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Dieser Band enthält folgende Arztromane (399XE) von Anna Martach & Thomas West: Manege frei fürs große Glück (Anna Martach) Musik des Herzens (Anna Martach) Hoffnung ist stärker als der Tod (Thomas West) Der Zirkus ist da – und bringt frische Farbtupfer nach Hindelfingen. Sowohl Daniel Ingold als auch Tierärztin Bernie Brunnsteiner haben mehrere heikle Einsätze. Zwischen zwei jungen Leuten funkt es jedoch, was für arge Turbulenzen sorgt. Ein dickköpfiger Vater schaltet auf stur. Aber treiben es nicht auch die Zirkusleut etwas zu bunt?
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Seitenzahl: 392
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Arztroman Dreierband 1008
Copyright
Manege frei fürs große Glück
Musik des Herzens
Hoffnung ist stärker als der Tod
Dieser Band enthält folgende Arztromane
von Anna Martach
Manege frei fürs große Glück (Anna Martach)
Musik des Herzens (Anna Martach)
Hoffnung ist stärker als der Tod (Thomas West)
Der Zirkus ist da – und bringt frische Farbtupfer nach Hindelfingen. Sowohl Daniel Ingold als auch Tierärztin Bernie Brunnsteiner haben mehrere heikle Einsätze. Zwischen zwei jungen Leuten funkt es jedoch, was für arge Turbulenzen sorgt. Ein dickköpfiger Vater schaltet auf stur. Aber treiben es nicht auch die Zirkusleut etwas zu bunt?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
Alpendoktor Daniel Ingold – Band 5
von Anna Martach
Der Umfang dieses Buchs entspricht 105 Taschenbuchseiten.
Der Zirkus ist da – und bringt frische Farbtupfer nach Hindelfingen. Sowohl Daniel Ingold als auch Tierärztin Bernie Brunnsteiner haben mehrere heikle Einsätze. Zwischen zwei jungen Leuten funkt es jedoch, was für arge Turbulenzen sorgt. Ein dickköpfiger Vater schaltet auf stur. Aber treiben es nicht auch die Zirkusleut etwas zu bunt?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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„Birgit? – He, Birgit, erkennst mich nimmer? Himmel, wie lang hab ich dich net gesehen? Wo hast gesteckt all die lange Zeit? Und wie kommst ausgerechnet daher?“
Der Bursche mit den lachenden blauen Augen glaubte, dass ihm das Herz stehenbleiben müsste. Er lief quer über die Straße auf die Wiese zu, wo ein reizendes blondes Madl grad dabei war, Futter für ein paar Affen zuzubereiten.
Affen? Ja, der Zirkus war nach Hindelfingen gekommen. Und beileibe net einer von den kleinen, die mehr schlecht als recht durch die Lande zogen und kaum genug Geld für das Futter erspielten.
Nein, es war der große bekannte Zirkus Winters-Franzen, die Sensation auf diesem Gebiet. Und ausgerechnet hier draußen, wo die Arbeiter und Helfer eifrig damit beschäftigt waren alles aufzubauen, die zahlreichen Tiere zu versorgen, und auch schon den Auftritt zu proben, musste der Dirk Tanngerber, der Sohn vom Sägemüller, das Madl wiederentdecken, für das er schon während der Schulzeit geschwärmt hatte. Und net nur geschwärmt. Er hatte regelrecht sein Herz an sie verloren und war untröstlich gewesen, als sie damals einfach wieder aus seinem Leben verschwand.
Natürlich war der Bursche, wie fast jeder am Ort, rein „zufällig“ hierher gelaufen, um zuzuschauen, wie es so zuging beim Zirkus. Und dabei hatte er die Birgit entdeckt.
Sie war immer noch so fesch wie früher, da sie für einige Monate in die gleiche Schule wie er gegangen war. Doch sie gehörte zum „fahrenden Volk“, wie sein Vater immer abfällig sagte, und damit war das Madl ganz und gar nicht qualifiziert für ein normales Leben.
Das hatte den Dirk allerdings nie daran gehindert, hoffnungslos für die Birgit zu schwärmen, insgeheim und aus der Ferne.
Sie war allerdings auch ein ganz besonderes Madl, schlank, schon grazil zu nennen, mit natürlich goldblonden Haaren und braunen Augen, die ganz intensiv schauen konnten. Ihre Bewegungen waren stets geschmeidig und beherrscht, und ihr ganzes Wesen strahlte Freundlichkeit und Wärme aus.
Sie schaute jetzt auf, als sie die lauten Rufe des Burschen hörte und blickte sich etwas verwundert um. Dann stutzte sie, und schließlich glitt ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Einer der Arbeiter wollte den Dirk gerade vom Gelände schicken, doch die Birgit machte ihm ein Zeichen. Sie wischte sich die Hände an der hautengen Hose ab und kam auf den Burschen zu.
„Dirk Tanngerber, tät’s dich auch noch geben? Ich hätt’ net gedacht, dass du dich an mich erinnerst. Schön, dich zu sehen“, strahlte sie ihn an.
„Wer könnt dich denn vergessen?“, erklärte er bewundernd, und unwillkürlich errötete das Madl. „Du musst mir unbedingt erzählen, was du hier tust“, fuhr er fort, und die Birgit lachte auf.
„Wonach schaut’s denn aus?“
„Na, ich weiß net so recht. Bist jetzt unter die Tierpfleger gegangen?“, erwiderte der Dirk etwas unsicher.
„Ja, das auch“, erklärte das Madl ernsthaft. „Weißt, in unserem Zirkus muss ein jeder überall mit anfassen. Eigentlich hab ich meine Nummer bei der Vorstellung hier in der Manege. Aber ich bin auch dafür zuständig, dass unsere Affen was zu futtern bekommen. Und beim Nähen der Kostüme tät’ ich auch helfen.“
Das alles klang neu und verwirrend für den Burschen, der ein normales geregeltes Leben kannte und sich gar nicht vorstellen konnte, wie jemand nicht nur so unstet, sondern auch abwechslungsreich leben konnte.
Die Birgit zog den Burschen mit sich, und der betrachtete neugierig all das, was ihm hier so fremd war. Wie eine eigene kleine Stadt war so ein Zirkus, verwirrend und vielfältig – und die Birgit gehörte einfach dazu. Eine fremde Welt tat sich für den Dirk auf, und er nahm begierig alles in sich auf, wollte am liebsten gar nicht mehr gehen, die Nähe dieses verführerisch schönen Madls genießen. Doch das ging natürlich nicht, wie er unsanft erkennen musste.
Ein Mann kam auf die Birgit zu. Er machte einen gehetzten Eindruck, und seine Stimme klang abweisend.
„Bist bald fertig mit den Tieren? Dann schick’ den da weg, hast gleich noch eine Probe, und morgen ist schließlich Premiere. Kannst es dir net leisten, dass was daneben geht.“
„Ja, schon gut, Leonard“, erklärte sie und schaute den Dirk mit einem um Entschuldigung bittenden Lächeln an.
„Der Leo hat recht, ich darf meine Arbeit net versäumen. War schön, dich mal wieder getroffen zu haben, Dirk. Pfüat di.“
„Halt, wart’. Kann ich dich wiedersehen?“, bat er rasch.
„Freilich. Wart’, ich geb’ dir eine Freikarte für die Premiere. Es tät’ mich freuen, wennst wirklich da bist.“
So hatte der Bursche das eigentlich nicht gemeint. „Ja, da will ich wohl gern kommen“, stimmte er zu, hatte einen trockenen Mund und fuhr dann aber mutig fort. „Ich mein, ich würd’ dich gern auch mal einladen, auf ein Eis oder einen Kaffee. Oder kannst dich hier net frei machen? Bist hier vierundzwanzig Stunden am Tag im Einsatz?“
„So könnt man’s nennen“, lachte die Birgit. Doch sie hielt inne, als sie das enttäuschte Gesicht des Burschen sah. „Ich werd’ drüber nachdenken.“ Sie winkte ihm noch fröhlich zu und verschwand dann in einem der Wohnwagen.
Der Dirk schaute sich noch einmal um. Es schien eine Ordnung zu geben in diesem Gewimmel, auch wenn er sie nicht erkennen konnte.
Plötzlich wurde er unsanft vorangestoßen, so dass er fast auf den Boden fiel. Als er sich empört herumdrehte, stand ein Elefant hinter ihm und pendelte mit dem Rüssel. Daneben stand ein Mann mit dunklen Augen und fremdländischen Gesichtszügen.
„Archibald hat recht, Fremde gehören weg“, erklärte er mit starkem Akzent.
Der Dirk sah ein, dass er gut daran tat, dieses Gelände doch recht schnell zu verlassen.
Anton Tanngerber, Chef der Sägewerke von Hindelfingen und der umliegenden Ortschaften, saß am Esstisch und schaute seinem Sohn etwas ungehalten entgegen.
„Du bist zu spät“, rügte er und warf einen vorwurfsvollen Blick auf den Tisch, auf dem das Essen wartete.
„Tut mir leid“, erklärte der Dirk und setzte sich rasch. „Ich war drüben beim Zirkus und hab eine alte Schulfreundin wiedergetroffen. Dabei hab ich wohl die Zeit vergessen.“
Ohne hinzusehen wusste der Bursche, dass im Gesicht seines Vaters Missbilligung lag.
„Bist noch ein kleiner Bub, dass dich das fahrende Volk fasziniert? Diese Leut’ haben keine Heimat, keinen festen Halt im Leben und keinen Anstand. Ich wünsch’ net, dass du dich mit denen abgibst.“
„Ach, komm, Vater, nun übertreib’ mal net. Das sind Menschen wie du und ich. Sie haben nur eine andre Arbeit als wir. Aber die verdienen ihren Lebensunterhalt genauso durch ehrliche Arbeit wie wir auch. Hast doch wohl heutzutag keine Vorurteile mehr?“
„Das tät’ nix mit Vorurteilen zu tun haben“, widersprach der alte Tanngerber. „Diese Leut’ stehen außerhalb der Gesellschaft, und da sollen’s gefälligst auch bleiben. Im Übrigen betrachte ich dieses Thema jetzt als abgeschlossen. Ich hätt’ da noch was anderes mit dir zu bereden.“
Der Dirk seufzte unmerklich. Wenn der Vater in diesem Tonfall begann, dann wurde es meist schwierig.
Der alte Tanngerber war ein Mann, der keinen Widerspruch gelten ließ und grundsätzlich alles unter Kontrolle haben wollte.
„Stimmt was net mit der Firma?“, wollte der Bursche wissen. Aber diese Frage war überflüssig, er arbeitete als Geschäftsführer selbst mit und hätte es gewusst, wenn etwas nicht in Ordnung war. Die folgenden Worte bestätigten das.
„Nein, da ist alles in bester Ordnung. Hast dich auch gut gemacht, mein Bub, ich bin zufrieden mit dir. Aber damit’s auch in Zukunft so bleiben tät’, bin ich der Meinung, dass es für dich an der Zeit ist ein anständiges Madl zu heiraten.“
„Vater!“ Der Dirk sprang auf. „Ich bin wohl in der Lage mir selbst ein Madl zu suchen, wenn ich mich verlieben will.“
Stirnrunzeln beim alten Herrn. „Glaubst doch net etwa, dass es was mit Liebe zu tun haben muss, wenn man heiratet? Viel wichtiger ist’s, dass das Madl für die Firma gut ist, aus einer ordentlichen Familie stammt und net allzu hässlich ist. Die Liebe tät’ dann schon von allein kommen.“
„Nein!“ Noch nie hatte der Dirk seinem Vater in dieser Art widersprochen, und der alte Herr blickte erstaunt auf.
„Darüber tät’s doch wohl nix zum Diskutieren geben. Du bist mein Erbe, und als solcher hast die Verpflichtung, für die Firma das Beste zu tun. Auch wenn wir mittlerweile eine Aktiengesellschaft sind, wird die Firma doch weiter von unserer Familie geführt.“
Das war zuviel für den Burschen. „Dann will ich die Firma net“, erklärte er.
„Schmarrn, hast noch gar keine Ahnung, was du wirklich willst.“
„Vater, hast doch die Mama auch geliebt, oder net? Was hättst wohl gesagt, wenn man dir vorgeschrieben hätt’, wen du zu lieben und zu heiraten hättst?“
Ein erstaunter Blick traf ihn. „Das war doch etwas vollkommen anderes. Schließlich hatt’ ich damals net mehr als eine kleine Säge. Ich musst net an eine ganze große Firma denken.“
„Ich kann auch an die Firma denken, ohne dass ich mich meistbietend versteigern tät’“, sagte der Dirk bitter.
„Du übertreibst. Und außerdem bist mein Sohn, ich werd’ bestimmt keine Wahl treffen, die dir ganz und gar zuwider ist. Hast ja noch net mal gefragt, wen ich da in Aug’ hab. Bist ein bisserl voreilig, mein Sohn. Solltest mir doch wohl etwas Geschmack zutrauen.“
Der Bursche starrte vor sich auf den Tisch und bemühte sich, den aufkommenden Zorn im Zaum zu halten. Wie kam sein Vater dazu, ihm sein Leben vorzuschreiben? Wenn er heiraten wollte, dann ein Madl, das er von Herzen liebte. So wie die Birgit.
Ein Schreck durchzuckte den Dirk, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Ja, die Birgit hatte er früher schon geliebt, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Und heut’ waren diese Gefühle wieder voll entfacht worden. Nein, ganz bestimmt wollte er net irgendein Madl, das vielleicht noch eine Erweiterung in die Firma mitbrachte, geschäftstüchtig war und keine Gefühle in ihm weckte. Er wollte die Birgit.
Aber das würde sein Vater natürlich nicht verstehen, schon gar net heut’, wo er sich auf ein Thema versteift hatte und anderen Argumenten sowieso nicht zugänglich war. Im Augenblick war es bestimmt besser, ein Stückerl nachzugeben und zu einer anderen Zeit einen Vorstoß zu wagen.
Ergeben nickte der Bursche. „Und wen hast da nun im Auge, Vater? Kannst mir ja mal ein Madl vorschlagen, und dann schaun wir weiter.“
„Na also, ich wusst’ doch, dass noch ein bisserl Verstand in deinem Kopf steckt. Hab ja nix dagegen, wennst ab und zu mal ausbrechen musst. Kannst dir ja auch Appetit holen, aber solltest grundsätzlich vernünftig bleiben. Also, ich hab da an die Uschi Langenhain gedacht. Ihrem Vater gehört die große Möbelfirma. Das wär’ eine gute Fusion für beide Seiten. Aber natürlich müsst ihr euch erst mal kennenlernen. Das Madl ist zwei Jahre jünger als du, und man sagt, dass sie in der Firma fast so gut ist wie ihr Vater.“
Innerlich seufzte der Dirk, und vor seinen Augen entstand das Bild vom lieblichen Gesicht der Birgit. Aber er konnte diesem Gespräch natürlich nicht entgehen. Und um nicht einen unnötigen Krach mit seinem Vater zu provozieren, würde er gute Miene zum bösen Spiel machen – vorerst.
„Hast ja wohl schon einiges ins vorne geplant. Was denkst also, wann wir das hinter uns bringen können?“
„Das klingt net begeistert, Bub. Aber ich bin sicher, wirst deine Meinung schon noch ändern. Morgen Nachmittag treffen wir alle uns ganz zwanglos im Restaurant im Feriendorf.“
Der Dirk nickte. Man musste ja nicht wirklich gleich einen Streit vom Zaun brechen. Aber er hatte ganz bestimmt nicht vor, mit diesem Madl womöglich gleich Verlobung zu feiern.
Das vertraute Fauchen der Löwen klang aus dem Käfig. Die Birgit kam durch den Vorhang, der die Manege begrenzte, in der Hand hielt sie Stock und Peitsche, mehr Spielerei als Hilfsmittel. Sie hatte ihre Raubkatzen von klein auf gut im Griff, jede einzelne war liebevoll großgezogen worden, ohne jemals außer Acht zu lassen, dass es sich dabei um wilde Tiere handelte, die man nur bedingt zähmen konnte. Doch sie vertraute ihren Katzen, und sie machte nicht den Fehler, in ihnen Schoßtiere zu sehen.
Birgit betrat den Gitterkäfig und behielt speziell Radscha, das Alpha-Tier der Löwengruppe, im Auge. Es gab keine weiblichen Tiere in dieser Nummer, so kam es nicht zu Eifersucht und Imponiergehabe.
„Hopp, Radscha, spring, mein Schöner.“ Die Befehle der bildhübschen Dompteuse kamen sicher und ohne Zögern, und die Löwen gehorchten willig. Unwillkürlich musste die Birgit lächeln, als sie daran dachte, dass der Dirk keine Ahnung hatte, was sie hier im Zirkus eigentlich tat. Er wäre sicher mehr als überrascht gewesen. Ihre Gedanken wanderten für eine kurze Zeit zurück.
Damals, in der Schule, hatte sie schon bemerkt, dass er für sie schwärmte. Aber sein Vater war auch damals schon regelrecht furchteinflößend, und bis heute war das wohl nicht anders geworden. Der alte Tanngerber hatte festgefügte Vorstellungen von der Welt, und er sah keinen Grund, daran etwas zu ändern. Ein Madl, das mit dem Zirkus umherzog, war nicht die rechte Bekanntschaft für seinen Sohn – nicht einmal als Schulfreundin, wie sie damals auf einer Geburtstagsfeier hatte feststellen müssen. Schade drum, der Dirk war ein netter Kerl. Nein, eigentlich war er mehr als nur nett, das Madl hätte nix gegen eine engere Freundschaft einzuwenden gehabt, aus der sich vielleicht mehr entwickeln konnte.
Für einen Augenblick hatte die Birgit in ihrer Konzentration nachgelassen, und schon tanzte einer der Löwen aus der Reihe. Mit einem scharfen Befehl brachte sie ihn wieder zum Gehorsam.
„Was machst denn da?“, rief der Johannes Franzen, der Direktor und Besitzer des Zirkus – und Birgits Vater. „Weißt doch genau, dass dich selber net ablenken darfst.“
„Ja, ist schon gut“, gab sie zurück und schimpfte innerlich über sich selbst und ihren dummen Fehler.
„Hat dein Träumen was mit dem Burschen zu tun, der heut’ hier gewesen ist?“, erkundigte sich der alte Herr, der seine Tochter von Herzen liebte.
Die Birgit lachte leise auf. „Ich hätt’s wissen müssen, dass hier nix privat bleiben kann. Hat sich das gleich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass ich Besuch gehabt hab? Das war ein alter Schulkamerad, nix weiter.“ Das Madl gab einen letzten Befehl und machte dann den Helfern vor dem Käfig ein Zeichen. Der Lauftunnel wurde geöffnet, und die Löwen kehrten in ihre großzügigen Käfige zurück. Erst jetzt kam die Birgit aus der Manege und blickte ihren Vater an, der mit einem wissenden Grinsen dastand.
„Komm nur net auf komische Ideen“, warnte sie scherzhaft. „Nur weil ich alte Bekanntschaften auffrischen tät’, spielt sich noch lang nix ab.“
„Nein, natürlich net“, bestätigte der Johannes, doch es war zu sehen, dass er seiner Tochter net so recht glaubte.
„Ach, in dieser Familie und in diesem Zirkus tät’ mich niemand für ernst nehmen“, klagte das Madl. „Warum seid’s ihr alle eigentlich so wild darauf, dass ich einen Burschen fürs Leben finden tät’? Ich fühl’ mich eigentlich ganz wohl so ohne Anhang.“
„Ja, mein Madl, und deswegen verrennst dich auch förmlich in die Arbeit, seit der John damals ...“
„Sprich mir nie wieder von diesen Mannsbild“, fauchte die Birgit.
Vor gut einem Jahr war für die Birgit der Himmel voller Geigen, als sie sich mit dem John McFadden verlobt hatte. Er war Mitglied der Trapezgruppe gewesen und galt als zukünftiger Star. Doch praktisch über Nacht hatte er sich mit einem Madl aus einer ungarischen Bodentruppe aus dem Staub gemacht, und keiner hörte jemals wieder etwas von ihm. Seitdem waren alle darum bemüht die Birgit endlich mit einem guten Burschen zu verbandeln, doch bisher weigerte sie sich hartnäckig, auch nur einen anzuschauen.
Ihr Vater zuckte jetzt mit den Schultern, in eben diesem Punkt war er mit seiner Tochter gar nicht zufrieden. Aber wenn sie zumindest schon mal alte Bekanntschaften aufleben ließ, bestand vielleicht doch noch Hoffnung. Die erhöhte sich beim Johannes bei den nächsten Worten des Madls.
„Ich hab den Dirk im Übrigen zur Premiere eingeladen. Können wir ihn wohl noch in einer Loge unterbringen?“
„Freilich, für einen tät’ bestimmt noch Platz sein. Oder magst ihn mit nach hinten nehmen?“
Die Birgit schüttelte lächelnd den Kopf, während sie sich mit Blicken überzeugte, dass alle Gitter und Tunnel in Ordnung waren. Es käme einer Katastrophe gleich, würde eine der Raubkatzen ausbrechen können.
„Ich weiß, was du denkst“, erklärte sie ihren Vater. „Aber da tätst dich gewaltig täuschen. Der Dirk und ich waren früher schon gute Freunde. Und daran hat sich bis heut’ nix geändert.“
„Ganz wie du meinst“, erklärte der Johannes mit absoluter Friedfertigkeit. Doch er nahm sich vor, mal ein Auge auf den Burschen zu werfen. Er konnte sich beim besten Willen net dran erinnern, wer das gewesen sein sollte.
„So, da haben wir’s für heut’ mal wieder“, erklärte Doktor Daniel Ingold. Er hatte grad eine Routineuntersuchung beim Anton Tanngerber beendet. Der alte Herr hatte schon lang net mehr ein gesundes Herz, doch mit den entsprechenden Medikamenten und etwas Vorsicht im täglichen Alltag war es eigentlich kein Problem, ein ganz normales Leben zu führen. Natürlich sollte sich der alte Herr auch möglichst nicht aufregen, das war allerdings ein Rat, den der Doktor ebensogut vor eine Wand hätte sprechen können. Das kam nämlich nicht an, und der Tanngerber machte auch keinen Hehl daraus, dass es ihm völlig wurscht war, ob der Arzt ihm in dieser Beziehung gute Ratschläge gab. Er tat sowieso, was er wollte und für richtig hielt.
Befriedigt zog er jetzt sein Hemd wieder an. „Ist also alles in bester Ordnung?“
„Das hab ich net gesagt“, schränkte der Daniel ein. „Ihr Herz hat längst net mehr die Kraft, die S’ ihm ständig abverlangen. Sie müssen einfach mal ein bisserl kürzer treten, auch und besonders in der Firma. Lassen S’ doch einfach den Dirk mehr tun. Ist doch ein prächtiger Bursch’, und der tät’ ja auch was vom Geschäft verstehen. Machen S’ doch mal Urlaub, vergessen S’ die Firma und die Sorgen – fangen S’ mal an zu leben.“
Der Anton schaute den Doktor an, als hätt’ er ein dreiköpfiges Kalb vor sich. „Das meinen S’ jetzt aber net im Ernst, Herr Doktor? Können S’ sich vorstellen, was passieren tät’, wenn ich jetzt einfach zwei oder drei Wochen wegfahren würd’, die Firma dem Dirk und sich selbst überlassen, und ...“
„Ich kann mir recht gut vorstellen, was passiert, wenn S’ auf diese Art weitermachen“, unterbrach der Daniel ihn jetzt wenig zartfühlend. „Dann ist nämlich der Tag abzusehen, an dem S’ ganz einfach zusammenbrechen und ziemlich tot sein werden. Dann wird’s Ihnen allerdings recht egal sein müssen, was aus der Firma wird. Ist das wirklich das, was S’ wollen?“
Der Arzt malte die Zukunft absichtlich so rabenschwarz, um dem Mann deutlich zu machen, dass er mit seiner Gesundheit und mit seinem Leben recht leichtsinnig umging. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, eine andere Tonart verstand der Tanngerber einfach nicht.
Der schaute den Doktor jetzt abschätzig an, dann nickte er. „Das meinen S’ also wirklich vollkommen ernst.“
„Ich kann Ihnen nur sagen, was ist. Was S’ daraus machen, ist Ihre Sach’. Tät’ schließlich Ihr Leben sein. Aber an Ihrer Stelle würd’ ich mal drüber nachdenken, wie lang das noch gutgehen kann mit dem Raubbau, den S’ da treiben.“
„Ich hab nun mal ein großes Unternehmen und trag’ die Verantwortung für eine Menge Angestellte und auch für die Geschäfte. Die schließen sich ja net von allein ab.“
„Und da tät’s Ihnen net mal in den Sinn kommen, den Dirk mehr in die Verantwortung zu nehmen? Niemand ist unersetzlich, auch Sie net. Versuchen S’ das einfach mal zu verstehen, auch wenn’s bestimmt schwer fallen tät’.“
„Na ja, ich werd’ mal drüber nachdenken“, räumte der Anton ein, sah aber nicht grad begeistert aus.
„Und denken S’ net zu lang“, empfahl der Daniel ernst. „Ich mag’s net besonders, wenn meine Patienten mir einfach sterben, das tät’ ich persönlich übel nehmen.“
Mit einem Lächeln minderte er etwas die Strenge seiner Worte, doch der Tanngerber hatte verstanden. Und schließlich war es ja auch die Aufgabe des Arztes auf seine Patienten einzuwirken, dass sie ein bisserl Vernunft annahmen.
„Was denken S’ überhaupt, der Dirk hat sich ja recht gut gemacht, und ich mein’, es wär’ an der Zeit, dass der Bursche mal ans Heiraten denkt. Wird er wohl noch ein bisserl mehr Verantwortungsbewusstsein zeigen?“
„Ich weiß net recht, was S’ vom Dirk noch alles erwarten“, sagte der Daniel bedächtig, der den Burschen recht gut kannte und eine lose Freundschaft mit ihm pflegte. „Nach allem, was ich so hör’, ist er erfolgreich in den Geschäften, kommt mit Ihren Mitbewerbern und Partnern gut klar, und bietet auch sonst keinen Anlass zur Klage. Wenn er jetzt auch noch ein Madl findet, das er von Herzen liebt, kann sich das nur noch weiter positiv auswirken. Aber auch da sollten S’ überlegen, ob Ihre Erwartungen net zu hoch sind. Der Dirk tut doch schon, was er kann. Oder seh’ ich da was falsch?“
„Nein, nein, ist ein Prachtbursche, auch wenn ich ihm das besser net sag, sonst bildet er sich womöglich was darauf ein.“
„Na, ein Lob hat noch keinem geschadet.“
„Darum tät’s auch gar net gehen. Ich hab für den Dirk ein Madl ausgewählt, und ...“
„Sie?“, fragte der Daniel erstaunt. „Sollte er das net besser selbst tun? Schließlich wird er sein Leben mit dieser Frau verbringen. Da sollt’ dann schon alles passen.“
„Ach, Schmarrn, die Liebe kommt von selbst“, behauptete der Anton.
„Davon bin ich net überzeugt. Und was sagt der Dirk denn dazu?“
„Na, die beiden werden sich dann nachher mal beschnuppern, und ich bin sicher, demnächst tät’s eine richtig schöne große Hochzeit geben.“
„Na, dann tät’ ich doch alles Gute wünschen“, meinte der Doktor, noch immer skeptisch. Der Anton lächelte siegessicher.
„Ich wird’ Sie und Ihr Madl als Ehrengast einladen, wenn’s soweit ist“, versprach er.
Der Daniel war noch net davon überzeugt, dass sich das alles so regeln würde, wie der Tanngerber sich das so vorstellte.
Das Restaurant im Feriendorf besaß einen sehr guten Ruf. Wie bei allem, was zu dieser ausgezeichneten Freizeitanlage gehörte, achtete der Betreiber, Anderl Schwarz, darauf, dass die Qualität weit über dem Durchschnitt lag.
So fanden sich auch Kunden hier ein, die nicht als Gäste im Feriendorf wohnten sondern von außerhalb her kamen.
Der Tanngerber hatte das sogenannte Kaminzimmer reservieren lassen, es bot Platz für bis zu zehn Personen. Jetzt waren es vier, die sich hier zum Essen trafen, und zu Anfang herrschte noch eine ziemliche Befangenheit, besonders zwischen den beiden jungen Leuten.
Der Anton und der Ludwig Langenhain waren schon seit Jahren Geschäftspartner, und sie kannten einander recht gut. Die Uschi hatte den alten Herrn schon länger beeindruckt, während der Dirk mit ihr noch gar nichts zu tun gehabt hatte.
Das Madl war schlank und bildhübsch, hatte schulterlange glatte dunkle Haare, ein schmales Gesicht und blaue Augen. Sie lächelte selten, und um ihren Mund lag ein strenger Ausguck. Sie taxierte den Dirk schon mit dem ersten Blick, schien aber der Ansicht zu sein, dass er ihren Mindestansprüchen entsprach.
Der Bursche fühlte sich in ihrer Gegenwart nicht recht wohl. Die Uschi schien vom ersten Augenblick an überlegen zu sein, sie füllte den ganzen Raum aus, und er hatte das Gefühl klein zu sein, wenn sie in der Nähe war. Das änderte sich erst, als sie dann doch zum ersten Mal lächelte. Plötzlich wurde aus der gestrengen Geschäftsfrau ein reizendes Madl, das Charme verströmte und endlich so jung wirkte, wie es tatsächlich war. Die Uschi hatte also eine Maske aufgesetzt, sei es, um sich selbst zu schützen, oder um niemanden so einfach an sich herankommen zu lassen. Warum tat sie das? Hier ging es schließlich in erster Linie um eine private Angelegenheit. Oder war auch dieses Treffen, das nach dem Willen der Väter in einer Heirat enden sollte, nichts weiter für sie als eine geschäftliche Angelegenheit?
Der Dirk wurde nicht so recht schlau aus der Uschi, und das veranlasste ihn, mehr auf Distanz zu bleiben, als er eigentlich vorgehabt hatte. Dadurch wirkte er selbst kühl und unnahbar, was die Uschi insgeheim erschreckte.
Und dann war da ja auch noch die Birgit, die eigentlich das Herz des Burschen schon längst erobert hatte. Wie er das allerdings seinem Vater beibringen sollte, wusste er net so recht. Es war nur dieses eine Wiedersehen gewesen, das sein Herz wieder lichterloh in Flammen gesetzt hatte.
Der alte Tanngerber würde sich vermutlich niemals damit abfinden, dass sein einziger Sohn und Erbe sich mit einem Madl verbinden wollte, das nach seiner Meinung einer anderen Gesellschaftsklasse angehörte.
Hier verlief das Essen jetzt erst einmal weiterhin in einer angespannten Atmosphäre. Die beiden Väter waren fest davon überzeugt, dass ihre Kinder sich nur besser kennenlernen mussten, alles andere würde sich dann von selbst ergeben – was für beide Firmen nur von Vorteil sein konnte. Und schließlich war es ja auch nicht so, als wären der Dirk oder die Uschi hässlich, sie konnten durchaus Gefallen aneinander finden.
Die beiden waren klug genug, ein nichtssagendes Gespräch zu führen, bis die beiden alten Herren sich nach der hervorragenden Mahlzeit an die Bar zurückzogen, damit das junge Volk Gelegenheit hatte, ungestört miteinander zu sprechen. Es gab für die Väter keinen Zweifel daran, dass sich alles in ihrem Sinne entwickeln würde.
Als die Tür sich hinter ihnen schloss, atmeten Dirk und Uschi unwillkürlich auf. Das Madl stellte die Kaffeetasse ab und schaute den Burschen abschätzig an.
„Ich glaub’, wir stecken da beide in einer ziemlichen Zwickmühle – oder wie denkst selbst darüber? Ich für meinen Teil hab jedenfalls net einfach vor, dich zu heiraten. Nur weil mein Vater gleich die Wände hochgehen würd’, hab ich mich auf das Theater heut’ eingelassen. Ich will jetzt net hoffen, dass du mit anderen Erwartungen hier bist.“
So offen und ehrlich hatte der Dirk nicht mit einem Kommentar gerechnet. Er lachte bitter auf. Irgendwie war ihm das Madl jetzt sehr sympathisch.
„Du sprichst da grad meine Gedanken aus“, erklärte er und sah, wie ein Lächeln über ihr Gesicht flog. Sie spielte gedankenverloren mit einer Serviette.
„Ich hab bisher noch keinem was gesagt, aber ich denk’, dir gegenüber sollt’ ich mit offenen Karten spielen. Es tät’ da einen Burschen geben, den ich – na ja, ich mein, ich würd’ ganz gern ...“ Sie schaute irritiert auf, als der Dirk lachte.
„Mir geht’s genauso. Und dein Vater hat wahrscheinlich, ebenso wie meiner, was dagegen.“
Sie nickte, erleichtert darüber, dass er sie verstand.
Der Bursche nickte düster. „Aber das müssen wir unseren alten Herren irgendwie beibringen, dass wir uns zwar recht nett finden und auch weiter geschäftlich gern zusammenarbeiten möchten – wennst magst, natürlich nur – dass für uns eine Heirat aber net in Frage kommt. Richtig?“
„Du hast’s in ganz wenigen Wörtern auf den Punkt gebracht. Aber wie willst das anstellen? Die zwei haben sich ja schon darauf versteift, dass es keine andere Möglichkeit mehr geben tät’. Ich weiß net, was passiert, wenn wir uns einfach so weigern. Mein Vater ist auch net so ganz gesund, er soll die Aufregung meiden. Und du kannst sicher sein, er wird sich aufregen“, prophezeite das Madl bitter.
„Das schaut bei mir genauso aus. Aber weißt, ich möcht’ wirklich net, dass du denkst, ich tät’ dich unattraktiv finden, oder so was. Nur, das andere Madl ...“
„Musst dich net entschuldigen. Wie heißt`s denn?“
„Birgit. Und der deine?“
„Peter.“ Die zwei lächelten sich an wie Verschwörer.
„Im Augenblick wird’s vielleicht noch besser sein, unseren Vätern nix zu sagen. Wir sollten uns was einfallen lassen, dass wir net gleich einen Krieg vom Zaun brechen. Es tät’ doch gar net Not, dass unsere alten Herren schon jetzt mit den Realitäten geschockt werden. Lassen wir’s erst in dem Glauben, dass wir uns das überlegen mit der Hochzeit. Und in der Zeit können wir nachdenken, wie wir das am besten anstellen, dass wir die Partner bekommen, die wir auch wollen.“
„Für ein Mannsbild bist ja gar net so dumm“, stellte die Uschi mit leichtem Spott fest. „Aber dir ist doch klar, dass wir den Zeitpunkt der Auseinandersetzung nur verschieben?“
„Na, ich weiß net“, gab der Dirk zu bedenken. „Vielleicht finden wir ja doch noch den Stein der Weisen, um unsere Väter zu überzeugen.“
Das Madl seufzte. „Ich glaub’, da könntst den Peter oder die Birgit mit Gold behängen, und auch dann wären die beiden noch immer net gut genug.“
„Ja, wir müssen einfach ganz fest daran glauben, dass wir’s noch schaffen.“
„Dein Wort in Gottes Ohr – und in dem unserer alten Herren.“
Ein Zirkus hatte immer schon eine ganz eigene, besondere Atmosphäre. Mochte es sich nun um einen großen oder einen kleinen Wanderzirkus handeln, stets gehören Unruhe, Aufregung und Lampenfieber dazu, wie die Luft zum Atmen.
Und ebenso charakteristisch ist der Geruch nach wilden Tieren, Sägespänen, Motorenöl und Schminke.
Im Zirkus Franzen gab es noch eine eigenständige Kapelle. Die spielte schon fleißig auf, während hunderte von Menschen aus der Umgebung sich zu ihren Plätzen drängelten. Einige der Helfer waren wie Clowns gekleidet und liefen durch die Reihen, wo sie Süßigkeiten, Getränke und Würstchen anboten. Hinter dem Vorhang war schon eine ganze Weile hektische Unruhe zu bemerken. Die ersten Artisten bereiteten sich auf ihren Auftritt vor, sprangen noch ein wenig auf und ab, um sich warm zu halten, verhedderten sich in ihren langen Umhängen, die nur für den Einmarsch gedacht waren, oder schimpften mit gedämpften Stimmen über Gott und Welt.
Endlich trat Johannes Franzen in die Manege, ganz feierlich in einen Frack gekleidet. An seiner Seite schritt Birgit, in ein dunkles knappes hautenges Kostüm gehüllt, blau glitzernder Stoff und ein dazu passender Zylinder. Sie warf einen Blick in die Runde und bemerkte den Dirk in der Ehrenloge. Er war also wirklich gekommen.
Ihr Herz machte einen raschen Sprung, und ihre Augen funkelten vergnügt. Mit einem verschmitzten Lächeln suchte sie seinen Blick, und sie amüsierte sich darüber, dass er so offensichtlich verwundert war über ihre Verwandlung. Es waren nun einmal zwei Welten, das musste der Bursche noch lernen. In der Manege war sie eine andere Person, die Dompteuse, die todesmutig ihr Leben aufs Spiel setzte, um waghalsige Dressurakte zu zeigen, die in Wirklichkeit nur dem Spieltrieb der großen Katzen entgegenkamen und halt nur eine Menge Konzentration erforderten. Und natürlich das Eingehen auf die Tiere, wie auch die Liebe zu ihnen.
Das allerdings wusste der Dirk noch gar nicht, der bis jetzt glaubte, dass die Birgit ihrem Vater als Assistentin zur Seite stand.
Außerhalb der Vorstellung war sie ein ganz normales Madl, mit einem Leben wie jeder andere auch – nur mit dem Unterschied, dass sie bis auf die Wintermonate keinen festen Wohnsitz hatte und manchmal ein aufregendes Leben führte.
Jetzt jedenfalls begann wie Vorstellung, und die Leute hielten gebahnt den Atem an angesichts der Darbietungen.
In der Pause wurden die Käfige aufgebaut, und die Birgit kam zum Dirk hin, um ihn herzlich zu begrüßen, während die anderen Leut’ hinausströmten, um bei Erfrischungen und einem kleinen Imbiss über das bisher gesehene zu diskutieren.
Das Madl zog den Dirk hinter den Vorhang, und er schaute sich neugierig um. Hier herrschte geordnetes Chaos, alle liefen durcheinander, doch jeder schien zu wissen, was er zu tun hatte.
„Wie gefällt’s dir?“, wollte die Birgit wissen.
„Ich bin begeistert. Ich war schon lang nimmer im Zirkus, und schon gar net in einem so großen. Allein die Menge an Tieren hier ist ja schon beeindruckend“, gestand er. „Aber was tätst eigentlich sonst noch machen, außer an der Seite deines Vaters gut auszusehen?“
Die Birgit lachte hell auf. „Oh, nein, wirst gleich schon sehen, ich verrat’ jetzt nix“, erklärte sie geheimnisvoll. „Ich wollt dich eigentlich fragen, ob du Lust hättest, nach der Vorstellung mit uns zu feiern? Das machen wir nach einer Premiere immer so.“
Ein Strahlen flog über sein Gesicht, er freute sich sichtlich. „Ja, gern, wenn ich darf.“
Der Johannes Franzen kam grad vorbei und sah seine Tochter mit einem fremden Burschen. Er musterte ihn und war zufrieden. Der machte einen recht guten Eindruck.
„Papa, darf ich dir den Dirk Tanngerber vorstellen? Obwohl, ihr müsstet euch eigentlich noch kennen, aber es ist ja schon eine Weile her.“
„Dein alter Schulfreund, ja“, schmunzelte der alte Herr und drückte dem Dirk die Hand. „Sie sind willkommen, junger Mann. Und viel Spaß noch bei der Vorstellung. Ich muss mich noch um was kümmern. Wir sehen uns doch später, oder?“ Es schien auch für ihn selbstverständlich, dass der Bursche zur Feier hier blieb.
Die Glocke ertönte und rief die Zuschauer wieder auf die Plätze. Gleich darauf hielt der Dirk entsetzt den Atem an, als die Birgit, jetzt in einem phantasievoll geschnittenen Anzug in den Käfig ging, wo eine Gruppe von Löwen nur darauf zu warten schien, dass das Essen angerichtet wurde. Und der Hauptgang würde bestimmt die Birgit sein.
Nicht weit vom Dirk entfernt saß Daniel Ingold mit der Bernie Brunnsteiner, der Tierärztin von Hindelfingen, ebenfalls in einer Loge. Dieses Ereignis war auch für diesen Ort nichts Alltägliches, und so wollte sich natürlich niemand eine Vorstellung entgehen lassen. Mal abgesehen davon, dass die Bernie schon ein berufliches Interesse daran hatte, wie die Tiere hier gehalten wurden. Selbstverständlich beschäftigte ein Zirkus dieser Größe einen eigenen Tierarzt, und mit dem würde das Madl gerne noch fachsimpeln.
Bis jetzt jedenfalls waren beide Ärzte begeistert, auch wenn der Daniel sich fragte, wie Menschen ihre Körper zu derart seltsamen Positionen verdrehen konnten. Auch ihm als Arzt war das nicht unbedingt verständlich.
Die Bernie hatte schon voller Begeisterung die prächtigen Pferde bewundert und blickte jetzt auf die Löwen, die einen ausgesprochen guten Eindruck machten. Die Birgit hatte die Tiere voll im Griff, und lang anhaltender Beifall belohnte die Darbietung. Als sie wieder hinter dem Vorhang verschwand, spürte sie augenblicklich die Anspannung, die sonst nicht üblich war. Zwei Helfer rannte wie kopflos umher, ein paar Artisten standen schreckensbleich an einer Zeltwand, und eine Gruppe von Weißclowns blickte entsetzt auf den Ausgang.
„Was ist los?“, fragte die Birgit scharf.
„Der Baghira, der schwarze Panther – er hat den Doktor angefallen“, stammelte einer von ihnen.
Der Doktor, das war der Werner Verhoeven, der Tierarzt.
„Wie geht’s ihm? Ist er schwer verletzt?“
Schulterzucken.
Warum hatte denn noch niemand für Hilfe gesorgt? Die Birgit lief so unauffällig wie möglich durch die Zuschauer bis zum Dirk.
„Weißt du, ob ein Arzt hier ist?“, fragte sie leise. „Mach’ bitte kein Aufsehen, Dirk. Aber das ist wichtig.“
Der Bursche schaltete ungeheuer schnell und stellte auch keine überflüssigen Fragen. Er schaute sich um und machte der Birgit dann ein Zeichen.
„Da drüben sitzt der Doktor Ingold, und daneben ist gleich die Tierärztin. Was brauchst denn überhaupt?“
„Na, besser kann man’s net treffen. Ich dank dir und erklär’ dir alles später.“
Das Madl schlängelte sich durch und machte dabei einen durchaus fröhlichen Eindruck. Niemals Panik und Sorge aufkommen lassen war die oberste Maxime in jedem Zirkus. Die Zuschauer waren hier, um sich zu unterhalten und vom Stress des Alltags abzuschalten. Sie durften auf keinen Fall erfahren, wenn es einen Notfall gab.
Erstaunt blickten die beiden Ärzte auf, als die Birgit sich von hinten näherte und sie ansprach.
„Entschuldigen S’ bitte, wir täten da ein Problem haben. Wär’s vielleicht möglich, dass S’ mit nach hinten kommen könnten?“
Augenblicklich waren beide Doktoren hoch konzentriert.
„Ist was passiert? Hat jemand sich verletzt?“, erkundigte sich der Daniel und stand schon auf.
„Kommen S’ bitte auch mit? Ich glaub’, ein Tierarzt tät’ auch not.“ Die Birgit schaute auch die Bernie bittend an, und die war auch gleich bereit.
Ohne große Hast gingen die drei Personen nach hinten, während hier in der Manege ein paar Clowns ihre Späße trieben und auch die letzten Gitter der Raubtierdressur abgebaut wurden.
„Da drüben liegt er“, rief einer der Helfer und deutete nach draußen in Richtung der Raubtiergehege. Daniel schimpfte innerlich auf die Tatsache, dass er heut’ keine Tasche dabei hatte. Aber wer würde denn auch auf die Idee kommen, dass bei einem einfachen Besuch im Zirkus Erste Hilfe notwendig wurde?
Seine Befürchtungen nicht helfen zu können, wurden gleich wieder zerstreut, denn jemand reichte ihm einen gut ausgestatteten Notfallkoffer.
„Kommen S’ mit mir mit? Ich glaub’, unser Baghira tät’ S’ brauchen“, sagte die Birgit und zog die Bernie mit sich.
Daniel beugte sich über den Werner und sah eine hässliche Wunde von der Schulter herab über den ganzen Brustkorb. Der Panther hatte keine Rücksichten gekannt und dem Menschen tiefe Risswunden zugefügt. Ob der Tierarzt nun einen Fehler gemacht hatte, oder ob es dem Tier selbst nicht gut ging und es sich vermeintlich verteidigt hatte, spielte im Moment keine große Rolle.
Ohne langes Federlesen schnitt der Daniel die Kleidung ganz auf und konnte nun die ganze Bescherung sehen. Noch immer sickerte Blut hervor.
„Was haben S’ gemacht? Einen Tiger zur falschen Zeit gestreichelt?“, fragte Daniel in dem Bemühen, den Tierarzt von den sicherlich grässlichen Schmerzen abzulenken und ihm gleichzeitig das Gefühl zu geben, es wäre alles nicht ganz so schlimm. Aber der Blutverlust war hoch, und bis der Mann mit dem Krankenwagen im Hospital wäre, würde es zu lang dauern. Der Doktor musste jetzt und hier eine Notoperation vornehmen, sonst konnte es böse Folgen haben.
„Helft’s mir mal, wir müssen ihn in einen Wohnwagen bringen, dort kann ich ihn besser versorgen als hier draußen“, bestimmte der Arzt und schaute einige der Arbeiter an.
Bereitwillig packten die den Tierarzt auf eine provisorische Trage und brachten ihn in seinen eigenen Wohnwagen.
„Ich glaub’ fast, ich bin etwas leichtsinnig geworden“, erklärte der Werner dann, als er mit dem Daniel allein war. „Da tät’ man diese Tiere seit vielen Jahren kennen, betrachtet sie schon fast als menschlich, und dann kommt der Tag, wo der Ruf der Natur stärker ist als alle Zuneigung. Es war wohl ganz allein mein Fehler. Und so ganz weit entfernt waren S’ mit Ihrer Bemerkung über den Tiger gar net. Ich hab den schwarzen Panther behandelt, der hat einen Splitter in der Pfote. Und die Fußballen bei den Katzen sind nun mal sehr empfindlich. Da war ich dann wohl net vorsichtig genug. Der Baghira hat mir jedenfalls gezeigt, dass er da keinen Spaß versteht.“
„Das versteh’ ich bei solchen Sachen auch net“, brummte der Daniel. „Wenn S’ jetzt net still halten, muss ich S’ wohl erst festhalten lassen.“
Der Werner versuchte doch tatsächlich dem Arzt zu helfen und wollte sich jetzt sogar aufrichten.
„Ganz einfach liegenbleiben und nix tun“, riet der Daniel. „Ich muss das alles ernst nähen. Bis S’ sonst im Krankenhaus sind, haben S’ zuviel Blut verloren, und dann tät’ Ihnen keiner mehr helfen können.“
Der Werner verzog ein bisserl das Gesicht. „Ist gar net so einfach, plötzlich selbst hilflos zu sein“, sagte er verlegen, und Daniel Ingold grinste.
„Ärzte sind die schlimmsten Patienten. Und da zählen S’ auch dazu.“
„Ich tät’ mir jetzt trotzdem Sorgen um den Baghira machen.“
„Ach, ich glaub’, das braucht’s net. Ich hab nämlich eine ganz reizende Kollegin von Ihnen dabei, die Bernie Brunnsteiner. Und die hat sich schon aufgemacht, um nach der Miezekatze zu schaun.“
Jetzt wurde der Werner ernst. „Sagen S’ das net so leichtfertig. Das ist wahrlich keine Schmusekatze.“
Wie um die Richtigkeit seiner Worte zu bestätigen, erklang in diesem Augenblick ein hoher schriller Schrei.
Bestürzt blieb der Daniel stehen. „Die Bernie“, flüsterte er entsetzt und musste kämpfen, um nicht einfach hinauszulaufen. Doch der Werner lachte trotz seiner Schmerzen leise.
„Nein, net Ihre Bernie. Das war der Baghira. Mir scheint, meine Kollegin weiß sich recht gut zu helfen. Ich bin beeindruckt.“
„Meinen S’ das jetzt ernst? Ich mein’, die Bernie ...“
„Nein, wirklich, das war der Schrei einer Raubkatze, den tät’ ich kennen. Und ich denk’, die Bernie hat den Splitter gezogen.“
Aus dem Hauptzelt mit der Manege hallte laute Musik herüber.
„Da spielt die Kapelle jetzt den Abschlussmarsch“, stellte der Werner fest. „Ich hab Ihnen wohl die Vorstellung verdorben. Tut mir leid. Ich werd’ versuchen das wieder gut zu machen.“
„Schmarrn. Ich hätt’ S’ ja schlecht verbluten lassen können. So, das tät’ erst mal reichen, bis sich im Hospital die Kollegen um den Rest kümmern können.“
„Ich dank Ihnen, Herr Doktor. Wie heißen S’ eigentlich?“
„Daniel Ingold. Und du?“ Irgendwie war es selbstverständlich, dass die beiden Mannsbilder sich duzten.
„Ich bin der Werner Verhoeven. Danke, Daniel.“
„Nix zu danken. Der Krankenwagen wartet schon. Wennst nix dagegen hast, werd’ ich mich erkundigen, wie’s dir geht.“
„Ich bitt’ darum. Und einen netten Gruß an meine Kollegin. Die tät’ ich doch gern mal kennenlernen.“
„Darüber lässt sich reden.“
Die Sanitäter hatten draußen gewartet. Jetzt brachten sie den Verletzten ins Hospital, und der Daniel machte sich auf, um nach der Bernie zu schauen. Er war noch immer net ganz überzeugt davon, dass da wirklich eine Katze geschrien hatte, mochte die nun groß oder klein sein. Doch gleich darauf konnte er sich überzeugen, dass es der Bernie gut ging. Die stand nämlich bei den Pferden und bewunderte die herrlichen Tiere.
„Ich hab mir schon gedacht, dass du nach mir schaust“, rief sie fröhlich. „Aber es ist alles in Ordnung. Dem Panther geht’s gut.“
Der Daniel zog das Madl an sich, er war erleichtert, dass ihr nix passiert war. Doch dann wurde er unsanft beiseite gestupst. Offenbar war eines der Pferde eifersüchtig.
„Hab ich’s net vorher gesagt? Die Uschi und du, ihr seid’s ein wunderbares Paar. Und nun habt’s ihr Zeit euch kennenzulernen. Da tät’s ja nun wirklich keine Probleme geben; wenn ihr euch treffen wollt, dann nehmt’s euch halt frei. Je eher, umso besser. Der Ludwig und ich haben nämlich den Termin für die Verlobung festgelegt. Und bis dahin ...“
„Ihr habt’s was?“, fragte der Dirk fassungslos und starrte seinen Vater entsetzt an. Der machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Was soll denn dies Gerede? Ihr habt’s in der Verlobungszeit noch mehr als genug Zeit, um mehr aufeinander einzugehen. Dafür ist diese Zeit ja auch gedacht. Und warum noch länger zögern, das macht doch keinen Sinn. Wir sind uns schließlich einig.“
„Ihr seid’s euch einig, da hast recht“, stieß der Bursche bitter hervor. „Werden die Uschi und ich überhaupt noch gefragt? Vielleicht mögen wir uns ja net genug, um das ganze Leben miteinander zu verbringen.“
Eine steile Zornesfalte bildete sich auf der Stirn vom Anton, als er seinen Sohn jetzt intensiv musterte.
„Tät’ da noch was sein, worüber ich besser Bescheid wissen sollt’? Spukt dir immer noch dies Madl vom Zirkus im Kopf herum? Die tätst am besten ganz schnell wieder vergessen. So was kommt mir nie und nimmer in Frage.“
Das wusste der Dirk schon längst, aber bisher hatte er noch keinen Einfall, wie er es dem Vater schmackhaft machen sollte, dass die Birgit seinem Herzen viel näher stand als die Uschi. Ebenso wenig wie das Madl eine Idee hatte, wie’s dem eigenen Vater klar machen sollte, dass da wer anders war als der Dirk.
Die beiden nutzten in den letzten Tagen die Tatsache, dass sie sich treffen sollten. Allerdings sahen diese Treffen so aus, dass sie zum jeweils anderen Partner verschwanden. Sollten ihre Väter jemals dahinter kommen, wäre ein Skandal vermutlich unausweichlich.
„Vater, ich denk’, über dieses Thema müssen wir net diskutieren“, sagte der Bursche jetzt ausweichend. Das klang zwar nicht so, als würde er sich das Madl aus dem Kopf geschlagen haben, doch es war allemal besser, als wenn er darauf bestand, sie in die Familie aufzunehmen.
Der Dirk grinste jetzt offen und verbarg seine Gedanken hinter einer Maske aus Zustimmung.
„Wennst denn also nix dagegen hast, dann würd’ ich gern mit der Uschi ...“
„Schon genehmigt. Macht’s euch einen schönen Tag“, stimmte der Anton großzügig zu. „Ach, nun hätt’ ich’s fast vergessen. Die Verlobung.“
„Ja?“, fragte der Dirk gedehnt und fühlte, wie es ihm eiskalt über den Rücken lief.
„Der Ludwig und ich wollen unsere – eure – Verlobung natürlich auch geschäftlich nutzen. Je eher, desto besser, das sagte ich ja schon mal. Wir haben dementsprechend die Feier für den Sonntag festgesetzt.“
Dem Burschen war es, als würde ihn jemand von oben bis unten mit Eiswasser übergießen.
„Jetzt Sonntag?“, fragte er rau, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte.
„Ja, freilich. Wir täten uns doch alle einig sein. Oder gibt’s was einzuwenden?“ Forschend musterte der Anton seinen Sohn. Irgendetwas stimmte hier doch nicht. Auch der Ludwig hatte erzählt, dass die Uschi den Dirk wohl gern mochte, dass aber net viel Gefühle im Spiel waren. Ach, Schmarrn, wozu denn auch? Diese heiße blinde Liebe, von der die jungen Leut’ träumten, war ja doch net mehr als ein Strohfeuer. Und wenn das ausgebrannt war, blieb nix übrig als die Scheidung.
„Nein, es tät’ natürlich alles in Ordnung sein“, erklärte der Dirk jetzt spröde, während sich in seinem Kopf die Gedanken überschlugen. Er machte, dass er aus dem Haus kam. Darüber musste er mit der Uschi reden, sie brauchten jetzt dringend einen Plan.
Die Birgit war schon daran gewöhnt, dass der Dirk täglich zu Besuch kam. Und auch die anderen Artisten und Helfer hatten den Burschen mittlerweile akzeptiert. Er war stets hilfsbereit und freundlich, und außerdem schien die von allen verehrte Tochter des Direktors ihr Herz an ihn verloren zu haben. Das war jedenfalls nicht zu übersehen, wenn man die zwei miteinander beobachtete. Sollte sich da mehr draus entwickeln, war es sicher besser, sich gut mit dem Dirk zu stellen.
Heut’ aber kam der Bursche nicht allein auf dem Gelände an. Er hatte ein fesches Madl dabei, und mehr als einer machte sich plötzlich ein paar Gedanken.
Auch die Birgit schaute erstaunt auf, als der Dirk mit dem fremden Madl nach kurzem Anklopfen in ihren Wohnwagen kam.
„Das ist die Uschi“, erklärte er dann nach einer liebevollen Begrüßung.
„Ach, dann sind S’ diejenige, die der Dirk heiraten soll, wo S’ doch eigentlich auch einen anderen haben. Du lieber Himmel, mir scheint, das ist eine ganz verrückte Geschichte. Schön, dass ich dich auch mal kennenlernen darf – hast doch nix dagegen, wenn wir du sagen? Aber so, wie ich den Dirk mittlerweile kennen tät’, muss der schon einen besonderen Grund haben, damit er S’ mitbringt.“ Das Madl lächelte freundlich, es fand die Uschi auf Anhieb sympathisch. Und das schien auf Gegenseitigkeit zu ruhen, denn auch die Uschi strahlte.
„Du kennst mich schon viel zu gut“, stellte der Dirk fest. „Aber schau, da tät’s langsam ein ernsthaftes Problem geben.“ Er berichtete von dem Gespräch mit seinen Vater, und die Uschi erklärte im Wesentlichen das gleiche von ihrer Seite.
Die Birgit überlegte eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. „Da tät’ mir auch nix zu einfallen. Ich würd’ ja sagen, ihr weigert euch, der Verlobung zuzustimmen. Aber wenn ich das recht versteh’, ist’s ja wohl so, dass auch geschäftliche Dinge eine Rolle spielen, und da wird’s dann kompliziert.“
„Das ist wohl noch leicht untertrieben“, stöhnte die Uschi. „Schau, ich tät’ den Dirk nett finden, aber zum Heiraten reicht’s nun wirklich net. Und da ist ja auch noch ein Bursch’, ich mein’, den tät’ ich mehr als nur ein bisserl gern haben. Den würd’ ich auf der Stelle heiraten, wenn da net das Theater mit meinem Vater wär’.“
„Und dieser Bursch’ ist nix, was dein Vater akzeptiert?“
„Wohl kaum“, seufzte das Madl. „Er ist schließlich nur ein einfacher Werbegrafiker.“
„Aber das ist doch ein ordentlicher Beruf“, meinte die Birgit und lachte leise. „Auf jeden Fall sollte das in den Ohren deines Vaters besser klingen als bei Dirks Vater, der wohl schon Zustände bekommt, wenn er das Wort Artistin hört.“
„So ein Schmarrn. Aber das tät’ uns allen net weiter helfen“, stellte die Uschi nüchtern fest.
„Wart’ mal, ich werd’ meinen Vater holen, vielleicht hat der eine Idee.“
„Dein Vater ist ein toller Kerl, aber glaubst wirklich ...?“, warf der Dirk skeptisch ein, doch das Madl lachte.
„Mein Vater weiß eigentlich immer einen Rat, und wenn’s noch so schwierig ist. Wart’ einen Augenblick.“
Sie huschte aus dem Wohnwagen, und die Uschi schaute sich neugierig um.
„Das ist ja richtig luxuriös hier“, stellte sie fest. „Ich hätt’ mir das eigentlich net so angenehm vorgestellt.“
„Überleg mal, die Leut’ sind die ganze Saison unterwegs. Das hier ist ihr Zuhause, da braucht’s schon ein bisserl Luxus, wenn der Platz beschränkt ist und man selten länger als eine oder zwei Wochen an einem Ort bleibt.“
„Und Geschmack hat’s auch, deine Birgit. Ist ein nettes Madl. Ich tät’ euch alles Glück wünschen – irgendwie“, meinte die Uschi.
„Na, wir werden aber doch hoffentlich in jedem Fall weiter Freunde bleiben. Da kannst dann ja verfolgen, ob ich mit der Birgit glücklich werd’. Genauso wie du mit dem Peter. Ich wünsch’ euch da auch alles Gute.“
„Na fein, nun haben wir genug Nettigkeiten ausgetauscht“, lachte sie. „Ich bin ja mal gespannt, ob der Vater von der Birgit wirklich eine Idee hat.“
„Warum denn net?“, dröhnte eine Stimme durch die sich gerade öffnende Tür.
„Herr Franzen, schön, Sie zu sehen“, begrüßte der Dirk ihn höflich, zuckte dann aber zusammen, als der Johannes ihm kräftig auf die Schultern schlug. „Willst weiter so förmlich bleiben, Bub? Ich bin der Johannes, und ich will doch hoffen, dass du keine Hemmungen hast, mich zu duzen.“
„Nein – nein, natürlich net.“
„Gut. Und da ist das Madl, das diesen Schlawiner hier heiraten soll, aber net will?“ Er schaute sie prüfend an. „Ich denk’, wir sind hier eine kleine verschworene Gemeinschaft. Also heißt’s auch du.“
Die beiden jungen Leut’ waren erschlagen von der überwältigenden Freundlichkeit und der Präsenz, mit welcher der Johannes den Raum ausfüllte.
„Sie haben – du hast also eine Idee?“, brachte der Dirk die Sache wieder auf den Punkt.
„Na ja, so ganz durchdacht hab ich’s noch net, ging ein bisserl schnell, aber die Birgit hat mir eine Kurzfassung der Geschichte gegeben. Und ich denk’, ich seh’ das doch wohl richtig, Dirk, dass du ein ernsthaftes Interesse an meiner Tochter hast.“
Unwillkürlich wurde der Bursche rot. So deutliche Worte wurden bei ihm daheim net mal im geschäftlichen Bereich benutzt. Aber er nickte tapfer. „Ich hab die Birgit lieb. Und ich bin mir da ziemlich sicher, wenn’s mich haben will, dann werd’ ich’s heiraten.“