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Völlig in Panik meldet sich Lara, die Tochter des Sozialarbeiters Ronald Hirt, telefonisch bei ihm. Als sie kurz darauf, aus unerfindlichen Gründen, aus ihrem Zuhause verschwunden ist, sucht ihr Vater nach Erklärungen für die Ereignisse. Ronny holt sich Hilfe bei einem Kollegen. Gemeinsam mit Laras Freundin Tina machen sie sich auf die Suche nach Lara. Eine riskante Eigendynamik nimmt ihren Lauf und es scheint, als ob die Vergangenheit Lara einzuholen drohe.
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Seitenzahl: 100
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Peter Jakoubek
Auf dem Holzweg
Peter Jakoubek
Auf dem Holzweg
Eine Ronny Hirt Geschichte
Texte: © 2023Copyright by Peter Jakoubek
Umschlag:© 2023 Copyright by Peter Jakoubek
Lektorat:focus-lingua / Gabriela H. Venetz
Vertrieb:epubli – ein Service der Neopubli
GmbH, Berlin
Impressum4
Kapitel 17
Kapitel 222
Kapitel 327
Kapitel 432
Kapitel 539
Kapitel 644
Kapitel 750
Kapitel 858
Kapitel 966
Kapitel 1074
Kapitel 1188
Kapitel 1292
Kapitel 13105
Kapitel 14111
Kapitel 15115
Kapitel 16119
Kapitel 17122
Lesetipp130
Dank131
Demnächst im Verlag epubli131
Über den Autor132
133
«Magst du dich erinnern an den eigenartigen Herrn Leer, den eingeschleusten Drogenermittler von damals?», fragte mich Sibylle, kaum befand sie sich in meinem Hauseingang.
Selbstverständlich ist mir dieser Herr auch heute noch ein Begriff. Es war eine absonderliche und sehr unangenehme Situation gewesen, in die ich damals geraten war. Ein Dealer mit seinem Gehilfen hatte mich in einen Heizungsraum gesperrt. Herr Leer, den Sibylle gerade erwähnt hatte, war wesentlich an der Sache beteiligt gewesen.
Praktisch zeitgleich mit Sibylles Frage vibrierte mein Handy. Ich sah, dass meine Tochter anrief, machte ein Zeichen zu Sibylle und nahm den Anruf entgegen.
Offensichtlich zeigte mein Blick derart Entsetzen, dass Sibylle beim Eingang stehen blieb und mich gebannt anstarrte. Dies mit Sicherheit nicht wegen der zuvor gestellten Frage, sondern wegen meiner Verfassung, verursacht durch den Anruf von Lara.
«Ronny, was ist los?», wollte Sibylle wissen, nachdem ich «Wir kommen sofort, Lara!» ins Handy gebrüllt und den Anruf beendet hatte.
«Los raus, zu deinem Auto, sofort!», befahl ich Sibylle in ähnlicher Tonart, wie ich kurz zuvor ins Handy geschrien hatte.
Ich eilte Hals über Kopf hinaus, dann hörte ich hinter mir: «Die Schuhe! Du hast noch deine Pantoffeln an.»
Ich wendete, schleuderte diese im Eingangsbereich von den Füssen und schlüpfte umgehend in die erstbesten Schuhe – ausgelatschte Sneakers. Schon war ich wieder draussen.
Sibylle, welche noch immer in ihrem Mantel im Gang stand, riss meine Winterjacke vom Bügel, die ich in der Aufregung vergessen hatte, und warf sie mir zu. Es war Dezember und ausnahmsweise so richtig kalt.
Aufrecht und völlig unter Strom hockte ich im Beifahrersitz von Sibylles Hyundai. Im Nachhinein gehe ich davon aus, dass mich Sibylle noch nie in einem solchen Zustand gesehen hatte. Sie reagierte zum Glück richtig und blieb ruhig.
«Was ist mit Lara?»
Mein Entsetzen wechselte zu Angst. Eine Heidenangst um meine Tochter. Der Anruf hatte höchstens zehn Sekunden gedauert. Lara hatte all die schwierigen Situationen in ihrem Leben stets im Griff gehabt. Nichts konnte sie bisher aus dem Gleichgewicht bringen, zu jedem Zeitpunkt hatte sie klaren Kopf behalten und war die Ausgeglichenheit selbst. Aber was ich vorhin gezwungen war zu hören, passte ganz und gar nicht zu ihrem Naturell – etwas ganz Schlimmes musste sie in Schrecken versetzt haben, etwas, das ihr ganzes Ich ins Wanken brachte und sie in einen Abgrund zu reissen drohte.
«Hallo, Ronny!», holte mich Sibylle aus meinen ungemütlichen Gedanken. «Was ist los mit Lara und wohin sollen wir fahren?»
In dem Moment durchfuhr mich ein Schauer, ich brachte keine Silbe heraus, sondern starrte mit offenem Mund und aufgerissenen Augen zu Sibylle, welche ihr Auto starten wollte.
Was könnte Lara derart aus der Fassung gebracht haben? Ich folgerte in dem Augenblick, und dies liess mich erstarren – Tina! – ihre grosse, innige Liebe, ihr Ein und Alles. Und – Tina! – die Tochter von Sibylle.
Aus welchem Grund sollte mir meine Tochter mit krächzender Stimme und voller Panik mitteilen: «Papi, ich kann nicht mehr. Etwas ganz Schlimmes wird passieren! Ich …ich bin völlig hilflos. Es ist sooo grauenvoll. Bitte komm sofort!»
Mit leiser Stimme hauchte ich zu Sibylle: «Hast du etwas von Tina gehört?»
«Äh, nein. Ist etwas mit meiner Tochter? Ronny, sprich bitte mit mir! Was erzählte dir Lara?»
«Dass etwas Schreckliches passieren könnte, oder so ähnlich. Also, los! Wir fahren sofort zu ihr nach Hause.»
Sibylle startete den Motor und wir brausten in die Forch hoch, dann rechts die Ausfahrt raus, die Aeschstrasse hinunter und bogen bald einmal links ab, zum Flarzhausteil in dem Lara und Tina wohnen.
Während der Fahrt herrschte betretenes Schweigen. Wir beide wollten es tunlichst vermeiden, Hypothesen aufzustellen oder uns durch wilde Spekulationen gegenseitig Angst einzujagen. Aber ich spürte, dass auch Sibylle unbehagliche Gedanken wälzte. Mir erging es nicht besser. Während der ganzen Fahrt rutschte ich unruhig im Sitz hin und her und als Abwechslung bearbeitete ich eine Nagelhaut am rechten Daumen, bis sie blutig war.
Sibylle parkierte direkt vor dem Hauseingang und wir eilten zur Glocke. Trotz mehrmaligem Klingeln erschien keine Lara. Ich drehte den Türknauf – zugesperrt – natürlich! Die Tür ist mit einem Schnappschloss versehen. Sobald sie sich im Schloss befindet, kann sie von aussen ohne Schlüssel nicht mehr geöffnet werden.
Wir beide besitzen je einen Schlüssel. Ich kramte meinen hervor und konnte das Schloss entriegeln.
«Hallo Lara! Bist du da?», rief ich in den dunklen, engen Gang.
Stille – unheimliche Stille!
Wir stiegen die Treppen zum Wohnbereich hoch. Alles dunkel, keine Menschenseele weit und breit. Ich betätigte einen Lichtschalter, es wurde hell und ein erneutes «Lara!» hallte von mir durch die Räume.
Es blieb beklemmend ruhig.
Immer noch beschlich mich das ungute Gefühl, dass Tina etwas zugestossen sein könnte. Aus diesem Grund forderte ich Sibylle auf, ihre Tochter anzurufen.
Sie sprach eine Botschaft in das Gerät, weil Tina nicht zu erreichen war. Eine gewisse Ratlosigkeit machte sich bei uns breit.
«Ich gehe ins Badezimmer nachschauen», teilte mir Sibylle mit.
Im Nu liefen bei mir etliche Bilder von schrecklichen Filmszenen, in denen Menschen mit aufgeschnittenen Pulsadern in einer Badewanne aufgefunden wurden, durch mein Gehirn.
Erst klopfte Sibylle an die Tür, und als sie keine Antwort bekam, öffnete sie diese und trat vorsichtig ein. Eine gefühlte Ewigkeit hörte ich nichts und blieb wie versteinert stehen. Dann lugte Sibylle aus dem Türrahmen hervor und stellte zum Glück fest: «Nein, keine Lara.»
Die furchterregenden Gedanken verscheuchte ich aus meinem Kopf und entspannte mich.
«Gut so, aber trotzdem komisch», war meine Antwort.
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, aus welchem Grund mich meine Tochter so panikerfüllt angerufen hatte, nun aber nicht in ihren vier Wänden aufzufinden war und auch nicht an ihr Handy ging. Folglich hinterliess ich eine Nachricht auf ihrer Combox, doch das beruhigte mich nicht wirklich.
Wir durchsuchten, leicht beschämt, den ganzen Hausteil. Im ersten Geschoss befindet sich ausser dem Badezimmer, das Sibylle bereits inspiziert hatte, der Wohn- und Essraum, sowie eine halboffene Küche mit einem grossen Fenster Richtung Aeschstrasse. Eine hölzerne, relativ steile Treppe mit einem nachträglich montierten Handlauf führt in das Obergeschoss, das früher als Dachboden gedient hatte. Nebst einer kleinen Kammer, in der sich eine Toilette mit Waschbecken befindet, sind drei weitere Zimmer vorhanden. Vorsichtig öffneten wir die erste Tür und kiebitzten hinein. Es war das Schlafzimmer. Das grosse Doppelbett war perfekt gebettet, nichts hätte auf einen nächtlichen Gebrauch hingedeutet.
«Da hat sich deine Tochter Zeit genommen, alles sauber zu hinterlassen. Keine Spur von Eile oder gar Panik», mutmasste Sibylle.
«Ja, wirklich alles sehr ordentlich, so wie ich es eigentlich von ihr kenne.»
«Ganz im Gegensatz zu meiner Tochter, das hat früher in ihrem Zimmer ausgesehen, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte.»
Wir verliessen das Schlafzimmer wieder und steuerten zum Raum gegenüber – zum Arbeitszimmer. Diese Tür stand leicht offen und wir konnten zwei identische Schreibtische erkennen. Ein Chaos beim linken, und beinahe pingelig sauber aufgeräumt beim Schreibtisch rechts.
«Siehst du, Ronny», Sibylle zeigte auf die linke Seite, «ich hoffe sehr, auf Tinas Lehrerpult sieht es nicht auch so aus. Da würden garantiert alle Schreibhefte und Prüfungsblätter der Kinder im Durcheinander verlorengehen.»
Ich ging zu Laras Schreibtisch und liess mich auf ihrem Bürostuhl nieder. Alles war korrekt eingereiht, die etlichen Leuchtstifte der Farbe nach sortiert und ein Lehrmittel mit dem Titel «Das Handbuch für Notfall- und Rettungssanitäter» lag akribisch ausgerichtet auf der linken Tischseite. Dann bewegte ich die Computermaus, nichts geschah, der Bildschirm blieb schwarz.
«Ihr PC ist ausgeschaltet und es gibt keine Anzeichen irgendeiner Hektik. Da scheint alles noch in Ordnung gewesen zu sein, als sie hier zuletzt gearbeitet hat», erklärte ich.
Wir kehrten dem Arbeitszimmer den Rücken und näherten uns im hinteren Teil dem dritten Zimmer. Die Tür, an der einige farbige und mit Liebe gezeichnete Bilder hingen, stand offen. Ihr Gästezimmer wurde vor einiger Zeit zum Kinderzimmer umfunktioniert, das aktuell mit diversen Spielsachen verstellt war. Es sah so aus, als seien Sina und Loris, die Zwillingskinder von Dora, vor kurzem bei ihnen zu Besuch gewesen.
Danach kehrten wir wieder, einen Stock tiefer, zur Stube zurück und schauten uns ein weiteres Mal um. Nirgendwo gab es auch nur die kleinste Notiz, und das war nicht die Art meiner Tochter, welche überaus durchorganisiert ist.
«Was nun?» Ich schaute besorgt zu Sibylle, welche die zündende Idee hatte: «Das Auto! Ist Lara mit ihrem Mustang weggefahren?»
Hintereinander stürmten wir die Treppen zur Haustür hinunter und eilten zu den Garagen auf der gegenüberliegenden Seite des dreiteiligen Flarzhauses.
Dort befinden sich mehrere aneinandergebaute Einzelgaragen, die äusserste hatte Lara gemietet. Ich versuchte den Griff unten am Tor zu drehen. Er bewegte sich nicht – verschlossen.
«Ich denke, sie ist nicht mit dem Auto unterwegs.» Meine Tochter zieht zwar, wenn sie mit ihrem roten E-Mustang wegfährt, das Tor zu, verriegelt es jedoch nicht, und von dieser Gewohnheit wussten wir beide. Trotzdem versuchte ich durch ein kleines Fenster, das sich oben rechts beim hölzernen Garagentor befindet, hineinzuspähen. «So ist es, ihr roter Stromer steht hier drinnen!», bestätigte ich.
«Das ist wirklich unüblich», stellte Sibylle fest, «sie weg, und ihr geliebtes Auto da!»
In der Tat benützt meine Tochter ihren Mustang auch für kürzeste Fahrten, sogar dann, wenn ein Fussmarsch schneller wäre. Ausser, wenn sie alkoholische Getränke konsumiert hätte, aber von dem gingen wir nicht aus – es war erst späterer Nachmittag.
«Das ist aber nicht Ihre Garage!», erklang eine tiefe Männerstimme von gegenüber.
«Nein, eigentlich nicht», antwortete ich spontan.
«Und aus welchem Grund machen Sie sich an diesem Garagentor zu schaffen?» Diese Frage wurde schon mal mit einem scharfen Unterton gestellt.
Sibylle versuchte zu retten, was ich angerichtet hatte. «Wir sind auf der Suche nach Lara Hirt. Ihr Vater und ich wollten nachschauen, ob ihr Fahrzeug drinnen steht.»
«Wieso sagt er …», sein Kinn zeigte in meine Richtung, «… das nicht gleich?»
«Ich war in Gedanken oder bin eigentlich in Sorge um meine Tochter», versuchte ich zu erklären, «deshalb die überstürzte, unpräzise Antwort.»
«So! Ist Ihre Tochter eine der beiden Frauen von drüben?» Diesmal schnellte seine Hand Richtung Flarzhaus.
«Ja, genau. Die ältere mit den braunen, längeren Haaren», beschrieb Sibylle meine Tochter.
Der uns fremde Mann mit seinem kugeligen Bauch und dem roten Kopf – bestimmt durch zu hohen Blutdruck verursacht – trat forsch auf uns zu. Mit den Händen gestikulierend fragte er: «Die sind doch ein Paar, oder? Aber was sind das für rothaarige Kinder, welche ständig dort ein und aus gehen?»
Wir ahnten, dass er Sina und Loris meinte. Da ich keine Lust hatte, genauer auf die Situation einzugehen, erklärte ich kurz und bündig: «Das sind ihre Patenkinder!» Zwar gelogen, und doch nahe an der Wahrheit.
«Patenkinder?! Denken Sie, das ist gut für die Entwicklung dieser Kinder?»
In diesem Moment erinnerte ich mich an meine erste Begegnung mit diesem Mann. Schon einmal hielt er mir einen Vortrag über die Beziehung meiner Tochter und Tina. Deshalb wusste ich ganz genau, was der feine Herr anzusprechen versuchte, dennoch stellte ich mich dumm und entgegnete: «Wie meinen Sie das genau?»
«Ja wie wohl? Kinder sollten unter normalen Bedingungen aufwachsen.» Beim Wort«normalen»zeichnete er mit beiden Händen Anführungszeichen in die Luft. «Die werden ja völlig desorientiert, was die da erleben müssen.»
«Was müssen die denn erleben?», schaltete sich Sibylle in das Gespräch ein.
«Meinen Sie, ich hätte nicht mitbekommen, dass diese beiden Frauen sich umarmend und manchmal auch küssend im Vorgarten aufhalten. Glauben Sie im Ernst, dass es drinnen im Haus und im Beisein dieser Kinder gesitteter zugeht? Wohl kaum – im Gegenteil!», ereiferte sich der Mann weiter.