Athanor 3: Die letzte Bastion - David Falk - E-Book

Athanor 3: Die letzte Bastion E-Book

David Falk

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Beschreibung

Nachdem Athanor das Volk Dions vor der Vernichtung durch die Drachen bewahrt hat, findet er sich auf dem Thron des Reiches wieder. Doch die Verehrung seiner Untertanen ist ihm lästig und die Menschheit dem Untergang näher als je zuvor. Denn die Toten geben keine Ruhe. Uralte Kreaturen, die schon zu Lebzeiten so bedrohlich waren, dass die Götter ihnen den Tod sandten, erheben sich aus Ozeanen und Gebirgen. Auf der Suche nach Antworten erkennt Athanor, was ihnen den Frieden raubt. Aber wie kann er sie für immer in ihre Gräber bannen?

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Inhalt

Vorwort

Der letzte Krieger

1

2

3

4

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7

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9

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Personen

Kurzgeschichte: In der Arena

Lexikon

Interview

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg November 2020 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild, Innengrafiken und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Satz: André Piotrowski ISBN der Printausgabe: 978-3-86402-758-1 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-759-8 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Vorwort

Vorwort zur Neuausgabe von »Die Letzte Bastion«

Es ist mal wieder Zeit für ein paar Geständnisse. Ihr kennt das ja schon … Im Schriftstellerleben läuft manches anders als geplant. So auch bei der Entstehung dieses Romans. Ursprünglich sollte dieser Band nämlich »Die Letzte Schlacht« heißen und das furiose Finale der Athanor-Trilogie sein. Es gab ein Exposé, in dem ich die Geschichte vorab ausgearbeitet hatte, und einen Zeitplan, der auf anvisierten 600 Manuskriptseiten beruhte. Irgendjemand hat sinngemäß mal gesagt: »Einen Plan zu schmieden, ist ein sicheres Mittel, Gott zum Lachen zu bringen.« Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber wenn er existiert, muss er angesichts meiner Planungen ziemlich laut gelacht haben. Gehört habe ich es nicht, sonst wäre ich wenigstens gewarnt gewesen. Nichtsahnend schrieb ich also monatelang vor mich hin – und die Geschichte wurde immer länger und länger. Das lag nicht nur daran, dass die Figuren wie üblich ein Eigenleben entwickelten und ihre eigenen kleinen Handlungsstränge eröffneten, auf die ich vorher nicht gekommen war. Hinzu kam, dass ich unterschätzt hatte, wie grob mein Exposé war. Immer wieder stellte sich heraus, dass ein harmloser Nebensatz im Exposé im Roman plötzlich zwanzig Seiten einnahm oder in mehrere Szenen aufgelöst werden musste, um spannend erzählt werden zu können.

Die Zeit lief ab. Der Abgabetermin nahte. Ich schrieb täglich von morgens bis abends, Wochenenden waren gestrichen. Der totale Stress! Zwei Monate ging das so, dann musste ich Farbe bekennen. Ich musste dem Verlag mitteilen, dass ich den Abgabetermin nicht einhalten konnte, weil das Manuskript längst wie ein ungebremster Zug über die 600-Seiten-Marke gerauscht war und das Ende noch nicht in Sicht.

Zu meinem Glück hatte Carsten Polzin, der damals bei Piper für das Fantasy-Programm verantwortlich war, Verständnis für das Problem, und wir fanden eine Lösung: die Teilung des Manuskripts. So konnte der dritte Band der Reihe rechtzeitig erscheinen und ich den ungeplanten vierten zu Ende schreiben. 1200 Seiten kamen schließlich zusammen. Etwas mehr als das erste Drittel davon haltet Ihr gerade in den Händen: »Die Letzte Bastion«.

Diese erweiterte Neuausgabe enthält nicht nur ein Interview, das Christian Endres für das Magazin »phantastisch!« 2015 mit mir geführt hat, das Ardaia-Lexikon und die gewohnt herausragenden Illustrationen von Timo Kümmel, sondern noch eine besondere Überraschung für Athanor-Fans: meine erste und einzige Athanor-Kurzgeschichte »In der Arena«. Dafür gilt mein besonderer Dank Torsten Low, der diesen Abdruck genehmigt hat, obwohl die Story Bestandteil der lesenswerten Anthologie »Phantastische Sportler« ist. »In der Arena« spielt in Athanors »altem« Leben, bevor die Drachen Theroia vernichtet haben. So lernen wir seine Familie und seinen besten Freund in jenen schicksalhaften Tagen etwas besser kennen.

Timo Kümmel danke ich dafür, dass er die ohnehin schon schönen Landkarten für diese Edition noch einmal aufpoliert, und Guido Latz, weil er diese Sammlerausgabe möglich gemacht hat.

Viel Spaß mit Athanors Abenteuern!

David Falk im September 2020

Der letzte Krieger

»Wogen über Wogen, hoch wie Berge, rollten heran und versprengten das Häuflein der Schiffe.«

– Homer, Odyssee, Dritter Gesang

1

Athanor spähte vom Rücken des Drachen hinunter. Von der Ordensburg der Nekromanten war weit und breit nichts zu sehen. Täuschte Akkamas’ Erinnerung? Suchten sie in der falschen Gegend? Doch in der Felswüste unter ihnen hasteten zwei Basilisken vor der größeren Echse davon. Wo diese Chimären auftauchten, waren auch die Magier nie weit.

Mit waghalsigen Sprüngen hetzten die Biester über Steinblöcke und Geröll auf eine enge Schlucht zu, die ihnen Deckung bot. Ihre zerfetzten Stummelflügel und die verkümmerten Vorderbeine mochten lächerlich wirken, aber davon ließ sich Athanor nicht täuschen. Sie waren schnelle Jäger – und verdammt tödlich. Unwillkürlich tastete er nach seiner notdürftigen Augenklappe. Obwohl er es aus dieser Höhe nicht genau sehen konnte, schielten sie sicher zu ihm herauf. Wenn der alte Dreckskerl gestern nicht gelogen hatte, bewahrte ihn nur diese Maskerade vor ihrem versteinernden Blick.

Akkamas flog ungerührt weiter. Falls der große, bronzefarbene Drache die Chimären bemerkt hatte, schenkte er ihnen keine Beachtung. Seine Augen lagen so weit auseinander, dass ihm ein Basilisk kaum gefährlich werden konnte.

Nur wenn der Nekromant die Wahrheit gesagt hat. Es fiel Athanor schwer, das zu glauben. Sie hatten den Totenbeschwörer in den Ruinen eines niedergebrannten Ordenshauses aufgestöbert und mit wüsten Drohungen zum Reden gebracht. Bald hatte er Antworten hervorgesprudelt und auf Knien um Gnade gebettelt, aber plötzlich einen winzigen Blasebalg gezückt. Athanors Schwerthieb war zu spät gekommen. Die Finger hatten zugedrückt und das Gift versprüht, bevor die abgehackte Hand zu Boden gefallen war. Das Gift, das Menschen in lebende Leichen verwandelte.

»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, rief er gegen den Wind an. »Ich will die verfluchten Schinder mit zum Dunklen nehmen!« Und wer weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt …

Akkamas wandte den in fünf gebogene Hörner auslaufenden Schädel so weit, dass wenigstens ein Auge Athanor ansah. »Für eine Leiche siehst du noch reichlich rosig aus«, tönte die tiefe Drachenstimme.

»Scherzbold«, brummte Athanor. Die Sonne hatte ihn mittlerweile so gebräunt, dass er kaum noch von einem Dionier zu unterscheiden war. »Ich lache dann morgen – wenn ich noch kann.« Er sah lebhaft vor sich, was das Zeug mit Leonem angestellt hatte. Der Elf war bei lebendigem Leib verwest und zu einer knurrenden Bestie geworden, die alles angefallen hatte, was ihr nahe gekommen war.

»Ich glaube nicht, dass du etwas eingeatmet hast. Die meisten Spritzer sind auf dem Kettenhemd gelandet.«

Hoffen wir’s. Es gab ruhmreichere Arten zu sterben, und er wollte sie nicht alle ausgelassen haben, um jetzt wie ein tollwütiger Hund zu krepieren.

»Davon abgesehen: Wir sind fast da«, behauptete Akkamas.

Überrascht sprang Athanor auf. Die Muskeln des Drachen bewegten sich unter seinen Füßen, doch solange sich Akkamas nicht zur Seite neigte, bot die geschuppte Haut genügend Halt. Athanor musste nicht einmal nach dem Stachelkamm greifen, der sich der Länge nach über den Drachenrücken zog.

Außer ein paar vereinzelten Bergen ragte nichts aus der felsigen Gegend auf. »Ich kann keine Festung entdecken.«

»Ich fliege direkt darauf zu.« Akkamas deutete mit der Schnauze zum Horizont.

Meinte er den ungewöhnlich gleichmäßigen Bergkegel voraus?

Athanor kniff die Augen gegen den Wind zusammen, aber so genau er auch hinsah, er konnte weder einen Turm noch Mauern entdecken. Nun gut. Auch die alte Ordensburg, in der sich die Dionier gegen die Drachen verschanzt hatten, war kaum mehr als ein riesiger ausgehöhlter Fels. Gewachsener Stein, in dem Vindur nun zur letzten Ruhe lag. Die Erinnerung an den Freund machte Athanor das Herz schwer, aber ihm war, als ob ihm der Zwerg gerade kräftig in den Hintern trat. »Wenn ich diesem Giftzeug widerstanden habe, schaffst du das auch!«

Athanor musste schmunzeln. In der Tat. Vindur hatte so vielen Gefahren getrotzt, dass es am Ende ein Heer von Drachen gebraucht hatte, um den sturen Kerl wieder mit seinem Schildbruder zu vereinen. Und ich lebe immer noch. Athanor war nicht sicher, ob es ihm gefiel.

»Die Festung liegt im Innern des erloschenen Vulkans«, bestätigte Akkamas. »Die alten Völker Dions haben sie in den Basalt geschlagen.«

Vielleicht hatten sie Zwergenblut in den Adern. Athanor musterte die schroffen Hänge. Ein perfektes Versteck. Obwohl es in den Spalten des Gesteins mit Sicherheit Schießscharten gab, war von Weitem nichts zu erkennen. Als sie näher kamen, entdeckte er am Fuß des Bergs ein geschlossenes Tor. Es würde Akkamas’ Drachenfeuer nicht lange standhalten, aber bis es so weit war, boten sie Geschützen ein zu gutes Ziel. »Wie kommen wir rein?«

»Von oben«, antwortete Akkamas und schwang sich höher hinauf, bis sie über dem Gipfel kreisten.

Unter ihnen gähnte der Krater des alten Vulkans. Athanor neigte sich vor, um bis zum Grund zu spähen. Die steilen Wände reichten mehrere Stockwerke tief hinab. Mit ihren Fenstern und von Säulen gestützten Galerien ähnelten sie eher dem Innenhof eines düsteren Palasts denn einer Festung. Nichts rührte sich, doch in den Schatten der Gänge konnte sich eine halbe Armee verbergen.

Athanor rückte Bogen und Köcher auf seinem Rücken zurecht, stülpte sich den dionischen Helm aus Nemeras Rüstkammer über und löste Schild und Speer von dem Hornstachel, an den er sie geknotet hatte. Den Arm durch die Lederschlaufen des Schilds zu schieben und den Speer zu umfassen, war ihm in den Jahren des Kriegs so in Fleisch und Blut übergangen, dass es sich anfühlte wie nach Hause zu kommen. Sobald er die Finger um die Waffen schloss, war er bereit, Leben zu nehmen und das eigene für den Sieg zu geben. »Räuchern wir die Schweine aus!« Es wurde Zeit, dass diese Untotenplage ein Ende fand.

Getragen von seiner Magie und kräftigen Flügelschlägen sank Akkamas in den Krater hinab. Im Vorüberschweben ließ Athanor den Blick über die leeren Galerien und dunklen Nischen schweifen. Die Festung blieb gespenstisch still.

»Achtung!« Athanor riss den Schild höher. Auf einem der Wandelgänge lösten sich Gestalten aus den Schatten und traten lautlos ans steinerne Geländer. Sie bewegten sich langsam, hoben keine Waffen. Von Tod und Verwesung entstellte Gesichter blickten Athanor mit leeren Augenhöhlen an. Einigen hing das faulende Fleisch noch in Fetzen von den Knochen. Schwarze Roben … Hatte er etwa untote Nekromanten vor sich? Athanor wagte nicht, sie aus dem Auge zu lassen, während Akkamas ohne Hast weitersank. Einträchtig standen sie neben ihren Opfern, geraubten Leichen aus den Grabkammern Dions, von der Wüstenluft ausgedörrt. Was ging in diesen Untoten vor?

Sobald Akkamas’ Klauen den Boden berührten, sprang Athanor ab und brachte den Drachen zwischen sich und den Feind. Noch immer sahen die Wiedergänger stumm zu ihm herab. Warum griffen sie nicht an? Und weshalb nur diese eine Galerie?

»Willst du sie verbrennen, bevor sie sich’s anders überlegen?«, fragte er, ohne den Blick von ihnen zu nehmen.

»Nein«, erwiderte der Drache und schrumpfte so rasch, dass seine Umrisse verschwammen. Oder lag es an der Magie der Verwandlung? Im nächsten Moment stand Akkamas in menschlicher Gestalt auf dem plötzlich weit und leer wirkenden Hof. »Sie sind nebeneinander aufgereiht«, erklärte der in dionische Gewänder gehüllte Krieger und gürtete das darüber getragene Kettenhemd mit dem Schwertgurt, den er auf seinem Rücken mitgebracht hatte. »Ich müsste mehrere Flammenstöße verschwenden.«

Athanor brummte zustimmend, obwohl ihm die Antwort nicht schmeckte. Seit sie gemeinsam hinter den letzten Nekromanten herjagten, um ihnen das Handwerk zu legen, wusste er, dass auch die Kräfte des Drachen ihre Grenzen hatten. Wachsam musterte er Türen und Galerien, bis sein Freund Speer und Schild in den Händen hielt. »Gehen wir rein und machen dem Spuk ein Ende.« Entschlossen schritt er zur nächsten Tür und trat dagegen, dass sie halb barst, halb aufflog. Dahinter war es dunkel. Athanor hielt den Speer bereit zum Stoß und stieg über die Schwelle. Er erwartete, dass sich ein hungriger Basilisk auf ihn stürzte, doch nur seine eigenen Schritte hallten in dem hohen Gang.

»Ziemlich finster«, befand Akkamas, der nun ebenfalls eine Klappe vor einem Auge trug. Neben ihnen gleißte eine erloschene Fackel in magischem weißem Feuer auf. Athanor wechselte den Speer in die Schildhand und nahm sie von der Wand. Gegen Untote waren Flammen ohnehin die bessere Waffe. Aber gegen ihre lebenden Herren?

Rücken an Rücken drangen sie in die Festung vor und stießen oder traten die Türen entlang des Gangs auf – jeder auf seiner Seite. Da sich nichts regte, rückten sie weiter vor, bis sich der Flur in zwei Richtungen verzweigte. Noch hatten sie weder eine lebende noch eine tote Seele zu Gesicht bekommen.

»Irgendetwas geht hier vor«, argwöhnte Akkamas. »Sie wissen doch längst, dass wir hier sind.«

»Vielleicht haben sie sich auf dem Stockwerk dieser einen Galerie verschanzt.«

Akkamas nickte. »Sehen wir dort nach.«

Sein Freund sprach es nicht aus, doch Athanor war sicher, dass Akkamas ebenso mit einer Falle rechnete wie er. Spontan entschieden sie sich für eine Seite und folgten dem Gang auf der Suche nach einer Treppe. Sie ignorierten nun die Türen und kamen viel schneller voran. Immer wieder leuchtete Athanor mit der Fackel über die Wände oder zum Boden hinab. In einem der Ordenshäuser war Akkamas in eine verborgene Schlangengrube gestürzt, weil die vermeintliche Steinplatte darüber nur Illusion gewesen war. Glücklicherweise konnte Schlangengift Drachen nichts anhaben, doch nur die verfluchten Nekromanten wussten, welche Tücken diese Burg für ungebetene Gäste bereithielt. Sei’s drum! Wenn er anfing, vor jedem Schritt den Boden abzuklopfen, verbrachten sie einen ganzen Mond hier.

Endlich stießen sie auf Treppen, von denen eine nach oben und die andere tiefer in den Berg hinabführte. Ohne Zögern eilten sie die Stufen empor, bis Akkamas unvermittelt stehen blieb. »Hörst du das?«

Athanor hielt inne und lauschte. Im ersten Moment war da nur das Knistern der Fackel, doch dann nahm er ein leises Schaben und Knirschen wahr. Es war ein anhaltendes, aber fast unmerklich an- und abschwellendes Geräusch wie das ferne Rauschen eines Wildbachs – und es weckte Erinnerungen. Athanor sah das Heer der Untoten wieder vor sich, eine Armee aus morscher Haut und Knochen, die aus den Ruinen Theroias stieg. »Wiedergänger.«

Akkamas nickte. »Und nicht wenige.«

Das Geräusch kam von unten. »Sie folgen uns.« Athanor lief weiter. Er brauchte eine neue Fackel, bevor die Untoten sie einholten. Auf dem nächsten Treppenabsatz steckte ein weiterer Fackelrest in einer Halterung an der Wand. Warum fanden sie nur erloschene Stümpfe? Waren längst alle Nekromanten aus der Festung geflohen? Doch wenn es keine Herren mehr gab, die sie beschworen und versklavten, weshalb sollten die Toten dann noch umgehen?

Athanor entzündete seinen Fund an der heruntergebrannten Fackel, die ihm bereits die Hand ansengte. Das Knirschen aus der Tiefe kam näher.

»Sie werden uns den Weg abschneiden«, prophezeite Akkamas. »Dann stecken wir zwischen zwei Gegnern fest.«

»Das tun wir bereits.«

»Stellen wir sie, solange wir den Rücken frei haben«, beschloss Akkamas und wandte sich den Stufen nach unten zu, um den Gegner gebührend zu empfangen.

»Wenn sie uns hier in die Zange nehmen, dringen wir nie zu ihren Herren vor«, hielt Athanor dagegen. »Wir müssen das Übel an der Wurzel ausreißen, sonst nimmt dieser Kampf kein Ende.« Ohne Akkamas’ Antwort abzuwarten, eilte er die nächste Treppe hinauf. Rasche Schritte hinter ihm verrieten, dass ihm sein Freund folgte. Athanor stürmte weiter, bis er glaubte, auf Höhe des Säulengangs mit den Untoten zu sein. Doch nach etlichen Abzweigen und Windungen hatte er die Orientierung verloren. »Wo zum Dunklen müssen wir hin?«

Auch Akkamas sah sich unschlüssig um. Die schmucklos aus dem dunklen Gestein gehauenen Wände boten keinen Anhaltspunkt. Von der Treppe aus führten Gänge in drei Richtungen, und so weit der Fackelschein reichte, sahen alle gleich aus. Leise hallten die schlurfenden Schritte zahlloser Wiedergänger herauf. »Nehmen wir einfach an, wir hätten den Krater vor uns, und probieren es aus.«

Athanor knurrte nur und eilte nach links. Wieder kamen sie an mehreren schlichten Holztüren vorbei, aber unter keiner schimmerte Licht hindurch. Sie mussten sich zu weit im Berg befinden, als dass die Räume Fenster zum Hof haben konnten. Allmählich krümmte sich der Gang. Jäh spürte Athanor einen stechenden Schmerz in der Hand und warf die Fackel fort. Der nur noch handbreite Stummel brannte am Boden weiter, während Athanor Ersatz von der Wand nahm.

»Halt mal still!«, raunte Akkamas.

Athanor blieb über die Flammen gebeugt stehen und steckte die neue Fackel an. »Was?«

»Vor uns! Ich kann sie riechen.«

So leise es ging, zog sich Athanor an die Seite seines Freunds zurück und starrte in die Schwärze jenseits des Feuerscheins. Er hörte sie, bevor er die ersten Bewegungen in der Dunkelheit sah. Noch mehr Untote. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Hatten sie die Galerie gefunden? Aber warum fiel dann nicht irgendwo hinter den Wiedergängern Licht herein?

Langsam näherten sich die Untoten der weggeworfenen Fackel. Die vorderste Reihe blieb am Rand des Feuerscheins stehen und sah stumm herüber.

Athanor schnaubte. »Worauf wartet ihr? Neuerdings Angst zu sterben?«

»Vielleicht fürchten sie tatsächlich das Feuer.«

»Das hat sie noch nie aufgehalten. Wenn ihre Herren es befehlen, springen sie.«

»Demnach sollen sie uns nicht töten«, folgerte Akkamas.

»Sondern auf dem Gang herumstehen?«

»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.« Akkamas sprang vor und stach mit dem Speer nach einem Krieger in Lederrüstung, von dem kaum mehr als das Gerippe übrig war. Mühelos drang die Spitze durch den brüchigen Harnisch. Rasch rückte Athanor mit der drohend vorgereckten Fackel nach, doch der Wiedergänger wehrte sich nicht. Die Skeletthand mit dem rostigen Schwert hing herab, und auch kein anderer Untoter rührte sich. Selbst als Akkamas an seinem Speer zerrte, um ihn wieder herauszuziehen, grinste ihn der Totenschädel des Knochenkriegers nur ungerührt an. Verblüfft wichen sie beide zurück.

»Was hat das zu bedeuten?« Athanor versuchte, in den grausigen Mienen zu lesen, doch ebenso gut hätte er sich über die Eingeweide eines Opfertiers beugen können. Von Wahrsagerei verstand er nichts.

»Ich werde einfach weitergehen und nachsehen, ob wir hier richtig sind«, beschloss Akkamas. »Wenn sie mir dumm kommen, gibt es ein Totenfeuer.«

»Gut. Aber beeil dich! Wir werden bald eingeschlossen sein.« Misstrauisch beobachtete Athanor, wie sich sein Freund unbehelligt zwischen die Wiedergänger schob. Im Gegensatz zu ihm beherrschte der Drache einen Zauber, der ihn vor magischem Feuer schützte. Aus einem Flammeninferno würde er unbeschadet zurückkehren, doch gegen eine Klinge in den Rücken war er nicht gefeit.

Wieselflink schlängelte sich Akkamas durch die Menge, bis ihn die Dunkelheit verschluckte. Es kam Athanor vor, als warteten die Untoten auf etwas. Einen Befehl? Einen Anführer?

Weit vor ihm wurde es plötzlich heller. Akkamas? Alarmiert hob er Schild und Fackel, aber schon erlosch der Lichtschein wieder. »Was zum Henker treibst du da?« Es war so voll im Gang, dass seine Stimme nicht hallte.

»Ich habe einen Blick in den Hof geworfen«, rief Akkamas und klang mit jedem Wort näher. »Wir sind falsch.«

»Verdammt!«

Sobald Akkamas in Sicht kam, rannte Athanor den Weg zurück, den sie gekommen waren. Erst bei der Treppe blieb er stehen. Untote betraten gerade die untersten Stufen. Leise Geräusche hinter ihnen verrieten, dass ihnen die anderen Wiedergänger folgten.

»Worauf wartest du?« Akkamas hastete an ihm vorbei, und Athanor eilte ihm nach. Wenn sie sich zuvor auf der falschen Seite des Hofs wiedergefunden hatten, musste diese Richtung stimmen. Doch schon kam im Schein der Fackel eine Wand in Sicht. Bis vor Kurzem war eine Tür darin gewesen, aber jemand hatte die Öffnung mit einer Mauer verschlossen. Der Geruch feuchten Mörtels hing noch in der Luft.

»Hadons Fluch!« Athanor fuhr herum und hetzte den Gang zurück. Die ersten Untoten hatten das obere Ende der Treppe erreicht. Sie bewegten sich ebenso langsam und teilnahmslos wie die anderen, die den gegenüberliegenden Flur entlangkamen, doch Athanor traute ihnen nicht. Blieb nur noch ein Weg – tiefer in den Berg hinein.

Akkamas überholte ihn. »Vor uns ist Licht!«

Da die Fackel Athanor in die Augen leuchtete, konnte er noch nicht sehen, was sein Freund meinte. Erst als sie eine Kreuzung erreichten, nahm auch er den Feuerschein im Gang zur Rechten wahr. Dieser Gang war deutlich höher und breiter als der, aus dem sie kamen, und setzte sich nach links fort. Linker Hand herrschte jedoch Dunkelheit, aus der nun weitere Untote hervortraten. Athanor entfuhr ein Fluch. Wurden sie systematisch eingekreist?

»Egal, wir müssen dorthin«, rief Akkamas und eilte auf das Licht zu.

Wenn das mal nicht der Köder der Falle ist … »Langsam! Du könntest direkt in eine Giftwolke laufen.«

Akkamas nickte und ließ Athanor aufholen. Schild an Schulter rückten sie vor. Im schwachen Gegenlicht zeichneten sich vor ihnen Gestalten ab. Je näher sie kamen, desto mehr.

»Untote«, stellte Akkamas fest. »Allmählich werden sie lästig.«

Nur wenige Speerlängen von den Wiedergängern entfernt blieben sie stehen. Athanor warf einen Blick über die Schulter. Die anderen Untotentrupps hatten sich vereinigt und waren ihnen gefolgt, doch nun kam der Vormarsch zum Stillstand. Die Ruhe vor dem Sturm?

Ein Fauchen ließ ihn wieder nach vorn blicken. Hinter den Wiedergängern loderte eine Barriere aus Flammen auf. Es war gewöhnliches gelbes, kein magisches Feuer und beleuchtete eine breite hohe Tür, auf deren Flügeln goldene Ornamente schimmerten. »Jede Wette, dass sich dahinter die Leichenschänder verbergen.« Doch viel mehr beeindruckte ihn, dass die Untoten Fackeln an der Barrikade entzündeten und rasch unter sich verteilten.

»Wiedergänger, die mit Feuer kämpfen?« Akkamas runzelte die Stirn. »Wie ihr wollt. Bringen wir’s zu Ende. Für Dion!« Brüllend stürmte er auf die Türwächter zu. Die Spitze seines Speers hüllte sich in weiße Flammen.

Athanor folgte ihm mit erhobener Fackel. Während er Theroias Schlachtruf schrie, ging ihm immer noch durch den Kopf, dass es für ein Untotenheer förmlich Selbstmord war, brennende Waffen zu schwenken. Gegen lebende Gegner ergab das überhaupt keinen …

Der Gedanke riss ab, als sich die Wiedergänger ihnen entgegenwarfen. Jetzt gab es nur noch das Getümmel des Kampfs. Athanor trat verwesende Körper zur Seite, wehrte mit dem Schild Feuer und Klingen ab und stieß die Fackel in den nächstbesten mumifizierten Leib. Vage nahm er wahr, dass auch Feinde an ihm vorbeistürmten, doch es blieben genug. Flammen sengten über sein Kettenhemd. Die Hitze biss ihn in Auge und Wangen. Hastig lenkte er ein Schwert ab, das mit schaurigem Kratzen über den Helm schabte, statt sich in sein Gesicht zu bohren. Das mit Balsamieröl befleckte Totenhemd des Gegners fing Feuer. Athanor stieß ihn beiseite und zog den Arm gerade rechtzeitig zurück, bevor ein rostiges Schlachterbeil darauf niederfuhr. Überall loderte und knisterte es. Flackern und tanzende Schatten verwirrten den Blick. Die leeren Augenhöhlen der Toten verrieten ihre Absichten nicht.

Immer wieder wirbelte Athanor um die eigene Achse, um Feuer unter die Gegner zu säen und sich Raum zu verschaffen. Die Flammen der eigenen Fackel leckten erneut über seine Haut. Fluchend ließ er sie fallen und duckte sich unter einem Schwerthieb weg. Im Aufspringen rammte er den Feind mit der Schulter, dass der wandelnde Leichnam hintenüber fiel. Der Untote stürzte in die Fackel eines anderen und ging in Flammen auf.

Athanor warf sich mit dem Schild voran zur anderen Seite. Eine faulig stinkende Leiche taumelte rückwärts und riss einen weiteren Gegner mit. Das Schwert zu ziehen, würde nicht helfen. Er hatte genug Wiedergänger zerhackt, um zu wissen, dass selbst abgetrennte Gliedmaßen an ihrem Platz blieben und weiterkämpften. Er brauchte eine neue Fackel. Jetzt.

Mit dem Arm fegte er einen Schwerthieb zur Seite und spürte den Aufprall bis in die Knochen, doch im nächsten Augenblick war der Arm vergessen. Stattdessen trat er dem Gegner in den aufgetriebenen Leib, dass Gase wie ein Röcheln durch die Kehle entwichen. Aber wo einem Lebenden die Waffe entglitten wäre, hielt der Untote die Fackel eisern fest.

Immer mehr Wiedergänger wälzten sich am Boden, um sich zu löschen, brachten andere damit zu Fall und setzten noch mehr in Brand. Athanor sprang über eine der lodernden Leichen, die ihm entgegenrollte, und hechtete nach deren verlorener Fackel. Krachend prallte ein Schmiedehammer gegen seinen Schild. Die Untoten hatten sich mit allem bewaffnet, was ihnen in die Hände geraten war.

Athanor schwang die Fackel in weitem Bogen, hastig wichen die verbliebenen Gegner zurück. Plötzlicher Schmerz lenkte Athanors Blick nach unten. Seine Hose brannte knapp über dem Knie. Fluchend schlug er mit der Faust die Flammen aus und riss den Schild empor. Wieder ging der Hammer darauf nieder. Athanor richtete sich auf und stach die Fackel dabei blindlings nach dem Gegner zur Rechten, der rückwärts stolperte und in die brennende Barrikade fiel. Dahinter wartete die Tür zum Versteck der Nekromanten.

Das Ziel so nah zu wissen, verlieh Athanor neue Kraft. Dieses Mal warf er sich dem Hieb des Hammerschwingers entgegen. Rumpelnd glitt die Waffe am Schild ab, während Athanor den morschen Leib ihres Besitzers rammte und in Brand steckte. Hustend wich er zurück und sah sich rasch um. Rauch und Hitze machten das Atmen zur Qual. Um ihn herum standen sämtliche Untoten in Flammen, warfen sich verzweifelt zu Boden oder rasten als lebende Fackeln ins Gewirr miteinander kämpfender Wiedergänger, die den Gang füllten, so weit der Feuerschein reichte – und vermutlich darüber hinaus.

Akkamas hatte seinen Speer eingebüßt, und seine Gewänder waren mit Brandlöchern übersät, doch er schien unverletzt. Gerade packte er einen der Untoten bei der schwarzen Robe, warf ihn auf die Flammenbarriere und benutzte ihn als Trittstein, um durch den Feuerwall zu springen.

Auge zu und durch! Athanor folgte dem Freund. Hitze brandete an ihm empor, dann fand er sich bereits hinter der Barrikade wieder. Nur ein etwa zwei Schritte schmaler Streifen blanker Boden trennte die Flammen von der mit Gold beschlagenen Tür. Kein Wächter erwartete sie. Athanor ließ den Blick über das wurmstichige alte Holz schweifen. Kein Schloss, kein Griff. Während sein Freund das Schwert zog, lehnte er sich mit der Schulter an einen Türflügel und drückte dagegen. Nichts. Akkamas kam ihm zu Hilfe, doch das Holz hätte ebenso gut eine Felswand sein können.

»Entweder haben sie von innen einen schweren Riegel vorgelegt«, keuchte Athanor, »oder …«

»Magie?« Akkamas sah an den goldenen Ornamenten empor. »Möglich. Von solchen Zaubern verstehe ich nichts.«

Einen Drachen hätte die Tür nicht aufgehalten, doch auch Athanor konnte sehen, dass es für eine Verwandlung zu eng war.

»Bleibt wohl nur, sie mit magischem Feuer zu verbrennen«, meinte Akkamas.

»Warte!« Athanor klemmte sich die Fackel zwischen die Zähne und zog das abgebrochene Schwert aus dem Gürtel, dessen halbe Klinge noch im Kadaver des Drachen Rakkathor steckte. Zum Kämpfen taugte es nicht mehr viel, doch der Zwergenschmied Wailan hatte es aus drakonis gefertigt. Bevor Akkamas dafür sorgte, dass sie verbrannten oder erstickten, war die kostbare Legierung einen Versuch wert. Entschlossen schob Athanor die Klinge in den Spalt zwischen den Türflügeln. Das Tor flog auf, als hätte ein Riese dagegen getreten. Noch während die Türflügel gegen die Wände krachten, sprang Akkamas mit erhobenem Schild und Schwert über die Schwelle. Rasch schob Athanor die abgebrochene Klinge hinter den Gürtel und folgte ihm.

Der Lärm hallte in einem düsteren Saal wider, dessen Decke sich in Dunkelheit verlor. Die hohen Säulen und fensterlosen Wände erinnerten Athanor an die Hallen der Zwerge, zu denen ihm der Zutritt nun für immer verwehrt war. Einst mochte es der Thronsaal eines Königs gewesen sein, doch die stolzen Banner jener Tage waren lange verblasst. Im matten Schein einiger Öllampen konnte er sie nur erahnen, bevor sein Blick an den Gestalten in der Mitte der Halle hängen blieb. Schwarze Roben wiesen sie als Nekromanten aus. Dem Latrinengestank nach zu urteilen, verschanzten sie sich hier schon seit Tagen.

Endlich. Athanor ließ die Fackel fallen und zog sein neues Schwert.

»Seid ihr von Sinnen?«, rief ihnen ein alter Magier entgegen. »Schließt die Tür! Sie werden uns alle umbringen!«

Athanor schnaubte. »Wer sagt, dass wir ihnen den Vortritt lassen?«

Langsam näherten sie sich den Zauberern, die sich enger zusammenscharten.

»Angst vor den eigenen Dienern?«, höhnte Akkamas. »Wie demütigend. Gut, dass euer Großmeister das nicht mehr erleben muss.«

Athanor sah, wie den Kerlen der Schreck in die Glieder fuhr.

»Sethon ist tot?«, staunte der Alte.

»Die Hand der Regentin hat den Mörder gerichtet«, bestätigte Akkamas.

Athanor warf ihm einen raschen Blick zu. Sethon hatte nicht nur Nemeras Vater, sondern auch Akkamas’ getötet, doch sein Freund ließ sich nichts anmerken.

»Sethons Fehde war seine Angelegenheit«, meldete sich ein anderer Magier zu Wort. »Wir hatten nichts damit zu tun.«

Na sicher, du Unschuldslamm.

»Bitte, Ihr Herren«, flehte ein Novize, der fast noch als Junge durchging, »wir haben Euch nichts getan. Im Namen der gütigen Urmutter, helft uns!«

»Nichts getan?«, herrschte Athanor ihn an. »Ihr verwandelt Lebende mit eurem Gift in verwesende Ungeheuer! Ihr habt ganze Dörfer ausgerottet, um an neue Leichen zu gelangen! Und du wagst es, dich auf die Gnade der Urmutter zu berufen?«

Der junge Mann fiel auf die Knie. »Das war alles ein Fehler. Ich sehe das jetzt ein. Verschont uns, Herr! Ich flehe Euch an!«

Athanor verzog angewidert das Gesicht. »Es ist immer leicht zu bereuen, wenn sich das Blatt gewendet hat.« Auch er hatte sich an seinem Volk vergangen und es erst eingesehen, als es zu spät gewesen war. Doch er hatte den Preis dafür bezahlt. Zahlte ihn noch immer.

Hinter ihm drang weniger Licht in die Halle. Die brennende Barrikade fiel allmählich in sich zusammen. Bald würde das Heer der Untoten in den Saal strömen. »Gibt es noch einen anderen Ausgang?«

Hoffnungsvoll sah der junge Magier zu ihm auf. »Nur noch eine Tür, dort hinten.« Er deutete in die Dunkelheit jenseits des Throns.

»Die Tür zur Galerie«, schätzte Akkamas.

»Aber dort sind sie auch«, warnte der Alte. »Nur der magische Riegel hält sie auf.«

Athanor zuckte mit den Schultern. »Uns wollen sie nicht. Wartet hier!« Ohne die Nekromanten aus den Augen zu lassen, zog er sich in die angegebene Richtung zurück.

»Was hast du vor?«, zischte Akkamas an seiner Seite.

»Nicht das, was du denkst«, raunte Athanor. Erst als sie das Ende der Halle fast erreicht hatten, entdeckte er im Zwielicht die kleine Tür – und die dunkle Gestalt, die sich aus den Schatten einer Nische löste. Der Nekromant hatte die Kapuze seiner schwarzen Robe übergezogen, sodass er mit der Dunkelheit förmlich verschmolz.

»Aufmachen!«, fuhr Athanor ihn an.

Trotzig straffte sich der hagere Kerl und funkelte ihn aus den Tiefen der Kapuze an. »Werdet Ihr uns helfen?«

Athanor lächelte verächtlich. Er würde nicht lügen, nur um einen elenden Leichenschänder zu überlisten. »Nein.«

»Dann werde ich Euch ein Andenken mitgeben.« Der Magier wirbelte so schnell zur Seite, dass sein Umriss verschwamm. Plötzlich standen fünf identische Gestalten vor Athanor, und jede zielte mit einem kleinen Blasebalg auf ihn. Hastig wich er zurück. Welcher war der echte Dreckskerl? Wie ein Mann stürmten sie auf ihn zu. Athanor sprang zur Seite, hob den Schild und schwang die Klinge nach dem Kerl ganz rechts. Der Stahl fuhr durch leere Luft, doch die vier anderen rückten nach. Akkamas’ Schwert sauste auf eine der Kapuzen nieder und traf – nichts. Alle fünf Gegner wandten sich ihm zu, griffen mit vorgereckter Giftspritze an. Athanor riss seinen Schild über den Kopf, ging dabei in die Knie und führte die Klinge knapp über den Boden. Wie eine Sense fuhr sie durch die Beine dreier Gestalten. Bei der Letzten traf sie auf Widerstand, schnitt durch Stoff, Haut und Sehnen und glitt am Knochen ab. Mit einem Aufschrei ging der Nekromant zu Boden. Blut schoss hervor. Seine Abbilder verschwanden, als hätte es sie nie gegeben.

Noch während der Magier fiel, sprang Athanor auf und stolperte rückwärts – fort von den Spritzern, die aus dem Blasebalg sprühten. Auch Akkamas warf sich zur Seite, rollte sich ab und kam elegant wieder auf die Füße. Rasch sah sich Athanor nach den anderen Nekromanten um, doch die feigen Hunde starrten nur stumm herüber – viele wütend, der Junge entsetzt. Hatte er wirklich geglaubt, dass Athanor sie retten würde?

Durch das Tor schritten erste Untote herein – schweigend und ohne Eile. Ihre drohend erhobenen Waffen sprachen für sich. Mit letzter Kraft kroch der verblutende Nekromant von Athanor fort. Doch Athanor schob das Schwert in die Scheide zurück und zog die abgebrochene Klinge. Von außen kratzte es an der kleinen Tür. Gehorsam beugte sie sich der Macht des drakonis, das jede Magie aufhob, die mit dem Metall in Berührung kam.

Athanor wich der aufspringenden Tür aus und gab den Weg für die hereindrängenden Leichen frei. Als sie tatsächlich achtlos an ihm und Akkamas vorübergingen, konnte er ein wenig Erleichterung nicht leugnen. Sollten die Opfer über ihre Peiniger richten. Er war nicht als Henker gekommen, sondern um das Umherstreifen der Toten zu beenden. Aber wenn sie sich nicht mehr auf Befehl der Nekromanten erhoben, weshalb dann? Würde Davaron aufstehen, um sich an ihm zu rächen? Zum Dunklen mit sämtlichen Toten der Welt!

Immer enger rückten die Magier zusammen, als könnte sich einer hinter dem anderen verstecken. Noch einmal reckte der junge Mann flehend die Hände und suchte Athanors Blick.

Athanor schüttelte den Kopf. »Alles, was wir tun, hat seinen Preis. Am Ende müssen wir ihn bezahlen.«

* * *

Athanor betrat die Galerie und schloss die Tür hinter sich. Um die ihm anvertrauten Menschen zu schützen, hätte er die Magier getötet, jeden einzelnen. Doch nun, da er wusste, dass die Wiedergänger nicht länger den Befehlen der Nekromanten gehorchten, verflog seine Wut. Die Untoten würden ihre Peiniger zum Dunklen schicken. Ihr Schicksal ging ihn nichts mehr an. Er steckte das Schwert ein und lehnte sich müde gegen die Tür.

»Du blutest«, stellte Akkamas nüchtern fest.

Athanor folgte dem Blick seines Freunds und hob den pochenden Arm. Wo er den Schwerthieb abgefangen hatte, klaffte ein Spalt in Ketten- und Stoffhemd. Darunter quoll etwas Blut hervor, aber der Schnitt konnte nicht tief sein. Er würde sich später darum kümmern – wenn sicher war, dass sich die Wiedergänger nach dem Massaker nicht doch noch auf ihn stürzten.

»Kommt in die Sammlung«, befand er gleichmütig und trat zu Akkamas ans Geländer. Mehrere Stockwerke tiefer lag der Hof ebenso ausgestorben wie die Wandelgänge gegenüber. Noch ein verlassenes Bauwerk mehr. Es mochte der Verwüstung durch die Drachen entgangen sein, doch außer Schlangen und Skorpionen würde es niemand in Besitz nehmen.

Er stellte Schild und Speer ab und rieb sich die Hand, die davon schmerzte, beides so lange umklammert zu haben. Nichts an der schwieligen, wettergegerbten Haut erinnerte noch an den einstigen Prinzen Theroias. Er war jetzt König. Aber ein König durch Asche und Schwert.

»Was ist mit dir?«, erkundigte sich Akkamas. Nicht einmal Rußflecken und einem blutigen Kratzer gelang es, sein Schönlingsgesicht zu entstellen. Stattdessen verliehen sie ihm einen verwegenen Zug. »Bereust du deine Entscheidung?«

»Nein.«

»Ich könnte es verstehen«, behauptete Akkamas. »Immerhin sind es Menschen, und es gibt nicht mehr viele von euch.«

»Nicht gerade die Sorte Männer, mit denen man ein zerstörtes Land aufbaut.«

Akkamas grinste. »Sie könnten die Untoten neue Häuser errichten lassen.«

»Offenbar nicht mehr. Jetzt, wo sie endlich einmal nützlich wären …«

»Es tut gut zu sehen, dass du noch scherzen kannst. Ich würde gern mehr tun, als dir bei weiterem Blutvergießen zu helfen, aber ich fürchte, zu viel mehr tauge ich nicht.«

»Du hast mir in den letzten Tagen sehr geholfen«, versicherte Athanor. Sie hatten jedes Ordenshaus der Magier, ob von den Drachen niedergebrannt oder scheinbar verlassen, nach überlebenden Nekromanten durchsucht und dafür gesorgt, dass sie nie wieder Leid über Dion bringen konnten. Doch wenn sich die Untoten nun nach eigenem Willen erhoben … »Sag mir nur, dass nicht alles umsonst war.«

»Kann es sinnlos sein, die Welt von solchen Grausamkeiten zu befreien?« Akkamas deutete auf die lebensgroßen Statuen, die in den Wandnischen der Galerie standen.

Was zum Dunklen haben die damit zu tun? Gereizt musterte Athanor die Skulpturen. Stellten sie frühere Großmeister des Ordens dar? Doch es gab auch Männer in Rüstung, und einige standen in sehr seltsamer Haltung da. Als wären sie mitten in der Bewegung erstarrt.

In Athanor keimte ein Verdacht. Er sah in die Gesichter und fand Furcht, Wut und Erschrecken. Die versteinerten Opfer der Basilisken! »Sie haben sie zur Schau gestellt wie verdammte Trophäen!«

»Dachte ich mir doch, dass du einen anderen Kunstgeschmack hast. Vielleicht sollten sie auch Abweichlern zur Abschreckung dienen«, vermutete Akkamas mit Blick auf einen steingewordenen Robenträger.

Athanor war es gleich. Er hatte genug Geschichten darüber gehört, wie die Nekromanten den einst ehrenwerten Magierorden von innen zersetzt und ihre Gegner beseitigt hatten. »Du hast recht. Diese Rattennester mussten ein für alle Mal ausgeräuchert werden. Selbst wenn es die Untoten nicht aufhält.«

»Noch wissen wir es nicht mit Sicherheit«, wiegelte Akkamas ab. »Vielleicht geht es nur darum, die Nekromanten zu bestrafen, und danach wird alles wie früher sein.«

Athanor lächelte ironisch.

»Na gut, es wird nie wieder wie früher sein«, gab sein Freund zu. »Dion ist zerstört, und der Große Drache wacht nicht mehr über das Land.« Trauer schlich sich in Akkamas’ Gesicht.

»Es liegt mir fern, deinen Vater zu beleidigen, aber … erst seit er tot ist, kämpft tatsächlich ein Drache für Dion. Und das bist du.« Ohne Akkamas’ Eingreifen hätten sich die Verbündeten seines Vaters nach dem Mord an ihrem Anführer in alle Winde zerstreut, statt den Menschen gegen Rakkathors Drachenheer beizustehen. Auch so waren sie beinahe zu spät gekommen. Athanor schüttelte den Kopf. Nachdem sein eigenes Volk von Drachen hintergangen und vernichtet worden war, hatte er nicht geglaubt, je wieder einem Drachen vertrauen zu können. Doch um die letzten Dionier zu retten, war ihm nichts anderes übrig geblieben.

»Ich mag seine Aufgabe erfüllen, aber ich bin nicht er«, erwiderte Akkamas. »Er war es, der vor Jahrtausenden den Bund mit Dion geschlossen hat, und nun sind seine Priester ebenso tot wie er. Machen wir uns nichts vor: Die Zeit des Großen Drachen ist vorüber. Und wessen Zeit nun angebrochen ist, wissen wir noch nicht.«

Das Zeitalter des Dunklen. Athanor versuchte, den Gedanken zu verscheuchen, doch es gelang ihm nicht. In den letzten Jahren hatte der Tod so reiche Ernte gehalten, dass Athanor der Mythos vom täglichen Sieg Aurades’ über seinen dunklen Zwilling Hadon wie Hohn erschien. Wenn die Sonne aufging, wurde es hell – sonst nichts. Gestorben wurde trotzdem. Und die Toten erhoben sich nun schon bei Tag, als wollten sie Aurades’ Angesicht am Himmel verspotten.

»Was, wenn es nicht nur um die Nekromanten geht?«, fragte er. »Was, wenn nun jeder zum Wiedergänger wird, der eine Rechnung offen hat?«

Akkamas rieb sich nachdenklich das Kinn. »Fürchtest du die Rache jener, die du getötet hast?«

Tue ich das? An die Zauberer hatte er noch gar nicht gedacht. Nur an Davaron, und der war ein Elf. Doch bislang hatten sich nur Menschen aus ihren Gräbern erhoben.

»Sollte mir Vaters Mörder als Wiedergänger begegnen, werde ich ihn jedenfalls mit Freuden in ein Häufchen Asche verwandeln«, verkündete Akkamas.

Athanor nickte. Dieser Sethon hatte nicht umsonst den Titel Großmeister geführt. Er war der Schlimmste von allen gewesen. Selbst im Angesicht der Vernichtung durch die Drachen hatte er seine Untoten auf das eigene Volk gehetzt, um die Regentin, Nemera, zu entführen. Er hatte es mit ihrem Dolch in der Brust bezahlt. Athanor schreckte auf. »Wir müssen zurück! Wenn Sethon aufsteht, ist Nemera in Gefahr!«

2

Orkzahn grunzte zufrieden in seinen verfilzten Bart. Reglos lagen die Gegner vor ihm im alten Laub. Das Blut der Orks leuchtete so rot wie die Kappen der Pilze, die vom nahenden Herbst kündeten. Der Anblick erinnerte ihn an eine Zeit, die seltsam fern schien, obgleich sie erst einige Monde zurücklag. Er war ein Sklave gewesen, ein Knecht seiner eigenen Angst. Wie ein Ochse hatte er sich unter das Joch der Elfen gebeugt und die Drecksarbeit für sie verrichtet. Alle Trolle hatten es getan. Wäre Athanor nicht gewesen, würde er noch heute vor diesen Schwächlingen kriechen.

Knurrend wischte er das Blut von der klaffenden Wunde in seinem Schenkel. Die Axt eines Orks hatte die zähe Haut gespalten, doch der Muskel darunter schien unversehrt. Er würde ein paar Jagdkäfer von einer Eiche pflücken und den Spalt mit ihren Zangen zusammenkneifen. Die dummen Biester bissen in alles, was fressbar roch. Hingen sie erst einmal fest, musste er sie nur noch töten, indem er ihnen den Rumpf vom Kopf brach. Orkzahn grinste. Im Grunde ähnelten sie den Orks.

Er schulterte seine Keule, packte einen der Orks beim Knöchel und schleifte ihn achtlos hinter sich her. Die anderen ließ er für die Aasfresser zurück. Sie würden ihm doch nur verderben, und es mangelte nicht an Nachschub. Hier im Grenzland zwischen den Trollhügeln und dem einstigen Menschenreich Theroia stieß er in letzter Zeit immer öfter auf Orks. Seit ihnen durch die Untoten keine Gefahr mehr drohte, kehrten sie in das leere Menschenland zurück und drangen bis in die Heimat der Trolle vor. Sollten sie nur. Jeder tote Ork war ein guter Ork. Kein Troll wusste das besser als er.

Seine Beute glitt durch das raschelnde Laub. Ihr Bein ruckte im Takt der Erschütterungen in seiner Hand, wenn der in einen Lederharnisch gehüllte Leib über Steine und Wurzeln holperte. Hatte er sie erst einmal erlegt, unterschieden sich Orks nicht mehr von Elfen – und Menschen nicht mehr von anderem Wild. Alle waren nur noch schmackhaftes Fleisch.

Plötzlich spürte er ein Anspannen, eine Bewegung der Sehnen unter seinen Fingern. Mit erhobener Keule fuhr er herum. Der Ork hatte ein Messer gezogen und bäumte sich auf, stach blitzschnell nach Orkzahns Hand. Doch der steife Harnisch behinderte ihn. Die Klinge ging fehl. Noch während der Ork ins Laub zurückfiel, ließ Orkzahn ihn los und schwang seine Keule. Mit einem dumpfen Laut landete der Knüppel auf dem schwarzfelligen Arm. Unter Haut und Fleisch knackten brechende Knochen. Der Ork ächzte. Das Messer entglitt seinen Fingern. Hektisch versuchte er, sich umzudrehen, zugleich davonzukriechen und auf die Füße zu kommen.

Orkzahn stieß ihn mit der Keule vor die Brust und hielt ihn am Boden fest, indem er sich ein wenig auf die Waffe lehnte. Ein wenig mehr, und die Rippen des Orks würden splittern wie dürres Geäst. Hasserfüllt starrte seine Beute zu ihm auf. Die Flügel der platten Nase zitterten.

»Weißt du, warum ich eure Schweinefratzen nicht ausstehen kann?«, fragte Orkzahn und wunderte sich über den eigenen Gleichmut.

Die schwarzen Brauen des Orks zogen sich noch enger zusammen. Hatte er die Worte begriffen? Da beide Völker von den Riesen abstammten, war Trollisch mit der Sprache der Oger verwandt, und die meisten Orks konnten sich mit Ogern verständigen.

»Ich werd’s dir zeigen, bevor du stirbst.« Orkzahn nahm die Keule von der Brust des Gegners, der hastig den Kopf reckte. Beinahe sanft zog der Troll ihm den Knüppel über den Schädel. Leblos sackte der Ork ins Laub. Falls er nun doch schon tot war, konnte er seine Götter für ihre Gnade preisen.

Orkzahn packte ihn erneut beim Knöchel und stapfte weiter. Es war nicht weit zu der Höhle, von der aus er seine Streifzüge unternahm. Sie spendete Zwielicht, wenn die Sonne seinen Augen zusetzte, und bot bei Regen ein Dach über dem Kopf. Vor dem Eingang hatte er einen freien Platz für seine Feuerstelle geschaffen. Zu beiden Seiten der Asche ragten Astgabeln aus dem Boden, auf denen sein Bratspieß lag – ein angespitzter Stecken, der einem Menschen gute Dienste als Speer geleistet hätte.

Menschen. Orkzahn hatte sie nicht vermisst. Nachdem die Drachen sämtliche Menschenvölker ausgerottet hatten, war ihr Vieh eine willkommene Beute geworden. Niemals hatte er geglaubt, dass er einmal Freundschaft mit einem Menschen schließen würde. Und nun ertappte er sich ständig dabei, an Athanor zu denken. Athanor, der ihn gerettet hatte, als er einem Trupp Orks in die Hände gefallen war.

Von kaltem Zorn erfüllt sah Orkzahn auf seinen Gefangenen hinab. Mit seiner eigenen Keule hatten sie auf ihn eingeschlagen. Hatten sich dafür gefeiert, obwohl er gefesselt und tödlich verwundet am Boden lag.

»Trolle brauchen keine Stricke«, beschied er dem bewusstlosen Ork. »Wir töten unsere Beute, statt uns an ihren Qualen zu erfreuen.« Und was tue ich gerade? Knurrend wandte er sich ab, um das Feuer neu zu entfachen. Freude sah jedenfalls anders aus. Er wollte dem Ork eine Lektion erteilen. Und was nützt das, wenn er danach stirbt? Erneut brummte Orkzahn unwillig in seinen Bart. Rotwange hat recht. Ich denke zu viel. Fehlte ihm deshalb der Mensch an seiner Seite?

Aus dem Augenwinkel sah er, dass sich der Ork regte und die Augen aufschlug. Ohne Fesseln war lebende Beute wirklich lästig. Wieder musste er zur Keule greifen und zuschlagen. Der schwere Knüppel fuhr nieder und zertrümmerte ein Schienbein des aufbrüllenden Orks.

»Halt einfach still, dann ist es schneller vorbei!«, fuhr Orkzahn ihn an. Gereizt stocherte er mit einem angebrannten Ast in den auflodernden Flammen, und die verkohlte Spitze fing rasch wieder Feuer. Seine Beute atmete hastig und schwer. Es verriet Orkzahn, dass sie ihre Kräfte sammelte. Im nächsten Augenblick sprang der Ork auf. Doch als das gebrochene Bein den Boden berührte, ging er wimmernd in die Knie.

Orkzahn stieß ihn mit der Keule auf die Erde zurück, in der Linken hielt er noch immer den brennenden Ast. Breitbeinig baute er sich über dem keuchenden Ork auf und wies mit dem Kinn auf den eigenen Unterarm. »Siehst du das?«

Sein Gefangener gab nicht zu erkennen, ob ihm etwas auffiel. Weiße Narben hoben sich von der schmutzigen Haut des Trolls und den schütteren schwarzen Haaren ab. Einst waren es weniger Narben und mehr Haare gewesen. »Sie sind nie wieder richtig nachgewachsen!«, blaffte Orkzahn. Er ließ die Keule fallen und riss den Ork am gesunden Arm empor. Seine Beute zappelte und schrie. Er glaubte, einzelne Worte wie Nein zu verstehen, doch er schenkte ihnen keine Beachtung. Seine Peiniger hatten ihn damals auch nicht erhört.

Ungerührt sengte er das schwarze Fell vom Arm des Orks, dessen Tritte und Schläge er kaum wahrnahm. Der Gestank verbrannter Haare stach ihm in die Nase, weckte Erinnerungen an die lachenden Folterer von einst. Sie widerten ihn an. Das Kreischen des Orks bereitete ihm kein Vergnügen, nur Abscheu vor dieser Memme und sich selbst. Und doch war er auf ewig mit ihnen verbunden. Sie hatten ihn gezeichnet – unwiderruflich.

»Weißt du, warum man mich Orkzahn nennt?«

Als er den brennenden Stock sinken ließ, verstummte das Geschrei seines Opfers. Der Ork sank in sich zusammen. Schlaff hing er an dem versengten Arm, den die Trollpranke gepackt hielt. Er atmete hörbar, doch die Augen waren geschlossen. Obwohl Orkzahn das Handgelenk umfasste, reichte sein Zeigefinger mühelos zu den leblosen Fingern des Orks empor und drückte Ring- und Mittelfinger nach oben. Nun ragten sie über die anderen hinaus. Mit einem Ruck hob der Troll den nur halb so großen Ork noch höher, schob die beiden Finger zwischen seine Zähne und biss sie mühelos ab.

Erneut heulte sein Opfer auf. Er ließ es fallen, und der Aufprall trieb dem Ork die Luft aus den Lungen.

»Deshalb!« Orkzahn spuckte das Wort mitsamt der blutigen Glieder aus und hielt der Beute seine rechte Hand vor die Nase. Von den beiden mittleren Fingern waren nur narbige Stümpfe geblieben, weshalb die beiden äußeren aus seiner Pranke ragten wie die Hauer aus dem Unterkiefer eines Orks. Der Gefolterte sah ihn mit geweiteten Augen an und fragte sich wohl nur, was ihm als Nächstes bevorstand. Orkzahn fielen die Fingernägel ein, die sie ihm ausgerissen hatten. Ihm fehlte die nötige Zange, aber er konnte es mit den Zähnen tun. Der Ork würde schlimmer schreien denn je oder einfach ohnmächtig werden. So wie er damals. Wollte er einer von ihnen werden? Wenn die anderen Trolle ihn sehen könnten, würden sie ihn einen Oger schimpfen. Außerdem hatte er Hunger. Daran war der Blutgeschmack schuld. Seufzend packte er den Ork und brach ihm das Genick.

* * *

Als Sarna in Sicht kam, ging über dem Ozean bereits die Sonne auf. Akkamas flog so schnell, dass Athanor beinahe das Atmen vergangen war, doch der Weg aus den Tiefen der Wüste an die Küste war weit, und sie hatten noch bis in die Nacht hinein Leichen in den Thronsaal geschleppt. Nach dem Massaker an den Nekromanten waren die Wiedergänger zu Boden gesunken wie gewöhnliche Tote. Aber Athanor hatte dem Frieden nicht getraut. Die Leichen in der Halle anzuhäufen, war eine widerliche Schufterei gewesen. Der Verwesungsgestank hing ihm noch immer in den Kleidern. Es war nötig, redete er sich ein. Erst jetzt, da sie alle in Akkamas’ magischem Feuer verbrannten, würden ihre Knochen für immer dort bleiben. Als er vom Rücken des Drachen aus zurückgeblickt hatte, war der Rauch des Totenfeuers aus dem Krater aufgestiegen wie eine Erinnerung an den einst feuerspeienden Berg.

Nun lag der Ozean vor ihm, über den er vor nicht einmal zwei Monden gekommen war. Zwei Monde, seit Davaron Elanya ermordet hat. Es war lächerlich wenig Zeit, und doch kam es ihm vor, als seien Jahre vergangen. In der glutheißen Einöde schienen die Wälder Ardareas wie ein verblassender Traum. Ein Traum, in dem er eine Elfe geliebt hatte. Doch er sah ihre großen, grünen Augen nicht mehr – nur noch ihren Tod: das marmorweiße Gesicht mit den geschlossenen Lidern, umrahmt vom rotbraunen Haar.

Aus den Ruinen Sarnas tönte der Klang eines Horns herauf. Die Wächter auf den zerstörten Mauern warnten vor dem nahenden Drachen. Seit der Schlacht um die alte Ordensburg hatte sich zwar erst ein Mal ein Verbündeter Rakkathors zurück nach Dion gewagt, aber ohne Akkamas’ Hilfe hätte dieses eine Ungeheuer genügt, um die wenigen Überlebenden zu töten. Deshalb hatte Athanor einige Männer zu Wächtern bestimmt. Sobald ein Horn erklang, sollten die Menschen in die Kavernen unter der Stadt fliehen. Diese Gewölbe dienten als Zisternen, um den Winterregen für die trockenen Monde zu speichern, aber sie taugten auch als sicheres Versteck. Als die Drachen Sarna in Schutt und Asche gelegt hatten, waren ihnen dort unten einige Familien entgangen.

Akkamas beschrieb einen Kreis über der Stadt, damit ihn die Wächter erkennen konnten, während er immer niedriger flog. Kein anderer Drache leuchtete im Morgenlicht wie polierte Bronze. Erneut bliesen die Wächter ein Hornsignal. Gefahr vorüber.

Je tiefer der Drache ging, desto deutlicher sah Athanor die Zerstörung. Wenig mehr als einen Mond war es her, dass sich die Bewohner Sarnas in den Straßen gedrängt und auf den flachen Dächern ihrer Häuser gestanden hatten, um Vindur, ihm und ihren elfischen Begleitern zuzujubeln. Sie waren für ihren Sieg über eine Handvoll Nekromanten gefeiert worden, als hätten sie den Tod selbst bezwungen. Schon damals hatte Akkamas heimlich Gerüchte gestreut, dass Athanor der Kaysar, der rechtmäßige Herrscher aus der Alten Heimat über dem Ozean sei. Nichts hätte Athanor an jenem Tag ferner liegen können. Er war nur ein Rächer auf der Suche nach Elanyas Mörder gewesen. Und nun lag die Stadt in Trümmern, und die Menschen warfen sich vor ihm in den Staub.

Akkamas landete vor dem einst breitesten Stadttor. Es war das Einzige, durch das sie noch gehen konnten, ohne über einen Schuttwall zu steigen. Als sich Athanor vom Rücken des Drachen gleiten ließ, entdeckte er Mahanael auf den Resten der Stadtmauer. Einen besseren Wächter konnte Sarna nicht haben, denn der Elf besaß Augen wie ein Adler. Leichtfüßig kam er von den Trümmern herab, um sie zu begrüßen. Selbst für einen Elf war er ungewöhnlich groß und schlank. Seine fast schon durchsichtig wirkende Haut verriet das Blut der Abkömmlinge Heras, die ein besonderes Talent für Luftmagie besaßen. Athanor versuchte, aus Mahanaels Zügen zu lesen, ob etwas Wichtiges vorgefallen war, doch sein Freund lächelte nur.

»Ein guter Morgen«, rief der Elf. »Er bringt euch wohlbehalten zurück. Zumindest fast«, fügte er hinzu, als er den Spalt im Kettenhemd bemerkte. Darunter leuchtete der Verband zwischen blutgetränkten Stoffrändern hervor.

»Deinem scharfen Blick entgeht wirklich nichts«, stellte Athanor anerkennend fest.

»Sieht er aus wie eine Leiche?«, fragte Akkamas mit Drachenstimme.

Verblüfft musterte Mahanael Athanor. »Sollte er?«

»Er will mich bloß aufziehen«, wehrte Athanor ab. »Ich bin wohl noch mal davongekommen.«

»Dann habt ihr noch Nekromanten gefunden?«

»Fast zwei Dutzend. Die meisten davon in ihrer Festung, etliche Tagesritte von hier. Sind hier noch Untote umgegangen?«

Der Elf schüttelte den Kopf. »Nein, wir hatten die ruhigsten Tage, seit ich in Dion angekommen bin.«

Trotz seiner Erleichterung erkannte Athanor die Ironie in Mahanaels Worten. Von den sechs Elfen, die Dion betreten hatten, war nur noch Mahanael am Leben. Sich ruhigere Tage vorzustellen, fiel nicht schwer. »Dann wollen wir hoffen, dass mit den Magiern auch die Seelen ihrer Diener zum Dunklen gefahren sind.«

»Klingt, als ob ich hier eine Weile nicht gebraucht werde«, schätzte Akkamas.

»Willst du nicht noch ein paar Tage bleiben?«, fragte Athanor. Es fiel ihm schwer, sich an das unerwartete Kommen und Gehen des Drachen zu gewöhnen, denn sobald Akkamas verschwunden war, vermisste er das stille Einvernehmen unter Kriegern. »Du bist uns stets ein willkommener Gast.«

»Ihr habt schon ohne mich kaum noch genug zu essen«, erwiderte sein Freund. Die schwindenden Vorräte waren nicht zu leugnen. »Ich werde anderswo ein paar Gazellen jagen und den Himmel dabei im Auge behalten.«

»Es wird uns ruhiger schlafen lassen«, versicherte Athanor.

Akkamas entblößte die schwertlangen Drachenzähne zu einer Art Grinsen. »Wenn die Regentin dich schlafen lässt …«

Ist das zu fassen? In gespieltem Zorn drohte er dem Drachen mit dem Speer. »Verschwinde, bevor ich dich Respekt vor dem Kaysar lehre!«

Lachend schwang sich Akkamas in die Luft und ließ sie in einer Wolke aufgewirbelten Staubs zurück. Halb schmunzelnd, halb gereizt wischte sich Athanor den Dreck aus dem Gesicht. Er hatte ohnehin dringend ein Bad und eine Rasur nötig. Aber obwohl ihn Akkamas’ Anspielung amüsiert hatte, berührte sie einen wunden Punkt. Elanya ist tot. Ich kann es treiben, mit wem ich will. Doch warum freute er sich dann nicht darauf, Nemera wiederzusehen?

»Du siehst aus, als hättest du Schlaf nötig«, stellte Mahanael fest.

Athanor nickte und wandte sich der zerstörten Stadt zu. »Wir sind die ganze Nacht hindurch geflogen.«

Jenseits des Tors hatten sich mittlerweile einige Flüchtlinge versammelt, um den Kaysar, den Herrn über die Lebenden und die Toten, angemessen willkommen zu heißen. Männer, Frauen und Kinder säumten die Gasse durch den Schutt und fielen auf die Knie, als er näher kam. Athanor begriff nicht, wie sie ihn für einen Gott halten konnten. Er schwitzte wie sie, blutete wie sie, und über die Toten gebot er schon gar nicht.

Sobald sein grimmiger Blick in ihre Richtung schweifte, kauerten sie sich zusammen, dass ihre Stirnen den Boden berührten. Dieser Brauch musste aus der Zeit stammen, bevor die Schiffe aus der Alten Heimat gekommen waren. »Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass ihr euch nicht in den verfluchten Dreck werfen sollt! Seid ihr nicht schmutzig genug?«

Hastig rappelten sie sich auf und sahen beschämt an sich herab. Kaum jemand von ihnen besaß mehr als die fleckigen, zerrissenen Kleider am Leib. Tag für Tag wühlten sie im Schutt nach Vorräten, richteten in den Ruinen notdürftige Unterkünfte ein und schleppten Wasser aus den Zisternen herauf. Athanor hätte sich selbst ohrfeigen können. Er war ein genauso beschissener Gott wie die anderen, die sich von den Menschen abgewandt hatten. Aber diese Schafe wollten ihn ja unbedingt. »Geht wieder an die Arbeit!«, fuhr er sie an und fühlte sich noch schlechter, als sie eilig gehorchten.

»Sind die Menschen in anderen Teilen der Welt denn … weniger unterwürfig?«, erkundigte sich Mahanael, während sie weitergingen. Vor seiner Ankunft in Dion hatte er nie einen Menschen zu Gesicht bekommen.

»Nein, sie waren …« … stolz. Theroier verneigen sich, aber sie erniedrigen sich nicht. Athanor wollte es sagen, doch es kam ihm nicht über die Lippen. Wem machte er eigentlich etwas vor? In seinen Erinnerungen war er stets nur von Freunden und Verwandten umgeben, von Kameraden, Kriegern von hohem Rang. Den anderen hatte er schlicht keine Beachtung geschenkt. Ihre Kniefälle am Wegesrand waren so selbstverständlich – und so bedeutungslos – gewesen wie die Bäume, die den Pfad säumten. »Ich habe sie nur nie wahrgenommen.«

Überrascht hob der Elf die Brauen.

»Sie waren mir fern«, versuchte Athanor, es zu erklären. »Es gab andere, die sich um die Belange des einfachen Volks gekümmert haben. Als Kronprinz hatte ich Wichtigeres zu tun.« Frauen nachstellen. Zur Jagd reiten. Einen Krieg anzetteln, der sie alle das Leben gekostet hat … »Ich wurde nicht dazu erzogen, die verdammte Verantwortung für sie zu übernehmen!« Und doch habe ich sie.

»Wir Elfen übertragen jenen Verantwortung, die sich darin bewährt haben. Mir erscheint das sinnvoller, als einem Kind diese Bürde per Geburt aufzuladen.«

»Erzähl das ihnen«, brummte Athanor und deutete vage auf zwei Männer, die mit Beilen einen zu Kohle verschmorten Baum zerteilten. Jedes andere Brennmaterial war angenehmer als getrockneter Eselsdung.

Mahanael lächelte. »Es wird nichts nützen, denn in ihren Augen hast du dich bewährt. Du hast den Nekromanten getrotzt und das Drachenheer besiegt. Wenn du ein Elf wärst, würde ich bei der Wahl zum Ältesten auch für dich stimmen.«

»Hab ich ein Glück, dass ich kein Elf bin.«

Mahanaels Lächeln bekam einen bitteren Zug. »Dann wären wir wohl nicht hier.«

Nein. Denn dann wäre unser ungeborenes Kind kein Bastard gewesen, und Davaron hätte Elanya niemals umgebracht. Zumindest glaubte er, dass Davarons Hass auf die Menschen der Grund für den Mord gewesen war. Der Mistkerl hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr ihn …

»Herr!«

Aufgeregte Stimmen rissen ihn aus den Gedanken.

»Kommt alle helfen! Schnell!«

»Ehrwürdiger Kaysar!«

»Was ist los?«, rief Athanor dem Jungen entgegen, der auf ihn zueilte. »Komm!«, wandte er sich an Mahanael und lief bereits in die Richtung, aus der die Stimmen kamen.

»Da ist jemand verschüttet. Unter den Trümmern. Ganz in der Nähe«, sprudelte der Junge hervor. Er war zwölf oder dreizehn und hatte das schwarze Haar und die hellbraune Haut der alten Dionier geerbt.

»Warum zum Dunklen hört mir hier nie jemand zu! Ich hatte strenge Anweisung gegeben, jede Ruine erst abzustützen, bevor darin etwas angerührt wird. Wie die Zwerge ihre Stollen sichern.«

»In den Silberminen arbeiten nur Zwerge?«

»Vergiss es einfach.« Selbst Vindur hatte den Dioniern als kleingeratener Mensch gegolten. Sie verstanden nicht, was ein echter Zwerg war.

»Aber es kann keiner von uns sein, Herr. Ich schwöre beim Großen Drachen! Wir waren da nicht drin.«

Skeptisch musterte Athanor den Schuttberg, vor dem sich bereits zahlreiche Helfer eingefunden und Menschenketten gebildet hatten. Mit Feuereifer reichten sie Ziegelsteine und Mörtelbrocken weiter, nur um sie planlos auf einen anderen Haufen zu werfen. Es musste ein Nebengebäude des eingestürzten Drachentempels sein, an den es grenzte. »Du meinst, jemand hat unter den Trümmern überlebt?«

Der Junge nickte aufgeregt.

»Ja, Herr«, mischte sich eine Fremde ein. »Wir haben Kratzen und Pochen gehört. Als ob sich jemand befreien oder auf sich aufmerksam machen will.«

Nach einem halben Mond? Athanor wechselte einen erstaunten Blick mit Mahanael.

»Vielleicht hatten sie einen unterirdischen Lagerraum und wurden darin verschüttet«, vermutete der Elf.

»Ein Keller?« Das wäre möglich. Wenn sich dort auch Fässer mit Wasser oder Wein befunden hatten, konnte jemand so lange ausgeharrt und vergeblich um Hilfe gerufen haben. »Du hast recht. Holen wir die arme Seele da raus!«

* * *

Bald war die Morgenkühle verflogen, und die unbarmherzige Sonne Dions sengte auf die Retter herab. Nur noch verkohlte Stümpfe erinnerten an die Bäume, die dem Tempelgarten einst Schatten gespendet hatten. Hin und wieder ließ Mahanael eine magische Brise vom Hafen herüberwehen, doch selbst ihm rann der Schweiß über die Stirn.

Athanor hatte die Spitze einer Menschenkette übernommen und klaubte Brocken für Brocken auf, um ihn dem Elf zu übergeben, der ihn wiederum weiterreichte. Längst hatte er sich des Kettenhemds entledigt und ignorierte das Stechen im verwundeten Arm. Die Arbeit ging quälend langsam voran. Immer wieder rutschte der Schutt an Stellen nach, an denen sie es nicht erwartet hatten. Oder sie stießen auf größere Trümmer, die erst zerschlagen werden mussten, bevor mehrere Männer gemeinsam in der Lage waren, sie zur Seite zu wuchten. Einmal blieb ihnen sogar nichts anderes übrig, als einen Steinblock der Tempelmauer mit einem Eselsgespann aus dem Weg zu ziehen. Von Zeit zu Zeit rief jemand nach den Verschütteten und sprach ihnen Mut zu. Zur Antwort polterte es dumpf unter dem Schutt, als ob Fäuste gegen Holz hämmerten. Schon arbeiteten die Retter trotz der Hitze wieder schneller.

Athanor hätte nicht sagen können, wann Rhea aufgetaucht war. Mit einem Mal stand das kleine Mädchen da und sah ihm zu. Die ernsten Augen waren so dunkel wie das strähnige Haar. Athanor hob einen weiteren Brocken aus Mörtel und Ziegelsteinen und blickte sich nach Laurion um, der sich des Waisenmädchens angenommen hatte wie ein Verwandter.

Der Magier kam auf ihn zu und verneigte sich. Obwohl sie geflickt und abgetragen war, leuchtete seine weiße Robe in der Sonne. »Willkommen zurück, ehrwürdiger Kaysar.«

»Wie’s aussieht, bin ich immer rechtzeitig, wenn’s Arbeit gibt«, schätzte Athanor und wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Pack mit an!«

»Tut mir leid, Herr, ich kann nicht bleiben«, bedauerte Laurion. Seit der Schlacht um die Ordensburg hatte sich ein erwachsenerer Zug in sein blasses Jungengesicht gegraben, der seinem Alter besser entsprach. »Die Regentin hat mich geschickt, um nachzusehen, was Euch so lange aufhält.«

»Warum kommt sie nicht selbst?« War ihr doch etwas zugestoßen?

»Die Regentin ist beschäftigt. Sie fertigt mit ihren Dienerinnen ein Fischernetz.«

»Sie macht was?«

»Soll sie etwa den ganzen Tag nach Euch Ausschau halten … Herr?«

War das Trotz in Laurions Augen? Was zum Henker …

»Helft mir!«, rief Rhea leise. »Holt mich hier raus!«

Gereizt wandte sich Athanor ihr zu. »Was redest du da?«

»Er sagt das.« Sie deutete auf die Trümmer direkt vor ihnen.

Wieder pochte es dumpf, aber lauter.