ATLAN Sternensplitter 1: Taucher im Lavastrom - Oliver Fröhlich - E-Book

ATLAN Sternensplitter 1: Taucher im Lavastrom E-Book

Oliver Fröhlich

0,0

Beschreibung

Zusammen mit Perry Rhodan besucht Atlan den Planeten Skagsram, der vor rund tausend Jahren von terranischen Kolonisten besiedelt wurde. Der Großadministrator will verhindern, dass er sich terrafeindlichen Mächten zuwendet, denn Skagsram ist wegen ungewöhnlicher Bakterien, die nur hier vorkommen, für viele von Interesse. Das Leben ist hart auf Skagsram: Ständig aktive Vulkane bedecken weite Landstriche mit Lava. Aus den Tiefen des geschmolzenen Gesteins holen mutige Taucher die wertvollen Bakterien empor. Atlans Ziel ist es herauszufinden, wieso in jüngerer Zeit immer wieder Lava-Flöße untergehen. Greift womöglich ein Feind nach Skagsram? Auch Atlans Freundin Decaree Farou und Ronald Tekener, der berühmte USO-Spezialist, werden auf der Hitzewelt aktiv. Sie sollen ermitteln, wer das Leben der Taucher im Lavameer bedroht … Folgende Romane sind Teil der Sternensplitter-Trilogie: 1. "Taucher im Lavastrom" on Oliver Fröhlich 2. "Das Flexion" von Bernhard Kempen 3. "Geheimplan Quinto-Center" von Michelle Stern

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Erster Band der Sternensplitter-Trilogie

Taucher im Lavastrom

von Oliver Fröhlich

Kleines Who is Who

Andrees Anderberg – der Deckräumer der KRIEGSZAHN verliert mehr als sein zweites Auge

Arco Nithis – der Informationsspezialist weiß mehr, als manche wissen wollen

Atlan – der Lordadmiral der USO hat Probleme mit seinen Schuhen

Ata Mathiesen – der schöne Ombudsmann der Hitzewelt ist kälter als Eis

Bacca und Rokar – die beiden Ertruser räumen auf

Daniel Strömblad und David Sernsborg – die beiden Reeder sind vom Pech verfolgt

Decaree Farou – Atlans rechte Hand setzt sich selbst unter Druck

Haknur Hakilaunen – der Ernte- und Wirtschaftsminister hat eine Leiche im Keller

Jon Dekkstrom und Lara Verppu – die Lavataucher haben eine unglaubliche Begegnung

Jukka Puhakka und Titus Hyvönen– zwei Männer werden unfreiwillig zu Künstlern auf Zeit

Matti Holmgren – ein fleißiger junger Mann trifft eine schreckliche Entscheidung

Mirok da Zdinth – der nette Arkonide braucht dringend einen Erfolg

Mobat – der Fachmann in Versicherungsfragen gibt Atlan Tipps

Morten Aruunen – der Oberste Floßvatergeht ein großes Risiko ein

Nicke Dahlqvist – der Gründervater ist seit Jahrhunderten tot und trotzdem allgegenwärtig

Oddo Karismäki – Skagsrams Hetman spielt ein undurchsichtiges Spiel

Perry Rhodan – der Großadministrator des Solaren Imperiums wird an ein peinliches Erlebnis erinnert

Raj Namesan – der Ertruser interessiert sich nicht nur für Jöllekappa

RanjaWijsstork – die Künstlerin weiß alles über Baba Yaga

RonaldTekener – der Smiler macht Maske

Sjonsson – der alte Positronikspezialist

SlikkerHovdan – ein mysteriöser Mann lädt zum T

TenkoHarradin – der Mann von der Flugsicherung wäre lieber ganz woanders

Kapitel 1Erntezeit – Die Quote muss stimmen

»Ernte bei Ebbe, raste bei Flut,

schärfe die Sinne, lausche der Glut.«

(aus dem Kanon der Lavataucher von Skagsram)

Das Narbengewebe um Andrees Anderbergs rechte, leere Augenhöhle juckte und pochte. Wie immer, bevor es ernst wurde.

Der Antrieb, der die KRIEGSZAHN durch die Lava schob, zeigte sich von seiner guten Seite. Er tuckerte lediglich leise vor sich hin. Eine lange Erntesaison neigte sich dem Ende zu; Mensch und Material waren müde. Manchmal ächzten und stöhnten die Maschinen so laut, dass sie der Mannschaft den Nachtschlaf raubten und an Deck selbst das Klatschen des flüssigen Gesteins gegen die mannshohe Terkonitwandung übertönten. Nur der schwefelige Geruch und der andauernde leichte Geschmack nach faulen Eiern auf der Zunge erinnerten die Flößer auf Freiebene A dann noch daran, wo sie sich befanden.

Nicke Dahlqvist, der legendäre terranische Gründervater, hatte beim ersten Anflug auf den Planeten angeblich gesagt: »So habe ich mir die Hölle immer vorgestellt. Man wartet förmlich darauf, dass der Teufel herausspringt und einen packt.« Die Ursprünge dieses Vergleichs waren den heutigen Skagsramern nicht mehr allzu vertraut, dennoch verstanden sie, was er ausdrücken sollte.

Andrees Anderberg tastete nach den Graten und Wülsten auf seiner Haut. Dorthin, wo einst ein Auge gesessen hatte. Vergeblich versuchte er, das lästige Jucken zu vertreiben. Mit der anderen Hand lehnte er sich auf die Lavaschaufel und sah zu den beiden Tauchern, die in voller Montur auf ihren Einsatz warteten. Seit über neunzig Minuten. Jede Sekunde konnte der Oberste Floßvater der KRIEGSZAHN das Kommando zum Öffnen des Taucherschotts erteilen. Es hing davon ab, wann der Sucher anschlug. Dann schnellte die Erntebereitschaftsstufe von drei auf vier – genauso wie die Anspannung der Bergematrosen, Tauführer und Deckräumer. Und natürlich die der Thermophilen-Pflücker.

Ein Anflug von Wehmut ließ ihn aufseufzen. Kaum war es aufgekommen, verdrängte er das Gefühl auch schon wieder. Es stand einem Skagsramer nicht zu, die Pläne des Schicksals zu hinterfragen.

Gehe den dir vorbestimmten Weg. Erfülle die Aufgaben, die das Leben dir stellt. Darin liegt Zufriedenheit. Erster Hauptsatz der Regeln für ein gesellschaftliches Miteinander auf Skagsram, wie ihn vor tausend Jahren Nicke Dahlqvist formuliert hatte. Ein Meister im Umgang mit Worten, wie man sich erzählte. Wenn auch mit leichten Schwächen, wenn es ums Zählen ging, denn dass sein erster Hauptsatz gleich aus drei Sätzen bestand, war ihm offenbar entgangen.

Bis vor vier Jahren war Andrees selbst Lavataucher gewesen, und ein guter noch dazu, doch dann hatte das Schicksal es für richtig befunden, ihm einen kleinen glühenden Steinklumpen ins Auge zu schleudern.

»Wenn der Sucher nicht bald anschlägt, müssen wir abbrechen«, sagte eine Stimme mit dem für Lavamatrosen typischen schwefelbedingten Kratzen.

Andrees drehte den Kopf zur Seite. Neben ihm stand Esko Simonsen, ein Berg von einem Mann. Auf dem kahlen, wuchtigen Schädel glitzerten Schweißperlen. Die Oberarme besaßen einen Umfang wie anderer Leute Oberschenkel und spannten den Schutzanzug bis an die Belastungsgrenze. Eskos Äußeres passte überhaupt nicht zu seinem sanftmütigen Wesen. Wie Anderberg war er Deckräumer.

Lavaflüsse konnten launische, heimtückische Biester sein. Mancher Flößer sprach ihnen gar ein Bewusstsein zu. Sie besitzt das Temperament eines Steinstroms, hieß es bei den Skagsramern deshalb, wenn eine Frau sich besonders eigensinnig zeigte. Sie existiert nur, um uns brave Männer in Schwierigkeiten zu bringen.

So weit wäre Andrees nicht gegangen, aber er verstand jeden Glutschiffer, der daran glaubte. Häufig stiegen Gasblasen im flüssigen Gestein hoch und ließen es aufspritzen. Der Strom rülpst, sagten die Flößer dann. Meist stank es auch wie aus dem Magen eines Mannes. Was so launig benannt worden war, konnte zu einer ernsten Gefahr für die Matrosen werden, denn gelegentlich schleuderten die Eruptionen Lava selbst über die hohe Reling.

Die Deckräumer mussten dann die Glut schnellstmöglich von den Planken in Terkonitwannen schaufeln. Im Gegensatz zur Hülle bestanden die Teile des Floßes, die nicht ständig mit Lava in Berührung kamen, nämlich aus einem leichten Verbundplast, dessen Schmelzpunkt weit unter dem von Terkonit lag. Sehr weit!

Die Besatzungsmitglieder konnten noch von Glück reden, wenn die Spritzer nur auf das Deck niedergingen und keinen von ihnen trafen. In extremen Fällen vermochte der Strom so heftig zu rülpsen, dass er ein ganzes Floß zum Kentern brachte. Zumindest erzählten das die Legenden. Denn wenn es geschah, blieb niemand am Leben, der davon hätte berichten können.

Andrees fragte sich häufig, warum man nicht von vorneherein geschlossene Systeme baute, die vollständig aus Terkonit bestanden. Mit den Flößen aus den Anfangstagen, wie man sie im Hulborger Siedlermuseum oder im Flößermuseum von Dachro bestaunen konnte, hatten die heutigen Schiffe außer dem Namen ohnehin nichts mehr gemein. Angeblich gab es dafür konstruktionstechnische Gründe. Von Gewichts- und Schwerpunktsproblemen wurde gesprochen, aber Andrees glaubte eher, dass es einfach billiger kam, vorsichtig zu sein und Deckräumer zu beschäftigen, als ein Lavaschiff sicherer zu bauen.

Er blickte auf den Chronometer unter dem Fenster der Floßvaterkabine. Siebenundneunzig Minuten. So lange galt schon Erntebereitschaftsstufe drei. Noch immer gab der Spürer kein Signal. »Du hast recht«, sagte er zu Esko. »Die Flut setzt bereits ein.«

»Und wir alle wissen, was das bedeutet.«

»Er offenbar nicht.« Andrees Anderberg deutete nach oben zu Morten Aruunen. Der Oberste Floßvaterresidierte mit grimmigem Blick in seiner Kabine und starrte in die Ferne. Von seiner erhobenen Position aus konnte er über die Reling schauen. Seit vierzig Jahren führte er Flöße durch die Lava. Eine beachtliche Leistung, die einen Schatz an Erfahrungen mit sich brachte. Dennoch hatte er in dieser Saison schon einige umstrittene Entscheidungen getroffen. An Bord munkelte man, dies sei seine letzte Fahrt. Manche meinten, er ginge freiwillig in Ruhestand, andere behaupteten, die Reederei ziehe ihn aus Altersgründen vom Erntedienst ab.

»Ich weiß es auch nicht.« Esko und Andrees wandten sich um. Vor ihnen stand Jesper Göthberg, ein schlaksiger Junge mit ausgeprägten Wangenknochen. Die weißblonden Haare trug er bis zu den Schultern.

Das wird ihm noch vergehen, dachte Anderberg. Wenn sich erst einmal ein paar Funken darin verfangen und ihm alles abgesengt haben.

Esko Simonsens Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Sieh an, unser Jungchen. Die Latrinen schon geleert, Japser?«

»Jesper«, korrigierte ihn der Bursche. »Und jawohl, die Latrinen sind geleert.«

Göthberg erlebte seine erste Erntesaison. Er mochte Anfang zwanzig, höchstens fünfundzwanzig sein. Wie man bei einem Baschronbaum das Alter an der Anzahl der Astebenen abzulesen vermochte, konnte man bei einem Flößer seine Erfahrenheit an der Zahl der Brandnarben erkennen. Jespers Haut zeigte noch keinerlei derartige Spuren. Das lag allerdings daran, dass er als Neuling, als Lavirgine, kaum jemals auf Deck kam. Kajüten schrubben, Frasnolien fürs Essen schälen und entkernen, das Feuer unter den Thermophilen-Tanks versorgen. Nichts anderes war die Aufgabe eines Neulings.

Ein Lavirgine galt als Mädchen für alles; für alles, was sonst niemand erledigen wollte. Überstand er seine erste Saison, ohne zu murren oder die Lust zu verlieren, begann im zweiten Sommer die Ausbildung zum Deckräumer. Machte er dabei eine gute Figur, konnte er es ab dem dritten Jahr zum Bergematrosen oder Tauführer bringen. Nur die wenigsten schafften es bis zum Taucher. Doch genau das war Jespers Ziel. Er wollte einer der besten und berühmtesten Thermophilen-Pflücker werden, die Skagsram bisher gesehen hatte. Nachts in den Hängematten erzählte er den Kameraden von seinem Wunsch. Und sie stachelten seine Begeisterung mit den alten Legenden noch an.

Wie der von Snorre Malmqvist, der sich am Grund eines Lavaflusses vom Terkonittau gelöst hatte, um zu einer Thermophilen-Siedlung zu laufen, die er sonst nicht erreicht hätte. Oder die von Ville Varila, der einen so großen Brocken geerntet hatte, dass er damit nicht mehr hatte auftauchen können. Also hatte er gewartet, bis ein Lavede vorbeigezogen war, ihm das Terkonittau um die Rückenkralle geschlungen und sich an die Oberfläche ziehen lassen.

Nichts als Geschichten, die sich ein Matrose ausgedacht haben mochte, um einen neugierigen Lavirginen zu begeistern. Jesper saugte sie in sich auf, als wären sie nahrhaft wie Frasnolienmus. Andrees hatte schon lange keinen so emsigen Lavirginen mehr gesehen. Er murrte nicht einmal dann, wenn er die Latrine ausleeren musste.

Guter Junge! Ein Skagsramer zaudert nicht, er verrichtet mit Hingabe seine Arbeit. Zweiter Hauptsatz der Regeln für ein gesellschaftliches Miteinander. Nicke Dahlqvist hatte wirklich gewusst, wovon er sprach. Andrees zweifelte allerdings an, dass der Gründervater jemals eine Latrine hatte reinigen müssen.

Natürlich konnte man die Exkremente der Flößer nicht unmittelbar in den Lavafluss pumpen, denn dazu hätte es einer Öffnung in der Terkonithülle bedurft, von der die Sicherheit an Bord gefährdet worden wäre. Vom explosionsartigen Verdampfen der Flüssigkeit ganz zu schweigen. Immer wieder versuchten sich die Werften an der Lösung dieses Problems. Hochdruckgeschütze, mit Terkonit ausgekleidete Schleusensysteme. Vieles hatten die Konstrukteure schon ausprobiert. Ein Rohrsystem, das den Unrat nach oben über die Reling pumpte, war daran gescheitert, dass es auf dem Testschiff geplatzt war und ein hochrangiges Regierungsmitglied von oben bis unten besudelt hatte. In der Lavaschifffahrt galt: Je einfacher und robuster die Technik war, desto besser funktionierte sie.

Hätte der Gründervater jemals einen Behälter voll Exkrementen auf die zehn Meter hohe Plattform am Heck eines Floßes schleppen und ihn von dort in die Lava entleeren müssen, dann hätte er seinen zweiten Hauptsatz womöglich anders formuliert.

Ein Skagsramer zaudert nicht, es sei denn, er muss Scheiße in die Glut kippen.

Esko lachte. »Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn die Flut einsetzt? Japser, Japser, wie soll aus dir nur jemals ein Taucher werden?«

»Die Flut«, erklärte Andrees, »ist der natürliche Feind jedes Glutmatrosen. Dann fließt die Lava schneller zu den Ozeanen, ist unberechenbarer. Sie rülpst häufiger und heftiger als bei Ebbe. Es bilden sich tückische Strudel, die Viskosität und damit die Strömung änderten sich von einem Augenblick auf den anderen. Und das Gefährlichste: Die Temperatur des flüssigen Gesteins steigt um gute zweihundert Grad an.«

Jesper bekam große Augen. »Kann das Floß schmelzen?«

»Unsinn. Für die Terkonithülle der KRIEGSZAHN oder die Tauchanzüge der Thermophilen-Pflücker stellt das kein Problem dar, aber für die Laveden.«

»Was haben die denn damit zu tun?«

»Alles!«, warf Esko ein. »Was weißt du von ihnen?«

Der Junge dachte einen Augenblick nach. »Nicht viel. Ville Varila soll auf einem geritten sein. Sie zählen zu den merkwürdigsten Geschöpfen, die es auf dem Planeten gibt.«

»Das kannst du laut sagen«, meinte Andrees. »Seit über fünfzehn Jahren verrichte ich auf den Ernteflößen meinen Dienst. Und noch immer läuft mir ein Schauder über den Rücken, wenn ich einen Laveden sehe. Von allen Lebewesen, die Skagsram zu bieten hat, sind sie mir mit Abstand am liebsten. Je größer der Abstand, desto lieber, wenn du weißt, was ich meine.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Das Bemerkenswerteste an ihnen ist, dass sie in der Lava leben. Wie du bestimmt weißt, hat ihnen die Evolution eine raue, zerklüftete Haut geschenkt, die der Gluthitze genügend Widerstand entgegensetzt.«

»Zumindest während der Ebbe«, ergänzte Esko Simonsen.

»Und bei Flut?« Jesper hing an ihren Lippen, lauschte jedem einzelnen Wort. Wissbegierig, emsig.

Guter Junge!

»Bei Flut«, fuhr Andrees fort, »reicht der natürliche Temperaturschutz nicht aus und die Tiere suchen zusätzliche Kühlung. Dazu springen sie gelegentlich aus der Lava in die Luft, lassen sich deren Kälte über die Haut streichen und klatschen zurück ins flüssige Gestein. Da Laveden eine Länge von bis zu fünfzig Metern und eine Masse von hundert Tonnen erreichen, sollte sich möglichst kein Floß in der Nähe aufhalten. Beim Aufprall des Tiers spritzen nämlich Unmengen von Lava durch die Luft, die als feuriger Regen an Deck niedergehen würden. Mit viel Pech landet der Lavede selbst an Bord. Die Folgen kannst du dir sicherlich ausmalen.« Er hob die Schaufel. »Die reicht dafür dann nicht mehr aus.«

»Aber die Legenden von Ville Varila und …«

Esko winkte ab. »Wie du sagst: Legenden. In Wirklichkeit sind Laveden nicht annähernd so handzahm, wie die Geschichten sie gerne darstellen.«

»Aber sie halten doch sicher Abstand, oder?«

»Dummerweise suchen sie vor allem während der Flut die Nähe der Flöße. Oder besser gesagt: die Nähe der Kühlaggregate.«

Nun sah auch Jesper Göthberg zur Kabine des Obersten Floßvaters.»Warum bricht er die Schicht nicht ab, wenn die Ernte bei Flut so gefährlich ist? Gerade er muss es doch wissen!«

Esko Simonsen folgte Jespers Blick. »Oh, das weiß er auch, mein Junge. Aber es ist ihm egal. Muss ihm egal sein, wenn er die Erntequote einhalten will.«

Die Erntequoten! Anderberg seufzte. Die KRIEGSZAHN stand im Eigentum der Supra-Thermophilen-Händler Daniel Strömblad und David Sernsborg. Auf all ihren Flößen prangte am Bug das verschnörkelte DSDS-Logo. Das Unternehmen zählte zu den bedeutendsten auf Skagsram, wenn es nicht sogar das bedeutendste war. Die Lavaschiffer erhielten hervorragende Löhne, allen voran die Taucher. Dafür verlangte DSDS aber auch maximalen Einsatz und gab die Erntequoten vor. Erfüllte man sie nicht, speisten die Herren Strömblad und Sernsborg ihre Matrosen auch mal nur mit einem Bruchteil der vereinbarten Heuer ab. Die empfindlichsten Einbußen hatte dabei der Oberste Floßvaterhinzunehmen, schließlich oblag es seiner Verantwortung, wie erfolgreich die Besatzung arbeitete. Kein Wunder also, dass Morten Aruunen Druck machte.

»Die Saison neigt sich dem Ende zu«, sagte Andrees, »und die bisherigen Erträge der KRIEGSZAHN sind jämmerlich. Du weißt es selbst am besten. Wie viele von den Tanks, in denen die Supra-Thermophilen lagern, musst du befeuern?«

»Fünf.«

»Von acht! Wenn wir einigermaßen im Schnitt lägen, müsste der siebte längst voll sein.«

»Oh!«

»Das hätte ich nicht besser ausdrücken können.«

Anderberg sah noch einmal zum Chronometer. Einhundertdrei Minuten waren vergangen, seit Morten Aruunen Erntebereitschaftsstufe drei ausgerufen hatte. Einhundertdrei Minuten, in denen der Einser- und der Zweier-Taucher eingezwängt in ihre Montur in der Nähe der geschlossenen Taucherschleuse auf ihren Einsatz warteten. Einhundertdrei Minuten, in denen die KRIEGSZAHN ergebnislos im Lavastrom kreuzte.

Er wusste, was das bedeutete. »Wenn innerhalb der nächsten sieben Minuten der Sucher nicht anschlägt, muss der Oberste Floßvaterdie Schicht abbrechen.«

»Warum?« Die Frage eines Lavirginen. Ebenso naiv wie dumm.

»Weil ein Thermophilen-Pflücker nicht länger als hundertfünfzig Minuten im Einsatz sein darf. Die medizinischen und psychologischen Tests, die wir vor jedem Saisonbeginn über uns ergehen lassen müssen, haben gezeigt, dass danach die Aufmerksamkeit drastisch nachlässt. Weil eine Ernte in der Lava etwa vierzig Minuten dauert, muss nach hundertzehn Minuten abgebrochen werden, wenn bis dahin nicht Erntebereitschaftsstufe vier gilt.« Andrees zuckte mit den Schultern. »Vorschriften. Nächstes Jahr wirst du davon mehr lernen, als dir lieb ist.«

»Was gibt’s da unten zu palavern?« Morten Aruunen lehnte aus einem Fenster seiner Floßvaterkabine und sah zu ihnen herab. Er trug eine silbern schimmernde Kappe, von deren Saum durchsichtige Frostnesseln hingen. Rhythmisch strichen sie ihm über den Nacken und das Gesicht. Auf Freiebene A, im Schutz der gekühlten Terkonitreling, betrug die Temperatur erträgliche neunzig Grad, also nur zwanzig Grad über der normalen Sommertemperatur auf Jorkull, dem einzig besiedelten Kontinent Skagsrams. Doch höher gelegene Ebenen verfügten nicht über einen derartigen Kühlungswall. Natürlich hatte man auch in die Kabinenwände, die Planken und wo sonst noch möglich Klimazellen integriert. Doch gegen die Ausstrahlung der bis zu tausendvierhundert Grad heißen Lava kamen sie nicht so gut an wie die Reling. Deshalb griffen Besatzungsmitglieder auf den höheren Ebenen gerne auf Hilfsmittel wie die Frostkappe zurück. »Habt ihr nichts zu tun?«

»Um ehrlich zu sein, nein, haben wir nicht«, sagte Esko so leise, dass Aruunen es nicht hören konnte.

Das war auch besser so, denn der Oberste Floßvatermachte im Augenblick nicht den Eindruck, als wäre er empfänglich für einen gepflegten Scherz.

»Begebt euch gefälligst auf eure Positionen«, plärrte Aruunen. »Sonst werde ich euch …«

Was er ihnen androhen wollte, erfuhren sie nicht mehr.

Aus den Lautsprechern, die überall an Bord angebracht waren, drang plötzlich ein Knattern wie von einem Geigerzähler, nur Sekunden später gefolgt von einer Stimme: »Ortung!«

»Stufe vier!«, brüllte Aruunen, diesmal über die Lautsprecher. »Alle auf ihre Posten.«

»Unter Deck mit dir!«, befahl Andrees dem Lavirginen Jesper. Der gehorchte auf der Stelle. Während einer Ernte durfte sich kein Neuling draußen aufhalten. Zu groß war die Gefahr, dass er im Weg stand.

Andrees rannte die dreißig Meter quer über das Deck, die ihn von den Tauchern trennten. Bereits nach wenigen Sekunden brach ihm der Schweiß aus. War es nicht ungewöhnlich heiß heute?

Ach was, sicher nur die Anspannung, weil es endlich losging. Wieder begann das Narbengewebe um die leere Augenhöhle zu jucken. Bei seinem Gespräch mit Esko und Jesper hatte er das Gefühl glatt verdrängt. Doch nun brachte es sich umso eindringlicher in Erinnerung.

Esko Simonsen tauchte neben ihm auf sowie vier weitere Deckräumer. Jeder blieb neben einer der sechs Terkonitwannen stehen, die im Halbkreis um die Schleuse aufgereiht waren. Wenn der Strom jenseits der Reling so heftig rülpste, wie es sich diesseits anhörte, würden sie bald alle Hände voll zu tun haben.

Auf der KRIEGSZAHN griff nun ein Rädchen ins andere. Ein Ablauf, wie sie ihn viele Hunderte Male praktiziert hatten.

»Spürer!«, schepperte Aruunens Stimme aus den Lautsprechern. »Meldung!«

Lauri Parviainen, der in dieser Schicht die Sucherinstrumente bediente, reagierte sofort. Auch wenn seine Meldung nicht ganz den Vorschriften entsprach. Offenbar hatte ihn die Freude übermannt. »Ein großes Feld. Ach was, eine verdammt riesige Siedlung! Wenn wir die abgeerntet haben, sind unsere Tanks rappelvoll.«

Die Kabine des Spürers befand sich in der vordersten Spitze des Bugs. Von hier aus bestrich Parviainen mit einem Gerät, das den klangvollen und außerordentlich originellen Namen Sucher trug, den Lavafluss mit radioaktiver Ionenstrahlung. Sobald das Instrument auf Thermophilen stieß, schlug es an und knatterte wie eine Fahne im Wind. Zugegeben, eine primitive Methode der Ortung, aber wie bei den Latrinen hatten sich sämtliche technisch ausgefeilteren Ansätze als unpraktikabel erwiesen.

Offenbar glaubte Parviainen, seiner Meldung noch eine weitere persönliche Note verleihen zu müssen. »Leck mich am Arsch, so eine Menge hab ich noch nie gesehen.«

Aus seinen Worten sprach die Erleichterung darüber, dass die Saison doch ein versöhnliches Ende fand. Vermutlich aus diesem Grund erteilte ihm Aruunen auch keine Rüge für sein ungebührliches Verhalten.

Andrees atmete so tief durch, dass er die Hitze in der Lunge fühlte. Er wusste nicht, ob er die Begeisterung des Spürers teilen oder sich bei einem so großen Feld eher sorgen sollte, dass der Oberste Floßvaternach vierzig Minuten nicht die Schicht beenden, sondern nur die Taucher ablösen lassen würde. Und das bei stetig wachsender Flut. Niemals würde Aruunen es riskieren, dass die Thermophilen-Siedlung bis zum Einsetzen der Ebbe weiterwanderte und womöglich im Ozean verschwand!

»Die KRIEGSZAHN auf Taulänge ans Feld steuern«, befahl er. »Ankermeister, Abschusswinkel berechnen!«

Der einäugige Deckräumer zog Handschuhe aus der Tasche seines Schutzanzugs und stülpte sie sich über. Sie reichten bis über die Ellenbogen. Mit einer Bewegung, die ihm längst in Fleisch und Glut übergegangen war, prüfte er den Sitz der Thermohaube, die noch in seinem Nacken hing.

Einsatzbereit. Gut so.

Den Männern mit den Schaufeln blieben noch einige Minuten, bis sie gefordert waren. Die Reling gab die Schleusen zur Hölle stets erst im letzten Moment frei. So ließ Andrees seinen Blick noch einmal über Deck gleiten.

In Bugnähe öffnete sich eine Luke und die drei Meter hohe Ankerkanone schob sich empor. Für wenige Sekunden bot ihre eisbedeckte Oberfläche einen bizarren Anblick, dann schmolz das Eis auch schon weg. Obwohl Andrees es nicht sehen konnte, weil ihm die Deckaufbauten die Sicht nahmen, wusste er, dass gute zweihundertfünfzig Meter weiter hinten am Heck des Floßes das Gleiche geschah.

Nun musste es selbst dem letzten Besatzungsmitglied klar werden: Der Oberste Floßvaterwollte das Thermophilen-Feld abernten, egal wie lange es dauerte. Für nur eine Tauchschicht hätten die Maschinen die KRIEGSZAHN in Position gehalten. Hatte man aber vor, über Stunden hinweg an einem Fleck zu schwimmen, empfahl sich der Einsatz der Ankertaue. Vor allem bei Flut hätte sonst die Gefahr bestanden, allzu leicht abzutreiben.

Ein dumpfes Krachen ertönte auf der anderen Seite der Reling, als hätte jemand von draußen angeklopft.

Andrees stöhnte innerlich auf. Gerade eben war er sich noch nicht sicher gewesen, doch nun hatte er sich festgelegt: Die Fluternte war keine gute Idee. Ein unbehagliches Gefühl überkam ihn, beinahe so etwas wie eine Vorahnung.

Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit, wie so oft in den vier Jahren nach seinem Unfall. Auch damals hatten sie eine Thermophilen-Siedlung bei Einsetzen der Flut abgeerntet. Er hatte als Einser-Taucher fungiert, also als der eigentliche Pflücker. Es war eine großartige Ernte gewesen, und alle Besatzungsmitglieder hatten sich in einer Art Rausch befunden. Auch er – bis zu seinem Aufstieg.

Der Tauführer hatte ihn aus der Lava gezogen und ihn an Deck abgesetzt. Wie es Vorschrift war, hatten sie hinter ihm die Schleuse geschlossen. Sie hatten abgewartet, bis die letzten Reste flüssigen Gesteins vom Schutzanzug aus Lavedenhaut gerutscht und von den Deckräumern in die Terkonitwannen geschaufelt worden waren. Dann erst hatten sie sich daran gemacht, die Thermophilen-Knollen und die mehrschichtige Wickelung der lavaabweisenden Schutzfasern zu entfernen.

Leider war niemandem aufgefallen, dass kurz vorher vom Strom ein fingernagelgroßes Lavaklümpchen über die Reling gerülpst worden war, das sich in der Nähe von Andrees’ Schulterblatt festgesetzt hatte. Mit der Euphorie der großen Ernte hatten die Deckräumer und Bergematrosen ihn von der Lavedenhaut befreit. Dabei hatte sich der glühende Stein gelöst, war ihm ins Auge geschossen und hatte seine Laufbahn als Taucher beendet.

Lavaflößer bildeten eine verschworene Gemeinschaft. Und so nahmen die Kollegen ihn bereits in der nächsten Saison mit offenen Armen wieder bei sich auf, wenn er wegen des fehlenden Auges auch kein Pflücker mehr sein konnte. Die Ara-Ärzte in der Klinik von Hulborg hatten ihm angeboten, das Narbengewebe zu glätten, fotosensorische Zellen in die leere Augenhöhle zu pflanzen und sie mit dem Sehnerv zu verbinden. Niemand hätte den Unterschied bemerkt. Nicht einmal er selbst. Dennoch hatte er abgelehnt.

Gehe den dir vorbestimmten Weg. Hinterfrage nicht die Pläne des Schicksals, sondern nimm sie mit Freuden an. Vierter Hauptsatz der Regeln für ein gesellschaftliches Miteinander.

Jeder Flößer trug seine Narben mit Stolz. Sie zeigten, dass er sich der Lava gestellt hatte, bewiesen seinen Arbeitseifer und Mut. Egal, ob es sich um den Verlust von ein paar Quadratmillimetern Haut oder um den eines Fingers oder eines Fußes handelte. Oder um den eines Auges. Das damalige Floß war die KRIEGSZAHN gewesen. Der Oberste FloßvaterMorten Aruunen. So wie heute.

Andrees blickte hinauf zur Kabine. Hinter dem Thermoglas konnte er Aruunens Gesicht deutlich ausmachen. Es leuchtete schier vor Erregung.

»Kanonen ausgerichtet, Abschusswinkel eingestellt«, meldete die Stimme des Ankermeisters.

Kurz darauf erklang der Steuermann. »Floß in Taulänge zur Siedlung positioniert.«

Der Oberste Floßvaterwar zufrieden. »Ankermeister, feuern Sie die Haken ab.«

Ein lautes Zischen ertönte. Die zwei entgegengesetzten Läufe beider Ankerkanonen schossen je einen Terkonithaken ans Ufer des Lavaflusses, wo sie sich an genau vorausberechneten Punkten an einer Felswand oder an Lavabäumen festkrallten. Vier fingerdicke Nyralonseile verbanden die KRIEGSZAHN mit den Ankerhaken und hielten das Floß auf Position. Bisher war es noch niemandem gelungen, eine Methode zu entwickeln, mit der man einen Anker wirkungsvoll direkt in der Lava ausbringen konnte. Deshalb benutzte man noch immer das VPKS, das Vier-Punkte-Kreuz-System, auch wenn es einen entscheidenden Nachteil besaß.

Manche Lavaflüsse erreichten eine Breite von fünf Kilometern oder mehr. Wenn ein Floß in der Nähe eines Ufers ankern wollte, bedurfte es eines ebenso langen Taus, um es auf die andere Seite zu schießen. Dieses Seil musste ultraleicht sein, um es über die entsprechende Distanz punktgenau in einem Felsen verankern zu können. Zugleich benötigte es eine ungeheure Reißfestigkeit. Nyralon, eine Eigenentwicklung der Skagsramer aus den Fasern des Baschronbaums, vereinte all diese Eigenschaften in sich – allerdings nur, solange man es bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lagerte. Verließen die Seile erst einmal die vereisten Kanonen, blieben noch etwa fünf Stunden, bis sie spröde wurden und rissen. Selbst direkter Kontakt mit der Lava ließ sie nicht entflammen, verringerte die Haltbarkeit aber drastisch.

»Haken verankert«, kam die Meldung. »Taue gespannt.«

»Also gut, Flößer«, sprach Morten Aruunen die rituellen Worte. »Dann lasst uns die Ernte einbringen!«

Wie die anderen Deckräumer zog Andrees die Schutzhaube über und sofort drangen die Geräusche nur noch gedämpft an seine Ohren. Wie von Geisterhand glitt ein Teil der Reling nach unten. Das Taucherschott.

Es lag knappe zwei Meter oberhalb des Lavaspiegels. Nicht hoch genug! Als habe der Strom nur darauf gewartet, rülpste er einen Schwall flüssiger Glut durch die Öffnung. Eine unbeschreibliche Hitze quoll durch die Lücke im Kühlungswall. Ohne die Schutzanzüge hätte sie ihnen die Haut von den Knochen gebrannt.

Jeder Räumer war für ein Dreißig-Grad-Segment um das Schott verantwortlich. Andrees hatte den Eindruck, der Strom habe ihm das größte Geschenk hingespuckt. Besaß er doch ein Bewusstsein, einen boshaften, hinterhältigen Willen?

Lass uns den einäugigen Ex-Taucher etwas verspotten. Wollen wir doch mal sehen, was er so drauf hat.

Unsinn! Andrees verdrängte den Gedanken. Denk lieber an das, was Nicke Dahlqvist seinem Volk mit auf den Weg gegeben hat.

Mit zwei Schritten war er bei dem Klumpen.

Erfülle die Aufgaben, die das Leben dir stellt.

Er stach das Schaufelblatt in die Masse und brach ein Stück daraus hervor.

Darin liegt Zufriedenheit.

Seitlich tropfte Lava von der Schaufel. Darum würde er sich später kümmern. Jetzt musste er erst einmal diese Ladung in die Terkonitwanne schaffen.

Ein Skagsramer zaudert nicht …

Die Glut klatschte in den Behälter. Dann das nächste Schaufelblatt voll. Und das übernächste.

… er verrichtet mit Hingabe seine Arbeit.

Endlich hatte er seinen Sektor gesäubert. Unterbewusst wartete er darauf, dass der Strom wieder rülpste, ihn erneut verspottete. Doch das geschah nicht. Die Lava zeigte sich ruhiger, als er befürchtet hatte.

Er wollte zu den beiden Tauchern schauen, doch er wusste, dass es zu spät war. Während er mit seiner Aufgabe beschäftigt gewesen war, hatten sie den Sprung bereits gewagt. Zwei armstarke Terkonitseile verliefen von einer Winde auf Ebene B bis zum Schott und darüber hinaus.

Andrees hatte den Abstieg verpasst. Den Moment, der für ihn als Pflücker immer der erhebendste gewesen war, hatte er doch den Willen und die Fähigkeit der Skagsramer dokumentiert, den unwirtlichsten Umweltbedingungen zu trotzen. Er konnte es sich nicht erklären, aber plötzlich überkam ihn ein Gefühl des Verlustes. Nicht einmal der Gedanke an Nicke Dahlqvists Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders verschaffte ihm Erleichterung.

Kapitel 2Nicke Dahlqvist, Glutöl, Perry und ich

Behandle deine Umwelt mit Respekt,

dann wird auch sie dich mit Respekt behandeln.

(Siebter Nebensatz der Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders)

»Und bei dieser Dame handelt es sich um Ata Mathiesen.«

Nithis betätigte einen Sensor auf dem Schaltfeld vor sich und im Holowürfel erschien der Kopf einer weißblonden Frau. Ihr Gesicht wirkte kühl, beinahe schon überheblich und unnahbar, was ihrer Attraktivität allerdings keinen Abbruch tat. Im Gegenteil. Auch die Narben auf den Wangen und der Stirn unterstrichen ihre faszinierende Ausstrahlung eher, als dass sie ihr schadeten. Perry Rhodan setzte sich in seinem Sessel auf und betrachtete das Hologramm. Offenbar hatte ihn das Aussehen des Gesichts sofort eingefangen.

Da mochten sie auf ein über tausendjähriges Leben zurückschauen und sich vom Risikopiloten und Major der U.S. Space Force zum Großadministrator des Solaren Imperiums entwickelt haben, wenn sie eine schöne Frau sahen, benahmen sie sich noch immer, als seien sie gerade in Felle gehüllt aus der Höhle getreten. Terraner!

Als ob das Gesicht einen Arkoniden kalt lassen würde, spottete mein Extrasinn. Da mögen sie auf ein über elftausendjähriges Leben zurückblicken und sich vom Kristallprinzen zum Lordadmiral und Chef der USO entwickelt haben, der weiblichen Schönheit erliegen sie doch.

Ich verzichtete auf Widerspruch. Er hätte nur zu einer Diskussion geführt, in der ich ohnehin den Kürzeren gezogen hätte. Also setzte auch ich mich aufrecht hin und betrachtete das Holo.

Perry saß mir an dem Tisch des kleinen Konferenzraums der NEW HOPE direkt gegenüber. Bei uns hielt sich der Berater für kosmopolitische Fragen und fremde Gebräuche auf, ein Terraner mit schwarzen Augen, ebensolchen Haaren und einer tiefen, brummenden Stimme, die in dem massigen, aber höchstens einen Meter sechzig großen Leib einen geeigneten Resonanzkörper fand. Sein Name lautete Nithis.

Arco Nithis.

Offenbar hatten sich seine Eltern bei der Wahl des Vornamens in einer besonders albernen Stimmung befunden.

»Was sind das für Narben in ihrem Gesicht?«, fragte Rhodan. »Doch nicht etwa die Überbleibsel von Lashat-Pocken?«

»Nein«, entgegnete Nithis. »Ata Mathiesen hat den Planeten Skagsram nie verlassen, war folglich nie dem Seuchenerreger von Lashat ausgesetzt. Vielmehr handelt es sich um Hitzenarben, wie Sie sie auch auf den Gesichtern vieler Landsleute Mathiesens finden werden.«

Ich musterte den Großadministrator mit zusammengekniffenen Augen. Warum stellte er so eine lächerliche Frage? Mit Ronald Tekener, der sich die Krankheit bei einem Einsatz auf dem Planeten Lashat zugezogen hatte, kannte er einen der wenigen Überlebenden der gefürchteten Pocken. Die tiefen Lashatnarben, die Tekeners gesamten Körper entstellten, besaßen keinerlei Ähnlichkeiten mit den Schäden in Ata Mathiesens Gesicht. Erkannte Perry das nicht?

Natürlich erkennt er es, belehrte mich mein Logiksektor. Er spielt mit sinnlosen Fragen auf Zeit. Er will die Erinnerung an Skagsrams Vergangenheit und seine Rolle darin so lange wie möglich hinausschieben. Ein tief in den Genen verwurzeltes Fluchtverhalten.

Erst als Perry mir einen giftigen Blick zuwarf, bemerkte ich, dass ich grinste.

»Gibt es einen Grund für deine Heiterkeit?«

Ich dachte gar nicht daran, das Grinsen von meinen Lippen zu nehmen. »Ich musste nur gerade an etwas denken.«

»Fein. Können wir dann jetzt bitte weitermachen?«

Er fühlt sich durchschaut.

Arco Nithis blickte von mir zu Perry und dann wieder zu mir. »Ata Mathiesen hat die Stellung des Ombudsmanns inne.«

»Sie ist demnach die Regierungschefin von Skagsram«, sagte Rhodan. Er versuchte also, weiter Zeit zu schinden.

»Korrekt.«

Ich beschloss, Perry zu unterstützen, indem ich ebenfalls ein paar Fragen stellte, auf die ich die Antworten längst kannte. »Ombudsmann? Ist das der zutreffende Titel bei einer Frau? Müsste es nicht Ombudsmännin oder Ombudsfrau heißen?«

Der Berater zögerte für einen Augenblick. Vermutlich überlegte er, ob ich ihn auf den Arm nehmen wollte. Er entschied sich dagegen. »Nein. Das Wort stammt aus dem terranischen Sprachgebrauch und bezeichnet eine Art Schiedsrichter, eine unparteiische Vertrauensperson. Seinen Ursprung besitzt der Begriff im Altnordischen.« Er ratterte den Text herunter, wie er ihn aus einer der Datenbanken entnommen haben musste. »Bedenken Sie, dass die Skagsramer ihre Ahnenlinie zum Großteil auf Terra-Siedler zurückführen, die Ende des einundzwanzigsten Jahrhunderts mit den Schiffen SKAGERRAK, FREYA, SKJÖLDUR und TURKKU auf diesen Planeten gelangt sind. Schon die Namen dürften Ihnen klarmachen, dass die Siedler hauptsächlich skandinavischer Herkunft waren.«

Nun war Nithis in seinem Element. Er war ein wirklich netter Kerl, der nur einen Fehler besaß: seine Mitteilsamkeit. Wenn man sein übersprudelndes Wissen anbohrte, brachte man es nur mühsam zum Versiegen.

»Im Gegensatz zu manchen terranischen Regionen der damaligen Zeit legte man keinen Wert darauf, jedem Titel oder jeder Bezeichnung eine weibliche Form aufzuzwängen. Eine weise Entscheidung, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben. Denn auf einem Extrem-Planeten wie Skagsram überlebt man nur, wenn man eine starke Einheit bildet. Wenn man sich in Nebensächlichkeiten aufreibt, hat man keine Chance. Warum zum Beispiel hätte man die Leute Siedler und Siedlerinnen nennen sollen? Umständlich, zeitraubend und ohne jeglichen Informationswert.«

Dies war die letzte Besprechung vor unserem Eintreffen auf dem Planeten und Arco Nithis’ Aufgabe war es, uns ein Gefühl für den Planeten zu vermitteln. Der Großteil der Daten war uns natürlich bekannt, aber wir wollten dem Berater nicht das Vergnügen rauben, mit seinem Wissen zu glänzen. Der USO-Kreuzer NEW HOPE, der uns an Bord genommen hatte, befand sich bereits im Anflug auf Skagsram. Während der Reise hatten hauptsächlich politische Themen meine Gespräche mit Perry Rhodan beherrscht.

Wir hatten in unserer Erinnerung den Krieg gegen die Zeitpolizei noch einmal aufleben lassen. Auch wenn seitdem schon beinahe siebenhundert Jahre terranischer Zeitrechnung vergangen waren, bestimmten seine Auswirkungen noch immer das Bild der Milchstraße. Das Solare Imperium war zersplittert, aus den abgespalteten Systemen hatten sich neue, große Sternenreiche der Menschheit gebildet.

Da war zum einen der Carsualsche Bund der Ertruser, der nun unter der Herrschaft des Triumvirats Nos Vigeland, Terser Frascati und Runeme Shilter stand. Alle drei waren Träger von Zellaktivatoren, welche sie auf alles andere als ehrenhafte Art erbeutet hatten. Ebenfalls ins Bild gehörten das Reich des klugen, charmanten und völlig skrupellosen Kolonialterraners Shalmon Kirte Dabrifa, das der Herrscher zur Vermeidung von Missverständnissen schlicht »Imperium Dabrifa« nannte, und die Zentralgalaktische Union, jene durch einundzwanzig Kalfaktoren von Rudyn aus regierte Kollektivdiktatur.

Wir hatten über Artemio Hoffins geplaudert, den Anführer der Schwarzen Garde, wie man Dabrifas Geheimdienst bezeichnete. Er hatte vor siebzehn Jahren seinen großen Herrn und Meister, den durchlauchtigsten Imperator persönlich, betrogen und schmählich im Stich gelassen. Ich hatte ihn schließlich mattsetzen können und über Tipa Riordan an Dabrifa ausgeliefert.

Tipa Riordan! Auch sie hatte Perry und mich in unseren Gesprächen beschäftigt. Die Chefin der Piraten hatte ebenfalls auf zweifelhaftem Weg einen Zellaktivator an sich gebracht. Nun sah sie zwar immer noch so aus, als würde man nicht mehr lange auf ihr Ableben warten müssen, doch dank ihrer relativen Unsterblichkeitwürde dieses auf absehbare Zeit wohl nicht eintreten. Eine alte Hexe, aber Perry schätzte sie.

Über die Fracowitz-Systemstaaten hatten wir gesprochen, uns über die Milchstraßen-Tefroder die Köpfe heiß geredet, und auch die Ross-Koalition und die Wissenschaftler nicht ausgelassen. In einer Zeit, in der die Geheimdienste Hochkonjunktur hatten, in der jede Gruppe intrigierte und versuchte, sich kleine Vorteile gegenüber den anderen zu ergaunern, gab es wahrlich genügend Gesprächsthemen.

Zumindest hatten sie dafür ausgereicht, dass Perry und ich ein Thema krampfhaft hatten vermeiden können: unsere erste und einzige Begegnung mit Nicke Dahlqvist, dem Gründervater von Skagsram. Wobei es mein terranischer Freund war, dem die Erinnerung daran peinlich war. Ich hatte sie eher als amüsante Anekdote im Gedächtnis.

Und das trügt dich dank meiner Mithilfe ja nie, kommentierte mein Extrasinn.

Richtig, erwiderte ich in Gedanken.

»Oddo Karismäki«, holte mich Nithis’ Stimme in die Gegenwart zurück. Der Holowürfel zeigte inzwischen ein anderes Gesicht, das so gar nichts von der Attraktivität der schönen Ata Mathiesen aufzuweisen hatte. Allein von der Kopfform und der Breite des Nackens erschien mir der dargestellte Mann massiger als die Regierungschefin Skagsrams. Er mochte siebzig Jahre alt sein. Auf der linken Kopfhälfte bildete sein schwarzes Haar ein undurchdringliches Gestrüpp aus Locken, während es auf der rechten glatt bis über das Ohr hing. Eine genetische Besonderheit? Eine Modeerscheinung auf dem Planeten oder lediglich Ausdruck seiner Persönlichkeit? Ich wusste es nicht. Auch wenn es sich nur um ein Hologramm handelte, erweckten die Augen mit ihren goldroten Iriden den Eindruck, als beobachteten sie uns.

»Er ist Skagsrams Hetman«, fuhr Arco Nithis fort. »Also so etwas wie der Verteidigungs- oder Kriegsminister. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass der Planet noch nie an irgendeinem Kriegsgeschehen beteiligt war. Zugleich ist er Befehlshaber der Ordnungskräfte, der Skuldare, und stellvertretender Ombudsmann. Mit anderen Worten: Er ist die Nummer zwei auf Skagsram.« Nithis wandte sich mir zu. »Und bevor Sie fragen: Auch wenn er eine Frau wäre, würde man nicht von einer Hetmännin sprechen.«

Ich lächelte gequält. »Danke sehr.«

»Die restliche Regierung besteht aus Haknur Hakilaunen, dem Ernte- und Wirtschaftsminister. Für sein Amt gab es offenbar keinen wohlklingenden Begriff. Von Hakilaunen erzählt man sich, er sei ein direkter Nachfahre von Nicke Dahlqvist, dem von allen Skagsramern verehrten …«

Perry winkte ab. »Das ist nicht nötig. Erzählen Sie uns lieber noch etwas über den Planeten selbst. Immerhin …« Er räusperte sich. Täuschte ich mich, oder färbten sich seine Wangen ein wenig rot? »Immerhin ist es über tausend Jahre her, dass ich zuletzt hier war.«

»Wie Sie wünschen.« Nithis betätigte zwei Sensoren auf dem Steuerfeld, und Oddo Karismäki, stellvertretender Ombudsmann und unterbeschäftigter Kriegsminister, verabschiedete sich aus dem Holowürfel. Stattdessen erschien die schematische Darstellung eines Sonnensystems mit sechzehn Planeten. »Das Losson-System liegt etwa eintausenddreihundert Lichtjahre von der Erde entfernt …«

Eintausendreihundertdreizehn, präzisierte mein Extrasinn.

Sei doch nicht so pingelig, gab ich gedanklich zurück.

»… und sechsundvierzig Lichtjahre unterhalb der Milchstraßen-Hauptebene. Skagsram ist der dem Muttergestirn zweitnächste Planet. Bemerkenswert sind seine mineralische Zusammensetzung und die Temperaturen im Inneren, die erheblich über denen Terras liegen. Dadurch weist die an vielen Stellen an die Oberfläche tretende Lava eine Viskosität auf, die – wenn Sie mir den Vergleich erlauben – an Honig erinnert.« Das Holo zoomte heran und präsentierte den Planeten in Echtfarben. Ich zählte fünf Kontinente. Vier davon schimmerten in einem tiefen Orangeton, der am Nordpol gelegene sechste zeigte ein schmutziges Grünbraun. Von den dazwischen liegenden Ozeanen konnte man kaum etwas erkennen, da sie unter gelblichen Wolken verborgen lagen. »Ein Umlauf um die Sonne dauert vierhundertvierzehn Tage, eine Rotation um sich selbst zweiundzwanzig Stunden. Es umkreisen drei Monde den Planeten: Sigja, Vernedur und Oban. Der größte von ihnen …«

Wieder unterbrach Perry die Wissensflut. »Überspringen Sie doch die astronomischen Details und erzählen uns etwas über die Bevölkerung.«

»Natürlich. Von den etwa zwanzig Millionen Einwohnern leben fast alle auf Jorkull, dem Kontinent am Nordpol, von diesen wiederum die Hälfte in der Hauptstadt Hulborg. Sie finden nur sehr wenige andere Spezies. Selbst terranische Zuwanderer sind selten, weil die sich nur mühsam integrieren könnten. Für die Skagsramer zählen nur die Regeln ihres Gründervaters Nicke Dahlqvist, eines strebsamen, enthaltsamen Siedlers. Er formulierte …«

Zum dritten Mal fiel Perry dem Berater ins Wort. »Ich denke, das genügt fürs Erste. Danke, Sie können sich zurückziehen.«

Für einen Augenblick wirkte Arco Nithis verblüfft, beinahe schon gekränkt. Sicherlich hatte er noch Unmengen an weiterem Wissen getankt, das er nun nicht mehr an den Mann bringen konnte. Er sagte jedoch nur: »Jawohl, Sir!« und verließ den Konferenzraum.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, warf ich Perry einen belustigten Blick zu. »Er kann nichts dafür!«

Der Terraner stand aus dem Sessel auf und wandte sich von mir ab. »Wofür?«

»Ach, komm schon. Du weißt genau, wovon ich rede. Von den Erlebnissen, die du zu verdrängen versuchst, seit ich dich zu unserem kleinen Staatsbesuch auf Skagsram überredet habe.«

Für einige Sekunden sagte er nichts, stand nur mit hinter dem Rücken verschränkten Armen da und starrte die Wand an. Dann fuhr er herum.

»Na schön, du Nerventod. Wenn du dich unbedingt in meinem Leid suhlen willst, dann lass uns darüber reden.«

»Meinetwegen ist das nicht nötig«, erwiderte ich.

Heuchler, kommentierte mein Logiksektor.

»Heuchler!«, sagte Perry. »Also, lass uns über Nicke Dahlqvist sprechen.«

Meine Gedanken trieben über tausend Jahre in die Vergangenheit. In eine Zeit, in der Perry Rhodan noch auf die jung erhaltende Wirkung der Zelldusche angewiesen war und deshalb auf so manche Segnung des Zellaktivators hatte verzichten müssen.

Als hätte das einen Unterschied gemacht, erinnerte mich mein Extrasinn. Wie immer hatte er recht.

Nicke Dahlqvist sah kein bisschen so aus, wie man sich einen Staatsmann vorstellte. Seine weizenblonden Haare standen von seinem Kopf ab, als sei er gerade erst aus dem Bett aufgestanden. Auf seinem Gesicht tummelten sich mehr Sommersprossen als Sterne in der Milchstraße und verliehen ihm trotz seines Alters von vierzig Jahren einen lausbubenhaften Charme. Zwischen den Schneidezähnen prangte ein kleiner Spalt, der diesen Eindruck noch verstärkte, wenn Dahlqvist lächelte. Und er lächelte oft!

»Willkommen auf Skagsram!« Er streckte uns die Hand zum Gruß entgegen und – natürlich! – er lächelte. »Nehmen Sie bitte Platz.« Dahlqvist deutete auf einen reich gedeckten Tisch mit drei Stühlen. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie an Bord der SKAGERRAK empfange, aber meine privaten Räume hier haben doch erheblich mehr Komfort zu bieten als die schlichten Häuser in Hulborg. Wir sind zwar schon vor über fünf Jahren gelandet und schuften von früh bis spät, aber Bequemlichkeit zu schaffen steht dabei nicht an oberster Stelle.«

»Natürlich«, sagte Perry. »Danke für die Einladung.« Wir setzten uns.

»Hatten Sie bereits Gelegenheit, sich etwas umzusehen?«

»O ja«, erwiderte ich. »Matti Holmgren hat uns die Stadt gezeigt. Sehr beeindruckend, wie Sie sich in so einer Gegend behaupten.«

»Matti? Ein fleißiger junger Mann. Ich mag ihn, wenn er mir auch eine Spur zu emsig ist. Er könnte sein Leben durchaus etwas mehr genießen. Nun ja, soweit das auf einem Planeten wie Skagsram möglich ist.«

Dahlqvist war der Kommandant der SKAGERRAK. Doch auch die Besatzungen und Siedler auf den anderen Schiffen sahen ihn als ihren Befehlshaber an. Während der Führung durch Hulborg hatten wir erfahren, dass die Menschen an ihm vor allem seine lebensfrohe, unkomplizierte Art schätzten.

»Das Leben auf Skagsram ist hart genug«, sagten sie. »Da können wir keinen Griesgram als Oberhaupt gebrauchen.« Deshalb hatten sie Nicke Dahlqvist kurz nach ihrer Ankunft zum Ombudsmann gewählt, der als Schiedsmann im Sinne des terranischen Rechts die Geschicke der Kolonie lenkte.

Rhodan sah aus dem Fenster der SKAGERRAK auf den Planeten, über dem sie schwebten. Auf die Lavaflüsse, die die Kontinente wie Adern durchzogen, auf die dicken Nebelschwaden über den Meeren. »Ihr Leben hier ist sicher kein Zuckerschlecken.«

»Halb so wild.« Wieder blitzte die Zahnlücke, obwohl sie doch nur ein Spalt war. »Als Skandinavier hat man den Umgang mit einer rauen Natur in den Genen.«

»Wobei Ihre Vorfahren nicht gerade mit der Hitze zu kämpfen hatten«, erwiderte Perry. »Eher im Gegenteil.«

Dahlqvist lachte und hob die Arme. »Das ist wahr. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Er nahm eine Karaffe von der Mitte des Tischs und goss eine tiefrote, sämige Flüssigkeit in die Kelche vor uns.

Rhodan hob noch abwehrend die Hände, doch es war zu spät. »Was ist das?«, fragte er.

Die Augen des Ombudsmanns leuchteten. »Wir nennen es Glutöl. Haben Sie im Süden der Stadt das große Feuerblumenfeld gesehen?«

Wir bejahten.

»Leider ist es noch ein wenig zu kühl.«

Zweiundfünfzig Grad?, warf mein Logiksektor ein.

»Die Blumen blühen erst ab einer Temperatur von sechzig Grad. Da haben Sie ein einzigartiges Schauspiel verpasst. Auch wenn man Männern wie Ihnen gegenüber mit solchen Äußerungen vorsichtig sein muss, wage ich zu behaupten, dass Sie so etwas Beeindruckendes noch nie gesehen haben. Die Blüten erstrahlen in den unterschiedlichsten Rottönen. Sie flimmern und flackern und verströmen einen betörenden Geruch. Es sieht dann aus, als ob das Feld brenne.« Dahlqvist griff zu seinem Kelch und nahm einen großen Schluck. »Aus den Samen und Wurzeln der Blumen gewinnen wir dieses wunderbare Getränk. So haben wir die Glut und das Feuer für Zeiten eingefangen, in denen unter sechzig Grad herrschen.«

Ich nahm mein Gefäß und schnupperte. Ein herrlich süßes Aroma umschmeichelte meine Nase. »Ist es alkoholhaltig?« Mir konnte es egal sein, da ich dank meines Zellaktivators Unmengen hätte trinken müssen, bevor ich die Wirkung bemerkt hätte. Perry verfügte allerdings nicht über einen derartigen Schutz.

So zwanglos unser bisheriges Gespräch verlaufen war, wussten wir doch, welchen Zweck Dahlqvists Einladung verfolgte. Es ging um Skagsrams Unabhängigkeit von Terra. Ein heikles Thema. Deshalb mied Perry Alkohol.

»Überhaupt nicht!« Mit einem weiteren riesigen Schluck leerte der Ombudsmann seinen Behälter und schenkte sich sofort nach. »Sie werden doch nicht undiplomatisch sein und mich alleine trinken lassen? Ich wäre zutiefst gekränkt.« Sein Lächeln zeigte, dass er es nicht ernst meinte. »Na los, kosten Sie mal.«

Ich nippte an meinem Kelch und eine Lawine überrollte meine Geschmacksknospen. Eine angenehm herbe Süße explodierte förmlich in meinem Mund, kroch unter die Zunge und über den Gaumen. »Das ist fantastisch!«, gab ich zu. Wohlige Wärme füllte mich aus, sickerte bis in die letzte Faser meines Körpers. Ich nahm einen weiteren, diesmal deutlich größeren Schluck und genoss das Geschmackserlebnis.

Perry folgte meinem Vorbild.

Der Abend verging wie im Flug. Zu meinem Erstaunen spürte ich einen angenehmen Rausch, obwohl das wegen meines Zellaktivators unmöglich war. Und dabei blieb es nicht. Die Stimmung stieg, und nach weiteren fünf oder sechs Kelchen lachten wir über die geringsten Kleinigkeiten.

»Du hast geschwindelt!« Ich drohte Nicky, wie wir ihn inzwischen nannten, mit dem Zeigefinger und schenkte mir nach. »Da muss Alkohol drin sein! Prost.«

»Es würde mir nie einfallen, euch anzulügen. Das ist ja das Geniale am Glutöl. Es enthält keinerlei Alkohol oder sonstige Stoffe, die dem Körper schaden könnten. Aber durch einen Bestandteil aus den Wurzeln der Feuerblumen gaukelt es den Synapsen des Gehirns vor, betrunken zu machen. Das Hirn reagiert, wie man es von ihm erwartet: mit Rausch!« Er lachte schallend. »Ich liebe dieses Zeug.«

Deshalb also schützt dich der Zellaktivator nicht davor. Er erkennt das Getränk nicht als Gift.

Das ist ja auch kein Gift, belehrte ich meinen Logiksektor. Sondern sehr lecker!

Dennoch solltest du dich etwas zurückhalten.

Ach, halt die Klappe du Spielverderber! Lass mir doch den Spaß, auch mal wieder einen draufmachen zu können.

»Also, Perry«, sagte Nicky. »Wie ist das eigentlich, wenn man unsterblich ist? Wird das nicht irre langweilig?«

Rhodan lachte. »Ach was. Außerdem bin ich ja nicht unsterblich, sondern nur sehr gut geduscht.« Er kicherte. »Das Leben stellt dir so viele Aufgaben, dass es gar nicht langweilig werden kann.« Er fischte eine gelbliche Beere aus einer Schale, doch sie entglitt seinen Fingern, rollte über den Tisch und stürzte über die Kante.

Der Abend nimmt nicht den beabsichtigten Verlauf!

Ich ignorierte meinen inneren Besserwisser und genehmigte mir noch einen Schluck.

»Aber ewiges Leben«, fuhr der Ombudsmann fort, »unendlich viel Zeit, die eigenen Wünsche zu erfüllen. Irgendwann sind sie erfüllt, und was dann? Ist das nicht sehr unbefriedigend?«

Perry hob belehrend den Finger. »Gehe deinen Weg und stelle dich den Aufgaben, die das Leben für dich bereithält. Darin liegt Zufriedenheit.«

»Das ist gut. Augenblick, das muss ich mir notieren. Darf ich das verwenden?«

In diesem Stil vergingen die nächsten Stunden. Plötzlich waren alle damit beschäftigt, die Sätze der anderen aufzuschreiben. Und da bald niemand mehr wusste, wer welche Lebensweisheit von sich gegeben hatte, begannen wir, die klügsten Sätze zu unterschreiben.

Das Nächste, an das ich mich erinnern konnte, war, dass ich am folgenden Morgen in meiner Kabine in unserem Schiff aufwachte. Die Borduhr verriet mir, dass mir mehrere Stunden fehlten. Mein Logiksektor war beleidigt und redete nicht mit mir. Mein fotografisches Gedächtnis hatte offenbar für den Rest des Abends keinen Film eingelegt.

Der Summer ertönte.

»Ja«, rief ich.

Perry kam herein und warf mir einen unglücklichen Blick zu. »Was ist gestern passiert?«

»Ich weiß es nicht.«

Wenigstens quälte uns kein Kater. Woher auch? Immerhin hatten wir den ganzen Abend lang nur antialkoholische Getränke zu uns genommen.

»Wir müssen zu Dahlqvist und uns für diesen Absturz entschuldigen«, sagte Perry.

Also meldeten wir uns beim Ombudsmann von Skagsram an und statteten ihm eine Stunde später einen zweiten Besuch ab. Diesmal nahmen wir uns vor, alle angebotenen Getränke abzulehnen. Höflichkeit hin oder her. In Dahlqvists Kabine erwartete uns die nächste Überraschung.

»Schön, dass Sie noch einmal vorbeischauen«, empfing er uns. Offenbar waren wir wieder beim Sie angelangt. »Ich dachte, Sie sind bereits auf dem Heimflug.«

Ich wechselte einen alarmierten Blick mit Perry. Mir schwante Übles. »Aber doch nicht, bevor wir die Gespräche geführt haben, derentwegen wir überhaupt gekommen sind.« In Rhodans Stimme schwang ein besorgter Unterton mit.

Dahlqvist lachte. »Unsinn. Was gibt’s da noch zu besprechen? Das haben wir doch schon gestern erledigt. Die Verträge haben wir unterzeichnet, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.«

»Verträge?«, fragte Perry.

»Verträge?«, wiederholte ich.

Verträge!, meldete sich mein Logiksektor mit überheblich klingender Gedankenstimme zurück.

»Natürlich«, sagte Dahlqvist. »Sie werden doch gestern nicht zu tief ins Glas geschaut haben? Die Verträge, die Skagsrams Unabhängigkeit garantieren, bis der letzte Unterzeichner verstorben ist. Was bei einem Unsterblichen wie Ihnen sicherlich etwas länger dauern wird.«

»Der Kerl hat uns abgefüllt und dann über den Tisch gezogen! Er hat sich die Unabhängigkeit für seinen Planeten mit einem billigen Trick erschlichen.«

»Ich weiß, ich war dabei.«

Perry ließ sich in den Formsessel im Konferenzraum der NEW HOPE fallen. »Und wir konnten nicht einmal etwas dagegen unternehmen, ohne zuzugeben, dass wir uns wie Anfänger haben reinlegen lassen. Dieser Mistkerl!«

»Ich mochte ihn.«

»Ich auch«, gab Rhodan zu. »Irgendwie.«

»Dann vergiss es doch einfach. Das ist über tausend Jahre her.«

Der Großadministrator schüttelte den Kopf. »Das ist nicht leicht. Unsere Sympathie für Dahlqvist hat dafür gesorgt, dass Skagsram nun mit allen anderen Machtbündnissen kokettieren kann.«

»Das könnte der Planet inzwischen sowieso. Und warte doch erst mal ab. Vielleicht lässt diese Ata Mathiesen mit sich reden. Als Holo hat sie schon mal ganz nett ausgesehen.«

Nun musste auch Perry grinsen. »Das ist wieder mal typisch für dich. Dich interessiert nur, dass die Dame attraktiv ist. Wen kümmert, was sie sagt?«

Da tat er mir nicht ganz Unrecht. Auch wenn dem Großadministrator die Gespräche mit der Regierung von Skagsram wichtig waren, spielten sie für mich nur eine untergeordnete Rolle. Meine Mission war eine andere.

»Ich hätte mich nicht von dir nicht zu diesem Besuch überreden lassen sollen«, klagte Perry mit gespielter Leidensmiene. »Und zu dem ganzen Zirkus, den wir veranstalten.«

»Jetzt ist es zu spät. Mach das Beste daraus und denk immer daran: Wenn dir jemand etwas zu trinken anbietet, sag nein!«

Kapitel 3Erntezeit – Jon und Lara nehmen ein Bad

»Skagsram fordert, Skagsram schenkt.

Einser erntet, Zweier lenkt.«

(aus dem Kanon der Lavataucher von Skagsram)

Jon Dekkstrom atmete tief durch, als der Oberste Floßvaterdie Erntebereitschaftsstufe vier ausrief. Soweit es die Wickelungen des Taucheranzugs zuließen, wandte er den Kopf nach rechts zu Lara Verppu. Er war froh, sie in dieser Schicht als seinen Zweier-Taucher an seiner Seite zu wissen.

»Na endlich«, sagte er. »Ich dachte schon, es geht heute gar nicht mehr los und wir mussten das Einpacken umsonst über uns ergehen lassen.«

»Mag dir etwas umsonst erscheinen«, antwortete sie mit ihrer weichen Stimme, der der Schwefel offenbar nichts anhaben konnte, »so danke freudig dem Schicksal für die Erfahrungen, die du machen durftest.«

Er grinste sie an und streckte ihr die Zunge entgegen. Lara wusste genau, dass er die Haupt- und Nebensätze des großen Gründervaters mit all ihren Auslegungen für ausgemachten Unsinn hielt. Umso mehr schien sie es zu genießen, ihn gelegentlich mit all den Regeln aufzuziehen.