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Ein ungewöhnlich nasser und stürmischer Herbst. Deutschland versinkt im Dauerregen. Im Köln-Bonner Raum tobt ein Rockerkrieg. Es geht um die Vormachtstellung im Drogen- und Waffenhandel, gewinnträchtige Reviere im Rotlicht- und Diskothekenmilieu werden unter konkurrierenden Rockerclubs neu verteilt. Gewalttägige Auseinandersetzungen und Mordfälle häufen sich. Das Ermittlungsteam um den Bonner Hauptkommissar Klaus Ebner und die länderübergreifende Sonderkommission "Rocker" sehen zwar die übergeordneten Zusammenhänge, stehen aber dennoch vor rätselhaften Fragen, die nicht in das Gesamtbild passen. Mit seinem zweiten Fall begibt sich die sympathisch authentische Figur des Hobby-Ermittlers Jan van Ridder auf einen sehr persönlichen Höllentrip. Ein rasanter Krimi, der den Leser auf eine schockierende Höllenfahrt in die brutale Welt der organisierten Rockerkriminalität, Prostitution, Drogen und Gewalt mitnimmt. In Zeiten andauernder Mordfälle in der Szene und Vereinsverboten nah an der Realität und von höchster Aktualität. Gleichzeitig durchzogen von Momenten zarter Verliebtheit, abtastender, unsicherer Anbahnung und rauschhaften Glückszuständen. Ein psychologisch-feinsinniges Wechselbad der Gefühle. Gespickt mit facettenreichen Situations- und Typenbeschreibungen aus dem deutschen Alltag. Der Leser trifft auf unterschiedlichste Vertreter des Polizei- und Beamtenapparates, verrohte Rocker, liegengebliebene Alt-68er, ehrgeizige Zuwanderer, skrupellose Bankangestellte, Harley fahrende "Zahnwälte", paranoide Geheimdienstler, verlorene Studentinnen, bornierte Rechtsanwälte und eine eifersüchtige Katze. Van Ridder vom Leben gezeichnet, vielschichtig, mal locker-humorvoll, mal nachdenklich- melancholisch, durch ein tragisches Unglück früh verwitwet, Vater einer studierenden Tochter, die ihn früh zum Großvater gemacht hat, Liebhaber deutscher Weißweine, Rockmusikhörer, Altbaubewohner, Lebenskünstler, kunst- und geschichtsinteressiert und immer auf der Suche…
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Seitenzahl: 352
Veröffentlichungsjahr: 2015
JR
ASMODEUS
Jan van Ridder gibt Gas - sein zweiter Fall
Kriminalroman
© 2015 JR JR
Bildnachweis Umschlag: Pieter Brueghel d.Ä., Die sieben Laster „Asmodeus“, Kupferstich, Sammlung Bibliothèque Royale, Cabinet Estampes, Brüssel.
ISBN
Softcover:
978-3-732-37889-0
Hardcover:
978-3-732-37890-6
E-Book:
978-3-732-37891-3
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
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Das Buch
Ein ungewöhnlich nasser und stürmischer Herbst. Deutschland versinkt im Dauerregen. Im Köln-Bonner Raum tobt ein Rockerkrieg. Es geht um die Vormachtstellung im Drogen- und Waffenhandel, gewinnträchtige Reviere im Rotlicht- und Diskothekenmilieu werden unter konkurrierenden Rockerclubs neu verteilt. Gewalttägige Auseinandersetzungen und Mordfälle häufen sich. Das Ermittlungsteam um den Bonner Hauptkommissar Klaus Ebner und die länderübergreifende Sonderkommission „Rocker“ sehen zwar die übergeordneten Zusammenhänge, stehen aber vor rätselhaften Fragen, die nicht in das Gesamtbild passen.
Ebner zieht seinen alten Bekannten, den ehemaligen IT-Vertriebsmanager, Spezialisten für die öffentliche Verwaltung und inzwischen selbständigen Berater Jan van Ridder, hinzu. Jan - mittlerweile selbst begeisterter Harley Davidson-Fahrer - weiß anfänglich nicht, was er zu den Ermittlungen beitragen soll. Dann wird er persönlich in den Rockerkrieg hineingezogen. Es geht um seine Tochter Charlotte und seinen Enkelsohn Jonas. Jan blickt in menschliche Abgründe, in ein Panoptikum aus Gewalt, Verzweiflung, Einsamkeit und Hass. Er muss sich seinen eigenen Ängsten, Sehnsüchten und Zweifeln stellen und dabei einen nahezu aussichtslosen Kampf führen.
Dann taucht eine mysteriöse, unbekannte Frau auf. Jan verliebt sich Hals über Kopf in die schwarzhaarige Schönheit und merkt dabei nicht, dass sie ein makabreres Spiel mit ihm spielt.
Die Polizei bekommt die Gewaltspirale nicht in den Griff. Gibt es einen Maulwurf in den eigenen Reihen? Im Hintergrund scheinen noch weitere Akteure ihre dunklen Machenschaften zu treiben. Die Lage eskaliert. Es kommt in einem teuflischen Inferno zum Showdown rund um den Präsidenten des Bonner Hells Angels Charters. Und mittendrin Jan.
Mit seinem zweiten Fall begibt sich die sympathisch authentische Figur des Hobby-Ermittlers Jan van Ridder auf einen sehr persönlichen Höllentrip.
Van Ridder vom Leben gezeichnet, vielschichtig, mal locker-humorvoll, mal nachdenklich-melancholisch, durch ein tragisches Unglück früh verwitwet, Vater einer studierenden Tochter, die ihn früh zum Großvater gemacht hat, Liebhaber deutscher Weißweine, Rockmusikhörer, Altbaubewohner, Lebenskünstler, kunst- und geschichtsinteressiert und immer auf der Suche…
Der Fall
Ein rasanter Krimi, der die Lesenden auf eine schockierende Höllenfahrt in die brutale Welt der organisierten Rockerkriminalität, Prostitution, Drogen und Gewalt mitnimmt. In Zeiten andauernder Mordfälle in der Szene und Vereinsverboten nah an der Realität und von höchster Aktualität. Gleichzeitig durchzogen von Momenten zarter Verliebtheit, abtastender, unsicherer Anbahnung und rauschhaften Glückszuständen. Ein psychologischfeinsinniges Wechselbad der Gefühle. Gespickt mit facettenreichen Situations- und Typenbeschreibungen aus dem deutschen Alltag. Der Leser trifft auf unterschiedlichste Vertreter des Polizei- und Beamtenapparates, verrohte Rocker, liegengebliebene Alt-68er, einen Helene-Fischer Fan, ehrgeizige Zuwanderer, skrupellose Bankangestellte, Harley fahrende „Zahnwälte“, paranoide Geheimdienstler, verlorene Studentinnen, bornierte Rechtsanwälte, eine unbekannte Schönheit und eine eifersüchtige Katze.
Der Autor ( https://tredition.de/autoren/jr-jr-16468/ )
Ein Manager aus national und international führenden IT-Konzernen, langjähriger Kenner der Bundesverwaltung in Bonn und Berlin und Harley Davidson-Fahrer.
ASMODEUS
Schweren Lastern wurden im Verlauf der Kirchengeschichte – insbesondere unter Papst Gregor I. (um 540 bis 604) – als sinnbildliche Warnung für die Gläubigen, aber auch Mönche, bestimmte Dämonen zugeordnet. Quasi die Armee des Teufels. Unter anderem waren verantwortlich: Der Satan für den Zorn, Leviathan für den Neid, Beelzebub für die Völlerei, der Mammon für die Habgier und eben Asmodeus für die Raserei und Begierde.
Als Aeshma-Daeva stammt der Name des Asmodis aus dem Avestischen, wo er den Dämon des Zorns, der Begierde und der Wollust verkörpert. In den jüdisch-christlichen Traditionen wird Asmodaeus im Buch Tobit erwähnt, wo er wiederholt die Eheschließung der Sarah verhindert. Ähnlichen Legenden zufolge wurden durch die Laster des Aschmodai Sodom, Gomorra sowie sieben weitere Städte zerstört, weshalb man ihn bisweilen auch „Bringer des Gerichts“ nennt. Er wird auch manchmal mit dem Abaddon der Offenbarung des Johannes gleichgesetzt.
Er findet sich in der rabbinischen Literatur als einer der Oberen der bösen Geister und in der mittelalterlichen Astrologie auch als Stundenengel oder -dämon.
Er wurde auf Statuen zumeist als hinkender Teufel dargestellt. Im Hexenhammer von Heinrich Kramer steht geschrieben: „[…] der eigentliche Dämon der Hurerei und der Fürst jeder Unfläterei heißt Asmodeus.“
Asmodeus ist in heutiger Zeit ein Synonym des Teufels.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
ASMODEUS
Prolog
Begegnungen in der Hitze
Einsatzbefehl
Unter Harley Fahrern
Die Hexe vom Märchensee
Am Ende
Der Traum – Welcome to your nightmare
Ein Anruf beim Chef
Ein schweigendes Telefonat
„Mist! Das bleibt bitte vorerst unter uns“
Auf der Couch – die Gedanken sind frei
Kasse machen mit anschließender Schießerei
Ein frisch geficktes Eichhörnchen
Ein geflügelter Totenkopfring
Der Marathon-Mann und der Frosch
PR der etwas anderen Art oder Verbrechen zahlt sich doch aus
Von alten Zeiten und echter Liebe
Hüpfburg und Bratwürstchen mit Schnee und Prostituierten
Im Rheinauhafen Köln
„Sprich mit mir, verdammt noch mal!“ Teil I
Erkenntnisse dank Internet
„Sprich mit mir!“ Teil II - Die Offenbarung
Vorsichtige Erkundungen in einem fremden, exotischen Land oder Kennenlernen bei Mojito und Bohnen
Vormittags Harley Davidson – nachmittags Stadtführung – abends Candle Dinner
Eine Frage von Stiefeln und Eheringen
Unter Höllenengeln: Hier wird nicht geredet, sondern geschossen
Home Sweet Home oder wie aus Betongold Mühlsteine werden
„Friss Blei, Du Arschloch“
Die Bruderschaft: Blut an den Händen
Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen
Das Phänomen Rocker: Easy Rider als harmloser Bürgerschreck oder gewalttätige, organisierte Kriminalität auf zwei Rädern?
Aufnahmebedingungen für einen exklusiven Club
Auf der Lauer, auf der Jagd
Mit einem Bleistift kann man / frau nicht nur schreiben … oder aus blond mach schwarz
Alles vergeblich? Von nagender Ungewissheit und bohrenden Selbstzweifeln
Oben beten, unten treten – von Managern und Schwestern
Shoot Out – Teil I: Es in angerichtet
Shoot out Teil II: crescendo – es wird hingerichtet
Drei Monate später … Schluss, aus, vorbei – noch Fragen?
EPILOG
JR - Nachwort
JR – MAMMON – Jan van Ridder tritt auf – sein erster Fall
JR – ASMODEUS – Jan van Ridder gibt Gas – sein zweiter Fall
JR – BEELZEBUB – Jan van Ridder findet das Glück - sein dritter Fall
JR – SATAN – Jan van Ridder verliert den Glauben – sein vierter Fall
JR – BELPHEGOR – Jan van Ridder verfährt sich – sein fünfter Fall
Über tredition
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
ASMODEUS
Epilogue
Über tredition
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Prolog
Kennst Du die Frau meiner Träume? 1
Morgens schmücken sie Perlen aus Tau
Wenn hell das Licht durch Morgennebel bricht
Und die Sterne versinken im tiefen Blau
Oft überstrahlt sie den Sonnenschein
Der Wind trägt ihr leises Wispern zu mir
Wunder sind ihre dunklen Augen
Ihr Lächeln geheimnisvoll wie ein Saphir
Das Licht ist nicht Tag
Es ist der Vollmond, der vermag,
dass der Schlaf sie nicht findet
und sie sich in ihren Träumen windet
Sie wird die meine sein
Ich bin ihrem mächtigen Zauber erlegen
Du kennst die Frau meiner Träume
Du bist es, Hexe vom Märchensee, mein Segen
1 In Anlehnung an William Boyd – Eine große Zeit (2012, Bloomsbury Verlag, Berlin)
Begegnungen in der Hitze
Jan schwitzt. Lichtblitze flackern in wechselnden Farben durch den abgedunkelten Raum. Jan schließt die Augen. Die grellen Farbschattierungen dringen nur noch als abgeschwächte Impulse durch seine Augenlider. Wie rätselhafte Lichtsignale aus einer weit entfernten Galaxie. Jan liegt ausgestreckt auf den Holzbrettern. Allein am oberen Rand des Raumes. Er streckt sich. Schweiß dringt aus allen Poren. Die abperlenden Tropfen kitzeln auf der Haut. Sein nackter Körper ist komplett von einem feuchten Film überzogen. Er reckt die Beine in die Höhe – nur leicht. Sofort fällt die Hitze wie ein wütendes Tier über ihn her und attackiert ihn mit zahllosen Bissen. Er stöhnt. Die Hitze und Feuchtigkeit machen ihn schläfrig. Aber hier darf er nicht einschlafen. Auf keinen Fall! Er merkt, wie sich seine Muskulatur entspannt. Er atmet behutsam die heiße Luft ein.
Seine Gedanken schweifen ab. Zurück an die Tage in der Eifel. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Die Augen geschlossen. Four days of Rock’n’Roll and easy livin‘ … Durch seinen Körper läuft ein wohliges Kribbeln. Zwischen den Beinen ein leichtes Pulsieren. Die Hitze umhüllt ihn. Schweiß. Dämmrig diffuses Licht. Sich fallen lassen. Den imaginären Bildern folgen. Bilder von Sonnenuntergängen, Menschenmassen, die im Rhythmus der Musik hin und her wiegen, Biergelage, schrille Gestalten wie aus alten Mad Max Filmen tauchen vor seinem inneren Auge auf. In seiner Vorstellung läuft ein bunter Kinofilm in surrealistischen LSD-Farben ab. Er lässt sich von dem Kopfkino mitreißen. Sein Körper wird schwerer. Langsam dämmert er weg. Loslassen. Wohlige Ruhe, entspannte Schwere. Die Hitze hält ihn fest umschlossen.
Im Abendrot kommt von ferne ein schwarzer Punkt herangeschwebt. Vor der Haupttribüne tost die Menschenmenge. 100.000 Leiber formen einen Organismus, der sich im schnellen Rhythmus der harten Musik auf und ab bewegt. Avenged Sevenfold tobt über die Bühne: Welcome to your nightmare. Die Menge brüllt wie ein einziges, riesiges Tier. Die tieftönenden Soundwellen der Bassläufe und des Schlagzeuges drücken in der Magengegend. Über der Center Stage materialisiert sich im Gegenlicht der Abenddämmerung am Horizont ein Hubschrauber. Die letzten Strahlen der Abendsonne blitzen auf dem silbrig glänzenden Fluggerät. Wie ein großes, stählernes Fluginsekt nähert es sich. Apocalypse now! Metallica, die Götter des Schwermetalls steigen majestätisch aus dem Himmel zu ihren Jüngern herab. Die Masse huldigt ihren Götzen. Ein infernalisches Brausen. Aus den Lautsprechertürmen kreischen die E-Gitarren. Die Menschen um Jan herum jubeln, pfeifen, schreien … eine einzelne Stimme dringt zu ihm durch. Sie wird lauter, kommt immer näher. Jetzt ganz klar. Irgendwie fordernd, unfreundlich: „Hey, mach ma Platz, Alter!“
Die Musik und die Bilder lösen sich zögerlich in seinem Gehirn auf. Sein Unterbewusstsein wehrt sich. Er will die Erinnerungen noch einen Moment festhalten.
„Hörst Du schlecht, Du Spacko!“
Jan wacht auf. Schweißgebadet. Er fühlt sich benommen.
Mist, jetzt bin ich doch eingeschlafen. Das kann in dieser Umgebung gefährlich enden. Mühsam öffnet er die Augen und starrt an die holzvertäfelte Decke. Langsam dreht er den Kopf zur Seite: in dem schummrigen Halblicht, auf Augenhöhe eine massige Gestalt, die ihn anschnauzt: „Los, bewech Deinen Kadaver, bevor ich nachhelfe!“ Gegen die wechselnden, grellen Farben von der Deckenleuchte kann Jan nur die Umrisse des Mannes ausmachen. Ein Koloss. Er kneift die Augen zusammen, fixiert den Riesen vor ihm. Der Fleischberg ist mit Tätowierungen übersät. Er wendet den Blick ab und richtet sich langsam auf. Nun sitzt er – die Beine angewinkelt - auf der Holzbank. Murmelt beschwichtigend: „Ist ja schon gut. Ich wollte eh gerade gehen.“
„Högy, lass den Mann in Ruhe“, tönt eine Stimme aus dem Hintergrund.
„Aber, aber… ich will mich hier hinlegen“, gibt der Fleischberg leicht stotternd, unbeholfen zurück.
„Schnauze Högy, setz dich hier zu uns. Hier ist genug Platz. Komm jetzt!“ Der Befehlston ist ruhig, aber bestimmt. Eher die Tonlage, in der man mit einem jungen Hund spricht.
Seine Augen haben sich inzwischen an das diffuse Licht gewöhnt. Vor ihm steht ein circa zwei Meter großer, äußerst kräftiger Mann mittleren Alters, dessen muskelbepackte Statur im Kontrast zu seinem erstaunlich kindlich pausbäckigen Gesicht steht. Aus einem Babyface schauen trotzig zwei wässrig blaue Augen, die weich wirkenden dicken Lippen formen einen Schmollmund. Mit einem Ruck dreht sich der massige Mann um und trottet mit hängenden Schultern davon. Quer über der breiten Rückenpartie zieht sich eine in altdeutscher Runenschrift tätowierte, schwarze Inschrift: In Treue fest – darunter in der Mitte groß die Zahl: 81 – rechts und links flankiert von zwei Engelsflügeln.
Jan erhebt sich, packt seine beiden Handtücher, steigt zögernd die hohen Holzstufen hinab und geht zur Ausgangstür.
Auf der anderen Seite sitzen drei Männer. Ebenfalls über und über tätowiert, Ohrringe, Bärte, Piercings, allesamt eher bullige Gestalten. Der Koloss namens Högy hat sich inzwischen etwas abseits dazu gesetzt und starrt auf den Boden.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung.“
Jan dreht sich vor der Tür stehend noch einmal um, folgt mit seinen Augen der Stimme und schaut auf die Männer, die dort im schummrigen Licht sitzen. Auf der oberen Bankreihe liegt ausgestreckt ein weiterer Mann, der Jan zu ruft: „Nichts für ungut!“
Jan deutet ein leichtes Nicken an und verlässt eilig die Sauna.
Einsatzbefehl
„Morgen Abend, 18.00 Uhr, pünktlich.“
„Da kann ich nicht. Morgen ist erst Donnerstag. Wir hatten vereinbart, dass ich nur am Wochenende arbeite.“
„Schätzchen, morgen 18.00 Uhr im Maritim Hotel oder Du bist draußen! Und zwar für immer!“
„Ich habe bis 17.30 Uhr Vorlesungen und dann muss ich mein Kind aus der Kita abholen. Da wird es locker …“
„Pass jetzt mal gut auf, Schätzelein. Dein kindischer Unischeiß interessiert hier nicht. Entweder Du sagst jetzt zu oder ich muss ein ernstes Wort mit dem Chef über Dich reden. Ich …“
„Aber, Kalle, ich kann morgen wirklich nicht. Freitag gerne. Ich habe außerdem keinen …“
„Jetzt halt Deine Klappe, Du blöde Fotze. Du sollst mich nicht unterbrechen. Was fällt Dir ein?“ Die Stimme war mit einmal laut und ungehalten. „Also, ich lege jetzt auf und Du rufst mich in 30 Minuten wieder an und sagst mir Deine Entscheidung.“
Es folgte eine längere Pause, bevor der Mann am anderen Ende des Telefons mit nun wieder sanfterer Stimmlage fortfuhr: „Schätzelein, es geht um viel Geld. Auch für Dich! Das ist ein hochrangiger Managertyp. Der will eventuell jemanden für das ganze Wochenende buchen. Was mit Kultur und Bildung. Du weißt schon, nicht nur ficken, sondern auch wichtig und gestelzt daherreden. Zumindest am Anfang.“
Sie hörte am anderen Ende eine Art Grunzen. Kalles Art, sich über seine eigenen Sprüche zu amüsieren. Das Ganze ähnelte eher einem erstickenden Gurgelgeräusch. Hatte wahrscheinlich mit seinem Asthma zu tun, dachte sie angeekelt. „Dazu hat Dich der Chef eingeteilt: unsere kleine intellektuelle Studentin mit den dicken Möpsen.“ Wieder folgte ein gutturales Grunzen.
„Wenn es gut läuft, ist das erst der Auftakt. Der Herr Manager scheint regelmäßig geschäftlich in Bonn zu sein … oder besser: zu verkehren. Den können wir auf Dauer schön melken!“ Wieder dieses widerliche, kehlige Glucksen. „Und denk dran: Du kennst den Chef.“ Es entstand eine Pause. „Der wird toben, wenn Du jetzt abspringst!“
Charlotte lief ein kaltes Schaudern über den Rücken. Sie sah das wutverzerrte Gesicht deutlich vor sich. In diesen Momenten glich er mehr einer Teufelsfratze. „Ok. Ich mach‘s, aber ich kann definitiv erst um 19.00 Uhr im Hotel sein. Früher geht es nicht“, sagte sie so resolut, wie es eben ging. Dann drückte sie das Telefonat weg, ohne eine Antwort abzuwarten.
Charlotte verharrte regungslos mit dem Handy in der Hand. Wie versteinert saß sie zusammengesunken in ihrem Sessel und starrte vor sich hin. Sie fühlte sich unendlich erschöpft. Leer. Verzweifelt. Tränen schossen ihr in die Augen.
„Es nützt nichts. Ich brauche das Geld!“
Sie wischte sich trotzig die Tränen aus den Augen, streckte den Rücken durch und griff erneut zum Telefon.
Unter Harley Fahrern
„Ach, auch Harley Fahrer?“
Jan schaute von der Bank in der Umkleidekabine auf. Neben ihm stand ein Mann. Der Mann aus der Sauna, der den Riesen Högy zurückgepfiffen hatte.
„Ja, warum?“ gab Jan kurz angebunden zurück. Er wollte nach der Szene in der Sauna keinen Stress, wollte aber auch nicht allzu devot erscheinen.
Der Mann deutete eine Geste in Richtung von Jans Rucksack an, in dem er gerade seine Sportsachen einpackte. „Na, der gute alte Harley-Rucksack und die entsprechende Lederjacke … sprechen doch Bände. Was fahren Sie denn für eine?“
„Eine Dyna Switchback.“ Jan verspürte keine Lust auf Konversation mit dem Fremden und blickte angestrengt auf seinen Rucksack.
„Gute Wahl. Ich habe die Road King. Woher haben Sie denn die Harley-Jacke? So ein Motiv habe ich in Deutschland noch nicht gesehen.“
„Habe ich mir aus den USA mitgebracht“, gab Jan ein wenig stolz zurück.
„Entschuldigen Sie noch mal den Auftritt von meinem Mitarbeiter vorhin in der Sauna. Mit dem gehen manchmal die Pferde durch. Ist eigentlich ein harmloser Zeitgenosse.“
Jan war ob der gewählten Ausdrucksweise überrascht. Sie wollte so gar nicht zu dem Erscheinungsbild des Gegenübers passen. Er musterte den Mann verstohlen: kräftig, aber im Gegensatz zu seinen Begleitern nicht überproportional muskulös, ein durchaus freundliches Gesicht, ein gepflegter Dreitagebart. Nur ein einziges Tattoo, das aber dafür umso auffälliger großflächig platziert an der rechten Halspartie. Braune, lange Haare, hinten zu einem Zopf zusammengebunden, wache Augen. Was auffiel, war eine lange, rötlich leuchtende Narbe quer über den glatten Bauch.
„Einen schönen Tag noch“, sagte der Fremde, drehte sich um und ging zu seinem Spind.
Jan sah ihm nach. Der Mann zog das linke Bein leicht nach.
„Ebenso“ murmelte Jan, zog seine Stiefel an, stopfte seine restlichen Sportsachen in den Rucksack, schnappte sich die Lederjacke und verließ eilig die Umkleidekabine des Fitnessstudios.
Die Hexe vom Märchensee
Jan ging zu Fuß zum Club Mata Hari, der nicht unweit von seinem Zuhause in der Godesberger Innenstadt lag. Hauptkommissar Klaus Ebner von der Bonner Kriminalpolizei hatte ihn angerufen und darüber unterrichtet, dass man in dem alteingesessenen Godesberger Bordell vor knapp zwanzig Minuten eine tote Frau bei der Notrufzentrale gemeldet hatte. Der Hauptkommissar hatte ihn eindringlich gebeten, ob er Kommissar Michalke vor Ort „beim Sammeln der ersten Eindrücke des Tatorts mit Deiner unverstellten Wahrnehmung unterstützen könne. Du wohnst ja quasi um die Ecke, und bei uns sind alle Kollegen in anderen Einsätzen unterwegs. Es ist mal wieder die Hölle los.“
Jan sah bereits von weitem einen Polizeiwagen am Straßenrand vor dem Club stehen. Zwei Polizisten standen rauchend auf dem Bürgersteig. Peter Michalke, der junge Kommissar aus Ebners Team, stand allein etwas abseits und redete mit einem Geist. Als Michalke ihn sah, winkte er ihm kurz zu und wendete sich dann wieder ab - immer noch mit einem unsichtbaren Gegenüber sprechend.
Das Mata Hari lag zwischen einem Hotel, einer Spielhalle und einer Filiale der Deutschen Bank in einer durchgängigen Häuserfront. „Wie praktisch für alle Politiker, Geschäftsreisende und das sonstige fahrende Volk“, dachte Jan. „Erst Geld holen, dann in die Spielhölle, danach in den Puff und schließlich ins Hotel. Wenn schon kein Glück im Spiel, dann wenigsten die kurze Illusion der käuflichen Liebe.“
Jan begrüßte die beiden Polizisten. Aus der Nähe sah er jetzt, mit wem der Kommissar sprach. Er redete in ein kleines Mikro am Revers seiner Jacke. Aus dem Kragen ragte ein gewundenes weißes Kabel, welches in einem kleinen Knopf im Ohr verschwand.
„Ok. Wir gehen jetzt gleich rein. Ihr seid auf Empfang. Verstanden. Einsatzzentrale. Michalke Ende!“
Jan betrachtete den Aushang in dem Glaskasten rechts neben dem schmalen Eingang des Nachtclubs. Dort bewarb der Mata-Hari-Night-Club auf einem bereits leicht vergilbten und an den Rändern eingerissenem Poster sein Angebot mit einer nur im String-Tanga und mit High Heels bekleideten jungen Frau, die mit gespreizten Beinen rücklings auf einem Stuhl saß: diskret, sauber, ständig wechselnde Frauen, verschiedene Darbietungen, Eintritt frei. Öffnungszeiten 21.00 bis 5.00 Uhr an allen Tagen. Wir akzeptieren alle gängigen Kreditkarten.
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Von dem kleinen Balkon ihres Hotelzimmers aus konnte sie den Polizeieinsatz vor dem Club von oben gut beobachten. Ihr Hotel lag direkt neben dem Mata-Hari. Das hatte sie im Internet gesehen und sich extra dort in einem Zimmer mit Balkon zur Straße hin eingemietet. Zwei Beamte in Uniform, zwei Zivilfahnder. Der eine von den beiden sprach, wie sie vermutete, in ein kleines Mikrofon an seiner Jacke. Die beiden Uniformierte lehnten an dem Streifenwagen. Der Dritte stand vor der Vitrine und schaute sich das widerliche Poster mit der nackten Frau an: Fleischbeschau. Dieser blonde Typ kam ihr nicht vor wie ein Polizist – eher wie ein etwas unentschlossener, gelangweilter Passant. Aber er gehörte ganz offensichtlich zu dem Einsatzteam, da er die anderen begrüßt und sich mit ihnen unterhalten hatte.
Jetzt schien die Aktion zu starten …
***
Kommissar Michalke nickte Jan und den beiden Polizisten zu, ging dann zu der massiven Stahltür des Nachtclubs und trommelte zweimal energisch dagegen: „Hier ist die Polizei. Öffnen Sie sofort die Tür und gehen Sie dann ein Schritt zur Seite!“ Nach einigen Minuten und erneutem Klopfen öffnete sich in der Tür eine schmale Sichtluke. Michalke streckte dem Augenpaar hinter der Tür seinen Polizeiausweis entgegen: „Öffnen Sie bitte die Tür und gehen Sie zur Seite!“
Die Tür öffnete sich langsam. Jan konnte über die Schulter von Michalke hinweg in dem schmalen Eingangsbereich, der nur spärlich beleuchtet war, eine massige Gestalt ausmachen.
Michalke riss die Tür nach außen auf. Trat rasch in den schmalen Gang ein, dicht gefolgt von einem weiteren Polizisten, während der andere Kollege mit gezogener Waffe etwas seitlich stehen blieb.
„Polizei! Dies ist eine Hausdurchsuchung. Drehen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand. Wir werden Sie nun langsam abtasten!“
„Halt ma. Wat is denn los?“, hörte Jan den Türsteher poltern.
„Leisten Sie keinen Widerstand. Drehen Sie sich langsam zur Wand um und nehmen Sie die Hände hinter den Kopf“, sagte Michalke ruhig, aber bestimmt.
„Fick Dich. Scheißbulle. Dat werd ich bestimmt nich tun!“ dröhnte der Riese, der sich nun breitbeinig in dem schmalen Gang vor Michalke und dem Polizisten aufbaute. Jan hatte den Eindruck, als würde der Türsteher seinen eh schon immensen Oberkörper noch mehr aufpumpen. An seinem Hals sah er die Schlagader anschwellen und auf den muskulösen Oberarmen traten die bläulichen Adern deutlich hervor. Die ganze Situation hatte etwas bedrohlich-aggressives.
Der Polizist neben Michalke zog seine Waffe und hielt sie in halber Höhe.
Michalke sprach laut und langsam: „Wir haben eine Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorliegen.“
„Ach laber keinen Driss. Ich zeig …“
Dann ging alles ganz schnell. Michalke, obwohl vielleicht nur halb so schwer und anderthalb Köpfe kleiner als der bullige Mann vor ihm, wirbelte flink um den Türsteher herum, rammte ihm seinen Fuß in die Kniekehle, riss in einer fließenden Bewegung gleichzeitig dessen Arm auf den Rücken und schleuderte ihn gegen die Wand. Glas klirrte. Der Riese jaulte auf. Ein Bilderglasrahmen war unter der Wucht des Aufpralls in seinem Gesicht zersplittert. Blut tropfte. Michalke hielt ihn im Polizeigriff an der Wand festgedrückt und legte ihm Handschellen an. „Und jetzt ganz langsam auch den anderen Arm nach hinten“, redete Michalke ruhig auf ihn ein.
„Du dummes Schwein. Nen Scheiß werd ich!“, dröhnte es zurück. Der Mann versuchte, sich aufzubäumen. Seinen mächtigen Oberkörper durchlief ein wildes Zucken.
„Ok“ sagte der Kommissar ruhig und zerrte im gleichen Moment ruckartig den nach hinten gebogenen Arm des Mannes ein Stück höher. Jan hörte ein kurzes Knacken, dann ein schmerzverzerrtes Aufjaulen. Schließlich streckte der Türsteher auch seinen linken Arm nach hinten. Michalke ließ die Handschellen einrasten, spreizte mit seinem Fuß die Beine des Riesen, der nun bewegungslos mit dem Gesicht an der Wand lehnte. Auf Jan machte der Koloss den Eindruck eines Riesenbabies, welches hilflos und verwirrt in einer Art Duldungsstarre abwartete, was als nächstes passieren würde.
Michalke machte zwei Schritte zurück: „Sie bleiben bitte genauso und ganz ruhig stehen. Mein Kollege wird Sie jetzt nach Waffen abtasten und Sie dann mit zum Einsatzfahrzeug begleiten.“
In das unsichtbare Mikro sprach er: „Bei einer eindeutig aggressiven Bedrohungshandlung wurde der Angreifer festgesetzt und mit Handschellen fixiert. Bei dieser Abwehrmaßnahme hat sich der Angreifer leichte Schnittverletzungen im Gesicht zugezogen. Diese werden auf dem Präsidium notärztlich versorgt. Sie stellen aber eindeutig keine Lebensbedrohung dar. Der Mann ist mit einem Butterflymesser und einem Totschläger bewaffnet.“
Der Polizist reichte die beiden Waffen nach hinten. Danach schob er den Türsteher durch die Tür nach draußen zum Einsatzwagen. Jan sah, dass der Riese eine Lederkutte trug. In dem diffusen Rotlicht des Ganges meinte er eine Art geflügelten Totenkopf in den Farben rot, schwarz, gelb und weiß auszumachen.
***
Sie hatte ein Klirren gehört, gefolgt von einem kurzen Aufschrei. Der zweite Uniformierte stand mit gezogener Waffe immer noch draußen vor der Tür und schien das Geschehen im Inneren des Clubs aufmerksam zu beobachten. Sie beugte sich noch weiter über das Geländer des kleinen Balkons, um besser mitzubekommen, was da unten vor sich ging. Nach einer Weile kam ein sehr großer, massiger Mann aus dem Eingang und stolperte die beiden Treppenstufen herunter. Seine Arme waren auf dem Rücken verschränkt, sein Gesicht mit blutenden Schnittverletzungen übersät. Als der Zwei-Meter-Mann sich mühsam auf die hintere Bank des Polizeiautos drückte, erkannte sie auf seinem Rücken das bekannte Dead-Head-Logo. Ohne Zweifel, das war der gleiche Kerl, der ihr vorgestern Abend den Zutritt zum Mata Hari verweigert hatte. „Kein Zugang für Pussies. Es sei denn, Du lässt Dich hier freiwillig als Sondereinlage durchficken! Hast es wohl nötig, wa?“ hatte er sie am Eingang verhöhnt und wie ein kleines Kind davongeschickt. Das geschieht dir Recht, du blöder Arsch, dachte sie mit einer gewissen Genugtuung.
Einer der Polizisten blieb vor dem Auto stehen und sprach in sein Funkgerät, während der andere wieder im Eingang verschwand.
***
Im Inneren des Clubs waren Michalke und Jan inzwischen über eine schmale Treppe in das erste Stockwerk gelangt. Dort standen sie in einem engen Flur, der mit dunkelrotem Teppich ausgelegt war. An einigen Stellen ausgetreten, fleckig. Der dicke Teppich verschluckte ihre Schritte. Es war still. Rechts und links von dem Flur gingen mehrere Zimmertüren ab. An der Wand hingen neben jeder Tür kleine goldene Lampenschirmchen, die den langen Gang in ein schummriges Rotlicht tauchten. An der Wand zwischen den Türen hingen Poster mit erotischen Frauenakten. Es roch nach abgestandener stickiger Luft, kaltem Zigarettenrauch, Schweiß und Einsamkeit. Jan meinte hinter der Tür, neben der er stand, ein leises Stöhnen, dann einen unterdrückten Aufschrei zu hören. Er zuckte zusammen. Aber Michalke vor ihm blieb ganz ruhig mitten im Flur stehen.
Plötzlich wurde am hinteren Ende des Flurs eine Tür aufgerissen. Eine im Gegenlicht nicht zu erkennende Gestalt stand im Türrahmen. Jetzt setzte sich der dunkle Umriss in Bewegung. In dem funzeligen Halblicht kam ihnen ein kleiner, untersetzter Mann mit eiligen Schritten entgegen. Theatralisch hob er beide Hände in die Luft: „Was ist denn los?“, rief er aufgeregt mit fisteliger dünner Stimme.
„Polizei! Dies ist eine Hausdurchsuchung. Wo befindet sich die tote Frau?“, gab Michalke kurz angebunden zurück.
„Kann ich erst mal Ihren Ausweis sehen?“, fragte der Mann servil. Der Kommissar hielt ihm seinen Dienstausweis wenige Zentimeter vor die Augen. Jan sah, dass der dickliche Mann mächtig schwitzte. Auf dem bleichen Gesicht perlten mehrere Schweißtropfen. Die schütteren, zurückgegelten dunklen Haare schimmerten nass, sahen wie angeklebt aus. Am rechten Ohr baumelte ein dünner Ohrring. „Dahinten. Zimmer Nummer Acht. Das letztes auf dem Gang, rechts.“
„Ok. Sie gehen vor. Und keine Dummheiten!“, befahl Michalke.
Während sie den nur schwach beleuchteten Flur entlang gingen, klopfte Michalke an jede Tür rechts und links: „Polizei! Bitte versammeln Sie sich alle umgehend in der Bar.“ Über seinen Sprechfunk gab er dem anderen Polizisten die Anweisung, in der Kellerbar Position zu beziehen und von allen eintreffenden Personen die Personalien aufzunehmen. Keiner dürfe das Etablissement verlassen.
Sie betraten das Zimmer mit der Nummer Acht. Ausgelegt mit dem gleichen roten, abgetretenen Teppich. Das kleine Zimmer wurde von einem großen Bett dominiert. Mit schwarzer Satinbettwäsche. In der Luft hing ein intensiver Parfumgeruch: schwer, vielschichtig, mit einer dezent süßlichen Note, verführerisch.
Ihnen gegenüber standen drei Männer. Jan erschrak, realisierte dann aber, dass sie sich selbst in einem großen Wandspiegel sahen. Außer einem kleinen Waschbecken neben der Tür und einem Tischchen mit einem Sektkühler und einigen Gläsern darauf war das Zimmer leer. An der Wand mehrere Poster mit Abbildungen von nackt posierenden Frauen. An der rechten Wand ein kleines Fenster. Es war gekippt. Auf dem Bett vor ihnen lag eine nackte Frau. Ihre weiße Hautfarbe stand im auffälligen Kontrast zu der tiefschwarzen Bettwäsche.
***
Mit quietschenden Reifen bremste ein weiterer Einsatzwagen der Polizei vor dem Club. Das Blaulicht flirrte, aber die Sirene war abgestellt. Vier Polizisten sprangen heraus und eilten zum Eingang des Mata-Hari. Währenddessen fuhr das andere Polizeiauto mit dem verhafteten Türsteher ab. Ein Polizist postierte sich auf den Treppenstufen vor dem Club.
Dann war es ruhig.
Sie steckte sich eine Zigarette an und überlegte.
***
„Name, Alter, Herkunft der Frau?“
„Weiß ich nicht!“
„Was heißt: Weiß ich nicht. Sie sind doch der Betreiber hier und die Frau hat schließlich hier in Ihrem Etablissement gearbeitet. Wahrscheinlich kassieren Sie sie auch ab, daher werden Sie ja wohl wissen …“
„Halt mal. So läuft das hier nicht. Die Mädchen sind alle selbständig, und ich vermiete nur die Zimmer und …“
„Ja, ja und erheben noch eine „Servicepauschale“ für Saubermachen, Getränke und Hygieneartikel. Damit wir uns klar verstehen, wenn ich hier nicht schnellstens ein paar Angaben kriege, stellen wir Ihr Bordell auf den Kopf!“, schnauzte Michalke den dicklichen Mann an. Der ansonsten ruhige Kommissar war ungehalten, wirkte wütend.
„Ich bin hier nur der Bewirtschafter und nicht der Chef“, maulte der kleine Dicke.
Michalke tippte ihm mit dem Zeigefinger zweimal energisch auf die Brust: „Das ist mir so was von egal! Jetzt hören Sie mir mal gut zu, wenn ich nicht sofort …“
„Ist ja schon gut“, gab dieser kleinlaut zurück. „Die Hexe vom Märchensee.“
„Wie bitte? Was soll denn das jetzt werden?“
„Die Hexe vom Märchensee. Unter dem Namen hat sie zumindest hier gearbeitet.“ Die eh schon dünne Stimme des dicklichen Betreibers war kaum noch zu verstehen. Sie klang brüchig.
Bei dem Wort Märchensee dachte Jan beim Anblick der toten Frau, die ausgestreckt und völlig unbekleidet auf dem Bett lag, spontan an die Geschichte von Schneewittchen: Haare so schwarz wie Ebenholz, blutrote Lippen und dazu eine fast schneeweiße Haut. Die Tote war von normaler Größe, hatte dabei aber einen eher schlanken, zierlichen Körperbau. In dem übergroßen Bett kam sie Jan einsam und verloren vor. Die Augen der Toten standen offen. Die zarten Gesichtszüge sahen entspannt aus – sie machten auf Jan einen nahezu friedlichen Eindruck. Ihre Lippen umspielte ein leichtes Lächeln. Auf den Wangen lag eine helle Rötung. Der Kopf war leicht zur Seite geneigt. Jan hatte das Gefühl, als würde die Frau ihn anschauen. Er schaute ihr in die Augen. Die dunkelbraunen Augen zogen ihn in einen magischen, unwiderstehlichen Bann. Selten hatte er so eine intensive, tiefgründige Augenfarbe gesehen. Jan verspürte plötzlich einen unerklärlichen Drang, das Gesicht der Toten zu streicheln. Er wollte sie nur kurz berühren, die schwarze Haarsträhne, die ihr über das rechte Auge gerutscht war, zurechtrücken. Er ging einen Schritt näher an das große Bett und streckte vorsichtig seine Hand nach ihr aus.
„Jetzt reicht es!“ brüllte der Kommissar. „Wir sind hier nicht in der Märchenstunde, sondern ermitteln in einem Todesfall. Ich stelle fest, dass Sie sich nicht kooperativ verhalten und anscheinend den Ernst der Lage nicht begriffen haben. Daher setzen wir die Befragung im Polizeipräsidium fort. Der Club wird bis auf weiteres geschlossen und einer gründlichen Durchsuchung zur Sicherstellung von Beweismitteln unterzogen.“ Michalke klappte sein Notizbuch mit einem lauten Knall zu. „Abmarsch, Meister, Sie dürfen mitkommen. Wir nehmen auch gleich alle ihre Mitarbeiter mit und die Frauen ebenso. Das Riesenbaby vom Eingang haben wir schon verfrachtet.“
Jan war aufgrund der lauten Stimme des Kommissars erschrocken zusammengezuckt und zog ruckartig seine Hand zurück. Riss seinen Blick von den geheimnisvollen, dunklen Augen der Toten los. Er schaute erneut auf die Frau und sah am Hals deutlich intensive Rötungen, die an den Rändern bereits in blau-grünliche Schattierungen übergingen. Sie stellten einen seltsamen Kontrast zu der sonst makellosen, hellen Haut dar.
„Seit wann arbeiten hier übrigens die Hells Angels?“, fragte Michalke im Rausgehen den Bewirtschafter in einem scharfen Ton.
„Wie kommen Sie denn darauf? Ich kenne keine Hells Angels?“, nuschelte dieser.
„Wie bitte! Wollen Sie mich für dumm verkaufen? Unten an der Tür der Rausschmeißer. Ist ja anhand seiner Kutte wohl nicht zu übersehen, welchem Verein, der angehört!“
„Mich interessiert nicht, was die Mitarbeiter für Klamotten tragen oder in welchen Vereinen sie ihre Freizeit verbringen. Geht mich nichts an.“
„Verstanden. Auch das werden wir im Polizeipräsidium intensiv mit Ihnen besprechen. Dazu haben Sie jetzt ausreichend Zeit, solange Ihr Club geschlossen ist“, gab Michalke mit einem ironischen Unterton zurück und schob den kleinen, korpulenten Mann mit einem kräftigen Klaps auf die Schulter durch die Zimmertür.
Im Flur waren inzwischen mehrere Frauen und Freier versammelt. Es herrschte eine angespannte Atmosphäre. Der enge Flur war erfüllt von hektisch aufgeregtem Getuschel. Jan stand neben einer schwarzen Frau, die nur mit einem nahezu durchsichtigen Negligé bekleidet war und ihn aus weit aufgerissenen Augen angstvoll anstarrte. Hinter ihr sah er im Zimmer einen älteren Mann mit schütteren Haaren, der kopfschüttelnd auf der Bettkante saß und sich mühsam die Hose über die dünnen, weißen Beine zog.
„Versammeln Sie sich alle sofort unten in der Kellerbar. Keiner verlässt das Haus. Dies ist eine Polizeiaktion!“, rief der Kommissar mit lauter Stimme und schob den Bewirtschafter vor sich her.
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Sie sah, wie die beiden Zivilfahnder mit einem kleinen dunkelhaarigen Mann aus dem Clubeingang auf die Straße traten. „Handschellen anlegen“ sagte der Lockenkopf zu dem wartenden Polizisten. Der blonde Typ stand etwas abseits und hatte die Hände in der Tasche. Komischer Vogel, dachte sie, während sie die Szene von ihrem Balkon aus aufmerksam beobachtete. Dann verschwand der Lockenkopf wieder in dem Club, während der blonde Mann vor dem Eingang stehen blieb. Sie war aufgeregt und zündete sich fahrig eine weitere Zigarette an.
***
Jan kam sich überflüssig vor. Inzwischen waren ausreichend Polizeikräfte vor Ort. Auch die Spurensicherung war mittlerweile angerückt. Was sollte er noch hier? Er wollte seinem Bekannten, Hauptkommissar Klaus Ebner, gerne helfen, aber diese Aktion hier war doch wirklich eine Schnapsidee. Michalke hatte ihn ohne ein weiteres Wort stehen lassen und war wieder im Mata Hari verschwunden. Der braucht mich eh nicht.
Jan schaute sich um. Die Straße war zu dieser späten Stunde verlassen. Vereinzelt fuhr ein Auto vorbei, aber keiner schien Notiz von dem Polizeieinsatz zu nehmen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, hinter dem baumumstandenen Bahndamm, rumpelte ein Güterzug vorbei. Das ewig lange Rattern des Zuges erschien wie ein endloses, anklagendes Gekreische, welches mit einem brutal klingenden metallenen Quietschen die friedliche Nachtruhe durchschnitt.
Plötzlich meinte er schräg über sich im Augenwinkel einen kurzen Feuerschein aufflackern zu sehen. Instinktiv drehte er seinen Kopf und schaute nach oben. Vielleicht drei Meter über ihm stand auf einem kleinen Balkon des angrenzenden Hotels eine Frau und starrte ihn an. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Die Frau rauchte. Jan registrierte, dass die Frau leicht wellige dunkle Haare und ebenso dunkle Augen hatte, die in dem rötlichen Licht der aufflammenden Glut für einen kurzen Augenblick funkelten. Die Frau ließ unvermittelt ihre brennende Zigarette vom Balkon auf die Straße fallen, drehte sich abrupt um und verschwand. Jan hörte noch, wie sie schwungvoll die Terrassentür schloss und die Gardinen vorzog. Ihr Zigarettenstummel verglimmte mit einem Zischen in einer Regenpfütze.
***
Sie war irritiert. Wie konnte das nur geschehen? Sie war unvorsichtig gewesen. In ihrem achtlosen, emotionalen Ausnahmezustand hatte der blonde Zivilfahnder sie gesehen. Sie hatte ihm für einen – wie ihr vorkam - ewigen Wimpernschlag in seine blauen Augen gestarrt. Sie saß auf ihrem Hotelbett. Ihre Gedanken rasten.
Sie griff zu ihrem Handy und rief zum wiederholten Male die SMS-Nachricht ab: „Maria wo bist du? hilf mir“
Gedankenverloren wickelte sie mit einem Finger eine Haarlocke auf. Dann die zweite Nachricht, die einige Minuten später gekommen war: „Ich werde sterben“. Ihre Finger verkrampften sich im Haar. Ein kurzer Schmerz, und sie hatte sich das schwarze Haarbüschel, welches sich um ihren Finger verknotet hatte, ausgerissen. Schmerz durchflutete sie, riss sie aus ihrer lähmenden Lethargie. Von einem spontanen Endschluss getrieben stand sie auf, warf sich die Jacke über und verließ das Hotelzimmer.
Am Ende
Charlotte war am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Gegen das große Fenster ihres Zimmers prasselte der Regen und rann in dicken Schlieren über das Fensterglas. Der Blick auf den spärlichen Grünstreifen vor ihrem Appartement wurde durch den feinen Wasserschleier surrealistisch verzerrt. Obwohl es erst nachmittags war, drohte der durch die dunklen Regenwolken dicht verhangene Himmel wie ein düsterer Vorhang. In den gegenüberliegenden Wohnungen des Studentenwohnheims brannten hie und da bereits Lichter.
Charlotte saß im Halbdunkel des Zimmers in ihrem abgefetzten Sessel. Tränen flossen über ihr Gesicht. So sehr sie auch versuchte sich dagegen zu wehren, gelang es ihr nicht: Sie heulte und wimmerte ungehemmt vor sich hin. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. In ihrem Kopf herrschte Chaos: War er im Club gewesen? Oder hatte sie sich gestern Abend alles nur eingebildet?
Sie stand auf und tigerte in ihrem kleinen Zimmer umher.
Nein, sie war sich sicher. Das musste er gewesen sein. Die alte verwaschene grüne Converse-Jacke. Die blonden Haare. Die ganze Körperhaltung. Ganz ohne Zweifel: Er war es.
Sie lief in die kleine Kochnische, holte erneut das Tetrapack Rotwein aus dem Kühlschrank und schüttete sich ein weiteres Glas ein. Mit einem energischen Fußtritt knallte sie die Kühlschranktür zu. Im Kühlschrank schepperte es.
Hatte er sie gesehen? Was machte er dort bloß um Himmelswillen?
Der billige Aldi-Rotwein kratzte im Hals. Sie verzog das Gesicht, schüttelte sich kurz und trank dann das Glas in einem hastigen Zug aus.
Das passt alles nicht zusammen. Obwohl er seit drei Jahren Witwer ist, ist er nicht der Typ für einen Puffbesuch. So gut kenne ich ihn. Das passt einfach nicht zu ihm. Nie und nimmer!
Sie goss sich nach, ging zurück ins Zimmer und ließ sich mit einem tiefen Seufzer in den Sessel fallen. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und trank einen weiteren Schluck Wein. Langsam spürte sie die betäubende Wirkung des Alkohols, der sich wärmend in ihrem Inneren ausbreitete. Auch wenn der billige Fusel scheußlich schmeckte.
Was für eine Scheiße! Ich muss ihn trotzdem anrufen.
Charlotte nahm ein Taschentuch, putzte sich geräuschvoll die Nase, griff zu ihrem Handy und tippte mit zitternden Fingern seine Nummer.
Draußen ergoss sich unaufhaltsam der Regen und verschleierte die Welt.
Der Traum – Welcome to your nightmare
Langsam sinkt er im blauen Wasser hinab.
Immer tiefer.
Die Augen geöffnet.
Er sieht nach oben.
Durch den strahlend blauen Himmel schießen glühende und brennende Geschosse. Einige schlagen zischend auf die Wasseroberfläche ein und trudeln schwarz verkohlt im Wasser herab.
Obwohl er unter Wasser mit Armen und Beinen rudert, sinkt er weiter hinab. Das kalte blaue Wasser umschließt ihn. Er sinkt tiefer. Immer tiefer. Er kann atmen, sieht alles ganz klar um sich herum.
Plötzlich stößt er gegen einen Gegenstand - irgendetwas ist da unter ihm. Er dreht sich um und schaut hinunter. Er starrt auf einen zerfetzen, leblosen menschlichen Körper, der auf dem Bauch auf dem Boden des Beckens liegt.