Auf der Suche nach den Insignien der gefangenen Königin - Florian Rattinger - E-Book

Auf der Suche nach den Insignien der gefangenen Königin E-Book

Florian Rattinger

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Beschreibung

Samson hat zahlreiche Welten vor großen Katastrophen gerettet, während seine eigene Heimat dem Ruin nah ist. Mithilfe des Sterns des Osiris stellt er sich der Bedrohung des purpurnen Raben Caramero in seiner Dimension. Doch seine Siegesgewissheit schwindet, als plötzlich ein neuer Gegner erscheint. Um gegen Caramero zu bestehen, muss Samson die verlorenen Insignien einer gefangenen Königin sammeln. An seiner Seite steht ein mächtiger Verbündeter und ruchloser Kontrahent, der Schakalgott Atemutep. Das Schicksal der Welten liegt allein auf Samsons Schultern.

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Seitenzahl: 416

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Zwischen den Abenteuern
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Zwischen den Abenteuern II
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9

Das Gefüge der 1344 Welten:

Auf der Suche nach den Insignien der gefangenen Königin

Florian Rattinger

Buchbeschreibung:

"Auf der Suche nach den Insignien der gefangenen Königin" ist ein Spin-Off zur Reihe "Schule für Kinder mit besonderen Begabungen". Das Buch erzählt die Geschichte des Astrochemie-Lehrers und Zauberers Samson. Er stellt sich der Personifaktion der purpurnen Raben - dem mächtigen Hexer Caramero. Dabei ist er auf die Hilfe des eigensinnigen Schakalgotts Atemutep angewiesen. Doch die Unterstützung durch den Wächter des Tors der Welten alleine wird nicht reichen, um das Übel, das Samsons Welt seit Jahren befallen hat, zu bannen.

Über den Autor:

Florian Rattinger kam 1989 im schönen Deggendorf, am Rande des Bayerischen Walds, zur Welt. Seit er schreiben kann, werkelt er an Geschichten. Bevor er sich daran machte, Kinder- und Jugendbücher zu verfassen, studierte er das Lehramt für Grundschule an der Universität Passau. Er war Lehrer im Landkreis Landshut und in München. Seit über fünf Jahren lebt und arbeitet der Autor mit seiner Familie im beschaulichen Ostalbkreis. Florian Rattinger ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Auf der Suche nach den Insignien der gefangenen Königin

Gefüge der 1344 Welten

Alle Rechte an der Geschichte liegen beim Autor.

1. Auflage 2024

Copyright © 2024 Florian Rattinger

Cover Gestaltung » Ana Povedano

Illustrationen » Ana Povedano

Verlag (Self-Publishing) » Florian Rattinger

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

Lektorat » Magdalena Rattinger

Vertrieb » epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Sämtliche Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Der Zauberer wird demaskiert.

Bist du bereit, das Geheimnis zu lüften?

Dann blättere weiter...

Nun kann das Abenteuer beginnen.

Kapitel 1

1001. Welt

Im Himmel öffnet sich ein weißer Riss. Ein Mann erscheint und wirbelt durch die Luft. Er zieht ihm Flug eine Fahne zischenden Dampfes hinter sich her. Schließlich landet er grazil wie eine Katze auf der Kuppe eines Hügels. Das Gesicht des Mannes ist von einer rotglühenden Maske verdeckt.

„Aua, aua, heiß, heiß, heiß!!! Verflixt noch eins!“

Der Mann nimmt die Maske ab. Ein kleines Metallteil in seiner Hand saugt die Hitze auf wie ein Schwamm.

Mit den Fingern fährt sich der Mann durch nassgeschwitztes rabenschwarzes Haar. In seinen Obsidianaugen spiegelt sich der flimmernde Feuerschein der Maske.

„Hättest du nicht vorsichtiger sein können?“, bellt der Mann die Maske an. Seine Stimme klingt wie die eines Erwachsenen. Als sich der Mann jedoch mit der Hand vor das Gesicht wischt, löst sich die Illusion auf und ein siebzehnjähriger Bub, der genervt die Stirn runzelt, kommt zum Vorschein.

„Dein Auftrag lautete, dich auf schnellstmöglichem Wege zurück in deine Welt zu bringen. Diesen Wunsch habe ich dir erfüllt“, dröhnt eine Stimme aus der Maske. Das rote Stück Holz ist in der Form eines Schakalkopfs geschnitzt.

„Dass wir auf dem Weg hierher Reibungshitze sammeln, hätte ich dir gleich sagen können. Schließlich haben wir über 200 Welten durchquert.“

„Über eine Warnung beim nächsten Mal würde ich mich freuen!“, gibt der Junge zur Antwort.

„Ein nächstes Mal wird es nicht geben.“

Plötzlich macht sich die Maske selbstständig. Sie schwebt dem Jungen aus der Hand und steuert auf den weißen Riss im Himmel zu.

„HALT! Du bleibst bei mir!“

Der Junge zückt seinen Zauberstab und ruft: „TAJMID!“

Aus der Spitze des Zauberstabs schießen Ovale aus blauem Licht. Sie fliegen in Richtung der Maske und ordnen sich zu einer Kette an, die sich eng um die Maske legt.

„Was soll das? Ich habe unseren Teil der Abmachung erfüllt. Nun verlange ich, zu gehen.“

„Tut mir leid“, sagt der Siebzehnjährige. „Aber ich brauche dich noch, Atemutep.“

Trotz ihrer Vereinbarung hat der Junge nicht vor, den altägyptischen Gott frei zu lassen. Viel zu groß ist die zerstörerische Kraft, die er im Gefüge der Welten entfachen kann.

Als der Junge statt eines Anderen die Abmachung mit dem Wächter des Tors der Welten eingegangen war, hat er sich gleichzeitig geschworen, ihn an der Leine zu halten.

„DAS LASS ICH MIR NICHT BIETEN! ICH BIN SCHLIESSLICH EIN GOTT.“

„Ja, einer, der in einer Maske gefangen ist und nicht einmal dem Zauber eines Siebzehnjährigen entkommt.“

„WEISST DU, MIT WEM DU REDEST?“, dröhnt es aus der Maske. „ICH KÖNNTE DEINE EXISTENZ MIT MEINEM KLEINEN FINGER AUSRADIEREN!“

„Versuch’s doch“, antwortet der Junge keck. „Aber gerade sieht es danach aus, als würdest du festsitzen. Entweder du fügst dich deinem Schicksal oder dir stehen harte Zeiten bevor.“

„DUUUUU!“, knurrt der eingesperrte Gott in der Maske.

„Du darfst mich gerne Samson nennen“, antwortet der Junge.

Das ist zwar nicht sein richtiger Name, aber besser als sein alter, der ihn an die schmerzhafteste Niederlage seines Lebens erinnert. „Du musst wissen: Um dich zu finden, habe ich einiges in Kauf genommen. Ich brauche deine Hilfe, um meine Welt zurückzuerobern.“

Samson bewegt die Kette aus blauem Licht mit seinem Zauberstab. Er bindet sie sich an seinen Gürtel.

Atemutep, Wächter des Tors der Welten, schimpft weiter. Er macht das in einer Lautstärke, die Samson nicht tolerieren kann.

„Sei jetzt endlich ruhig oder es gibt keine Leckerlis!“, sagt der schwarzhaarige Junge. Sein freches Grinsen ist zu viel für den Gott. Als Samson seinen Zauberstab auf die Maske richtet, hält Atemutep es doch für angebracht, still zu sein und auf die richtige Gelegenheit zu warten, den Jungen zu überwältigen.

Der Junge schreitet den Hügel hinab bis zum Rand einer Anhöhe. Von dort aus hat er einen vollständigen Überblick über die Stadt. Das Bild, das sich Samson bietet, ist vernichtend.

Der Ort, an dem er aufgewachsen ist und die sorglosen Tage seiner Kindheit verbracht hat, liegt in Trümmern.

Von der Schule für Kinder mit besonderen Begabungen ist bloß eine Ruine übrig.

Die Substanz, aus der das über 500 Jahre alte Schloss besteht, löst sich in seine subatomaren Bestandteile auf.

Seit Caramero hier sein Unwesen treibt, geht Samsons Welt den Bach runter. Alles nahm seinen Anfang mit dem Stern des Osiris und der Kraft, die er in sich trug.

Nun ist Samson im Besitz des Steins. Seine tiefschwarze Farbe ist zu einem milchigen Weiß ausgebleicht. Dennoch hat das Juwel für ihn noch einen Nutzen. Das Vakuum im Innern des Steins, das beim Öffnen des Tors der Welten entstanden war, lässt sich neu füllen. Samson weiß schon genau, womit. Über den Ursprung des Artefakts konnte er in der Bibliothek einer renommierten Akademie einiges erfahren. Nebenbei war er auf einen der mächtigsten Zauberstäbe sämtlicher Welten gestoßen. Leider befindet er sich nun in den Händen einer befreundeten, aber sich außer Reichweite befindlichen Hexe.

„Diese Welt steht kurz vor dem Untergang“, meldet sich die Stimme in Samsons roter Maske zu Wort. „Bald wird der Raum außerhalb der Welten über sie hereinbrechen und alles ausradieren, was von ihr übrig ist.“

„Das werde ich verhindern“, sagt Samson. Er blickt in den Himmel. Obwohl die Sonne scheint, sind im Hintergrund Millionen bunt leuchtender Sterne zu erkennen. Sie schwirren umher wie Glühwürmchen. In Wirklichkeit sind es uralte Wesen, die einst in Welten existierten, die dasselbe Schicksal ereilte, das nun Samsons bevorsteht.

„Du könntest natürlich meine Kraft benutzen und die Zeit dieser Welt zurückdrehen“, meint Atemutep. Seine Stimme klingt geschmeidig und weich. Der Wächter der Welten spricht mit dem Singsang eines Händlers, der schon zig Nichtsahnenden einen teuflischen Vertrag angedreht hat.

„Und welches Opfer wäre dafür notwendig?“, entgegnet Samson mit einer Gegenfrage.

„Um das Schicksal einer ganzen Welt zu ändern? Ach nur, ein kleines. Deine unsterbliche Seele.“ Der Geist in der Schakalmaske lacht böse.

„Sorry, dann muss ich dein Angebot leider ausschlagen“, antwortet Samson. Auch wenn er sein Leben für das seiner Freunde und Familie geben würde, ist der Haken im Angebot des Schakalgottes nicht zu übersehen.

Sollte er wirklich die Zeit zurückdrehen können, würde sich am Lauf der Dinge nichts ändern. Samson und seine Freunde würden sich wieder dem purpurnen Raben geschlagen geben müssen. Das Tor der Welten öffnet sich. Caramero kommt heraus.

Ohne zusätzliche Unterstützung sind sie gegen den Raben chancenlos.

Samson hatte zwar in anderen Welten starke Verbündete gefunden, aber selbst, wenn er sie hierher brächte, würden sie im Fluss der Zeit verloren gehen und er würde erneut alleine dastehen.

An der Vergangenheit lässt sich nichts ändern. Diese Lektion musste Samson auf die harte Tour lernen. Allerdings ist die Zukunft formbar. Und er wird verhindern, dass auch sie zu Grunde geht.

Kapitel 2

Samson lässt die Stadt hinter sich. Er sucht den Weg nach draußen, zu einem friedlichen Örtchen in der Nähe eines kleinen Flusses. Einst hatten sein Vater Melefer und er hier einen fast zwei Meter großen Barsch an Land gezogen. Samsons Großmutter hatte ihn gegart und dazu die besten Bratkartoffeln seines Lebens gemacht.

Am Ort einer seiner schönsten Kindheitserinnerungen befindet sich heute das Grab von Samsons Eltern.

Eine kleine farbenfrohe Vogel-Figur, die Samsons Mutter Opal getöpfert hat, dient als Grabstein. Der Verfall der Welt hat der Statuette bisher nichts anhaben können. Das liegt daran, dass Samson sie mit jedem erdenklichen Schutzzauber belegt hat.

Die Figur hat einen rein symbolischen Charakter. Als sich das Tor der Welten öffnete und Caramero Samsons Heimat überfiel, waren Samsons Eltern – wie viele hundert andere – in einen transdimensionellen Strudel gesaugt worden. Auch seine Freunde traf wenig später dasselbe Schicksal. Was danach mit ihnen geschah, ist dem Zauberer bis heute ein Rätsel.

„Ich bin zurück“, sagt Samson und legt Opals Lieblingsblume – eine weiße Gerbera – auf den Boden.

Momente später wird sie vom Zerfall zerfressen. Die atomare Struktur der Blüte löst sich auf und wird zu molekularem Staub.

„Es tut mir leid“, sagt Samson. Er wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Im Anschluss zückt er seinen Zauberstab und ruft: „Disappear!“

Die Erde öffnet sich. Sie fördert eine kleine Kiste zutage, die von dicken Tauen umschlungen ist. Auf dem Deckel befindet sich eine krude Kritzelei. Samsons bester Freund hat sie angefertigt. Sie zeigt das Dreiergespann. Ihn – Samson –, einen talentierten Zauberer mit Strahlemanngrinsen. Sheri, die begnadete Wissenschaftlerin, die sicher noch den einen oder anderen Nobelpreis gewonnen hätte und schließlich den Künstler selbst: Gino, einen Weltklasse-Dompteur aus einer langen Linie von Zirkusartisten. Gino hatte die Kiste als gutes Omen bemalt. Gebracht hat das leider nichts.

Samson hievt die Kiste aus dem Loch. Die Taue durchtrennt er mit seinem Zauberstab.

„Haaaaa“, säuselt Samson.

Samson hatte diesem Moment lange Zeit mit Schrecken entgegengefiebert. In der Kiste liegen zwei Gegenstände: ein kleines brillant weißes Ei, sowie eine Sprühdose, auf dessen Etikett die Worte „Invisi-MAX ∞“ geschrieben stehen.

Alleine diese beiden Dinge geben Samson noch Hoffnung.

Bevor sie sich Caramero in den Weg stellten, waren Samson und seine Freunde ein zweites Mal in das alte Lorisland gereist. Dazu hatte Sheri einen neuen Raumzeit-Riss erzeugen müssen. Da sie bei der genauen Kalibration Probleme hatte, kamen sie 300 Jahren nach ihrem ersten Besuch im Inselkönigreich an. Obwohl mittlerweile ein neuer Monarch regierte, wurden Samson, Gino und Sheri wie Ehrengäste empfangen. Der Schild von Temez alleine hätte ausgereicht, um die Freunde als Verbündete auszuweisen.

Allerdings war auch ihr Sieg über Rabenmantel in die Annalen Lorislands eingegangen. Dass das Trio drei Jahrhunderte später noch einmal erschien, hatte zwar für ein paar hochgezogene Augenbrauen gesorgt, jedoch waren Besucher aus anderen Epochen der Geschichte den Lorisländern nicht fremd. Als Samson dem neuen König erzählte, dass sie Unterstützung im Kampf gegen den Quell der Rabenmäntel benötigten, hatte er sich nicht weiter bitten lassen und Samson ein Ei gebracht, in dem ein weißer Drache schlummerte. Gino hatte dem neuen König versichert, dass die Freunde gut auf das Ei Acht geben würden.

Zum Ausbrüten war das Trio nicht mehr gekommen.

Der zweite Gegenstand ist der 99. und letzte Prototyp von Sheris Invisi-MAX-Spray. Die Sheri aus der Dimension, in der Samson eine Weile als Astrochemie-Lehrer arbeitete, hatte gerade erst die zweite Version ihres Unsichtbarkeitssprays entwickelt (, das sich bloß mit Terpentin lösen ließ). Bis es zur vollen Produktreife gelangen würde, würde diese Sheri noch einige Anläufe brauchen.

Samsons Sheri hatte es hingegen binnen drei Wochen und unter immensem Druck perfektioniert. Die Juniorforscherin war während der Produktentwicklung richtig aufgeblüht.

Das Spray machte Dinge nicht mehr einfach nur unsichtbar. Es verschob sie auf eine andere Ebene des Higgs-Feldes, was es Sheri ermöglichte, aus der dritten Dimension herauszuschlüpfen und sich unbemerkt entlang der vierten zu bewegen. Mithilfe ihres Invisi-MAX ∞ konnte Sheri sämtliche Raumdimensionen nach ihrem Belieben beeinflussen.

Im Kampf war Caramero der Junior-Wissenschaftlerin trotzdem stets einen Schritt voraus gewesen.

Wenn Sheri verschwand, wusste der Rabe, wo sie wieder auftauchen würde. Er musste über ein instinktives Gespür für das Gewebe der Realität verfügen.

Zusammen mit einem dritten Gegenstand – dem verbrauchten Stern des Osiris – bilden das Drachenei und Sheris Spray die Basis für Samsons nächstes Manöver. Er wird noch eine Weile dauern, um das Ei auszubrüten, doch dann würde Samson sich Caramero endlich stellen.

„DUCK DICH!“ Es ist die Stimme Atemuteps. Die Maske an seiner Hüfte leuchtet bedrohlich rot. Samson gehorcht, ohne nachzudenken.

Plötzlich surrt etwas an Samsons Ohr vorbei. Es bleibt mit einem dumpfen „PFWOMP!“ im Boden stecken. Es ist ein schwarzer hölzerner Pflock. Ihm haftet eine seltsam wabernde Dunkelheit an.

„Huh, was war das?“ Beinahe fällt Samson das Drachenei aus der Hand. Er fängt es, bevor es eine Delle – oder schlimmer – einen Knacks bekommt.

„Lege die Sachen auf den Boden und gehe drei Schritte rückwärts!“

Eine Person tritt aus dem Schatten. Sie trägt enganliegende schwarze Kleidung. Hose und Oberteil verfügen über ein Dutzend Schnallen, an denen eine wilde Sammlung magischer Talismane befestigt ist. Das Gesicht der Frau ist von einer Eulenmaske aus weißer Keramik verhüllt. Seitlich steht ihr goldenes voluminöses Haar ab. Zwischen den Strähnen leuchten unzählige bunte Lichtpunkte wie Sterne auf.

Die Frau ist zwei Kopf größer als Samson. Auf ihn wirkt sie wie eine Riesin. Ihre Stimme ist tief. Ihre Aura bedrohlich.

„Wieso habe ich sie nicht kommen sehen?“, fragt sich Samson. Seine Schakalmaske wird heiß.

Obwohl Atemutep nichts von sich gibt, weiß Samson, dass auch der Wächter des Tors der Welten die Gefahr, die von dieser Frau ausgeht, wahrnimmt.

Die Riesin springt direkt auf Samson zu. Er weicht mit einer Rolle aus und geht sofort in die Abwehrhaltung. Ei und Spray hält er eng an seine Brust gedrückt.

Samson streckt seinen Zauberstab von sich, hat aber Probleme, die Gegenstände in seiner Hand zu jonglieren. Er ruft „Hokus Krok-“ als sich plötzlich der Pflock im Boden wie von Geisterhand auflöst. Dabei hinterlässt er ein Vakuum, das sich blitzschnell mit Luft füllt. Bevor es Samson gelingt, genügend Abstand zu gewinnen, implodiert sie mit einem gewaltigen Knall.

Samson wird zur Seite geschleudert. Er macht mehrere verquere Purzelbäume und schlägt sich dabei Kopf, Arme und Beine an. Trotz der Schmerzen lässt er das Ei und Sheris Spray nicht los.

Samson ruft: „Colle!“

Ei und Dose werden von einer klebrigen Masse überzogen. Der Zauberer heftet sich die Gegenstände kurzerhand am Rücken fest.

„Was war das?“, knurrt Samson.

„Chaosmagie“, antwortet Atemutep. „Eine uralte Magie, die im antiken Atlantis entwickelt wurde und schlussendlich zu ihrem Untergang geführt hat. Es ist verwunderlich, dass heutzutage noch jemand diese Art der Magie beherrscht. Sie gilt als ausgestorben.“

„Deine Klugscheißerei hilft niemandem weiter!“, bellt Samson. „Sag‘ mir lieber, was ich dagegen unternehmen kann.“

„Nicht viel“, gibt Atemutep zur Antwort. Für den Gott ist das ein Spiel, bis Samson ihn daran erinnert: „Wenn sie mich drankriegt, nimmt das für dich auch kein gutes Ende.

Vielleicht rücke ich dich raus, wenn sie mich dafür in Ruhe lässt.“

Die Frau kommt näher. Sie macht das mit bewussten und langsamen Schritten. Sie streckt die Hand aus und sagt: „Gib mir Stein, Dose und Ei. Dann bin ich zufrieden.“

„Wenn ich dir die Dinge gebe, kann ich meine Welt nicht retten“, bellt Samson.

„Du bist doch sowieso viel zu jung dafür. Überlass‘ das mir. Alles, was ich dafür brauche, sind diese drei Dinge.“

„Das ist das Vermächtnis meiner Freunde. Such dir jemand anderen zum Belästigen! Und außerdem: Wer bist du überhaupt?“

„Das tut nichts zur Sache“, antwortet die Riesin. „Aber du darfst mich gerne Ephemeral nennen.“ Sie lächelt und kommt einen Schritt näher. Samson geht automatisch auf Distanz. „Wenn du mir diese Sachen nicht freiwillig gibst, muss ich sie mir holen.“

Die Sterne in den Haaren von Ephemeral verändern ihre Farbe. Sie werden pechschwarz und glühen mit bedrohlichem Licht. Sie löst eine Reihe Pflöcke vom Gurt auf ihrem Rücken und klemmt sie sich zwischen die Finger. Damit sieht die Riesin aus wie eine 1-a-Vampirjägerin.

Samson hat allerdings keine Lust darauf, aufgespießt zu werden.

Er richtet seinen Zauberstab auf seine Gegnerin.

„Bei ihr versuche ich es besser gar nicht erst mit schwachen Zaubern“, denkt er. „Am besten ich fahre gleich die großen Geschütze auf. Hokus...“

Die Spitze des Stabs leuchtet mit grellweißem Licht, doch plötzlich wird es finster und schwarz. Samson schafft es nicht, seine Verzweiflung im Zaum zu halten.

„Wüsste mein Alter-Ego, was ich für ein Schwächling bin, was würde er nur denken?“

Das Gedankenkarussell dreht sich.

„Mein Vater hat keinen Grund, stolz auf mich zu sein.“

„Wäre ich stärker, hätte ich meine Mutter retten können.“

„Ich hätte alle retten können!“

„...PHOENIX!“

Statt eines flammenden Vogels entkommt Samsons Zauberstab ein Wesen aus schwarzem Feuer. Sein Krähen ist reine Kakophonie. Statt auf die Riesin zuzuschießen, macht es in der Luft kehrt und greift stattdessen Samson an.

„Was ist da los?“, stöhnt der Zauberer.

„Du bist nicht Herr deiner Sinne“, antwortet die Stimme in der roten Schakalmaske. „Wenn du nicht bei klarem Verstand bist, gehen deine Zauber nach hinten los.“

Der schwarze Phönix speit einen Feuerball. Samsons Füße sind wie aus Blei. Der Geist in der Maske muss eingreifen, um den Zauberer von der Attacke wegzuzerren. Den Flammen entgeht er nur haarscharf.

Die Riesin betrachtet das Spektakel amüsiert.

„Und du willst gegen Caramero antreten? Du machst dich lächerlich. Rück‘ endlich den Stein, das Ei und das Spray raus.“

„Das nächste Mal gehst du nicht dazwischen, okay?“, knurrt Samson. Er wischt sich Schweiß von der Stirn. Durch das ungestüme Ausweichmanöver hat er sich einige Kratzer zugezogen.

„Lass mich frei. Dann heißt es zwei gegen eins. Ich drehe die Zeit zurück bis zu dem Zeitpunkt, als wir diese Welt betreten haben“, schlägt Atemutep vor.

„Darauf bin ich nicht angewiesen“, knurrt Samson. „Ich schaffe das alleine.“

Der schwarze Phönix nährt neue Flammen in seinem Rachen. Er fächelt mit den Flügeln, heizt damit die Luft auf und feuert.

Samson stellt sich der Attacke frontal.

Die Scherbe des Schilds von Temez läuft heiß. Die Faust, mit der Samson das Stück Metall umklammert hält, brennt. Er beißt die Zähne zusammen.

„Und jetzt: BANNE DIE MAGIE!“

Samson schwenkt seinen Zauberstab und entzieht dem Bruchstück des Schilds die aufgestaute Magie. Er leitet sie in den Stern des Osiris. Der milchig weiße Stein saugt die Lohe begierig auf. Seine Farbe verdunkelt sich zu einem durchscheinenden Staubgrau. Wie bei einem Regenbogen-Obsidian erscheinen bunte Bänder.

„Tja, da hast du dich wohl zu früh gefreut!“, faucht Samson in Richtung des Schwarzflammen-Phoenix. Eigentlich gelten seine Worte Ephemeral.

Bevor Samson dazu kommt, die kompakte Energie in einer mächtigen Attacke zu entladen, löst sich der korrumpierte Feuervogel jedoch plötzlich in Luft auf.

Er verpufft mit einer gewaltigen „PENG“. Eine Druckwelle breitet sich aus und schmettert Samson zu Boden. Der Kleber, der Sheris Invisi-MAX-Spray und das weiße Drachenei an Samsons Rücken hält, gibt nach.

Samson packt zu, doch seine Hände bekommen nichts zu fassen. Die Gegenstände, für die seine Freunde und er alles riskiert haben, entgleiten seinen Fingern.

Ein schwarzer Pflock landet auf dem Boden.

„Du hast noch einiges zu lernen“, sagt Ephemeral. Sie klingt beinahe schon mitleidig.

„LASS MICH!“, bellt Samson. Von der Detonation dröhnt ihm der Kopf. Er streckt seinen Zauberstab wie ein Schwert von sich, doch sein Arm zittert.

„Das darf es nicht gewesen sein,“ denkt Samson. „Wieso kann ich andere Welten retten, bloß die meine nicht?“

„Weil du keine Unterstützung hast“, flüstert ihm Ephemeral ins Ohr.

„Wann hat sie sich angeschlichen?“, fragt Samson sich sofort. Doch da spürt er schon, dass es an seiner Kleidung raschelt. Ephemeral nimmt ihm mühelos den Stern des Osiris ab. Das Drachenei und die Spraydose hat sie an den Rand der Anhöhe gelegt. Für Samson sind sie dort unerreichbar.

Ehe sich’s Samson versieht, steht Ephemeral plötzlich drei Meter entfernt.

„Bewegt sie sich etwa mit Lichtgeschwindigkeit?“, fragt sich Samson.

Atemutep antwortet ihm: „Chaosmagie besteht zu gleichen Teilen aus Mächten des Lichts und der Finsternis. Bringt man beide Elemente zusammen, löschen sie sich aus. Dadurch entsteht eine unvergleichbare Zerstörungskraft. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Frau Zugriff auf potente Lichtmagie hat.“

„Können hier eigentlich alle meine Gedanken lesen?“, ruft Samson.

„Ohne Freunde wird es dir nie gelingen, Caramero zu schlagen“, entgegnet Ephemeral. Sie hebt in aller Seelenruhe Spray und Ei auf.

„Und was ist mit dir? Du bist allein. Was willst du gegen den Raben ausrichten?“, brüllt Samson.

„Ich habe ein Opfer gebracht, das ich dir nicht zumuten will.“

„Ach ja, als hättest du eine Ahnung davon, was ich tun musste, um hierherzugelangen!“

„Den Stern des Osiris hast du aus der dritten Welt geholt – von deinem anderen Ich, das ihn vielleicht genauso gut hätte gebrauchen können wie du. Das war nicht besonders nett.“

Samsons Mund steht weit offen.

„Wer bist du eigentlich?“

„Ephemeral. Und ich werde Caramero niederstrecken.“

Die Riesin stopft den Stern des Osiris, das Ei und das Spray in eine Tasche und schnallt sich die Gegenstände an den Rücken. Von ihrem Hüftgürtel nimmt sie zehn schwarze Pflöcke und steckt sie sich zwischen die Finger.

„Was hast du vor?“, fragt Samson. Ohne auf eine Antwort zu warten, ruft er „Hokus Krokus!“

Die Spitze seines Zauberstabs blitzt einmal kurz auf, dann strömt Rauch aus dem Holz. Der Zauber entpuppt sich als Blindgänger.

„Vermaledeit noch eins!“, knurrt Samson.

„Wie gesagt, du hast nicht das Zeug, um gegen Caramero zu bestehen.“

Ephemeral schleudert ihre zehn Pflöcke. Wie beim Messerwerfen verfehlen sie Samson um Haaresbreite. Die Holzstäbe bleiben in einer Sternform – mit dem Zauberer in der Mitte – in der Erde stecken. Sie glühen abwechselnd weiß und schwarz.

„Junge, sie benutzt ihre Chaosmagie!“, bellt Atemutep aus der Maske. „Wenn sie die Blöcke detonieren lässt, war es das für dich!“

„Ich kann nicht aufgeben!“, gibt Samson zur Antwort. Er versucht erneut, Magie für einen Zauber zu sammeln, doch nachdem er den missglückten Hokus Phönix gesprochen hat, sind seine Reserven leer.

„Wie konnte mir nur so ein Anfängerfehler passieren?“, ermahnt Samson sich selbst. „Bin ich wirklich so dumm?“

„Dumm bist du nicht“, sagt Ephemeral. Nun ist glasklar, dass die Riesin über Gedankenlesefähigkeiten verfügt. „Dir fehlt es an Erfahrung.“

Die Frequenz, mit der die Pflöcke zwischen hellem und dunklem Licht wechseln, steigt.

Samson kann sich kaum bewegen. Dennoch richtet er seinen Zauberstab ein weiteres Mal auf seine Gegnerin.

„Ich werde nicht das Handtuch werfen. Nicht nach all dem, was meine Freund und ich durchgemacht haben.“

„Ich bringe es zu Ende, das kannst du mir glauben. Auch, wenn du es vielleicht nicht miterleben wirst“, erwidert Ephemeral.

Samson knurrt. Wären doch nur Gino und Sheri hier. Zusammen würden sie dieser selbstgefälligen Riesin ordentlich in den Hintern treten.

„Lass mich raus!“, bellt Atemutep. „Sonst werden wir beide sterben!“

„Keine Chance. Du würdest die Welt noch mehr verwüsten als dieser bescheuerte Rabe.“

Das Licht der Pflöcke flackert im Millisekundentakt.

„Du gehst mir ganz schön auf die Nerven!“, bellt Atemutep.

Das Blinken wird zu einem ständigen Glühen. Samson spürt, wie sich die Umgebungsluft in seine atomaren Bestandteile auflöst. Sein Zauberstab schwankt, aber er lässt ihn nicht sinken.

„Ich gebe mich nicht geschlagen!“

Die Pflöcke implodieren. Dort, wo Samson gerade noch gestanden ist, klafft ein riesiges Loch. Von dem Zauberer fehlt jede Spur.

Kapitel 3

Der Junge ist verschwunden.

„Uh!“ Ephemeral entlässt Luft. Sie sinkt in den Schneidersitz. Ihr Kopf brummt. Das exzessive Nutzen von Chaosmagie hat sie überangestrengt. Es ist erst ein halbes Jahr her, dass sie gelernt hat, mit ihr umzugehen. Nun hat sie gegen einen Zauberer gewonnen, dem magisches Talent in die Wiege gelegt worden ist.

Die Dose mit Sheri Dorlis letztem Invisi-MAX ∞ und das Ei eines Nachfahren der Linie von Thamus befinden sich in ihrem Besitz. Auch den Stern des Osiris hat sie Samson abgeknöpft. Sein brillantes Schwarz ist ausgebleicht. Mit schwerem Herzen packt Ephemeral den Stein ein und wiegt sich eine Weile hin und her.

„Ich wünschte, es wäre anders gekommen“, flüstert Ephemeral. Nach einer gefühlten Ewigkeit steht sie auf und klopft Staub ab. Sie liest die tönerne Taubenfigur vom Boden auf, putzt sie mit ihrem Ärmel blank und stellt sie wieder auf.

Ephemeral blickt in die Stadt. Der Verfall ist unaufhaltsam. Gebäude, Brücken, Straßen weisen teilweise so viele Löcher auf, dass sie einem Schweizer Käse ähneln.

Ephemeral holt tief Luft, nimmt die Hände an den Mund und brüllt: „Caramero, KOMM RAUS!“

Auf das Echo ihres Rufs folgt Stille. Dann bewegt sich etwas in den Schatten. Die Chaosmagierin macht sich bereit.

Kapitel 4

Samsons Körper wird wie Gummi gedehnt, als Atemutep den Zauberer durch mehrere Ebenen der Raumzeit bewegt.

Er versucht zu sprechen, doch weder sein Mund noch seine Stimmbänder gehorchen dem Zauberer.

„Aaawaauaaahaahaha!“

Soll heißen: „Was hast du mit mir angestellt?“

Samsons Maske hat ein Eigenleben entwickelt. Der Geist darin schleppt Samson an einer magischen Kette hinter sich her.

„Du solltest mir danken, Junge. Ohne mich wärst du Geschichte. Diese Riesin hätte dir den Garaus gemacht.“

„Waawaweeeeee!“ Oder anders ausgedrückt: „Woher willst du das wissen?“ Anschließend fügt Samson an: „Ich kann nicht zulassen, dass sie das Spray und das Ei behält. Meine Freunde haben ihre Hoffnung in mich gesetzt. Sie verlassen sich darauf, dass ich die Welt von Caramero befreie.“

„Ich hätte dich für ein wenig intelligenter gehalten“, antwortet Atemutep.

Plötzlich kommt der Raum um sie herum zum Stillstand. Nach und nach gewinnt Samson an Form zurück.

In der Ferne ist ein pulsierender Punkt zu sehen, der sich in unfassbarer Geschwindigkeit um die eigene Achse dreht. Rundherum herrscht absolute Finsternis.

„Wo sind wir hier?“, fragt Samson. Dass Atemutep seinen Fesseln entkommen ist, ist gerade die geringste seiner Sorgen.

„Am Anfang der Zeit“, antwortet die rote Maske. „Dort vorne siehst du den Kern deiner Welt. Jetzt ist er klein wie ein Samenkorn, aber bald wird er sich ausdehnen und das Ereignis lostreten, dass ihr Menschen Urknall nennt.“

„Du scherzt“, haucht Samson. Doch die Präsenz, die von dem rotierenden Punkt ausgeht, spricht Bände. Atemutep sagt die Wahrheit.

„Wage es nicht, micht zu beleidigen. Meine Macht über die Raumzeit ist grenzenlos.“

„Ich bin da anderer Meinung“, sagt Samson.

Nachdem er sich nicht mehr vorkommt wie ein ausgeleierter Gummi, fällt es ihm deutlich leichter, sich zur Wehr zu setzen. Samson zückt seinen Zauberstab. Statt zu hexen, verwandelt er den Stab in einen blauviolett glühenden Schlüssel. Als er ihn dreht, geht eine Erschütterung durch den Raum. Auf Atemuteps Maske glühen sechs Punkte auf. Zwei in den Ohren und Augen, einer auf der Nasenspitze, ein Letzter dort, wo sich Ober- und Unterlippe treffen.

Samson dreht den Schlüssel ein weiteres Mal und die Punkte verwandeln sich in dunkel glühende Hieroglyphen.

„So“, sagt Samson triumphierend, steckt den Stab weg und klatscht sich in die Hände. „Deine Welten- und Zeitreise-Spelünkchen haben erst einmal ein Ende. Nun kannst du deine Kräfte nur noch benutzen, wenn ich es dir erlaube.“

Plötzlich wächst die Schakalmaske zu absurder Größe an.

Atemutep öffnet sein Maul, um Samson mit Haut und Haaren zu fressen. Doch bevor das dem altägyptischen Gott gelingt, hat ihm Samson längst einen Maulkorb umgehext.

„Wer glaubst du, hat das Tor der Welten aufgeschlossen, um dich rauszulassen? Das waren weder mein anderes Ich, noch sein Großvater. Ich bin den beiden zuvorgekommen. Der Schlüssel ist mein. Solange ich ihn habe, hast du nach meiner Pfeife zu tanzen.“

„GIB IHN HER!“

Aggressiver Sonnenwind weht durch die Ritzen des Maulkorbs.

„Bring‘ mich zurück in meine Zeit.“

Atemuteps Knurren schwillt ab und wird zu einem verächtlichen Schnauben.

„Du bist verrückt, Junge, wenn du glaubst, es mit der Chaosmagierin und Caramero aufnehmen zu können. Nur wenn du meine volle Kraft entfesselst, kannst du es mit den beiden aufnehmen.“

„Ich werde nicht deine Marionette“, kontert Samson.

„Dann sehe ich schwarz für dich, Junge. Alleine der Chaosmagierin hast du nichts entgegenzusetzen. Und sollte es dir doch mit Glück gelingen, sie zu schlagen, steht dir immer noch der Kampf mit Caramero bevor.“

„Ich kann den Raben schlagen. Mit dem Ei und dem Spray.“

Atemutep bläst Luft durch seine Nüstern.

„Du hast keinen Schimmer davon, wie mächtig Caramero ist.“

„Woher willst du das wissen?“, blafft Samson den Wächter des Tors der Welten offen an. „Sag bloß, du kennst ihn persönlich.“

„Ich hatte mit ihm zu tun“, antwortet Atemutep. „Nicht mit ihm direkt, aber mit seiner Herrin.“

Samson runzelt die Stirn. „Was meinst du mit Herrin?“

„Caramero ist bloß ein Haustier. Seine Herrin – die Aureum Queen – ist unvorstellbar mächtiger als der purpurne Rabe. Glücklicherweise wurde sie schon im letzten Äon von mutigen Kriegern gebannt. Deshalb hast du nichts zu befürchten. Ihr Rabe treibt aber weiterhin Schabernack und das nicht zu wenig, wie du selbst weiß.“

„Aureum Queen?“, wiederholt Samson.

„Du wolltest gegen Caramero antreten und hast noch nie von ihr gehört?“, lacht Atemutep. „Du wird ja immer besser, Junge.“

„Es muss einen Weg geben!“, knurrt Samson.

„Ja, den gibt es vielleicht“, sagt der Wächter des Tors der Welten nach reichlicher Überlegung. Seine Augen funkeln gefährlich. „Bevor die Aureum Queen besiegt wurde, wurden Teile ihrer Kraft zerschlagen. Splitter ihrer Macht wurden in Dutzende Welten gestreut. Sollte es dir gelingen, ein paar dieser Fragmente zu finden, wärst du möglicherweise stark genug, zumindest gegen Caramero zu bestehen.“

„Lass mich raten: Du weißt, wo sich diese Fragmente befinden?“

„Ich kenne den Ort von dreien“, antwortet Atemutep. „Wie viele Splitter – oder Insignien – tatsächlich existieren, weiß niemand.“

„Was verlangst du?“, fragt Samson.

„Wofür?“

„Dass du mich in diese Welten bringst.“

„Ha ha. Achso...“, haucht Atemutep. Damit hat Atemutep den Zauberer da, wo er ihn haben wollte. Der Gott grinst trotz Maulkorb. „Sagen wir, hm, meine Freiheit. Du rückst den Schlüssel zum Tor der Welten raus, wenn wir mit Caramero fertig sind. Solltest du natürlich vorher das Zeitliche segnen, ginge der Schlüssel automatisch in meinen Besitz über. Na, haben wir eine Abmachung?“

„Bleibt mir eine Wahl?“

„Die bleibt euch Menschen immer“, antwortet Atemutep.

„Abgemacht“, entgegnet Samson. „Das Schicksal der Welt hängt davon ab, ob ich scheitere oder bestehe.“

Dafür geht Samson auch einen Pakt mit dem Teufel ein.

Kapitel 1

107. Welt

Samson sitzt gegen einen Felsen gelehnt an einer Klippe am Meer. Drei Sonnen in unterschiedlichen Farben scheinen am Himmel. Seichter Wellengang trägt den Geruch nach Salz und Tang ins Land. In seiner Hand hält der Zauberer eine 30 Meter lange Angel. Die Rute ist extrem leicht und biegsam, der Faden ultrarobust. Statt eines Schwimmers nutzt Samson einen Neodym-Magnet als Köder. Das, wonach Samson sucht, ist kein Fisch.

„Hier könnte ich es aushalten“, denkt Samson zum etwa hundertsten Mal, seit seiner Ankunft in dieser Welt. Wäre da nicht die Bedrohung durch Caramero und die Chaosmagierin, könnte Samson es sich durchaus ausmalen, hier sein Leben zu verbringen.

Mitten im Gedanken biegt sich plötzlich Samsons Angel. Der Zauberer springt auf.

„Ich hab‘ was!“, ruft er. Es ist das erste Mal seit fünf Stunden (also Erdstunden, Samson besitzt eine Uhr, die die Zeit sekundengenau misst), dass „etwas anbeißt“. Samson muss dem Impuls widerstehen, die Faust zu recken. Würde er das tun, würde er die Kontrolle über seine Angel verlieren.

Samson packt mit beiden Händen zu und zerrt. Das Gewicht seines Fangs dehnt seine Rute in Parabelform.

„Hey, kannst du mir etwas unter die Arme greifen?“, schnaubt Samson.

„Tut mir leid, aber ich genieße gerade die Sonnen“, antwortet Atemutep. Er liegt flach auf einem Felsen. Samson hat auf den Maulkorb verzichtet, da Atemutep versprochen hatte, sich zu benehmen. Der Wächter des Tors der Welten hat sich mittlerweile damit abgefunden, in einer Maske eingesperrt zu sein. Bis der richtige Zeitpunkt kommt, seinen Pakt mit dem Zauber zu seinen Gunsten aufzulösen, übt der Gott sich in Geduld.

„Soll ich dir wieder eine Leine anlegen?“, bellt Samson zurück, während ihm der Schweiß auf die Stirn bricht. Auf die Drohung geht Atemutep nicht ein. Er genießt weiter das herrliche Wetter.

Samson knurrt. Notgedrungen nimmt er eine Hand von der Angel und schnappt sich seinen Zauberstab.

„Muscular Dude!“, ruft Samson. Er formt ein O mit seinen Lippen und bläst seine Oberarme auf als wären sie Schwimmflügel. Mithilfe magischer Muskelkraft gelingt es dem Zauberer, die Rute einzuholen. Mit dem Preis vor Augen wirbelt Samson hoch. Er starrt in den Himmel und versucht, abzuschätzen, wo sein Fang landen wird. Er stolpert rückwärts und setzt mit dem Allerwertesten auf einem Haufen spitzer Steine auf.

Nun ist auch Atemuteps Interesse geweckt. Er stellt sich auf die Schnauze der Maske, aus Angst, das bevorstehende Spektakel zu verpassen.

Samsons Fang rauscht zurück zur Erde. Gegen das grelle Licht der drei Sonnen wird der Umriss immer größer. Mit offenen Armen macht der Zauberer sich bereit, den Schatz zu empfangen.

Was da auf Samson herniederprasselt, ist das Wrack eines alten Raketenbollerwagens.

Als ihm diese Erkenntnis dämmert, ist es bereits zu spät. Samson wird unter dem geborgenen Karren begraben.

„CLÄNK!“

Eine Weile kehrt Stille ein. Atemutep glaubt schon, die Erfüllung seiner Vereinbarung mit dem Jungen hätte sich erübrigt, als Samson plötzlich ruft: „Hey, kann mich jemand befreien?“

Da es der Wächter des Tors der Welten weiterhin nicht für nötig hält, einzuschreiten, lässt der Zauberer erneut seine magischen Muskeln spielen. Nachdem er sich von dem tonnenschweren Schrott befreit hat, wirkt Samson ein wenig geplättet. Er korrigiert seine Form, indem er sich den rechten Daumen in den Mund steckt und die Backen aufbläst. Tatsächlich gewinnt er dadurch an Volumen.

Samson betrachtet das Bollerwagenwrack angestrengt.

„Wieder mal nur Schrott!“, ruft Samson. Mit an die Hüfte gestemmten Händen, fragt der Zauberer den Geist in der Maske: „Bist du sicher, dass wir hier eine Insigne dieser Queen finden?“

„Würde ich lügen, wenn meine Freiheit davon abhängt?“, wirft Atemutep ein. Mit dem Ziel, sich eine sanfte Bräune zu holen, legt er sich zurück auf den Felsen.

Der Wächter des Tors der Welten sagt vermutlich die Wahrheit. Aber er klingt nicht so.

Der Zauberer hockt sich in den Sand und starrt das sechsunddreißigste Stück Schrott an, dass er aus dem schier endlosen Ozean dieser Welt gezogen hat. Atemutep hatte behauptet, eines der Fragmente der Kraft der Aureum Queen – das Insigne – würde sich in den Tiefen dieses Meeres befinden.

Atemutep war außerdem der Meinung, dass sich ein starker Magnet am ehesten eignen würde, um das Objekt zu bergen.

Was der Wächter des Tors der Welten dem Zauberer nicht mitgeteilt hat, ist, dass der Ozean von Artefakten einer untergegangenen Zivilisation nur so wimmelt. Unglücklicherweise reagieren auch diese Gegenstände auf Samsons Angel.

Einfach ins Wasser zu springen und nach dem Insigne zu tauchen, ist keine Option. Der Ozean dieser Welt ist ausschließlich mit Dideuteronomiumoxid – einer Verbindung aus einem Isotop des Wasserstoffs und der schweren Form des Wassers – gefüllt. Ab einer Tiefe von fünfzig Metern würde der Wasserdruck Samson mit der Kraft einer Hydraulikpresse zusammenquetschen.

„Na ja, ganz unnütz ist das Ding nicht“, sagt Samson, nachdem er das rostige Gestell etwas genauer betrachtet hat. „Wenn wir es repariert bekommen.“ Wegen des hohen Drucks und weil das Wasser mit mikrokristallinen Mineralien gesättigt ist, bildet sich an Rissen eine Art opalartige Ablagerung. Im Schein der drei Sonnen glänzt das Material in allen Farben des Regenbogens.

„Na, heute wieder kein Glück gehabt?“

Als Samson diese Stimme hört, fährt er sofort herum. Auch Atemutep stellt sich auf einen Schlag tot – was ihm in der Holzmaske nicht schwerfällt.

Samson weht ein angenehmes Aroma um die Nase. Es erinnert ihn an ein Bouquet Blumen, an Marzipan und Mohn. Der Duft geht von Mel aus – einer jungen Frau, die mit ihrer Familie in einem Dorf ganz in der Nähe wohnt.

„Ähm, ja, hallo – ne, heute hat wieder nichts angebissen“, stammelt Samson.

Er präsentiert Mel das Wrack des Bollerwagens, als wäre er ein Autoverkäufer. Mel inspiziert das Gestell genau, ganz besonders die vielen schillernden Mineralisierungen. Am Ende verschränkt sie ihre Arme hinter ihrem Rücken und lacht Samson keck durch hellblaue Augen an. Die Sommersprossen um ihre Nase und die von Wind und Sonne ausgebleichten Haare verstärken ihren spitzbübischen Flair. Auf dem Rücken trägt sie einen selbstgeflochtenen Bastkorb.

„Ich hab‘ dir was mitgebracht“, sagt Mel und reicht Samson eine Fischpastete aus seinem Korb. In seiner Heimatwelt hätte Samson Fisch nicht einmal mit der Zange angefasst. Bei Mels Pasteten ist er allerdings auf den Geschmack gekommen. Besonders die kräftige Butternote des Teigs hat es dem Zauberer angetan.

„Äh, d-danke!“, haspelt Samson und nimmt die Pastete entgegen.

„Hast du trainiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?“, fragt Mel. Sie spielt auf Samsons magische Bizeps an.

„Das? Äh. Ja, das muss vom vielen Angeln kommen. Genau.“

„Ah!“, antwortet Mel und legt den Kopf schief.

Samson will die Pastete zur Seite legen, als sich sein leerer Magen plötzlich lautstark bemerkbar macht.

„Hast du heute schon was gegessen?“, fragt Mel.

Samson winkt ab. Tatsächlich hatte er das Frühstück ausfallen lassen, um zu angeln.

Weil jedoch sein knurrender Magen keine Ruhe gibt, hext er sich unbemerkt ein ultradünnes, aber schalldichtes Daunenkissen herbei und stopft es sich unter das Hemd. Das dämpft den Lärm seines hungrigen Verdauungsapparats.

„Hätte ich das gewusst, wäre ich früher gekommen.“

„Mit dem brillanten Blau vor Augen vergesse ich manchmal die Zeit“, redet sich Samson heraus. Ganz gelogen ist das nicht.

Die Schönheit dieser Welt täuscht ihn darüber hinweg, dass er einen Großteil seines Tages mit einer bisher ertraglosen Tätigkeit verbringt. Zudem führt er aktuell das Leben eines Einsiedlers. Um den Weg zum Wasser kurz zu halten, hat Samson sich direkt am Strand ein Haus aus einer riesigen Muschel gezaubert.

Zu den wenigen Lichtblicken des Alltags zählen Mels Besuche. Samson hatte sie am ersten Abend seines Aufenthalts in dieser Welt kennengelernt.

Auf dem Rückweg vom Markt, auf dem sie den ganzen Tag über Pasteten verkauft hatte, war sie zufällig am Strand vorbeigekommen. Dort war ihr der angelnde Zauberer sofort ins Auge gestochen. Mel hatte sich vorsichtig genähert, sich freundlich vorgestellt und erzählt, dass es schon einige Zeit her war, dass es jemand fremden in diesen Winkel der Welt verschlagen hat. Ihre direkte Art hatte Samson überrumpelt, woran sich aber zumindest die junge Frau nicht gestört hat. Schon am Anfang ihrer Unterhaltung hatte sie die Begegnung mit Samson als aufregend bezeichnet.

Mel hatte Samson von ihrem Leben auf dem Dorf erzählt. Dass sie bei ihrer Familie wohnte und dass sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Pasteten und Schmuck verdiente, den Mels Vater anfertigt.

Entwaffnet durch den Charme der jungen Frau gab Samson sich als Forscher aus, der es sich als Ziel gesetzt hat, die versunkene Zivilisation dieser Welt zu studieren. Obwohl er bloß eine fadenscheinige Ausrede für seinen Besuch vorbrachte, stellt Mel keine unangenehmen Fragen. Ganz im Gegenteil. Die junge Frau schlug vor, ihre Freundschaft mit einer ihrer übrig gebliebenen Pasteten zu besiegeln. So kam Samson zum ersten Mal in den Genuss von Mels herrlichem Gebäck. Diese Pastete war die erste von vielen.

Als Samson Mel nach dem Mahl seine Tagesausbeute präsentierte, funkelten Mels Augen. Ihre Begeisterung galt vor allem den bunten Mineralisierungen des Unterwasserschrotts. Dass Samson Relikte einer hochentwickelten Zivilisation aus dem Meer gefischt hat, schien sie weniger zu interessieren.

Mel fragte, ob Samson ihr eine Art Motorkolben überlassen würde, der wie ein Löffel geformt war und zur Hälfte aus schimmernden Ablagerungen bestand. Samson händigte seinem Besuch den Gegenstand bereitwillig aus.

„Mein Vater fertigt Ohrringe und Ketten daraus“, entgegnete Mel, nachdem sie den Kolben in ihrem Korb verstaut hat. „Vielen Dank!“

Im Anschluss reichte sie Samson noch ein Gefäß voll mit fetter weißer Creme.

„Du darfst deinen Sonnenschutz nicht vernachlässigen. Besonders mittags knallen die Sonnen ordentlich“, meinte Mel. „Deine Wangen und Nase sind krebsrot.“

Auch an anderen Stellen hatte Samson bereits Sonnenbrand.

Bald sahen Mel und Samson sich täglich. Tatsächlich hat sie schon tags darauf einen Anhänger getragen, der aus Samsons Fang gefertigt war. Ein paar weitere Stücke hatte sie auf dem Markt verkauft.

Im Tausch gegen ihre leckeren Pasteten überließ Samson einen Großteil seines bunten Schrotts. So hatten beide etwas davon. Die junge Frau und der Zauberer redeten oft stundenlang. Mel fragte Samson nach dem Stand seiner Forschungen und er erzählte ihr von den verschiedenen Orten, an denen er gewesen war. Dass er mit diesen Orten andere Welten meinte, verschwieg er.

Wenn Samson redete, hing ihm Mel an den Lippen. Er weckte in ihr ein Gefühl der Abenteuerlust und den Wunsch nach einem spannenderen Leben. Es bedurfte einiges an Disziplin, nicht durchscheinen zu lassen, dass der Zauberer nichts lieber täte als mit Mel die Plätze zu tauschen.

„Hm?“

Mel runzelt die Stirn, kommt näher und drückt Samsons Nase mit der Fingerspitze. Aus der Nähe verströmt Mel ein sanftes Zuckeraroma, dazu den mineralischen Geruch von zerriebenem Salz. Samsons Nasenspitze färbt sich einen Moment kalkweiß und im nächsten erdbeerrot.

„Ist dir der Sonnenbalm ausgegangen?“, fragt Mel. „Gib mir die leere Kruke, dann fülle ich sie bis morgen auf.“

„Danke, aber ich kann dein großzügiges Angebot nicht annehmen“, antwortet Samson. „Ich möchte dir nicht auf der Tasche liegen. Und sieh’s doch so: Irgendwie muss ich ja einen gesunden Teint bekommen.“

„Du scherzt“, entgegnet Mel. „Mit den Sonnen ist nicht zu spaßen. Ich kenne Leute, die wegen eines Sonnenstichs verrückt geworden sind.“

„Ich pass auf mich auf“, antwortet Samson. Mels Fürsorge hat er nicht verdient. Schon allein deswegen nicht, weil Samson sie belügt. Er wird eines Tages verschwinden. Dann, wenn es ihm gelingt, das Insigne der Aureum Queen zu bergen. Deshalb ist es vernünftiger, Mel auf Distanz zu halten. So wird der Abschied für beide erträglicher sein.

„Dann setz doch wenigstens die Maske auf“, sagt Mel. Samson war gerade so in seine Gedanken vertieft, dass ihm entgangen ist, wie Mel sich seine Schakalmaske geschnappt hat.

Statt sie ihm zu reichen, setzt sie die Maske auf. Aus den Augenlöchern scheint plötzlich dunkles Licht.

„OH NEIN!“

Samson fällt rückwärts auf den Hintern und gewinnt im Krebsgang schnellstmöglich Abstand zu der jungen Frau. Mit seinen schwitzigen Fingerspitzen kriegt er seinen Zauberstab nicht zu fassen.

„Was hat dich denn geritten?“, kichert Mel. Sie nimmt die Maske ab. Das Licht erlischt. „Hier!“

Sie wirft Samson die Maske zu. Beim Versuch, sie zu fangen, stellt sich der Zauberer so ungeschickt an, dass er Mel damit zum Lachen bringt.

„Hab‘ ich dir einen Schreck eingejagt, Junge?“, hört Samson die Stimme Atemuteps in seinem Kopf. „Dachtest du, ich würde dieses Mädchen zu meiner Marionette machen? Ich hätte es tun können, für meine Zwecke ist sie jedoch viel zu schwach.“

„Wenn du diese Nummer noch einmal abziehst“, droht Samson. „Dann endest du als Anzündholz für ein schönes Lagefeuer, das kannst du mir glauben.“

„Auf mich kannst du nicht verzichten, Junge“ entgegnet Atemutep amüsiert. „Das wissen wir beide.“

„Wenn du Lust hast, dir die Beine zu vertreten, kannst du dir den Sonnenbalm auch persönlich abholen“, sagt Mel plötzlich und bringt Samson damit komplett aus der Fassung. „Je früher, desto besser.“

Der Zauberer kneift die Augen zusammen.

„Wie meinst du das?“, fragt Samson. Er versteckt Atemuteps Maske hinter seinem Rücken und steht auf.

Mel lächelt, aber ihre Mundwinkel zittern.

„Ich würde dich gerne zum Essen einladen.“ Das zu sagen, hat sie Überwindung gekostet. Mel wirkt selbst ein wenig erschrocken. „Versteh das bloß nicht falsch, in Ordnung? Meine Familie würde dich gerne kennenlernen.

Es ist ein besonderes Ereignis, wenn sich ein Forscher von weit weg hierher verirrt. Mein Vater möchte dir außerdem persönlich für das Schillermetall danken. Durch das zusätzliche Geld vom Schmuckverkauf konnten wir unser Fischnetz reparieren lassen. Es war voller Löcher.“ Als ihr dämmert, was sie gesagt hat, setzt sie lachend nach: „Also, die Löcher waren so groß, dass die Fische hindurchschlüpften.“

„In Ordnung“, sagt Samson. Der Zauberer lächelt nervös. Er und Mel gucken sich fünf Sekunden schweigend an.

„Du kommst?“, erwidert Mel.

„Gerne.“ Samson fallen mindestens ein Dutzend Gründe ein, die gegen dieses Vorhaben sprechen. Er selbst ist überrascht, dass er dazu bereit ist, jegliche Vernunft zugunsten einer Bauchentscheidung über Bord zu werfen. Samson ahnt, dass es vermutlich keine gute Idee ist, Mels Vorschlag zuzustimmen.

„Ich dachte, ich müsste dich erst überzeugen. Ich hab‘ mir eine ganze Liste an Gründen zurecht gelegt, wieso ein Besuch absolut angebracht ist.“

„Hat man nicht gemerkt.“

„Nicht?“

„Doch“, lacht Samson. Sein Kopf fühlt sich an, als wäre er mit Watte gefüllt.

„Möchtest du heute Abend kommen?“, fragt Mel. Sie sprüht vor Aufregung.

„Wie weit ist es bis zum Dorf?“, will Samson wissen.

„7000 Schritte. Wenn du auf der Straße bleibst, kannst du das Dorf praktisch nicht verfehlen. Solltest du losgehen, bevor die zweite Sonne untergegangen ist, erreichst du das Dorf, ehe die Nacht anbricht.“

Samson stellt ein paar Kalkulationen an. Er geht davon aus, dass es sich um einen Fußmarsch von etwa 45 Minuten handelt.

„Gut“, sagt Samson.

Mel strahlt. Im Anschluss wendet sie sich Samsons heutigem Fang zu. Die junge Frau mustert einen alten Fensterrahmen, dessen Oberfläche zu über 90% von bunten Mineralisierungen überzogen ist. Samson bricht ihn Mel in handliche Stücke. Ein paar davon packt sie in ihren Bastkorb.

„Wir sehen uns also zum Abendessen?“, fragt Mel mit sattroten Wangen.

„Ich freu‘ mich schon.“ Samson kann kaum glauben, was er sich da sagen hört.

„Bis dann“, antwortet Mel und tritt voll beladen den Weg nach Hause an.

Kapitel 2

Samson steht vor seinem Spiegel und betrachtet sich mit Argusaugen. Er hat sich ein schickes Outfit gezaubert: schwarzes Hemd, blaue Jeans, geschmeidige Lederstiefel. Um nicht den Eindruck eines Forscher-Nerds zu erwecken, hat er sich als abenteuerliches Accessoire x-förmige Gurte um die Brust geschnürt.

„Über dem Hinterteil hast du den Stoff nicht zu Ende gehext“, ruft Atemutep vom Tisch aus.

Samson verrenkt sich beim Versuch, seine Rückseite zu betrachten, beinahe die Halswirbel. Als der Zauberer endlich merkt, dass sich der Wächter des Tors der Welten einen Spaß mit ihm erlaubt hat, bellt Atemutep amüsiert.

„Treib’s nicht zu bunt!“, droht Samson mit erhobenem Zeigefinger. „Ich warne dich!“

„Ist das Menschlein etwa nervös?“, lacht Atemutep.

„Das verstehst du falsch“, entgegnet Samson blitzschnell. „Ich will einen guten Eindruck machen. Das ist alles.“

„Alles Lügen“, tönt der altägyptische Gott. „Du betreibst Augenwischerei der aller höchsten Güte. Eigentlich solltest du dich schämen, dem armen Mädchen so etwas vorzugaukeln.“

„Sei still“, knurrt Samson. „Soll ich Mel und ihrer Familie etwa erzählen, dass ich ein Weltenwandler bin und dass ich nach einer Waffe suche, mit der ich es dem Schurken, der meine Heimat zerstört hat, endlich heimzahlen kann?“

„Heimzahlen?“ Hat er das wirklich gesagt? Samson reißt die Augen auf.

„Ein Lügner wie er im Buche steht und mit niederen Motiven obendrein“, entgegnet Atemutep scharf. „Dir geht es gar nicht darum, deine Welt zu retten. Du willst Caramero und dieser Chaosmagierin bloß eins auswischen.“

„Läuft beides auf das Gleiche hinaus“, antwortet Samson kleinlaut. Dass ihm der Schakalgott den Kopf wäscht, gefällt ihm überhaupt nicht.

Samson macht bewusste Anstrengungen, seinen Herzschlag zu drosseln. Er schwört sich, Atemutep nicht zu sehr an sich heranlassen. Für den Wächter des Tors der Welten ist diese Schatzsuche bloß ein Spiel. Samson darf sich von dem Schakal nicht an der Nase herumführen lassen.

„Heute Abend habe ich mir eine Pause verdient“, sagt Samson seinem Spiegelbild. „Seit eineinhalb Wochen fische ich ununterbrochen. Und: Was habe ich bisher vorzuweisen? Nichts.“ Samson ist mit seinem Plan, die Insignien der Aureum Queen zu bergen, keinen Schritt weiter. Dass er heute ausgeht, wird im großen Bild keinen signifikanten Unterschied machen, redet sich Samson ein. Für ihn jedoch...

„So, das passt jetzt!“, meint Samson und streicht sich ein letztes Mal die Hose glatt. Atemutep schweigt, was Samson als Argwohn interpretiert. Zum Schluss patscht sich der Zauberer noch ein paar Mal das Gesicht.

„Das ist kein Date“, führt Samson sich vor Augen, obwohl es sich insgeheim ein wenig danach anfühlt. Er dreht seinem Spiegelbild den Rücken zu und meint: „Ich bin bereit.“

Als er die Tür seines Muschelhauses zuzieht, weiß Samson nicht, wie er sich fühlen soll. Zu Atemutep sagt er: „Auf, wir wollen gehen. Und wag‘ es ja nicht, mich heute Abend in irgendeiner Weise zu blamieren.“

Die rote Maske schwebt Samson langsam vor das Gesicht.

„Ich dachte, ich könnte hier blieben“, sagt Atemutep affektiert. „Ich habe mich schon darauf gefreut, sturmfrei zu haben.“

„Als ob ich dich auch nur eine Sekunde alleine lassen würde. Kläffende Hunde hält man an der kurzen Leine.“

Atemuteps belustigtes Bellen ist für Samson der Gipfel des Hohns. „Na gut. Ich komme mit. Ich verspreche dir, ich bin artig.“

„Wenn du mir das versaust, war es das mit unserer Vereinbarung.“

Auf Samsons leere Drohung geht der Gott nicht ein. Mit einer dumpfen Wut im Bauch macht sich der Zauberer auf den Weg.

Nachdem sie die Hälfte des Wegs hinter sich gebracht haben, wird es Nacht.

Ein großer Gesteinskörper vor der grünen Sonne dimmt das helle Licht. Dadurch wird ein Band brillanter und bunter Sterne am Firmament sichtbar. Bisher hatte Samson nicht die Gelegenheit gehabt, die Pracht dieser Welt voll auf sich wirken zu lassen. Nun ist er von dem Anblick beinahe überwältigt.

Das stete Branden der Wellen und der prickelnde Duft nach Salz tragen ihn. Samson entspannt das erste Mal seit geraumer Zeit.

Der Zauberer ist perplex, als er plötzlich an den hell erleuchteten Toren eines Dorfes steht. Er hätte gedacht, der Weg wäre länger.

Samson wird bereits erwartet.

Als Mel ihn kommen sieht, winkt sie mit den Armen und ruft seinen Namen.

„Hey“, entgegnet Samson und hebt zur Begrüßung bloß die Hand.