Satan - Kriminalroman - JR JR - E-Book

Satan - Kriminalroman E-Book

JR JR

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Beschreibung

Frühlingserwachen im Rheinland: Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Die Bewohner von Bonn Bad Godesberg genießen die ersten schönen Sonnentage des Jahres. Ein Serienmörder zieht eine blutige Spur quer durch die Stadt: Frühling lässt sein blutrotes Band flattern durch die Lüfte. Es liegen alles andere als frohlockende Frühlingsgefühle in der Luft. Der Bonner Hauptkommissar, Klaus Ebner und sein Ermittlungsteam finden innerhalb kürzester Zeit drei Leichen in der Godesberger Innenstadt. Allesamt Frauen aus dem arabischen Raum, vollverschleiert und gläubige Muslimas. Ausgeweidet und ausgeblutet. Der Täter hinterlässt keine Spuren. Mit Ausnahme von ominösen Schriftzeichen, die er mit Blut auf die Bäuche der Frauen schreibt. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Ein rasanter Krimi, der den Leser mit auf eine Reise durch die verunsicherte und zerrissene deutsche Gegenwartsgesellschaft nimmt. Im Mikrokosmos des Bonner Stadtbezirkes Bad Godesberg prallen die Welten aufeinander: Zuwanderer aus dem Nahen Osten, arabische Medizintouristen, alteingesessene Bürger, die von den neuen, finanzstarken Gästen profitieren, abgehängte Einwohner, die sich von den populistisch-nationalen Verführungen von Rechtsaußen anstecken lassen, Salafisten und Neonazis, die gewaltsam ihre Parolen unters Volk bringen. Was und wem kann man noch glauben? Der Presse – der Polizei – dem Staat – der Religion? Den neuen und alten Rattenfängern? Wer hat in Zeiten von dreisten Lügen, Fake News und Alternativen Fakten, von Facebook und einschlägigen Internetforen Recht? Wie in den drei bereits vorliegenden Bänden der Jan van Ridder Reihe aktuell und schmerzhaft real. Neben vertrauten Bekannten trifft der Leser diesmal auf tote, verschleierte Frauen, einen saudischen Geheimdienstoffizier, Jans Schwester aus Berlin, osteuropäische Schwarzarbeiter, auf eine Fallanalytikerin des LKA, einen Kampfhund namens Adolf und einen prächtigen Pfau. Ach ja, und auf einen Serienmörder.

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2019

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JR

SATAN

Jan van Ridder verliert den Glauben - sein vierter Fall

Kriminalroman

© 2019 JR JR

Bildnachweis Umschlag: Pieter Brueghel d.Ä., Die sieben Laster „Satan“, Kupferstich, Sammlung Bibliothèque Royale, Cabinet Estampes, Brüssel

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

978-3-748-21996-5 (Paperback)

978-3-748-21997-2 (Hardcover)

978-3-748-21998-9 (e-Book)

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Für die in der Publikation enthaltenen Verweise auf Links, Webseiten und sonstige Artikel Dritter wird keine inhaltliche Haftung übernommen. Inhalte stellen lediglich deren Stand zum angegebenen Zeitpunkt der Veröffentlichung dar.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Satan

ERSTER TEIL

Prolog

Der Frühling ist in die Stadt gekommen Der Tod aber auch

Wie wars?

Lagebesprechung im Polizeipräsidium: Wo stehen wir? Von Leichenfäulnis, Leichenflecken, Verwesung und dem Zeitpunkt des Todes

Der Beginn einer Serie

Schwester und Bruder gibt es nur im Doppelpack

Ein Arschtritt mit Anlauf

Die Steigerung von Wahnsinn ist Möglich Oder die Bestätigung der Serie

Erste Spuren und eine geplatzte Weinverkostung

Schuster, bleib bei deinen Leisten oder besser gesagt: Sohlen

Abends in Pantheon: Euch wird das Lachen schon vergehen

Ansichten eines Pinguins

Aufmarsch von rechts

Von Adolf, dem Rassehund und seinem Herrchen, einem Rassisten

Wir Müssen Flagge zeigen!

Epilog erster Teil – eine Art Zwischenbilanz

Zweiter Teil

Prolog

Von höheren Mächten, alten Bekannten und neuen Ansätzen

Ein ungebetener Gast von der arabischen Halbinsel

Ein schweigendes Frühstück und ein Glas Pflaumenmus

(Märchen)Berichte aus Tausend und einer Nacht

Die Abweichung von der Regel

Klare Ansagen

Ein Autoschrauber, jede Menge Daten und drei Kühlhäuser

„Wir werden alle sterben!“

Die Ruhe vor dem Sturm oder panta rhei

Wie gewonnen, so zerronnen

Es gibt nichts zu berichten, aber trotzdem schreiben wir fleißig Berichte oder Melden macht frei

Ein ganz normaler Abend, bis auf … neue Spuren

Schadensbegrenzung

Auf dem Spielplatz

Eine makabre Überraschung

An der Draitsch-Quelle: zugezogene Papageien, ein preußischer Rentner und eine Tote

Kollege Computer: Zeig mir die Döner-Buden und ich sage Dir, wer der Serienmörder ist

Zum Saisonbeginn ein prachtvoller Pfau

Rette sich wer kann!

„Ich hab's!“

Jeder hat seine eigene Sicht auf die Welt

Das hohe Gut des Demonstrationsrechts und der Meinungsfreiheit – wie viel muss / kann eine Demokratie aushalten?

Des Dramas erster Akt - Vorbereitungen

Des Dramas zweiter Akt – Der Krieg bricht los

Des Dramas dritter Akt – neue Erkenntnisse und eine Planänderung

Des Dramas vierter Akt – eine unverhoffte Wendung

Zweifel während einer waghalsigen Motorradfahrt

Aufstellung und Warten

Der Plan

Und Action

Panik

Rückzug

Zugriff

Eine Woche später

Epilog I

EPILOG – II

JR - Nachwort

Entdecken Sie alle bisher erschienen Fälle der Jan van Ridder Reihe.

JR – MAMMON – Jan van Ridder tritt auf – sein erster Fall

JR – ASMODEUS – Jan van Ridder gibt Gas – sein zweiter Fall

JR – BEELZEBUB – Jan van Ridder findet das Glück - sein dritter Fall

JR – BELPHEGOR – Jan van Ridder verfährt sich – sein fünfter Fall

Satan - Kriminalroman

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Satan

JR – BELPHEGOR – Jan van Ridder verfährt sich – sein fünfter Fall

Satan - Kriminalroman

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Das Buch

Frühlingserwachen im Rheinland: Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Die Bewohner von Bonn Bad Godesberg genießen die ersten schönen Sonnentage des Jahres. Ein Serienmörder zieht eine blutige Spur quer durch die Stadt: Frühling lässt sein blutrotes Band flattern durch die Lüfte. Es liegen alles andere als frohlockende Frühlingsgefühle in der Luft.

Der Bonner Hauptkommissar, Klaus Ebner und sein Ermittlungsteam finden innerhalb kürzester Zeit drei Leichen in der Godesberger Innenstadt. Alles Frauen aus dem arabischen Raum, vollverschleiert und gläubige Muslimas. Ausgeweidet und ausgeblutet. Der Täter hinterlässt keine Spuren. Mit Ausnahme von ominösen Schriftzeichen, die er mit Blut auf die Bäuche der Frauen schreibt. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Sie ermittelt fieberhaft in alle Richtungen: in der salafistischen Szene, im rechtsextremen Milieu und bei Anwohnern, die sich verdächtig gemacht haben. Der mediale Druck steigt. In den Untiefen des Internets baut sich eine Hasswelle auf, Verschwörungstheorien wabern durch den Cyberraum. Die Fälle erregen internationale Aufmerksamkeit. Höhere Stellen aus Berlin schalten sich ein. Die angespannte Stimmung entlädt sich. In Bad Godesberg kommt es zu Demonstrationen, auf denen die Gewalt eskaliert. Jan van Ridder wird bei einer AfD/Pegida-Kundgebung niedergeschlagen. Und das unter den Augen der tatenlos zuschauenden Polizei. An wen oder was kann er noch glauben?

Dann schlägt der Serientäter wieder zu. Diesmal weicht er von seinem Muster ab. Er macht Fehler und hinterlässt Spuren. Aber was ist sein Motiv? Welche Botschaft will er mit seinen ritualisierten Morden senden? Und an wen?

In seinem vierten Fall stellen sich für den Hobby-Ermittler Jan van Ridder ganz persönliche Grundsatzfragen: Wer hat Recht? Wie bildet man sich in der heutigen, aufgeregten Zeit eine Meinung?

Was kann man noch glauben? Wie steht es um das verunsicherte Gemeinwesen? Um die Demokratie, die Religion?

Jan van Ridder, vielschichtig, mal locker-humorvoll, mal nachdenklich-melancholisch, durch ein tragisches Unglück früh verwitwet, Vater einer studierenden Tochter und Großvater, Rockmusikhörer, Altbaubewohner, Katzenbesitzer, Motorradfahrer und immer auf der Suche.

Der Fall in zwei Teilen

Ein rasanter Krimi, der den Lesenden mit auf eine Reise durch die verunsicherte und zerrissene deutsche Gesellschaft nimmt. Im Mikrokosmos des Bonner Stadtbezirkes Bad Godesberg prallen die Welten aufeinander: Zuwanderer aus dem Nahen Osten, arabische Medizintouristen, alteingesessene Bürger, die von den neuen, finanzstarken Gästen profitieren, abgehängte Einwohner, die sich von den populistisch-nationalen Verführungen von Rechtsaußen anstecken lassen, Salafisten und Neonazis, die gewaltsam ihre Parolen unters Volk bringen. Was und wem kann man noch glauben? Der Presse – der Polizei – dem Staat – der Religion? Den neuen und alten Rattenfängern? Wer hat in Zeiten von dreisten Lügen, Fake News und Alternativen Fakten, von Facebook und einschlägigen Internetforen Recht? Wie in den drei bereits vorliegenden Bänden der Jan van Ridder Reihe aktuell und schmerzhaft real. Neben vertrauten Bekannten trifft der Leser diesmal auf tote, verschleierte Frauen, einen saudischen Geheimdienstoffizier, Jans Schwester aus Berlin, osteuropäische Schwarzarbeiter, auf eine Fallanalytikerin des LKA, einen Kampfhund namens Adolf und einen prächtigen Pfau. Ach ja, und auf einen Serienmörder.

Der Autor ( https://tredition.de/autoren/jr-jr-16468/ )

Langjähriger, aktiver Manager in führenden IT-Unternehmen, intimer Kenner der Bundesverwaltung in Bonn und Berlin.

Satan

Schweren Lastern wurden im Verlauf der Kirchengeschichte – insbesondere unter Papst Gregor I. (um 540 bis 604) – als sinnbildliche Warnung für die Gläubigen und Mönche bestimmte Dämonen zugeordnet. Quasi die Armee des Teufels. Unter anderem waren verantwortlich: der Beelzebub für die Maßlosigkeit und Völlerei, Leviathan für Neid und Eifersucht, Mammon für Habgier und Geiz, Asmodeus für die Wollust und Begierde und Satan für den Zorn und das Böse an sich.

Satan ist ein Begriff, der einen oder mehrere Engel bezeichnet. Er hat seine Ursprünge im jüdischen Monotheismus und enthält antike persische religiöse Einflüsse, insbesondere des Zoroastrismus. Satan ist vor allem der Ankläger im göttlichen Gerichtshof, der die religiöse Integrität von Menschen testet und Sünden anklagt. Andere religiöse Glaubenssysteme belegen den Begriff Satan mit Bedeutungen wie Dämon, dem gegen Gott rebellierenden gefallenen Engel, der Verkörperung des Bösen und Teufel. Gemäß dem christlichen Verständnis, begründet in der Auslegung der Bibel und deren Übersetzungen, wird Satan als ein Engel angesehen, der eigenwillig gegen Gott aufbegehrte und als gefallener Engel aus dem Himmel verstoßen wurde (Höllensturz).

Der Islam unterscheidet drei Kategorien von Geistwesen: Engel, Dschinn und Satane (arabisch Schaitan). In der islamischen Mythologie bezeichnet Schaitan ein Wesen oder eine Kraft, die Menschen in die Versuchung des Bösen führt. Dem Islam ist die christliche Vorstellung des Satans als Widersacher Gottes fremd. Das Prinzip Gut gegen Böse als Gegenkräfte ist hier nicht anwendbar, denn nur Gott ist der absolut Mächtige, der Satan hingegen gilt lediglich als Versucher.

ERSTER TEIL

Freitag, 23. März bis Freitag, 30. März

Er ist's

Frühling läßt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen.

Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's!

Dich hab ich vernommen!

Eduard Mörike (1804 - 1875)

Prolog

Er starrte auf den großen Flachbildschirm. Die Gesichter waren grobkörnig verpixelt. Immer wieder durchzogen von Flackern und quer verlaufenden Verschiebungen. Die Sprache kam versetzt und zeitverzögert an. Die Münder seiner Töchter öffneten sich lautlos. Sekunden später erst erreichte ihn der dazu gehörende Ton. Knisternd und seltsam verzerrt – metallisch verfremdet. Die Bewegungen der Lippen seiner ältesten Tochter passten nicht zu dem Gesprochenen. Gestik und Mimik entkoppelt vom Gesagten. Ihre Wörter hingen seltsam leblos im Raum. Seine Lieben sahen unmenschlich aus. Wie ferngesteuerte Maschinen. Er schrie den Bildschirm an: „Ich kann Euch nicht verstehen!“

„Schnauze!“, brüllte es von nebenan.

Er hatte Tränen in den Augen.

„Papa!“

Das Bild stabilisierte sich. Er schaute in die weit aufgerissenen, schwarzen Augen seiner ältesten Tochter. Ihr Gesicht füllte fast den ganzen Bildschirm aus. Sie hatte sich nahe vor die Kamera gebeugt und sprach langsam. Angst ließ ihre Stimme zittern und brüchig klingen. Die Augenlieder waren gerötet. Sein Kind sah schrecklich aus: die langen schwarzen Haare strähnig und zerzaust, die hellbraune Haut mit roten Flecken übersät, die rechte Wange schimmerte rötlich und bläulich, geschwollen. „Kocho ist umstellt.“ Es rauschte im Äther. „Der IS erschießt alle Männer und Jungen. Sie bringen Mädchen und Frauen nach Mossul oder Tall Afar, um sie an ihre Kämpfer zu verkaufen. Als Sklavinnen! Für …“ Der Ton riss ab. Der Mund seiner Tochter bewegte sich, ohne etwas zu sagen. Sie lehnte sich zurück. Gab den Blick frei auf ihre Schwestern. Seine anderen beiden Töchter, die sich links und rechts eng an Nadia schmiegten. Sie klammerten sich an die ältere Schwester wie zwei Ertrinkende. Verloren im offenen Meer, sich in panischer Angst hilfesuchend an einer Holzplanke festkrallend. Rechts im Hintergrund sah er seine Frau. Ihr Gesicht war zu weiten Teilen von einem schwarzen Kopftuch verhüllt. Sie saß vollkommen regungslos da, starrte mit gesenktem Kopf vor sich hin. Jetzt blickte sie auf und schaute ihn für einen kurzen Moment an. Er erschrak. Was war mit ihren wunderschönen Augen geschehen? Es waren die strahlenden Augen, in die er sich damals als junger Mann sofort verliebt hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Diese Augen, die eine unendliche Lebensfreude versprüht hatten. Und jetzt? Ein Schleier der Trostlosigkeit und Selbstaufgabe trübte ihren Blick. Es war kein Leben mehr in ihnen, keinerlei Zuversicht, keine Hoffnung. So hatte er seine Frau noch nie gesehen. Gebrochen. Erloschen. Kalt. Seine Frau senkte den Blick. Er schüttelte sich. Er musste Stärke zeigen. Auch aus der Ferne, in der Fremde. Er war schließlich der Mann, das Familienoberhaupt. Musste seiner Familie beistehen, sie beschützen. „Was ist mit Onkel Abid?“ Seine Tochter formte mit ihren Lippen ein Wort. Ohne sie zu hören, wusste er, was sie sagte: tot.

Gegenüber erhoben sich die beiden Jugendlichen und verließen ihren Platz. Dabei beobachteten sie ihn, schauten abfällig herüber. Die beiden Jungs steckten die Köpfe zusammen, tuschelten. Dann zeigte der größere mit dem Finger auf ihn und sagte dabei etwas auf Arabisch. Laut lachend gingen sie Richtung Ausgang.

„Und Onkel Amal?“ Ein Zucken durchlief die Übertragung. Der Mund seiner Tochter verschob sich nach rechts – schien aus ihrem Gesicht zu fallen. „… in den Bergen …“

„Ihr müsst dort sofort verschwinden! Flieht ins Gebirge. Zu den anderen!“ Keine Reaktion. Das Bild fror ein. Seine Tochter starrte ihn an. Ein Tonfetzen drang zu ihm: „Papa? Hilf uns!“

Er schluckte, dann schrie er: „Ich mache mich auf den Weg. Aber ihr müsst fliehen. Sofort!“

Ein weiteres Zucken breitete sich über dem Monitorbild aus. Die Übertragung brach zusammen. Skype zeigte die Meldung, dass aufgrund der schlechten Internetverbindung die Übertragung unterbrochen worden sei. Er klickte erneut auf das Videokonferenz-Icon. Zurzeit ist keine Verbindung möglich. Stellen Sie eine Internetverbindung sicher. Wie von Sinnen drückte er pausenlos auf das Icon. Auf dem Bildschirm tauchte eine Kaskade von Fehlermeldungen auf. Er starrte auf die Kästchen, die er nicht deuten konnte, klickte wahllos auf alle möglichen Bestätigungen und Buttons. Plötzlich öffnete sich ein schwarzer Kasten in der Mitte des Bildschirmes. Wie von Geisterhand geschrieben erschien in weißer Schrift: Es ist ein schwerer Systemfehler aufgetreten. Wenden Sie sich an den Administrator. Er wusste nicht, was das bedeuten sollte, und hämmerte stattdessen wild auf die Tastatur.

„Hey Meister, lass das mal besser“, herrschte ihn ein junger Mann an, der plötzlich neben ihm stand.

„Nein, ich muss doch …“, stammelte er unbeholfen. Suchte angestrengt die richtigen Worte.

„Da geht nichts mehr. Du Freak hast das System abgeschossen!“

„Dann an einem anderen …“ Seine Augen hetzten durch den Raum. Suchten Erlösung.

„Game over, mein Freund. Solche Idioten wie Dich können wir hier nicht gebrauchen.“

Rasender Zorn erfasste ihn. Er schlug mit der geballten Faust auf die Tischplatte. Die Tastatur erzitterte.

„Mach hier keinen Lauten, Meister. Ansonsten Polizei.“ Der schwarzhaarige Mann mit dem dunklen, akkurat ausrasierten Dreitagebart schaute ihn von oben herab abschätzig an. „Zahlen und Gehen, ist angesagt. Und zwar sofort!“

Er sackte in sich zusammen. Keine Polizei, schoss es ihm durch den Kopf, dann fliegt alles auf. Schwerfällig erhob er sich, drückte dem Mann einen zerknüllten Fünf-Euroschein in die Hand und verließ mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern das Internationale Call Center.

Vor der Tür schossen ihm Tränen in die Augen. Mit schleppenden Schritten machte er sich auf den Weg. Er hatte seine Lieben angelogen: Er konnte gar nicht zu ihnen kommen, um sie aus der Hölle zu retten. Ohne Geld und gültige Papiere ein Ding der Unmöglichkeit. Er hatte versagt – als Ehemann, als Vater, als Familienoberhaupt und als Gläubiger. Er konnte seine Familie nicht beschützen. Der Plan mit seiner Flucht nach Deutschland und der Absicht, seine Familie nachzuholen, wenn er einigermaßen Fuß gefasst und etwas Geld verdient hätte, war gescheitert. Und zwar auf ganzer Linie. Stattdessen waren sämtliche, überschaubaren Ersparnisse der Familie für seine eigene Flucht an mafiöse Schlepper, korrupte türkische Grenzpolizisten und an zahlreiche kriminelle Wegelagerer auf der Balkanroute draufgegangen.

Und hier? Von wegen Schlaraffenland: alles fremd, feindlich-ablehnend. Keine feste, legale Arbeit, ein feuchtes Kellerloch als Unterschlupf, die ständige Angst, aufzufliegen. Die dauernde Sorge um seine Familie, die sich wie ein zersetzendes Gift vom ersten Tag an in ihm ausgebreitet hatte. Die lähmende Einsamkeit und die ohnmächtige Verdammnis des Wartens lasteten bleischwer auf seinem Gemüt. All sein Lebensmut, seine Kraft und Zuversicht, die ihn als junger Familienvater zu Hause beim Anblick seiner Lieben täglich durchströmt hatte, waren versiegt. Wie ein vertrockneter Brunnen, der vom Sande verweht, langsam aber sicher unkenntlich im Wüstensand verschwand. So als wäre er nie da gewesen. Ein Leben in der ständigen Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. Ein Vor-sich-hin-Vegetieren als Illegaler im Schatten. Auch eine Hölle – nur unter anderen Vorzeichen. Er schrie auf. Wie ein weidwund geschossenes Tier, welches in die Ecke gedrängt, spürte, dass es mit ihm zu Ende ging.

„Allah Akbar, Bruder! Die heilige Botschaft des Korans kann auch Dich retten!“ Eine junge, kräftige Stimme. Erschrocken sah er auf. Er schaute in die Augen eines jugendlichen bärtigen Mannes. Dieser stand hinter einem Ausziehtisch, der übersäht war mit goldfarbenen Koranausgaben. Der junge Mann war ganz in weiß gekleidet. Ein schneeweißes, langes Gewand über einer dreiviertellangen, weiten Pluderhose. Die nackten Füße steckten in groben Sandalen. Der Mann umrundete den Tisch, kam auf ihn zu und drückte ihm ungefragt einen Koran in die Hand. „Hier findest Du in den Weissagungen des Propheten die Erlösung und den wahren Glauben, Bruder.“

In seiner Verzweiflung und Trauer hatte er nicht gemerkt, dass ihn seine Schritte über den Marktplatz gelenkt hatten, und er nun vor einem Stand der Lies-Initiative stand.

Er schüttelte abweisend den Kopf: „Ich glaube nicht, dass das …“ „Doch, doch“, unterbrach ihn der weißgewandete Mann und fügte belehrend hinzu: „Hier in der Fremde, unter lauter Ungläubigen, kann man schon mal vom Glauben an Allah und seinem Propheten abkommen. Du musst nur …“.

„Nein!“, schrie er zornig und schmiss das Buch auf den Boden: „Im Namen dieses Glaubens werden gerade Unschuldige abgeschlachtet! Zu tausenden!“

„Wie kannst Du die Heilige Schrift des Islam und die Worte des Propheten Mohammed in den Dreck werfen. Damit beleidigst Du Allah und alle Muslime, Bruder!“ Der Bärtige schaute ihn eindringlich an; zuerst entsetzt und dann mit einem sich verfinsternden, strafenden Gesichtsausdruck.

Der Frühling ist in die Stadt gekommen Der Tod aber auch

Vorfrühling

Wie die Knospe hütend,

Daß sie nicht Blume werde,

Liegts so dumpf und brütend

Über der drängenden Erde.

Glühnde Düfte ringeln

In die Höhe sich munter.

Flüchtig grüßend, züngeln

Streifende Lichter herunter.

Daß nun, still erfrischend,

Eins zum Andern sich finde,

Rühren, Alles mischend,

Sich lebendige Winde.

Friedrich Hebbel (1813-1863)

Samstag, 24. März

Die Sonne schickte ihre ersten kraftvollen Strahlen des Jahres aus einem wolkenlosen, stahlblauen Himmel. Vögel zwitscherten. Sie genossen die wärmenden Strahlen der Frühlingsonne. Streckten nach den nasskalten, trüb-grauen Wintermonaten begierig die Gesichter in das helle Sonnenlicht. Lebensgeister erwecken, Frühlingsgefühle sprießen lassen. Die Gedanken auf Reisen durch die aufkeimende Natur schicken. Frühling lässt sein blaues Band, wieder flattern durch die Lüfte …

Vor ihnen stand ein Glas Weißburgunder. Die Außenterrasse des Insel Hotels war gut besucht. An diesem sonnigen Samstag Ende März trieb es die Menschen in Scharen nach draußen. An die frische Luft. Ins Licht. Ins Frühlingserwachen.

Seine Schwester Griet war gestern Abend aus Berlin für eine Woche zu Besuch nach Bonn gekommen. Jan hatte sich ein illustres Programm für seine ältere Schwester zurechtgelegt: Besuch der Gurlitt-Ausstellung in der Bundeskunsthalle, Kabarett-Abend im Pantheon, eine Weinverkostung in der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr und eine Fahrt nach Köln (der Dom geht immer). Aber vor allem Gespräche. Er liebte seine Schwester.

Auf dem Theaterplatz im Herzen von Bad Godesberg herrschte reges Treiben. Die Tische und Stühle vor den anderen Cafés und Eisdielen waren voll besetzt. Kinder plantschten im Wasser des Brunnens, Paare schlenderten Arm in Arm über den Platz und Osterferien-Touristen, bewaffnet mit Fotoapparaten und Reiseführern, suchten nach dem Aufstieg zur Godesburg. Jan blinzelte in die Sonne, nahm einen Schluck Weißwein und stöhnte wohlig auf. Er genoss den Moment in vollen Zügen. Sich an den Kleinigkeiten des Lebens zu erfreuen, ist eine Fähigkeit, die sich erst im fortschreitenden Alter voll entfaltet, dachte er.

„Es ist mir ein Rätsel, warum sie diese Lies-Aktion immer noch nicht verboten haben?“, fragte seine Schwester neben ihm und zeigte auf den Büchertisch, der prominent mitten auf dem Platz stand. „Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit oder die falschverstandene, ewig dehnbare Toleranz der Gutmenschen-Gesellschaft“, erwiderte Jan. „Vielleicht sind die aber auch schon längst verboten, nur der deutsche Staat schafft es mal wieder nicht, sein Recht durchzusetzen. Keine Ahnung.“ 1

„Weiß doch inzwischen jeder, dass da eine salafistische Propagandamaschinerie hinter steckt, die über ein verzweigtes Unterstützernetzwerk seit Jahren den IS finanziert, und dass diese Verteilkampagne auch zur Rekrutierung neuer Kämpfer dient“, empörte sich Griet. Sie schüttelte den Kopf. „Verstehe nicht, warum sich unser Staat mit einem Verbot so lange Zeit lässt.“

„Ja, so ist das mit der Rechtsstaatlichkeit. Ist ein hohes Gut, welches es auch in schweren Zeiten zu verteidigen gilt. Andererseits fragt man sich schon, wie wehrhaft unsere Demokratie ist, wenn sie sich von Extremisten am Nasenring durch die Manage des Populismus und der ständigen Provokation führen lässt.“

Jan schaute auf die Uhr: kurz nach 17.00 Uhr. „Apropos, Extremisten … Wenn wir gleich noch den Aus dem Nichts im Kino sehen wollen, lass uns mal so langsam.“

Ausgestattet mit einem Eis schlenderten sie langsam durch die Innenstadt von Bad Godesberg Richtung Kinopolis. „Och, Kleiner. Ist ja fast so wie in Riad hier“, entfuhr es seiner Schwester beim Anblick der vielen schwarz-verschleierten Frauen. „Arabische Schriftzeichen, Koran-Verteilung auf dem Marktplatz, jede Menge Nikab-Trägerinnen, fehlt nur noch der öffentliche Hinrichtungsplatz.“ Jan grinste und dachte an den damaligen Besuch bei seiner Schwester und seinem Schwager, als diese für einige Jahre beruflich in der saudischen Hauptstadt Riad gelebt hatten. Ein befremdliches und zugleich faszinierendes Land. „Das kann ich noch toppen. Lass uns nach dem Kino mal einen anderen Weg zu mir nach Hause nehmen – den über die Koblenzer Straße. Im Volksmund Bagdad-Allee genannt. Die ist fest in arabischer Hand mit rein arabischen Läden, Teehäusern und Restaurants.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Aber naja, direkt an der B9 und dahinter gleich die Bahnlinie, da will kein Biodeutscher mehr wohnen. Ohne die ganzen Araber und reichen Medizin-Touristen wäre die Godesberger Innenstadt wahrscheinlich mausetot.“

Es war bereits dunkel, als sie das Kino am Moltkeplatz verließen. Angeregt unterhielten sie sich über den Film. Sie waren sich einig, dass die Oskar-Nominierung für das intensive Spiel der Hauptdarstellerin Diane Kruger mehr als verdient war. Als sie von der Koblenzer in die Plittersdorfer Straße abbogen, sah Jan bereits von weitem den quer vor dem Bahnübergang stehenden Polizeiwagen. Das Auto versperrte die Durchfahrt der schmalen Straße. Ein zuckendes Blaulicht durchschnitt die Dunkelheit und tauchte die Umgebung in ein gespenstisches grell-blaues Flackern. Auf dem Seitenstreifen, direkt vor den Bahngleisen, parkte ein großer Mannschaftstransporter. Rechts daneben schimmerte ein gleißender Lichtkegel und bildete in der Dunkelheit einen unnatürlichen Strahlendom. Sie näherten sich langsam von hinten einer kleinen Menschenmenge, die vor einem rotweißen Flatterband stand, welches quer über den Bürgersteig gespannt war. Gut zwei Dutzend Passanten reckten neugierig die Köpfe, einige hatten ihre Smartphones gezückt und filmten die Szenerie. „Hm, da ist anscheinend was passiert. Wahrscheinlich mal wieder ein Selbstmörder, der sich vor den Zug geschmissen hat“, raunte Jan seiner Schwester zu. „Lass uns schauen, ob wir auf der anderen Straßenseite rüberkommen.“ Sie bahnten sich den Weg durch die Schaulustigen auf die Straße.

„Ach, da schau her, die Kollegin Fei“, rief Jan, als sie auf Höhe des quer stehenden Einsatzautos angekommen waren. Melanie Fei, die junge Kommissarin aus dem Team von Hauptkommissar Klaus Ebner von der Bonner Kriminalpolizei, stand etwas abseits und telefonierte. Als sie Jan erblickte, winkte sie ihm zu und gab ihm mit einer knappen Geste zu verstehen, dass er warten solle. Als sie ihr Telefonat beendet hatte, kam sie mit einem freudigen Gesichtsausdruck auf ihn zu: „Guten Abend, Herr van Ridder, schön Sie mal wieder zu treffen.“ Jan stellte seine Schwester vor. Die blonde Kommissarin gab ihr die Hand: „Sehr erfreut, Frau Lohmann. Ihr Bruder ist uns bei unseren Ermittlungen regelmäßig eine wichtige Unterstützung. Beim letzten großen Fall rund um den Rüstungsskandal im vergangenen Dezember hat er maßgeblich zur Aufklärung beigetragen. Und besonders mir hat er bei der Vernehmung des Haupttäters entscheidende Hinweise gegeben, die schließlich zur Lösung geführt haben. Das vergesse ich ihm nie!“, Melanie Fei strahlte ihn warmherzig an.

Jan war die unerwartete Lobeshymne peinlich. Fehlt nur noch, dass sie mir gleich um den Hals fällt. Verlegen trat er von einem Bein auf das andere. „Was ist denn passiert?“, wechselte er das Thema. „Wir haben vor einer Stunde eine Frauenleiche im Schotterbett der Gleise direkt hier vorne gefunden.“ Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung des erleuchteten Lichtkegels. Jan erkannte dort mehrere in weiß gekleidete Gestalten, die gebückt den Boden absuchten. „Doktor Peters und sein Team von der Spurensuche sind schon bei der Arbeit“, ergänzte die Kommissarin. „Die Zeit drängt. Wir sind angehalten, die Strecke möglichst schnell wieder freizugeben. Die Deutsche Bahn und die Verkehrsbehörden machen Druck. Verständlich, ist doch die Rheintalschiene eine der meistbefahrenen Bahnstrecken in Europa.“

Es entstand eine Pause. Jan musterte die Kommissarin. Sie sah müde und abgekämpft aus. Ihr langes, blondes Haar hing strähnig herab, Augenringe zeichneten sich auf der hellen Haut ab, ihre Lippen sahen spröde und rissig aus.

„Und, wisst Ihr schon was?“, fragte Jan – nicht wirklich interessiert, mehr um die Stille zu durchbrechen.

„Naja, nicht wirklich. Alles noch zu frisch. Aber wir scheinen da ein größeres Problem zu haben.“ Die Ermittlerin stockte und schaute Jan abwartend an. „Ok. Ihnen darf ich es ja bestimmt sagen: Es ist innerhalb von zwei Wochen bereits die zweite Frauenleiche in Bad Godesberg.“

Jan fragte zögerlich: „Ist das ungewöhnlich für eine Stadt der Größe Bonns? Ich habe keine Ahnung, wie viel Mord und Totschlag so auf 320.000 Einwohner statistisch anfallen …. äh dürfen … äh normal sind?“ 2

Im Hintergrund flammten Blitzlichter von Kameras auf. Entweder war die örtliche Presse eingetroffen oder es waren Gaffer, die als private Möchtegern-Sender den frischen Fang gleich Online stellen und die Sensationsgier nach negativen News im Äther möglichst in Real Time bedienen wollten.

„Nicht unbedingt“, erwiderte Melanie Fei. Sie zog Jan zur Seite und flüsterte: „Aber zwei junge Frauen arabischer Herkunft innerhalb von kurzer Zeit. Beide streng gläubige Muslimas. Sie wissen schon, volle Verschleierung. Und dann noch recht übel zugerichtet … und dass nach dem gleichen Muster. Wenn Sie mich fragen, kündigt sich da, wenn wir Pech haben, eine Serie an.“ Jan wollte nachfragen, als sich von hinten jemand näherte. „Melanie, kannst Du mal kommen!“

„Ach, unser Hobby-Ermittler van Ridder ist auch schon zur Stelle. Guten Abend.“ Kommissar Peter Michalke klopfte ihm zur Begrüßung freundschaftlich auf die Schulter, wandte sich aber gleich wieder an seine Kollegin: „Melanie, wir brauchen jetzt dringend einen Dolmetscher. Wie siehts aus? Hast Du was erreicht? Die Anwohner aus dem angrenzenden Haus sprechen alle nur Arabisch oder Persisch oder was auch immer. Wir haben von denen zwar schon die Personalien aufgenommen und überprüft, aber wir müssen jetzt zügig die ersten Befragungen durchführen. Problem ist, dass die Arabs …“, er stockte kurz, „äh die meisten von denen nicht richtig Deutsch können – behaupten sie zumindest.“ Er kräuselte verächtlich die Lippen.

„Das gestaltet sich schwierig“, entgegnete sie. „Habe eben nochmal in der Zentrale nachgefragt. Unsere Bonner Übersetzer sind belegt. Wir haben Köln angefragt. Die können zwar jemanden abstellen, aber der wird frühestens in zwei Stunden hier eintreffen.“ „Mist. Wir müssen die Typen zeitnah befragen, solange der Tatort und die Eindrücke noch frisch sind. Außerdem kommt Cheffe gleich höchstpersönlich vorbei. Und wie ich Klaus kenne, wird er als erstes wissen wollen, was die Befragungen ergeben haben.“ Michalke wirkte fahrig.

„Ich kann nochmal anrufen. Aber bringen wird das nichts“, gab Fei zu Bedenken. „Den chronischen Mangel an Personal bei uns werden wir heute Nacht sicherlich nicht auflösen.“

Michalke schaute sich hektisch um und murmelte vor sich hin: „Scheiße. Und dieser ganze Aufriss nur wegen dieses Packs.“ „Meine Schwester hier…“, Jan deutete mit einem Kopfnicken in ihre Richtung, „also meine Schwester hat ursprünglich Arabistik und Islamwissenschaften studiert, spricht Arabisch und kennt sich in dem Kulturraum aus. Vielleicht kann sie behilflich sein?“ „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, eine Zivilistin hinzuziehen, die nicht offiziell für polizeiliche Vernehmungen zugelassen ist. Nicht, dass uns das hinterher bei gerichtsverwertbaren Anschuldigungen auf die Füße fällt und von irgendwelchen windigen Verteidigern in der Luft zerrissen wird.“ Der Kommissar schüttelte seinen gelockten Kopf. „Auf der anderen Seite, wenn wir die Befragungen erst in zwei, drei Stunden durchführen, haben sich die eventuell Tatverdächtigen längst abgesprochen und eine passend abgestimmte Aussage zurechtgelegt.“

„Lass uns auf Klaus warten. Soll der das entscheiden. Er müsste gleich da sein“, schlug seine Kollegin vor.

„Was soll ich entscheiden?“ Eine tiefe Stimme von hinten. Hauptkommissar Klaus Ebner kam mit weit ausladenden Schritten herangestürmt.

Nach einer kurzen Unterredung mit seinen beiden Mitarbeitern, in der sie ihm eine Lagebeschreibung gaben, wandte sich der Hauptkommissar an Jans Schwester: „Frau Lohmann, wenn Sie bereit wären, uns auszuhelfen, würde ich das Angebot sehr gerne annehmen. Ich müsste Sie kurz einweisen, was es zu berücksichtigen gilt und würde Sie aufgrund der gebotenen Dringlichkeit und der besonderen Lage als polizeiliche Aushilfe belehren und akkreditieren. Einverstanden? Trauen Sie sich das zu?“ Jans Schwester nickte. Sie berichtete stichwortartig, dass sie im Rahmen ihres Studiums längere Zeit in Damaskus einen Sprachlernaufenthalt absolviert und später nochmal für drei Jahre in Riad gelebt hatte und über ihren Mann, der beim BKA beschäftigt war, tiefere Einblicke in die Polizeiarbeit habe. Durch ihr aktuelles Engagement in der Flüchtlingshilfe pflege sie immer noch regelmäßig ihre arabischen Sprachkenntnisse. Jan konnte ihr ansehen, dass sie sich auf den unerwarteten Einsatz freute und das Ganze als abwechslungsreiches Abenteuer ansah.

Klaus Ebner war über die unverhofft vorhandenen Dolmetscherkompetenzen sichtlich erleichtert. Er rieb sich tatkräftig die Hände: „Und Jan, Du gehst nach Hause. Ein Zivilist am Tatort reicht. Wir fahren Deine Schwester hinterher bei Dir vorbei.“ Klaus Ebner schaute ihn eindringlich an. Widerspruch zwecklos, war die unmissverständliche Botschaft. Jan wollte protestieren, doch der Hauptkommissar hatte ihm bereits den Rücken gekehrt und seine Schwester zur Seite gezogen. Er redete mit seiner sonoren Bassstimme in einem ruhigen Tonfall auf sie ein.

Jan trottete schmollend allein nach Hause.

1 Die von Ibrahim Abou-Nagie gegründete und geleitete Gruppierung Die wahre Religion, welche die Koranverteilungskampagne „Lies!“ organisierte, wurde am 15. November 2016 vom Bundesministerium des Innern verboten.

2 Die Frage kann der Autor beantworten. Laut Polizeistatistik sind im Jahr 2017 in Bonn fünf Menschen durch Straftaten, sogenannte Kapitalverbrechen, zu Tode gekommen. In fünf anderen Fällen blieb es bei einem Tötungsversuch. Die Aufklärungsquote lag bei 100%. Straftaten gegen das Leben waren im Vergleich zu 2016 (mit 20 Fällen) deutlich rückläufig (vgl. General-Anzeiger vom 08.03.2018, S.17).

Wie wars?

„Nun erzähl schon: Wie war es gestern noch?“

Jan hatte die Nacht kaum geschlafen. Er hatte stundenlang stumpfsinnig durch das typisch belanglose Samstagabend-Fernsehprogramm gezappt und dabei auf seine Schwester gewartet. Diese war erst weit nach Mitternacht nach Hause gekommen. Sie war zu müde, um noch zu erzählen und sofort schlaftrunken im Gästezimmer verschwunden. Jan hatte nur mühsam in den Schlaf gefunden, sich unruhig hin und her gewälzt, um schließlich in einem diffusen Dämmerzustand zu versinken; geplagt von seltsamen und verstörenden Träumen. Zuerst war er über seine Freundin, Mareike, tot im Schotterbett der Gleise, gestolpert. Komplett verschleiert und ganz in schwarz verhüllt. Als er ihren Schleier vorsichtig anhob, starrte ihn aus toten Augen seine Tochter Charlotte an. Anklagend mit wutverzerrten Gesichtszügen. Plötzlich öffnete sie den blutverschmierten Mund und brüllte ihm irgendwelche arabischen Wortfetzen entgegen. Er zuckte zurück und wandte entsetzt den Blick ab. Sah sich hilfesuchend um. Ein ganz in weiß gekleideter, bärtiger Mann rannte mit gezückter Machete auf ihn zu und schrie „Tod allen Ungläubigen!“ Schweißgebadet war er aufgewacht und lag minutenlang benommen im Bett. Dann raffte er sich auf, ging zur Toilette, um anschließend auf der Terrasse eine Zigarette zu rauchen. Danach war ihm schlecht.

Erst gegen frühen Morgen war er eingeschlafen, meinte aber später, erneut wirres Zeug geträumt zu haben. Von seiner Schwester, die in wallenden, weißen Gewändern auf dem Theaterplatz güldene Koranschriften verteilte und dabei flammende Reden über den Islam als einzig wahre Religion geschwungen hatte. Unterstützt von einer hasserfüllt brüllenden Horde bärtiger IS-Kämpfer, die allen Ungläubigen die ewige Verdammnis in der Hölle prophezeiten und dabei mit ihren Maschinengewehren wahllos in die Menge feuerten. Der Theaterplatz war übersät mit stöhnenden Sterbenden und zerfetzten Leichen. Auf einem Berg blutender Körper thronte seine Schwester, rezitierte ohne Unterlass Suren aus dem Koran und peitschte ihre Gotteskrieger zum Heiligen Krieg an.

Am Frühstückstisch löcherte er neugierig seine Schwester, die jetzt nicht mehr in einem langen, weißen Umhang vor ihm saß, sondern in einem seiner alten, verwaschenen, grauen Schlafanzüge. Statt Leichen lag vor ihr ein halbes Brötchen mit Lachs und Meerrettich. „Wie wars? Was habt Ihr rausgefunden?“

„Nicht viel“, antwortete Griet müde. „Keiner hat etwas gesehen oder gehört“, fasste sie das Ergebnis der nächtlichen Anwohnerbefragungen zusammen. Die Kinder des Lebensmittelhändlers, dessen Laden sich in dem Haus direkt neben den Bahnschienen befand, hatten die Leiche der Frau gegen 18.00 Uhr entdeckt. Zuerst getrauten sie sich nicht, ihren Eltern etwas von dem grausigen Fund zu erzählen, da ihnen das Spielen an den Gleisen strengstens verboten war, aufgrund der akuten Lebensgefahr durch die stark befahrene Eisenbahnstrecke. Später beim Abendessen aber konnte der kleinere von den beiden Jungs nicht mehr an sich halten und berichtete aufgeregt von ihrer Entdeckung. Der Vater hatte umgehend die Polizei informiert, die gegen 19.20 Uhr vor Ort eingetroffen war.

In dem alten Haus wohnten verteilt über drei Geschosse vier Parteien; insgesamt 13 Personen. Im Erdgeschoss befand sich der Gemüse- und Fleischladen mit einer angrenzenden kleinen Wohnung, in der die alte Mutter des Ladenbesitzers mit ihrem zweiten, alleinstehenden Sohn wohnte. Im ersten Obergeschoss wohnte der Ladenbesitzer mit seiner Frau und seinen beiden Jungs. Im zweiten Obergeschoss gab es zwei Wohnungen: dort lebten ein kinderloses Ehepaar und ein weiteres Paar mit zwei kleinen Mädchen im Säuglingsalter. Im Dachgeschoss schließlich noch eine winzige Wohnung eines älteren Kurden. Der Mann war bereits vor 12 Jahren vor dem Unterdrückungsapparat des Diktators Saddam Hussein aus dem Nordirak geflohen. Die anderen Bewohner kamen ebenfalls aus dem Irak und waren in den letzten acht Jahren aufgrund der Golf-Kriege und der US-Invasion nach Deutschland gekommen. Die Familie des Gemüsehändlers waren Sunniten, die Eltern mit den beiden kleinen Mädchen ebenfalls. Der Ehemann schien ein Cousin der Frau des Lebensmittelhändlers zu sein. Das kinderlose Paar Schiiten, die erst vor einem Jahr nach Deutschland gekommen waren – geflohen vor dem sunnitischen Terror des IS.

Der kurdische Mann kam erst nachts im Lauf der Vernehmungen nach Hause. Er konnte anhand mehrerer Zeugen belegen, dass er – wie jedes Wochenende - den ganzen Abend in einem Teehaus an der Koblenzer Straße beim Kartenspielen und Wasserpfeife-Rauchen verbracht hatte. Die anderen Bewohner hatten sich zwar ab dem Nachmittag im Haus oder im Hinterhof aufgehalten, konnten jedoch glaubhaft machen, dass sie von dem Verbrechen am Bahndamm nichts mitbekommen hätten. Der Hinterhof war durch einen zwei Meter hohen, blickdichten Lärmschutzzaun aus Metall vom Gleiskörper getrennt, so dass niemand etwas gesehen hatte. Dazu übertönte der ständige Krach der vorbeifahrenden Züge und der Lärm des Autoverkehrs der Straße jedes Geräusch.

Griet biss lustlos in ihr Lachsbrötchen und beendete mit vollem Mund ihren Bericht: „Ansonsten die üblichen Spielchen. Wie sich später herausstellte, konnten bis auf die alte Oma und das kinderlose Ehepaar alle anderen ganz passabel deutsch, der Händler und seine Söhne sogar fließend. Die Oma war angeblich blind, hatte mich aber zum Schluss – als ich in meinem blumigsten Arabisch die wunderbaren Nomadenteppiche in ihrer Wohnung gelobt habe - auf meinen Schmuck angesprochen. Das wars auch schon. Wie Du siehst, hast Du nichts verpasst, Bruderherz.“

Seine Schwester würgte den Bissen herunter und griff zu ihrer Kaffeetasse. „Aber Deine Polizeikollegen haben da noch einiges zu tun. Die Verwandtschaftsverhältnisse in dem Haus erscheinen mir nicht stimmig zu sein. Vor allem dieser angebliche zweite Sohn beziehungsweise Bruder des Ladenbesitzers kommt mir viel zu jung vor oder anders herum die angebliche Mutter dann wiederum zu alt.“ Sie unterdrückte nur mühsam ein Gähnen. „Ich bin nicht mehr gewohnt, so spät ins Bett zu gehen. Aber spannend war es schon. Und mein Arabisch funktioniert immer noch.“ Trotz aller sichtbaren Müdigkeit strahlte sie ihren Bruder an.

Jan schenkte ihr Kaffee nach und goss sich selbst noch einen Tee ein. Hunger hatte er keinen. Das angebissene Brötchen mit der inzwischen an den Rändern aufkräuselnden Lachsscheibe lag trostlos auf seinem Teller. Er überlegte: irgendetwas konnte bei den Ausführungen seiner Schwester über die Hausbewohner nicht stimmen. Er müsste deswegen dringend seine Tochter anrufen. Wenn er sich richtig erinnerte, kannte Charlotte einen der Hausbewohner aus gemeinsamen Schulzeiten.

„Aber dieser Kommissar Michalke ist schon ein komischer Vogel. So ein verkappter Rassist in Uniform, wenn Du mich fragst.“ Seine Schwester biss erneut in ihr Brötchen, Krümel fielen auf den Teller. Während sie kaute, knisterte es aus ihrem Mund.

Jan runzelte die Stirn: „Wie kommt Du denn da drauf?“

„Naja, er sprach immerzu von dem Pack, Arabs und Schmutzfüßen und wenn er mit einigen Kollegen alleinstand und dachte, dass ihn keiner von uns höre, bezeichnete er die Hausbewohner als Kameltreiber und Gesocks. Der ist bestimmt AfD-Wähler und Pegida-Mitmarschierer.“

„Ach Quatsch. Der ist bei der Polizei und damit im Staatsdienst. Da geht doch so was gar nicht“, warf Jan ein.

„Ach Gottchen, sei doch nicht so naiv, Jan. Gerade bei der Polizei wimmelt es von solchen Typen. Siehe die aktuellen Vorkommnisse in Hessen.“ Seine Schwester leerte ihre Kaffeebecher und hielt ihm den leeren Humpen unter die Nase: „Service, einmal nachfüllen bitte.“

Sie hielt sich die dampfende Tasse vors Gesicht und pustete in das heiße Getränk: „Um 12.30 Uhr soll ich ins Präsidium zu Deinem Klaus Ebner kommen, um nochmal meine Eindrücke und die Befragungsprotokolle durchzugehen. Lust habe ich ja keine. Würde lieber nach der ganzen Aufregung ein Mittagsschläfchen machen.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee, verzog schmerzhaft das Gesicht, weil sie sich verbrüht hatte und stellte den Becher ab: „Aber was tut man nicht alles als treu ergebene Staatsbürgerin. Fährst Du mich hin?“

„Ja, klar. Bin zwar auch hundemüde. Aber auf dem Rückweg können wir zu der Gurlitt-Ausstellung ins Museum gehen. Soll sehr gut sein.“ Er gähnte ausgiebig, die Müdigkeit seiner Schwester hatte ihn angesteckt.

Diesmal wollte sich Jan nicht von dem Hauptkommissar abwimmeln lassen. Entweder Schwester und Bruder im Doppelpack oder keinen von beiden. Dann lieber Mittagsschlaf und Kultur.

Lagebesprechung im Polizeipräsidium: Wo stehen wir? Von Leichenfäulnis, Leichenflecken, Verwesung und dem Zeitpunkt des Todes

Ach, es ist so dunkel in des Todes Kammer,

Tönt so traurig, wenn er sich bewegt

Und nun aufhebt seinen schweren Hammer

Und die Stunde schlägt.

Matthias Claudius (1740-1815)

Sonntag, 25. März

Hauptkommissar Ebner hatte sein Kernteam bereits um 9.00 Uhr an diesem Sonntag zu einer ausführlichen Lagebesprechung in den Konferenzraum des Bonner Kommissariats einbestellt.

Neben Peter Michalke und Melanie Fei waren Doktor Peters, der Chef der Spurensicherung und Kriminaltechnik, und Doktor Hübner, Chef der Rechtsmedizin, anwesend.

Doktor Hübner berichtete als erster, da er – obwohl die Untersuchung der toten Frau noch nicht abgeschlossen war – bereits jetzt einige Erkenntnisse hatte, die seiner Meinung nach von entscheidender Bedeutung für die weitere Ausrichtung der Ermittlungen waren. „Ich fasse den vorläufigen Stand unserer bisherigen Obduktionsergebnisse zusammen. Nach Abschluss sämtlicher postmortaler Untersuchungen und Auswertungen der Laborbefunde aus der chemisch-toxologischen, bakteriologischen und molekularbiologischen Diagnostik erhalten sie meinen ausführlichen Bericht. Ich denke mal Montagabend, spätestens Dienstagmittag.“ Auch heute machte der Doktor seinem Ruf als eitler und sendungsbewusster Mann alle Ehre. Er trug einen dunkelbraunen Cordanzug, darunter ein blassblaues Hemd, dazu farblich abgestimmt ein Einstecktuch und einen locker gebundenen dunkelroten Seidenschal. „Also, zweifelsfrei handelt es sich um eine unnatürliche Todesursache. Um Mord. Die Frau ist erstochen worden. Und zwar mit einem einzigen gezielten Stich direkt ins Herz. Fundort ist nicht gleich Tatort. Das kann ich jetzt schon mit 100%iger Sicherheit sagen. Dazu findet sich zu wenig Blut am Fundort. Und Blutverlust muss die getötete Frau reichlich gehabt haben. Neben der bereits tödlichen Stichwunde ist die Frau – lassen sie es mich mal so sagen – teilweise ausgenommen worden. Im Vaginalbereich finden sich zwei tiefe Schnitte - jeweils vertikal nach oben und unten verlaufend. Es fehlt die Gebärmutter und einige angrenzende innere Organe. Und bevor sie fragen: Nein, die haben wir nicht am Fundort gefunden, wie mir Kollege Peters mitteilte. Dieser Vorgang muss mit einem massiven Blutverlust einhergegangen sein. Aber wie ich bereits sagte: An der Liegestelle im Gleisbett und in der näheren Umgebung waren kaum Blutanhaftungen vorhanden. Aufgrund der Stichkanäle beziehungsweise Schnittmuster lässt sich als Tatwerkzeug auf zwei unterschiedliche Messer schließen. Das eine spitz und lang, dass andere kürzer und leicht gebogen, aber sehr scharf.“ Doktor Hübner schaute auf seine Notizzettel: „Was haben wir noch? Keine Spermaanhaftungen, weder intravaginal oder exogen. Soweit wir das noch aufgrund der massiven Schnittverletzungen im Vaginalbereich feststellen konnten. Keinerlei sonstige Hinweise auf sexuelle Handlungen, weder vor dem Todeszeitpunkt noch postmortal – sprich nekrophil.“

„Können Sie schon etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“

„Schwierig, werte Kollegen, schwierig. Da wir in diesem Fall den für eine annähernd exakte Eingrenzung der Todeszeit so wichtigen, frühen postmortalen Intervall 3 verpasst haben, kann ich den Todeszeitpunkt nur indirekt und wage bestimmen. Um sie an meinen analytischen Überlegungen teilhaben zu lassen, wie ich dennoch zu einer vorläufigen Einschätzung des Todeszeitpunktes gekommen bin, muss ich etwas weiter ausholen.“ Melanie Fei beobachtete, wie Klaus Ebner die Augen verdrehte und kaum hörbar aufstöhnte. Die vorlesungshaften Ausführungen des Rechtsmediziners, bei denen sich der Selbstdarsteller nur ungern unterbrechen ließ, waren im Polizeipräsidium berühmt-berüchtigt. Hübner ignorierte das Stöhnen des Hauptkommissars und fuhr ungerührt mit seinem Monolog fort: „Insgesamt weist der Leichnam eine erstaunliche Blutarmut auf, ist bereits vollständig und gleichmäßig erkaltet und weist daher so gut wie keine der sonst üblichen Merkmale wie Leichenflecken, Leichenfäulnis und -verwesung auf. Die Leichenfäulnis zeigt sich normalerweise in einer schmutzig-grünlichen Verfärbung der oberen Hautschichten, im fortgeschrittenen Stadium auch einhergehend mit blasigen, teilweise großflächigen Ablösungen der Oberhaut. Während die Bakterien, die beim Menschen vor allem die Darmflora besiedeln, bei Lebenden durch die Schleimhautbarriere im Darm und vom körpereigenen Immunsystem in Schach gehalten werden, breiten sich diese Bakterien nach dem Tod im gesamten Körper aus und vermehren sich explosionsartig. Dieser Prozess wird maßgeblich von der Umgebungstemperatur determiniert. Je wärmer desto schneller, so dass die grüne Farbe der Leichenfäulnis bereits nach einem Tag einsetzen kann. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt kommt es zu keinerlei Auftreten von Leichenfäulnis. Leichenflecken treten dagegen als bläulich violette Verfärbung der Haut auf. Diese Flecken bilden sich mit Eintritt des Todes und Stillstand des Herzschlages im Bereich der größeren Blutgefäße im Unterhautfettgewebe, in dem das Blut - bedingt durch die Schwerkraft - in den Gefäßen absinkt. Je nach Lage des Körpers treten Leichenflecken vorne oder auf der Körperrückseite auf. Wir haben es bei der Leichenschau der toten Frau nur mit minimalen blass-rötlichen Leichenflecken im Bereich der Kopfhaut zu tun. Auch die Einschätzung des Todeszeitpunktes gemäß der klassischen Methode, nämlich der Körperkerntemperaturmessung im Enddarm, wobei in der Fachliteratur nach dem Todeszeitpunkt drei Stunden konstante 37 Grad Celsius unterstellt werden und dann eine Verringerung von einem Grad pro Stunde, hilft uns hier nicht weiter, da der Leichnam beim Auffinden gerade mal knapp über vier Grad Celsius gemessen hat. Hierzu muss man allerdings wissen, dass verschiedene Einflussfaktoren wie zum Beispiel Kleidung, Gewicht eine Rolle spielen. Hier sei eine Anmerkung in eigener Sache erlaubt: Darüber handelt meine neue Veröffentlichung, die ich …“ „Herr Doktor, bitte“, unterbrach ihn Klaus Ebner ungehalten. Der Rechtsmediziner schaute für einen kurzen Augenblick missbilligend zu dem Hauptkommissar herüber und konnte sich einen wohldosierten Seitenhieb nicht verkneifen: „Schon gut, schon gut. Wobei wissenschaftliche Grundlagenkenntnisse der Rechtsmedizin auch für ihre Ermittlungsarbeit förderlich wären. Aber nun gut. Das lässt mich zu dem Schluss kommen, dass die Frau bereits mindestens drei bis vier Tage vor ihrem gestrigen Auffinden getötet worden sein muss, dann aufgehängt über einen längeren Zeitraum ausblutete und der Körper dabei anschließend gleichmäßig und stark gekühlt wurde.“

„Das gleiche Muster wie bei der anderen arabischen Frau“, raunte Kommissarin Fei Peter Michalke zu, der neben ihr saß. Der antwortete lapidar: „Quasi Tiefkühlkost.“

„Sowohl die Entnahme der Innereien, als auch die in Anführungsstrichen recht sauberen Schnitte sowie das gesamte Prozedere lassen auf eine gewisse Professionalität schließen. Und - ganz wichtig - eine entsprechende Umgebung, wo der oder die Täter über einen längeren Zeitraum ungestört die Ausblutung der Leiche und deren Kühlung vornehmen konnten. Auch die Entnahme der Gebärmutter muss zu diesem Zeitpunkt stattgefunden haben, wie die bereits ansatzweise verschlossenen Schnittwunden zeigen. Wie Ihnen ja spätestens jetzt aufgefallen sein dürfte, haben wir es bei dieser Leiche allem Anschein nach mit der gleichen Vorgehensweise wie bei der Toten aus der letzten Woche zu tun.“

Die Runde schwieg. Melanie Fei machte sich Notizen, Peter Michalke starrte aus den großen Panoramascheiben ins Freie. Klaus Ebner saß leicht nach vorne gebeugt und schüttelte den Kopf. „Stört Sie etwas an meinen Ausführungen, Herr Hauptkommissar?“, fragte der Doktor gespielt erstaunt. „Nein, nein, alles gut. Fahren Sie fort“, antwortete Klaus Ebner mit matter Stimme.

„Das Alter der Frau schätze ich auf Ende 20. Sie ist allgemein in einem altersadäquaten, guten körperlichen Gesundheitszustand, keine Dehnungsfugen im Beckenbereich oder sonstige Anzeichen für eine Geburt. Das Gebiss, die Haut- und Haarstruktur, die Fuß- und Fingernägel und so weiter lassen auf eine gesunde und gepflegte Frau schließen. Keinerlei Spuren einer früheren OP. Besondere Merkmale ebenfalls keine: keine Tätowierungen, Narben oder Eingriffe der plastischen Chirurgie. Wie eingangs erwähnt stehen weitere Laborergebnisse noch aus. Ich erwarte zum jetzigen Zeitpunkt jedoch keine abweichenden Auffälligkeiten oder wesentlich neue Erkenntnisse.“

Wieder Schweigen. Peter Michalke hatte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Stuhl zurückgelehnt. Die Augen geschlossen. Ganz entspannt. Melanie Fei kam es fast so vor, als würde ihr Kollege mit einem leichten Lächeln auf den Lippen vor sich hinträumen.

„Also, wenn Sie erlauben“, der Rechtsmediziner räusperte sich, eine Spur zu theatralisch und nahm einen Schluck Wasser, „aus Sicht meiner bescheidenen Expertise haben wir hier – wenn wir Opfer Nummer I aus der vergangenen Woche und Opfer Nummer II von gestern sowie alle vorliegenden Merkmale aus den beiden Fällen abgleichen - den Beginn einer Serie.“ Fehlt nur noch, dass der aufgeblasene Fatzke sagt: Viel Spaß damit, dachte Klaus Ebner, der nach wie vor mit leerem, entrücktem Blick auf die Tischplatte starrte.

„Auch wieder so ein Zeichen?“, fragte Melanie Fei.

„Ja, auch bei dieser Leiche haben wir auf dem Bauch ein blutiges Schriftzeichen gefunden. Zwar ein anderes als das beim ersten Fall, aber eine ähnliche Schrift und in der gleichen Machart: frisches Blut – höchstwahrscheinlich das der Toten. Die Blutbestimmung läuft noch. Die Entzifferung beziehungsweise Deutung der Zeichen dauert ebenfalls noch, da diese reichlich verschmiert sind und in einer fremden Sprache. Vermutlich arabisch.“

„Warum dauert das so lange?“, brach es aus Klaus Ebner heraus.

„Weil hier kein Mensch arabisch kann. So international sind wir noch nicht, werter Kollege Ebner. Auch wenn die Statistik über unsere Kundschaft etwas anderes vermuten lässt.“ Nach einer kurzen Pause, in der der Pathologe seine Notizzettel schwungvoll zusammen kramte, beendete er seinen Vortrag mit den Worten: „Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich mich wieder an den Seziertisch begeben wollen. Ich muss heute Nachmittag pünktlich los. Am frühen Abend habe ich in Mainz ein Fernsehinterview über mein neues Buch.“ Klaus Ebner nickte und murmelte ein schwaches Danke, welches Doktor Hübner mit einer huldvollen Geste und „Aber, gerne doch“ im Vorbeigehen quittierte als er den Raum verließ. Es blieb eine süßlich-herbe Duftwolke seines Herrenparfums im Raum zurück. Markant, exquisit und wahrscheinlich sehr teuer.