder. „Der tät’ bestimmt sogar den Herrn Pfarrer für den Bestatter halten.“

„Ich muss doch sehr bitten“, meinte der Beamte pikiert.

„Ach, geh, sei stad, wir wollen deine Straße net. Geh hin und bau’ sie woanders.“

„Aber meine Herrschaften, bittschön, so kommen wir doch nicht weiter. Ihre Proteste sind zur Kenntnis genommen worden ...“

„Von wem denn?“, wollte einer wissen. „Da tät’ sich jedenfalls bis heut’ keiner gemeldet haben, der was davon gelesen hat.“

Jetzt hatte der Bockmann aber genug. Neben ihm saß der Bürgermeister und hatte bisher noch keine Anstalten gemacht, in irgendeiner Form in die Diskussion einzugreifen. Hilfesuchend schaute der Beamte nun den Reitmayr an. Der Karl schüttelte den Kopf, er konnte mit diesem Beamten auch nix anfangen.

„Von mir können S’ hier keine Hilfe erwarten, ich bin auch gegen die Straße, und ich tät’ auch net einsehen, dass ich diesen bürokratischen Schwachsinn unterstützen soll.“

„Dann ist meine Anwesenheit hier völlig überflüssig. Im Grunde hätte man sich diese Versammlung tatsächlich sparen können“, erklärte der Bockmann bitter.

„Wie schön, dass S’ das auch schon einsehen. Am besten kommen S’ erst dann wieder, wenn S’ den Bescheid haben, dass die Bauarbeiten gar net erst anfangen.“

Ein wütender Blick traf den Bürgermeister. „Den Tag werden Sie in Ihrer Amtszeit wohl nicht mehr erleben.“

Der Bockmann ging hinaus. Hinter ihm wurde die erregte Debatte jedoch noch fortgeführt, während der Dernbacher Franzl, der Wirt vom Kreuzkrug, eine Runde auf Kosten des Hauses ausschenkte.

3

Noch am Samstag und Sonntag waren die ersten Baumaschinen aufgefahren. Warum die Arbeiten ausgerechnet im Herbst, kurz vor dem Einbruch der kalten Jahreszeit und dem ersten Schnee, beginnen sollten, würde vermutlich auf ewig ein Rätsel bleiben. Der Bürgermeister hatte eine einigermaßen einleuchtende Erklärung. Es handelte sich bei den Mitteln um Gelder, die übrig geblieben waren und nicht an die Landeskasse zurückgegeben werden sollten. Damit hatte Minchen den Nagel auf dem Kopf getroffen mit ihrer Vermutung.

Sobald mit dem Bau begonnen worden war, würden dann vermutlich auch die restlichen Gelder fließen, so hoffte man zumindest. Im anderen Fall würde sich nämlich eine unendliche Baustelle entwickeln, die ein Ärgernis für jedermann sein würde, weil jedes Jahr nur eine begrenzte Summe für den Weiterbau zur Verfügung stehen würde.

Eine ganze Reihe von Bürgern hatte sich misstrauisch den Aufmarsch der großen Maschinen angesehen. Am liebsten hätten sich die Leut’ mitten in den Weg gestellt und so die Zufahrt versperrt. Der Obermayr Schorsch aber, der örtliche Polizist, hatte allen unmissverständlich klargemacht, dass er keine Behinderungen dulden würde. Er würde einen jeden eigenhändig aus dem Weg holen, der gegen das Gesetz verstieß. Und der Schorsch war ein großer kräftiger Kerl, der war net leicht beiseite zu schieben.

So waren sie alle in gebührender Entfernung geblieben und hatten nur die Augen weit aufgerissen. Beeindruckend schaute das schon aus, wie die riesigen Schaufelbagger und LKWs da einfuhren, und besonders die Jugendlichen waren fasziniert. Aber noch hatte niemand Anstalten gemacht, mit dem Bau zu beginnen, und so hatten sich die Leut’ erst einmal wieder verlaufen.

Am Montag früh fuhr die Astrid hinaus zum Gelände und wunderte sich, dass immer noch niemand hier war. Sollten die Arbeiten denn nicht heute beginnen? Warum wuselten dann keine Arbeiter herum oder bedienten die Maschinen?

Mittlerweile war das Gelände aber trotzdem großräumig abgesperrt worden. Wann? Mitten in der Nacht? Das war etwas mysteriös, fand das Madl, vor allem auch deswegen, weil immer noch niemand hier zu sehen war. Kein Bauleiter, der da stand oder Arbeiter, die begannen, mit dem Bagger den Boden abzutragen; niemand, der auf dem Gelände herumlief, um was auch immer zu tun.

Die Absperrungen kümmerten das Madl nicht, sie kletterte darunter hindurch und lief zwischen den riesigen Maschinen umher. Damit konnte man wirklich in kurzer Zeit eine ganze Menge an Aushub bewegen. Und ganz bestimmt waren diese Maschinen dort gut zu gebrauchen, wo man schnell und dringend eine Straße bauen wollte.

Aber doch net hier!

Die Astrid seufzte. Ganz bestimmt würde sie noch eine Demonstration organisieren müssen. Unwidersprochen würde niemand in Hindelfingen diese Frechheit hinnehmen. Doch net heut’. War ja eh niemand da, eine Demonstration würde ins Leere laufen. Sie drehte sich um und wollte wieder gehen, als sie ein Geräusch hörte, das nicht in diese Umgebung gehörte. Es klang wie ein Ruf, oder vielleicht ein Schmerzensschrei?

Das Madl hob den Kopf und lauschte. „Hallo, ist da jemand?“, rief sie laut und schaute sich suchend um.

Wieder hörte sie einen unterdrückten Ruf.

„Ja, wo soll ich S’ denn finden? Brauchen S’ Hilfe? So sagen S’ doch was Gescheites.“

Hinter einem der großen Bulldozer war doch schon eine Grube angelegt, deren Sinn dem Madl nicht ganz klar war. Die Töne kamen aus dieser Richtung. Die Astrid ging auf das Loch zu und schaute hinunter, dann entfuhr ihr ein Schreckensruf.

„Ach, du lieber Himmel.“

Unten am Boden der Grube lag ein Mann in seltsam verkrümmter Haltung. Als er jetzt in unmittelbarer Nähe die Stimme des Madls hörte, schaute er nach oben, und Erleichterung malte sich in seinem Gesicht, wo sich deutlich Schmerzen abzeichneten.

„Ich bin gestürzt, und ich fürcht’, ich hab mir arg den Fuß verletzt. Können S’ Hilfe holen?“, bat er mit gepresster Stimme.

„Warten S’, ich helf’ Ihnen da heraus“, bot die Astrid an, doch er winkte mit einem traurigen Lächeln ab, wobei er ihre schlanke Gestalt musterte.

„Das schaffen S’ wohl kaum allein. Rufen S’ lieber wen.“

In den Augen des Madls flammte Empörung auf. „Ist ja wohl die Höhe, dass diese Deppen hier ein Loch graben und nix absichern. Da hätt’ auch ein Kind hineinfallen können. Was wär’ dann wohl passiert?“

„Na, abgesperrt ist ja schon, aber das scheint S’ ja auch net gekümmert zu haben.“

Die Astrid zuckte die Achseln. „Ich tät’ auch aufpassen. Aber selbst dann ist’s net ungefährlich. Ich hab’s ja gleich gewusst, dass was passieren wird, wenn diese unnütze Straße gebaut wird. Aber jetzt werd’ ich S’ erst mal herausholen.“

Zum Erstaunen des Mannes holte das Madl ein Seil, befestigte es an einem der Bagger und ließ sich dann vorsichtig selbst in die Grube hinab.

„Sind S’ eigentlich noch zu retten?“, fauchte er sie an. „Auf diese Weise können S’ mir bestimmt net helfen. Da tät’s schon ...“

„Warum sind Mannsbilder eigentlich immer fest davon überzeugt, dass nur sie allein recht haben?“, fragte sie ein bisserl belustigt, aber auch empört. „Können S’ sich net vorstellen, dass ein Madl wie ich sich selbst helfen kann? Passen S’ mal auf.“ Mit raschen geschickten Fingern knotete die Astrid eine Schlaufe, die sie dem Mann um den Oberkörper schlang. „Halten S’ sich einfach daran fest, ich werd’ S’ hochziehen.“

Noch bevor er protestieren konnte, musste er erstaunt feststellen, dass die Idee der Astrid gar net so dumm war. Denn der Bagger dort droben besaß eine Seilwinde, die sie jetzt einfach benutzte. So dauerte es gar nicht lang, bis der Mann oben auf dem Boden hockte. Der Knöchel war arg geschwollen, wie man auf den ersten Blick sehen konnte, und die Astrid hoffte für den Mann, dass es sich nicht um einen Bruch handelte. Dann würde er länger was davon haben.

„Was machen S’ hier überhaupt auf dem Baugelände?“, erkundigte sich das Madl.

Ein unmerkliches Zögern, dann ein verlegenes Lächeln. „Ich war neugierig“, gestand er dann.

„Ach, tatsächlich? Willkommen im Club“, grinste sie. „Und nun kommen S’, ich tät’ Ihnen zu meinem Auto helfen, dann fahren wir zum Doktor. Der muss sich dringend den Fuß anschauen. – Ach ja, herzlich willkommen in Hindelfingen.“

4

„Das schaut aber gar net gut aus“, meinte Doktor Ingold und betastete vorsichtig die Schwellung und den Knochen. Der Mann verzog das Gesicht, sagte aber nichts.

„Gebrochen scheint der Knochen net, aber das werden wir erst genau nach dem Röntgen wissen. Auf jeden Fall werden S’ die nächsten Tage net arbeiten oder einen Marathonlauf bestreiten können.“

„Ach, wie schad’, genau das hatt’ ich für morgen vor“, flunkerte der Mann mit bissigem Humor.

„Ich weiß ja net, was S’ überhaupt hier so vorhatten. Aber wenn’s nix besseres wissen, dann sollten S’ sich im Kreuzkrug einquartieren. Da werden S’ gut versorgt. Na ja, ich mein – wenn S’ sonst niemanden haben ...“ Der Daniel brach ab, er wollte hier nicht unbedingt indiskret werden.

Die Astrid befand sich noch mit im Behandlungsraum, und irgendwie hatte der Arzt das Gefühl, das Madl hätte ein Auge auf diesen sympathischen Burschen geworfen. Aber wenn, dann hatte sie es selbst noch net bemerkt. Doch mit seiner Frage würde er gleich klarstellen, ob der Mann schon in festen Händen war.

„Nein, da ist niemand“, kam denn auch die Antwort. „Und es ist schon komisch. Ich hatt’ doch tatsächlich vorgehabt im Gasthaus ein Zimmer zu nehmen.“

„Na, dann können S’ Ihren Fuß wenigstens in schöner Umgebung auskurieren“, meinte die Astrid. „Gute Besserung tät’ ich wünschen.“ Sie wandte sich ab und wollte gehen, doch er streckte die Hand aus.

„Momenterl noch, so warten S’ doch. Ich hab mich noch gar net bei Ihnen bedankt. Und ich hab mich auch noch net mal vorgestellt.“

„Da ist kein Dank notwendig“, murmelte sie. „Das hätt’ doch schließlich ein jeder getan, ist ja immerhin Christenpflicht und eine Selbstverständlichkeit.“

„Nein, ich glaub’ net auf diese Weise. Mein Name ist übrigens Hagen Kneiffel.“ Er strahlte das Madl an. „Und Sie müssen mir eine Gelegenheit geben, auf ordentliche Weise Dankeschön zu sagen. – Bitte.“

Der Hagen hatte braune Augen, die sich jetzt intensiv und bittend auf das Madl richteten. Der Daniel schmunzelte in sich hinein. Na, wenn das net der Beginn einer Romanze war, dann wollte er nicht mehr Daniel Ingold heißen.

Die Astrid konnte diesem Blick denn auch nicht widerstehen. „Also gut, morgen komm ich herein und werd’ mal schauen, wie’s Ihnen geht.“

„Dann werden S’ mir auch erlauben, Sie zu einem Kaffee oder so was einzuladen?“

„Wir werden sehen.“ Sie ging endgültig, und der Hagen schaute ihr versonnen hinterher. „Ein sauberes Madl“, bemerkte der Doktor.

„Das können S’ mal laut sagen. Ich glaub’, sowas ist mir noch net begegnet.“

„Und so was wird Ihnen auch so schnell net mehr begegnen“, erklärte der Doktor trocken. „Das Madl ist nämlich unser Hufschmied.“

5

Da hatte er ja wohl förmlich in ein Wespennest gestochen, und allein die Idee, jemandem zu offenbaren, wer er war, bereitete ihm kaltes Grausen. Offensichtlich würde jemand wie er hier nicht gut gelitten sein.

Mit einiger Mühe und vereinten Kräften hatte der Doktor dem Hagen bis zum Kreuzkrug hin geholfen, wo der Dernbacher sofort dafür sorgte, dass er ein Gästezimmer zu ebener Erde bekam. Dann hatte man ihn endlich allein gelassen – nicht ohne ihm vorher das Versprechen abzunehmen, sich zu melden, falls er Hilfe brauchte, oder was auch sonst.

Hagen hatte aufgeatmet, als sich die Tür endlich geschlossen hatte. Hier saß er nun, mitten in der Höhle des Löwen, und bisher wusste noch niemand, um wen es sich bei dem verletzten Fremden handelte. Was würde wohl dieses reizende Madl, die tatkräftige Astrid, sagen, wenn sie erfuhr, dass er der verantwortliche Bauleiter war, der die Oberaufsicht über den Straßenbau führte? Wahrscheinlich hätte sie ihn dann da unten in der Grube liegengelassen, wäre ihr die Wahrheit bekannt gewesen.

Dabei war das wirklich ein fesches Madl, und der Hagen freute sich drüber, dass er sie kennengelernt hatte. Wenn es ihm gelang, noch einige Zeit seine wahre Funktion zu verschweigen, würde sie ihm dann vielleicht schon genug vertrauen, um ihm zu verzeihen, dass er sie nicht gleich darauf hingewiesen hatte? So ganz sicher war er sich dessen nicht. Nach allem, was er bisher über das Madl gehört und heut’ auch gesehen hatte, war sie wohl die Anführerin der Gegner der Straße. Wie würde sie dann Gefühle für ihn empfinden können, da er doch auf der anderen Seite stand?

Eines war dem Mann aber jetzt schon klar: Er hatte auf keinen Fall vor, dieses Madl wieder von der Angel zu lassen. Er würde sich um sie bemühen, denn dem Hagen war etwas passiert, was er bis vor einigen Tagen, eher einigen Stunden, als vollkommen unmöglich bezeichnet hätte. Er hatte sich auf den ersten Blick verliebt.

Nun ja, die Astrid schaute aber auch einfach nur zu reizend aus, wie er fand. Dunkelblondes Haar mit natürlichen Locken trug sie in einer praktischen, kurz geschnittenen Frisur, die das schmale Gesicht mit der kleinen geraden Nase schmückte. Die Gestalt wirkte zierlich, was auf jeden Fall darüber hinwegtäuschte, dass dieses Madl doch recht groß gewachsen war. Und wenn’s tatsächlich hier am Ort der Hufschmied war, dann musste sie wohl über beträchtliche Körperkräfte verfügen, die niemand in der schlanken Figur vermuten würde.

Und diese Augen erst! Tief dunkelblau, wie ein unergründlicher Bergsee, und genauso klar. Augen, in denen man sich verlieren konnte.

Der Hagen träumte mit offenen Augen und ließ dabei völlig außer Acht, dass die Astrid doch vielleicht einem Burschen schon längst versprochen sein konnte. Madln wie sie gab’s net an jeder Straßenecke, und wer eines davon fand, gab es nicht wieder her. Aber die Astrid selbst mochte wohl auch wählerisch sein. Und aus irgendeinem Grund war der Hagen sicher, dass sie nur auf ihn gewartet hatte. Das jedenfalls wollte er glauben.

Jetzt allerdings sollte er sich erst einmal um seinen verletzten Fuß kümmern. Der Daniel hatte ihm ein Päckchen gegeben, in dem sich ein Gel befand, was angenehm kalt wirkte. Dazu ein bisserl Salbe und das Bein schön hoch gelegt, dann musste es besser werden.

Trotz der Schmerzen, die in dem ganzen Bein pochten, schlief der Hagen überraschend schnell ein. Die Aufregungen forderten ihren Tribut.

6

Es ging der Astrid eigentlich ebenso. Auch ihre Gedanken beschäftigten sich sehr intensiv mit dem Hagen. Allein schon der Name war ungewöhnlich, fand sie, bis ihr einfiel, dass dieser Name schon eine lange alte Tradition besaß, wenn auch vielleicht net unbedingt hier in dieser Gegend.

Was mochte er wohl gar draußen am Baugelände gemacht haben? Hier aus der Gegend stammte er jedenfalls nicht, das hätte sie gewusst, denn wie die meisten Menschen aus Hindelfingen kannte sie fast jeden hier. Na, spielte ja auch keine Rolle – oder doch? Einen so faszinierenden Burschen hatte sie hier noch nie gesehen, und zum erstenmal hatte die Astrid das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, der ihr Interesse weckte. Und das lag sicher vor allem daran, wie der Hagen ausschaute.

Oh ja, männlich wirkte er gleich auf den ersten Blick. Hochgewachsen, einen Kopf größer als die Astrid selbst, dabei aber schlank und sportlich. Braune Augen, die sehr ausdrucksstark wirkten, kurze braune Haare standen etwas unordentlich nach allen Seiten ab und schienen sich beharrlich zu weigern, dem Kamm zu gehorchen. Das Gesicht war markant und zeigte deutlich, dass es sich um einen Mann handelte, der es gewohnt war sich durchzusetzen.

Was er wohl beruflich tat? Nun, früher oder später würde er es sicher erzählen. Sie konnte ihn ja auch einfach danach fragen. Denn auch die Astrid war fest entschlossen, die ganze Sache und vor allem diesen Mann nicht einfach zu vergessen. Sie würde den Hagen im Kreuzkrug besuchen, gleich morgen. Denn schließlich wollte sie ja auch wissen, ob es ihm besserging. Und wer wusste schon, was sich noch daraus entwickeln würde.

Ihre Gedanken beschäftigten sich noch weiter zufrieden mit diesen Aussichten, als sie nach Hause zurückkehrte. Ihre Werkstatt lag gleich neben dem Wohnhaus, und voller Schuldbewusstsein fiel ihr grad ein, dass sie eigentlich einen Termin mit dem Vorderegger hatte. Zwei Pferde mussten komplett neu beschlagen werden.

Das Berufsbild des Hufschmieds hatte sich im Laufe der Zeiten stark gewandelt. Heutzutag war es gang und gäbe, dass ein Hufschmied nicht nur in der eigenen Werkstatt arbeitete. Die Astrid hatte sich einen Lieferwagen umgebaut, in dem sich ein transportabler Ofen befand, wie auch eine reduzierte Form der Werkstatt. So war es ihr möglich, auch andere Ortschaften anzufahren und dort die Tiere zu versorgen, deren Besitzer aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage waren nach Hindelfingen zu kommen. Und natürlich war es auch viel praktischer für die Pferde, wenn sie nicht erst den unruhigen Transport und dann noch das unangenehme Beschlagen über sich ergehen lassen mussten. Es verursachte ihnen zwar keine körperlichen Schmerzen, doch allein das Hantieren an den Hufen, sowie auch das Reinigen und Beschneiden des Horns war für einige Tiere ein Problem.

Dabei war diese Arbeit jedoch dringend notwendig, weil in der heutigen Zeit die Hufe nicht mehr so benutzt wurden, dass sich das überschüssige Horn ablaufen konnte.

Die Astrid liebte Pferde, und schon als Jugendliche hatte sie dem damaligen Hufschmied geholfen, später war dann aus dem Hobby eben ein Beruf geworden, auch wenn es eine Menge Leute gab, die das für reichlich merkwürdig hielten.

Jetzt aber lächelte sie den Vorderegger etwas verlegen an. „Tut mir leid, Friedrich, da hab ich grad erst Lebensretter spielen müssen, sonst wär’ ich schon lang hier gewesen.“

„Was hast gemacht, Mund-zu-Mund-Beatmung? Wer war denn der Glückliche?“

Der Friedrich war ein gutmütiger, freundlicher Mann, der etwas außerhalb vom Ort ein Gestüt der besonderen Art betrieb. Er hatte sich darauf spezialisiert, ganz normale Pferde zu züchten, keine teuren Springer oder Renner, sondern solche Tiere, die sich auch ein normaler Mensch leisten konnte. Außerdem hatten viele Leute bei ihm ihre Tiere in Pension, und sie alle wurden von Kindern und Jugendlichen aus Hindelfingen versorgt und beritten, damit verdienten sich die meisten ein gutes Taschengeld.

Überhaupt, fast alle Kinder am Ort hatten sich schon etwas hier verdient, indem sie im Stall und auch bei der Arbeit mit dem Tieren halfen. Das Beschlagen allerdings war eine Aufgabe für einen kräftigen Erwachsenen.

Nun nickte der Friedrich langsam und grinste, als die Astrid leicht rot wurde und eine abwehrende Bewegung machte. „Soweit kommt’s noch, dass ich das mach’. Für so was haben wir schließlich den Doktor mit dem Sauerstoffgerät. Also wirklich, Mund-zu-Mund-Beatmung, das wär’ eine Gaudi für die Leut’. Was du gleich denkst.“

Sie nahm die gutmütige Neckerei nicht übel, schließlich wurden ihr auch alle Tage irgendwelche Mannsbilder vorgeschlagen. Immerhin war das Madl schon sechsundzwanzig und noch immer nicht verheiratet. Da musste endlich was geschehen nach Ansicht der Leut’ allgemein – und der Vreni insbesondere.

Die Kollmannberger Vreni hatte schon oft verbreitet, dass die Astrid endlich einen Burschen gefunden hatte, doch bisher war das jedesmal nur ein haltloses Gerücht gewesen.

„Na, dann wollen wir mal schauen, dass wir vorankommen“, erklärte das Madl nun, um erst gar keine weitere Verlegenheit aufkommen zu lassen, wenn die Gedanken sich doch wieder zum Hagen verirren sollten. Sie öffnete die Werkstatt und brachte rasch das niemals erlöschende Schmiedefeuer wieder in Gang.

Der Friedrich allerdings machte sich so seine Gedanken. Die Astrid war heut’ irgendwie anders. Gab’s da vielleicht doch irgendwo ein Mannsbild, was dem attraktiven Madl den Kopf verdreht hatte? Nun, in Hindelfingen konnte so was nicht lang ein Geheimnis bleiben. Es würde sich bestimmt in den nächsten Tagen herumsprechen wie ein Lauffeuer. Aber ein jeder würde es dem feschen Madl von Herzen gönnen.

7

Dem Daniel fiel fast das Brot aus der Hand, als es an der Haustür Sturm läutete. Er hatte eine ganze Weile auf die Bernie Brunnsteiner gewartet. Das Madl war die Tierärztin am Ort, und er warb schon lang um ihre Gunst, doch sie hatte es bisher nicht über eine Freundschaft hinausgehen lassen.

Die Bernie war bis jetzt nicht eingetroffen, so hatte der Doktor angenommen, dass es einen Notfall gab, der sie beschäftigte. Nun, genau das war das tägliche Los der Ärzte hier auf dem Lande. Er konnte selbst ein Lied davon singen.

Dieses Klingeln deutete an, dass auch ihm wieder ein dringender Fall bevorstand, da musste das Essen halt eben warten. Doch seine Augen wurden groß, und sein Gesicht bleich vor Schreck, als er jetzt erkennen musste, dass die Bernie vor der Tür stand.

Nur, wie schaute sein geliebtes Madl aus? Im Gesicht und an den Armen, wo der Pullover zerrissen war, konnte man lange blutige Kratzspuren sehen. Das Madl wurde gestützt von einem Mann, den der Daniel flüchtig vom Sehen her kannte. Er hatte ganz in der Nähe neulich ein altes Anwesen gekauft und bezogen.

„Du lieber Himmel, wer hat dich denn so zugerichtet? Komm her, rasch, ich werd’ dir helfen.“ Er führte die Bernie ins Sprechzimmer hinüber und begann vorsichtig den Pullover aufzuschneiden.

Der Mann war einfach mitgekommen, doch das ging dem Doktor nun aber etwas zu weit.

„Es war sehr freundlich von Ihnen, dass S’ der Frau Doktor geholfen haben. Aber nun warten S’ bittschön draußen, oder gehen S’ heim. Ich muss hier die Wunden behandeln.“

„Das ist der Stefan Moosburger. Und der ist indirekt Schuld daran, dass mir das alles hier passiert ist“, erklärte die Bernie, während sie selbst versuchte die Fetzen des Pullovers von den Armen und dem Oberkörper zu entfernen.

Der Blick vom Daniel wurde aufmerksam und gleichzeitig empört. „Wie soll ich das denn verstehen?“, fragte er scharf.

Ein leises Lachen entfuhr der Bernie, obwohl sie doch starke Schmerzen haben musste. „Nun bleib’ mal auf dem Teppich. Das ist nämlich einfach erklärt. Der Herr Moosburger hat das alte Anwesen von der Käthe Korbmacher gekauft. Das liegt ja außerhalb. Und da hat er jetzt so eine Art Tierschule eingerichtet. Da werden die Viecherl trainiert fürs Fernsehen oder auch für Filme. Aber irgendwie haben’s wohl net ganz kapierst, dass ich ihnen nix böses wollt.“

„Dann scheinen S’ mir aber kein sehr guter Lehrer zu sein“, knurrte der Daniel, der vor lauter Sorge um die Bernie seine sonstige Höflichkeit vergaß. Verlegene Röte zog in das Gesicht vom Moosburger, und er wirkte ungeheuer bestürzt.

„Ich kann Ihnen gar net sagen, wie leid mir das alles tut. Wenn ich irgendwie was wiedergutmachen kann ...“

„Jetzt können S’ erst mal draußen warten“, beschied ihm der Daniel. „Wir reden noch miteinand’, wenn ich mit der Bernie fertig bin.“ Er schloss die Tür, nachdem er den Stefan förmlich hinausgedrängt hatte.

„Was für ein Monster hat dich denn angegriffen, dass du so ausschaust? King-Kong oder der weiße Hai?“, wollte er dann wissen, aber nun hatte die Bernie endgültig genug.

„Jetzt bist aber mal still. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen, dass dich gar so garstig benehmen tätst?“, fuhr sie ihn an. „Kannst doch net einfach einen wildfremden Mann so anfahren, wennst net mal genau weißt, was überhaupt geschehen ist. Wenn ein Tier den Doktor anfällt, dann hat nämlich meist der Doktor einen Fehler gemacht. Und das hab ich nun mal. Da kannst net dem Moosburger an die Gurgel gehen, als wärst der Racheengel persönlich.“

Er schaute sie nicht an, um nicht zu zeigen, wie sehr ihre Schelte ihn traf, konzentrierte sich stattdessen darauf, ihre zahlreichen Verletzungen zu versorgen. Sein verbissener Gesichtsausdruck sagte ihr mehr als tausend Worte, und sie lachte noch einmal leise auf.

„Bist wirklich ein kleiner Depp, aber ein liebenswerter. Daniel, diese paar Kratzer tun mir doch nun wirklich nix. Der Moosburger ist völlig unschuldig dran. Es sei denn, würdest es als Schuld bezeichnen, dass es ihn und seine Tiere gibt. Nun zieh net länger einen Flunsch, du lieber dummer Kerl.“ Sie griff an seinen Kopf und zog ihn heran, bis sie ihm ein zartes Busserl auf die Lippen drücken konnte.

Das war eine Gelegenheit, die der Daniel sich natürlich nicht entgehen lassen konnte. Seine Arme glitten um das Madl herum, und aus dem kleinen Busserl wurde ein langer heißer Kuss. Dann aber befreite sich die Bernie und schob den Doktor ein Stückerl zurück.

„Wirst dir noch alle deine Sachen verschmieren mit meinem Blut“, bemerkte sie trocken und sah zufrieden, wie ein kleines Lächeln auf seine Züge glitt.

„Na also“, murmelte sie. „Jetzt ist’s aber genug mit dieser Schmuserei, Herrn Doktor. Schau zu, dass du fertig wirst.“

Er verstand, sie war immer noch nicht bereit für mehr als eine Freundschaft, aber wie schon mehrmals vorher akzeptierte er das. Er liebte die Bernie, und er hatte Geduld.

„Na schön, dann erzählst dem Onkel Doktor jetzt mal, mit welchem Viecherl du dich angelegt hast“, forderte er spöttisch.

„Ach, weißt, es klingt vielleicht unglaublich, aber es waren nur zwei Katzen.“

Er schaute nicht sehr intelligent drein. „Katzen?“

„Ja, freilich, Katzen. Geschmeidige, weiche, kuschelige Tiere mit vier Pfoten und einem langen Schwanz. Allerdings recht groß gewachsene Katzen. Und irgendwas muss ich falsch gemacht haben. Jedenfalls haben’s mich angefallen, als ob ich Beute wär’. Und wie dann der Moosburger gekommen ist, gab er einen Befehl, und die zwei wurden wieder zu ruhigen Schmusekätzchen. Wir haben auf dem Weg hierher schon überlegt – ich muss ein falsches Wort gesagt oder eine Bewegung gemacht haben, was die falsch verstanden haben.“

„Ach, herrjeh – dann war der gar net dabei? Na, dann hab ich ihn ja wohl zu Unrecht vorhin so angefahren?“, vermerkte der Daniel betrübt.

„Ja, freilich. Ich versuch’ doch schon die ganze Zeit dir das beizubringen“, schmunzelte die Bernie. „Als er einen Befehl gab, waren die Tiere von einem Moment auf den anderen wie ausgewechselt. Ich sag’s dir, der hat seine Viecherl im Griff.“

„Klingt interessant. Ich denk’, ich werd’ mir das mal anschauen. Klingt ja richtig aufregend, fürs Fernsehen und für Filme, sagst?“

„Aber erst tätst dich entschuldigen“, beharrte das Madl.

Der Daniel nickte. „Das muss ich wohl. Aber er wird's bestimmt verstehen, ich hab mir ja solche Sorgen um dich gemacht.“

Sie strich ihm sanft über die Wangen, und er schmiegte sich für einen Moment in die Handfläche.

Wenig später hatte er die zahlreichen Wunden versorgt und holte auch noch einen seiner eigenen Pullover, damit das Madl etwas zum Anziehen hatte. Dann ging er mit ihr zusammen ins Wartezimmer.

Der Doktor streckte die Hand aus. „Ich hab grad mal wieder gelernt, dass ich geredet hab, ohne nachzudenken. Nehmen S’ mir das bittschön net übel, dass ich ein bisserl erregt war über die Verletzungen bei der Bernie.“ Seine offene sympathische Art machte seine vorherige Unhöflichkeit mehr als wett, und der Moosburger war kein nachtragender Mensch. Er grinste breit über das ganze Gesicht und schlug in die dargebotene Hand ein.

„Dann will ich mal ganz schnell drüber weggehen. Wahrscheinlich hätt’ ich an Ihrer Stelle auch net anders reagiert. Aber damit S’ aus dem Vorfall keinen falschen Eindruck kriegen, sollten S’ in den nächsten Tagen mal hereinkommen. Ich zeig’ Ihnen gern mal, um was es geht.“

„Da sag’ ich net nein. Und nun werd’ ich die Bernie heimbringen. Ich dank‘ Ihnen ganz herzlich für Ihre Hilfe.“

Auch die Bernie sagte noch einmal danke, und der Moosburger fuhr wieder davon. Der Daniel würde später mit der Maria den Wagen von der Bernie abholen. Für heute jedenfalls untersagte er ihr weiter zu arbeiten. Die Kollegen aus der Stadt mussten halt eben mal einspringen. Allerdings war dem Doktor ziemlich klar, dass seine Worte nicht viel nutzen würden, wenn es dringend war. Dann lief die Bernie auf jeden Fall hin, dessen war er sich sehr wohl bewusst.

8

„Ja, da legst dich nieder“, empörte sich die Vreni und warf die Zeitung auf den Tisch. Die Kaffeetasse fiel dabei um und ergoss die heiße aromatische Flüssigkeit über die Tischdecke, von wo aus die auf die Hose vom Sepp, ihren Ehemann, tropfte. Der sprang erschreckt auf, als das heiße Zeugs seine Haut verbrannte.

„Ja, bist denn jetzt komplett narrisch geworden?“, schimpfte er und griff nach der Rolle mit den Küchentüchern.

„Ach herrjeh, nun stell dich net so an, wirst schon überleben. Hab ich aber auch net gewollt, tut mir leid.“ Versöhnlich drückte sie ihm einen Schmatz auf die Wange und tupfte die Flüssigkeit von der Hose.

„Na ja, ist ja halb so schlimm“, meinte er, schon wieder beruhigt. „Aber nun sag mir doch erst mal, was dich so aufregt, dass du den guten Kaffee über den ganzen Tisch kippst.“

Damit hatte der Sepp natürlich ein Wort zuviel gesagt, denn das nahm die Vreni nun als Aufforderung mit den Neuigkeiten loszulegen, die ihren Mann sonst wenig interessierten.

„Hab ich doch grad in der Zeitung gelesen, dass in der nächsten Zeit die Zufahrtsstraße nach Hindelfingen zeitweise gesperrt werden soll, weil die Bauarbeiten das angeblich notwendig machen“, legte die Vreni los. Die Empörung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Da wird nun net nur eine Straße vor die Nase und in die Landschaft gebaut, die eh keiner haben will – nein, da schneidet man uns förmlich von der Außenwelt ab. Jetzt tät’ ich mal den Daniel hören wollen, oder den Huber. Die meinten ja noch, man hätt’s leichter zum Hospital, wenn’s pressiert. Aber was ist, wenn’s jetzt nottut, und die Straße ist gesperrt?“ Sie ereiferte sich so sehr, dass der Sepp sie erst einmal beruhigend in seine Arme zog.

„So schnell schießen net mal die Preußen“, murmelte er. „Ich denk’, da ist das letzte Wort noch net gesprochen. Schau, mein Liebes, erst mal müssen diese Leut’ doch tatsächlich damit anfangen die Straße zu bauen. Und ich glaub’, so einfach wird das net gehen, wenn alle Leut’ hier zusammenhalten und dafür sorgen, dass das Gelände ganz einfach net zugänglich ist.“

„Aber die haben doch schon alle ihre Maschinen da aufgebaut“, gab sie zu bedenken. „Und es tät’ bestimmt eine Menge Geld kosten, wenn die Arbeiten anfangen.“ Der Sepp lachte kurz auf. „Hast auch nur schon einen Arbeiter da gesehen? Wie ich gehört hab, warten die noch auf einen letzten Bericht, was die Sicherheit betrifft. Den soll der Bauleiter geben, wenn er sich davon überzeugt hat, dass dem Bau nix mehr im Wege steht, ich mein jetzt, vom Berg her, oder so. Aber den Bauleiter hat bis heut’ auch noch niemand gesehen. Wenn die da noch weiter klüngeln, wird's eh nix mit dem Bau, denn dann haben’s das ganze Geld schon für die Wartezeit ausgegeben. Und wenn wir Einwohner dafür sorgen, dass die Leut’ net so einfach da hinkommen, wird's noch länger dauern. Also werden wir dafür sorgen müssen, dass eine ganze Menge im Weg steht. Notfalls sogar wir Menschen.“

Die Vreni schaute ihren Mann mit großen erstaunten Augen an. „Woher weißt du so was, wenn ich davon noch gar nix gehört hab?“

Er lächelte schelmisch. „Musst ja net alles wissen, und eigentlich hätt’ ich’s dir gar net erzählen dürfen.“ Das war förmlich eine Aufforderung für die Frau, diese Neuigkeiten unter die Menschen zu bringen, und das wusste der Sepp natürlich. Der konnte jetzt sicher sein, dass im Laufe des Tages jedermann im Ort darüber Bescheid wusste. So lachte die Vreni auch zufrieden auf.

„Ich werd’ dir jetzt eine neue Hose holen, und dann musst zur Arbeit. Ich glaub’, die Trudi braucht auch ein bisserl Hilfe in der Poststelle. Ich werd’ dann gleich mal hingehen und mit anpacken.“

Das war der perfekte Vorwand, um die neuesten Gerüchte unters Volk zu bringen. Nur, dass es in diesem Fall nicht einmal nur Gerüchte waren. Nach Ansicht der Vreni ging es um die Existenz von Hindelfingen und seiner Bewohner, und dazu war ohnehin jedes Mittel recht.

9

„Ja, bitte?“ Es hatte an der Tür des Zimmers vom Hagen geklopft, und er vermutete, dass es die Magda war, die kam, um die Überreste des reichhaltigen und köstlichen Frühstücks abzuholen.