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Ein Winter, der keiner sein will. Einer der wärmsten seit Wetteraufzeichnung. Karneval im Rheinland. Die Menschen feiern unbeschwert die tollen Tage. Noch. Ein unsichtbarer Feind steht vor den Toren Europas. Die Corona-Pandemie rollt auf Deutschland zu. Im Frühjahr wird das öffentliche Leben heruntergefahren. Eine verwirrende, surreale Zeit. Bilder von leeren Straßen und Toten, die einer unsichtbaren Seuche zum Opfer fallen, die man sonst nur aus apokalyptischen Endzeitfilmen kennt, werden real. Deutschland steht still. Das Virus hat Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im tödlichen Würgegriff. Es herrscht Verunsicherung und Angst. Abstruse Verschwörungstheorien und lautstarke Querdenker übernehmen die Deutungshoheit. Die Realität überholt in Windeseile alle Fiktionen. In Brüssel wird eine Verkehrseinrichtung der EU-Kommission mit einer Rakete beschossen, in Berlin ein Anschlag auf das Bundesverkehrsministerium verübt. Im Bonner Sitz des Ministeriums bricht ein verheerendes Feuer aus. Die Anschläge passieren nahezu zeitgleich. Alles nur Zufall? In Bonn weist alles auf Brandstiftung hin. Die Polizei findet dort in den zerstörten Büros eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche. Die Identität des Toten ist unklar. Ein Spitzenbeamter wird vermisst, der mit Entscheidungsvorlagen im Gesetzgebungsprozess für die Verkehrswende beschäftigt war. Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Verbrannt? Ermordet? Entführt? Was steckt dahinter? Jan van Ridder vermutet eine Verschwörung im Hintergrund. Klaus Ebner, der Bonner Hauptkommissar, hat in Zeiten der Corona-Krise anderes zu tun. Und er macht Fehler bei den Ermittlungen. Das BKA nimmt nur halbherzig Ermittlungen auf. Die Bundesrepublik schaltet in Pandemie-Zeiten auf Notbetrieb. Jan findet heraus, dass der verschwundene (oder verkohlte?) Ministerialbeamte ein ehemaliger Studienkollege von ihm ist. Und dass dieser Mann mit Jans damaliger Liebe aus gemeinsamen Studentenzeiten verheiratet ist. Jan nimmt Kontakt mit seiner ehemaligen Freundin auf und ist zutiefst schockiert: Er erkennt sie kaum wieder. Sie verhält sich äußerst merkwürdig. Hat Jan Recht mit seinen Vermutungen? Doch ein riesiger Komplott? Oder nur eine Verkettung von Zufällen? Ein packender Plot zwischen Corona-Krise, Shutdown des öffentlichen Lebens, Verschwörungstheorien, Verkehrswende und Mobilität der Zukunft, Untiefen der Ministerialbürokratie und mächtigen Wirtschaftsinteressen. Und mittendrin Jan mit seinen ambivalenten Erinnerungen an eine längst vergangene Liebe aus alten Studienzeiten. Was ist Realität? Was ist wahr? Trügerische Wahrnehmungen in der Grauzone zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die Grenzen verschwimmen in diesen seltsamen, herausfordernden Zeiten. Neben bereits bekannten Figuren aus der van Ridder-Reihe treffen die Leser und Leserinnen diesmal auf Doktor Death, Jans alte Studienliebe, einen Professor aus Haus Nr. 5, einen trägen Berliner Kommissar, eine ehrgeizige belgische Kommissarin, die Organisation "Der neue Weg", einen Bruder KKK aus Stuttgart, undurchsichtige Burschenschaftsnetzwerke, lügende Juristen, die kichernde Erika, den Buena Vista Social Club in Havanna und einen alles bestimmenden Virus SARS-CoV 2.
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Seitenzahl: 388
Veröffentlichungsjahr: 2023
© 2023 JR
Bildnachweis Umschlag: Pieter Bruegel d.Ä., Sieben Laster, „Trägheit“ von 1558, Kupferstich, Sammlung Bibliothèque Royale, Cabinet Estampes, Brüssel.
ISBN Softcover: 978-3-347-83826-0
ISBN E-Book: 978-3-347-83828-4
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
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JR
BELPHEGOR
Jan van Ridder verfährt sich – sein fünfter Fall
Kriminalroman
Das Buch
Ein Winter, der keiner sein will. Einer der wärmsten seit Wetteraufzeichnung. Karneval im Rheinland. Die Menschen feiern unbeschwert die tollen Tage. Noch.
Ein unsichtbarer Feind steht vor den Toren Europas. Die CoronaPandemie rollt auf Deutschland zu. Im Frühjahr wird das öffentliche Leben heruntergefahren. Eine verwirrende, surreale Zeit. Bilder von leeren Straßen und Toten, die einer unsichtbaren Seuche zum Opfer fallen, die man sonst nur aus apokalyptischen Endzeitfilmen kennt, werden real. Deutschland steht still. Das Virus hat Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im tödlichen Würgegriff. Es herrscht Verunsicherung und Angst. Abstruse Verschwörungstheorien und lautstarke Querdenker übernehmen die Deutungshoheit. Die Realität überholt in Windeseile alle Fiktionen.
In Brüssel wird eine Verkehrseinrichtung der EU-Kommission mit einer Rakete beschossen. In Berlin geschieht ein Anschlag auf das Bundesverkehrsministerium. Im Bonner Sitz des Ministeriums bricht ein verheerendes Feuer aus. Die Anschläge passieren nahezu zeitgleich. Alles nur Zufall? In Bonn weist alles auf Brandstiftung hin. Die Polizei findet dort in den zerstörten Büros eine bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leiche. Die Identität des Toten ist unklar. Ein Spitzenbeamter wird vermisst, der mit Entscheidungsvorlagen im Gesetzgebungsprozess für die Verkehrswende beschäftigt war. Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Verbrannt? Ermordet? Entführt? Was steckt dahinter?
Jan van Ridder vermutet eine Verschwörung im Hintergrund. Klaus Ebner, der Bonner Hauptkommissar, hat in Zeiten der Corona-Krise anderes zu tun. Und er macht Fehler bei den Ermittlungen. Das BKA nimmt nur halbherzig Ermittlungen auf. Die Bundesrepublik schaltet in Pandemie-Zeiten auf Notbetrieb. Jan findet heraus, dass der verschwundene (oder verkohlte?) Ministerialbeamte ein ehemaliger Studienkollege von ihm ist. Und dass dieser Mann mit Jans damaliger Liebe aus gemeinsamen Studentenzeiten verheiratet ist. Jan nimmt Kontakt mit seiner ehemaligen Freundin auf und ist zutiefst schockiert. Er erkennt sie kaum wieder - sie verhält sich äußerst merkwürdig. Hat Jan Recht mit seinen Vermutungen? Doch ein riesiger Komplott? Oder nur eine Verkettung von Zufällen?
Jan van Ridder: vielschichtig, mal locker-humorvoll, mal melancholisch-nachdenklich, durch ein tragisches Unglück verwitwet, Vater einer studierenden Tochter, stolzer Großvater, Rockmusikhörer, Motorradfahrer, Altbaubewohner und immer auf der Suche nach den Zusammenhängen des Lebens.
Der Fall – in 4 Kapiteln von Bonn über Stuttgart bis Kuba
Ein packender Plot zwischen Corona-Krise, Shutdown des öffentlichen Lebens, Verschwörungstheorien, Verkehrswende und Mobilität der Zukunft, Untiefen der Ministerialbürokratie und mächtigen Wirtschaftsinteressen. Und mittendrin Jan mit seinen ambivalenten Erinnerungen an eine längst vergangene Liebe aus alten Studienzeiten. Was ist Realität? Was ist wahr? Trügerische Wahrnehmungen in der Grauzone zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die Grenzen verschwimmen in diesen seltsamen, herausfordernden Zeiten.
Neben bereits bekannten Figuren aus der van Ridder-Reihe treffen die Leser und Leserinnen diesmal auf Doktor Death, Jans alte Studienliebe, einen Professor aus Haus Nr. 5, einen trägen Berliner Kommissar, eine ehrgeizige belgische Kommissarin, die Organisation „Der neue Weg“, einen Bruder KKK aus Stuttgart, undurchsichtige Burschenschaftsnetzwerke, lügende Juristen, die kichernde Erika, den Buena Vista Social Club in Havanna und einen alles bestimmenden Virus SARS-CoV 2.
Der Autor ( https://tredition.de/autoren/jr-jr-16468/ )
Ein Manager aus international und national führenden IT-Konzernen, langjähriger und intimer Kenner der Bundesverwaltung in Bonn und Berlin.
Belphegor
Schweren Lastern wurden im Verlauf der Kirchengeschichte – insbesondere unter Papst Gregor I. (um 540 bis 604) – als sinnbildliche Warnung für die Gläubigen und Mönche bestimmte Dämonen zugeordnet. Quasi die Armee des Teufels. Unter anderem waren verantwortlich: der Satan für den Zorn, Mammon für die Habgier, Beelzebub für die Völlerei, Asmodeus für Raserei und Begierde und der Belphegor für Trägheit und Faulheit.
Belphegor ist die in der Septuaginta (griechische Übersetzung der hebräischen Bibel) und der Vulgata (lateinische Fassung der Bibel) überlieferte Namensform der moabitischen Gottheit Baal Peor. Als Dämon fand Belphegor Eingang in die christliche Mythologie und von dort in die Literatur der Renaissance. Im Christentum gehörte die als „Faulheit“ bewertete Anstrengungsvermeidung zu den sieben Hauptlastern. Die entsprechende Kategorie der Acedia umfasste neben der umgangssprachlichen Faulheit auch die Trägheit. Der christliche Mönch, Asket und Schriftsteller Evagrios Pontikos (* 345 in Ibora, Pontos; † 399 in Ägypten) setzte die Acedia mit der antiken Vorstellung des Mittagsdämons gleich. In seinem Werk "Praktikos" schreibt Evagrios darüber: „Der Dämon des Überdrusses, der auch als 'Mittagsdämon' bezeichnet wird, ist der bedrückendste aller Dämonen. Er bedrängt den Mönch um die vierte Stunde (10 Uhr) des Morgens und umgibt seine Seele bis etwa zur achten Stunde (14 Uhr).“
Die abwertende, oft als beleidigend empfundene, Eigenschaftszuschreibung „faul“ basiert auf der scheinbaren Beobachtung, dass die so charakterisierten Menschen offenbar mit einer mangelnden Motivation und Bereitschaft zur Aktivität ausgestattet sind.
Prolog der Pandemie 29. Dezember 2019 – 20. Februar 2020
Der Bürger in Deutschland – mehr oder weniger aufgeklärt und rational, von grenzenloser Freiheit und einer alles geht-Mentalität verwöhnt, in Sicherheit und Wohlstand lebend – sieht, träge abends auf dem Sofa liegend, im Fernseher und Internet, live und in Farbe, wie dieser Feind auf ihn zurollt. Ein unsichtbarer Virus. Noch ist alles weit weg. Irgendwo in China. Wer Fledermaussuppe isst, ist selbst schuld. Wird schon nicht so schlimm. Wieder mal eine der üblichen Grippewellen. Was soll‘s. Wir machen weiter wie gehabt: gehen aus, zum Karneval, ins Fußballstadium, machen nonstop Party, fahren in die Winterferien nach Ischgl. Tassen hoch beim Après-Ski. Aber: Nichts wird so bleiben, wie es war. Wir werden uns unserer Verletzlichkeit und Abhängigkeit bewusst. Ein von außen aufgezwungenes Gesellschaftsexperiment nie gekannten Ausmaßes beginnt. Es geht um Leben und Tod.
Auf den folgenden Seiten findet sich eine Chronologie, wie das Corona-Virus ab Ende 2019 bis Februar 2020 seinen Weg zu uns nahm, wo Jan van Ridders fünfter Fall beginnt. Ein Präludium des Virus - der Hintergrund-Soundteppich für die Geschehnisse 1.
31.12.2019: Meldung der Wuhan Municipal Health Commission, China: Pneumonie-Fälle unbekannten Ursprungs in Wuhan. Die Fällewerden mit dem Fischmarkt "Huanan" in Verbindung gebracht.+++ 09.01.2020:Bericht des Chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle: 19 der 59 Infektionsfälle sind auf einen neuartigen Virus mit Verwandtschaft zum SARS-Corona-Virus zurückzuführen.+++ 16.01.20:44 weitere bestätigte Fälle: Wuhan City (41), Thailand (2), Japan (1) – davon 2 Todesfälle.+++ 20.01.2020:222 Fälle, 3 Todesfälle. Weitere Fälle im Ausland: Thailand (2), Japan (1), Südkorea (1). Die chinesische Regierung bestätigt die Mensch-zu-Mensch-Übertragung in mindestens einem Fall. Die WHO beruft ein Notfallgremium ein.+++ 21.01.2020:Die USA melden den ersten Fall eines am neuen Corona-Virus Erkrankten.+++ 22.01.2020: Donald Trump, US-Präsident: „Wir haben es vollkommen unter Kontrolle. Es geht um eine Person, die aus China gekommen ist. Alles wird gut sein."+++ 23.01.2020:Die Millionenstadt Wuhan steht unter Quarantäne. Bewohner sind aufgefordert, die Stadt nicht zu verlassen. Menschen dürfen nur noch mit Atemmasken in die Öffentlichkeit. Nach aktuellem Stand sind in China 620 Menschen mit dem Virus infiziert, 17 sind gestorben. Die WHO hat am Vorabend in einer Dringlichkeitssitzung beraten, sieht aber vorerst „keine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite".+++ 24.01.2020:Bei fast 900 Menschen ist das Corona-Virus mittlerweile nachgewiesen, die Zahl der Toten steigt auf 26. Um die weitere Ausbreitung zu verhindern, sind neben Wuhan weitere elf Städte in der Provinz Hubei mit insgesamt 37 Millionen Menschen abgeschottet. Die WHO hat auch bei ihrer zweiten Sitzung keine internationale Notlage erkannt.+++ 25.01.2020:Frankreich hat Corona-Virus-Fälle bestätigt. Damit hat das Virus Europa erreicht. In China sind bereits 41 Menschen daran gestorben.+++ 26.01.2020:Die Zahlen in China steigen - 56 Todesfälle und fast 2.000 Infizierte. Die WHO erklärt, dass es derzeit keine Änderung an ihrer Gefahreneinschätzung gibt.
+++ 27.01.2020:Die Mongolei hat ihre Grenzen zu China geschlossen, in China selbst steht fast die gesamte Provinz Hubei unter Quarantäne. Bis gestern haben die Behörden 2.744 Infizierte gezählt, 80 Menschen sind an dem Virus gestorben. In den USA wurden zwei weitere Fälle bestätigt. Forscher fanden heraus, dass die Infizierten bereits während der Inkubationszeit ansteckend sind. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Gefahr für Deutschland weiterhin als gering ein.+++ 28.01.2020:Das Corona-Virus hat Deutschland erreicht. Wie ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums mitteilte, hat sich ein Mann aus dem Landkreis Starnberg infiziert. Der Patient wurde isoliert und befindet sich nach Angaben der Behörden in klinisch gutem Zustand. Der 33jährige Mitarbeiter der Firma Webasto hatte am 22. Januar gemeinsam mit einer Kollegin aus Shanghai an einer Schulung teilgenommen. Diese hatte zuvor ihre Eltern in Wuhan besucht und noch keine Symptome der Krankheit gezeigt. Das Robert-Koch-Institut spricht von der ersten Mensch-zu-Mensch-Infektion außerhalb Asiens. In China ist die Zahl der Infizierten stark angestiegen. Mittlerweile sollen es über 4.500 sein, über 100 Menschen sind gestorben.+++ 29.01.2020:Drei weitere Fälle in Bayern. Es sind Arbeitskollegen des ersten bestätigten Falls. Nach offiziellen chinesischen Angaben gibt es inzwischen mehr als 6.000 Fälle der Lungenkrankheit und 132 Todesfälle.+++ 30.01.2020:Der Ausbruch des Corona-Virus ist laut WHO eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite". Mittlerweile gibt es 7.711 Fälle und 170 Todesfälle in China, weltweit 50 Fälle.+++ 31.01.2020:In China haben sich nach Angaben der Gesundheitskommission in Peking inzwischen knapp 10.000 Menschen mit dem Virus angesteckt. Außerhalb Chinas sind inzwischen in 20 Ländern mehr als 100 Infektionen bekannt geworden. Das sind mehr Fälle als 2002/03 bei dem Schweren Akuten Atemwegssyndrom (SARS mit 8.096 bekannte Infektionen). In Deutschland gibt es den sechsten Corona-Fall - ein Kind ist erkrankt. Es handelt sich um das älteste von drei Kindern des Mannes, der bei Webasto arbeitet.
+++ 01.02.2020:In China haben sich inzwischen 11.791 Menschen mit Corona infiziert, die Zahl der Toten stieg auf insgesamt 259. In Deutschland haben sich aktuell sieben Menschen mit dem Virus angesteckt.+++ 02.02.2020:Ein Großteil der aus Wuhan nach Deutschland ausgeflogenen 124 Passagiere werden für 14 Tage in eine Kaserne als Quarantänestation in Rheinland-Pfalz gebracht. Zwei Personen wurden inzwischen positiv getestet. Die Zahl der mit Corona infizierten Deutschen hat sich auf Acht erhöht. Alle Fälle stehen in Zusammenhang des Autozulieferers Webasto in Bayern. Ein Deutscher, der sich auf der Kanareninsel La Gomera aufhält, infizierte sich ebenfalls. In China sind 45 weitere Menschen am Corona-Virus gestorben, damit erhöhte sich die Zahl aller Todesopfer in China auf 304.+++ Donald Trump, US-Präsident: "Wir haben das, was aus China kommt, so ziemlich ausgeschaltet."+++ 03.02.2020:Der Corona-Ausbruch hat inzwischen in China mehr Todesopfer gefordert als die SARS-Pandemie vor 17 Jahren. Am Montag meldete die chinesische Gesundheitskommission 57 neue Todesfälle, damit stieg die Gesamtzahl auf 361.+++ 04.02.2020:Außerhalb Festlandchinas hat es einen zweiten Todesfall gegeben: In Hongkong ist ein 39jähriger Mann durch den Corona-Virus gestorben. In China sind innerhalb eines Tages 64 Menschen an dem Virus gestorben. Damit liegt die Zahl der Todesopfer bei 426, mehr als 20.400 Menschen sind erkrankt.+++ 05.02.2020:Der Corona-Virus ist laut Erkenntnissen der Berliner Charité, dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr sowie des Robert-Koch-Instituts auch von Infizierten übertragbar, die selbst keine oder nur leichte Symptome zeigen. Die Forscher konnten auch Hinweise bestätigen, dass sich das Virus im Verdauungstrakt und auch im Nasen- und Rachenraum vermehrt.+++ 06.02.2020:Die Zahl der Toten in China ist auf 563 Menschen gestiegen, das sind 73 Todesfälle innerhalb eines Tages. Über 28.000 seien infiziert.+++ 07.02.2020:Die CoronaEpidemie könnte zu einer weltweisen Krise bei der Versorgung mit Arzneimitteln führen. Inzwischen hängt ein Großteil der Produktion vonMedikamenten, wie etwa Antibiotika, von China ab. Dort stehen aufgrund von Corona inzwischen zahlreiche Fabriken still, und das öffentliche Leben ist zum Erliegen gekommen. Deutsche Hersteller hatten ihre Produktion aufgrund des starken Preisdrucks vor Jahren eingestellt.+++ 08.02.2020:Corona-Viren können auf Oberflächen aus Metall, Glas oder Kunststoff bis zu neun Tage überleben. Das hat ein Forschungsteam der Uni Greifswald und der Ruhr-Universität Bochum ermittelt. Die Zahl der Todesfälle in China ist auf über 700 gestiegen.+++ 09.02.2020:Die Zahl der Todesopfer hat sich weiter erhöht. 811 Menschen sind am Virus gestorben, das sind mehr als bei der SARS-Epidemie 2002/2003, die 774 Todesopfer zur Folge hatte. Auch in Europa gibt es Neuerkrankungen. Fünf Briten haben sich in einem französischen Skigebiet angesteckt.+++ 10.02.2020:Die Zahl der Todesopfer in China steigt weiter an. Gestern starben 97 Menschen, die offizielle Gesamtzahl der Todesopfer der Epidemie stieg damit auf 908. Laut Gesundheitsausschuss der Regierung sind 40.171 Menschen erkrankt.+++ Donald Trump, US-Präsident: „Es sieht so aus, als sei es im April vorbei. Wenn es wärmer wird, verschwindet es auf wundersame Weise."+++ 11.02.2020:In China stieg die Zahl der Menschen, die an den Folgen des Virus gestorben sind, auf mehr als 1.000. Landesweit seien mehr als 42.000 Menschen infiziert. Außerhalb Chinas ist der Corona-Virus bislang in rund 30 Ländern nachgewiesen worden. In Deutschland ist die Zahl der bestätigten Fälle auf 16 gestiegen. Auch die beiden neuen Fälle stehen im Zusammenhang mit dem Automobilzulieferer Webasto.+++ 12.02.2020:Wie Chinas Nationale Gesundheitskommission mitteilte, kamen landesweit im Vergleich zum Vortag 97 Todesfälle und 2.015 neue Infektionen hinzu. Es wird eine hohe Dunkelziffer vermutet.+++13.02.2020:Die chinesischen Behörden haben neu gezählt und die Ergebnisse sind drastisch: Die Zahl erfasster Todesfälle habe sich mit 254 landesweit innerhalb eines Tages mehr als verdoppelt. Damit sind mehr als 1.300 Tote zu beklagen. Die Zahl neuer Infektionen versiebenfachtesich im Vergleich zu den Tagen davor: Mehr als 15.100 Fälle kamen hinzu. Landesweit sind fast 60.000 Menschen infiziert. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet damit, dass frühestens in 12 bis 18 Monaten ein Impfstoff zur Verfügung steht.+++ 14.02.2020:64.000 Infizierte und fast 1.400 Tote sind jetzt in China bekannt. Experten wie der Virologe, Professor Christian Drosten befürchten immer noch eine hohe Dunkelziffer.+++ 15.02.2020:In China wurden laut offizieller Statistik inzwischen 66.492 Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus gezählt. Insgesamt 1.523 Menschen starben an der Krankheit. Außerhalb des chinesischen Festlands wurden bislang rund 600 Erkrankungen gezählt. In Deutschland wurden inzwischen insgesamt 16 Infektionen festgestellt. Eine Karnevalssitzung in Gangelt im Kreis Heinsberg wird zum „Superspreader Event“. Die ägyptische Regierung hat den ersten Fall einer Corona-Infektion auf dem afrikanischen Kontinent gemeldet. In Frankreich ist ein 80-Jähriger gestorben, der erste Fall eines an COVID-19 Verstorbenen in Europa. Der Mann hatte sich im Urlaub in China mit dem Virus angesteckt.+++ 16.02.2020:Bis jetzt hat die Lungenkrankheit COVID-19 in Festlandchina 1.665 Menschen das Leben gekostet. Der Virologe Professor Ulf Dittmer vom Uniklinikum Essen rechnet damit, dass es zu weiteren Corona-Infektionen in Deutschland kommt. Dittmer geht aber nicht davon aus, dass es beim Straßenkarneval kommende Woche schon zu Infektionen kommen könne. Das sei unwahrscheinlich.+++ 17.02.2020:In der Provinz Hubei wird das öffentliche Leben weiter eingeschränkt. Unter den 60 Millionen Einwohnern gibt es die meisten Krankheits- und Todesfälle. Außerhalb Chinas sind fünf Patienten gestorben. Mehr als 700 Virusfälle wurden in mehr als zwei Dutzend Ländern entdeckt.+++ 18.02.2020:Insgesamt sind in China 72.436 Menschen erkrankt und 1.868 gestorben. Nach chinesischen Angaben haben sich rund 1.7000 Ärzte und Pflegekräfte angesteckt. Der Präsident der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, warnt vor einem weltweiten Engpass bei Antibiotika und anderen Medikamenten:„Was für Medikamente gilt, wirkt auch bei vielen anderen Produkten, wenn die Lieferketten wegen der Lungenkrankheit zusammenbrechen.“+++ 19.02.2020:Die Zahl der gestorbenen Menschen ist mittlerweile um weitere 136 auf 2.004 gestiegen, gab die Nationale Gesundheitskommission Chinas bekannt. Die Zahl der Neuinfektionen stieg um 1.749 auf jetzt 74.185 Menschen. Nach einer Analyse von Chinas Gesundheitsbehörde sterben im Land 2,3 Prozent der mit dem Virus SARS-CoV-2 Infizierten. Bei Menschen über 80 Jahren liege die Todesrate bei knapp 15 Prozent.+++ Donald Trump, US_Präsident: „Es wird alles gut gehen. Ich glaube, wenn wir in den April kommen, ins wärmere Wetter, wird das einen sehr negativen Effekt auf das Virus haben.“+++ 20.02.2020:Der Präsident der China Academy of Medical Science hat davor gewarnt, dass das Corona-Virus zu einer etablierten Krankheit wie die Influenza-Grippe wird. "Das neue Corona-Virus könnte zu einer Langzeitkrankheit werden, die genau wie die Grippe mit dem Menschen koexistiert.“2
1Können Sie lesen oder überspringen. Aber vielleicht in der Nachbetrachtung ganz interessant. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber während der Corona-Zeit mit Lockdown, HomeOffice & Co. habe ich mein Zeitgefühl „verloren“. Alles aus dieser Zeit hat sich zu einem seltsam zeitlosen Erinnerungsbrei verwischt.
2Alle hier und im weiteren Verlauf angegeben Pressemeldungen, Zitate zu Corona entnommen aus den online Seiten von MDR, Spiegel, Süddeutsche, Tagesschau, Tagesspiegel, Der Spiegel (24.12.2020) und General-Anzeiger (04/05.02.2023).
Erster Teil
Brüssel – Bonn – Berlin - Spanien zwei Wochen im Februar 2020
***
Prolog des Falles
Alles ist vorbereitet. Eine bessere Gelegenheit, einen besseren Zeitpunkt wird es nie wieder geben. Akribische, langjährige Planung. Jetzt kombiniert mit dieser glücklichen, unvorhersehbaren Fügung, mit diesen unerwartet aufgetretenen Umständen. Alles passt perfekt zusammen. Heute ist mein Tag gekommen. Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr. Heute muss ich handeln. Oder mich für immer in mein Schicksal fügen.
Er ist nervös. Aber entschlossen. Das fühlt sich gut an. So gut wie schon lange nicht mehr in seinem eintönigen, tristen Leben. Eine ungeahnte Bereitschaft, eine unbändige Tatkraft zum Handeln erfasst ihn. All seine Trägheit, sein Verzagen und Zaudern fallen von ihm ab. Wie eine alte, schuppige, zu eng gewordene Haut, die ihn all die Jahre eingeschnürt, die Luft zum Atmen genommen hat. Den Drang zum Leben eingeengt hat. Er spürt seinen Puls, seine Vitalität, Adrenalin durchflutet ihn. Er häutet sich, wird neu geboren. Alle Sinne geschärft, alle Fasern seines Körpers angespannt, bereit zum Sprung. Zum Absprung in ein neues Leben, in eine verheißungsvolle Zukunft.
Brüssel - Freitag, der 21.02., früher Nachmittag
Denise de Lacroix stieg aus der schweren Limousine. Schrilles Sirenengeheul erfüllte die Luft. Sie straffte ihren schlanken, durchtrainierten Oberkörper und ging dann mit energischen Schritten auf die gegenüberliegende Absperrung zu. Es wimmelte von unzähligen Uniformen: blaue, weiße, rote, grüne. Hektisch umherlaufend. Bemüht, Ordnung in das Chaos zu bringen. Bunte Farbtupfer in einer düsteren Umgebung. Unter ihren Stiefeletten knirschten Glassplitter. Eine dichte Wolke aus Staub, Asche, verkohlten Papierfetzen, geschmolzenen Plastikpartikeln und Fasern verdunkelten den Himmel. Hing wie eine zähe, wabernde Dunstglocke in der Straßenschlucht. Das Atmen fiel schwer. Rußpartikel tanzten in der Luft. Nahmen die Sicht. Der Vorplatz lag unter einer zentimeterdicken Ascheschicht. Nach wenigen Schritten war ihr dunkelblauer Hosenanzug mit feinen, grau-weißen Flöckchen übersät. Sie versuchte im Gehen, sich den Dreck von den Schultern zu wischen. Hinterließ aber stattdessen nur schmierige Schlieren. Sie schüttelte verärgert den Kopf.
Es war ein Anblick des Grauens. Staubüberzogene Menschen irrten umher. Taumelnde Zombies stützten sich gegenseitig. Aus blutverschmierten Gesichtern verstörte Blicke. Verdreckte Gestalten mit zerrissener Kleidung, gezeichnet von panischer Angst, Entsetzen und Ungläubigkeit. Spontan dachte sie an die Bombenanschläge 2016 am Flughafen und in der Metro von Brüssel. Auch im Europaviertel. Schmutzige Nagelbomben mit vielen Toten und Hunderten von Verletzten.
In der Fensterfront des dreistöckigen Bürogebäudes der EU-Verkehrsverwaltung klaffte ein riesiges Loch. Sie schätze die Ausmaße auf fünf mal fünf Meter. Herausgerissene Kabel hingen umher, Flammen züngelten aus dem Inneren, Myriaden von Papierfetzen tanzten im Luftzug, dichter Qualm drang aus der zerfetzten Gebäudefassade. Ein gähnender Schlot, der den Pesthauch der Zerstörung ausspie.
Denise de Lacroix war an der Absperrung angekommen. Sie starrte ungläubig auf das Bild der Verwüstung. War für einen Moment wie gelähmt. Sie atmete tief ein. Sofort brannte die ätzendbeißende Luft in ihrer Lunge. Ihr Atem stockte, ihre Augen begannen zu tränen. Plötzlich löste sich mit einem lauten Krach eine spiegelverglaste Fensterfront, stürzte in die Tiefe und zerschellte krachend auf dem Straßenpflaster. Es sah aus wie auf den alten Fotos nach einem Bombenangriff im zweiten Weltkrieg, die sie sich früher als kleines Kind fasziniert in den vergilbten Fotoalben ihres Großvaters angesehen hatte. Nur, dass wir nicht im Jahr 1940 waren, sondern im Jahr 2020. An einem kalten, aber sonnigen Freitag, mitten in Brüssel, mitten im Herzen des EU-Viertels. Mitten in Friedenszeiten.
+++ 21.02.2020:118 neue Todesfälle melden die Behörden, 2.236 Menschen sind in China damit bisher der Erkrankung zum Opfer gefallen. Gleichzeitig stieg die Zahl neu bestätigter Virusfälle um 889 auf jetzt 75.465. Allerdings wurde in China erneut die Zählweise der Infizierten geändert. Daher herrscht Verwirrung um das wahre Ausmaß der Epidemie. Außerhalb von Festland-China sind inzwischen mehr als zehn Covid-19-Tote erfasst, dutzende Menschen sind in kritischem Zustand. Donnerstag berichtete der Iran von drei neuen Virusfällen, nachdem er am Vortag die ersten zwei Todesfälle gemeldet hatte. Auch in Südkorea starb erstmals ein Mensch am neuartigen Virus.
Bonn – Freitag, der 21.02., kurz nach 16:00 Uhr
Er saß in seinem Büro. Schaute auf die Uhr. Kurz nach vier. Gleich müsste er kommen.
Er war allein in dem riesigen Bürotrakt. Der Bürobetrieb in dem gesamten Flügel F war schon vor Tagen zu weiten Teilen eingestellt und der Gebäudeabschnitt gesperrt worden. Baustelle – Betreten verboten. Umfangreiche Sanierungsarbeiten waren nach einem erneuten, massiven Wasserschaden, bröckelnden Fassadensteinen und herunterfallenden Deckenverkleidungen nicht mehr zu vermeiden; von keinem Haushälter mit seinem Sparstift-Diktat der schwarzen Null, keiner schleppenden Bauverwaltung, die sich in Planfeststellungsverfahren, Brandschutzvorschriften und einem Wust von Auflagen verhedderte und nicht mal von dem amtierenden CSU-Minister, der eh alle Arbeitsplätze des Ministeriums lieber heute als morgen nach Berlin verlagert hätte und daher nichts mehr in die Bonner Liegenschaft investieren wollte. Diesmal hatte der Personalrat der Hausleitung pressewirksam mit einer Klage wegen fahrlässiger Unterlassung und grober Verletzung ihrer Fürsorgepflichten als Arbeitgeber gedroht, wenn der Gebäudetrakt nicht sofort und umgehend gesperrt und generalsaniert werden würde. Und siehe da. Die hauseigene Verwaltung bewegte sich plötzlich in untypischer Geschwindigkeit. Jegliche Trägheit, die man den Beamten so gerne nachsagte, war wie weggeblasen. Die Bauarbeiten begannen quasi über Nacht.
Nur noch sein und das gegenüberliegende Büro waren in Benutzung. Nächste Woche, nach Aschermittwoch, wenn die tollen Tage im Rheinland vorbei waren, sollten auch er und die anderen beiden Kollegen ihre Büros endgültig räumen. Der Rest seines Flures und die beiden weiteren Stockwerke des Gebäudeabschnittes waren bereits komplett geräumt, lagen seit einer Woche verwaist. Die Arbeiten hatten kurz vor Karneval begonnen. Strom und Wasser seit gestern abgeschaltet. Laut Hausmitteilung liefe ab Donnerstag um 11:11 Uhr eh nichts mehr und da könnte man ja jetzt schon… sparen. Es regierte doch der Rotstift.
Die Rheinländer und ihr komischer Karneval. Ihm, ursprünglich aus Süddeutschland stammend, war dieses auf-Knopfdruck-verordnete-Frohsinn-Ritual, diese fünfte Jahreszeit völlig fremd, in der sich die rheinischen Kollegen plötzlich wie ausgewechselt seltsam auf- und überdreht verhielten. Zutiefst fremd, immer noch, obwohl er schon seit fast 15 Jahren in Bonn lebte. Gestern, an Altwieverfastelovend, zog die ganze Kollegenmeute - kölsche Lieder grölend - ab 11:11 Uhr durch die Gänge. Kolleginnen schnitten unter hysterischem Gekreische Krawatten ab, bützten, was das Zeug hielt, manche verhalten, die meisten aber unangenehm aufdringlich. Die ansonsten eher bieder-zurückhaltenden Beamten soffen ungeniert Kölsch am helllichten Tag und schunkelten in der hauseigenen Kantine um die Wette. Die ersten bereits gegen Mittag deutlich angetrunken. Schlag 14:00 Uhr leerte sich das Ministerium und es wurde still im Haus. Die Karavane zieht weiter, dä Sultan hät Doosch. Nicht nach Hause, nicht in den Feierabend, sondern in das gegenüberliegende Bundesumweltministerium, das dieses Jahr eine der in Bonn berühmt-berüchtigten Behörden-Karnevalsfeiern ausrichtete. Die Karnevalsmuffel schlossen sich dem Tross der Feierwütigen dankbar an, bogen mit eingezogenem Kopf aber vorher Richtung Tiefgarage ab, um dem Ausnahmezustand der nächsten Tage im Rheinland Richtung Kurzurlaub zu entfliehen. Während die Hardcore-Karnevalisten sich dem mehrtägigen Tassen-hoch und mer losse d‘r Dom en Kölle hingaben, um am Aschermittwoch reichlich lädiert, schwanger, krank oder unter Amnesie leidend aus dem Feierkoma zu erwachen. Die alljährliche kathartische Häutung der rheinischen Ureinwohner oder schlicht und einfach der willkommene Anlass, einfach mal alle Konventionen einzureißen und seinen niederen Trieben und Instinkten freien Lauf zu lassen.
Ihm sollte es recht sein. So konnte er am Donnerstagabend im Büro ungestört die letzten Vorbereitungen für seinen großen Tag treffen.
Und heute war es so weit. Auch er würde die Ketten der Konventionen sprengen. Und zwar für immer und nicht nur für einige wenige tolle Tage.
Berlin – Freitag, der 21.02., später Nachmittag
Agnes Duisenberger schaute auf die Uhr: 17:20. In dreißig Minuten musste sie los. Heute Abend ging es ins Kino mit Katrin. Der wöchentliche Mädelsabend. Eine feste Institution, ein liebgewonnenes Ritual. Sie kicherte leise in sich hinein. Mädels sind wir mit Anfang fünfzig nun beide nicht mehr. Aber egal. Erst Kino, dann was Essen gehen. Katrin, ihre beste Freundin, seit vielen Jahren. Ihre wichtigste Stütze hier in der Fremde. Naja, wenn sie ehrlich war, auch ihre einzige. In Berlin war sie nie richtig heimisch geworden. Auch nicht in den 10 Jahren, die sie hier nun schon lebte. Zugezogen aus Bayern - der Arbeit wegen. In diesem dreckigen, stinkenden Großstadt-Moloch mit seinen verpissten Ecken, Obdachlosen und Drogenjunkies. Und dann erst diese Touristenscharen aus aller Welt, die wie Heuschreckenschwärme in Berlin einfielen auf der Suche nach dem billigen, exzessiven Alles-gehtin-Berlin-Vergnügen und dem musealen Schauern der Kalten-Krieg-Relikte. Wenn ihre Eltern noch leben würden, wäre sie am liebsten wieder zurück ins Niederbayrische gezogen. Aufs Land. In die heile Welt der Provinz. Sie schüttelte den Kopf: Sei nicht albern, meine Liebe - dort wärst du heute zwischen Milchkannen und Kühen mit irgendeinem Dorfdepp unglücklich verheiratet, würdest nach Gülle riechen, dein Leben am Rhythmus von Melk- und Fütterungszeiten ausrichten, und deine einzige Abwechselung wäre ab und zu mal ein öder Samstagabend-Stammtisch der Landfrauen in der einzigen Dorfkneipe. Und dann würdest du dich wieder nach einem Stadtleben sehnen.
Ok, aber musste es gleich Berlin sein, dieser zubetonierte und versiffte Alptraum? Aber nun ist es halt so. Jetzt bist du immerhin eine anerkannte Respektsperson. Gutes, gesichertes Einkommen, öffentlicher Dienst. Vorzimmer eines Bundesministers. Der Chef protegiert dich. Sie kannten sich aus alten Zeiten aus seinem Wahlkreis in Passau, wo sie als junge Frau schon seine Wahlkampfplakate geklebt hatte. Ihr Vater war – so gut wie alle Landwirte seiner Generation in Bayern – CSU-Mitglied und als Ratsvertreter ein Urgestein der ländlichen Politikprominenz. So war eins zum anderen gekommen. Und sie schließlich als Sekretärin bei diesem aufstrebenden Landtagsabgeordneten gelandet.
Sie holte Luft, rückte ihre Brille zurecht: Los geht’s, jetzt noch die Vorlage für den Andy fertigmachen, und dann bin ich weg. Aber so was von weg. Ihre Bonner Kolleginnen waren schon längst im Ausnahmezustand. Der rheinische Ableger des Ministeriums verstand wenigsten was vom Feiern. Hier in Berlin waren die Kollegen immer alle so verbiestert, unnahbar und verbissen. Die üblich schlechte Laune der Berliner gepaart mit der Überheblichkeit „wir sind hier der Hauptsitz des Ministers“.
Der Andy hatte sich vor fünf Minuten noch persönlich bei ihr verabschiedet und schon mal ein schönes Wochenende gewünscht. Ein toller Chef, sie mochte ihn. Verstand gar nicht, warum er in der Presse und im Fernsehen so oft zerrissen wurde. Im direkten Umgang war er ein charmanter, junggebliebener und lockerer Chef. Trotz der Verantwortung, die er zu schultern hatte. Gerade in den letzten Wochen war es besonders schlimm. Eine Ausschusssitzung im Bundestag jagte die nächste. Die Gesetzesanpassungen für die Verkehrswende mussten durch das Parlament gebracht werden.
Ein klickender Aufprall. Ein Surren in der Luft. Und nochmal ein Klicken. Agnes Duisenberger zog instinktiv den Kopf ein. Welcher Chaot schmeißt denn hier mit Steinen, schoss es ihr durch den Kopf. Typisch Berlin. Sie starrte gebannt auf die Fensterfront. Wieder ein Klicken. Dann ein verzerrtes, langsames Knacken. Krakelige Risse breiteten sich über die gesamte Scheibe aus. Fraßen sich in alle Richtungen. Wie in Zeitlupe. Agnes Duisenberger konnte ihren Blick nicht abwenden. Hypnotisiert betrachtete sie das unwirkliche Schauspiel.
Plötzlich zersprang die große Fensterscheibe mit einem ohrenbetäubenden Knall. Glassplitter flogen durch die Luft. Zerschnitten ihr Gesicht. Ein kühler Luftzug durchströmte ihr geräumiges Büro. Sie stand auf und ging zögerlich zu dem zerborstenen Fenster. Angestrengt suchte sie die kleine Straße und den dahinter liegenden Park ab. Irgendetwas traf sie an der Stirn. Noch ein Treffer. Im Gesicht. Sie taumelte zurück. Schloss die Augen. Spürte etwas Kaltes und Nasses auf ihrer Haut herunterrinnen. Vorsichtig blinzelte sie und öffnete langsam die Augen. Das Licht war seltsam trüb und abgedunkelt. Einen Moment lang verlor sie die Orientierung. Alles drehte sich. Sie stützte sich mit einer Hand am Schreibtisch ab. Konzentrierte sich und versuchte, irgendeinen Gegenstand im Büro zu fixieren. Ihre Sicht war eingetrübt. Das wenige, was sie sehen konnte, hatte einen seltsamen Farbstich. Sie fokussierte den Nahbereich. Den kleinen weiß-blauen Bayernwimpel auf ihrem Tisch: jetzt aber seltsam rot eingefärbt.
Ihre Brillengläser waren rötlich gefärbt. Zähe Schlieren, dicke Tropfen. Sie schrie. Ihr gellender Schrei hallte über die leeren Flure des Bundesverkehrsministeriums; verlor sich in den Weiten der verlassenen Gänge.
Bonn – Freitag, der 21.02., Nachmittag
Er drehte nervös den Datenstick zwischen Daumen und Zeigefinger. Er schaute auf seine Armbanduhr: 16:40 Uhr. Sollte der Mann etwa heute unpünktlich sein? Nicht auszudenken, wenn ausgerechnet heute eine Vertretung, eine Frau kommen würde… nicht auszumalen. Dann würde sein sorgsam ausgeklügelter Plan in sich zusammenbrechen. Oder war er krank? Angesteckt an dieser ominösen neuen Viruserkrankung, die sich angeblich in China gerade rasend schnell ausbereitete und bereits zigtausende Infizierte und hunderte Tote verschuldet hatte?
Am Mittwoch hatte ihm der geschwätzige Kollege Kosniak aus der Luftfahrtabteilung in der nur mäßig besuchten Kantine unter dem Siegel der Vertrautheit von einem Entwurf für eine Ministervorlage erzählt, den die Referenten der Abteilung gerade erarbeitet hatten. In diesem Non-Paper wurde eindringlich vor einer pandemischen Ausweitung des neuen Virus und den verheerenden Folgen für den internationalen Flugverkehr gewarnt. Kosniak, klein, untersetzt, dicke Brillengläser und, wenn er erregt war, leicht lispelnd, hatte ihm – kaum verständlich – zugewispert, dass sein Abteilungsleiter das Papier vorerst einkassiert hatte, um den Minister nicht in die Bredouille zu bringen, Kenntnis zu haben und sich wie auch immer verhalten zu müssen. „Sie wissen ja, mein Abteilungsleiter ist der Einzige, der noch ein rotes Sozenparteibuch hat, während alle anderen um ihm herum tiefschwarz sind. Und dem Minister, der ja mit der CO² -Diskussion, diesen eRollern und der Verkehrswende eh schon in der Rechtfertigungsecke der linken Propagandablätter steht, dürfte das gar nicht gefallen, wenn er nun – ausgerechnet von meinem Chef – so ein brisantes Papier auf dem offiziellen Weg vorgelegt bekommt.“ Er hatte geschwiegen, in der Hoffnung, dass das Gespräch absterben würde. Aber Kosniak hatte nach einer kurzen Pause nachgelegt: „Und wie ich hörte, geht Ihr Gesetzesentwurf zur Autobahnprivatisierung ja auch gerade in die parlamentarische Beratung.“ Dabei schaute er ihn verschwörerisch aus seinen kleinen Schweinsäuglein an. „Ist ja auch ein heikles Thema mit beliebig vielen politischen Tretminen.“
Ihn widerten solche Gespräche an. Heerscharen von Beamtenschranzen der unteren und mittleren Hierarchieebenen, die sich überwiegend mit internen Ränkespielen und Intrigen aufhielten, um auf der Günstlings- und Besoldungstreppe emporzukriechen. Um diese Schlange Kosniak abzuwürgen und das Thema zu wechseln, hatte er sich nur lustlos nach der konkreten politischen Brisanz des Papiers aus der Luftfahrtabteilung erkundigt. Kosniak schaute sich um und rückte dann noch näher an ihn heran: „In dem besagten Papier wird die dringende Handlungsempfehlung ausgesprochen, den gesamten Luftverkehr von und nach Deutschland mit Wirkung zu spätestens Anfang nächster Woche auf unbestimmte Zeit einzustellen. Zum Schutz vor diesem Virus.“ Kosniak hatte ihn erwartungsvoll durch seine dicken Brillengläser angeschaut. Die Schlange hoffte, im Gegenzug InsiderInfos aus der Nachbarabteilung zu erhalten, die er bei seinen internen Haben Sie schon gehört-Gesprächen gewinnbringend einsetzen konnte. Aber den Gefallen tat er ihm nicht. Hatte stattdessen nur genickt, ein belangloses „ach so“ gemurmelt und sich dann verabschiedet. Innerlich hatte ihn diese Nachricht allerdings dermaßen aufgewühlt, dass er an dem Mittwoch den Beschluss gefasst hatte, zu handeln.
Er überflog zum letzten Mal das Worddokument, korrigierte mit einer leichten Verärgerung noch einen Buchstabendreher, und speicherte die Datei auf seinem Datenstick ab. Dann lud er das Dokument mit der Vorlage für die anstehende Kabinettssitzung in den geschützten Folder des Ministers hoch. Er hatte pünktlich geliefert, bis Ende der Woche, wie es sich für einen deutschen Ministerialbeamten gehört. Er grinste, holte tief Luft und stöhnte beim Ausatmen auf. Mit den Worten „jetzt gibt es kein Zurück mehr“ steckte er den anderen Datenstick in den USB-Anschluss, öffnete die Datei im Explorer und führte mit einem Doppelklick das exe-Programm aus. Einen Moment starrte er wie paralysiert auf den Bildschirm des Laptops. Eine Kaskade von schwarzen Systemfenstern öffnete sich und spulte eine für ihn unverständliche Flut von Programmbefehlen ab.
16:45 Uhr. Es klopfte an der Bürotür. Er riss den Blick vom Monitor und schaute zur Tür. Hinter dem grob-geriffelten Glas zeichnete sich eine Silhouette ab. Er war dar! Es konnte losgehen.
Hektisch schaute er zurück auf den Bildschirm. Dort flimmerte jetzt nur noch das Bundesadler-Logo des Ministeriums und die üblichen bunten Programmkacheln. Erleichtert fuhr er den Laptop herunter und nahm ihn von der Dockingstation.
+++ 21.02.2020:Heute werden in Stuttgart weitere Deutsche aus Wuhan eintreffen. Morgen sollen in Berlin Tegel Passagiere des japanischen Kreuzfahrtschiffs "Diamond Princess" (3.000 Passagiere, davon 630 nachgewiesene Infizierte und 2 Todesfälle) landen, die dann zu Hause isoliert werden sollen. Sechs deutsche Passagiere des Kreuzfahrtschiffs "Westerdam" aus Kambodscha sind bereits wieder in Deutschland, vier weitere sollen heute in Düsseldorf landen.
Brüssel – Freitag, der 21.02., später Nachmittag
Drei Tote, fünfzehn Verletzte, davon vier schwer. Das waren die vorläufigen Zahlen, die ihr der Einsatzleiter vor Ort berichtet hatte. Den ersten Einschätzungen des Ermittlungsteams zufolge ließ das Bild und das Ausmaß der Zerstörung an dem Bürogebäude auf einen Raketenangriff von außen schließen. Eine Bazooka oder eine ähnliche tragbare Panzerabwehrrakete. Die Gerüchteküche unter den Einsatzkräften brodelte. Aber noch waren die Löscharbeiten in vollem Gange. Erst nach einer kompletten Absicherung des Gebäudes in der Rue Belliard konnte es für die Experten der Spurensicherung freigegeben werden. Und erst dann konnte man zweifelsfrei feststellen, was hier passiert war. „Bis dahin untersage ich allen Einsatzkräften jegliche Spekulationen. Und ordne hiermit bis auf Weiteres ein striktes Informationsverbot an die Presse an. Haben Sie mich verstanden, Leclerc?“, herrschte sie den Einsatzleiter an. Der nahm Haltung an und knallte die Hacken zusammen: „Ja, Madame la Commissaire.“
Denise de Lacroix griff zu ihrem Handy und meldete einen ersten Lagebericht ins Innenministerium. Sie ließ sich gleich direkt mit dem Generalkommissar verbinden, dem Chef der föderalen Polizei Belgiens, in dessen Zuständigkeit auch der Schutz der EU-Institutionen und des EU-Viertels in Brüssel fielen. Sie wollte in den lähmenden Hierarchien der Zuständigkeiten keine Zeit verlieren. De Lacroix war sich jetzt schon sicher, dass es sich hier um einen terroristischen Anschlag handeln musste. Auf ihre schnelle Auffassungsgabe und blendende Intelligenz bei der Durchdringung von komplexen Szenarien hatte sie sich immer schon verlassen können. Daher hatte sie auch eine Blitzkarriere bei der Police Fédérale hingelegt. Nach dem Studium an der königlichen Polizeiakademie – Abschluss in kürzester Zeit und mit Prädikatsauszeichnung als Jahrgangsbeste – Einstieg in den Offizierskader als Polizeikommissar-Anwärterin. Verkürzung der Laufbahngruppe aufgrund hervorragender Ergebnisse, dann Polizeikommissarin – gespickt mit Belobigungen und Auszeichnungen. Vor einigen Monaten die vorgezogene Beförderung und damit der Aufstieg in den Offiziersrang einer Ersten Polizeikommissarin 3. Mit gerade mal dreiunddreißig Jahren die jüngste 1. PK in der bisherigen belgischen Polizeigeschichte. Ein Rang, den andere erst mit frühestens Anfang Vierzig erreichten. Wenn überhaupt. Und sie war eine von nur drei Frauen auf dieser Ebene, in dieser nach wie vor von Männern dominierten Polizeielite des Landes. Und die Einzige, die ein dermaßen exponiertes und politisch sichtbares Zuständigkeitsgebiet verantwortete: die EU-Institutionen in Belgien. Natürlich war sie sich bewußt, dass der Einfluss ihres Vaters, einem der führenden Verfassungsjuristen Belgiens, der über Die integrierte belgische Polizei besteht aus der Föderalen Polizei und der Lokalen Polizei. Seit der Strukturreform 2001 ist die Polizei in zwei Ebenen einer integrierten Polizeitruppe organisiert und dem Föderalen Öffentlichen Dienst Inneres (Innenministerium) nachgeordnet. Die Föderale Polizei arbeitet landesweit und ist aus der bis 2001 bestehenden Rijkswacht/Gendarmerie gebildet worden, die dem Verteidigungsministerium unterstand. Die lokale Polizei mit ihren momentan 185 Polizeizonen ist aus kommunalen Polizeieinheiten gebildet worden. höchste Zugänge in das belgische Königshaus verfügte, ihrer Karriere im Hintergrund förderlich gewesen war. Auch der Umstand, dass die belgische Polizei zunehmend aktiv Frauen im Polizeidienst förderte, gedrängt von der gesellschaftlichen Debatte um Chancengleichheit im Beruf zwischen Männern und Frauen und dem ein oder anderen Skandal des in Verruf gekommenen Typus autoritärer, älterer, weißer Männer im Polizeiapparat. Aber nichtsdestotrotz: sie hatte es vor allem aus eigener Kraft geschafft. Sie war durchsetzungsstark, ehrgeizig und intelligent. Verfügte über eine eiserne Disziplin und den Willen zu führen. Und ja, sie sah außerdem noch gut aus und war sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst.
Dieser Fall konnte ihre große Chance werden. Eine schnelle Aufklärung und ihr nächster, vorgezogener Karriereschritt war nur noch eine Formsache. Polizeihauptkommissarin mit Mitte dreißig! Das würde auch ihren übermächtigen Vater mit Stolz erfüllen. Und den ersten Schritt dazu hatte sie soeben mit ihrem Telefonat mit dem Generalkommissar getan. Er hatte sich für die zügige Unterrichtung bedankt, ihr weitreichende Sonderrechte und Handlungsvollmachten in dem Fall eingeräumt und das Wichtigste: er hatte sie aufgefordert, ihn ab sofort direkt und ohne Umwege über den weiteren Fortgang zu informieren.
Telefonisch berief sie eine Sonderkommission ein und beorderte alle Teilnehmer in dreißig Minuten zu einer Lagebesprechung ins Präsidium. Da werden einige Kollegen fluchen, die schon mit dem halben Bein im Wochenende stehen, dachte sie zufrieden, werde ich gleich mal ein Exemple statuieren. C’est moi qui vas faire la loi!
Sie stieg in die Dienstlimousine und ließ sich mit Blaulicht und erhöhter Geschwindigkeit durch den Feierabendverkehr von Brüssel fahren. Die nächsten Ermittlungsschritte und polizeilichen Maßnahmen hatte sie schon im Kopf. Ihr Plan war fertig. Den sollten die Mitglieder der Sonderkommission gleich nur noch pro forma abnicken. Aus dem Auto leitete sie einige Sofortmaßnahmen ein: Abriegelung des EU-Viertels, Hubschrauberüberwachungsflüge, verstärkte Personenkontrollen an allen Bahnhöfen und Flughäfen, Auswertung des gesamten Videomaterials von den öffentlichen Plätzen des EU-Viertels, der U- und S-Bahnen. Das ganze analoge und digitale Besteck.
Der Fahrer bremste vor einer roten Ampel. „Fahren Sie zu!“, herrschte sie den jungen Mann an, der sofort wieder Gas gab und den großen, schwarzen Renault zwischen bremsenden Autos über die Kreuzung navigierte. Die Kommissarin lehnte sich in der Lederpolsterung der Rückbank zurück. Mit Genugtuung dachte sie daran, dass sie bei ihren Telefonaten vorhin auf keinerlei Widerstände und die sonst üblichen, lähmenden Rückfragen oder Bedenken und Zuständigkeitsverweise auf höhere Stellen im Polizeiapparat gestoßen war. Der Generalkommissar musste im Hintergrund bereits gewirkt und ihre exponierte Vollmacht in diesem Fall in die Hierarchie gedrückt haben. Gut so, das steigert schlagartig und flächendeckend meine Sichtbarkeit in der gesamten föderalen Polizei. Mit Denise de Lacroix ist zu rechnen.
Sie schaute aus dem Fenster. Ein von links kommender Kleinwagen bremste scharf und kam erst wenige Zentimeter vor der Seite ihres Renaults zum Stehen. Der Fahrer starrte sie entsetzt an. Dann brüllte er wutverzerrt und gestikulierte wild in ihre Richtung. Ruhig erwiderte sie seinen Blick, fixierte seine weit aufgerissenen Augen, zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn und drückte mit gekrümmten Daumen langsam ab. Über die dicklich-aufgedunsenen Gesichtszüge des Mannes zog sich ein ungläubiges Erstaunen, sein Mund öffnete sich. Hinter der Windschutzscheibe sah er jetzt aus wie ein dicker, nach Luft schnappender Karpfen. Sie grinste.
Das Einzige, was sie irritierte, war die Frage nach dem Warum. Warum ausgerechnet ein Anschlag auf das EU-Direktorate General Move? Eine eher unwichtige Einrichtung der EU-Bürokratie. Zuständig bei der Kommission für Fragen der Mobilität und des Verkehrs. Warum ausgerechnet die?
Bonn - Freitag, der 21.02., 16:47 Uhr
„Herein!“ Er schaute auf die Uhr: 16:47 Uhr.
Na, endlich. Alles war vorbereitet.
Er erhob sich. Stellte sich neben seinen Schreibtisch. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Die Tür ging auf. Zögerlich trat der Mann ein. Er lächelte ihm freundlich zu: „Guten Abend.“ Der Mann erwiderte stumm mit einem kaum sichtbaren Nicken seinen Gruß. Er kam auf ihn zu. Mit gesenktem Blick. Wirkte gehetzt, hatte es eilig – wie immer.
Berlin – Freitag, der 21.02., gegen 18:30 Uhr
Konrad Wibbert hatte sich vor dem Seitenflügel des imposanten Altbaus des Verkehrsministeriums postiert und schaute nach oben 4. In der Mitte des zweiten Stocks sah er hinter dem zerborstenen Fenster die Kollegen der Spurensicherung. Er winkte ihnen zu. Aber keiner der Kollegen reagierte. Zwei Patronen hatten sie dort oben bereits aus der Bürowand gekratzt. Von hier aus war auf das Vorzimmer des Ministers geschossen worden. So viel hatten sie aufgrund des Einschusswinkels bereits feststellen können. Er stand im Schwarzen Weg, eine kleine Seitenstraße der Invalidenstraße. In seinem Rücken der Invalidenpark. Keine Anwohner, kaum Verkehr. Freie Schussbahn. Das würde schwer mit den Ermittlungen. Er griff zum Handy und rief das BKA an. Bei einem Anschlag auf ein Bundesministerium musste der Staatsschutz von Amts wegen mit ins Boot. Er nestelte ein Lutschbonbon aus den Tiefen seiner Jackentasche, pulte den Eukalyptusdrops aus dem klebrigen Papier und steckte ihn in den Mund. Am besten übernehmen die Kollegen gleich den ganzen Fall. Dann hab ich den Scheiß von den Hacken. Er lutschte genüsslich die Zuckermasse, die leicht scharfen Eukalyptusaromen erreichten seine Geschmacksknospen und entfalteten sich in Mund und Nase. Welcher Verrückte schießt denn erst mit scharfer Munition auf ein Fenster, um dann mit harmlosen Farbpatronen nachzulegen? So bekloppte Attentäter konnte es nur in Berlin geben.
Ein Streifenpolizist kam auf ihn zu: „Kommissar Wibbert, wir haben da was gefunden. Im Park…“ Er hob den Arm und zeigte dem heranstürmenden Uniformierten die offene, flache Hand. Er drehte dem verdutzt schauenden Polizisten den Rücken zu und holte gemächlich sein Smartphone aus der Innentasche. Er schaute auf das Display. Seine App zeigte noch 33 Tage an. Dann war Schluss. Endlich. Mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen drehte er sich um: „Was haben wir denn Schönes zu berichten, Herr Kollege?“
Brüssel – Freitag, der 21.02., 18:45 Uhr
Um Viertel vor sieben betrat sie den Besprechungsraum im Polizeipräsidium. Auf die Minute genau. Die Mitglieder der Sonderkommission waren bereits vollständig anwesend. Sechs an der Zahl. Standen verteilt im Raum. Alles Männer. Und die wussten, dass Madame gesteigerten Wert auf Pünktlichkeit legte. Eilig nahmen die Männer Platz. Während sie mit energischen Schritten zum Kopf des ovalen Besprechungstisches ging, rief sie in die Runde: „Was haben wir bisher? Dechant, Ihr Bericht zuerst! Danach Flambert.“ Der aufgerufene Dechant sah sie abwartend an. Noch bevor sie sich setzte, fixierte sie ihn: „Auf was warten Sie denn noch, Dechant? Allez vite.“
Bonn - Freitag, der 21.02., 16:50 Uhr
Der Mann bückte sich. Griff nach dem Papierkorb.
Er holte weit aus und schlug zu. Ein lautes Knacken. Der Hinterkopf des Mannes krachte unter der Wucht des kleinen Baseballschlägers. Der Mann sackte kopfüber nach vorne. Fiel zu Boden wie ein nasser, schwerer Sack. Lag leblos und zusammengekrümmt vor ihm. Er zog ihm den grauen Kittel aus, die ausgetretenen, billigen Schuhe und zerrte ihm dann die abgewetzte Stoffhose von den Beinen. Unter großen Kraftanstrengungen drehte er den Mann auf den Rücken. Vermied dabei den Blick in dessen Augen. Er zog seine eigenen Schuhe, seine Anzugshose, sein Jackett und Hemd aus, streifte seinen Ehering vom Finger und verteilte alles auf und neben dem Körper. Er löste seine Armbanduhr, hob den erschlafften, linken Arm des Liegenden und legte ihm seine Uhr an. Er schlüpfte in die Kleidung und Schuhe des Mannes. Nahm den Benzinkanister und übergoss den Körper mit der beißend-riechenden Flüssigkeit. Er vernahm ein raues Röcheln, als das Benzin über das Gesicht des Mannes in dessen Mund floss. Er zögerte einen Moment. Sollte er noch einmal zuschlagen, um auf Nummer sicher zu gehen?
Stattdessen nahm er eine kleine Flasche, beugte sich über das Gesicht und spritzte den Inhalt in den geöffneten Mund. Der Anblick war grässlich. Die Fußspitzen des Mannes zuckten. Er erschrak. Entzündete mehrere Streichhölzer und ließ sie auf den Mann fallen. Er trat einen Schritt zurück und betrachtete eine Weile fasziniert die züngelnden Flammen, die sich in Windeseile über Kleider und Körper ausbreiteten. Die Kleidung verbrannte im Nu.
Dann ein Knistern, ein Zischen, die schwarzen, krausen Haare verdampften. Unter der Gesichtshaut begann es zu brodeln, sie warf Blasen, die aufplatzten. Flüssigkeit spritzte heraus. Ein leicht süßlich-metallischer Geruch. Ein Mensch brennt.
Er wandte den Blick ab und machte weiter. Alles musste jetzt akribisch nach Plan verlaufen. Keine Nachlässigkeiten, keine Fehler.
Brüssel – Freitag, der 21.02., abends
Sie war gegen 22:30 Uhr in ihrem kleinen Appartement angekommen. Hatte sich ausgezogen, geduscht, eine Kleinigkeit gegessen und saß nun in ihrem schwarzen Seidenpyjama mit einem Glas Rotwein im Wohnzimmersessel. Die kühle Seide umfloss ihre nackte Haut, und der Rotwein verbreitete seine wohlige Wärme von innen. Sie entspannte sich und schaltete den Fernseher ein. Die Spätnachrichten liefen. Sie regelte den Ton herunter. Gerade kam die Meldung von dem Anschlag mitten im EU-Viertel. Die Bilder von der zerstörten Front des EU-Bürogebäudes flimmerten über die Mattscheibe. Ein rotes Laufband am unteren Bildrand sprach von einem Raketenangriff – mutmaßlich mit terroristischem Hintergrund. Experten wurden interviewt, von denen sie noch nie etwas gehört oder gelesen hatte. Sie schüttelte den Kopf. Die Presse und irgendwelche selbsternannten Insider wussten mal wieder mehr als die Polizei.
Die bisherigen Ergebnisse der Sonderkommission waren - wie nicht anders zu erwarten - ernüchternd. Die Auswertungen der öffentlichen Kameraaufzeichnungen aus der Rue Belliard liefen noch, ebenso wie die Befragungen der Anwohner. Der Aufruf der Polizei in den Social-Media-Kanälen nach möglichen Augenzeugen des Anschlages hatte bisher keine verwertbaren Rückmeldungen erbracht. Außer den üblichen Denunziationen und wilden Verschwörungstheorien. Die potenziellen Gefährder der belgischen Terrorszene standen unter verschärfter Beobachtung. Die Flughäfen und Bahnhöfe hatten bisher keine verdächtigen Bewegungen gemeldet. Auch die Bilder der Überflugaufnahmen der Polizeihubschrauber und der Luftwaffe zeigten keine ungewöhnlichen Abweichungen.
Sie schaltete den Fernseher ab, trank den restlichen Rotwein aus und ging ins Bett. Um fünf Uhr würde ihr Wecker klingeln. Wie an jedem Arbeitstag. Das immer gleiche Frühprogramm: Die Joggingrunde, danach duschen, ihr Vitalmüsli mit reichlich frischem Obst, erste E-Mails und die Nachrichtenlage checken und dann ins Büro. Selbst an Wochenenden spulte sie dieses Programm eisern ab. Nur mit dem Luxus, eine Stunde später aufzustehen. Morgen allerdings hatte sie um 06:30 Uhr die nächste Besprechung der Sonderkommission terminiert. Sie durfte keine Zeit verlieren. Daher klingelte der Wecker auch am morgigen Samstag wie gehabt um 05:00 Uhr.
3Die offiziellen Amtsbezeichnungen in der Landessprache Deutsch lauten für die Offizierskader: Polizeikommissar-Anwärter (PKA), Polizeikommissar (PK), Erster Polizeikommissar (1. PK), Polizeihauptkommissar (PHK), Erster Polizeihauptkommissar (1. PHK).
4Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Berlin hat seinen Sitz in einem traditionsreichen Altbau und einem etwa gleichgroßen Erweiterungsbau. Der Altbauteil entstand 1875-1878 nach Plänen des Architekten August Tiede als Geologische Landesanstalt und Preußische Bergakademie. Zu DDR-Zeiten war hier das Ministerium für Geologie untergebracht.
Zugstrecke Köln/Brüssel - Freitag, der 21.02., spätabends
Er saß im Erste-Klasse-Abteil des Nachtzugs nach Brüssel. Alles hatte geklappt. Wie geplant. Er hatte sich beim Service einen doppelten Havana Club Selección de Maestros mit Eis bestellt. Gegen das Zittern und seine Anspannung, die sich nur zögerlich legte. Und zum Kitzeln der Vorfreude. Ein verzagtes Lächeln.