Schule für Kinder mit besonderen Begabungen - Florian Rattinger - E-Book

Schule für Kinder mit besonderen Begabungen E-Book

Florian Rattinger

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Beschreibung

Der 13-jährige Zauberer Magnus und seine beiden Freunde Gino und Sheri sind für jedes Abenteuer zu haben. Nachdem sie erfahren, dass an der Schule für Kinder mit besonderen Begabungen Dutzende Gegenstände auf unerklärliche Art und Weise verschwinden, nehmen die Freunde sofort die Ermittlungen auf. Eine Reihe von Hinweisen führt die Drei in das weit entfernte Königreich Lorisland, wo Magnus zum ersten Mal den Zauberstab mit einem Mitglied Purpura Effodiant Corvis kreuzt. Weitere Konfrontationen mit noch mächtigeren Gegnern verlangen Magnus, Gino und Sheri alles ab. Mit ihrem Tatendrang bringen die Freunde einen Stein ins Rollen, der Magnus nach fünf langen Jahren endlich zu seinem verschollenen Vater Melefer zu führen scheint. Die Truppe kommt einem Geheimnis auf die Spur, in das sowohl Lehrer als auch Studenten ihrer Schule verstrickt sind – allem voran der maskierte Astrochemie-Lehrer Herr Samson. Um seinen Vater zu retten, muss es Magnus gelingen, die Purpurraben zu schlagen. Dabei ist dem jungen Zauberer die Unterstützung seiner Freunde gewiss. Doch das, was Magnus in den Kämpfen gegen die unheilvolle Organisation aufdeckt, droht, seine Welt auf den Kopf zu stellen

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Zweites Abenteuer
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Drittes Abenteuer
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Alle Rechte an der Geschichte liegen beim Autor.

2. Auflage 2023

Copyright © 2021 Florian Rattinger

Cover Gestaltung » Ahmed Sahil

Illustrationen » Ana Povedano

Verlag (Self-Publishing) » Florian Rattinger

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

Lektorat » Magdalena Rattinger

Vertrieb » epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Sämtliche Privatpersonen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Buchbeschreibung:

"Im Kampf gegen die Purpurraben" vereint die ersten drei Abenteuer des jungen Zauberers und seiner Freunde zu einem Band. Magnus, Gino und Sheri legen sich mit einer kriminellen Organisation von Magiern an, die ihre Schule unterwandert zu haben scheint. Magnus muss gelingen, woran sein verschollener Vater vor fünf Jahren gescheitert ist: Purpura Effodiant Corvi endlich das Handwerk zu legen!

Über den Autor:

Florian Rattinger kam 1989 im schönen Deggendorf, am Rande des Bayerischen Walds, zur Welt. Seit er schreiben kann, werkelt er an Geschichten. Bevor er sich daran machte, Kinder- und Jugendbücher zu verfassen, studierte er das Lehramt für Grundschule an der Universität Passau. Er war Lehrer im Landkreis Landshut und in München. Seit fünf Jahren lebt und arbeitet der Autor mit seiner Familie im beschaulichen Ostalbkreis. Florian Rattinger ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Florian Rattinger

Schule für Kinder mit besonderen Begabungen

Im Kampf gegen die Purpurraben

Roman

Für Helena – ohne die es diese Geschichten nicht geben würde.

Erstes Abenteuer

1

„WENN ICH DICH IN DIE FINGER BEKOMME!“, dröhnt eine garstige Stimme durch die Gänge der Schule.

„Was hat er jetzt schon wieder angestellt?“, fragt sich Sheri und seufzt. Sheri ist 13 Jahre alt und ihr herausstechendes Merkmal ist ihr purpurviolett leuchtendes Haar. Sie ist auf dem Weg zu ihrem nächsten Kurs. Im Zentrum des Innenhofs bleibt sie stehen.

Zuerst erscheint Frau Demir-Magislav auf der Bildfläche. Die Indogermanisch-Lehrerin, die an der ganzen Schule für ihre unerbittliche Strenge bekannt ist. Sie versteckt sich hinter einer der großen Flügeltüren. Nur ihr Kopf lugt hervor. Frau Demir-Magislav tobt.

Aus der Tür stürmt Magnus. Sheris Freund. Ein Spargeltarzan im selben Alter wie sie. Magnus rennt um sein Leben. Mit der einen Hand hält er seinen Zylinder fest, mit der anderen schubst er Schüler aus dem Weg.

„Bitte mal durchlassen! Vielen Dank! Aufpassen! DANKE!“

Magnus rempelt Tim de Baal an, den Sportstar der Schule, und stößt ihn zu Boden. Der Schönling packt Magnus am Bein und ruft: „Hey, Möchtegern-Zauberer, das zahl‘ ich dir heim!“, doch Magnus befreit sich mit einem schnellen Schüttler aus dem Griff des Sport-Asses. Er sieht seine Freundin.

„Oh, hey, Sheri! Könntest du mir vielleicht kurz aushelfen?“, fragt Magnus und setzt ein charmantes Lächeln auf. Er keucht.

Sheri ist nicht begeistert.

„Was hast du verbrochen?“

„Ich? Wieso? Äh… Hm…? Also…“

„Raus mit der Sprache“, nötigt ihn Sheri.

„Ich habe aus Versehen Frau Demir-Magislavs Rock weggezaubert.“

Eine von Sheris Augenbrauen schießt nach oben.

„Du hast was?“

„Ja, also, ich bin in ihrem Zusatzkurs eingeschlafen. Er war halt so langweilig. Sie hat mich geweckt, indem sie ihr Indogermanisch-Buch auf meinen Tisch geknallt hat. Dann hat sie mich zum Übersetzen von fünf Texten verdonnert. Nach der Stunde wollte ich nochmal mit ihr reden. Sie bitten, ob sie mir die Strafe nicht erlässt.“ Magnus blitzt Sheri an. „Ich wollte ihr versprechen, dass ich mich in der nächsten Stunde besonders anstrenge.“

„Und weiter?“

„Ich hab‘ sie vor einem Elterngespräch erwischt. Sie ist vor dem Spiegel gestanden, hat sich die Haare gemacht und Lippenstift aufgelegt.“ Magnus schüttelt sich. „Ich hab‘ sie nur gefragt, für wen sie sich so aufbrezelt und daraufhin ist sie komplett ausgerastet. Sie hat mich angeschrien und mit den Füßen gestampft.“

„Hast du denn angeklopft, bevor du reingekommen bist?“, will Sheri wissen.

„Nein, hätte ich das tun sollen?“

Sheri ächzt. „Hast du wieder überreagiert?“

„Nein, ich war das nicht. Ehrlich! Mein Zauberstab hat sich selbstständig gemacht. Blöd nur, dass im selben Moment der Vater, auf den sie gewartet hat, in der Tür gestanden ist. Herr Wendigo. Du weißt schon, der Papa der Drillinge.“

Sheri patscht sich an die Stirn.

„Herrn Wendigo wären beim Anblick von Frau Demir-Magislavs gelber Sternchen-Unterwäsche beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Sie hat ihm mit dem Indogermanisch-Buch eins übergezogen und seitdem jagt sie mich.“

„MAAAAAAAGNUS!“, brüllt Frau Demir-Magislav. Sie kommt zuerst zögerlich, dann stampfend wie ein Tyrannosaurus rex auf den Innenhof. In einer Hand hält sie den abgebrochenen Rest ihres blauen Lippenstifts. In der anderen eine Heftmappe, mit der sie versucht, ihren Po zu bedecken. Einige Kinder kichern und deuten mit dem Finger auf sie. Tim de Baal meint sogar: „Hübsche Unterwäsche haben Sie da, Frau DM!“

Frau Demir-Magislav kocht vor Wut. Sie malt Tim de Baal ein dickes, blaues X auf die Stirn, packt sich Paul Pech, den Streber der Schule, und schüttelt ihn. „WO IST ER?“, kreischt sie ihn an.

„I…Ich w-weiß e-es nicht!“, stammelt der Junge. Ihm rutscht die Brille mit den Gläsern dick wie Flaschenböden von der Nase. Sie fällt auf das Pflaster und bricht in der Mitte auseinander. Nichts Neues für Paul Pech. Genau für diese Fälle hat er eine Auswahl extrastarker Klebebänder im Schulranzen.

„DU NICHTSNUTZ!“, schnaubt Frau Demir-Magislav und lässt ihn los. Dabei verrutscht ihre Heftmappe. Paul Pech bekommt beim Anblick, der sich ihm bietet, knallrote Ohren.

„Biiiiiiitte, Sheri, hilf mir aus der Patsche!“, fleht Magnus an.

„Gibt es keinen Zauber, mit dem du dich weghexen kannst?“

„Du weißt, dass ich meine Zauber nicht auf mich selbst anwenden kann.“

„Ach ja, das hab‘ ich vergessen“, sagt Sheri und lächelt rechthaberisch. „Na gut, ich will ja nicht so sein. Halt still!“

Sheri kramt in ihrer Tasche. Sie ist vollgestopft mit technischen Geräten. Überall hängen Kabel heraus, funkeln Transistoren wie Juwelen, klappert Metall und Plastik. Sheri findet, wonach sie sucht. Eine kleine schwarze Dose mit weißem Kreppband beklebt. »Invisi-MAX«, steht auf dem Band, darunter in winzigen Buchstaben: »Prototyp«.

„Halt dir die Nase zu“, sagt Sheri zu Magnus. „Das Zeug kitzelt ganz schön.“

„Danke, Sheri, du bist die Beste!“, sagt Magnus und drückt seine Freundin, bevor er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nase zuhält.

Sheri sprüht ihren Freund großzügig mit dem »Invisi-MAX« ein. Zuerst ist das Spray ein Nebel aus tausenden glitzernder Partikel. Dann legt es sich auf Magnus‘ Haut und Kleidung und macht ihn unsichtbar.

„Hat es funktioniert?“, fragt Magnus Sheri.

„Ja“, antwortet sie. „Und jetzt halt die Klappe!“

Frau Demir-Magislav kommt herangetrampelt. Sie baut sich wie ein Turm vor Sheri auf und schenkt ihr einen misstrauischen Blick.

„Sheri Dorli!“

„Frau Demir-Magislav?“, antwortet Sheri und gibt sich Mühe, Frau DMs Sternchen-Schlüpfer keine Beachtung zu schenken.

„Hast du deinen dämlichen Freund Magnus gesehen?“

„Nein, tut mir leid. Am Freitag haben wir leider nur eine Stunde gemeinsam. Astrochemie bei Professor Samson. Heute habe ich ihn noch nicht gesehen.“

„Aha?“

„Außerdem ist Magnus nicht dämlich. Genauso wenig wie ich – oder Sie. Sonst wären wir nicht auf dieser Schule, habe ich Recht?“

Magnus kichert. Frau Demir-Magislav scheint das glücklicherweise nicht zu hören.

„Ja, ich muss dann auch weiter. Auf Wiedersehen, Frau Demir-Magislav!“

Beinahe hätte ihr Trick funktioniert. Doch um Frau Demir-Magislav ihre Bemerkung über Magnus heimzuzahlen, gibt sich Sheri übertrieben angeberisch. Sie wirft ihre Haare hoch und streift dabei Magnus‘ Nase.

„HAAAATSCHI!“

Glitter verteilt sich über Frau Demir-Magislavs Bluse und macht sie pünktchenweise unsichtbar. Gleichzeitig erscheint Magnus‘ Nase wie aus dem Nichts.

„Mann, verflucht!“, sagt Sheri.

Frau Demir-Magislav holt ein Taschentuch aus der Brusttasche ihres Jacketts und putzt Magnus Sheris Unsichtbarkeitsspray aus dem Gesicht.

„Hallo, Frau Demir-Magislav“, sagt Magnus, nachdem das Taschentuch vollständig verschwunden ist. Sein Kopf schwebt scheinbar körperlos in der Luft.

Frau Demir-Magislavs Blick springt zwischen Magnus’ Kopf und Sheri hin und her. Ihre Augen blitzen gefährlich. Sie lässt die Heftmappe fallen und stupst erst Magnus dann Sheri mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.

Dass die übrigen Kinder auf dem Innenhof vor Lachen brüllen, macht Frau Demir-Magislav nichts aus.

„Du und dein dämlicher Freund habt jetzt erst mal eine Verabredung mit dem Direktor.“

2

Magnus und Sheri sitzen duckmäuserisch auf zwei Stühlen vor dem Tisch des Rektors – Professor Dr. Dr. Roland Feynmann.

„Opal, ich weiß, dass ich dir und Melefer versprochen habe, mich um Magnus zu kümmern, aber das ist bereits der dreizehnte Vorfall dieses Schuljahr.“ Der alte Herr mit den zu Zöpfen geflochtenem goldenen Vollbart spricht in die Lautsprechanlage seines Telefons. Um sein Argument zu bekräftigen, hat Professor Feynmann Magnus‘ Akte aus dem Schrank geholt. Daneben liegt Sheris. Während sich Sheris Schülerakte eher wie die Speisekarte eines Restaurants liest, gleicht Magnus‘ einem Roman.

„LASSEN SIE MEINEN VATER AUS DEM SPIEL! ER HAT NICHTS DAMIT ZU TUN!“, zischt Magnus. Professor Feynmann ignoriert Magnus‘ Ausbruch und spricht weiter mit seiner Mutter. „Wenn sich sein Verhalten nicht bessert – fürchte ich – muss ich ihn der Schule verweisen.“

„Es tut mir leid, Roland“, entschuldigt sich eine Frauenstimme am Telefon. „Auch bei Ihnen möchte ich mich für das Verhalten meines Sohnes entschuldigen, Frau Demir-Magislav! Wenn Sie ihn deswegem der Schule verweisen wollen, dann ist das so. Wir haben zuhause schon oft genug über diese Vorfälle gesprochen, oder Magnus?“

Magnus antwortet mit einem leisen „Ja“. Er guckt in den Boden.

„Trotzdem bitte ich dich, Roland. Gib‘ Magnus noch eine Chance! Versprichst du dich denn zu bessern, Sohnemann?“

Nach einer kurzen Weile nickt Magnus. Es wirkt, als könne Opal das hören.

„Und entschuldigst du dich auch bei Frau Demir-Magislav?“

Magnus wirft seiner Indogermanisch-Lehrerin einen Seitenblick zu (sie trägt nun eine schwarze Jogging-Hose) und schmollt.

„Ja“, entkommt seinen Lippen.

„Gut, dann reden wir zuhause weiter. Natürlich unter der Bedingung, dass du alle Strafen akzeptierst, die Professor Feynmann und Frau Demir-Magislav dir auferlegen.“

„Wenn es sein muss…“

„Danke für den Anruf, Roland. Ich sehe zu, dass ich so bald wie möglich zu dir in die Sprechstunde komme. Bis dann.“

„Bis dann, Opal“, sagt Professor Feynmann und legt den Hörer auf die Gabel.

Nach einer Minute des Schweigens, die Magnus wie eine Ewigkeit vorkommt, sagt er zu Frau Demir-Magislav: „Es tut mir leid, dass ich Ihnen den Rock weggezaubert habe. Das war nicht in Ordnung von mir.“

Frau Demir-Magislav lächelt süffisant, bis Magnus ergänzt: „Aber die vielen Indogermanisch-Strafarbeiten waren total übertrieben!“

„DU!!!“, knurrt Frau Demir-Magislav. Professor Feynmann springt in die Bresche.

„Priscilla, beruhigen Sie sich. Magnus hat sich entschuldigt und das rechne ich ihm hoch an.“ Professor Feynmanns ist milde gestimmt. „Und jetzt kommen wir zu Sheri!“

Professor Feynmann richtet seine Aufmerksamkeit auf ein kleines metallisches Kästchen auf seinem Tisch. Es ist ein mobiles Bildtelefon. Eine von Sheris Erfindungen. Auf der Mattscheibe ist ein kugeliger Mann mit feisten Backen und blau leuchtendem Haar zu sehen: Sheris Vater Sherwin. Die ganze Familie hat diese glühenden Haare. Sheris Mutter Regula hat ein spezielles Färbemittel erfunden, das die Haare im Dunkeln leuchten lässt. Sheris sind purpurn, Sherwins sind blau und die ihrer Mutter strahlend gelb.

„Da sich Sheri bisher noch nie etwas zu Schulden hat kommen lassen, lasse ich bei ihr Nachsicht walten“, meint Professor Feynmann zum Mann im Metallkästchen. „Vorausgesetzt, auch Sie entschuldigt sich bei Frau Demir-Magislav.“

„Entschuldigung, Frau Demir-Magislav! Ich hätte Sie nicht anlügen dürfen. Das weiß ich jetzt.“, rattert es aus Sheri. Ihr ist die ganze Situation unangenehm. Nicht, weil sie es bereut, ihrem Freund geholfen zu haben, sondern wegen ihres Vaters.

„Das ging schnell“, stutzt selbst Professor Feynmann. „Aber gut! Nehmen Sie die Entschuldigung an, Frau Demir-Magislav?“

„Natürlich“, antwortet sie, mit eben demselben selbstgefälligen Grinsen.

„Ich möchte Sheri gerne heute eine Stunde zum Nachsitzen dabehalten, damit sie darüber nachdenken kann, wie man sich einer Lehrperson gegenüber respektvoll verhält.“

„Schicken Sie mir das Protokoll des Gesprächs einfach per Mail. Sheri kann Ihnen die Adresse geben. Ich versuche, es dann auch zeitnah zu lesen. Wie hart sie Sheri bestrafen wollen, überlasse ich ganz Ihnen. Ich stimme jeglichen Maßnahmen zu, die Sie für angemessen halten“, meint Sheris Vater. „Ich habe nun leider einen wichtigen Termin. Auf Wiedersehen!“

Damit endet die Video-Übertragung und der Bildschirm wird schwarz.

„Blöder Hornochse“, haucht Sheri, doch bis auf Magnus hört sie niemand.

„Gut, dann sieht die Sache nun folgendermaßen aus“, fasst Professor Feynmann zusammen. „Sheri sitzt nach Unterrichtsende noch eine Stunde nach. Damit ist ihre Strafe abgegolten. Magnus, ich habe vorher mit deiner Mutter ausgehandelt, dass du heute und die ganze nächste Woche nachsitzt. Am Montag wirst du Hausmeister Gold bei seiner Arbeit unterstützen. Er hat angekündigt, dass er Hilfe bei der Reperatur des alten Warmwasserboilers benötigt. Dabei wirst du ihm zu Hand gehen.“

Magnus stöhnt, Sheri erträgt ihre Strafe mit Würde.

„Irgendwelche Einwände?“

„Nein, Professor Feynmann!“, bellen die beiden Freunde unisono.

„Gut, damit seid ihr entlassen. Sheri, bist du so lieb und schreibst mir die Mail-Adresse deines Vaters auf? Über die Einzelheiten des heutigen Nachsitzens wird euch Frau Demir-Magislav informieren.“

Sheri kritzelt etwas Unleserliches auf einen Notizzettel. Währenddessen nimmt Frau Demir-Magislav einen ganzen Stapel Indogermanisch-Bücher vom Tisch des Direktors.

„Nächste Woche wirst du viel Zeit haben, dich intensiv mit indogermanischen Texten auseinanderzusetzen“, sagt sie und lacht triumphal.

Magnus schreit nach Hilfe, aber nur innerlich, wo ihn niemand hört.

3

„Entschuldigen Sie bitte, dass wir zu spät sind!“, sagt Sheri.

Magnus und sie stehen gemeinsam in der Tür zum Observatorium. Über ihren Köpfen leuchten hunderte funkelnde hyperreal wirkender Sterne. Eine Handvoll Himmelskörper strahlt besonders hell.

„Wir hatten ein Gespräch mit Professor Feynmann“, fährt Magnus fort. Das ist nur die halbe Wahrheit. Auf dem Weg zur Sternwarte haben Magnus und Sheri Dampf abgelassen und sich lauthals über die unfaire Behandlung und das Nachsitzen beschwert.

„Davon habe ich gehört“, sagt der Astrochemie-Lehrer Herr Samson. „Setzt euch. In der letzten Reihe sind noch zwei Plätze frei.“

Herr Samson ist erst seit diesem Jahr Lehrer an der Schule für Kinder mit besonderen Begabungen. Neben Astrochemie unterrichtet er außerdem orientalische Geschichte. Viele mutmaßen, dass er aus der Vorliebe für sein Nebenfach ständig eine rote Schakalmaske trägt. Noch nie hat ihn ein Schüler ohne gesehen. Das sorgt für Gerüchte. Eines besagt, er sei unsagbar hässlich, ein anderes, dass er in Wirklichkeit eine Berühmtheit oder ein Supergenie sei. Ein paar Spinner an der Schule glauben, er sei ein international gesuchter Verbrecher.

Niemand kennt die Wahrheit.

Abgesehen von der Maske ist Herr Samson ein anständiger und geduldiger Lehrer. Das denkt auch Magnus.

Die übrigen Kinder kichern oder tuscheln, während Sheri und Magnus auf ihre Plätze in der letzten Reihe schleichen. Magnus heimst die Blicke seiner Mitschüler ein. Die Nachricht über seinen neusten Streich hat schon längst die Runde gemacht.

„Sirius ist der hellste Stern am Firmament“, fährt Herr Samson seine Vorlesung fort. „Er ist von überall auf der Welt am Himmel zu sehen. Sein lateinischer Name lautet »Canis Major«, was zu Deutsch »Großer Hund« bedeutet. Sirius besteht neben Wasserstoff und Helium zu großen Teilen aus schwereren Elementen, beispielsweise Eisen. Er ist doppelt so hell wie der zweithellste Stern, Canopus…“

Magnus und Sheri packen ihre Schulsachen aus. Seinen Zauberstab behält Magnus sicherheitshalber in seiner Hosentasche. Für einen Tag hat er damit schon genug Unheil angerichtet.

„Hey, psht, Magnus! Sheri!“, dröhnt es aus einer der vorderen Reihen. Es ist Gino, der die beiden ruft. Das fehlende dritte Mitglied von Magnus‘ Clique. Er ist ein Klotz mit breiten Schultern und einer ordentlichen Wampe. Er hat einen blau gefärbten Irokesen und gehört zu einer Familie der besten Tierbändiger der Welt. Aufgrund seiner Talente ist Gino vor zwei Jahren an die Schule für Kinder mit besonderen Begabungen gekommen. Seit dem ersten Tag kennt er Magnus und Sheri. „Was war los im Büro vom Direx?“

„Das erzähl‘ ich dir später“, formt Magnus mit seinen Lippen.

„Ich will es jetzt wissen“, flüstert Gino.

Gino dreht sich zu Herrn Samson um. Er ist dabei, der Klasse die elementare Zusammensetzung präsolarer Materie zu erklären. „Präsolare Minerale sind das älteste Gestein in unserem Sonnensystem und stammen höchstwahrscheinlich von Roten Riesen oder sind Überreste von Supernova-Explosionen. Während ein Teil der präsolaren Materie auch ganz normal als herkömmliche Mineralien in der Erdkruste vorkommen – zum Beispiel Korund, Diamant oder Rutil – kommen Silicium- oder Titancarbid für gewöhnlich nur im Weltall vor.“

Gino holt etwas aus seiner extrabreiten Gürteltasche: eine Handvoll karamellisierter Insekten – größtenteils Grillen und Kakerlaken. Als Nächstes öffnet er das kreisrunde Fach an der Vorderseite seines waschmaschinengroßen Rucksacks und wirft die Süßigkeiten hinein.

Der Rucksack klimpert, er faucht und dann ist Stille. Ein Reptil hüpft aus dem runden Loch und landet auf Ginos Arm. Es sieht sich die Sterne an der Decke mit zwei großen unabhängig voneinander bewegbaren Augen an.

Das Reptil ist ein gestreiftes papageigrünes Chamäleon. Gino tätschelt es und flüstert ihm etwas in das Ohrloch. Danach setzt er das Chamäleon auf seinen Tisch und dreht sich zu Magnus um.

„Hex‘ mich klein!“, wispert Gino in die letzte Reihe.

„Nein, mach ich nicht!“, formt Magnus mit den Lippen.

„Jetzt komm‘ schon!“

Magnus wägt seine Optionen ab und gibt schließlich nach. Er holt seinen Zauberstab aus der Hosentasche und spricht hinter vorgehaltener Hand einen kurzen Zauberspruch.

„YES!“, sagt Gino und ballt die Fäuste. Ein kleiner kupferspangrüner Blitz schießt aus der Spitze des Zauberstabs und saust zu Magnus‘ Freund. Der Blitz verkleinert Gino auf die Größe einer Springmaus. Er landet wie eine Katze auf allen vieren. Gleichzeitig verwandelt sich das Chamäleon in ein makelloses Abbild seines Besitzers. Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Wenn man von der langen rosa und ultraklebrigen Zunge absieht.

Gino rast durch eine Reihe Stuhlbeine zu Magnus. Magnus lässt Gino auf seine Hand hüpfen, holt ihn zu sich hoch und versteckt ihn hinter seinem Mäppchen.

„Hast du Frau DM tatsächlich den Rock weggehext?“, fragt Gino mit einer Fistelstimme. Sheri stupst Magnus mit dem Ellbogen an und deutet auf Herrn Samson. Sie legt den Zeigefinger auf ihre Lippen und macht „Pscht!“.

„Sheri, ist alles gut“, meint Magnus, dann sagt er zu Gino: „Ja, leider. Aus Versehen. Ich schwör’s!“

„Wie hat Feynmann reagiert?“

„Ich muss die ganze nächste Woche nachsitzen und Hausmeister Gold dabei helfen, den Warmwasserboiler zu reparieren.“

Plötzlich trifft Magnus etwas an der Stirn. Als er sich an den Kopf fasst, hat er auf einmal weiße Farbe an den Fingern, die sich leicht zerreiben lässt. Kreide.

„Kannst du mir die elementare Zusammensetzung des Minerals Nierit nennen, Magnus? Tipp: Es wird auf der Erde ausschließlich in Meteoriten gefunden“, fragt Herr Samson.

Magnus sucht Hilfe bei Sheri, die zuckt aber nur die Schultern und sagt: „Ich hab‘ dich gewarnt.“

Durch Kopfschütteln gibt Gino Magnus zu verstehen, dass er die Antwort ebenfalls nicht kennt.

„Äh, hm, also…“, stammelt Magnus.

„Mann, es ist Siliciumnitrid!“, stöhnt eine Schülerin in der ersten Reihe. Es ist ein Mädchen mit gemeinen Augen, Sommersprossen und einem roten Pagenschnitt. Cosima. Eines der Drillingsmädchen. Ihre schwarzhaarige Schwester Stella auf dem Platz daneben kichert. Die blonde Schwester Astra am Rand guckt peinlich berührt in den Boden.

„Du Versager. Kein Wunder, dass dein Vater deine Familie verlassen hat. Bei so einem Nichtsnutz als Sohn.“

„Sagt die, deren Vater feuerrote Ohren bekommen hat, als er Frau Demir-Magislavs Po gesehen hat. Ihm wären fast die Augen aus dem Kopf gefallen!“

Eine ganze Menge „Uh!“- und „Oh!“-Rufe raunen durch das Klassenzimmer. „Das reicht“, sagt Herr Samson. Die Klasse schweigt. Herr Samson steht neben Ginos Tisch und tätschelt ihm liebevoll über den Kopf. Ginos Chamäleon leckt ihm mit seiner langen Zunge den Arm. Herr Samsons Reaktion darauf ist durch die Maske verschleiert.

„Scheibenkleister!“, meint Gino, der hinter Magnus‘ Mäppchen hervorlugt.

„Cosima, das ist richtig“, sagt Herr Samson. „Aber weißt du auch, wozu es verwendet wird?“

„Als Projektionskristall“, antwortet Sheri wie aus der Pistole geschossen. „Aus Siliciumnitrid lässt sich Elektronik bauen, die in der Lage ist, vierdimensionale Gittermatrizen zu erzeugen.“

„Das ist richtig“, antwortet Herr Samson. „Das größte Stück Siliciumnitrid, das auf der Erde gefunden worden ist, wurde im alten Ägypten zu einem Edelstein mit dem Namen „Stern des Osiris“ verarbeitet. Ein schwarzes Juwel mit der Leuchtkraft eines Regenbogens. Ich hätte gedacht, du würdest das wissen, Magnus. Glaubt man den Geschichten, ist dein Vater aktuell im Besitz dieses Juwels.“

Magnus weiß nicht, was er sagen soll. Herr Samson geht zurück zu seinem Pult. Er stützt beide Arme auf den Tisch. „Wie dem auch sei: Magnus, Gino und Cosima. Ich möchte euch Drei gerne nach dem Unterricht sprechen.“

Danach fährt Herr Samson mit seinem Vortrag über präsolare Mineralien fort. Gino flitzt zurück zu seinem Platz und Magnus hext ihn auf normale Größe.

Der Rest der Stunde verläuft störungsfrei. Unter anderem liegt das daran, dass Magnus interessiert zuhört.

4

Es ist 17.45 Uhr. Noch eine Viertelstunde bis Magnus endlich nach Hause darf. Er kauert über einem Stapel Indogermanisch-Bücher. Eine Seite Übersetzung hat er hinbekommen, jetzt schwirren die Silben in seinem Kopf wild umher wie die Buchstaben in einer Buchstabensuppe.

Magnus wirft einen Blick zur Seite.

Sheris Finger fliegen über die Seiten. Sie hat fünf Bücher gleichzeitig geöffnet. Mit ihrer freien Hand schreibt sie. Magnus bildet sich ein, zu sehen, wie Rauch über dem Stift aufsteigt.

„Und trotzdem bekommt sie vor jedem Test eine Panikattacke“, denkt er. „Sie ist die Jahrgangsbeste und glaubt trotzdem jedes Mal, eine Sechs zu schreiben. Ich wäre gerne so klug wie sie.“

Gino hat sich Tommaso auf das Gesicht gesetzt. Das ist der Name seines Chamäleons. Während das Reptil Gino sanft die Wangen wärmt und mit seinen Verwandlungskünsten dafür sorgt, dass Magnus‘ schnarchender Freund nicht auffliegt, fischt es gelangweilt Staubflusen aus der Luft.

„Herr Revo, ich weigere mich auch nur noch eine von Herr Samsons Aufgaben zu erledigen! Seine Strafe war total überzogen. Glauben Sie mir, wenn mein Papa davon erfährt, wird er sich sofort bei Herrn Feynmann beschweren. Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Das ist alles seine Schuld!“

Cosima deutet mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Magnus. Magnus zeigt ihr die Zunge. Herr Revos Augen und Nase schweben einen Moment über seiner Zeitung. Sein Blick springt von Magnus zu Cosima. Danach verschwinden die Augen des Werk-Lehrers wieder hinter der Wand aus Recyclingpapier.

„Ja gut, Sie wollten es ja so!“, schnaubt Cosima und schmollt. Sie ist den Tränen nahe. Ihr raucht genauso die Rübe wie Magnus. Sie legt ihre Astrochemie-Aufgaben zur Seite und widmet sich ihrem Skizzenblock. Sie malt irgendetwas mit Aquarellstiften hinein.

Magnus guckt auf die Uhr. 17.47 Uhr.

„Waaaaaas? Das kann nicht sein!“

Er überlegt, wie sich Zeit totschlagen lässt und gelangt zum Schluss, dass er es seinem Freund gleichtun sollte.

„Hokus Visus!“, flüstert Magnus und berührt dazu den Zauberstab in seiner Hosentasche. Eine Brille erscheint auf Magnus‘ Nase, die ihn aussehen lässt, als hätte er die Augen offen. An Tommasos Raffinesse kommt die Brille nicht heran.

Kurze Zeit später schläft Magnus ein.

Im Traum sieht er einen schwarzen Edelstein. Ein geschliffenes Juwel in der Form eines Brillanten. Es schillert in tausend Farben. Der Edelstein ist der Stern des Osiris und er ist zum Greifen nahe. Zahlreiche dunkle und enge Gänge liegen hinter Magnus. Er ist im Herzen eines altägyptischen Tempels. Den Stein will Magnus Opal zum Geschenk machen. Er will sie mit seinen schillernden Farben beeindrucken.

Der Edelstein steckt in einem Steinrelief. Magnus stolpert auf den Stein zu. Er hat heißen Wüstensand in den Schuhen, aber auch in Mund und Nase. Er streckt seine Hand aus und berührt den Stern des Osiris. Als Magnus‘ Finger den Stein streifen, sendet das Juwel purpurviolettes Licht aus. Schwarzer Nebel dringt aus dem Stein, umströmt Magnus und verschluckt ihn.

Magnus schnappt keuchend nach Luft. Köpfe schnellen in seine Richtung.

„Entschuldigung!“, sagt er. „Mir ist nur eingefallen, dass ich heute noch für einen Test lernen muss.“

Tatsächlich hat Magnus davon geträumt, wie sein Vater den Stern des Osiris geborgen hat.

Sheri seufzt, Cosima schaut panisch drein („Welcher Test?“, steht ihr ins Gesicht geschrieben), Gino schnarcht ungestört weiter. Herr Revos Kopf erscheint erneut über seiner Zeitung und verschwindet genauso schnell wieder.

„Es ist nur ein Traum gewesen!“, beruhigt sich Magnus.

Er sieht auf die Uhr. Es ist 17.49 Uhr.

„Argh! Das kann nicht waaaahr sein!“, schreit er innerlich auf.

„Hey, du, pscht!“

Die Stimme kommt aus der letzten Reihe.

„Bist du wegen Samson hier?“, fragt Kozak. Er hat von Magnus‘ neustem Streich offenbar noch nichts gehört. Kein Wunder. Kozak ist der Kopf hinter unzähligen Verschwörungstheorien. In der Freizeit strickt er sich Mützen aus Stahlwolle, um sich vor Gedankenkontrolle durch Radiowellen zu schützen. Er hält Handys für die Erfindung einer geheimen Regierung, die die Gehirne ihrer Bürger kontrollieren will. Kozak und seine Eltern besitzen keinen Fernseher, kein Radio, nicht einmal einen Elektroherd. Zu groß ist seine Angst vor Einflussnahme durch geheimnisvolle Kräfte. Zu seinen Mitschülern hält Kozak Abstand. Oder sie zu ihm. Den neuen Schülern macht er auch schon mal Angst. Kozak sieht mit seinem kreidebleichen Gesicht und den schwarzen Augenringen aus wie ein Panda.

„Nein, Frau Demir-Magislav hat mich zum Nachsitzen verdonnert“, antwortet Magnus und fügt nach einer kurzen Pause an: „Lange Geschichte.“

„Achso…“, sagt Kozak und ergänzt nach einer Unterbrechung seinerseits: „Hast du schon gehört, dass Herr Samson der Anführer einer geheimen Sekte namens »Purpura Effodiant Corvi« – oder kurz PEC – sein soll?“

„Purpur Fondant Korfu?“

„»Purpura Effodiant Corvi« oder zu deutsch: »die purpurnen Raben«.“

„Habe ich noch nie gehört, sorry“, antwortet Magnus. „Über Herrn Samson gibt es die wildesten Gerüchte. Keiner weiß, weshalb er diese Maske trägt.“

Kozak seufzt.

„Oh, doch, ich!“, widerspricht Kozak. „Weil er den purpurnen Raben angehört. Das ist die Wahrheit. Und überhaupt: Es ist seltsam, dass ausgerechnet du nicht über PEC Bescheid weißt.“

„Wieso?“, fragt Magnus. Es gibt angenehmere Dinge, als sich mit Kozak zu unterhalten. Auf der anderen Seite warten Dutzende Seiten Indogermanisch darauf, vom jungen Zauberer übersetzt zu werden.

„Na, weil sie eine Vereinigung krimineller Magier sind, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die stärksten magischen Artefakte der Welt zu sammeln!“

Jetzt ist Magnus ganz Ohr.

„Das Buch von Babel haben sie sich bereits unter den Nagel gerissen, genauso wie der Stab von Avalon. Was ihnen noch fehlt, ist der Stern des Osiris. Dein Vater hatte ihn doch, als er verschwunden ist, oder?“

„Ja, er hat ihn mitgenommen…“, bleibt Magnus absichtlich vage.

„Nein, nein, nein, das ist alles Schwachsinn!“, denkt Magnus.

„Ist dir schon aufgefallen, dass seit neuestem die seltsamsten Dinge verschwinden?“, setzt Kozak nach. „Paul Pechs Chemiekasten mit allen 118 Elementen. Tim de Baals Glücks-Schweißband und Astras dreihundertjährige Bratsche, die angeblich Theobald Süßgrund höchstpersönlich gehört haben soll – dem talentiertesten Komponisten des 17. Jahrhunderts.“ Kozak deutet, um seine Behauptung zu bekräftigen, auf Cosima, Astras Schwester. „Das stinkt doch zum Himmel. Ich bin mir sicher, dass PEC ebenfalls hinter diesen Diebstählen steckt. Angeblich soll es hier an der Schule ein ebenso mächtiges Artefakt geben wie das Buch von Babel oder den Stab von Avalon.“

„Woher willst du das wissen?“, fragt Magnus nach.

„Ich habe recherchiert. Über die Geschichte unserer Schule. Das Schlösschen, in dem sie sich befindet, hat eine lange Geschichte. Angefangen hat sie als Reitstall für die Pferde irgendeines Königs, danach ist sie als Gästehaus für Reisende aus aller Welt, dann als Kirche und schließlich als Kuhstall verwendet worden. Ein berühmter Arzt aus dem 18. Jahrhundert hatte hier ein halbes Jahrhundert lang seine Praxis, und im Krieg ist sie ein Krankenhaus für Verletzte gewesen. Bevor das Schlösschen zur Schule für Kinder mit besonderen Begabungen geworden ist, war sie ein geschichtliches Museum. Kann es da nicht sein, dass irgendein Artefakt hier versteckt ist?“

„Das klingt alles sehr… interessant“, antwortet Magnus. „Aber hätte Professor Feynmann nicht schon längst nach dem Artefakt suchen lassen?“

„Was ist, wenn er mit PEC unter einer Decke steckt?“

„PFT!“ Magnus prustet. „Ganz bestimmt nicht. Ich kenne Professor Feynmann schon mein Leben lang. Er ist ein guter Freund meiner Eltern. Er ist sicherlich kein Bösewicht!“

„Wenn du meinst“, sagt Kozak und richtet seinen Oberkörper auf. „Du wirst schon sehen. Hier stinkt irgendwas zum Himmel. Früher oder später wirst du mir glauben!“

Damit steckt Kozak seine Nase tief in sein Astrochemie-Buch. Magnus legt den Kopf auf den Tisch und denkt: „So ein Spinner!“ Dennoch nimmt er sich vor, seine Mutter nach Purpur Fondant Korfu zu befragen. Vielleicht ist an der Sache doch etwas dran.

Dann endlich. Der erlösende Gong.

„So, raus mit euch!“, drängt Herr Revo. Er hat seine Sachen schon eingepackt und sich Mantel und Schal angezogen. Seine Hände stecken in den Hosentaschen.

Gino schreckt hoch. Tommaso hüpft ihm in den Schoß. Damit sieht es so aus, als ob Ginos Wampe Augen hätte. Herr Revo scheint das nicht zu kümmern. Cosima bricht dafür in schallendes Gelächter aus. Das Chamäleon erschrickt dermaßen, dass es Cosima ins Gesicht springt, die daraufhin kreischend aus dem Zimmer rennt. Gino schultert sich seinen waschmaschinengroßen Rucksack um und läuft (noch bedröppelt) Tommaso hinterher.

„Hey, Tommaso, stehen bleiben!“, hört man Gino aus dem Gang rufen.

Kozak schlendert an Sheri und Magnus vorbei, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Beim Hinausgehen wirft er Magnus einen letzten verschwörerischen Blick zu.

„Indogermanisch ist ziemlich einfach gewesen, findest du nicht auch?“, fragt Sheri.

„Ich hab‘ nicht mal eine Seite geschafft“, schnaubt Magnus. „Das gibt am Montag Stress mit Frau Demir-Magislav!“

„Du kannst abschreiben, wenn du willst.“

Um die Perfektion von Sheris Übersetzung und seinen eigenen Fähigkeiten wissend, lehnt Magnus dankend ab. Der Schwindel würde sofort auffliegen.

„Ich setz mich am Wochenende mit Mama hin…“

„Was wollte Kozak denn von dir?“, fragt Sheri.

„Er hat mir Gruselgeschichten über die Schule und Herr Samson erzählt…“

„Glaubst du, da ist irgendwas dran?“

„Ich weiß es nicht…“, meint Magnus und bemerkt dann, dass sein Zauberstab aus der Hosentasche verschwunden ist.

5

Magnus und seine Mutter Opal sitzen gemeinsam am Esszimmer-Tisch. Opal hat vor sich eine Tasse Granatapfel-Tee stehen, in den sie mit einer Zange ein violettes Stück Kandis-Zucker gibt. Den Salbeizucker hat sie auf einem Markt in einem kleinen Städtchen in der Türkei gekauft. Wie so viele Dinge, die Opal besitzt, hat sie ihn vor allem seiner Farbe wegen erstanden.

Magnus trinkt Kakao und schmollt. Trotz einer intensiven Suche, bei der er den halben Werkraum auf den Kopf gestellt und zu der er sogar Herr Revo überredet hat mitzuhelfen, ist sein Zauberstab nicht wiederaufgetaucht. Aber nicht nur das. Neben Magnus‘ Stab ist Sheris neuste Erfindung verschwunden: Der Prototyp eines Materiegenerators, der mithilfe von Magnus‘ Magie die Grenze zwischen Zauberei und Technik hätte sprengen können.

„Was ist heute nur mit dir losgewesen?“, fragt Opal ihren Sohn.

„Frau Demir-Magislav ist gemein zu mir gewesen“, antwortet Magnus und kann dabei seiner Mutter nicht in die Augen sehen.

„Du musst endlich aufhören, die Fehler immer bei anderen zu suchen, Magnus. Du bist für dein eigenes Handeln verantwortlich. Roland scherzt nicht. Sollte sich dein Verhalten nicht bessern, wird er dich von der Schule werfen!“

„Ich weiß“, gibt Magnus kleinlaut zu.

„Und das, obwohl du sehr genau weißt, dass wir uns nur wegen deines Stipendiums den Schulbesuch überhaupt leisten können. Was würde Papa sagen, wenn er davon erfährt?“

„Papa ist nicht da!“, antwortet Magnus.

„Nein, das ist er nicht…“

„Was weißt du über Purpur Fondant Korfu?“

„NEIN, NEIN, NEIN, DAS IST SO NICHT richtig!“, denkt Magnus.

„Ich meine Purpura Effodiant Corvi.“

Opal stutzt.

„Du fragst nach den purpurnen Raben?“

Magnus ist baff.

„Woher weißt du von ihnen?“, fragt seine Mutter.

„Ein Mitschüler hat gemeint, sie könnten etwas mit Papas Verschwinden zu tun haben.“

„Das bezweifle ich…“, antwortet Opal. „PEC ist eine Organisation von Möchtegern-Zauberern. Melefer hat das ein oder andere Mal ihren Weg gekreuzt. Er hat sie aber niemals als wirkliche Bedrohung angesehen. Er ist schon gegen ganz andere Kaliber von Magiern angetreten.“ Opal stupst ihrem Sohn auf die Nase. „Gegen die Fähigkeiten deines Vaters kommt niemand an!“

„Und jetzt habe ich seinen Zauberstab verloren…“, wirft Magnus ein.

„Der taucht schon wieder auf“, sagt Opal und nippt an ihrem Salbeitee. „Als Papa ihn dir geschenkt hat, hat er dafür gesorgt, dass er immer den Weg zurück in deine Hände findet, selbst wenn er verloren geht.“

„Das sagst du so leicht!“

„Ich vertraue den Versprechen deines Vaters.“

„Kommt er irgendwann zurück?“

„Spürst du es denn nicht?“, fragt Opal.

„Was denn?“

„Dass dein Vater auf dich Acht gibt. Ich spüre, dass er an uns denkt.“

Nach einer Weile sagt Magnus: „Ja, kann sein.“

„Mach dir wegen dem Stab keinen Kopf. Du solltest dich jetzt lieber vor deine Indogermanisch-Hausaufgaben klemmen. Nicht, dass Frau Demir-Magislav am Montag schon wieder die Geduld mit dir verliert.“

Magnus seufzt. Seine Mutter hat einen Turm Indogermanisch-Bücher neben sich aufgebaut. „Und morgen kaufst du Frau Demir-Magislav die teuerste Tafel Schokolade, die du finden kannst. Natürlich von deinem Taschengeld!“

„Das ist unfair!“, protestiert Magnus. „Ich muss wegen ihr schon die ganze Woche nachsitzen!“

„Für seine Fehler muss man geradestehen“, meint Opal, trinkt ihren Tee aus, küsst ihren Sohn auf die Stirn und überlässt ihn seinen Hausaufgaben.

6

Frau Demir-Magislav fällt Magnus um den Hals. Die Orangen-Schokolade mit Krokantsplittern, die er für knapp 15€ im »Fais de Beaux Rêves« gekauft hat, ist zufällig ihre Lieblingssorte.

„Noch nie hat mir ein Schüler Schokolade geschenkt!“, jauchzt sie.

Frau Demir-Magislav gibt Magnus einen dicken Schmatzer auf die Wange. Er bemüht sich, den blauen Lippenstift sofort mit dem Daumen abzureiben, hat damit aber seine Schwierigkeiten. Da seine Wange nun knallrot ist, sieht niemand, wie heiß in Wirklichkeit seine Ohren sind.

„Gern geschehen“, sagt er. „Und entschuldigen Sie bitte nochmal den Vorfall letzte Woche. Ich wollte Ihnen nicht den Rock wegzaubern.“

„Ach, das ist vergeben und vergessen!“, sagt Frau Demir-Magislav und legt die Tafel Schokolade auf ihr Pult. Sie schiebt die Tafel so lange mit dem Zeigefinger umher, bis die Kanten der Tafel parallel zu denen des Tisches ausgerichtet sind.

„Hier sind noch die Sachen, die ich nachgearbeitet habe“, sagt Magnus und türmt einen Stapel Hefte und Bücher auf Frau Demir-Magislavs Pult auf. Am Schluss ist Magnus hinter dem Turm nicht mehr zu erahnen.

„Wie ich sehe, ist es dir ernst.“

Dass er nur die Hälfte der angeforderten Aufgaben erledigt hat, verschweigt Magnus seiner Indogermanisch-Lehrerin. Sie wird es schon merken und dann hat sie die Schokolade, um ihr Gemüt zu besänftigen.

„Ist dein Zauberstab noch aufgetaucht?“, will Sheri wissen.

„Nein, und dein Prototyp?“

„Nein, auch nicht. Ich bin noch nicht dazu gekommen, einen GPS-Sender einzubauen.“

„Hey, vermisst ihr auch etwas?“, mischt sich Gino ein. Er sitzt in der Reihe vor den beiden. Um Frau Demir-Magislavs Zorn nicht auf sich zu ziehen, dreht er nur leicht den Kopf nach hinten.

„Meine Trillerpfeife ist seit Freitag weg“, murmelt Gino. „Seither gehorcht mir keines meiner Tiere mehr. Weil ich das Futter vergessen haben, hätte mich Davino in der Vorstellung am Samstag fast aufgefressen.“

Davino ist der weiße Löwe, den Ginos Vater Mercurio in Afrika vor Wilderern gerettet hat. Ginos Familie betreibt einen weltbekannten Zirkus. An den Wochenenden tritt Gino in den Shows auf.

Magnus fällt das Gespräch mit Kozak wieder ein. Er berichtet seinen Freunden, was ihn der Verschwörungstheoretiker beim Nachsitzen über die verschwundenen Gegenstände von Tim de Baal, Paul Pech und Astra Wendigo erzählt hat.

„Hm, das scheinen mir ein paar Zufälle zu viel zu sein“, meint Sheri. „Sollen wir der Sache auf den Grund gehen?“

„Bin dafür“, stimmt Magnus zu. Ein wenig missmutig fügt er hinzu: „Das verspricht, spannend zu werden.“

In der Mittagspause flehen die drei Herr Revo an, dass er ihnen den Werkraum aufsperrt.

„Bitte, wir haben am Freitag etwas sehr Wichtiges darin vergessen“, jammern Magnus und Gino unisono.

„Ach, habt ihr das?“, fragt Herr Revo. Eine dicke Augenbraue verschwindet in seinen schwarzengrauen Locken. „Nach der ganzen Suchaktion?“

„Ja, bitte, Herr Revo! Sperren Sie uns bitte auf!“

Sheris Rehaugen zeigen Wirkung.

„Hier, aber ihr bringt mir den Schlüssel vor halb 2 zurück!“ Es ist 13.15 Uhr.

Herr Revo händigt Sheri etwas aus, das man kaum als Schlüsselbund bezeichnen kann. An Ende einer dünnen Eisenkette hängen dermaßen viele Anhänger und Schlüssel, dass man den Schlüsselbund für einen Magneten halten könnte, der in einen Behälter voller Metallschrott gefallen ist.

„Vielen Dank, Herr Revo!“, bedankt sich Sheri und schenkt ihm ein zuckersüßes Lächeln.

„Ja, danke!“, sagen Magnus und Gino.

Damit schließt Herr Revo die Tür zum Lehrerzimmer.

Im Werkraum ist von den verlorenen Gegenständen keine Spur. Magnus kriecht auf dem Boden. Gino lässt eine seiner zahmen Taranteln nach den Sachen suchen. Sheri scannt das Zimmer mit einem Gerät, das wie eine Mischung aus Radar und einem Besen aussieht.

Um 13.27 Uhr lautet das abschließende Urteil: „Hier ist nichts!“ Die Enttäuschung wiegt schwer.

Magnus will aufstehen und sich die dreckigen Hände ausklopfen, da pikst ihn etwas in die Handfläche.

„Aua!“, schreit er und zieht sich den Spreißel aus der Haut. Nur, dass es kein Spreißel ist.

„Hey, seht euch das an!“, ruft Magnus seine Freunde zusammen.

In Magnus‘ Hand liegt ein kleiner Gegenstand in der Form eines Gitarren-Spielblättchens. Er ist durchsichtig und wenn man ihn gegen das Licht hält, schimmert er in Regenbogenfarben. Das Ding ist außerdem ziemlich hart.

„Gib‘ mal her!“, sagt Gino und schnappt sich Magnus‘ Fund.

„Hm, das ist eine Schuppe“, sagt er, nimmt sie in den Mund und beißt zu. „Könnte eine Fisch- oder eine Reptilschuppe sein, vielleicht sogar von einem Armadillo.“

„Ist das ein Hinweis?“, fragt Magnus.

„Dazu bedarf es einer genaueren Analyse“, antwortet Sheri, nimmt Gino die Schuppe ab und wischt sie an ihrem Pullover ab. Danach steckt sie sie in einem kleinen Glaszylinder, den sie aus ihrer Tasche holt. „Eine Untersuchung der molekularen Zusammensetzung wird uns mehr sagen.“

„Und jetzt?“, fragt Magnus.

„Wir sollten uns umhören“, meint Sheri. „Wenn Kozak Recht hat, haben möglicherweise Tim, Paul oder Astra einen Tipp für uns.“

Tim de Baal knöpfen sich die Freunde als Ersten vor. Nachdem sie Herrn Revos Schlüssel zurückgebracht haben, machen sich die Drei auf den Weg zur Sporthalle.

Tim de Baal ist beim Aufwärmen. Er ist vom engen Kreis seiner Sportlerfreunde umgeben. Magnus muss sich räuspern, um Tims Aufmerksamkeit zu erregen.

„Hey, Tim! Kommst du mal bitte rüber?“

„Was ist, Hosentaschen-Zauberer?“, raunzt Tim de Baal, dann erinnert er sich an den Vorfall vom Freitag und grinst.

„Man erzählt sich, dass dir dein Glücks-Schweißband abhandengekommen ist! Stimmt das?“, will Magnus wissen.

„Mensch, Klappe zu, Houdini!“, zischt Tim de Baal und schirmt Magnus mit den Armen von den übrigen Sportlern ab. „Wer hat dir das erzählt?“

Magnus ist davon überzeugt, dass es besser ist, seine Quelle fürs Erste geheim zu halten.

„Ja, es stimmt“, gibt Tim de Baal nach einer Weile zu. „Und wehe einer meiner Teamkameraden bekommt Wind davon! Wir haben die letzten drei Spiele gegen mittelklassige Clubs verloren. Wenn jetzt noch herauskommt, dass das Glücks-Schweißband des Starspielers fehlt, ist die Moral im Eimer!“ Tim stupst Magnus auf die Hühnerbrust. „Weißt du etwa, wo es abgeblieben ist?“

„Nein“, antwortet Magnus. „Aber wir gehen der Sache nach. Uns ist auch etwas gestohlen worden.“

„Du glaubst, mein Glücksi wurde gestohlen?“ Tim de Baal macht große Augen.

„Ja, genau wie ein ganzer Haufen anderer Dinge“, ergänzt Gino.

„Also, erzähl uns, wo du dein Glücksi das letzte Mal gesehen hast“, fordert Sheri Tim auf.

„Das war nach dem Duschen am Mittwoch. Ich bin mir sicher, dass ich Glücksi in meinen Spind gelegt habe. Aber nach dem Training war es dort nicht mehr.“

„Ist dir irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen?“, fragt Magnus.

„Ehrlich gesagt war bei dem ganzen Dampf nicht viel zu erkennen. Aber jetzt, wo du fragst: Ich habe da im Nebel kurz etwas blitzen sehen. Ungefähr auf Kniehöhe. Knallrot. Könnte aber auch die Akkuanzeige eines Fitnessbandes in der Tasche von jemandem gewesen sein.“

„Sonst ist dir nichts aufgefallen?“, fragt Magnus.

„Nichts außergewöhnliches“, antwortet Tim de Baal. „Aber ich muss jetzt weiter. Ohne mein Glücksi muss ich extra hart trainieren. Morgen ist das nächste Spiel, und wenn wir das auch verlieren, dann macht uns Herr Kwotabeck die Hölle heiß!“ Bevor Tim de Baal zu seinen Kumpanen zurückkehrt, flüstert er Magnus ins Ohr: „Wenn ihr Glücksi findet, gebt mir Bescheid. Aber behandelt die Sache bitte diskret. Du hast dann was gut bei mir, Hoschentaschen-Zauberer!“

„Danke“, sagt Magnus. „Das ist… gut zu wissen.“

Paul Pech erzählt den drei Schnüfflern, dass er dabei war, ein Experiment in Super-Quantenphysik vorzubereiten, als er bemerkt hat, dass sein Chemiekasten mit allen 118 Elementen verschwunden ist.

„Ich habe der Klasse gerade den Hawking-Koeffizenten im Zusammenhang mit der Halbwertszeit ultraleichter Elemente bei der exokinesischen Fusion außerhalb eines astrozerebralen Raumes erklärt und wollte im Anschluss einen Versuch zeigen, der diesen Effekt demonstriert. Als ich mich an den Versuchsaufbau im Rauchabzug machen wollte, musste ich feststellen, dass mein Koffer mit den Elementen plötzlich nicht mehr an seinem angedachten Platz vorzufinden war.“

Paul Pech holt Luft. Er keucht wie ein Marathonläufer. „Natürlich habe ich für das Verschwinden sofort eventuell auftretende Quanteneffekte in Betracht gezogen, musste aber nach fünf Femtosekunden präziser Berechnungen zum Schluss kommen, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass gut 10 Quadrillionen Atome spontan und synchron ihren Quantenzustand wechseln.“

„Verstehe“, sagt Sheri.

„Bitte, was?“, raunzen Magnus und Gino. Die beiden sind während Pauls Vortrag fast eingeschlafen.

„Ich nehme an, du hattest den Versuchsaufbau im Vorfeld deines Experiments bereits vorbereitet?“, fragt Sheri.

„Allerdings!“, antwortet Paul Pech.

„Wieso hat dann niemand bemerkt, dass dein Koffer mit den Elementen abhandengekommen ist?“

„Ich hab‘ da eine These“, meint Magnus und gähnt.

„Was soll das heißen?“, zischt Paul und stupst seine Brille die Nase hoch. Dabei rutscht sie ihm fast aus dem Gesicht.

„Ich hatte bei der Kurzversion schon Probleme, die Augen offen zu halten. Wahrscheinlich hast du deine Mitschüler mit deinem Vortrag eingeschläfert.“

„Also, das ist ja unerhört!“, empört sich Paul. Dann wird er Zeuge davon, wie Gino im Stehen zu schnarchen beginnt. „Ja, gut, vielleicht habe ich ein wenig über die Köpfe der meisten hinweg referiert.“

„Dann haben wir ja schon mal die Erklärung, warum niemand das Verschwinden deines Kastens bemerkt hat“, schlussfolgert Magnus.

„Ist dir denn irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?“, fragt Sheri.

„Falls du meinst, ob ich den Dieb gesehen habe? Nein.“

Magnus‘ Gesicht wird lang.

„Aber mir ist durchaus etwas seltsam vorgekommen…“

„Spann uns nicht lange auf die Folter, und sprich!“, fordert Magnus Paul auf.

„Ja, schon gut. Also, es ist folgendes…“ Paul Pech nimmt einen Schluck Wasser aus seiner Flasche. „Zuerst habe ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, wir waren ja schließlich im Chemie-Saal, aber…“

„Was aber? Komm zum Punkt!“, schimpft Magnus.

„Es hat verbrannt gerochen. Im ganzen Chemie-Saal. Und das, obwohl ich mein Experiment noch gar nicht begonnen hatte.“

„Das ist alles?“, fragt Magnus.

„Das ist alles“, bestätigt Paul Pech.

„Dann danke für deine Hilfe!“, sagt Sheri.

„War ich euch denn eine Hilfe?“, fragt Paul.

„Das wird sich zeigen“, antwortet Magnus.

„Gut, gebt mir bitte Bescheid, wenn ihr meinen Chemiekasten gefunden habt! Herr Dedekind hat mir bis nächste Woche Zeit gegeben, um das Referat nachzuholen. Sollte ich bis dahin meinen Koffer nicht zurückhaben, ist meine perfekte Note von 0,9 ernsthaft in Gefahr!“

Paul Pech bückt sich, um seine Tasche aufzuheben. Dabei rutscht ihm die Brille von der Nase, fällt auf den Boden und bricht in der Mitte auseinander.

„Nicht schon wieder!“, jammert Paul. Er schnappt sich die zwei Teile seiner Brille, kramt Klebeband aus seiner Tasche und tastet sich auf dem Weg zum nächsten Kurs an der Wand entlang.

Magnus rempelt Gino mit dem Ellbogen in die Rippen.

„Huh, hab‘ ich was verpasst?“, schreckt der Riese hoch.

„Wir sind immer noch keinen Schritt weiter“, sagt Magnus.

„Wir haben aber auch noch nicht Astra befragt“, meint Sheri.

„Als ob uns einer der Drillinge bei der Sache weiterhelfen könnte“, wirft Magnus ein.

„Astra hat ihre Bratsche verloren. Ich bin mir sicher, dass sie alles tun wird, um sie zurückzubekommen“, antwortet Sheri.

„Wenn du meinst“, sagt Magnus.

„Wisst ihr, eine gute Sache hatten die Diebstähle an unserer Schule aber“, sagt Sheri.

„Und die wäre?“, fragt Gino.

„Hätte Paul Pech sein Experiment wie geplant durchgeführt, dann wäre die gesamte Schule in die Luft geflogen.“

„Ich bin froh, dass meine Bratsche weg ist“, beichtet Astra der erstaunten Gruppe Freunde.

Es sind fünf Minuten bis zum Beginn der letzten Stunde.

„Als ich davon gehört habe, dass Dinge in der Schule auf unerklärliche Weise verschwinden, habe ich meine Bratsche kurz vor dem Nachmittagsunterricht neben eine Bank im Innenhof gestellt. Nach Schulschluss war sie verschwunden.“

„Wieso hast du das gemacht?“, fragt Magnus. Er rauft sich die schwarzen Locken. Er sieht den letzten Hinweis zur Lösung dieses Rätsels wie Sand durch seine Finger rinnen.

„Weil ich meine Bratsche hasse!“, antwortet Astra. „Zuhause hat es deswegen zwar einen Mordsärger gegeben - es ist schließlich eine der Bratschen von Theobald Süßgrund – aber das war es wert.“

Astra friemelt am Saum ihres Pullovers.

„Übrigens möchte ich mich für Cosimas Anfall von letzter Woche entschuldigen. Sie hat sehr unnette Dinge gesagt, die sie nicht so gemeint hat.“

„Ja, das ist schon okay“, sagt Magnus. „Ist dir denn etwas verdächtig vorgekommen, als du nachgeguckt hast, ob deine Bratsche noch da ist?“

„Weißt du, Papa hat wegen der Sache mit Frau Demir-Magislav das Wochenende über im Hotel geschlafen. Das war schon ziemlich schräg. Wie dem auch sei…“ Astra sucht Magnus‘ Blick. „Eigentlich nichts besonderes. Aber an dem Tag hatte es nachmittags geregnet. Es ist keine deutliche Spur gewesen. Ihr könnt sie euch vielleicht noch ansehen, wenn ihr Glück habt. Auf jeden Fall sind auf dem Weg zur Bank und von der Bank weg seltsame Fußabdrücke im Dreck gewesen. Lange schmale Abdrücke wie von Clownsschuhen. Ganz seltsam.“

Magnus‘ Augen leuchten. Es ist bisher die einzige Spur, die die Drei tatsächlich voranbringen könnte.

„Danke!“, sagt Magnus und ist dabei sogar ein wenig überschwänglich. Er nimmt Astra an beiden Händen und schüttelt sie.

Astra läuft rot an. Magnus entgeht das vor lauter Euphorie. Sheri nicht.

„Gern geschehen!“, sagt Astra und fügt an: „Solltet ihr die Bratsche finden, dann tut mir den Gefallen und lasst sie wieder verschwinden, okay? Weil Cosima Bilder malt und Stella Geschichten dazu schreibt, haben meine Eltern gedacht, sie müssten für mich auch ein Hobby suchen, bei dem ich mich kreativ austoben kann. Dabei stricke ich viel lieber.“ Sie holt etwas aus ihrer Tasche. „Hier, die habe ich für euch gemacht!“

Astra überreicht Magnus, Sheri und Gino drei gestrickte Mützen. Eine Pastellgrüne in der Form eines Zylinderhuts für Magnus, eine schwarze für Sheri mit zwei Löchern für ihre Zöpfe und eine, die wie ein orangener Feuerwehrhelm aussieht, für Gino. Die drei Freunde sind überwältigt.

„Du hast echt Talent!“, sagen die Freunde im Chor. Astra kichert.

„Danke, das hört man gern! Vielleicht bringen sie euch Glück bei euren Ermittlungen!“

„Bestimmt!“, sagt Magnus, setzt sich die Mütze auf. Sie passt wie angegossen.

Bevor Magnus seine Strafe bei Silas Gold, dem Hausmeister, antritt und ihm bei der Reparatur des Warmwasserboilers zur Hand geht, machen die drei Freunde einen kurzen Abstecher zum Innenhof der Schule. Sie untersuchen die Bank, von der Astra gesprochen hat, und werden herb enttäuscht.

„Von den Fußabdrücken ist nichts mehr zu sehen, oder?“, fragt Gino. „Ich könnte Maximilio darauf ansetzen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er noch eine Witterung aufnehmen kann!“

Maximilio ist ein goldener Shiba-Rüde und kommt aus Japan. Er entstammt einer Linie gut ausgebildeter Hunde, die vor 200 Jahren an der Seite der Samurai gekämpft haben.

„Hey, hier, könnte es das nicht sein?“, meint Sheri und deutet auf den Teil eines Fußabdrucks im Boden, zwei Meter von der Bank entfernt, auf der Astra ihre Bratsche einem unbekannten Dieb dargeboten hat. Er ist dünn und schmal, wie der Abdruck eines Clownschuhs.

„Hmmmm!“, meinen Magnus und Gino. Ihre Köpfe schweben über der Fährte.

Als Sheri sich zu den beiden Jungs hinunterbeugt, hat sie ein elektronisches Spielzeug in der Hand. Einen Roboterdackel mit Raupenantrieb. Sheri setzt den Dackel auf den Boden ab. Er fährt über den Fußabdruck und vermisst ihn mit einem grünen Laser. Danach düst der Robo-Hund davon und scannt viele weitere Fußabdrücke.

„Was ist denn das Cooles?“, will Gino wissen.

„Meine neuste Erfindung“, antwortet Sheri. „Dabei habe ich an dich gedacht. Mein Dackel verfügt über 5000-mal so viele empfindliche Geruchsrezeptoren als ein herkömmlicher Hund. Zudem über Laseraugen.“ Zu Magnus sagt sie: „Das wird jetzt eine Weile dauern, bis DAISY alles gescannt und abgeglichen hat. Außerdem gibt es keine Garantie dafür, dass sie überhaupt etwas findet. Aber es ist besser als nichts.“

Frau Demir-Magislav kommt mit einem Haufen Indogermanisch-Büchern in der Hand aus dem Mittelgang. Magnus sieht vor seinem geistigen Auge, wie sich die Tragödie entfaltet. Frau Demir-Magislav weist die Schüler in ihrem Weg mit scharfen Worten zurecht.

„AUS DEM WEG!“, ruft sie. Sie tritt mit ihren hochhackigen Schuhen die letzten tauben Hindernisse aus dem Weg. Doch DAISY, der Robodackel scheint sich einzig und allein um die Fußabdrücke auf dem Innenhof zu kümmern. Die Hundedame steuert direkt auf Frau Demir-Magislav zu und scheucht ihrerseits Schüler aus dem Weg.

„PASSEN SIE AUF!“, ruft Magnus.

Doch da ist es schon zu spät.

DAISY fährt Frau Demir-Magislav gegen das Schienbein. Sie stößt einen schrillen Schrei aus und lässt den Stapel Bücher fallen. Direkt auf ihren rechten großen Zeh. Was dazu führt, dass sie lauter schreit, auf einem Bein hüpft und sich dadurch die Hacken ihres Designer-Schuhs abbricht. Sie fällt auf ihren Hintern und ihr Rock reißt auf.

Währenddessen verschwindet DAISY hinter dem Physikgebäude und fahndet dort weiter nach verdächtigen Fußabdrücken.

„WER WAR DAS?!“, schreit Frau Demir-Magislav so laut, dass Magnus Angst bekommt, alle Fensterscheiben in der Umgebung könnten zerspringen.

„Kommt! Lasst uns verschwinden!“, sagt Sheri und macht sich ganz klein. Magnus und Gino folgen ihr, während sich Frau Demir-Magislav in Rage kreischt.

7

Magnus reicht Silas Gold einen frischen Lappen. Im Gegenzug bekommt Magnus einen feuchten, öligen Lumpen in die Hand gedrückt. Magnus wringt den Stoff mit von Ekel verzogener Miene in einen Eimer aus. Die Flüssigkeit riecht nach Marzipan.

„Diese Edelkern-Heizung ist ein reines Desaster, sage ich dir! Ein reines Desaster! Das Ding ist schon seit Jahrzehnten marode, aber man tauscht sie nicht aus, weil eine neue Heizung zu teuer wäre. Sie sagen: „Edelkern-Heizsysteme sind besonders umweltfreundlich.“ Das mag stimmen, doch von denen hat noch nie jemand so eine Heizung gewartet. Jedes Jahr derselbe Käse!“ Silas Gold zieht Schleim die Nase hoch. „Schraubenschlüssel!“, diktiert er Magnus.

„Hier!“, sagt Magnus und gibt Herrn Gold das Werkzeug.

Von hinter dem Warmwasserboiler steigt Dampf auf.

„So!“, schnaubt Herr Gold. Er hält Magnus einen heißrotleuchtenden oktaedrischen Kristall unter die Nase.

„Keine Sorge. Der ist nicht heiß.“

Magnus nimmt den glühenden Kristall entgegen. Er ist tatsächlich nicht heiß, dafür aber von einer Vielzahl von Rissen durchzogen, aus denen kleinen Säulen Dampf aufsteigen.

„Das ist der Edelkern“, sagt Herr Gold. „Verzwacktes Ding. Magisch. Um es aufzuladen muss er alle zwei Jahre in einen aktiven Vulkan geworfen werden. Das letzte Mal, als ich ihn in den Edna geworfen habe, wäre ich beinahe selbst hineingefallen.“

Magnus betrachtet den Edelkern mit Respekt. Plötzlich findet er es gar nicht mehr so doof, zum Aushelfen verdonnert worden zu sein.

„Der ist magisch?“, fragt er.

„Solltest du ja wissen, oder? Bist ja schließlich der Sohn eines berühmten Zauberers.“

„Ja, das bin ich wohl“, sagt Magnus. Er ist sich sicher, sein Vater hätte ihm erklärt, wie Edelkerne funktionieren, wäre er hier.

„Was ist mit dem Kristall?“

„Er ist undicht. Er verliert viel zu schnell Energie. Wenn das so weitergeht, dann stehen wir im Winter ohne Heizung da. Und ich fahre nicht noch mal nach Italien um dieses vermaledeite Ding in einen Feuerschlund zu werfen. Da darf sich Feynmann gerne einen neuen Dummen suchen!“

„Was kann man dagegen tun?“, fragt Magnus. „Ich meine, wie kann man verhindern, dass der Kristall noch mehr Energie verliert?“

Silas Gold setzt sich auf. „Gib‘ mir das Ding!“

Als Magnus Hausmeister Gold den Kristall aushändigt, glühen seine Handflächen einen Moment lang nach.

Herr Gold holt eine Dose aus seinem Werkzeugkoffer und schraubt sie auf. Darin enthalten ist eine weiße fettige Paste. Er nimmt eine Handvoll und schmiert den Kristall damit von allen Seiten ein.

„Rissversiegelung“, meint Herr Gold.

Das Glühen des Kristalls verändert sich. Es nimmt einen dunkleren Ton an. Beinahe violett.

„Soweit ich weiß, gibt es nur noch eine Edelkern-Heizung in ganz Deutschland. Deswegen gibt es auch niemanden, der sich um die Reperaturen kaputter Kristalle kümmert. Die Versiegelung hält eine Weile. Aber wenn wir Pech haben, muss ich schon morgen eine neue Schicht auftragen. Du gehst mir doch auch nochmal zur Hand, oder?“

„Ja“, antwortet Magnus. „Die gesamte Woche.“

„Gut, dann kannst du mir ja beizeiten helfen, das Ding noch einmal auseinanderzunehmen. Für heute sind wir aber fertig. Den Rest bekomme ich selbst hin. Danke für die Hilfe!“

„Gern geschehen“, antwortet Magnus. „Darf ich dann nach Hause gehen?“

„Klar, aber pass auf, dass du dich nicht verläufst. Schon so mancher Schüler hat den Weg nach oben nicht mehr gefunden. Ein Schüler war sogar mal einen halben Tag verschwunden, viele andere haben sich hier unten schon einen Schreck geholt. Mutproben und solche Geschichten.“ Herr Gold verschwindet erneut hinter dem großen Heizkessel. Der leuchtende Edelkern wirft einen phantomartigen Schatten an die Wand. „Soweit ich das beurteilen kann, gibt es hier unten nichts, vor dem man sich fürchten muss.“

Magnus schluckt. Es ist kurz vor halb 7. So spät war er noch nie in der Schule.

„Gut, ich geh‘ dann also“, sagt Magnus mit beinahe unmerklich bebender Stimme (zumindest redet er sich das ein).

„Ciao, Junge. Und danke nochmal für die Hilfe!“

Magnus macht die schwere Eisentür hinter sich zu. Grüne Lampen in Käfigen erhellen den dunklen Gang. Hätte er seinen Zauberstab, könnte Magnus Licht machen. So muss er darauf bauen, dass ihn sein Mut nicht verlässt.

Er macht ein paar Schritte und legt dann seine Hand auf das Gemäuer. Magnus erinnert sich an etwas, das ihm sein Vater vor langer Zeit erklärt hat.

„Solltest du dich jemals in einem Labyrinth wiederfinden, lege einfach die rechte Hand auf die Wand neben dir und folge dem Weg. Du darfst nur niemals die Hand von der Wand nehmen. Dann findest du den Ausgang!“

Doch nach dreimal Abbiegen (er erinnert sich jedes Mal genau, welche Abzweigung er zu nehmen hat) ist Magnus bei den Treppen, die ins Erdgeschoss führen.

Nach der letzten Stufe atmet er aus. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er die Luft angehalten hat.

„Wäre ich ein Dieb und auf der Flucht, würde ich mich hier unten verstecken“, denkt er. „Hier würde mich niemand finden.“

Kaum hat er den Gedanken zu Ende gedacht, hört Magnus aus den Tiefen des Kellers der Schule für Kinder mit besonderen Begabungen ein hohes schrilles Pfeifen.

Es ist unverkennbar die Trillerpfeife seines Freundes Gino.

„Heiliger Mist!“, denkt Magnus und stürmt nach oben.

8

„Glaubt mir: All die geklauten Gegenstände sind im Keller der Schule!“, erzählt Magnus Sheri und Gino am nächsten Tag. „Ich hab‘ gestern deine Trillerpfeife da unten gehört, Gino! Hunderprozentig!“

„Kann das nicht nur der Warmwasserboiler gewesen sein? Du hast doch gesagt, dass Herr Gold noch daran gearbeitet hat, als du gegangen bist“, wirft Sheri ein.

„Das ist nicht bloß der Warmwasserboiler gewesen.“

„Wie Magnus gesagt hat: Wäre ich ein Dieb, würde ich mich auch an einem Ort verstecken, an dem es verlassen und die meiste Zeit finster ist. Ich bin ja kein Schisser!“, sagt Gino.

„Na ja, das würde auch erklären, wieso ich die Signatur meines Materiegenerators nicht empfange. Entweder jemand hat ihn von hier weggebracht oder hinter Mauern versteckt, die so dick sind, dass sie keine elektromagnetischen Wellen durchlassen. Der Keller der Schule wäre da eine Option“, schlussfolgert Sheri.

„Ob mein Zauberstab auch da unten ist?“, fragt sich Magnus. „Ich spüre ihn nicht…“

Möglicherweise hat Sheri recht und das hat etwas mit den dicken Mauern zu tun.

„Ja, gut, aber was machen wir nun?“, fragt Gino. „In den Keller der Schule kommen wir nicht ohne weiteres. Dich ausgenommen – du musst ja noch die ganze Woche Herrn Gold aushelfen. Und selbst dann wird er ein Auge auf dich haben.“

„Wir brauchen den Hausmeisterschlüssel“, sagt Sheri.

„Ja, den brauchen wir“, stimmt Magnus zu.

„Hast du eine Idee, wie wir an den rankommen?“, fragt Gino.

„Lass mich nachdenken…“, sagt Magnus. „Ich glaube, mir fällt da was ein.“

„Na, Junge, wie war die Schule heute?“, fragt Herr Gold, direkt bei Magnus‘ Dienstantritt.

„Ganz okay“, meint Magnus. „Analytische Musik war interessant. Wir haben den Jazz der 1940er mit Mozarts 19. Symphonie verglichen.“

„Mhm.“ Herr Gold nickt. „Ihr jungen Leute habt schon ganz schön exotische Fächer. Braucht man die denn alle?“

„Ein paar davon sind ganz interessant“, sagt Magnus.

Sein liebstes Fach zurzeit ist Astrochemie. Seit Kozak ihm von der Verschwörungstheorie rund um Purpur Fondant Korfu erzählt hat, sieht Magnus seinen Lehrer in einem neuen Licht. Magnus hält Kozaks Theorie weiterhin für ein reines Hirngespinst, vor allem seitdem er davon überzeugt ist, dass sich der Dieb im Keller versteckt. Was bitteschön hätte ein geheimer Bund boshafter Magier im Keller einer Schule zu suchen?

Aber dennoch, ein kleiner Zweifel bleibt.

„Müssen wir heute zurück in den Keller?“, fragt Magnus. „Die Heizung nochmal reparieren?“

Herr Gold kratzt sich an den Bartstoppeln.

„Ne, das ist heute nicht nötig“, antwortet Herr Gold. „Der Edelkern hält besser durch als ich dachte. Liegt vielleicht an deinem magischen Talent.“

Das schmeichelt Magnus dermaßen, dass er einen Augenblick seinen Plan vergisst.