Rapunzel und die Genmais-Protestbewegung - Nina MacKay - E-Book

Rapunzel und die Genmais-Protestbewegung E-Book

Nina MacKay

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Beschreibung

Der 3. Band der Märchen-Hipster-Reihe von Nina MacKay! Red hat ein Problem. Ever ist tot und Jaz ist fort. Ganz im Gegenteil zur zombifizierten Bevölkerung des Märchenwalds, die mit der Büchse der Pandora in Kontakt kamen und Rapunzel dafür zur Verantwortung ziehen wollen. Und dann wäre da noch die Dreizehnte Fee, die Hexe Bane und Prinzessin Jasemin, die allesamt (und jeweils) Rache an Red und ihrer Gang geschworen haben. Glücklicherweise haben Red und Rapunzel da einen Plan. Also fast. Beinahe jedenfalls. Dank Spieglein sind immerhin schnell vier Möglichkeiten identifiziert, wie man Ever aus seinem tödlichen Schlaf zurückholen könnte. Was das genau mit Youtube-Challenges, Genmais, einem Mettigel, sowie der Goldenen Gans und ihrer Flohtox-Drogenküche zu tun hat? Außerdem bliebe da noch die Frage, wie man das Verlorene Kind zurückbekommt. Vielleicht kann da der sagenumwobene achte Zwerg helfen? Red und Rapunzel haben da wie gesagt beinahe einen Plan!

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Seitenzahl: 360

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Rapunzel und die Genmais-Protestbewegung

Nina MacKay

Copyright © 2018 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Isabell Schmitt-Egner

Korrektorat: Lillith Korn

Layout: Michelle N. Weber

Illustrationen: Andrea Grautstück

Umschlagdesign: Marie Graßhoff

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-987-6

Alle Rechte vorbehalten

Für Isabell Schmitt-Egner

Eine schon lange überfällige Widmung

für die beste Lektorin der Welt.

Du bist mein Spieglein! <3

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Danksagung

Über die Autorin

Kapitel 1

Ever ist tot. Ich kann es immer noch nicht glauben. Auch nach zwei Tagen nicht, in denen ich neben Rose wach gelegen habe. Der Fluch der Dreizehnten Fee verbietet mir, allein zu schlafen, doch überhaupt nicht mehr zu schlafen stellt offenbar meinen neusten Fluch dar. Meine Hand streichelt in regelmäßigen Abständen über den Glassarg, während ich Evers Gesicht betrachte. Er sieht so friedlich aus, wie er da in Snows ehemaliger letzter Ruhestätte liegt.

»Ich kann es immer noch nicht fassen«, sagt Rapunzel neben mir. Offensichtlich freuen sich alle, dass ich zumindest wieder ansprechbar bin. Sie kaut auf ihren Haaren herum und legt eine Hand auf meine Schulter. »Wir könnten vielleicht die Goldene Gans fragen, ob sie einen Trank brauen kann, der Tote zum Leben erweckt. Oder uns bei Bane erkundigen, was man gegen ihr Gift unternehmen kann.«

Snow hustet. »Bane? Ist das dein Ernst? Sie wird uns niemals helfen. Selbst wenn es ein Gegenmittel gäbe.«

Ich beiße mir auf die Lippen. »Aber wie genau bist du damals von den Toten zurückgekehrt?«

Snow seufzt, vermutlich weil sie es schon einmal erklärt hat. »Philip hat Mund-zu-Mund-Beatmung bei mir gemacht und den Heimlich-Griff angewandt. Dadurch ist das Stück vergifteter Apfel aus meinem Hals gerutscht.«

Immerhin kann sie es endlich zugeben. Von wegen Wahrer-Liebe­-Kuss.

Rexia und Pain gesellen sich zu uns. Natürlich. Wo Rapunzel ist, da sind die Hexen nicht weit. Heute haben sie sich sogar die Haare seitlich zu Zöpfen geflochten und tragen die gleichen lavendelfarbenen Kleider wie sie. Wenn ich die Energie dazu aufbringen könnte, würde ich den Kopf schütteln. Stattdessen streichele ich einfach weiter wie in Trance über den Sarg. Die Sonne reflektiert und wird mich über kurz oder lang erblinden lassen, aber ich kann nicht aufhören, hier im Innenhof von Snows Schloss an Evers Seite zu stehen. Gestern habe ich nur geheult und geschrien. Heute fühle ich mich, als könnte ich nie wieder ein Lächeln über meine Lippen bringen. Fear kommt gemeinsam mit der Herzkönigin auf mich zugeschlendert. Natürlich. Schließlich bin ich – oder genauer gesagt Ever – aktuell die Attraktion in Snows Schloss. Auf der Schulter der Herzkönigin sitzt ein Spatz und zupft an ihrem Ohrläppchen. Wer hätte gedacht, dass sie der achte Zwerg ist. Ich sicherlich nicht, obwohl man bei genauerer Betrachtung die Fakten einfach hätte zusammenzählen können. Die Herzkönigin ist geradezu winzig, kommt aus dem Märchenwald und ist nach Wonderland ausgewandert, hat früher in einem Bergwerk gearbeitet und kann mit Tieren sprechen. Nun ja, Letzteres können nicht alle Zwerge von sich behaupten. Wie auch immer. Eine Reflexion auf dem Sargdeckel lenkt mich ab. Es ist Spieglein, wie ich nach einigem Geblinzel feststelle, der sein selbstverliebtes Antlitz in jeder sich spiegelnden Oberfläche zeigen kann. Auch das noch. Spieglein, der nach Evers Tod und meiner Hilflosigkeit hier das Kommando übernommen hat. Einerseits bin ich ihm dankbar, dass er die Dreizehnte Fee mit jeder Menge Schlagermusik verjagt hat (sie steht nämlich nur auf Neunziger-Pop, wie er von ihrem Twitter-Profil weiß), andererseits konnten wir uns noch nie leiden. Genauer gesagt hasst er mich, seit ich aus Spaß ein Spiegelei auf ihm braten wollte.

Er, der Meisterhacker-Spiegel, selbsternannter Whistle-Blower, räuspert sich in diesem Moment. »Meine Recherchen und Analysen sind abgeschlossen und ich bin zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen.« Zuerst verstehe ich nicht, was er meint, bis mir wieder einfällt, dass er das Internet, alle Märchenbücher und was weiß ich durchkämmen wollte, um eine Möglichkeit zu finden, Ever zurückzubringen. Gleich nachdem er Rapunzels Idee umgesetzt hatte: Überall zu verbreiten, dass nicht die Büchse der Pandora, sondern gentechnisch manipulierter Mais schuld an dem zombieartigen Zustand vieler Märchenwaldbewohner ist. Die Ehemänner meiner Freundinnen reisen aktuell sogar deswegen durch das gesamte Reich. Um diese Nachricht zu verbreiten. Auf die klassische, altmodische Art und Weise. Zu Pferd und mit Pergamentpapier, das an jedem Dorfplatz angenagelt wird. Ein ziemlich ausgeklügeltes Theaterstück sozusagen. Dafür bin ich meinen Freunden wirklich dankbar.

»Es gibt wie immer drei Möglichkeiten.« Spieglein reckt den Hals, bis er sich sicher sein kann, dass er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden hat. Sogar Pain wendet ihren Blick von Rapunzel ab, um ihn direkt anzusehen. »Erstens: Bane gibt uns ein Gegenmittel oder zumindest das Rezept gegen dieses Gift. Zuletzt hat Snow eine Woche durchgehalten. Das würde uns fünf Tage Zeit geben. Mindestens. Solange wäre Ever nicht endgültig tot. Zweitens: Evers wahre Liebe gewinnt drei Wetten gegen den Teufel, um seine drei goldenen Haare zu erbeuten. Legt man die einem Toten in die Hand, kehrt er zurück. Drittens: Evers wahre Liebe küsst ihn wach.«

Ich schnaube. »Nummer drei hat schon mal nicht funktioniert.«

»Vielleicht bist du einfach nicht Evers wahre Liebe«, sagt Spieglein. »Soll ich es mal versuchen?« Er spitzt seine Lippen zu einem Kussmund und ich verspüre das dringende Bedürfnis, ihm eine reinzuhauen. Mitten auf die Zwölf. Immerhin ist das auch eine magische Zahl.

»Lass sie, Spieglein«, mischt Snow sich ein. »Dieser Wahre-Liebe-Quatsch … mittlerweile glaube ich nicht mehr daran. Bei mir war es eher die Mund-zu-Mund-Beatmung und bei Rose war der hundertjährige Schlaf einfach um, genau in dem Moment, als Cedric sie geküsst hat. Schau, nicht mal Red braucht ihre wahre Liebe nachts, um vor dem Fluch geschützt zu sein. Rose reicht.«

Mit meiner Zungenspitze fahre ich über meine Oberlippe. In Evers Fall ist Banes Gift allerdings in seine Blutbahn geraten, direkt über Snows alten Kamm, mit dem er sich verletzt hat.

»Spieglein, welche von den beiden verbleibenden Möglichkeiten hältst du für am erfolgversprechendsten? Was soll ich deiner Meinung nach tun?« Ja, ich bin dermaßen verzweifelt, dass ich tatsächlich Ratschläge von ihm annehme.

»Beides liegt bei jeweils zehn Prozent Erfolgsquote. Grob geschätzt. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass gar kein Gegenmittel existiert. Und drei Wetten gegen den Teufel zu gewinnen, grenzt ans Unmögliche.«

Na klasse. Bloß nicht zu optimistisch.

»Nein, es gibt noch eine vierte Möglichkeit«, behauptet Rapunzel.

»Oho, das Salat-Girl hat eine Idee«, brummt Snow, aber die Hexen hängen augenblicklich an Rapunzels Lippen. »Die Goldene Gans und Tischlein-deck-Dich können sicher einen Trank brauen, der Tote zurückholt. Was meinst du, Pain, könntest du dir das vorstellen?«

Pain, die Trankmischerin, neigt nachdenklich den Kopf. »So gern ich helfen würde, meine Trankmagie beschränkt sich auf Verwandlungstränke. Falls ihr Ever in einen Bären oder ein Reh verwandeln wollt …«

Nein danke, auch damit haben wir bereits genug Erfahrungen gemacht.

»… aber wenn du zur Gans reisen und sie fragen willst, begleite ich dich gerne, Rapunzel.«

»War ja klar«, seufzt Snow. »In dem Fall übernehmen Rappienz und die Flohtox-Opfer die Mission Drogenküche. Am besten ruft ihr vorher bei den beiden Verrückten an. Nicht dass ihr umsonst dorthin pilgert. Ich kümmere mich mit Cinder um die Genmais-Lobby und der Rest begleitet Red in die Hölle.«

Also ist Snow kategorisch für die Wette mit dem Teufel und gegen Banes Gegengift. Wenn ich so an die letzten Zusammentreffen mit Bane denke, möglicherweise nicht die schlechteste Idee.

»Ich könnte Flyer für unsere Genmaislüge drucken«, bietet Gretel an, die gerade um die Ecke biegt.

Damit wären demnach Rose, die Herzkönigin, Pan, die Grinsekatze und ich Team Hölle. Na, von mir aus. Außer Evers Rettung ist mir sowieso alles egal.

Fear hebt eine Hand. »Also eigentlich brauchen wir noch jemanden, der sich um unsere Verbündeten gegen Jasemin kümmert. Ich könnte zum Beispiel nach Neverland reisen und dort mit den Tinkerfeen sprechen. Sie wollten uns doch mit ihrer Golem-Armee unterstützen. Pan könnte mich begleiten. Wenn er uns ab der Grenze zu Neverland fliegt, sparen wir Zeit.«

Cinder hüstelt und ich kann es ihr nicht verdenken. Schließlich waren nicht nur Fear und Jaz ein Paar, sondern die Hexe hat auch einst Pan verführt.

»Gut, allerdings kommt Cinder mit mir mit.« Pan ist der einzig Gelassene in dieser Konstellation, wie mir auffällt. Aber Fear will sicher noch aus einem weiteren Grund nach Neverland. Um ihren Sohn Asher zu sehen. Den süßen Asher. Daran bin ich wohl schuld. Wweil ich Jaz an den Kopf geworfen habe, dass ich ihn niemals lieben werde, ist er mit seinem Sohn abgehauen. Schande auf mein Haupt. Fear hat unzählige Male versucht, Jaz zu erreichen, aber er geht nicht an sein Handy. Natürlich gibt es nun wirklich Wichtigeres. Ich schlucke. Besser, ich breche früher als später in Richtung Hölle auf. Allein der Gedanke an diesen Ort lässt meinen Mageninhalt gefrieren. Zugegeben, für Ever würde ich alles tun.

Rapunzel zückt ein Notizbuch. »Wo war noch gleich der nächste Zugang zur Hölle? Muss man die Reise dorthin eigentlich im Voraus buchen oder irgendwo ein Ticket lösen?« Sie sieht auf, kaut auf ihrem Bleistift herum.

Snow stöhnt. »Himmel, ich hatte schon Birkenstaub-Sandalen, die waren intelligenter als du.«

Rapunzel verzieht das Gesicht. »Und ich hatte schon Strauchtomaten, die war netter als du.«

Auch die Hexen starren Snow böse an. »Der nächste Eingang befindet sich im Tunnel nach Neverland oder wir quetschen uns durch Rexias Ofen«, informiert uns Pain.

Stimmt. Der Ofen.

Gerade als ich meine Wahl treffen will, räuspert sich Spieglein.

»Eigentlich finde ich, brauchen wir zusätzlich ein Team, das sich um die Rückholung des Verlorenen Kinds kümmert. Ansonsten stehen unsere Chancen mehr als schlecht gegen Jasemin.«

Als ich den Kopf drehe, um seinen kalten Augen zu entgehen, die mich ganz offensichtlich dafür verurteilen, dass ich Jaz vergrault habe, sehe ich in zwei weitere vorwurfsvolle Gesichter. Fears und das der Herzkönigin. Ich schlucke. Natürlich. Jaz’ Mom, seine Ex und Spieglein, der bis zum nicht vorhandenen Haaransatz in Jaz verschossen ist, geben mir die Schuld. Wem auch sonst?

»Kannst du ja übernehmen. Ruf ihn doch per facetime an«, murmele ich.

Aber Fear verkündet bereits ungerührt, dass sie das übernehmen wird.

Ich beschließe, dass ich den Ofen in Rexias Hütte nehme und das so schnell wie möglich. Ganz egal, wer mitkommt.

Eine halbe Stunde später stehe ich mit einer fast wachen Rose und unseren gepackten, coolen neuen Backpacks am Schlosstor. Snow hat ihre Puderdose gezückt und Spieglein weist mich in seine Recherchen über die Tricks des Teufels ein. Obwohl ich weiß, dass ich besser genau zuhören sollte, driften meine Gedanken immer wieder zu Ever ab.

Die Herzkönigin tritt hinter mich. Statt eines Rucksacks trägt sie die Grinsekatze auf dem Arm, die genau wie ich ein wenig verstört beim Anblick der verrückten Königin wirkt. Sicher würde sie viel lieber wieder um Rose’ Schultern drapiert liegen. Ihr neues Hobby.

Cinder winkt mir mit ihrem neuen Selfiestick zu. »Du schaffst das, Red. Wenn einer den Teufel aufs Kreuz legen kann, dann du!« Eben bei unserer Verabschiedung hatte sie Tränen in den Augen. Als ob ich für immer in Richtung Hölle auswandern würde.

Ich schnüre mir den Rucksack enger und nicke Spieglein zu, der endlich mit seinem Monolog aufgehört hat.

»Updated uns bitte, wie es läuft«, ruft mir Rapunzel zu. »Oder ladet zumindest ein Selfie alle paar Stunden auf SnapNap hoch, damit wir wissen, dass ihr am Leben seid!«

Natürlich. Immerhin eine denkt an das Wichtigste bei dieser Mission.

Rose gähnt. »Okay. Du aber auch. Und viel Glück bei den Verrückten nachher.«

Ich schiele auf die Herzkönigin und die Grinsekatze. Können wir ebenfalls gebrauchen.

Kapitel 2

Erstaunlich geschickt schlängelt sich die Herzkönigin durch das Unterholz. Einer ihrer tierischen Freunde, ein Eichhörnchen, hat ihr eine Abkürzung verraten. Wir folgen also aktuell dem Rat eines Nagetiers und ich zerkratze mir die Arme an Nadelbäumen. Genauso fühlt sich mein Leben an.

Rose gähnt und gähnt. Ihren Mittagsschlaf mussten wir ausfallen lassen, was ihr sichtlich nicht bekommt. Immerhin ist die Grinsekatze wieder glücklich, sitzt auf Rose’ linker Schulter und flechtet ihr die Haare neu. Erfreulicherweise begegnen wir keinem Zombie. Nur von Weitem meine ich, meine Freunde Hase und Igel heulen hören. Bin mir allerdings nicht zu hundert Prozent sicher, ob es wirklich Hase ist, der da jammert: »Demnach waren unsere Rennen auch nicht echt! Das heißt, ich komme nie nach Olympia!«

Im Wald riecht es nach Abenteuern und Tannennadeln. Ein Eichhörnchen flitzt neben uns her, gefolgt von einem Waschbären. Hoffentlich wären das dann alle. Vor allem möchte ich vermeiden, einem Zombie über den Weg zu laufen. Nein, danke. Wirklich nicht.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als wir endlich vor der gammeligen Lebkuchenhütte stehen. Zehn Jahre verrottetes Gluten – wie Snow immer sagt. Steht nur noch, weil ein bisschen Zuckerguss die Einzelteile zusammenhält. Nicht gerade das schönste Zuhause. Womöglich ist das ein Grund, weshalb Rexia bereitwillig ein Gästezimmer in Snows Schloss bezogen hat. Irgendwie mag ich die klapperdürre Hexe mit der rotbraunen Haarmähne, die mit Begeisterung alles nachahmt, was Rapunzel so anstellt. Aber ich habe keine Zeit mehr, einen Gedanken an Rexia zu verschwenden. Rose zückt den Schlüssel, den wir von der Hexe erhalten haben, und schließt auf. Gefolgt von der Herzkönigin tritt sie ein.

Völlig ohne Schamgefühl hält die Grinsekatze kurz im Haareflechten inne, lehnt sich zurück und beißt einen Teil des Türrahmens ab. Ich verkneife mir ein Stöhnen. Wie gesagt, meine Verrückten sind womöglich ein größeres Problem als die von Rapunzel. Unsere Blicke treffen sich, der von der Katze ist allerdings alles andere als schuldbewusst. »Soll ich dir den Rest für unterwegs einpacken?« Mit diesen Worten schlüpfe ich ebenfalls durch die Tür und deute auf die Decke und alles um mich herum.

Die Katze nickt.

Genervt verdrehe ich die Augen. Wir müssen sie unbedingt zurück nach Wonderland bringen. Blöderweise hängt sie zu sehr an Rose. Viel zu sehr.

»Da drüben«, sagt Rose und erlangt damit sofort meine Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu mir war sie schon einmal hier. Sie bedient den Lichtschalter in der angrenzenden Küche, die ich noch gar nicht entdeckt hatte. Kein Wunder bei diesem fensterlosen Raum. Hier also hat Rexia versucht, Hänsel zu rösten. Bevor sie ihren veganen Lifestyle entdeckt hat jedenfalls. So fair muss man sein.

Die Katze, die endlich fertig mit der neuen Frisur von Rose ist – ein locker gebundener Flechtzopf mit gedrehten Elementen im Boho-Stil – nutzt die Gelegenheit und springt von Rose’ Schulter direkt auf den Ofen.

»Das Tor zur Hölle.« Sie leckt sich eine Pfote und schaut mich an. Beinahe als ob sie eine Führung in einem Museum geben würde. »Wusstet ihr, dass es in Wonderland ebenfalls eines gibt? Direkt in –«

»Vergiss es«, unterbreche ich sie. »Für deinen Erdkundeunterricht fehlt uns aktuell die Zeit.«

»Soll ich lieber ein Freudenfeuer für dich entzünden? Du brauchst ja sowieso ein wenig Licht da drin.« Erwartungsfroh deutet die Katze auf den Ofen.

Zu meinem Erstaunen scheucht die Herzkönigin sie fort. »Du hattest noch nie ein Gespür für Timing, Grin. Lass Red ihr Ding durchziehen.«

Wir alle blinzeln. Hat sie das gerade wirklich ausgesprochen? Was ist los mit ihr?

Als niemand etwas sagt, dreht sich die Königin zu mir und Rose um. »Was? Ich weiß einfach, wie es ist, seine große Liebe zu verlieren.«

Oh. Natürlich. Jaz’ Vater, Yuma. Laut Jaz’ Aussage hat er sich das Leben genommen. Augenblicklich tut mir die Königin leid. Bis mir einfällt, dass ich mir selbst leidtun sollte. Genau wie sie habe ich jemanden verloren. Und Ever ist nicht irgendwer. Außerdem Jaz. Auch ihn habe ich verloren. Vergrault. Möglicherweise für immer.

Ein Geräusch zerreißt die Stille und ich stelle fest, dass es Rose ist, die an die Wand gelehnt eingeschlafen ist. Im Stehen oder auf dem Rücken liegend gleicht ihr Schnarchen dem eines Holzfällers mit Nebenhöhlenentzündung. Wie kann eine so zierliche und niedliche Person solche durchdringenden Schnarchgeräusche ausstoßen? Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie Prinz Cedric das aushält.

»Hey!« Ich schnipse einmal. »Rose! Reichst du mir die Taschenlampe?« Unsere Handylampen sind einfach zu schwach für eine Aufgabe wie diese. Den Weg in die Hölle leuchten.

Meine beste Freundin zuckt zusammen, reicht mir aber reflexartig die Lampe. Ich räuspere mich, ziehe gleichzeitig einen Stuhl heran, um uns den Einstieg zu erleichtern. Irgendwie erinnert mich der Zugang zur Hölle an einen Pizza-Ofen. Die Tür beginnt ungefähr eine Zwergenhöhe über dem Boden. Im Inneren riecht es nach gebackenem Tofu. Ich verziehe das Gesicht. Nicht gerade mein Lieblingsgericht.

»Du musst ganz weit hineinkriechen«, empfiehlt die Herzkönigin. »Halt, warte, zeig mir erst deinen Finger, damit ich weiß, ob du schon fett genug bist.«

Mit einem Knie im Ofen drehe ich mich zu ihr um. »Nicht witzig. Aber weißt du was? Vielleicht gehst du besser vor. Das Ungeziefer da drin zählst du doch zu deinen engsten Freunden.«

Die Königin presst die Lippen aufeinander und ich begreife zu spät, dass sie es vermutlich nur gut gemeint hat. Um mich aufzumuntern.

Letztendlich geht die Katze vor. Tänzelt in meinem Taschenlampenschein, wobei sie einen Kinderreim aufsagt.

Sie hüpft und wir anderen kriechen. Tatsächlich ist der verdammte Backofen irgendwie verhext. Fast seltsam, dass mich so etwas gar nicht mehr überrascht. Er scheint unendlich weiterzugehen, obwohl man von außen nichts davon erkennen kann. Rexia meinte, das war schon immer so, und dank der Verbindung in die Hölle brauchte sie nie Feuerholz. Der Immobilienmakler kam direkt aus der Hölle und hat ihr sogar einen ordentlichen Rabatt angeboten, wenn sie ein, zwei Kinder im Jahr dem Teufel überlässt. Dieses Schicksal hätte auch Gretel geblüht. Glücklicherweise wurde Rexia verhaftet, zu Hausarrest verdonnert und nach der Geburt ihrer eigenen Tochter bekehrt. Keine Ahnung, wie das mit dem Baby überhaupt geklappt hat. Daran will ich lieber nicht denken und die Hexe spricht selbst nie darüber. Ebenso wenig will sie mit der Sprache rausrücken, wo ihre Tochter sich aktuell aufhält.

Genauso wenig weiß sie angeblich, wie weit der Tunnel reicht und wie lange unsere Reise dauern wird. Letztlich ist das egal. Irgendwann wird er enden. Ever, ich komme!

Hinter mir jammert die Herzkönigin. »Wie lang denn noch? Meine Knie sind bald durchgescheuert.«

»Frag doch deine kleinen tierischen Freunde«, gebe ich zurück.

»Hier ist niemand. Nicht mal die kleinste Kellerassel. Die Nähe zur Hölle macht ihnen Angst.«

Aha.

Die verrückte Katze summt. Der Schein meiner Taschenlampe erwischt ihren Schwanz, aber dann aus heiterem Himmel macht sie sich unsichtbar, ist einfach nicht mehr da.

»Hey, was soll das?« Ich krabbele schneller. »Hast du etwas entdeckt?« Drei Krabbelschritte später ist unter meinen Händen plötzlich kein Untergrund mehr. Ich falle. Schreiend und um mich schlagend stürze ich kopfüber in die Dunkelheit.

~Rapunzel~

Wir müssen sie verkleiden, irgendwie tarnen«, meint Pain. Rapunzel sieht von den Buttercremetörtchen in Snows Salon auf. Direkt in die Gesichter von Rexia und Pain, die ihren Ausflug zur Goldenen Gans planen. Die beiden Hexen haben in den letzten Tagen ein bisschen mehr Farbe im Gesicht bekommen. Sind zwar immer noch klapperdürr, aber sehen nicht mehr wie zwei Skelette mit Extensions aus. Rexia streicht sich die rotbraunen Locken über die Schulter. »Wegen den Zombies. Was, wenn sie dich erkennen?«

Rapunzel, die im Gegensatz zu den Hexen noch fähig ist, die Stirn zu runzeln, tut dies. »Soll ich mich vielleicht als Hexe kostümieren, damit wir drei weniger auffallen?«

»Eine gute Idee. Damit kannst du gleich einen Blick in deine Zukunft werfen, Rapunzel.« Gretel, die mit ihrem Laptop am Tisch sitzt und irgendwelche Flyer erstellt, kichert, wofür sie einen bösen Blick von Rapunzel erntet.

»Ja, nichts leichter als das.« Snow zieht ihren Hexenzauberstab aus dem Gürtel an ihrem Kleid und richtet ihn auf Rapunzel. »Könnte dich vermutlich mal eben dreißig Jahre älter zaubern. Wie wär’s?«

»Wie wär’s, wenn du dich um deine eigenen Probleme kümmerst, Snow?«

Unter Rapunzels Worten zuckt Rexia zusammen. Sie tauscht einen schnellen Blick mit Snow, ihrer Nichte. Dann ist der Moment auch schon wieder vorbei.

Rapunzel seufzt. »Genau das meine ich.«

»Waren die Anti-Aggressionstrainings also mal wieder alle ausgebucht, ja?«, fragt Gretel ohne von ihrem Laptop aufzusehen. Heute fällt ihr eine Strähne ihres blonden Haares, das sie in einem Herrenschnitt trägt, ins Gesicht. Ständig muss sie sie wegpusten. »Und was kommt nach Rapunzels Umstyling? Wollt ihr wieder nach dem Motto Befragen und Erschlagen durch den Märchenwald ziehen?«

Snow steckt den Zauberstab weg, zieht gleichzeitig eine Grimasse. »Wahnsinnig witzig. Nein. Ich kümmere mich mit Spieglein um unsere Genmais-Fake-News und Rapunzel samt Hexengefolge reist zur Goldenen Gans wegen einem Gegenmittel. Wenn du vorhin zugehört und keine Börsengeschäfte getätigt hättest, wüsstest du das.«

»Gegenmittel gegen die Zombifizierung?«

Alle Köpfe wenden sich in Richtung Gretel. Rapunzel ist die Erste, die sich fängt. »Eigentlich nicht. Aber gar kein übler Gedanke.«

»Ja und das ausgerechnet von unserer Meerschweinchenzüchterin.« Snow scheint Gretel die Lorbeeren für diesen Vorschlag nicht ganz freiwillig überlassen zu wollen.

»Du meinst wohl von der erfolgreichste Rosetten-Meerschweinchenzüchterin des Märchenwalds«, korrigiert Gretel sie.

Darauf antwortet Snow lediglich mit einem Schulterzucken.

In der Zwischenzeit tippt Pain mit ihren Fingernägeln auf der Ebenholzkommode herum. »Gar keine schlechte Idee. Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe, wenn wir die Goldene Gans um ein Gegenmittel gegen die Zombiekrankheit sowie um eins gegen Banes Gift bitten. Verdammt clever von uns. Bloß … zwei Tränke – das wird sicher nicht billig.«

Rapunzel kaut auf ihrer Unterlippe herum.

Aber bevor sie etwas sagen kann, manifestiert sich Spieglein im Spiegel direkt über der Kommode.

»Deine Schönheits-Ops waren auch nicht billig, Hexe.«

Pain schnaubt, sagt jedoch nichts.

»Ich habe dir eben eine Packliste auf dein Handy geschickt, Salat-Girl. Am besten nehmt ihr ausreichend Münzen und Edelsteine mit zur Gans, um sicherzugehen, dass sie für uns arbeiten wird. Und sie braucht eine Probe von dem Gift.«

Rapunzel nickt. »Weiß ich, Spieglein. Wirklich, ich bin keine zwölf mehr. Den vergifteten Kamm werde ich natürlich mitnehmen.«

Spieglein äfft sie nach und wackelt im Anschluss mit den Augenbrauen.

Die Hexen verschränken synchron die Arme vor der Brust. Besser, man legt sich in ihrer Gegenwart nicht mit Rapunzel an.

»Negative Menschen wie du tun mir nicht gut, sagt mein Therapeut.« Und damit wendet sich Rapunzel ab und stolziert aus dem Salon. Nicht ohne sich vorher noch zwei Buttercremetörtchen für den Weg zu schnappen.

Die Hexen folgen ihr. Als Rexia an Spieglein vorbeiläuft, formt sie lautlos das Wort »Bäm!« und grinst zum ersten Mal seit Tagen ihr fiesestes Hexengrinsen.

~Cinder~

Auf dem Flur begegnet Cinder Rapunzel, die mit hochrotem Kopf aus Snows Salon stürmt.

»Spieglein oder Snow?«, fragt sie ihre Freundin. Auch Pan und Fear bleiben stehen.

»Ach, nur diese zweidimensionale Knalltüte«, winkt Rapunzel ab. »Wir brauchen dringend einen Benimm-Kurs für ihn.«

»Oder einen Maulkorb«, pflichtet ihr Pain bei. Ihre blonden Wellen stehen am Haaransatz etwas unordentlich vom Kopf ab. Wie statisch aufgeladen.

Im selben Moment hämmert jemand am Ende des Flurs gegen die Eingangstür. »Cinder! Mach auf. Du kannst mich nicht ständig abweisen. Ich bin immer noch dein Ehemann!«

Cinder zuckt zusammen. »Oh, verdammt. Wie hat er es geschafft, das Tor zu überwinden?«

Pan greift nach ihrer Hand. »Das könnte an den fehlenden Wachen liegen.«

Ohne zu zögern atmet Fear tief ein. »Sie ist nicht hier, du Idiot. Und sie will die Scheidung. Also hau ab und such dir ein neues Heimchen für deinen Herd!«

Gar nicht übel, findet Cinder. Fear hat es irgendwie drauf.

Rexia und Pain nicken anerkennend. »Ich könnte mich um ihn kümmern«, bietet Pain an. »Hätte noch den einen oder anderen Reh-Trank in meinem Schlafzimmer.«

»Nein, lass mal.« Rexia legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich übernehme ihn.« Sie schleicht an eines der Fenster. Dann bewegen sich ihre Lippen lautlos.

Keine fünf Sekunden später hört man, wie Charming sich umdreht. Seine Schritte verhallen draußen im Hof. Rexias Flüstermagie ist unschlagbar. Und seit Spiegleins Feinjustierung an ihrer Fußfessel recht vielseitig einsetzbar. »Das wird ihn allerdings nicht lange aufhalten. Er wird zurückkommen, Liebes.«

Das fürchtet Cinder ebenfalls.

Pan drückt ihre Hand fester. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin da.«

»Hey, da ist Post gekommen.« Rexia bückt sich nach dem Korb unter dem Türschlitz. Sie dreht eine Postkarte in ihren Händen. »Einladung zur Nicht-Verlobungsparty von Alice und dem verrückten Hutmacher. Versteht ihr das?«

~Red~

Im Fallen kratzen meine Hände und Ellenbogen gegen Wände, bremsen meinen Sturz ein wenig ab, bis ich laut platschend in einem Teich oder etwas in der Art lande. Nein, in einem Fluss, um genau zu sein. Denn eine sanfte Strömung zupft an meinen Füßen, versucht mich fortzutreiben. Ich schlucke Wasser, weil ich zu spät kapiere, was geschehen ist, und den Mund öffne. Typisch. Als ich nach Luft schnappend die Wasseroberfläche durchbreche, spüre ich, wie die Strömung stärker an mir reißt. Verdammt. Wo ist das Ufer? Es ist dermaßen dunkel, dass ich im ersten Augenblick nichts erkennen kann. Nur einen rötlichen Schimmer. Meine Kleidung und der Rucksack ziehen mich wie Steine nach unten und fast glaube ich, unterzugehen. Mit Haut und Haar. Aber dann sehe ich Evers trauriges Gesicht vor mir und mobilisiere alle Kräfte. Ich muss es schaffen. Das Licht meiner untergehenden Taschenlampe weist mir den Weg. Gerade so. Ich muss raus aus der Strömung. Also bahne ich mir einen Weg. Mal kraule ich, mal schwimme ich wie ein Frosch. Nach wenigen Sekunden erspähe ich tatsächlich festes Land vor mir. Ever! Ich bin fast da! Kurz bevor ich das Ufer erreiche, hüpft die Grinsekatze auf meinem Kopf. Sie muss ziemlich balancieren, bekommt es jedoch irgendwie hin, auf mir sitzen zu bleiben. Vermutlich weil sie ihre Krallen in meine Kopfhaut bohrt. »Armzug, Beinschlag, Armzug, Beinschlag«, weist sie mich hilfreich an.

»Na, vielen Dank auch«, knurre ich. Das zusätzliche Gewicht auf meinem Kopf drückt mich so weit nach unten, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss. Dann bekommt meine Hand einen Felsen am Ufer zu fassen und ich halte mich daran fest.

Leichtfüßig springt die Grinsekatze an Land. »Erster. Worauf wartest du, Märchenwaldmädchen?«

Ich knurre wieder. Rufe aber in Richtung Decke: »Hier unten ist ein Fluss. Springt einfach.«

Kapitel 3

Es platscht ziemlich laut, als Rose mit dem Po voran im Fluss landet. Immerhin leuchtet ihre Taschenlampe noch. Auch als Rose wiederauftaucht. Ich wringe das Wasser aus meinen Haaren und schaue auf das Loch in der Decke. Die Herzkönigin wird uns doch nicht hängen lassen?

»Alles gut. Der Weg ist frei!«, ruft Rose, bevor sie meine Hand ergreift und sich ans Ufer ziehen lässt.

Nichts passiert. Da die erste Taschenlampe davongeschwommen ist, öffne ich meinen Rucksack, um eine Mini-Taschenlampe hervorzuziehen. Die hatte ich als Ersatz eingeplant. Wenn unser Taschenlampenverschleiß in diesem Tempo voranschreitet, stehen wir demnächst allerdings wortwörtlich im Dunkeln. Immerhin scheint das Innere des Rucksacks nur leicht durchnässt zu sein. Dafür tropfe ich umso mehr bei jeder Bewegung. Selbst aus meinen Wimpern rinnen kleine Sturzbäche.

Wasser spritzt und ich begreife, dass sich die Herzkönigin endlich ein Herz gefasst hat. Bei Frau Holle, Spiegleins Wortspiele färben wirklich auf mich ab. Ich verdrehe die Augen und schalte die Lampe ein.

»Oh, gut, dass dir auch endlich mal ein Licht aufgeht, Red.« Die Herzkönigin, die gerade in Richtung Ufer krault, grinst mich an und ich habe auf einmal das Gefühl, dass es gar nicht genug dumme Witze auf ihre Kosten geben kann.

»Hmpf«, brumme ich, überlasse es dann Rose, die Königin aus dem Wasser zu hieven.

»Ups«, sagt Rose und die Königin plumpst zurück in den Fluss. »Da hab ich deine Hand wohl nicht richtig zu fassen bekommen.« Sie zwinkert mir zu.

Daraufhin versucht es die Herzkönigin aus eigener Kraft, die Augen starr auf das Steinufer gerichtet.

Ich bin sicher, wenn es hier Haie gäbe, die Herzkönigin hätte sie gebeten, Rose und mich zu fressen.

Endlich hat sich die Mini-Königin aus dem Flussbett gestemmt, steht tropfnass vor mir, wobei sie mir mit glatten Haaren voller Wasser und ohne die übliche Turmfrisur kaum bis zum Brustansatz reicht. »Zwergenkönigin« bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.

»Schubs sie wieder rein«, wispert die Grinsekatze an meinem Ohr. Ihr Schwanz streift meine Wange, weshalb ich sie von meiner Schulter scheuche und erst einmal Katzenhaare aus meinem Mund pulen muss.

Immerhin ist es hier unten so heiß, dass unsere Kleider in Windeseile trocken sein werden.

»Hier drüben«, höre ich Rose rufen. Dankbar für die Ablenkung drehe ich mich um. Rose, bewaffnet mit ihrer Handytaschenlampe, hat einen Gang entdeckt. »Da drin spürt man geradezu die Höllenhitze. Bin sicher, hier geht es lang.«

Die Grinsekatze wird auf ihrem Kopf sichtbar. Sie packt sich einen Zopf von Rose und hält ihn sich selbst wie einen Schnurrbart unter die Nase. »Kein Bier vor vier.«

Da ich die sinnfreien Kommentare der Katze schon lange nicht mehr beachte, straffe ich einfach die Schultern und laufe los. Schließlich ist das hier meine Mission. Mein Drang, für mein Happy End zu kämpfen. Ever, ich komme!

Sobald ich den Gang betrete, fühle ich mich in die Unterwasserhöhlen von Neverland zurückversetzt. Die Höhlen, durch die mich erst vor wenigen Wochen Jaz geführt hat. Jaz … Eine Winzigkeit senke ich den Kopf, unterdrücke ein Seufzen. Obwohl ich es nicht zugeben möchte, fehlt er mir. Seine ganze Art und seine Gesellschaft. Kapt’n James Hook, genannt Jaz, ist in den Tagen vor Evers Tod praktisch nicht von meiner Seite gewichen. Hat auf mich aufgepasst und wusste immer, was ich gerade brauchte.

Allerdings ist er nicht Ever. Mein süßer, verwegener Hipster. Geheimnisvoll, gut aussehend, starrköpfig und ein wenig verrückt – so wie ich … In seiner Nähe hüpft mein Herz. Und mein Herz will nur ihn.

Hinter mir kann ich hören, wie Rose eine Puderdose öffnet. »Hey Spieglein, glaubst du, wir sind auf dem richtigen Weg?«

Nichts passiert.

»Einen Reim. Reim über seine Schönheit, dann kommt er ganz bestimmt«, bemerke ich. Meine Fingerknöchel streifen die Wand, als ich meinen Rucksack richte. Komischerweise fühlt sich das Gestein unter meinen Fingern warm und irgendwie weich an. Als würde es leben. Wie seltsam.

»Spieglein, Spieglein in meiner Dose«, reimt meine beste Freundin daraufhin. Sie unterbricht sich selbst mit einem Gähnen. »Wem gibst du die letzte rote Rose?«

Die Herzkönigin, die unser Schlusslicht bildet, hüstelt. »Als ob wir das nicht wüssten. Jaz natürlich. Und du, Rose, schaust zu viel Der Bachelor.«

»Und du nicht oder wie?«, gibt Rose zurück. »Wer hat denn das Sofakissen vor Anspannung zerrissen, als Prinz Sofian seine letzte Rose vergeben hat?«

Die Königin schweigt. Wohlwissend.

»Zu Diensten«, meldet sich endlich Spieglein. »Na, schon mit dem Latein am Ende oder was?«

Nicht zu fassen, dass er gleich vom Schlimmsten ausgehen muss.

»Nein, genau genommen sind wir recht weit bisher gekommen. Wir haben uns lediglich gefragt, ob du uns sagen kannst, ob wir den richtigen Weg eingeschlagen haben?«

»Sieht es bei euch in der Unterwelt danach aus, als würde GPS funktionieren?«

»Hmpf«, sage ich. Verdammt, ich hätte Fears magisches Wollknäuel mitnehmen sollen. Warum habe ich vor unserem Aufbruch nicht daran gedacht? Wahrscheinlich weil mein ganzer Körper viel zu sehr gezittert hat, als ich meine Sachen gepackt habe.

»Wo genau steckt ihr denn? Beschreibt mal die Umgebung. Man erkennt kaum was durch den Spiegel.«

»Na ja«, sage ich langsam. »Ein dunkler Gang, ziemlich lang, durch den irgendwie rötliches Licht sickert. Die Wände fühlen sich warm an, beinahe lebendig.«

Warum auch immer saugt die Herzkönigin auf einmal scharf die Luft ein. »Und sie kommen gegenwärtig auf uns zu.«

»Was?« Der Sinn ihrer Worte kommt nicht bei mir an. Wie so oft eigentlich.

»Die Wände.«

Ich drehe mich zur Mini-Königin um und bemerke ihre verkniffenen Lippen und ihren Blick, der auf der Wand links von ihr weilt. Jetzt erkenne ich es ebenfalls. Die Wand verschiebt sich. Ganz langsam und irgendwie fast flüssig. Wie gleitendes Lavagestein.

»Die Wände rücken näher!«, rufe ich. »Sie werden uns zerquetschen.«

»In dem Fall würde ich empfehlen, dass ihr rennt«, sagt Spieglein.

»Und in welche Richtung? Spieglein, wo kommen wir schneller wieder raus?«

»Kann ich dir nicht sagen, aber auf das Licht zuzurennen erscheint mir eine gute Idee. Zumal sich der Gang womöglich für immer schließt und ihr keine zweite Chance bekommt. Das ist sicher ein Test.«

Ein Test. Vom Teufel höchstpersönlich?

»Und ihr besteht ihn nur, wenn ihr überlebt.«

Sehr hilfreich! Aber da beschleunige ich bereits meine Schritte. In Richtung Hölle. Nicht zurück. »Los, kommt! Wir können das schaffen!«

Hinter mir höre ich die anderen losrennen. Die Katze faucht.

»Ein Test!«, jammert die Herzkönigin. »Wenn ich wegen euch sterbe …«

»Was dann?«, bellt Rose zurück. »Bringst du uns um? Da musst du dich wirklich ganz weit hintenanstellen, klar? Und jetzt halt die Klappe und lauf.«

Ungewohnterweise hält tatsächlich daraufhin jeder den Mund, während wir um unser Leben rennen. Ist schätzungsweise das erste Mal seit Langem. Kein Geplapper, nur keuchender Atem schallt von den Wänden. Zentimeterweise schieben sie sich näher. Immer noch ist kein Ende des Gangs in Sicht. Ob er überhaupt irgendwo hinführt? Oder rennen wir gerade in unser Verderben? Mittlerweile sind wir viel zu weit vom Fluss entfernt, als dass wir den Rückweg in einem Stück schaffen würden. Nein, unmöglich. Der Point of no Return ist längst erreicht.

»Lebt ihr noch?«, will Spieglein wissen, gerade als ich die Ellenbogen einziehen muss, da die Enge im Schacht immer beklemmender wird. »Es ist so dunkel bei euch. Ich kann überhaupt nicht sehen, ob ihr schon plattgedrückt wurdet.«

Ich verdrehe die Augen, bin allerdings zu sehr mit Überleben beschäftigt, um meine Energie an Spieglein zu verschwenden. Das muss warten.

Die Herzkönigin knurrt.

Rose und die Katze keuchen synchron.

»Weißt du, wenn du nicht so dämlich gewesen wärst, dir den Feenzauberstab von Jasmin abluchsen zu lassen, könntest du vielleicht mit Magie etwas bewirken.«

Spiegleins Einwand lässt meine Nasenflügel beben, dennoch beschließe ich, ihn wie ein Störgeräusch auszublenden.

»Sterben wir, Red?« Die Stimme meiner besten Freundin klingt ganz dünn.

»Nein. Halt durch. Da vorne ist Licht.«

Gut, genau genommen war da vorne immer Licht. Könnte im Prinzip nicht mehr als eine Sinnestäuschung sein. Aber ich muss an uns glauben.

Zwei Atemzüge später wird mir klar, dass es keine Sinnestäuschung ist. »Leute, kein Spaß jetzt, da vorne sehe ich das Ende! Eine Höhle mit Licht. Endspurt. Gebt alles, wir schaffen das!«

Eigentlich bin ich mir gar nicht sicher, ob wir das schaffen, schließlich scheint der Weg bis zum Licht noch unendlich weit zu sein. Bloß irgendwie muss ich ja verhindern, dass hier jemand draufgeht. Hoffentlich reicht mein Pep-Talk dafür aus.

»Oh, das wird knapp«, stöhnt die Herzkönigin. »Das ist ein wirklich schlechter Tag zum Sterben.«

»Ja«, pflichtet ihr die Katze reichlich kurzatmig bei. »Und wer würde kommen, um mit dem Teufel um unser Leben zu feilschen?«

»Das würde sowieso nicht für uns alle funktionieren. Die drei goldenen Haare wachsen nicht schnell genug nach. Habt ihr dem Whistle-Blower nicht zugehört?«

Ist das eine ernst gemeinte Frage? Allerdings zerstört die Herzkönigin damit all unsere Illusionen.

Spieglein räuspert sich zufrieden, offensichtlich in der Gewissheit, wenigstens von einer Person in dieser Gruppe ernst genommen zu werden.

Ich verscheuche den Gedanken, bin zu sehr damit beschäftigt, gegen mein Seitenstechen anzuatmen. Wir müssen das Ende des Gangs erreichen! Alles andere verschwimmt in einer Art Nebel. Alles abseits meines Überlebenswillens. Niemand sagt mehr etwas. Lediglich Gekeuche schallt durch den Tunnel. Wir müssen es packen. Leider wird es auf einmal zu eng zum Rennen. Ich muss seitlich hüpfen und die Hände ganz nah am Körper halten. Meine Handflächen sind viel zu schwitzig und ich spüre, wie mir kleine feuchte Rinnsale sowohl den Nacken als auch mein Schlüsselbein hinunterlaufen. Nicht mehr als ein paar Schritte, dann ist es geschafft. Meine Haut schrappt über den Stein, als ich mich nur noch schwerlich vorwärtsschieben kann, sogar die Luft anhalten muss. Die Wände pressen mich zusammen wie Gretel ihre Gäste in ihren Assitoastern. Bloß fester. Viel, viel fester. Und dann erkenne ich einen Raum, der sich vor mir auftut. Dort endet der Tunnel! Ich kann unser Glück kaum fassen. Gleich haben wir es! In der Tat ist es wirklich nicht mehr weit, als ich plötzlich feststecke. Bei allen bösen Stiefmüttern! So knapp. Meine Muskeln schmerzen, dermaßen heftig werde ich zusammengequetscht. Das war’s also. Innerhalb einer Millisekunde sehe ich mein baldiges Ende vor mir. Ein Fettfleck an der Wand. Nicht mehr und nicht weniger.

»Red, halt die Luft an!«, brüllt die Herzkönigin, bevor mich ein Tritt in die Seite trifft. Sie hat mich getreten!

»Weniger Buttercremetörtchen könnten dir wirklich nicht schaden«, sagt Spieglein. »Oder wenn du dich an Snows Diät halten würdest.«

Leider fehlt mir der Atem, um ihm eine passende Erwiderung an den zweidimensionalen Kopf zu werfen.

Der Tritt der Herzkönigin katapultiert mich aus unserer Mausefalle heraus in eine kreisrunde Höhle, wo ich endlich wieder atmen kann. Dazu muss ich mich allerdings auf den Knien abstützen.

Hinter mir stolpern die Herzkönigin und Rose aus dem Schlitz, zu dem der Tunnel geworden ist. Ich sehe den Kopf der Grinsekatze, ihre Pfoten umklammern Rose’ linke Schulter, aber auf einmal weiten sich ihre Augen und die Pfoten greifen ins Leere. Die Katze steckt fest! Glücklicherweise schaltet Rose schnell. Sie wirbelt herum und packt die Katzenpfötchen, zieht daran. »Vielleicht würde es helfen, wenn du dich unsichtbar machst?«

»Nein«, entgegnet die Königin. »Seine Verwandtschaft mit einem Chamäleon zweiten Grades dürfte nichts zu seinem Überleben beitragen.«

Verflucht, wir dürfen die Katze, wie verrückt sie auch sein mag, nicht in zwei Hälften quetschen lassen.

Ich springe auf und packe das Nackenfell. »Zieh den Bauch ein, Kitty!«

Die Grinsekatze atmet überrascht aus, während Rose und ich an ihrem Fell ziehen. Und endlich, endlich spuckt die Wand die Katze aus. Rose und ich stolpern rückwärts, ich kann mich gerade noch ausbalancieren, doch Rose fällt zu Boden und Grin landet genau auf ihrer Brust. Rose lächelt. »Den Guten Feen sei Dank.« Sie atmet schwer und ich bemerke, dass sie keine Anstalten macht, aufzustehen. Vermutlich braucht sie ein Schläfchen. Eins ihrer Nickerchen. Kurz vor dem Eingang zur Hölle.

»Mädchen, ich denke, da vorne ist es.« Die Augen der Königin sind fest auf eine Art Steintür im Felsen gerichtet. »Zeit, hinab in die Hölle zu steigen.«

Ich folge ihrem Beispiel und richte meinen Blick in dieselbe Richtung. Bei genauerer Betrachtung sehe ich, dass das Antlitz des Teufels in die Steintür gehauen ist. Spitzes Kinn, Ziegenbart, zwei Hörner. Unverkennbar … Und die Augäpfel sind leuchtende Rubine, die fortwährend Lichtimpulse abgeben. Jetzt wird mir klar, woher das pulsierende Licht kommt. Direkt aus den Teufelsaugen.

»Rose, es tut mir leid. Ich fürchte, du musst dich zusammenreißen und aufstehen. Deinen Mittagsschlaf müssen wir auf später verschieben«, sage ich abwesend. Immer noch fesseln mich die leuchtenden Rubine. Sie sind groß wie Babyfäuste. Zudem wirken sie auf schrecklichste Art und Weise lebendig.

Meine beste Freundin seufzt, folgt aber meiner Anweisung und steht auf. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie sie sich das feuchte Kleid glattzupft und die Katze auf ihren Schultern ihre Frisur richtet.

Gerade als ich eine Frage äußern will, neigt Rose den Kopf zur Seite, hebt den Taschenspiegel vom Boden auf und überprüft, ob Spiegleins Antlitz uns immer noch entgegenblickt. Tut es zu meinem Leidwesen.

»Das war jetzt eine Prüfung vor der Prüfung oder wie sehe ich das? Wird die am Ende auf die drei Prüfungen, die Red machen muss, angerechnet?«

Spieglein schnaubt. »Werden dir deine dummen Fragen auf deinen Intelligenzquotienten angerechnet?«

Also nein.

Ich verdrehe die Augen und wünsche mir, dass alle Verrückten uns so schnell wie möglich in Ruhe lassen.

»Hört mal, wir sind wegen Ever hier und nicht, um uns zu zanken. Herzkönigin, hörst du ein Tier oder so, das wir fragen könnten, was hinter der Tür liegt?«

Sie schüttelt den Kopf. Natürlich haben wir kein Glück. Also müssen wir wohl selbst in den vergifteten Apfel beißen und die Klinke drücken. Je länger wir warten, desto mehr tödliche Fallen könnten hier auftauchen. Nicht zu vergessen, dass Ever die Zeit davonläuft.

Ich trete näher an die Tür heran. Die Spiegelung auf den Rubin­augen verändert sich irgendwie, sodass ich mich beobachtet fühle. Bei genauerer Betrachtung hat die Tür nicht mal eine Klinke. So einfach wird es einem hier also nicht gemacht.

»Was müssen wir tun, um da reinzukommen?«, überlege ich laut. »Ein Erstgeborenes opfern?«

Die Herzkönigin zuckt zusammen. Ob sie an Jaz denkt?

»Nicht ganz«, grollt eine Stimme, die aus den Wänden um uns herum zu kommen scheint. Von überall. »Lediglich einen klitzekleinen, bindenden Vertrag eingehen.«

Keine Sekunde zweifele ich daran, dass es die Stimme des Teufels persönlich sein muss. Eine männliche Vorzimmerdame wird er kaum haben.

»Da soll mich doch der Teufel holen!«, wispert Rose.

»Könnte ich für dich arrangieren«, sagt die Stimme.

Die Tür vibriert, als würde sie lachen.

Ich presse die Lippen fest aufeinander. Wie ich es hasse, von einer Falle in die nächste zu tappen. Aber da ich keine Lust habe, zu viel von mir preiszugeben, schweige ich, warte ab, dass der Teufel mehr dazu erklärt.

Nach Dutzenden Herzschlägen in absoluter Stille tut er das auch. »Wenn ihr durch diese Tür gehen wollt, und ich weiß, das wollt ihr, dann –« Er legt eine dramatische Pause ein, in der ich überlege, ob womöglich eine Verwandtschaft zwischen ihm und Spieglein bestehen könnte, bis er endlich fortfährt: »– müsst ihr einen Vertrag unterzeichnen. Nichts Großes eigentlich. Nur ein paar klitzekleine Paragraphen und Rechtsverdrehungen, die euch später noch zum Verhängnis werden könnten. Also der übliche Papierkram.«

Ich tausche einen Blick mit Rose. »Aha, und wenn wir nicht unterschreiben?«

»Verrottet ihr in meinem Wartezimmer, bis euch irgendjemand ausgräbt.«

Dann ist das ja eine ganz einfache Entscheidung.

»Eigentlich möchte ich den Vertrag vorher gerne von meinem Anwalt prüfen lassen«, höre ich mich sagen, im vollen Bewusstsein, dass ich gar keinen Anwalt habe, keinen kenne und nicht mal von jemandem gehört habe, der einen kennt.

Der Teufel lacht. War ja klar.

Fieberhaft zermartere ich mein Gehirn. »Spieglein, könntest du Snow zu unserer Hilfe schicken? Sie hat einen Zauberstab und –«

»Nicht mal zehn Zauberstäbe würden euren Freunden dabei nützen, euch zu finden. Ihr bleibt hier oder unterschreibt. Selbst schuld, wenn ihr freiwillig in die Hölle wollt.«

Auch wieder wahr.

»Was genau steht denn im Vertrag?«, will die Herzkönigin wissen. »Reicht es, wenn Red einen unterschreibt? Wir sind quasi ihr Geleitschutz. Im Grunde will allein sie in die Hölle.«

»Sieh an, nur Rotkäppchen will? Und warum das?«

Rose will ihm antworten, aber ich hebe eine Hand, um sie verstummen zu lassen.

»Eine interessante Frage, nicht wahr? Beantworte ich dir gerne, solange ein einziger Vertrag ausreicht, um uns alle hineinzulassen.«

Die Stimme seufzt. Ich meine, eine Staubwolke aus der Tür entweichen zu sehen. »Wie wäre es damit: Du unterschreibst, trittst ein und deine Freunde warten hier auf dich. Außer du kommst nie wieder zurück durch diese Tür. Das wäre natürlich ungünstig. Für dich.« Der Teufel schmunzelt. Ich kann es ganz klar an seiner Stimmfarbe erkennen.

Irgendwie scheint es mir keine gute Idee zu sein, uns zu trennen.

Rose schüttelt ganz leicht den Kopf.

Ich recke das Kinn, entschlossen, keinerlei Unsicherheit zu zeigen. »Zeig mir zuerst den Vertrag für mich, dann sehen wir weiter.«

»Wir sind voll verloren oder was?«, flüstert die Grinsekatze. »Aber wenn im Vertrag steht, dass ich ab sofort täglich meine Unterwäsche wechseln muss, bin ich raus.« Sie greift sich theatralisch an die Stirn.

Rose hustet, sagt jedoch nichts.

»Unterwäsche täglich wechseln? Nein, so grausam bin nicht mal ich«, erklärt der Teufel.

Die Katze nickt beruhigt.

»Hallo? Haben hier jetzt alle ihr Hirn gegen Wackelpudding eingetauscht? Ich habe nach dem Vertrag gefragt!« Auch hier unten ist natürlich alles voller Irrer. Wer hätte es gedacht.

Wie aus dem Nichts entrollt sich ein Pergament vor meinen Augen. Der Vertrag. Eine Feder mit rotem Kiel, aus dem es tropft, erscheint ebenfalls.

»Ticktack«, sagt der Teufel. Seine Stimme klingt recht selbstzufrieden.