Aschenputtel und die Erbsen-Phobie - Nina MacKay - E-Book

Aschenputtel und die Erbsen-Phobie E-Book

Nina MacKay

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Beschreibung

"Spieglein möchte, dass wir ihn ab sofort Whistle-Blower' nennen", unterbricht Rose meine Gedanken, "schon gehört?" ALLE HAPPY ENDS SIND IN GEFAHR! Reds Leben ist nicht gerade leichter geworden seit der Sache mit den verschwundenen Happy Ends und ihrer Reise nach Wonderland. Und nicht nur Red spürt die Nachwirkungen ihres letzten Abenteuers: Prinzessin Jasemin kocht vor Wut. Ein Krieg steht unmittelbar bevor! Red und ihrer Prinzessinnen-Gang bleibt keine Wahl - sie müssen die Hexen des Märchenwalds auf ihre Seite ziehen, denn die Angst vor der Märchen-Magie ist das Einzige, was die rachsüchtige Jasemin davon abhält, ins Land einzufallen. Zumindest kann relativ bald eine Liste an möglichen Kandidaten erstellt werden, die für die Rolle des verlorenen Kindes, das den Krieg entscheiden soll, infrage kommen: 1) Robin Hood 2) Goldmarie 3) Gretel 4) Der verrückte Hutmacher Nur leider kann Red nicht auf Evers Hilfe zählen, denn der möchte nach einem Zwischenfall Abstand zwischen sie beide bringen. Im Gegensatz zu Jaz, der hartnäckig daran arbeitet, Red von seiner Liebe zu überzeugen. Was ihm nicht so recht gelingen will, obwohl er nach Evers Verschwinden derjenige sein muss, der sie jede Nacht vor dem Fluch schützt. Doch dann naht die nächste Vollmond Nacht . Willkommen im Club der nicht ganz so anonymen Fluchgeschädigten. -Band 2 der Hipster-Märchen Reihe-

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Aschenputtel und die Erbsen-Phobie

Nina MacKay

Copyright © 2016 by

Astrid Behrendt

Rheinstraße 60

51371 Leverkusen

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Isabell Schmitt-Egner

Korrektorat: Lillith Korn

Layout: Michelle N. Weber

Illustrationen: Andrea Grautstück

Umschlagdesign: Marie Graßhoff

Bildmaterial: Shutterstock

Druck: Booksfactory

ISBN 978-3-95991-992-0

Alle Rechte vorbehalten

Für alle,

die noch auf der Suche nach ihrem Happy End sind. Ich wünsche euch alles Glück der Welt!

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Danksagung

Über die Autorin

Bücher von Nina MacKay

Kapitel 1

Was meinst du damit, es ist aus?«

Prinz Charming steht uns gegenüber auf der anderen Seite der Kartons, die die Bediensteten abstellen, so als wollen sie eine Pappmauer zwischen uns errichten. Eine Windböe streicht darüber, hebt die Kartondeckel hier und da etwas an. Aus einem der größten quillt der Tüllrock eines Brautkleides hervor. Offenbar ist er genauso wenig wie Cinder gewillt, jetzt schon aufzugeben. Sich Prinz Charmings Willen zu beugen. Eigentlich wollte ich Cinder nach unserem Krav-Maga-Kampftraining nur nach Hause begleiten. Und nun das. Mit Charming und einem solchen Drama habe ich nicht gerechnet. 

»Du bist einfach nicht mehr das Mädchen in Not, in das ich mich verliebt habe«, seufzt ihr Ehemann. Schweiß perlt von seiner Stirn, den er eilig fortwischt.

Cinder schluckt, steht ganz steif neben mir. 

»Weil ich jetzt Krav Maga mache?« Die Worte entweichen ihrer Kehle in unregelmäßigen Abständen. Sie bringt sie kaum hervor, kann das offensichtlich alles nicht fassen. Genauso wenig wie ich. 

»Nicht nur das.« Mit verschränkten Armen lehnt sich Prinz Charming gegen den Türrahmen. Eine seiner dunklen Haarsträhnen verrutscht, was ihm, dem perfekten Prinzen, sonst nie passiert. »Du hast mich in Wonderland gerettet. Warum musstest du das auch tun, Cinder? Eigentlich hätte ich DICH retten sollen!«

Mir bleibt die Spucke weg. Deswegen killt der hochwohlgeborene Herr sein eigenes Happy End? Weil Cinder, genau wie wir anderen in den letzten Wochen, gelernt hat, sich selbst zu retten? Lächerlich! 

»Aber Liebling, hätte ich dich etwa auf diesem Schachbrett zurücklassen sollen?« Cinder piepst und krächzt, als sei sie im Stimmbruch. 

»Ja.« Für einen quälend langen Moment schließt der Prinz die Augen, bis er hinzufügt: »Ich will die Scheidung!«

Cinders Schultern zittern, dann bricht sie in meinen Armen zusammen. Am liebsten möchte ich ihrem Göttergatten wüste Beschimpfungen und gleich danach meine Schuhe an den Kopf werfen, doch er dreht sich einfach um. Verschwindet in seinem Schloss. Und ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, Cinder zu halten. Soll das heißen, Charming steigt aus? Aus unserer kleinen Widerstandsbewegung? Dem Widerstand gegen das Morgenland?

Cinder schluchzt, klammert sich an mich und ich beiße mir auf die Lippen. Bei allen sieben Geißlein! Warum muss das ausgerechnet heute passieren? Es ist wie verhext!

Nach einer Weile, in der sich meine Freundin weitestgehend ausgeheult hat, ziehe ich sie auf die Beine. 

»Komm, Cinder, wir bringen dich einfach bei Snow unter. Deine Sachen lassen wir abholen.« Schließlich ist Snows Schloss seit knapp vier Wochen unser strategischer Stützpunkt. Dort haben sich sämtliche Gegner Jasemins einquartiert. Auch Ever, Jaz, Asher und sogar Pan. Snow wollte uns unbedingt »Der Widerstand« nennen und langsam habe ich mich an diesen schwachsinnigen Namen gewöhnt. 

Im Prinzip ist Snow ja gegen alles, aber dieses Mal speziell gegen Prinzessin Jasemin, die sich nicht nur an uns für den Tod ihres Vaters rächen, sondern auch gleich den ganzen Märchenwald für sich haben will. Mit Krieg und allem Drum und Dran, befürchten wir. Einfallen, Leute abschlachten, Land an sich reißen. So ungefähr.

Widerstand also. Mit Haut und Haar. Zusätzlich hat Prinzessin Jasemin noch eine ganze Armee. Wir dagegen nur ein paar Jäger und Wachen, die uns nicht wirklich glauben, dass wir bald vom Morgenland überrollt werden. Oder zumindest nicht glauben wollen. Plus einen Werwolf, einen Piraten und zwei Zauberstäbe. Gut, die verrückte Hexe nicht zu vergessen. Dennoch … unbestritten eine recht magere Ausbeute.

In Snows Schloss laufen wir unglücklicherweise zuerst Jaz über den Weg. Kaum habe ich die schluchzende Cinder an den Wachen vorbei durch das Eingangstor geschoben, biegt er um die Ecke und steht plötzlich mitten im Flur. Sieht mich ungefähr genauso überrascht an wie ich ihn. Seit Tagen gehe ich ihm aus dem Weg. Finde Vorwände zu verschwinden, wenn er versucht, ein Gespräch zu beginnen. Auch heute hält er sofort inne, als er mich sieht. Verflucht sei er und sein hübsches Piratengesicht! Natürlich hilft mir wie immer alles stumme Fluchen nichts. Jaz’ Blick verhakt sich in meinem und mal wieder vermittelt er mir das Gefühl, allein mit ihm in einem Raum zu sein, wenn nicht sogar allein im ganzen Universum. Diese Aufmerksamkeit lässt mein Gesicht vor Hitze glühen, meinen Körper ebenso. Es ist einfach zu viel. Er ist zu viel. Während Cinder schon mal vorgeht, sehe ich nach rechts und links und dann ganz langsam direkt in Jaz’ Augen. Verzweifelt suche ich nach einem Ausweg, einem Grund, mich zu verdrücken, und will doch keinen finden. Die Art, wie er mich ansieht, erinnert mich daran, wie Rapunzel Buttercremetörtchen betrachtet. Mit diesem ganz eigenen Strahlen, das sie stets nur für ebendieses Gebäck reserviert.

Jaz’ Mundwinkel heben sich, als ich so lange bei ihm verharre. Eine seiner dunklen Strähnen fällt ihm ins Gesicht, wie es geschulten Schauspielern in Vampir-Teenager-Romanen immer so selbstverständlich gelingt. Ganz leicht lege ich den Kopf in den Nacken, denn irgendwie scheint etwas in der Luft zu liegen. Etwas Schweres und doch Lockerleichtes. Auf einmal bekomme ich zu wenig Sauerstoff. Obwohl sich meine Nasenflügel weiten, kann ich keine Luft mehr in meine Lungenflügel saugen, stehe kurz davor, zu hyperventilieren. 

Zu viel. Er ist zu viel.

»Cinder!« Eine aufgeregte Snow biegt um die Ecke, gefolgt von Rapunzel, die hinter ihr her stolpert, mit den Haaren aber an einer Türangel hängenbleibt. »Wir haben es gerade gehört!«

»Ja«, pflichtet ihr Rapunzel bei, nachdem sie ihre Haarsträhnen befreit hat. »Oder ist das ein schlechter Scherz?«

Ich eile auf die beiden zu. Weil ich nicht genau verstehe, was los ist, tausche ich einen Blick mit Cinder. Doch sie schnieft nur und schaut genauso ratlos drein, wie ich mich fühle.

Snow neigt den Kopf zur Seite, wobei ihr das Ebenholzhaar in den hohen Kragen ihres Kleides fällt. »Prinz Charming hat seinen Beziehungsstatus auf Facebook geändert.«

Natürlich. Was auch sonst könnte hier alle dermaßen in Aufruhr versetzen? Ich verdrehe die Augen. Da hat Prinz Unverschämt aber flinke Finger bewiesen.

Schneller, als ich gucken kann, packen Snow und Rapunzel Cinder an beiden Armen und schleifen sie fort. Sicherlich, um sie erst mal zu einer Gesichtsbehandlung zu bewegen und danach zu einer Pediküre. Seit Anbeginn der Zeit sind Quark und Gurkenscheiben im Gesicht bei meinen Freundinnen ja die erste Maßnahme im Krisenmanagement.

Damit stehe ich allerdings auf einmal alleine im Flur mit Jaz, der mich immer noch anstarrt, als sei ich eine Erscheinung.

Ich schlucke. Er sieht mich immer noch an.

»Ja, ich muss dann auch mal … meine Pfeilsammlung sortieren«, sage ich lahm, versuche, mich an ihm vorbeizudrücken, doch er umfasst mein Handgelenk und hält mich zurück. »Warte. Wir müssen uns unterhalten. Seit dreizehn Tagen hast du kein einziges Wort mehr mit mir gewechselt.« 

Zählt er etwa mit? Ich hebe den Kopf. Seine Stimme klingt nicht nach dem Jaz, den ich kenne. Sie ist brüchig, irgendwie so, als hätte man ihm etwas weggenommen. Etwas Lebenswichtiges. »Bitte, Red.«

Seine Nähe ist mir schmerzlich bewusst. Warum muss er es mir so schwer machen? Herzzerreißend schwer. Ein Teil von mir genießt es, seine Haut auf meiner zu spüren, seinen Geruch einzuatmen und in seine unergründlich tiefen Augen zu starren. Dieser Teil von mir möchte durch seine dunklen Haare fahren oder noch besser: ihn an mich ziehen. Doch der andere, der vernünftige Teil in mir, ist sich bewusst, dass ich mich für Ever entschieden habe. Meinen Seelenverwandten. Und jeder Teil in mir weiß, dass man nicht alles haben kann.

»Wie oft willst du noch vor mir davonlaufen? Vor mir und deinen Gefühlen? Ich weiß, dass du mich liebst. Und es ist okay für mich, wenn du auch Ever liebst.« Er seufzt. »Bald ist Vollmond. Die eine Nacht, die du unweigerlich mit mir verbringen musst. Ich brauche dich, Red, bitte hör endlich auf, mich zu ignorieren. Es bringt mich um.« Seine Stimme versagt nun gänzlich.

Aus einem Impuls heraus recke ich das Kinn, weiß plötzlich, was ich sagen will, was schon so lange ungesagt in mir schlummert. Der Tanz um die heißen Kohlen ist vorbei. Das Kreisen um unsere unausgesprochenen Gefühle. »Du kannst nicht wissen, ob du mich wirklich willst. Bisher warst du nie mit einem Mädchen zusammen. Du hast jahrelang keins mehr gesehen. Und das einzige Mal … mit Fear … da hast du unter einem Zauber gestanden.«

Mit einer abwehrenden Handbewegung schüttelt Jaz den Kopf. 

»So ist es nicht. Ich beweise es dir.« Er hebt den Blick und sieht mir direkt in die Augen. So offen, dass ich schon wieder schlucken muss. »Ich will nur dich. Du bist mein Happy End.«

Plötzlich scheinen die Wände im Flur näher zusammenzurücken, mich einzukesseln. Ich muss hier weg. Also reiße ich mich von ihm los, ignoriere den verletzten Ausdruck in seinem Gesicht und renne raus, den Flur hinunter bis zur großen Halle, wo zwei breite Treppen nach oben führen. Ganz ähnlich wie im Heim der Herzkönigin.

Ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass Jaz mir immer noch hinterhersieht. Ich bin mir seiner Blicke mehr als bewusst und dieses Bewusstsein schnürt mir die Kehle zu, lässt mein Herz lautstark in meiner Brust pochen. Ich renne und kann ihm doch nicht davonlaufen. Wir beide wissen es. Denn sobald es Vollmond ist, werde ich ihn brauchen. Dem Fluch sei Dank. Spieglein sagt es, die Herzkönigin schwört es: Sie alle bezeichnen Jaz als meine zweite wahre Liebe. Und Dank des Fluchs darf ich nie wieder ohne meine wahre Liebe an meiner Seite nachts einschlafen. Solange Ever bei mir ist, stellt diese Fluchangelegenheit, ein Geschenk der Dreizehnten Fee, auch kein Problem dar, nur ist es eben so, dass genau diese Fee Ever einen Werwolffluch angehängt hat. Aus diesem Grund verwandelt er sich in der Vollmondnacht in einen Wolf und kann das Bett nicht mit mir teilen. Ironie des Schicksals. Willkommen bei den nicht ganz so anonymen Fluchgeschädigten. 

Nachdem ich die Stufen der Treppe erklommen habe, wird mein Herz schwer, als hätte ich es unten im Flur an einen Stein gebunden zurückgelassen. Bei Jaz. Kann das alles wahr sein? Soll er meine andere große Liebe sein? Was für ein grausamer Scherz ist das? Und wer hat ihn sich ausgedacht? Warum fühle ich mich zu ihm hingezogen, wenn es doch Ever ist, den ich will? Aber dafür gibt es eine einfache Erklärung: das Stockholm-Syndrom. Diese Verbindung zwischen Jaz und mir, die ich fühle, lässt sich ganz einfach auf dieses Phänomen herunterbrechen. Energisch beginne ich vor mich hinzunicken. In Neverland hat Jaz mich praktisch unter Drogen gesetzt und auf seinem Schiff festgehalten. Nur deshalb … Verdammt, ich muss unbedingt diesen dämlichen Fluch brechen und dann –

»Spieglein möchte, dass wir ihn ab sofort ›Whistleblower‹ nennen«, unterbricht Rose meine Gedanken, »schon gehört?« Sie lehnt an einem Türrahmen und streicht sich mit einer Hand über ihren dunkelblonden Zopf.

Mein Augenlid zuckt. In diesem Irrenhaus auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, stellt wie immer ein aussichtsloses Unterfangen dar. 

»Hallo, Rose. Nett, dass du fragst. Nein, dieses Wissen ist bislang glücklicherweise an mir vorbeigegangen.« Ich meine, ich könnte den blöden Spiegel einhundert andere Dinge nennen, die meisten davon unterhalb der rein virtuellen Gürtellinie, aber nun ja …«

»Das habe ich gehört.« Eine seltsam dumpfe Stimme erklingt aus dem Spiegel direkt vor mir, der über einer schmalen Ebenholzkommode angebracht ist. Die eingeschnappte Stimme vomWhistleblower.

Zuerst fürchte ich fast, er habe meine Gedanken gelesen, aber das ist natürlich Unsinn. Also imitiere ich einfach Rose’ Haltung und lehne mich neben sie gegen die Wand. 

»Spionierst du jetzt flächendeckend hinter uns her oder was soll das?«

»Pff.« Der Spiegel verzieht die zwei schwarzen Löcher in seinem Gesicht nach rechts oben. Ich interpretiere das als ein Augenverdrehen nach den besten Möglichkeiten, wenn einem richtige Augen fehlen. Bei ihm kann man ja nie genau sagen, was er an Gesichtsmimik so rüberbringen will. »Eigentlich wollte ich mit euch allen reden, aber da die Hälfte von euch gerade Gurkenmasken im Gesicht trägt …«

Ja, ich fühle seinen Schmerz. Spieglein und ich fletschen gleichzeitig die Zähne. Solange Gesichtsbehandlungen in diesem Schloss ganz oben auf der Agenda stehen, sehe ich so schwarz wie Spiegleins Augenlöcher für unseren Widerstand.

»… da dachte ich mir, ich spreche einfach kurz mit einem vernünftigen Menschen: Käpt’n Hook.«

Wirklich schade, dass der verdammte Spiegel immun gegen Ohrfeigen ist.

»Bin schon da!« Jaz kommt die Treppe heraufgesprintet. Seine Stimme klingt auf einmal wieder nach flüssigem Karamell. So wie an dem Tag, an dem ich ihn kennengelernt habe.

Warum auch immer, bei diesem Klang spannt sich jeder noch so kleine Muskel in meinem Körper an. Plötzlich stehe ich wieder mit ihm an der Klippe in Neverland und wir springen Hand in Hand hinunter. So unauffällig wie möglich schüttle ich den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Das ist alles so falsch. Ich muss ihn loswerden. Besser heute als morgen. Doch wenn er weg ist, wie überlebe ich dann die Vollmondnacht? Irgendetwas muss ich mir überlegen. Die Nacht komplett wachzubleiben, stellt leider keine Option dar. Findet Ever auch. Zu gefährlich. Ich könnte einfach im Stehen einnicken.

Jaz stellt sich auffällig nah neben mich. Auch das noch. Fast bin ich versucht, von ihm wegzurücken. Andererseits möchte ich gerade lieber so tun, als sei er nicht da, also bewege ich mich keinen Zentimeter von der Stelle. Soll er doch neben mir stehen. Der große Pirat mit den breiten Schultern, dessen raupendicke Augenbrauen wackeln, als sein Blick auf mich fällt. Den es nach eigener Aussage verletzt, wenn ich ihn ignoriere. Mein Herz fühlt sich an, als würde es auf die Größe einer Haselnuss zusammengepresst werden.

»Du kommst wie gerufen!«, schleimt Spieglein nahtlos weiter. 

Rose antwortet darauf mit einem Geräusch, das gemeinhin als Würgereflex beschrieben werden kann. Die übliche Reaktion in unserem Freundeskreis auf Spiegleins Schwärmerei für Jaz.

Aber Spieglein ignoriert sie. Denn er ist viel zu sehr damit beschäftigt, Jaz zu gefallen, und da er sich seiner Aufmerksamkeit aktuell sicher sein kann, schiebt der Spiegel sein Kinn vor. Wackelt ein wenig von links nach rechts. »Ich habe ein paar Computer in unseren Nachbarländern gehackt.« 

Seine Stimme ist süß und trieft vor Stolz wie ein Löffel, den man aus einem vollen Honigtopf zieht.

»Und? Irgendwelche Pornos gefunden?«, hake ich tonlos nach.

Neben mir räuspert sich Jaz. Soll das ein pikiertes Hüsteln werden? Überrascht ihn das noch? Er weiß aber schon, mit wem er es hier zu tun hat?

»Warum tust du uns nicht den Gefallen, Red, und wirst endlich mal erwachsen?« Im Gegensatz zu Jaz hat der Whistleblower es nicht so mit vornehmer Zurückhaltung. 

Nach dieser offenkundigen Beleidigung werde ich natürlich nur noch bockiger. »Und warum tust du uns nicht den Gefallen und verschwindest in deinem Spiegelkabinett? Oder sortierst deine To-do-Liste? Während du dich hier wichtigmachst, ziehen die brandheißen Meldungen an dir vorbei! Bei den sieben Geißlein soll es die Tage richtig abgehen. Die planen einen Blog über Kressezucht. Schon gehört? Tja. Das dachte ich mir …«

Spieglein schnaubt. »Du redest so einen Blödsinn, wenn du nervös bist.«

»Ich, nervös?«, japse ich ein paar Tonlagen zu hoch, als dass man mich noch ernst nehmen könnte. Zumindest in diesem Leben.

»Ja, Red, du. Warum nimmst du dir nicht endlich ein Zimmer mit Ever und kümmerst dich um deinen … ähh … Kram.«

»Ähm, ja«, unterbricht Jaz den Spiegel endlich, bevor ich doch noch einen Versuch im Flatscreen-Ohrfeigen starten kann. »Was wolltest du gleich sagen, hast du herausgefunden?«

»Mehr über das verlorene Kind, das den Krieg entscheidet.«

Sofort vergesse ich alle Beleidigungen, die ich Spieglein an den Kopf werfen wollte. Buchstäblich – und in Ermangelung eines Restkörpers.

»Es existieren Aufzeichnungen auf einem Rechner in Wonderland über das Kind mit Eltern aus Neverland und Märchenwald, das uns alle retten wird, und jetzt ratet, wo ich die gefunden habe.«

Wie sehr ich diesen Prophezeiungsquatsch hasse, sollte er lieber fragen.

»Im Schloss der Herzkönigin«, rät Rose sofort. 

»Völlig korrekt.«

Damit hat Spieglein nun doch mein Interesse geweckt. 

»Halt mal. Warum sollte die Herzkönigin etwas darüber in Erfahrung gebracht haben? Bevor sie in diesen Kerker gesteckt wurde, meine ich?« Irgendetwas stimmt hier nicht.

Rose bringt mich mit einer Armbewegung zum Schweigen. Ihre Haare hat sie sich so intensiv um die Finger gewickelt, dass sie ihr das Blut im Zeigefinger abschnüren. »Was genau hast du denn entdeckt, Spie-, ich meine, Whistleblower?«

»Die Herzkönigin hat tatsächlich einen Eintrag bei Wikipedia zu diesem Thema verfasst, aber dann wieder gelöscht. Laut ihren Informationen muss das verlorene Kind eine Person sein, die inzwischen erwachsen ist!«

Alle stutzen. Obwohl wir so ungefähr wussten, dass das Kind definitiv älter als Asher sein muss, so viel hatte der Whistleblower bereits vor drei Wochen herausgefunden. Aber erwachsen? Warum heißt derjenige dann das verlorene Kind und nicht der verlorene Erwachsene? 

»Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen«, sage ich, »warum die Herzkönigin? Was hat sie mit der ganzen Sache zu tun?« Ich versuche, mich an unsere letzte Begegnung zu erinnern. Diese verrückte Frau, die im Kerker ihres eigenen Schlosses gefangen ist. Die wollte, dass ich mich ihr und Ever in der Vollmondnacht stelle und die erschreckend gut über mich und die verschwundenen Prinzen informiert war. Der bewusst ist, dass auf mir ein Wahre-Liebe-Fluch lastet, wie einst auf meinen Freundinnen Rose, Rapunzel und Snow. Angeblich bezieht sie ihre Informationen von Nagetieren und Vögeln, die zu ihr sprechen. Dieses Biest!

Wir diskutieren noch eine Weile, kommen aber zu keinem Ergebnis, was wir mit der Information anfangen sollen. Schon seit wir erfahren haben, dass Asher doch nicht das verlorene Kind ist, was wir zuerst noch vermutet hatten, grübeln wir darüber nach. Aber wer kann es sonst sein? Wer ist mittlerweile erwachsen und kann mit einem Elternteil aus Neverland und einem aus dem Märchenwald aufwarten? Mehr wissen wir nicht über den ominösen Retter. Spontan fällt mir niemand ein, auf den das zutreffen würde. Obwohl ich zwei, drei Gerüchte gehört habe … 

Schließlich, als Jaz immer näher an mich heranrückt, weiche ich aus, packe Rose am Handgelenk. »Ihr entschuldigt uns. Rose und ich müssen uns noch die Nägel lackieren.« Die Sache mit dem verlorenen Kind können wir später immer noch mit allen in der großen Runde besprechen.

Meine beste Freundin sieht mich mit fragendem Blick an, sagt aber nichts.

Erst, als ich sie in mein Zimmer schiebe, in das Snow Ever und mich einquartiert hat, hebt sie eine Augenbraue. »Dieser Fluchtreflex, der dich neuerdings in Jaz’ Nähe überkommt, ist schon etwas übertrieben, findest du nicht?« Ihr Gähnen verschluckt den letzten Halbsatz beinahe. Schon schlimm, die Nachwirkungen ihres Fluchs, den ihr die Dreizehnte Fee auferlegt hat. Mit unseren jeweiligen Fluchschäden haben wir dieser Tage alle zu kämpfen. Nur gut, dass wir die Dreizehnte Fee ertränkt haben und ich im Besitz ihres feenstaubbetriebenen Zauberstabs bin. Unser Club wird sich somit vorerst nicht weiter vergrößern.

Ich schüttle den Kopf, beiße mir dann auf die Unterlippe. Was weiß sie schon? Wurde sie von Jaz mit einem Liebestrank vergiftet oder mit einem Werwolf in einem Kellerverlies eingesperrt? Sie hat ihre große Liebe geheiratet. Ihre eine wahre Liebe. Prinz Cedric.

Als ich kein weiteres Wort mehr sagen will, vielleicht nie wieder, zuckt sie die Achseln, wendet sich dann von mir ab. »Du machst es dir selbst nur unnötig schwer. Ich weiß, es ist schon hart, von zwei attraktiven Junggesellen begehrt zu werden. Da kommt dir dein Selbstmitleid natürlich gerade recht.« Sie lässt mich stehen, bevor ich mich ganz zu Ende über sie empört habe. »Ich muss los. Hab noch einen Termin in diesem angesagten Buchweizen-für-alle-Lebenslagen-Koch-Club.« 

Wie bitte?

Eine Weile starre ich die Tür meiner Kammer an, durch die Rose soeben verschwunden ist, lasse mich dann in den einzigen Sessel fallen, der diesen Raum zumindest etwas gemütlich macht. Wird Rose mich nie verstehen? Oder liegt es an mir? Vor mich hinschnaubend, knibbele ich an der Nagelhaut meines Zeigefingers, verfluche alle Menschen und Lebewesen und wünsche mir nichts lieber als ein Königreich voller Steine.

Wenig später klopft es.

Weil ich hoffe, dass es Rose ist, die sich bei mir entschuldigen will, reiße ich die Tür auf, meine Augen immer noch feucht wegen der trübsinnigen Gedanken über Rose und Jaz, doch es ist Ever, der da vor mir steht. Mein Ever.

Das Erste, was ich mache, ist, ihm um den Hals fallen. In mir brodelt immer noch ein Sturm, der verzweifelt nach jemandem schreit, der ihn beruhigt. Als wäre mein Leben nicht schon kompliziert genug, wirbelt mich mein Liebesleben noch zusätzlich durcheinander. Um mich selbst. Wie im Schleudergang.

Ever, offensichtlich etwas überrascht von meinem Gefühlsausbruch, streichelt mir über den Rücken. 

»Aber ich war doch nur kurz Leinsamen kaufen.« Tatsächlich. Eine Tüte voller weicher Samen drückt sich in meine Leistengegend. Er hält mich, wobei ich sein Schmunzeln spüren kann. Dennoch schmiegt er seinen Kopf an meinen und verpasst mir sogar einen Kuss auf den Scheitel. Er ist perfekt. Anders als die anderen und mit einem riesengroßen Herzen. Bevor ich ihn gehen lasse, küsse ich ihn, fahre ihm währenddessen durch die dunklen Haare, als würde ich gleich über ihn herfallen. Was ich natürlich nicht tue. Gerade haben wir andere Sorgen. Letztendlich mache ich mich irgendwann doch noch schluchzend von ihm los. Weil mir auf einmal meine Tränen peinlich sind, drehe ich mich um. 

»Das ist gut. Hast du alles bekommen, was du kaufen wolltest?«

Ever lässt einen kleinen Sack auf den Tisch am Fenster fallen. »Ja. Ein Kilo.«

Fantastisch. Damit können wir jetzt sicher vierundzwanzig Monate unser Müsli anreichern. Mein linker Mundwinkel beginnt unkontrolliert zu zucken.

»Bin ein bisschen spät dran, weil ich auf dem Nachhauseweg ein Babyeichhörnchen auf der Straße gefunden habe. Völlig entkräftet. Ich hatte keine Wahl, Schatz. Ich musste es schnell bei der Tierrettungsstation von Hans im Glück abliefern.« Er hält inne. »Sag mal, weinst du?«

»Nein«, schluchze ich, reibe mir eilig mit dem Ärmel übers Gesicht. »Es ist nur … Spieglein ist doof und Jaz nervt mich. Das mit dem Babyeichhörnchen ist toll. Ich meine, das hast du gut gemacht.«

»Aha.« Bei der Erwähnung von Jaz’ Namen, kann ich spüren, wie Ever sich hinter mir versteift. Hätte ich bloß nichts gesagt.

»Gut, ich gehe wohl besser duschen und lasse dich in Ruhe deine Contenance wiedererlangen. Nachher setzen wir uns an den Kamin und du erzählst mir, wie dein Tag war.« Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und verschwindet im Badezimmer.

Ich lächle. Niemand außer Ever benutzt das Wort Contenance. Doch dann schlucke ich, stelle mich ans Fenster, um meine Gedanken zu sortieren. Meine Fingerspitzen streichen über die kühle Fensterbank, einem etwas unregelmäßig gehauenen Steinquader.

Draußen geht gerade die Sonne unter. Wieder ein Tag, der uns nicht sonderlich weitergebracht hat bei der Suche nach dem verlorenen Kind. Oder nach Verbündeten. Sollte sich Jasemin entschließen, uns morgen anzugreifen, zweifellos hätte sie das Zeug dazu, könnte sie uns einfach überrennen. Und das weiß sie. Sicherlich plant sie bereits ihre Rache und braucht nur noch etwas Zeit, um sich die schlimmsten Foltermethoden auszudenken oder wie sie am strategisch klügsten über uns alle herrschen kann. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem, was sie aufhält. Oder ihre Angst vor der Magie, die in einigen Märchenwaldbewohnern schlummert und gegen sie verwendet werden könnte. Schließlich hat Jasemin lediglich Erfahrung mit Wunsch- und Chaosmagie, wie man hört. Wobei ihr Vater zu Lebzeiten die Chaosmagier wohl bis zum letzten erledigt hat. Unsere Hexen haben dagegen noch viel mehr drauf. Ich denke an Fears Webermagie, die Flüstermagie von Rexia, Pains Trankmagie und noch vieles mehr.

Meine Gedanken driften zur Vollmondnacht. Was, wenn sich alle irren? Wenn es nicht meine wahre Liebe ist, die nachts mit mir in einem Bett schlafen muss, damit ich nicht sterbe? Soll ich es wagen? Riskiere ich es nicht ebenso, wenn ich Jaz zu mir hole? Da er einfach nicht meine wahre Liebe sein kann? Der Orkan in meinem Inneren kehrt zurück, wirbelt meine Organe durcheinander, dass ich schon glaube, bald nur noch verknotete Innereien übrigzuhaben. Im selben Moment klopft es schon wieder.

Weil ich Rose erwarte, die sich entschuldigen möchte, öffne ich ohne nachzudenken. Dieses Mal muss sie es ja sein. Schlechte Idee. Vor mir steht Jaz. Ein etwas verstrubbelter Jaz, der so wirkt, als hätte er sich minutenlang die Haare gerauft. Seine Augen glitzern feucht, scheinen in einer leichten Panik aus den Höhlen zu treten.

Ich will die Tür schon wieder zuknallen, aber er ist schneller. 

»Warte. Bitte gib mir nur fünf Minuten, Red. Mehr will ich gar nicht.« Schon ist er mit drei großen Schritten mitten ins Zimmer getreten.

Eine Spur überrumpelt, weiche ich einen Schritt zurück. Diese Geste lässt Jaz’ Augenbrauen in die Höhe schnellen, so als hätte ich ihn beleidigt. »Bitte, Red. Hör mir zu. Und bitte, behandle mich nicht wie deinen Feind. Du weißt, ich könnte dir niemals –«

»Drogen in den Saft mischen?«, gifte ich ihn an. Wieder mache ich einen Schritt rückwärts, damit er mich nicht berühren kann.

Jaz zuckt zusammen.

Gut so, sage ich mir. Schließlich hat er es getan. Und zwar genau so. 

»Besser, du gehst. Ever und ich wollen gleich im Kaminzimmer zu Abend essen.«

»Nein.«

»Nein?«

»Nicht, bevor wir zwei geredet haben.«

Hatten wir das nicht vorhin schon zur Genüge getan?

Seufzend neige ich den Kopf zur Seite.

»Ich weiß nicht, was du willst, ich finde –«

»Dich.«

»Wie bitte?«

»Ich will dich.«

Himmel!

Mit leicht geöffneten Armen macht er einen Schritt auf mich zu. Für jeden, den er näherkommt, mache ich zwei zurück, bis ich mit dem Po gegen die Fensterbank stoße. 

»Jaz.« Meine Stimme bricht.

»Ja?«, haucht er.

Der Orkan in meinem Inneren tobt und brüllt, es ist kaum zu ertragen.

Im Badezimmer höre ich die Dusche rauschen.

»Bitte geh, Ever kommt gleich und ich …«

»Entschuldige, aber in den zwei Minuten, in denen ich mit dir sprechen kann, will ich nicht über ihn reden.«

Ich schlucke.

»Jedenfalls«, fährt er fort, wobei er seine Blicke über meine Gesichtszüge gleiten lässt, hoch und runter, und mir dabei viel zu nah ist. »Ich weiß, du denkst, ich würde es nicht ernst mit dir meinen. Aber ich werde dir beweisen, dass ich nur dich will. Und wenn ich dafür jedes Mädchen im Märchenwald besuchen muss, um danach zu dir zurückzukehren und mit gutem Gewissen erklären zu können, dass ich keine andere will. Nur dich.«

Ich atme tief ein. »Jaz, bitte. Wir haben gerade wirklich andere Sorgen.« Es ist ja nicht so, als hätten wir Zeit für mein persönliches Liebes-Desaster. 

Aber Jaz lässt sich nicht von mir beirren. »Du kannst mir nichts vormachen. Ich bin nicht dumm. Jeden Tag siehst du mich so an, so …«

»Wie?«

»Als würde dein Herz an mir hängen.« Er beugt sich noch ein Stück zu mir herab. »Du bist mein Happy End und ich bin deins.«

»Bitte, Jaz. Du musst gehen und dir das aus dem Kopf schlagen. Ever ist mein Seelenverwandter. Er ist wie ich und … ich liebe ihn. Selbst wenn du mein zweites Happy End wärst: Wir alle wissen, dass ein Happy End vorbei sein kann. Von heute auf morgen.« Ich denke an Cinder und Prinz Charming. 

»Warte bis zur Vollmondnacht. Dann bin ich es, der deine andere wahre Liebe sein wird. Wahre Liebe hält für immer. Davon bin ich fest überzeugt.«

»Wir wissen nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, ob das wirklich Teil des Fluchs ist.«

Jaz stutzt. »Natürlich ist es das. Versuchst du, dir etwas anderes einzureden, um mich dir aus dem Kopf zu schlagen?« Er hebt erneut eine Augenbraue, kommt mir noch ein Stückchen näher. »Das ist irgendwie süß, Red.«

Unwillkürlich halte ich den Atem an, neige mich noch weiter nach hinten. Dabei bemerke ich, wie Jaz sich die Lippen befeuchtet, sich seine Pupillen weiten und er tatsächlich versucht, seine Lippen auf meine zu senken. Tut er aber doch nicht, verharrt nur quälend lange in dieser Haltung. In einer Position, in der uns fast nichts mehr trennt. Es ist ein Spiel, ich weiß es. Oder vielmehr eine Prüfung. Jaz will testen, was ich zulasse. Will mir beweisen, dass ich sehr wohl etwas für ihn empfinde. Leider versage ich kläglich in diesem Test. Obwohl ich weiß, dass ich ihn jetzt energisch wegschieben sollte, kann ich mich nicht rühren. In meinem Kopf rauscht das Blut, rasen die Gedanken – so laut, dass ich beinahe die Badezimmertür überhöre, die gegen die Wand geknallt wird. 

»Ist das dein Ernst, Hook?« Ever steht da, mit gestrafftem Rücken und verkniffenen Lippen. Er hat seinen Hipster-Blick aufgesetzt, daher weiß ich: Es ist ernst. »Kannst du dir nicht endlich ein anderes Mädchen für deine Eroberungsfantasien suchen?«

Okay, das war hart, zugegeben.

Jaz hebt das Kinn, tritt dann glücklicherweise einen Schritt zurück.

»Warum lässt du das nicht Red entscheiden? Inzwischen dürfte dir doch klar sein, dass sie zwei wahre Lieben in ihrem Leben hat. Also warum akzeptierst du das nicht einfach, anstatt hier rumzupöbeln? Im Gegensatz zu dir habe ich das bereits begriffen.«

Er verhält sich so oberlehrerhaft, dass Ever gar nichts anderes übrig bleibt, als in die Luft zu gehen. Ich fühle mit ihm.

»Ich weiß wirklich nicht, in welcher Fantasiewelt du lebst, Pirat, aber Red und ich sind zusammen und mehr als zwei Personen haben in einem Happy End keinen Platz. Das hier ist unser Märchen.« Ever schüttelt seinen Kopf so heftig, dass winzige Wassertröpfchen aus seinen dunklen Haaren aufgeschreckt werden, um ihn herumwirbeln wie Schneeflocken.

»Happy End?«, lacht Jaz, deutet dann mit seiner gesunden Hand von Ever zu mir und wieder zurück. »Das ist doch nicht Reds Happy End.« 

Genau an diesem Punkt wird es Ever zu bunt. Er fletscht die Zähne, seine Eckzähne werden länger, ebenso wie seine Fingernägel. Hinten an seiner Jeans öffnet sich ein Riss, aus dem sich ein Wolfsschwanz hervorschiebt. Nicht gut.

»Was fällt dir ein? Du verschwindest besser sofort von hier, wenn du weißt, was gut für dich ist.«

»Denkst du, diese Wolfsmaskerade schüchtert mich ein? Nur, weil du gerade eher wie ein Schäferhund, als wie ein Märchenprinz aussiehst?«

Evers Nase bebt. Eine Ader pulsiert an seiner Schläfe. 

»Aber du hältst dich für Reds Happy End, oder wie? Lächerlich. Ein wandelndes Märchen-Klischee mit getuntem Ego. In Journalistenkreisen existiert dafür einen Fachbegriff: aufgeblasenes Rindvieh!«

Gerade will ich nach einem Gartenschlauch oder etwas in der Art suchen, um die beiden zu trennen, da hebt Jaz das Kinn. »Wir sind beide ihre wahre Lieben, sieh es endlich ein.«

»Das ist eine Lüge, die die Herzkönigin aus irgendeinem Grund verbreitet. Eine unbewiesene These«, hält Ever dagegen.

»Ach? Glaubst du nicht, dass gerade Red mehr als ein normales 08/15-Happy-End verdient hat?«

»Moment mal –«, beginne ich, werde aber sofort unterbrochen, als Ever die Fäuste ballt. »Versuch’ es gar nicht erst mit deinen Psychospielchen bei mir, Pirat.«

»Dann denkst du also nicht, dass Red all das hier verdient hat?« Jaz gestikuliert von ihm zu Ever und dann in meine Richtung.

»Nein. Ich meine …« Evers Blick huscht zu mir.

Gern würde ich ihm irgendeine Regung zeigen, doch seltsamerweise bin ich wie erstarrt, warte auf das, was gleich kommen wird. Ich rechne mit einem Sturm oder einer Bombe. Einer Sturmbombe.

»Dann sind wir uns ja einig.« Jaz wirkt zufrieden. »Red kann auf uns beide zählen.«

Vor Wut knirscht Ever mit den Zähnen, zieht am Kragen seines Holzfällerhemdes. »Du bist doch total bescheuert. Glaubst du, sie wird dich küssen, so wie mich, oder nachts mit dir einschlafen?«

»Also eigentlich schon, zumindest in der Vollmondnacht. Vorerst.« Jaz wirft mir einen Blick zu, der vor Euphorie nur so sprüht.

»Was willst du jetzt machen, Wolf? Dich als Großmutter verkleiden und über mich herfallen?«

»Haha«, brumme ich, zucke aber zusammen, als ich sehe, wie Ever nach vorne schnellt. Denn bei Jaz’ letzten Worten rastet er aus. Und zwar komplett. Mit ausgefahrenen Krallen stürzt er sich auf den wohl bekanntesten Piraten von Neverland. 

Ich stolpere zurück. So kenne ich ihn gar nicht.

Zuerst täuscht Jaz ein Ausweichmanöver an, um dann zur anderen Seite abzutauchen, genau unter Evers Armen hindurch.

»Jungs, bitte. Das ist doch albern.« Mein letzter Versuch, mit Vernunft irgendetwas zu erreichen. Nicht, dass ich es besser wissen müsste in diesem Irrenhaus.

Natürlich hört kein Schwein auf mich. Auch kein Hipster-Wolf und kein einarmiger Pirat. Stattdessen ringen sie auf einmal eng umschlungen miteinander.

»Nein, jetzt im Ernst. Ihr zwei benehmt euch wie … Rapunzel und Cinder! Beim Schlussverkauf!« Meine Schimpftirade hilft mir nur leider auch nicht weiter. Stattdessen werde ich von dem Wolf-Piratenknäuel ignoriert.

Jaz stellt Ever ein Bein, aber der halb verwandelte Hipster-Werwolf reißt Neverlands bekanntesten Piraten mit zu Boden. Dabei knurrt er, dass beinahe die Fensterscheiben zu klirren beginnen.

Jetzt wird es aber wirklich kindisch. »Jungs, wenn ich euch später noch mal ernst nehmen oder in mein Bett lassen soll …« Ich packe Ever am Ärmel, um ihn hochzuziehen. Doch er schüttelt mich einfach ab, seine Krallen kratzen über meine nackten Unterarme. 

»Hey!«, entrüste ich mich, wobei ich mich weigere, aufzugeben. Packe also wieder zu wie ein Klammeräffchen.

Leider denkt auch Ever nicht daran, von Jaz abzulassen. Er schüttelt seinen Arm noch energischer, um mich loszuwerden, erwischt mich dabei so heftig mit dem Ellenbogen, dass ich nach hinten taumele. Ich stürze und natürlich ist mir dabei die Fensterbank im Weg, auf die ich seitlich mit der Stirn knalle. Autsch. Ich sehe noch blutige Striemen auf meinem linken Unterarm, dann wird alles schwarz.

»Fass sie nicht an«, zischt jemand. »Finger weg! Schau, was du getan hast!«

»Ich wollte das doch nicht«, faucht Ever zurück. »Das war ein Unfall.«

Ich blinzle. Lichtblitze tanzen vor meinen Augen. Mein Kopf dröhnt. Zudem ist da überall sehr viel Rot. Blut auf meinem Unterarm. Offensichtlich blute ich aus drei langen Striemen. Dort, wo Ever mich mit seinen Wolfskrallen gekratzt hat. Aus irgendeinem Grund bringe ich kein Wort heraus.

Komischerweise scheint Jaz auf einmal in derselben Tonlage wie Ever zu knurren. »Das ist alles deine Schuld, Wolf.«

Ever schnaubt. »Wer ist denn ungefragt in unser privates Zimmer getippelt, um sich wieder mal in einem Akt der Verzweiflung an Red ranzuschmeißen? Wann kapierst du es, Pirat? Was muss noch alles passieren, bis die Information dein Hirn erreicht? Red. Will. Dich. Nicht.«

Oh, bitte. Gleich werden sie wieder durch die Kammer kullern.

»Im Gegensatz zu dir habe ich sie nicht verletzt und das wird auch nie passieren. Aber du mit deinen Werwolf-Ausrastern … Du bist gefährlich. Für Red.«

Darauf folgt Schweigen. Ich versuche, auf die Beine zu kommen. Jaz stützt mich dabei, hält mich länger fest als nötig.

Eine ganze Weile sieht Ever mich stumm an. Dann starrt er auf Jaz, der seine Hand nicht von meinem Ellenbogen nimmt und mich dabei halb umarmt.

»Entschuldige bitte.« Ever hebt eine Hand. 

Aus einem Reflex heraus zucke ich zurück. 

Sofort zeigt sich auf Evers Gesicht ein Ausdruck, als hätte ich mit ihm Schluss gemacht. Mit meinem Happy End.

»Ever, ich …« 

Aber er unterbricht mich. »Schon gut. Ihr habt recht. Ich habe mich nicht unter Kontrolle. Bin eine Gefahr für euch.« Er macht mehrere Schritte rückwärts auf die Tür zu. 

Zittert er etwa?

»Nein!« Meine eigenen Worte lassen mich zusammenfahren. Der Schmerz hinter meiner Stirn raubt mir für einen Moment den Atem. Mir wird bewusst, dass mich beide Jungs besorgt mustern. Dann, bevor ich es schaffe, erneut den Mund zu öffnen, dreht sich Ever um und flieht. Flüchtet vor mir und dem, was er angerichtet hat. Einfach so.

Und ich sehe zu, tue nichts, spüre jetzt schon die Leere, die er in mir hinterlässt. Warum kann ich mich nicht bewegen, warum renne ich nicht wie eine Wahnsinnige hinter ihm her, um ihn zurückzuholen?

»Keine Sorge.« Jaz legt mir einen Arm um die Schultern. »Er beruhigt sich schon wieder und solange schlafe ich nachts bei dir im Bett.«

Wie ritterlich von ihm. Meine Nasenflügel blähen sich auf, als ich tief einatme. Eigentlich bin ich versucht, zu sagen, dass Pan mir diese dämlichen Fluchnebenwirkungen aufgebrummt hat und zur Strafe bei mir schlafen muss, und dass das mit der »wahren Liebe« nur ein Gerücht ist, auf das die Herzkönigin aus irgendeinem merkwürdigen Grund besteht. Aber irgendwie habe ich heute keine Kraft, mich meinem Schicksal entgegenzustellen. Ich werfe einen säuerlichen Blick in Richtung des Feenzauberstabs. Irgendwann wird es mir gelingen, den Fluch aufzuheben. Vielleicht morgen schon, denn da erwarte ich eine Feenstaub-Lieferung von Tinkerneat. Vorausgesetzt, sie schafft es neben ihren Verpflichtungen als Anführerin der Widerstandsbewegung in Neverland und ist nicht zu sehr mit ihrem Golemtraining beschäftigt.

»Ich muss mir das Blut abwischen«, sage ich nur, löse mich von Jaz und verschwinde in Richtung Badezimmer. Außerdem brauche ich eine Kopfschmerztablette.

»Okay.« Er klingt ein wenig verwundert darüber, dass ich ihn stehen lasse, ohne noch einmal zurückzublicken. »Wir sehen uns dann beim Abendessen.«

Wie in Trance nicke ich, beobachte dabei die langgezogenen Spuren, die die Blutstropfen über meinen Unterarm ziehen. Jaz und Ever. Wie konnte das nur passieren?

Kapitel 2

In dieser Nacht schlafe ich unruhig, obwohl Jaz’ Arme mich wie ein schützender Kokon von der Außenwelt abschirmen. Sein Atem geht ruhig. Im Gegensatz zu mir scheint er völlig gelöst zu schlafen. Ich wache immer wieder auf, nur um jedes Mal mit Schrecken festzustellen, dass Ever immer noch nicht zurückgekehrt ist. Jede Zelle meines Körpers sehnt sich nach ihm, vermisst den schlaksigen Hipster-Körper, seinen Geruch, seine Bartstoppeln und selbst seine neunmalklugen Sprüche. Wie lange wird er weg sein? Wie lange wird es dauern, bis er einsieht, dass er weder vor sich selbst noch vor unserem Happy End davonlaufen kann? Gedankenverloren streiche ich über die Ränder des Verbands auf meinem Unterarm. Sicher nicht allzu lange. Schließlich ist er meine wahre Liebe. An diesen Gedanken klammere ich mich wie an die letzte Sprosse einer Strickleiter, die am Abgrund baumelt.

Obwohl Jaz’ Nähe etwas Beruhigendes haben sollte, kann ich mich nicht entspannen.

»Schlaf endlich, Red«, murmelt Jaz an meiner Schläfe, bevor er mich noch ein wenig enger an sich zieht. »Ich passe auf dich auf, Kleines.« 

Nun liege ich halb auf seiner Brust, Arme und Beine in etwa so mit seinen verschlungen wie die Fäden von Fears magischem Wollknäuel.

Zugegeben, Jaz’ Duft hüllt mich ein und seine Schultern vermitteln den Eindruck, er könne alles Böse da draußen mit bloßen Händen erwürgen. Selbst Jasemin und ihre Soldaten. Einen nach dem anderen. Was mache ich nur mit diesem Piraten? Und was mache ich hier neben ihm in Snows Gästebett? Begehe ich damit nicht gerade Betrug an Ever? Warum genieße ich auf irgendeine Weise Jaz’ Nähe? Seine Arme um mich? Seinen Geruch nach Mango und Süßholz, der mir bei jeder seiner Bewegungen in die Nase steigt. Schließlich bemerke ich, wie meine Augenlider immer schwerer werden, und gebe auf. Lasse mich von meiner Müdigkeit forttreiben.

Am nächsten Morgen weckt uns Asher, indem er aufs Bett springt, genau in die Mitte zwischen Jaz und mich. Das Gesicht des Vierjährigen strahlt. 

»Mama hat mir Frühstück gemacht!« Er hüpft wie ein Frosch einmal auf und ab, wobei die längere Seite seiner schief geschnittenen Haare im selben Rhythmus mitwippt. »Sie ist auf dem Weg hierher.«

Jaz und mir entfährt ein Stöhnen. Fear. Hexe, ehemalige Kinderhasserin und Freundin von Jaz. Allerdings muss man da zu seiner Verteidigung sagen, dass Fear ihn damals mit einem Zauber belegt hat.

»Ich soll euch von ihr ausrichten, sie möchte in diesem Zimmer nichts sehen, was sie würgen lassen könnte.« 

»Fear the Walking Fear«, wispert mir Jaz zu, der wohl eine Folge zu viel von einer gewissen Zombieserie geschaut hat.

Für einen kurzen Moment runzelt Asher die Stirn, fährt mit einer Hand durch seine Haare. »Wie auch immer. Ich habe Pfannkuchen mit Erdbeeren bekommen!«

Oha, da versucht Fear aber einiges wiedergutzumachen. Doch insgeheim freue ich mich für Asher, dass sich das Verhältnis zu seiner Mutter zum Guten entwickelt.

Ein wenig ungehalten, weil er sich immer noch nicht rührt, schubse ich Jaz aus dem Bett. 

»Los, besser, du ziehst dich an. Du hast es gehört. Die Hexe ist unterwegs.« Ich starre auf sein Schlafshirt und die kurze Baumwollhose, bis sich meine Mundwinkel zu einem Grinsen verziehen. »Nicht, dass sich Fear übergeben muss.« 

Jaz grinst ebenfalls und salutiert, zieht sich dann das Shirt über den Kopf.

Bei diesem Anblick muss ich schlucken und meinen Blick abwenden. Natürlich gibt es nichts an seinem Körper auszusetzen. Rein gar nichts. Das ist es ja gerade. Was tue ich hier eigentlich? 

Fast bin ich erleichtert, als es klopft, denn das gibt mir die Möglichkeit, meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken als auf Jaz’ Körper. Ihn nur anzusehen, kommt mir schon wie Verrat an Ever und meinen Überzeugungen vor.

»Herein«, sage ich also, während ich mich noch aus den Laken schäle. Meine Jogginghose und das T-Shirt von Ever mit der komischen Rockband, die niemand außer ihm zu kennen scheint, muss ausreichen, um die Hexe des Südens zu empfangen.

Als sich die Tür öffnet, springt Asher vom Bett, freudig strahlend, so als stünde der Nikolaus auf dem Flur und nicht Fear, die Hexe. Die, wie sich kürzlich herausgestellt hat, auch seine Mutter ist. 

Im Gegensatz zu seinem Sohn sieht Jaz plötzlich so aus, als würde er sich am liebsten auf den Boden fallen lassen und dann unters Bett rollen.

»Na, wenn das nicht mal Helene und Florian sind.« Fear lässt ihren Blick von mir in meinem Schlabberlook zu Jaz wandern, der sich sein T-Shirt soeben falschherum angezogen und seine zweite Socke immer noch nicht aufgetrieben hat. »Traumpaar, besungen durch zahlreiche Volkslieder und so weiter und so weiter.«

Ich mustere sie ebenfalls, wobei ich versuche, ihren hochmütigen Blick unter den zusammengezogenen Augenbrauen zu imitieren. Im Grunde genommen sieht Fear ein wenig aus wie ich. Nur zwanzig Jahre älter und ungefähr genauso viele Schönheitsoperationen später. 

»Für jemanden mit elektronischer Fußfessel und Zauberkraftfaktor null riskierst du eine ganz schön dicke Lippe.« Ich schiele in Richtung ihrer deutlich geflohtoxten Mundpartie.

»Ah.« Sie nickt, wobei sich ihre Hamsterbäckchen spannen und die zu dünn operierte Nase unnatürlich zuckt. »Verstehe … Ja, ich verstehe, Red. Aber vielleicht kannst du dich wenigstens vor dem Kind zusammenreißen. Ich weiß, es ist viel verlangt.« Sie streckt einen Arm aus, worauf Asher auf sie zuhopst, sich dann in ihr Samtkleid krallt, das schimmert, als sei es in dunkles Blut getaucht worden.

Mit Schrecken stelle ich fest, dass Fear und ich uns in der nächsten Sekunde mit genau der gleichen Geste die blonden Haare über die Schulter werfen.

»Was willst du, Fear?«, knurrt Jaz.

»Du meinst, außer meiner Freiheit, meinem Wollknäuel und einem Königssohn?«

»Du kennst die Antwort.«

Einfach, um sie zu provozieren, nehme ich das magische Wollknäuel aus meiner Schublade und werfe es in die Luft wie einen Tennisball. Die Hexe folgt ihrem Lieblingsspielzeug mit den Augen. 

»Vielleicht, ganz vielleicht bekommst du es zurück. Sobald du bewiesen hast, dass du Teil unseres Teams bist. Auf der richtigen Seite stehst.« Ein sehr fairer Deal, wie ich finde. 

»Teil eures Himmelfahrtkommandos? Märchenwald gegen Morgenland?« Fear lacht. »Das können wir abkürzen: Ihr habt keine Chance gegen Jasemins Soldaten und ich werde die erste sich bietende Gelegenheit nutzen und abhauen. Wie jeder, der noch alle glutenfreien Kekse am Häuschen hat.«

Asher zieht die Nase hoch. Nach einem kurzen Blick auf ihn tätschelt sie seinen Kopf. Tatsächlich hält sie nur die Fußfessel davon ab, zu türmen. Spieglein kontrolliert die Wege der Hexe und bestraft jeden Fluchtversuch mit fiesen Stromstößen. Manchmal frage ich mich, ob er Tag und Nacht dasitzt und Knöpfe an einem digitalen Stromkasten drückt, einfach, weil es ihm Spaß macht.

Jaz kratzt sich über seinen Dreitagebart. 

»Komm schon, Fear, darüber haben wir doch gesprochen. Jasemin hat sehr wohl Respekt vor uns und der Magie, die einige Einwohner des Märchenwalds noch draufhaben. Deshalb musst du uns ja helfen, die anderen Hexen zu überzeugen, gegen das Morgenland zu kämpfen.«

»Ja, sicher. Die sind alle begeistert! Riskiert euer Leben in einem aussichtslosen Kampf für eine Handvoll Größenwahnsinnige! Man bietet euch: Freiheit während des Kampfes und Hafterleichterung, falls ihr überlebt! Ja … bei dem Angebot kann man nur zuschlagen.« 

»Es ist unser aller Krieg. Das geht auch dich etwas an. Was denkst du, was Jasemin mit euch Hexen macht, sobald sie den Märchenwald eingenommen hat? Und warum bist du jetzt genau hergekommen?«, greife ich ein, bevor sich die beiden wieder in endlosen Streitereien verlieren. Unmöglich, sich vorzustellen, dass sie einmal zusammen gewesen sein konnten – selbst mit Fears Zaubertrick. 

Obwohl ich es ihr nicht angeboten habe, schlendert Fear mit Asher an der Hand zu dem winzigen Sessel gegenüber des Bettendes und lässt sich darauf nieder. Asher krabbelt auf ihren Schoß, genießt sichtlich die Nähe zu seiner Mutter. »Vorhin war ich, mit Spiegleins Erlaubnis selbstverständlich, bei Pain.«