Hilfe, mein Haar ist ein Monster! - Florian Rattinger - E-Book

Hilfe, mein Haar ist ein Monster! E-Book

Florian Rattinger

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Beschreibung

Für Friederike "Freddy" Trapp ist der Blick in den Spiegel ein Kampf! Ihre wilden Haare lassen sich nicht bändigen. Sie sind ein Monster, mit dem sich Freddy jeden Morgen aufs Neue anlegt. In der Schule wird sie wegen ihrer schrägen Frisur gehänselt. Doch die Kämpfernatur lässt sich nichts gefallen. Vor allem nicht von Schulrüpel Sven, den Freddy schon mal mit einem Judo-Wurf auf die Matte schickt. Freddys Leben ändert sich, als sie auf Ernest trifft. Einen altklugen Dreikäsehoch, der ihre größte Leidenschaft mit Freddy teilt: die Begeisterung für die Superhelden der Gerechtigkeitstruppe. Als Freddy erfährt, dass Ernest krank ist, fasst sie einen verwegenen Plan. Die beiden stürzen sich in ein Abenteuer, bei dem sie selbst zu Helden werden und Mut und Stärke beweisen müssen. Dabei steht einiges auf dem Spiel.

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Seitenzahl: 245

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23

Alle Rechte an der Geschichte liegen beim Autor.

2. Auflage 2023

Copyright © 2021 Florian Rattinger

Cover Gestaltung » Ana Povedano

Illustrationen » Ana Povedano

Verlag (Self-Publishing) » Florian Rattinger

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

Lektorat » Magdalena Rattinger

Vertrieb » epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Sämtliche Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Buchbeschreibung:

»Hilfe, mein Haar ist ein Monster!« ist Florian Rattingers Debüt als Kinderbuchautor. Die Geschichte handelt von zwei unscheinbaren Helden und ihrer Freundschaft zueinander. Die Beziehung zwischen der zehnjährigen Friederike „Freddy“ Trapp und dem achtjährigen Ernest Dubois geht durch Hochs und Tiefs. Aber auch mit ihrer Familie, ihren Lehrern und dem Schulrüpel Sven muss Freddy sich herumschlagen. Am Schluss müssen die beiden Freunde beweisen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind und ob sie dazu taugen, wie ihre großen Vorbilder, richtige Superhelden zu sein.

Über den Autor:

Florian Rattinger kam 1989 im schönen Deggendorf, am Rande des Bayerischen Walds, zur Welt. Seit er schreiben kann, werkelt er an Geschichten. Bevor er sich daran machte, Kinderbücher zu verfassen, studierte er das Lehramt für Grundschule an der Universität Passau. Er war Lehrer im Landkreis Landshut und in München. Seit fünf Jahren lebt und arbeitet der Autor mit seiner Familie im beschaulichen Ostalbkreis. Florian Rattinger ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Florian Rattinger

Hilfe, mein Haar ist ein Monster!

Roman

Für die Strehlis

Von euch habe ich so viel gelernt. Danke.

Kapitel 1

Jeden Tag dasselbe Theater.

Der Wecker klingelt einen aus den schönsten Träumen. Mit Sand in den Augen geht man frühstücken, mampft ein Marmeladenbrot und unterhält sich nebenbei mit Mama und Papa.

Danach geht’s ab ins Bad.

Und da beginnt der Ärger.

Ich putze meine Zähne, wasche mir das Gesicht und kümmere mich als Nächstes um…

MEINE HAARE!

Meine strohblonden, völlig verquirlten Haare. Sie treiben mich in den Wahnsinn!

Heute versuche ich ausnahmsweise, sie zu kämmen. Eigentlich sollte ich es besser wissen, denn egal, wie ich mich auch anstrenge, sie wollen mir nicht gehorchen.

Mama hat es schon mit allem Möglichen versucht. Mit Haarspray – das stärkste, das sie in der Drogerie gefunden hat. Oder mit Haargummis, von denen noch jeder aus meinen Haaren gehüpft ist wie ein wild gewordener Floh. Schließlich hat sie mir eines von Brunos alten Cappys aufgesetzt.

Das wäre heute wahrscheinlich die einfachste Lösung für mein Problem. Nur, dass mir Frau Pankow nicht erlaubt, die Kappe im Unterricht aufzubehalten.

Mein Haar sieht aus wie ein ausbrechender Vulkan! In der Mitte ein riesiger Berg und an den Seiten goldene Lava, die in alle Richtungen spritzt.

„Mama!“, rufe ich wie jeden Morgen genervt in den Flur. „Meine Haare!“

Mama kommt mit ihrer großen Bürste.

„Friederike, so schlimm sieht es doch gar nicht aus!“, meint sie.

Friederike – das bin ich. Friederike Trapp. Freddy, für alle, die mich kennen. Bei meinem vollen Namen nennen mich meine Eltern nur, wenn ich wieder etwas ausgefressen habe – oder, wie jetzt, wenn Mama versucht, mir Vernunft einzubläuen.

Manchmal glaube ich, dass Mama nie ein zehnjähriges Mädchen gewesen ist. Hat sie echt keine Ahnung davon, wie furchtbar der Haarberg auf meinem Kopf aussieht?

Mama kämmt meine Haare abwechselnd nach links und rechts, bis mein Kopf oben so platt ist, dass er als Helikopter-Landeplatz durchgeht. Anschließend flechtet sie mir zwei Zöpfe, die zu den Seiten abstehen.

„Na, wie gefallen dir deine Haare?“, fragt Mama zum Schluss.

Beinahe wäre ich mit meiner Frisur zufrieden gewesen, gäbe es nicht Bruno, meinen zwei Jahre älteren Klugscheißer von Bruder.

„Wie siehst du denn aus?“, meint er und lacht. Bruno hält sich für witzig. „Schönes Nest, das du da auf dem Kopf hast! Sogar mit zwei integrierten Hühnerstangen. Die Stadttauben werden deine Frisur lieben! Zieh dir aber lieber eine Regenjacke an. Für den Fall, dass sie dir auf die Schulter kacken.“

Ich zeige meinem Bruder den Stinkefinger. Diese Reaktion scheint er für ungerechtfertigt zu halten.

„Was ist dir denn am Morgen schon für eine Laus über die Leber gelaufen?“, fragt er.

„Sei nicht so gemein zu deiner Schwester!“, mischt sich Mama ein. „Schau erst mal selbst in den Spiegel. Deine Haare sind so fettig, dass man mit deinem Kopf eine Backform bestreichen könnte.“

Iih, was für eine ekelige Vorstellung! Aber Mamas Spruch bringt Bruno zum Schweigen. Der Morgenmuffel schleicht ganz kleinlaut zurück in sein Zimmer.

Eigentlich ist Bruno gar kein so übler Bruder. Als wir noch auf die gleiche Schule gegangen sind, hat er mich oft vor den größeren Kindern beschützt. Seit er auf die Realschule geht, findet er mich nur noch peinlich.

„So, fertig!“, sagt meine Mutter und bindet mir die Enden meiner Zöpfe mit Haargummis zusammen. Die, mit Draht im Innern. „Ab in die Schule!“, sagt sie und gibt mir einen Kuss.

Unter meinem Fahrradhelm sind meine Haare gut versteckt. Nur die Zöpfe an den Seiten gucken hervor. Ich habe mein Fahrrad schon aus der Garage geschoben, als Bruno aus dem Haus gelaufen kommt und sich an mir vorbei zu seinem Fahrrad drängt.

Statt sich die Haare zu waschen, hat er sich eine Mütze mit einem böse grinsenden Smiley aufgesetzt. Auf der Realschule kümmert es niemanden, ob die Schüler eine Kopfbedeckung tragen oder nicht.

„Hey, warte auf mich!“, ruft Bruno, während ich in der Auffahrt auf mein Rad steige.

„Wieso sollte ich, Blödian?“

Bruno schiebt sein Fahrrad aus der Garage und gibt dabei tunlichst darauf Acht, kein zweites Mal Papas teuren Geschäftswagen zu verkratzen. Das erste Mal hat er drei Monate Taschengeld für das Ausbessern des Lacks blechen müssen.

„Sorry für vorher“, murmelt Bruno. Er mimt den Unschuldsengel.

„Huh?“, sage ich. „Wer bist du – und was hast du mit meinem Bruder gemacht?“

„Der Kommentar von vorher war nicht so gemeint. Das ist mir einfach so rausgerutscht. Obwohl du meinen Rat mit der Regenjacke ja anscheinend befolgt hast!“

„Falls du dir die Mühe gemacht hättest, die Zeitung in die Hand zu nehmen und den Wetterbericht zu checken, würdest du wissen, dass es heute noch regnen soll.“

Bruno guckt in den Himmel. Er ist kornblumenblau und nirgends ist auch nur eine graue Wolke in Sicht.

„Ach, das glaubst du doch selbst nicht!“, raunzt er. Er trägt ein braunes T-Shirt seiner Lieblingsband »Die krassen Schädel«. Keine Jacke.

Ich zucke mit den Schultern. Ich bin nicht der Typ, der anderen seine Weisheit unter die Nase reibt.

Bis zum Ende des Strehlerangers fahren wir gemeinsam nebeneinander her und quasseln. Dann trennt sich unser Weg. Bruno muss nach rechts, ich nach links!

„See you later, alligator!“, sagt er.

„For a while, crocodile!“, sage ich.

Im Grunde genommen ist mein Bruder ganz in Ordnung.

Auf dem Vorhof herrscht reges Treiben. Viertklässler tauschen Sammelkarten der Gerechtigkeitstruppe und versuchen, leichtgläubigen Drittklässlern ihre Nieten anzudrehen. Die Erst- und Zweitklässler spielen Fußball oder Fangen. Sammelkarten interessieren sie nicht.

»Die Glücklichen!«, denke ich. »Ihre Welt ist noch so unkompliziert. Solange ihnen kein Großer eins auf die Zwölf gibt, sind sie die zufriedensten Menschen der Welt!«

Manchmal beneide ich die Kleinen dafür.

Die Sache ist die: Im Juni kommt ein neuer Film in die Kinos: »Chaos-Göre und Wunder-Kerl vs. Zeit-Bieger: Duell um das Schicksal der Welt«. Der Film handelt von meinen zwei liebsten Superhelden (aber dazu später mehr). Die Sammelkarten zum Kino-Abenteuer gibt es an jedem Kiosk. Mein ganzes Taschengeld habe ich diesen Monat in diese Karten investiert. Jetzt habe ich einen ganzen Stapel – 255 Stück, um genau zu sein, und dazu sogar die allerseltenste: Chaos-Göre’s Chaos-Canon in Diamant-Glitzerfolie. Ich bezweifle aber, dass jemand mit mir tauscht.

Es ist so…

An der Schule habe ich einen gewissen Ruf.

Ich stelle mein Fahrrad in den Ständer, schließe es mit dem Bügelschloss ab, das Papa extra im Baumarkt gekauft hat, und warte bis um 7.45 Uhr.

An unserer Schule gibt es die doofe Regel, dass Schüler bis dreiviertel Acht auf dem Schulhof warten müssen und erst beim Gong in ihre Klassenzimmer gehen dürfen. In der dritten Klasse habe ich Frau Pankow einmal gefragt, was das soll.

Sie hat gesagt, das hat irgendetwas mit »Aufsicht« zu tun.

Jetzt ist es 7.35 Uhr. Das bedeutet noch zehn Minuten reine Hölle.

Und für die Hölle muss man gewappnet sein. Deswegen setze ich meinen Helm erst ab, wenn mich Frau Pankow, wie jeden Morgen, dazu auffordert.

(Ich rechne ihr hoch an, dass ihr mit mir nicht schon längst der Kragen geplatzt ist…)

„Bambina!“, begrüßt mich Alessandro wie jeden Morgen. Das ist sein Ding. „Heute bist du schön wie der Sonnenaufgang!“

„Halt die Klappe oder es knallt!“, antworte ich. Alessandros aufgeplusterte Backen fallen in sich zusammen wie eine geplatzte Kaugummiblase. Ein bisschen leid tut er mir schon. An der Schule ist Alessandro mein einziger Freund.

Ich bahne mir den Weg bis vor an die Eingangstür. Dort steht Herr Brecht und hält »Aufsicht«. Herr Brecht ist wie ein Gefängniswärter, der dafür sorgt, dass seine Insassen keinen Quatsch anstellen.

Doch bis zur Tür schaffe ich es nicht.

Jemand hat mich an den Zöpfen gepackt.

Jemand, der nun „Brumm, Brumm!“ macht. Es ist Sven, der größte Volldepp der Welt. Er hält meine Zöpfe wie die Lenker eines Motorrads.

„Komm, gib‘ Gas!“, ruft er mir zu. Schwarze Gewitterwolken ziehen sich vor mein sonniges Gemüt. Heute donnert es früher als vorhergesagt!

„Leg‘ dich nicht mit Freddy an!“, flüstere ich Sven zu. Und dann heißt es »ZACK«.

Mithilfe eines gekonnten Schulterwurfs befördere ich Sven mit einem »PFWOMP« auf den Boden. Svens Bauch schwabbelt wie Wackelpudding. Sein T-Shirt ist ihm bis unter die Achseln hochgerutscht. Sven guckt doof aus der Wäsche.

Mit einem Mal ist es auf dem gesamten Vorhof still.

»Kacke, kacke, kacke!«, denke ich und reiche Sven schnell die Hand. Mir ist eine Sicherung durchgebrannt. Ein ganzer Haufen Kinder fängt an, zu jubeln.

Sven ist so durcheinander, dass er, ohne zu zaudern, meine Hand packt. Ich helfe ihm auf. Er zupft sich das T-Shirt zurecht (es hat hinten ein Loch bekommen, oder war das schon vorher da?).

„Was war das?“, fragt er verdutzt.

„Eine Lektion“, flüstere ich ihm ins Ohr. Ich schüttle ihm die Hand und tue so, als würde ich mich mit ihm vertragen.

DING, DING, DONG!

Das ist der Gong. Meine Rettung!

Ich halte mich etwas abseits und versuche, mich heimlich ins Schulhaus zu stehlen. Ich bin schon im Gang, als Herr Brecht mir hinterherruft: „Friederike?“

»Bei dem ganzen Jubel wäre es ein Wunder gewesen, wenn er nichts bemerkt hätte!«, denke ich und beiße mir auf die Lippen.

Herr Brecht steht mit verschränkten Armen da.

„Hast du Sven gerade wirklich mit einem Judo-Wurf auf den Boden befördert?“, fragt er.

„Ja, Herr Brecht…“, sage ich. „Ich habe mich aber schon bei Sven entschuldigt und er hat die Entschuldigung auch angenommen!“

„So habe ich das nicht gemeint!“, sagt Herr Brecht. „Was ich sagen will, ist: Gut gemacht!“

»WIE BITTE?!«

„Du hast Recht, dass du dir so eine Behandlung nicht gefallen lässt. Aber das nächste Mal klärst du deinen Konflikt bitte ohne grob zu werden! Hol‘ dir am besten Hilfe bei einem Erwachsenen. Ich habe gesehen, dass Sven dich an den Haaren gepackt hat, aber gerade als ich mich einschalten wollte, hast du schon-“

Herr Brecht macht den Judo-Wurf nach und sagt: „BAM!“

„Starke Leistung, Freddy!“

Herr Brecht bietet mir ein High five an. Ich schlage ein wie ein Kätzchen, das einem die Pfote gibt.

„Dennoch werde ich Frau Pankow über den Vorfall informieren müssen, Friederike.“, sagt Herr Brecht. Mir rutscht das Herz in die Hose. „Ich werde ihr aber sagen, dass wir über den Vorfall geredet haben und dass du dich sofort bei Sven entschuldigt hast. Ich denke, dabei wird sie es dann auch belassen.“

„Danke, Herr Brecht!“, pfeife ich aus dem letzten Loch. Puh! Nochmal Glück gehabt!

„Schönen Tag noch, Freddy!“, verabschiedet sich Herr Brecht und geht dann in seine Klasse.

„Das wünsche ich Ihnen auch!“, rufe ich hinterher. Im Anschluss düse ich los.

Alle sitzen schon auf ihren Plätzen, als ich das Klassenzimmer betrete.

Sven zeigt mir die überkreuzten Mittelfinger, als ich mich auf meinen Platz setze und das Mäppchen auspacke. Sein Blick sagt: „Hoffentlich hast du ordentlich Anschiss bekommen!“

Ich grinse freundlich zurück. Wenn er wüsste.

„Guten Morgen, Freddy! Hast du nicht etwas vergessen?“, begrüßt mich Frau Pankow.

„Hatten wir Hausaufgabe auf?“, antworte ich und stelle mich absichtlich doof.

Frau Pankow fasst sich an den Kopf. „Den Helm?“, fragt sie.

„Oh, ja, der!“

Sie lässt es mir aber auch nie durchgehen!

Ich haste zurück in die Garderobe. Weil ich so geschwitzt habe, kleben meine Haare am Helm fest. Als ich ihn abnehme, fühlt sich das in etwa so an, als würde man sich ein Pflaster abziehen.

Es bringt nichts, mein Spiegelbild im Fenster zu begutachten.

Meine Haare stehen kreuz und quer in alle Richtungen.

»So kann ich unmöglich in die Klasse gehen!«, denke ich.

„Ich bin noch schnell auf dem Klo!“, rufe ich ins Klassenzimmer, ohne auf Frau Pankows »Okay!« zu warten. Auf dem Mädchenklo versuche ich, mein Haar mit Wasser an meine Kopfhaut zu kleistern, aber damit mache ich alles nur noch schlimmer. Nach fünf Minuten gebe ich auf.

Ich bin es ja gewohnt. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich meine Klassenkameraden nicht über meine Haare lustig machen.

Als ich zurückkomme, schreibt Frau Pankow gerade etwas an die Tafel. Die anderen schreiben mit. Ich versuche, mich heimlich auf meinen Platz zu schleichen, doch da lacht Sven auf einmal lauthals los.

„Wie siehst du denn aus?“, jault er.

Alle drehen sich zu mir um. Die Mädchen kichern. Andere sind von Svens Gehabe genervt. Alessandro, hinten in der letzten Reihe, lacht nicht mit. Er bemitleidet mich.

„Scht!“, sagt Frau Pankow und legt sich den Zeigefinger auf die Lippen. Ein Blick reicht aus, um Sven ruhig zu stellen. „Und du Friederike, setz‘ dich endlich hin! Der Unterricht hat schon vor einer Viertelstunde begonnen!“

„Ja, Frau Pankow!“, gebe ich zur Antwort, packe mein Heft aus und schreibe mit.

Im Laufe des Vormittags bricht Krieg aus. Frau Stolz bringt uns bei, wie die Hauptstädte der sechzehn Bundesländer heißen. Sie steht mit dem Rücken vor einer riesigen Deutschland-Karte und plappert wie ein Wasserfall.

„Berlin, Hamburg und Bremen sind sogenannte Stadtstaaten. Das heißt, sie sind Bundesländer und gleichzeitig auch Städte. Wisst ihr, in Berlin wohnt und arbeitet der Bundeskanzler.“

»GÄHN!«

Ich versuche, meine Augen offen zu halten, da trifft mich plötzlich etwas Nasses am Ohr. Ich drehe mich um und sehe, wie Sven mich angrinst. Er hat einen Filzstift in der Hand, den er oben und unten aufgeschnitten hat. Das Innere hat er entfernt. Er winkt mir mit seinem selbstgebastelten Blasrohr zu. Vor ihm liegt ein Blockblatt, dem eine Ecke fehlt. Außerdem kaut Sven auf etwas herum. Kaugummi?

Ich zähle eins und eins zusammen.

»Iiih, dieses Schwein!«

Sven hat mich mit einem Spuckeball beschossen. Und er findet das witzig! Frau Stolz dreht sich von der Tafel weg und sieht uns böse an. Sven erstarrt zu Stein. Ha, zu früh gefreut!

Ich setze mein Engelsgesicht auf und gebe Frau Stolz mit einem eifrigen Nicken zu verstehen, dass ich ihr genau zuhöre. Nach ein paar Sekunden des Zweifelns scheint sie das zufriedenzustellen. Sie malt irgendetwas an die Tafel und langweilt uns weiter mit den deutschen Bundesländern zu Tode.

Ich drehe meinen Füller auf und leere die Tintenpatronen in mein Mäppchen. Das Füllerrohr hat oben ein Loch, durch das sich hindurchpusten lässt. Damit habe ich mein Blasrohr. Eines in das viel größere Spuckebälle hineinpassen als in das von Sven. Für die Papierkügelchen nehme ich das Löschpapier aus einem meiner Mathe-Hefte.

Das Löschpapier schmeckt scheußlich, doch es macht glitschigere Spuckekugeln als normales Papier. Ich kaue mir eine riesige Kugel zurecht und lade sie in mein Blasrohr.

Meine Mitschüler haben mitbekommen, was ich vorhabe. Melissa stupst ihren Nachbarn Nils an und zeigt in meine Richtung. Alessandro dagegen schüttelt den Kopf und will mir wohl damit von meinem Plan abraten. Doch im Gegensatz zu Alessandro habe ich mir noch nie etwas gefallen lassen!

Auge um Auge, Zahn um Zahn, Spuckekugel um Spuckekugel!

Frau Stolz schwafelt weiter.

Ich stopfe den Spuckeball mit einem Bleistift schön fest. Somit ist meine Chaos-Canon abschussbereit!

Sven schwant nicht, was ihn erwartet. Ich drehe mich um, nehme Ziel und feure. Die Spuckekugel trifft Sven direkt an der Stirn. Ehe er versteht, was ihn da getroffen hat, schaue ich schon wieder nach vorne und tue, als würde ich dem Vortrag von Frau Stolz gebannt lauschen.

„MADEN-FREDDY!“, brüllt Sven durch das gesamte Klassenzimmer. Danach ist es mucksmäuschenstill.

„Sven Vollrath!“, ruft Frau Stolz mit ihrer strengsten Stimme. „Was ist nur in dich gefahren?“

„DIE KLEINE MADE HAT MICH MIT EINER SPUCKEKUGEL BESCHOSSEN!“, schreit Sven.

Er hält meinen Spuckeball zwischen Daumen und Zeigefinger.

Meinen Füller habe ich auf die Schnelle wieder zusammengebaut. Es gibt keinen Beweis, dass ich das gewesen bin.

„Friederike, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“, fragt Frau Stolz. Sie ist von den ständigen Unterbrechungen ziemlich genervt.

„Ich war’s nicht.“

Die komplette Klasse kichert. Nur Alessandro seufzt.

„RUHE!“, fordert Frau Stolz. „Ich habe genug von euren Kinkerlitzchen, Sven und Friederike! Wir schlagen jetzt alle das Heft auf und machen einen Eintrag. Und wehe, wenn ich auch nur einen Mucks höre!“

Ein Stöhnen geht durch die Reihen.

„Danke, Freddy! Danke, Sven!“, beschwert sich Noah, der besserwisserische Streber aus der ersten Reihe. Die Hälfte der Klasse stimmt ihm zu.

Da habe ich mir ein Eigentor geschossen.

Mir wird heiß. Hoffentlich bemerkt niemand, dass ich rot anlaufe.

Ein Spuckeballkrieg bricht los, während Frau Stolz den Hefteintrag an die Tafel schreibt. Die ersten Geschosse hageln auf Sven nieder, die nächsten auf mich, aber auch Noah bekommt welche ab. Keiner macht einen Laut. Schon einmal hatte es wegen eines Flummis Strafaufgaben für alle gegeben.

Am Ende der Stunde – nachdem Frau Stolz alle Tafelseiten vollgeschrieben hat – sagt sie: „Wegen eures Verhaltens werde ich noch mit Frau Pankow reden. Ich werde darum bitten, dass man den Vorfall heute euren Eltern mitteilt, Sven und Friederike!“

Na toll, kann der Tag noch schlimmer werden?

Nach Unterrichtsschluss warten Sven und ich vor dem Klassenzimmer. Frau Pankow spricht zuerst mit Sven. Sein Gespräch dauert über zehn Minuten. Im Anschluss daran ist er total bleich.

„Sie hat gesagt, sie wird meiner Mutter einen Brief schreiben“, sagt Sven und schwebt an mir vorbei, als wäre er ein Geist. „Wenn den Mamas Freund liest, bekomme ich mindestens ein halbes Jahr Hausarrest.“

Sven zieht von dannen, ohne mich eines weiteren Blicks zu würdigen. Mir wird angst und bange. Frau Pankow ist eine der nettesten Lehrerinnen der Schule (wie Herr Brecht), sie kann aber genauso knallhart sein.

„Freddy, kommst du jetzt bitte rein?“, fragt Frau Pankow.

„J-Ja!“, stammle ich.

Frau Pankow möchte, dass ich mich auf einen Stuhl neben ihrem Pult setze.

„Herr Brecht hat mir erzählt, was heute vor der Schule vorgefallen ist.“

»Mann, so eine Petze!«, denke ich. »Aber er hat gesagt, dass er mit ihr reden wird…«

„Ich kann verstehen wieso Sven und du heute gestritten habt.“

HÄ?

„Sven ist nicht einfach. Genauso wenig wie du. Krieg‘ das bitte nicht in den falschen Hals. Du bist ein kluges und im Grunde genommen auch sehr anständiges Mädchen. Aber du schießt dich immer weiter ins Abseits. Solltest du nicht versuchen, ein bisschen netter zu deinen Klassenkameraden zu sein, hast du bald nur noch sehr wenig Beistand.“

»Keinen Beistand trifft es eher!«, schießt es mir durch den Kopf. »Da gibt es eigentlich nur Alessandro. Und nicht mal zu dem bin sonderlich ich nett…«

„Jedes Kind hänselt mich wegen meiner Haare. Sie sehen aus wie ein Monster!“, sage ich lauter, als ich will.

„Als Jugendliche hatte ich überall im Gesicht ziemlich schlimme Pickel“, sagt Frau Pankow. „Dann noch das riesige Muttermal auf meiner Wange. Friederike, ich weiß, wie du dich fühlst. Manchmal glaubt man, die ganze Welt sei gegen einen. Aber es gibt auch Menschen, die blicken tiefer und sehen dich so, wie du wirklich bist. Sei offener zu anderen, sonst vergraulst du auch noch deinen letzten Freund.“

»Aua!«, denke ich. »Das hat gesessen.«

„War es das?“, frage ich Frau Pankow.

„Ja“, sagt sie und bringt mich zur Tür. „Ich schreibe deinen Eltern noch einen Brief, um sie über den Vorfall heute zu informieren!“

„Okay.“

„Das ist keine Strafe, Freddy. Aber langsam mache ich mir Sorgen.“

„Ja, ich hab’s verstanden.“ Ich verabschiede mich von Frau Pankow und mache mich auf den Heimweg. Der Vorhof ist wie ausgestorben. Während meines Gespräches hat es angefangen, zu regnen. Der Himmel ist schwarz. Es blitzt und donnert. Das Wetter spiegelt meine Gefühle.

»Bruno wird sich wünschen, er hätte auf mich gehört!«, denke ich ohne jegliche Befriedigung. Ich packe meinen Regenschirm aus und schiebe mein Fahrrad nach Hause.

Kapitel 2

Es schüttet wie aus Eimern. Den Regenschirm habe ich wieder eingepackt. Stattdessen trete ich so schnell in die Pedale, wie ich kann. Ob ich mich beim Schieben nass mache oder dem Schauer mit Vollgas trotze, macht keinen Unterschied. Ich will nur noch so bald wie möglich nach Hause. Die Regenjacke hat nichts gebracht. Ich bin vollkommen durchnässt.

(Bruno hat sich bestimmt von Papa abholen lassen. Im Gegensatz zu mir hat er ein Handy.)

Die Feuchtigkeit lässt meine Frisur explodieren. Meine Zöpfe haben sich in die Hälse einer Hydra verwandelt. Das Haar in der Mitte hat sich zu einem dicken Bauch aufgeplustert.

Gut, dass im Regen niemand auf mich achtet.

Ich düse am Hermann-Hesse-Park vorbei und bin viel zu schnell, als die Ampel vor mir plötzlich auf rot schaltet. Ich drücke sofort auf die Bremsen. Dadurch stellt sich mein Hinterrad auf. Nur, indem ich mein Gewicht verlagere, verhindere ich einen Unfall.

Ich brauche einen Moment, um mich zu fangen. Gerade als ich mich an den Ampelpfosten lehnen will, höre ich jemanden im Park brüllen.

„RÜCK DIE ZEICHNUNG RAUS ODER ES SETZT WAS!“

Die Stimme gehört zu einem stämmigen Jungen, dessen Schultern und Hüften so breit sind wie ein Fass. Neben ihm steht ein großes schlankes Mädchen mit fast schwarzen Augenringen. Das Mädchen gleicht ein wenig einem Waschbären.

„Ich will nicht!“, antwortet ein Schwarzer Junge. Er ist mindestens zwei Jahre jünger als die beiden Rowdies. Er verschränkt die Arme über seinem Rucksack.

„Gib ihn her!“, sagt der ältere Junge und reißt dem Kleinen den Rucksack aus den Händen. Anschließend kippt er den Inhalt in den nassen Matsch. Der große Junge kramt in den dreckigen Schulsachen, bis er einen Block findet.

„HIER!“, sagt er zum Waschbär-Mädchen. „SIEH DIR DAS AN!“

Ich stelle mein Fahrrad ab und komme näher. Die drei Kinder scheinen nichts von meiner Anwesenheit zu bemerken. Der stämmige Junge präsentiert dem Waschbär-Mädchen eine Zeichnung. Sie zeigt die beiden Rüpel als Comic-Figuren mit einem Wasserbomben-Bauch und einem feuerroten Waschbär-Gesicht.

»Gut getroffen!«, denke ich mir.

Von den beiden Figuren gehen wellenartige Striche aus. Stinke-Linien. Passenderweise hat der kleine Junge eine Schar fetter Fliegen dazu gemalt, um den Effekt zu verstärken.

Der dicke Junge liest die Bildunterschrift. „Big Barrel und Stinky Raccoon!“

Mit der englischen Aussprache hat Big Barrel seine Schwierigkeiten. „Glaubst du Schisser etwa, du bist etwas Besseres? Ich glaube, dich muss mal jemand richtig aufmischen!“

„Ja, sag’s ihm!“, meint das Waschbär-Mädchen von der Seitenlinie aus.

„Ihr könnt mir nichts anhaben!“, wehrt sich der kleine Junge. „Ich bin schließlich Wunder-Kerl!“

Obwohl sich der kleine Junge gehörig aufspielt, tut er am Schluss nichts weiter als sich seinen nassen Rucksack über den Kopf zu ziehen. Nur eines seiner Augen ist durch den Reißverschluss zu sehen.

Ich werde langsam zornig. Diese beiden Halbstarken haben es auf den Kleinen abgesehen. Zwei gegen eins. Das ist nicht fair. Frau Pankow hat zwar gesagt, ich soll netter zu den Menschen sein, aber hier muss ich eindeutig etwas unternehmen.

(Hinzu kommt, dass der Kleine Fan der Gerechtigkeitstruppe zu sein scheint. Genau wie ich).

Big Barrel und Stinky Raccoon beömmeln sich vor Lachen.

„Wunder-Kerl hat’s drauf“, sagt das Waschbär-Mädchen. „Sieh dich an! Du bist ein Weichei. Verteilst solche Bilder von uns auf dem Pausenhof und jetzt verkriechst du dich wie eine Schnecke in deinem Rucksack.“

„Zumindest mache ich etwas aus meinem Talent und bin nicht nur in der Schule, um meine Zeit wie ein Dummkopf abzusitzen“, kommt es aus dem Rucksack.

„NOCH SO EIN WORT UND ICH MACH‘ DICH FERTIG!“, schreit der große Junge den Kleinen an.

„HALT!“ Das bin ich. Ich bin jetzt ganz nah.

Big Barrel und Stinky Raccoon drehen sich um, als es hinter mir plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall tut. In ein Hochhaus in der Nähe hat der Blitz eingeschlagen.

Die beiden Rüpel brüllen wie am Spieß.

So, als hätten sie ein Monster gesehen.

„DAS IST MEDUSA, GORGONEN-KÖNIGIN UND HERRSCHERIN AUS DEN TIEFEN DER MILCHSTRASSE!“, kreischt der kleine Junge und zeigt mit dem Finger auf mich. „ICH HABE SIE GERUFEN, UM EUCH ZU VERNICHTEN!“

Big Barrel und Stinky Raccoon sehen sich mit großen Augen an. Sie brüllen sich gegenseitig die Trommelfelle kaputt und nehmen dann panisch Reißaus.

Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Ich bilde mir ein, dass über meinem Kopf ein großes rotes Fragezeichen erscheint. Der kleine Junge nimmt seelenruhig seinen Rucksack vom Kopf und kommt zu mir herüber.

„Du bist genau im richtigen Augenblick aufgekreuzt. Im Blitzlicht hat dein Umriss echt gruselig ausgesehen!

Ich habe selbst kurz gedacht, ich hätte die Prinzessin des Nyx höchstpersönlich vor mir. Ich bin Ernest“, sagt er.

Der kleine Junge reicht mir die Hand. Ich schüttle sie, ohne groß darüber nachzudenken. Dieser Ernest spielt auf meine Haare an. Meine Zöpfe sehen wie Schlangen aus.

„Friederike“, sage ich. „Für die meisten bin ich Freddy.“

„Also, Freddy, du hast mir den Hintern gerettet. Wie kann ich mich dafür revanchieren?“, fragt Ernest, während er seine aufgeweichten Sachen zurück in seinen Rucksack stopft.

Ernest ist ein ziemlicher Dreikäsehoch.

„Fangen wir damit an, dass du mir erklärst, wieso du mich Medusa, Königin der Gorgonen genannt hast.“

Ernest friert ein wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines daherrasenden Autos.

„Ich wollte dir nicht zu nahetreten“, verteidigt sich Ernest. „Bist du zufällig mit der Gerechtigkeitstruppe vertraut?“

Ich verschränke die Arme und schenke dem Kleinen ein geheimnisvolles Lächeln, das heißen soll: „Red weiter!“ Die Wahrheit ist: Ich weiß alles über die Gerechtigkeitstruppe. Auch, dass Medusa, Königin der Gorgonen, eines von Wunder-Kerls mächtigsten Star-Jewel-Monstern ist. Das will ich den Kleinen aber vorerst nicht wissen lassen.

„Da gibt es diesen Superhelden, äh, er heißt Wunder-Kerl. Sein echter Name ist Pascal Dubois. Er ist Astrolonome. Das heißt, äh, er fängt mithilfe seines magischen Teleskops mächtige Monster aus Sternenbildern am Himmel. Medusa ist eine seiner stärksten Kreaturen. Nur Draco, der azurblaue Drachenkönig ist stärker. Äh…“ Mit jedem Wort gerät Ernest mehr ins Stocken. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Der kleine Junge lässt die Schultern sacken und schnaubt.

„Gut, du kannst mir eine Abreibung verpassen“, sagt er. „Ich hab‘ sie wahrscheinlich verdient. Gut, dass ich sie nicht von Big Barrel oder Stinky Raccoon bekomme…“ Dann hebt Ernest seinen Kopf und sieht mich mit einem Blick an, der mein Herz dahinschmilzt. „Wobei ich finde, dass du aus der Nähe eigentlich eher wie Chaos-Göre aussiehst. Die Haarfarbe, dein Teint und die Sommersprossen passen. Dir fehlen nur noch der Cowboy-Hut und die orangenen Augen.“

Der Kleine lässt seinen Charme spielen und ganz ehrlich – er hat damit Erfolg.

Dann landet Ernests Block erneut im Matsch. Ernest schimpft wie ein Rohrspatz.

Ich hebe den Block auf und sehe mir Ernests Zeichnungen genauer an. Er hat Star-Jewel-Monster gezeichnet. Den Großen Bär mit seinem Freund dem Großen Hund, Bootes, Monoceros, Corvus, Prinz Cepheus und Prinzessin Kassiopeia.

„Du hast wirklich ein Faible für Wunder-Kerl!“, sage ich. Ich muss zugeben, Ernests Zeichnungen sind ausgezeichnet.

„Gib die wieder her!“, sagt Ernest, doch so leicht mache ich es ihm nicht. Da ich einen Kopf größer bin als er, kann ich den Block ohne Probleme in unerreichbare Höhen halten.

„Du bist gemein“, sagt Ernest und hüpft auf der Stelle. Endlich verhält er sich seinem Alter entsprechend.

„Du hast Talent“, sage ich. „Diese Bilder sind echt gut. Genauso wie die Bilder von Big Barrel und Stinky Raccoon. Du hast gemeine Bilder der Beiden auf dem Pausenhof verteilt, was?“

„Jürgen und Sarah haben es ständig auf Kleinere abgesehen. Alle anderen Viertklässler hassen sie! Und das zurecht. Ich habe nur versucht, Gerechtigkeit herzustellen. Die Zweitklässler fanden meine Zeichnungen zum Schießen.“

„Und du bist selbst ein Zweitklässler?“

„Ein Drittklässler!“, sagt Ernest und stampft auf den Boden.

„Immer ruhig mit den Pferden“, sage ich. „Das war nicht als Beleidigung gemeint. Für einen Drittklässler bist du eben sehr… klein.“

„Das kommt davon, dass ich ein Jahr früher eingeschult worden bin als andere.“

„Das heißt, du bist ziemlich schlau?“

„Könnte man so sagen“, antwortet Ernest und grinst mich an. Ich reiche Ernest seinen Zeichenblock. Er umschließt ihn mit den Armen, wie er das vorher mit seinem Rucksack getan hat.

„Aber anscheinend hat dir niemand beigebracht, dass man bei einem Gewitter besser nicht durch den Park spaziert. Pack deine Sachen zusammen. Ich bringe dich nach Hause. Auf dem Weg zu dir können wir uns ja ein bisschen über die Gerechtigkeitstruppe unterhalten.“