Auf dunklen Pfaden - Susanne Jarosch - E-Book

Auf dunklen Pfaden E-Book

Susanne Jarosch

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Beschreibung

Rasch erholt sich das Land von dem Schrecken und unermüdlich werden die Schäden der verheerenden Schlacht beseitigt. Nur Ragnar scheint sich nicht zu erholen und stürzt erneut in ein tiefes seelisches Loch. Bald wendet er sich von Nelda und allen anderen ab und fällt eine folgenschwere Entscheidung. Ohne zu wissen, dass die Gefahr überall lauert, begibt er sich auf die Suche nach sich selbst. Wird Ragnar zurückkehren und wieder der König sein können, den das Land so dringend braucht?

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Auf dunklen Pfaden

Ragnar-Trilogie

Band 3

Susanne Jarosch

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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet - www.herzsprung-verlag.de

© 2023 – Herzsprung-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2023.

Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at

Titelbild: © germancreative

ISBN: 978-3-96074-690-4 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-691-1 - E-Book

*

Inhalt

Unermüdlich

Ohne Ausweg

Rattenloch

Beklemmend

Das dunkle Wasser

Befehle

Fern der Schlucht

Verrat und Verschwörung

Macht

„Auf dich, Wetzel!“

Der neue Kommandant

Der Anfang vom Ende

Lodernde Flammen

Dunkelheit

Das Ende

Lohn und Strafe

Nelda, Herrin des Landes

Ragnar, Sohn eines Bauern

*

Für Julia und Johanna

*

Komm tapferer Streiter, leg dich nieder.

Schließ die Augen, die Zeit des

Kämpfens ist vorüber.

Allen Schmerz küsse ich fort

und meine Liebe wird deine Wunden heilen.

*

Unermüdlich

Ehrfürchtig hatten Arnim und zwei weitere Anwärter zum Soldaten im Thronsaal gekniet und ihren Eid geschworen. Laut und ohne Aussetzer sprachen sie ihre Worte und behielten dabei das Schwert des Königs im Blick.

„Ich kämpfe für mein Land, für die Menschen, die dort leben, und die Freiheit! Niemals will ich aufgeben und auch nur der Tod kann mich aufhalten! Für die Freiheit!“

„So erhebt euch!“, forderte Ragnar, ihr König, der an diesem Tag zu dieser feierlichen Stunde sein Schwert nicht selbst halten konnte. Seine Hände waren noch immer schwer verwundet und verborgen unter dicken Verbänden. Darum hielt auch Nelda, seine Gemahlin und Königin, die wertvolle Waffe.

Mit stolzgeschwellter Brust erhoben sich die jungen Männer und nahmen strahlend die Glückwünsche ihres Königs entgegen. Auch die Königin und alle ranghohen Soldaten schüttelten ihnen die Hand, drückten ihnen die Schulter oder umarmten sie freundschaftlich.

Hinterher saßen sie noch beisammen und die Alten erzählten bei Speis und Trank den Jungen lebhaft Geschichten aus deren Alltag. Dabei gesellte sich Ragnar zu Arnim.

Sie redeten über die Feierlichkeiten, als der König meinte: „Ich habe dir nie verraten, warum ich dir damals in dem dunklen Loch den Namen Arnim gab!“

„Nein, das hast du nicht!“, antwortete der junge Soldat und die entstandene Neugier war nicht zu überhören.

„Arnim bedeutet kleiner Adler. Du hast damals wie ein zerzauster, ängstlicher Jungvogel auf mich gewirkt. Ein kleiner Adler, der aus Angst vor großen Gefahren lieber sein Nest noch nicht verlassen wollte!“, erklärte ihm sein König.

Auch wenn der ihm vergeben hatte, so war das einer dieser Momente, in denen ihn seine Erinnerungen überschwemmten. Schlimmes hatte er getan, wofür er sich auch ausnahmslos schämte und ihm keine Vergebung verdient war. Doch man hatte ihm verziehen und an diesem Tag hatte er es zum ersten Mal gespürt. Er gehörte nicht nur zu ihnen, sondern war von heute an ein Mann des Königs.

„Ich bin froh und dankbar, dass du mir einen Namen geschenkt hast ... der mir dann auch noch gerecht ist!“

Ragnar lächelte, nahm umständlich seinen Krug in die verbundenen Hände und trank einen Schluck Bier. Arnim grinste zurück und tat es seinem König gleich.

Lange blieben alle an diesem Abend noch beieinander, schwatzten und lachten viel und schienen dabei nicht ein einziges Mal an die vergangenen finsteren Zeiten gedacht zu haben.

Die verheerende Schlacht lag schon eine Zeit zurück und trotzdem konnte man noch in der Siedlung an unzähligen Stellen Schäden erkennen. An manchen Tagen zog einem sogar noch deutlich der Geruch von verbranntem Holz durch die Nase. Jedem war klar, dass es noch eine Zeit lang dauern würde, bis alles wieder so aussehen würde wie zu der Zeit, bevor die feindlichen Männer gekommen waren.

Obwohl viele in den schlimmen Stunden ihr Leben lassen mussten, so war der König nicht verloren. Rasch entschwand aus den Menschenherzen die Hoffnungslosigkeit und unermüdlich beteiligten sie sich am Wiederaufbau ihrer Heimat. Verbrannte Häuser wurden neu errichtet, zerstörte Dächer neu gedeckt und aus den Gassen karrten sie eifrig die Trümmer hinaus. All den Schutt häuften sie in angemessener Entfernung von der Festung zu Hügeln auf. Ragnar und sein Kommandant Herward hatten aufgrund der letzten Schlacht in langen Gesprächen beschlossen, es müsse zum Schutz aller noch weitaus mehr getan werden. Darum sollte aus dem ganzen Häuserbruch ein Schutzwall entstehen, so wie es einst schon König Odo im Sinn gehabt hatte. Diesen Wall wollten sie außerdem noch mit Stein und Erde füllen, sodass er in geraumer Zeit einen herannahenden Feind an dessen Vorhaben erst einmal hindern konnte.

Jene Soldaten, die lange in den Dörfern nahe dem Gebirge für Schutz gesorgt hatten, brauchten auf Geheiß des Königs nicht mehr dorthin zurück. Der Heerführer Magnus schlug Ragnar jedoch vor, ihn mitsamt seinen Männern als Außenposten in jenem Dorf, in dem sie lange Dienst geschoben hatten und in dem auch sein Eheweib lebte, abzustellen. Ragnar nahm den Vorschlag erfreut an und übertrug dem Heerführer gleich noch die Aufsicht aller Dörfer nahe dem Gebirge und dem Gang durch den Berg. Diesen ließ Ragnar erst einmal nicht mehr verschließen. Die Mühe, die sie sich vor Jahren dort gemacht hatten, war ohne Zweck gewesen und auch sonst widerstrebte ihm in diesen Tagen ein erneuter Verschluss.

Nachdem die größten Aufräumarbeiten vollbracht waren, zog Magnus mit seinem Heer und jenen Männern, die sich ihnen vor der Schlacht angeschlossen hatten, zurück in die Dörfer nahe dem Gebirge. Während der letzten Zeit hatten die Ausbildung und das alltägliche Exerzieren der Soldaten geruht. Nun begann aber auch für diese Männer wieder das gewöhnliche Leben. Vom Platz hinter der Burg drangen endlich wieder die Laute von aufeinandertreffenden Waffen und das Keuchen und Stöhnen sich anstrengender Streiter.

Ragnar war bei all diesen Taten zum Zusehen verbannt. Die Wunden waren noch nicht verheilt und vor allem seine Hände würden dafür noch einige Zeit benötigen. Nach wie vor trug er sie verbunden und kleinste Bewegungen schmerzten sehr.

Das Nichtstun drückte ihm arg aufs Gemüt. Er war ein Mann der Tat, ein Hitzkopf, und sich in Geduld zu üben, hatte noch nie zu seinen Stärken gehört. So quälte ihn seine Nutzlosigkeit nicht nur, sondern veränderte ihn auch. Er entzog sich seinen Mitmenschen und verließ von Zeit zu Zeit die Festung durch das hintere Tor. Scheinbar unbemerkt begab er sich dann auf die Suche nach einem stillen Ort und verbrachte dort viele Stunden. Tatenlos verweilte er dort an seinem Platz und blickte in die Ferne.

Nelda blieb sein Wandel nicht verborgen und er begann, sich ihr zu entfremden. Sie sorgte sich und wollte herausfinden, was der Grund für seine Veränderung war.

Eines späten Abends betrat er wie so oft in letzter Zeit leise die königlichen Gemächer. Nelda saß auf der Schlafstatt und schien dort auf ihn gewartet zu haben. Kaum hatte er die Tür geschlossen, erhob sie sich und trat zu ihm hin. Fragend sah sie ihn an, und als würde er ahnen, was sie bewegte, versuchte er, sich ihrem Blick zu entziehen.

„Was ist mit dir, Liebster?“, stieß sie besorgt hervor.

„Was soll mit mir sein? Ich bin müde!“, gab er gedämpft zurück.

„Das meine ich nicht!“, erwiderte sie mit erhobener Stimme, worauf er sie endlich ansah.

„Du gehst mir offensichtlich aus dem Weg!“

„Tue ich das?“

„Ja, das tust du! Den ganzen langen Tag treibst du dich irgendwo in der Gegend herum und kommst auch erst zu später Stunde zurück!“, behauptete sie gekränkt.

„Das hat aber nichts mit dir zu tun!“, betonte er gereizt.

„Nicht? Du schenkst mir doch nicht einmal mehr einen Kuss! Gehört dein Herz etwa einer anderen?“, entkam es ihr bekümmert.

Entsetzt sah er sie auf diese Äußerung hin an, deren Augen bereits verdächtig zu glänzen begannen. „Nein, mein Herz gehört keiner anderen!“, betonte er und schaute hinterher auf seine eingebundenen Hände, die er ihr schließlich entgegen hob. „Ich bin es einfach nur leid, nichts tun zu können! Für alles benötige ich meine Hände, doch die wollen mir nicht mehr dienen! Nichts kann ich allein und doch will ich so vieles!“ Enttäuscht ließ er seine Arme sinken und klagte weiter: „Ich will dich wieder berühren können, die Kinder in den Arm nehmen oder ...“ Er unterbrach für einen Moment, schnaufte schwer und fügte leise hinzu: „Oder auch einmal wieder ein Schwert halten!“

Beschämt wegen ihres albernen Verdachts wischte sich Nelda rasch die Tränen fort. Sie legte ihre Arme um ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. „Hab Geduld, Liebster!“, beschwor sie ihn.

„Auch das bin ich leid!“, fuhr er forsch zurück und löste sich aus ihrer Umarmung. „Ich bin ein Krüppel und zu nichts mehr nutze!“

„Hör auf, so zu sprechen!“, schimpfte Nelda. „Deine Hände werden wieder heil werden!“

„Ach ja? Kannst du mir das beschwören?“ Zornig blickte er ihr entgegen.

„Ja, das kann ich!“, flüsterte sie.

Merkwürdig hatte sie ihn dabei angesehen und auch gleich angefangen, ihn von seinen Kleidern zu befreien. Kaum hatte sie seinen Oberkörper entblößt, schob sie ihn sanft, aber bestimmend zum königlichen Bett. Ragnar nahm darauf Platz und legte sich nieder.

Nelda zog ihm die Schuhe aus und entledigte ihn auch seiner Hosen. Umständlich hievte sich Ragnar dann in die Mitte der Schlafstatt, während seine Liebste das Licht löschte. Endlich ließ auch sie ihre Hüllen fallen und legte sich verführerisch zu ihm. Zärtlich strich sie über seine Brust, küsste seine Haut und flüsterte ihm betörend ins Ohr: „Wenn du dir von mir helfen lässt, dann werden dir deine Hände auch bald wieder dienen!“

Als hätten ihre Worte keinen Anklang gefunden, äußerte er noch immer ein wenig missgelaunt: „Es ist Zeit, zu schlafen, Nelda!“

„Ich lass dich schlafen, aber nur, wenn du mir einen Kuss gewährst!“, entgegnete sie ihm fordernd.

Bereitwillig neigte er ihr sein Haupt entgegen und berührte ihre Lippen. Er schloss seine Augen und meinte, vergessen zu haben, wie schön es doch war, sie zu küssen. Alles Drückende verließ ihn mit einem Mal und ihm wurde wohlig warm.

Neldas Finger wanderten während ihres Küssens zärtlich über seinen Körper und zeigten ihm ungehemmt, wonach sie sich sehnte. Wie ein Lauffeuer entfachte in ihm die Leidenschaft und er hoffte inständig, die Berührungen seiner Liebsten würden nicht enden.

„Hilf mir, Nelda! Bitte verzaubere mich!“, raunte ihr Ragnar schließlich heiser und voller Verlangen zu, als sich ihre Lippen einmal schwer von den seinen lösten.

Einige Tage später ließ Ragnar nach Herward schicken und empfing ihn im Thronsaal. Sie nahmen am Beginn der mittleren Tafel Platz und der König begann ohne Umschweife zu sprechen. „Herward, es ist an der Zeit, Rouvens Posten zu besetzen! Wen könntest du mir dafür empfehlen?“

Nachdenklich zupfte sich der Kommandant am Kinnbart. „Dankwart! Er ist ein gewissenhafter Soldat und er hat ein gutes Herz!“

Ragnar nickte beistimmend. „Ansgar würde sich für diesen Posten sicher auch gut eignen. Er hat Erfahrung, jedoch ist er, glaube ich, nicht sonderlich beliebt und wirkt auch auf mich oft sehr überheblich!“

„Ansgar kenne ich nicht gut. Ich habe noch nicht viel mit ihm zu tun gehabt!“, meinte der König.

Einen Moment war es still zwischen den Männern.

„Was hältst du von Urban?“, erkundigte sich Ragnar.

„Urban ist noch sehr jung und es fehlt ihm noch an Erfahrung. Aber auch er ist ein äußerst zuverlässiger Soldat!“

Erneut nickte Ragnar und schlug gleich noch den Soldaten Neidhart vor. Darauf schüttelte Herward eindringlich den Kopf. „Nein, Ragnar! Neidhart ist streitlustig und sein Liebstes ist das Bier! Erst kürzlich habe ich ihn mir diesbezüglich zur Brust genommen und ihn ermahnt, worauf er mir auch versprochen hatte, er würde das Trinken sein lassen. Doch gestern erst sah ich ihn aus der Schenke kommen und an seinem Gang erkannte ich gleich, dass es nicht bei einem Krug geblieben war!“ Ragnar zog überrascht die Stirn in Falten. „Das war mir wohl bisher entgangen. Wenn das so ist, dann ist er zweifelsohne nicht für diesen Posten geeignet!“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und meinte schließlich: „Veranlasse bitte, dass ich mit den Männern, die zur Wahl stehen, ein kurzes Gespräch führen kann!“

„Wann willst du mit ihnen sprechen?“, erkundigte sich Herward.

„Sogleich!“, erwiderte Ragnar laut und befehlerisch, worüber sich der Kommandant ein wenig wunderte. Er konnte sich nicht erinnern, wann sein König in so einem Ton mit ihm gesprochen hatte. Überhaupt war ihm aufgefallen, dass Ragnar in letzter Zeit seltsam geworden war. Sein ganzes Verhalten erinnerte ihn an die Zeit, als sie sich kennengelernt hatten. Bei gegebener Zeit würde er Ragnar darauf ansprechen, doch nun erhob er sich, um die Männer zu holen, nach denen sein König verlangte. Rasch fand er die drei und befahl ihnen, sich vor der Tür zum Thronsaal einzufinden.

Urban wurde schließlich als Erster hereingebeten. Ragnar wies ihm einen Platz sich gegenüber zu. Der Soldat war sichtlich nervös, war er doch noch nie in solch einer Umgebung mit seinem König allein. Der blickte ihm ernst entgegen, was die ganze Situation nicht verbesserte.

„Ich habe das Gefühl, in letzter Zeit gehst du mir aus dem Weg!“, beendete Ragnar schließlich die unangenehme Stille.

Überrascht, wohl eher entsetzt dieser Behauptung, erwiderte Urban: „Aber nein, Ragnar! Warum denkst du so?“

„Weil ich Schuld habe an Frerks Tod!“ Frerk war Urbans bester Freund und wurde von den Kriegern ermordet, als ihnen Ragnar in die Falle ging.

„Nein, mein König, da liegst du falsch. Sicherlich, mein Freund fehlt mir, sehr sogar, doch ich gebe weder dir noch einem anderen die Schuld an seinem Tod! Der Feind hat ihn getötet und dafür wurde der auch gestraft!“, verdeutlichte Urban und fragte sich im Geiste, ob Ragnar ihn zu sich gebeten hatte, um ihm eine Schuld abzunehmen oder ihm Trost und Mut zu spenden?

„Ja, der Feind wurde gestraft und doch muss ich mich mit dem Gedanken quälen, das Frerk und viele andere auch nur meines Leichtsinns wegen gefallen sind!“, äußerte Ragnar und senkte den Blick.

Urban musterte seinen König. Er wirkte nicht nur müde und angespannt, sondern schien sich wegen vielem zu quälen. So bedrückt hatte er Ragnar noch nie erlebt. „Ich finde nicht, dass du leichtsinnig gehandelt hast!“, begann Urban. Und als Ragnar ihm darauf wieder entgegensah, meinte er: „Jeder von uns hätte gleich gehandelt und wäre Arnim in die Berge gefolgt!“

„Ja, vielleicht, doch von einem König verlangt man mehr Verantwortung und Weitsicht, er sollte sich nicht leichtfertig in solche Gefahren bringen!“, beteuerte Ragnar.

„Mag sein! Und trotzdem beschuldige ich dich nicht, am Tod meines Freundes Schuld zu tragen. Und das sage ich nicht nur, weil ich dir die Treue geschworen habe!“, konterte Urban.

„Ich danke dir für deine offenen und ehrlichen Worte! So steht also nichts mehr zwischen uns?“, vergewisserte sich Ragnar.

„Nein!“, antwortete Urban.

„Gut! Du bist entlassen und bitte sprich mit niemandem über das, worüber wir gesprochen haben!“

Urban erhob sich. Er neigte sein Haupt zum Gruß und verließ den Saal. „Es war ihm wichtig, das Nichts zwischen uns steht!“, dachte sich Urban auf dem Weg hinaus und seine anfängliche Verunsicherung schlug in Freude um. Sein König schien ihn sehr zu mögen. Was auch durchaus zutraf, denn Ragnar benutzte dieses Gespräch nicht nur für seine spätere Entscheidung!

Vor der Tür zum Thronsaal wartete bereits Dankwart. Die Soldaten grüßten sich und Dankwart betrat die ruhmreiche Halle. „Du wolltest mich sprechen, Ragnar?“

„Ja, komm her und setz dich!“

Dankwart hatte seine Ausbildung beinahe zeitgleich wie Ragnar und Welf begonnen und wurde bald darauf ein Soldat der Festung, unter der Führung von Herward. Er war ein groß gewachsener, gut aussehender Mann. Hatte langes dunkles Haar, einen gepflegten Bart und war trotz oder gerade wegen seiner stillen Art überall ein beliebter Mann. Er trat an die Tafel und setzte sich seinem König gegenüber.

„Wie geht es dir, Dankwart? Hast du dich vom Kampf gut erholt?“

„Danke, Ragnar, mir geht es gut! Ich bin beinahe wieder der Alte!“

„Das freut mich sehr!“ Ragnar lächelte.

„Es wurde mir mehrfach berichtet, wie sehr du dich, trotz deiner eigenen schweren Verletzung, um andere auf dem Schlachtfeld gekümmert hast!“, bemerkte der König.

Dankwart war es bis zu diesem Moment wie Urban ergangen. Er konnte sich nicht erklären, warum sein König ihn alleine um ein Gespräch gebeten hatte. „Ich war sicher nicht der Einzige, der sich um Kameraden gekümmert hatte!“, erwiderte der Soldat überrascht.

„Nein, das warst du nicht. Und doch ist es mir ein Anliegen, dir dafür zu danken!“

Dankwart rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. „Ich danke dir! Mir selbst war gar nicht bewusst, was ich in dem schrecklichen Durcheinander getan habe. Ich lag schon am Boden und glaubte, mich bald auf den Weg ins Reich der Toten aufmachen zu müssen. Eine Weile habe ich noch all den Schlachtenlärm vernommen, dann war es mit einem Mal seltsam still.“ Dankwart unterbrach sich. Wollte Ragnar seine Geschichte überhaupt hören?

„Sprich ruhig weiter, Dankwart!“, ermutigte ihn sein König.

„Verwundert setzte ich mich auf. Rauch zog über das Feld. Hier und da sah ich einen Mann stehen. Es war gespenstisch und ich fürchtete mich mit einem Mal.“ Der Soldat hielt erneut inne und schien sich sammeln zu müssen. „Dann hörte ich sie, die Hilferufe und Schmerzenslaute. Ich rappelte mich auf und sah mich um. Solch entsetzliche Bilder hatte ich im Leben noch nicht gesehen und nach einem Augenblick der Hilflosigkeit eilte ich los, um zu helfen, wo ich helfen konnte!“

Die beiden Männer blickten sich in die Augen. Ragnar konnte den Soldaten nur zu gut verstehen. Erinnert er sich doch heute noch an den einstigen Überfall auf sein Dorf, bei dem auch seine Eltern zu Tode gekommen waren, als wäre es gestern gewesen. Jedes einzelne grausame Bild hatte sich in seinem Kopf festgesetzt und würde dort wohl auch für immer bleiben.

„Ja, wenn man als kleiner Junge träumt, ein Soldat zu sein, dann hat man nicht die geringste Vorstellung, was das in Wirklichkeit heißt!“, betonte Ragnar.

„Ganz genau so ist es! Und manchmal erwische ich mich, wie ich mir sage, ich hätte auf meine Mutter hören sollen!“, pflichtete Dankwart seinem König bei.

Der nickte zustimmend und meinte: „Nun fehlt uns jedem ein Krug Bier. So könnten wir unser gemeinsames Gespräch vertiefen.“

„Vielleicht ein andermal!“

„Ja ganz sicher!“, erwiderte Ragnar und meinte hinterher: „Ansgar steht sicher schon vor der Tür! Ich will ihn nicht warten lassen!“ Dankwart erhob sich, neigte sein Haupt zum Gruß und verließ den Saal.

Schließlich trat Ansgar ein. Ein Mann, den Ragnar nicht so gut kannte. Als Ansgar gemeinsam mit Neidhart und Holger in die Festung kam, um sich dort in den Dienst zu stellen, verweilte der König gerade an einem anderen Ort. Und auch später gab es kaum Augenblicke, in denen er mit dem Soldaten ins Gespräch gekommen war. Sicher lag es daran, dass Ansgar ein Eigenbrötler war und sich auch nicht viel an der Gemeinschaft beteiligte.

„Ansgar, setz dich!“

Der Soldat wählte denselben Platz wie seine Vorgänger und blickte seinem König erwartungsvoll entgegen.

„Bisher haben wir noch nicht oft miteinander gesprochen!“, behauptete Ragnar.

„Nein, mein König! Was ich sehr bedauere!“, erwiderte Ansgar übertrieben freundlich.

„Hast du die Schlacht gut überstanden?“

„Beinahe ohne einen Kratzer!“, verkündete Ansgar stolz, worauf sein König erfreut nickte.

„Der Heerführer Rouven bat um Entlassung und so bin ich nun gezwungen, für ihn einen Nachfolger zu finden. Könntest du mir einen geeigneten Mann nennen?“

„Du hast ihn gefunden! Er sitzt dir gegenüber!“, kam rasch und selbstbewusst Ansgars Antwort.

Schon ein wenig überrascht blickte ihm der König entgegen. „Du! Warum? Was zeichnet dich aus?“

Gelassen lehnte sich der Soldat im Stuhl zurück. „Ich bin ein Mann! Und nicht wie viele hier ein verkleidetes Weib! Ich kann mit jeder Waffe gleichermaßen geschickt umgehen und wüsste meine Männer mit angemessener Härte zu führen!“, erklärte er voller Überzeugung.

Ragnar musterte Ansgar. „Du sprichst sehr abfällig über Männer, die erst kürzlich eine schwere Schlacht für sich entschieden haben! Es sind deine Kameraden! Seite an Seite habt ihr für eine gemeinsame Sache gekämpft!“, äußerte er sich verärgert über die Worte des Soldaten.

Zwar hatte Ansgar den Groll seines Königs bemerkt, doch ließ er sich davon nicht beeindrucken. „Wir wissen doch inzwischen alle, dass wir die Schlacht ohne dich nicht gewonnen hätten! Wir wären gnadenlos untergegangen!“, behauptete Ansgar.

„Auch wenn es so sein sollte, bin ich stolz auf jeden Mann! Auf jeden Einzelnen von ihnen und ich will nicht, dass schlecht über sie gesprochen wird! Ich werde über deinen Vorschlag bezüglich des Heerführerpostens nachdenken! Du kannst nun gehen und ich will dich bitten, Stillschweigen über unser Gespräch zu halten!“, entließ Ragnar den Soldaten.

Ansgar erhob sich, verneigte sich, vielleicht nicht ganz so ehrfürchtig wie die beiden anderen vorher, und ließ den König allein.

Der blieb noch eine ganze Weile sitzen. Ansgars Bemerkungen hatten in ihm großen Zorn entflammt. Solche Äußerungen missfielen ihm ganz besonders. „Keiner meiner Männer ist ein verkleidetes Weib! Jeder von ihnen ist loyal und tapfer!“, brummte er laut vor sich hin.

Noch am gleichen Tag zur Abendstunde lud er die drei Männer erneut in den Thronsaal. Diesmal durften alle zugleich den Saal betreten und mit ihnen waren auch Herward und die Königin anwesend.

Ragnar trat vor die drei. „Ich traf euch heute nicht nur, um wichtige Gespräche zu führen, sondern auch, um mir im Fällen einer Entscheidung zu helfen! Heerführer Rouven hat uns verlassen und es ist längst an der Zeit, einen Nachfolger für ihn zu benennen. Ich habe mich mit unserem Kommandanten Herward beraten und mich für einen von euch dreien entschieden!“, erklärte er und blickte dabei von einem zum anderen. Bei seinen letzten Worten war ein siegessicheres Lächeln über Ansgars Gesicht gehuscht.

„Dankwart, du sollst den Platz von Rouven einnehmen!“, verkündete der König schließlich und während der Genannte nun erstaunt schaute und Urban sich sichtlich darüber freute, entglitten Ansgar die Gesichtszüge. Man konnte sagen, würden Blicke töten, so hätten Dankwart und Ragnar einen Moment später sterbend zusammenbrechen müssen.

„Was sagst du, Dankwart? Bist du gewillt, diesen Posten anzunehmen?“, forderte der König eine Antwort.

„Natürlich, ... ich ... ich fühle mich geehrt! Und ich verspreche, mich stets zu bemühen dieser Aufgabe gerecht zu werden!“

„Gut, so sollst du morgen zur gleichen Stunde deinen Eid sprechen und in den Stand der Heerführer aufgenommen werden!“, entgegnete Ragnar ihm freundlich, aber bestimmt.

Seit Ragnar die Krone trug, wurden solche Riten stets feierlich begangen. Es war ihm wichtig, dass die Männer ihre Ämter und die damit verbundene Verantwortung auch ernst nahmen.

Und so befahl der König Dankwart am folgenden Abend: „Vor den Augen vieler sprich nun deinen Eid!“

Entschlossen blickte der Soldat dem Königspaar entgegen. „Ich schwöre den Menschen des Landes, dem König und der Königin, Sie alle, stets treu zu beschützen und auch den Kampf für Frieden und Freiheit nie aufzugeben!“

Hinterher reichte Nelda ihm im Auftrag des Königs den Kelch mit Wein gefüllt und nach einem kräftigen Schluck daraus war er in den Stand der Heerführer aufgenommen und nahm von nun an den Platz von Rouven ein.

Erik, der neben Urban dem Ritual beigewohnt hatte, flüsterte diesem zu: „Was bin ich froh und erleichtert, dass die Wahl nicht auf Ansgar gefallen ist! Ich kann ihn nicht leiden!“

Urban sah ihn fragend an. „Sieh ihn dir doch an! Was er für ein Gesicht macht! Er gönnt Dankwart den Posten nicht! Ansgar ist selbstverliebt, er tut nichts für die Gemeinschaft, geht seiner Wege und macht oft sehr merkwürdige Äußerungen. Ich würde ihm nicht alles glauben und ihm ebenso nichts anvertrauen!“, warnte Erik seinen Nebenmann.

Urban nickte und überlegte gleich, über was er mit Ansgar in letzter Zeit so alles gesprochen hatte. Doch er konnte sich an nichts Gewichtiges erinnern.

Zu späterer Stunde, als sich alle daran machten, den Saal zu verlassen, bat Herward Ragnar noch um ein Wort unter vier Augen und so nahmen sie noch einmal gegenüber an einer der Tafeln Platz.

„Bist du mit meiner Entscheidung nicht einverstanden?“, wollte Ragnar neugierig wissen.

„Nein, darum wollte ich nicht mit dir sprechen. Dankwart war ja von vornherein meine erste Wahl. Ragnar, ich sage es geradeheraus ... ich sorge mich um dich!“

Der König zog die Stirn in Falten. „Warum?“

„Du erinnerst mich in vielem an die Tage deiner Ausbildung. Du bist mürrisch und oft ungehalten und das sagt mir, dass irgendetwas mit dir im Argen liegt!“

Ragnar senkte seinen Blick und schien Herward nicht antworten zu wollen.

„Ragnar? Träumst du etwa wieder?“ Der Kommandant klang mit einem Mal besorgt.

„Nein, ich träume nicht!“, versicherte Ragnar und blickte sein Gegenüber wieder an.

„Es erstaunt mich, wie gut du mich doch kennst!“, meinte er hinterher.

„Ich bin dein Freund, Ragnar! Sprich, was ist mit dir?“

„Ich bin am Ende, Herward! Ich will sie endlich wieder gebrauchen können!“, klagte Ragnar und hob dabei seine eingebundenen Hände auf den Tisch.

Herward nickte verstehend. „Ich kann deinen Unmut durchaus verstehen, warst du doch noch nie der Geduldigste unter uns. Aber was deine Hände betrifft, so bleibt dir nur das Warten!“, wollte der Kommandant seinen König ermutigen.

„Es ist aber nicht nur das“, stöhnte Ragnar. „Ich habe das Gefühl, eingesperrt zu sein. Zu viel Gesellschaft strengt mich an, selbst Neldas liebevolle Fürsorge kann ich nicht lange ertragen. Im Grunde ... kann ich mich selbst nicht ertragen!“, offenbarte er seinem Kommandanten.

Herward schaute nachdenklich. „Du kannst nicht gesund werden, wenn du dir nicht die Zeit dafür gibst! Niemand, außer dir selbst, erwartet im Moment Taten von dir!“, betonte er.

„Ja, sicher, du hast recht!“, erwiderte Ragnar und erhob sich schwer. „Es ist spät, Herward! Ich bin müde!“

Gemeinsam verließen sie den Saal und verabschiedeten sich voneinander. Während Ragnar in den Gängen der Burg verschwand, machte sich Herward ratlos, aber auch besorgt auf den Weg zu seinem Zuhause.

Nelda schlief bereits tief und fest, als Ragnar kurz darauf die Gemächer betrat. Leise schlich er zu dem Stuhl neben dem Fenster. Dort saß er in letzter Zeit öfter und blickte dabei nicht nur in die Ferne. Oft blieb sein Blick auch am Himmel bei all den Gestirnen hängen und allerlei Geistesgut ging ihm durch den Kopf. In dieser Nacht beschäftigte ihn aber etwas anderes. Er schaute zu seiner schlafenden Liebsten hin. Ihr Anblick allein hätte so vieles in ihm bewegen müssen, doch in letzter Zeit fühlte er kaum noch etwas. „Ich weiß, dass ich sie liebe, und doch ist es, als dürfte ich sie nicht mehr lieben, als würde etwas in mir das verbieten!“ Was war es? War es diese unerklärbare Macht in ihm? Jene, die immer dann in ihm erwachte, wenn es dringend von Nöten war? Stand ihnen etwa erneut Gefahr bevor? In dieser Nacht blieb er am Fenster sitzen und hing in seinen Gedanken fest.

Seit Ella Arnim das erste Mal begegnet war, schlug ihr Herz für den jungen Mann und nachdem Ragnar ihn begnadigt hatte, verbrachten die beiden viele Stunden gemeinsam. Doch außer Gesprächen und Unternehmungen geschah nichts weiter zwischen ihnen. Bald glaubte Ella, Arnim würde wohl nicht dieselben Gefühle für sie hegen, obwohl er doch ihre Nähe oft und gerne suchte. So viele Male waren sie bereits allein und ungestört gewesen, doch nie hatte er ihr auch nur eine zärtliche Berührung geschenkt, geschweige denn einen Kuss.

Einmal hielten sich Ella und Nelda auf einem Ausblick der Burg auf. Sie sahen auf den Übungsplatz hinunter, auf dem sich gerade etliche Soldaten im Schwertkampf übten.

„Er gefällt dir wohl!“

Ella blickte Nelda verträumt an und fragte: „Wen meinst du?“

„Arnim!“

Sogleich fingen ihre Wangen Feuer und ertappt und verlegen antwortete sie leise: „Ja, sehr sogar!“ Unglücklich wandte sie sich von dem Geschehen ab und meinte: „Doch offensichtlich bemerken das nur andere!“

„Sein Blick verrät mir aber ganz anderes!“

„Und doch zeigt er es mir nicht!“, gab Ella enttäuscht zurück.

„Sicher wartet Arnim nur auf den rechten Augenblick!“, behauptete Nelda ermutigend, worauf Ella empört zurückgab: „Der rechte Augenblick! Den hat es bereits so viele Male schon gegeben! Doch kaum sind wir allein und kommen uns auch irgendwie nahe, wendet er sich gleich eiligst wieder ab!“

Tröstend nahm Nelda ihre vom Liebeskummer arg gebeutelte Freundin in den Arm. „Vielleicht fürchtet er sich!“

„Wovor denn? Vor mir etwa?“, schluchzte Ella.

„Nein, ich denke wohl eher vor Ragnar! Es könnte doch gut sein, dass er trotz der Begnadigung nicht von seiner Schuld Ragnar gegenüber loskommt! Oder er glaubt, dein Bruder könnte eine Verbindung zwischen dir und ihm nicht dulden!“

Ella wischte sich die Tränen fort. „Meinst du denn, Ragnar würde es nicht erlauben?“

„Nein, das glaube ich nicht! Aber wenn du willst, dann spreche ich mit deinem Bruder!“, meinte Nelda, worauf ihre Schwägerin nickte und auch flehend schaute. „Ich werde noch heute mit Ragnar sprechen!“

Am Abend im Königsgemach, Ragnar war an diesem Tage ihrer Gesellschaft einmal nicht entflohen, wollte Nelda gleich ihr Versprechen einlösen. „Ragnar? Deine Schwester hat ihr Herz an Arnim verloren!“

„Ja, das habe ich auch schon bemerkt und ich glaube, dem Jungen ergeht es nicht anders!“, antwortete er.

„Und doch scheint irgendetwas Arnim davon abzuhalten, Ella seine Gefühle zu zeigen. Wir glauben, es könnte an dir liegen, Liebster!“, behauptete seine Frau, worauf er bestürzt zu ihr schaute.

„An mir? ... Aber aus welchem Grund denn?“

„Ella ist deine Schwester und du bist der König!“

„Ja, sicher, aber würde er zu mir kommen und mich um Erlaubnis fragen, so würde ich seiner Bitte ganz sicher nachgeben!“

Nelda trat zu ihm hin und blickte ihn zärtlich an. Zu gerne hätte sie ihn in diesem Augenblick geküsst. Aber in letzter Zeit hatte er sie immer wieder abgewiesen und darum traute sie sich nun nicht mehr. „Ich weiß, Liebster! Aber vielleicht liegt es auch an seinem einstigen Verrat!“

„Ich habe ihn doch von seiner Schuld befreit!“, verteidigte sich Ragnar.

„Arnim ist ein verunsicherter junger Mann und hat im Leben noch nicht viel Gutes erfahren. Vielleicht braucht er einen Anstoß!“, vermutete Nelda.

„Wenn ich dich also recht verstehe, soll ich zu ihm gehen und ihm sagen, dass er meine Schwester küssen darf!“

Nelda lachte und meinte: „Vielleicht nicht so geradeheraus! Und trotzdem so, dass er merkt, dass du ihm nicht im Wege stehst!“

„Ich bin eben ein Mann der Tat!“, bemerkte er, dann musste auch er lachen und mit einem Mal drückte er seine Lippen auf die ihren und küsste Nelda stürmisch. Noch während des Kusses drängte er sie zum Bett hin und dort verfielen sie endlich wieder einmal ihrer Leidenschaft. Ragnar war zärtlich und fordernd zugleich und es hatte nicht den Anschein, dass es ihm nicht gestattet war, Nelda zu lieben.

„Toll gemacht, Arnim! Nun hast du es raus!“, lobte Welf laut und klatschte dem Soldaten Beifall, der sich im Bogenschießen übte.

„Hast du das gesehen, Ragnar? Ich habe beinahe in die Mitte getroffen! Bald werde ich dich herausfordern können!“, jubelte Arnim und Ragnar nickte stolz.

Welf aber meinte lachend: „Arnim, wenn du bei deinem König nicht in Ungnade fallen willst, forderst du ihn lieber nicht zu solch einem Duell heraus!“ Arnim verstand die Aussage nicht, worauf Welf ihm erklärte: „Du musst wissen, Arnim, im Bogenschießen kannst du selbst mit verbundenen Augen gegen Ragnar erfolgreich sein!“ Dann grinste er seinen Freund amüsiert an.

Der war darüber aber gar nicht erheitert und kläffte zornig: „Sollten mir meine Hände einmal wieder dienen, so werde ich üben, bis ich selbst dich dabei schlagen werde!“

Welf erschrak und gab kleinlaut zurück: „Verzeih, Ragnar, ich wollte dich nicht kränken!“

Ragnar erhob sich beleidigt und schenkte seinem Freund keinerlei Beachtung mehr. Dafür wandte er sich an Arnim: „Gehst du ein Stück mit mir?“

„Ja, sicher!“

Während die beiden von dannen zogen, blickte Welf ihnen ratlos hinterher.

„Arnim, auch wenn ich der König bin, bin ich noch mehr dein Freund, und was einmal geschehen ist, ist vergessen!“

„Ja?“ Arnim verstand nicht, worauf Ragnar hinauswollte.

„Und du sollst auch wissen, dass ich keinerlei Bedenken habe, wenn du dich mit meiner Schwester triffst!“

„Ja?“, antwortete der junge Soldat leiser. Nun schien ihm zu dämmern, worum es in dieser Unterhaltung wohl gehen sollte.

„Ella ist deinetwegen unglücklich und mir wäre es ganz recht, wenn du diesbezüglich etwas unternehmen würdest!“

Arnim schluckte und blickte unsicher zu Boden. Er spürte Ragnars bohrenden Blick und auch, dass er auf eine Antwort von ihm wartete. Verlegen schaute er auf und meinte schließlich: „Ich werde mich darum kümmern.“

Ragnar bemerkte die Unsicherheit seines Freundes und legte einen Arm um ihn. „Du brauchst dich vor nichts zu fürchten, Arnim! Manchmal scheint es schwerer, der Frau, die man liebt, seine Gefühle zu gestehen, als in eine Schlacht zu ziehen! Aber hinterher, wenn du in so einer Angelegenheit deinen Mann gestanden hast, fühlst du dich wie der größte Streiter und bist dann auch erst bereit für große Taten!“, riet er ihm wie ein Vater seinem Sohn und lächelte ihm dabei aufmunternd zu.

Arnim begab sich nach dem Gespräch zurück zu den anderen. Er nahm erneut den Bogen in die Hand und wollte sich wieder dem Schießen widmen, doch an diesem Tag gelang ihm das nicht mehr so gut.

Am darauffolgenden Nachmittag traf er Ella zufällig in der Siedlung. Beherzt nahm er sie an der Hand und verschwand mit ihr in einer kleinen Gasse. Fragend blickte sie ihn wegen seines geheimnisvollen Tuns an, während er sich an eine Hauswand lehnte, noch einmal tief Luft holte und schließlich zu stottern begann: „Ella, ich ... ich empfinde sehr viel für dich und es gibt nichts Schöneres für mich, als mit dir beisammen zu sein. Aber ... aber ich habe große Furcht!“

„Wovor?“, fragte Ella.

„Ich habe Angst, dir wehzutun!“

Sie legte eine Hand auf seine Wange und äußerte sachte: „Ich verstehe nicht! Was meinst du damit, mir wehzutun?“

Es war nicht zu übersehen, dass die Worte Arnim schwerfielen. Aber nun gab es kein Zurück mehr. „Ich bin ein Mann, Ella und dieser ...“ Er blickte verlegen an sich hinunter und hoffte dabei, sie würde verstehen, was er meinte. „Dieser Unterschied zwischen dir und mir, das dort unten ... bereitet dem anderen nur Schmerzen!“

Nun verstand Ella! Vor Rührung füllten sich ihre Augen mit Tränen. Er hatte ihr einmal von seinen Qualen während der Zeit unter den Kriegern erzählt. Sie rückte ihm näher und flüsterte voller Mitgefühl: „Oh, Arnim, das, was du erleiden hast müssen, das war Folter und Qual. Was aber zwischen uns vielleicht einmal geschehen wird, das ist Liebe und Leidenschaft und dabei wirst du mir ganz sicher nicht wehtun!“,Sie traute sich ganz nah an ihn heran und blickte ihm verliebt entgegen.

Arnim schniefte, wischte sich seine Augen trocken und erwiderte ihren Blick. Mit einem Mal befiel ihn solch ein Drang, sie zu küssen, dass er sich, wenn auch sachte, mutig ihrem Gesicht näherte. Endlich berührten sich ihre Lippen zart und in Arnim spielte gleich vieles verrückt. Zaghaft legte Ella ihre Arme um ihn und er tat schüchtern seine Hände an ihre Seiten. Je länger und inniger sie sich küssten, umso fester zog er sie an sich heran.

Von diesem Tag an fühlte Arnim sich nicht nur frei, sondern auch geliebt. Endlich waren all seine Wünsche in Erfüllung gegangen. Und wenn man alles genauer betrachtete, hatte seine einstige verräterische Tat auch etwas Gutes – zumindest für ihn.

*

Ohne Ausweg

Es war Sommer geworden und die finsteren Zeiten wichen den guten Tagen. Ragnars Hände waren beinahe geheilt, doch mit der Genesung trat nicht das Erhoffte ein. Sein Gemüt blieb mürrisch und er entzog sich immer mehr dem Leben in der Festung. Früh am Morgen entfloh er allem auf dem Rücken seines Pferdes Alarith und kam erst spät am Abend wieder zurück. Irgendwo an einem für jedermann geheimen Ort verbrachte er viele Stunden und haderte dort mit sich und seiner Lage. Er war nur noch ein Schatten seines Selbst, müde und kraftlos und wollte nicht einmal mehr seine Familie um sich haben.

Nelda war inzwischen überzeugt, Ragnar würde sie nicht mehr lieben. Was sie auch versucht hatte, er wies sie von sich ab und ging jedem Gespräch aus dem Weg. Wie sehr sie darunter litt, schien er in seinem Groll nicht zu bemerken.

Eines Nachts schlich er wie so oft zu später Stunde in seine Gemächer und ließ sich schließlich neben der schlafenden Nelda nieder. Er legte sich auf den Rücken und starrte eine Weile in die Dunkelheit. Irgendwann hob er die rechte Hand vor sein Gesicht, drehte sie nachdenklich und krümmte dabei immer wieder die Finger.

In seinem seltsamen Wirken erwachte Nelda und beobachtete ihn eine Weile. Sachte umfasste sie schließlich seine Hand und flüsterte unglücklich: „Ich wünschte, deine Finger würde mich berühren, anstatt im Nichts zu tanzen!“ Erschrocken ließ er seine Hand sinken. Nelda gab sie jedoch nicht frei und klagte: „Was ist nur mit dir, Liebster?“

Er schwieg eine Weile, antwortete dann aber: „Ich kann es nicht erklären! Ich weiß nur eines, Nelda, ... ich will fort von hier!“

Erschrocken stieß sie hervor: „Wohin willst du gehen?“

„Fort!“, antwortete er knapp.

Nelda setzte sich auf und fragte erregt: „Liegt es an mir Ragnar? Liebst du mich nicht mehr?“

Auch er setzte sich auf und entgegnete ebenso erregt: „Wie oft soll ich dir darauf noch Antwort geben?“

„So lange, bis ich es verstehe!“, forderte sie.

Hastig schlüpfte er aus dem Bett und trat zum Fenster hin.

„Nein, Ragnar, lauf nicht wieder davon!“, schimpfte Nelda und eilte zu ihm. „Sprich endlich mit mir!“, forderte sie und kämpfte mit den Tränen.

Er wandte sich ihr zu. „Es liegt nicht an dir, Nelda, sondern einzig an mir! Ich liebe dich noch wie am ersten Tag, mehr sogar ...“

Sie fasste unsanft an seinen Oberarm und unterbrach ihn flehend: „Dann zeig es mir!“

„Ich kann nicht!“, entschuldigte er sich.

„Warum? Vor gar nicht langer Zeit fiel dir das doch auch nicht schwer?“

Ragnar blickte zum Fenster hinaus. „Doch heute umso mehr! Wie soll ich es dir erklären, es ist so, als wäre es mir nicht gestattet, zu lieben! In mir herrscht eine Leere, als wäre irgendwo ein Teil von mir geblieben und nicht mehr nach Hause gekehrt!“

Nelda ließ von ihm ab und richtete ihren Blick auch in die Ferne. Leise, jedoch zornig behauptete sie: „Immer wieder muss ich dich entbehren. Auf dich warten und dabei mit der Furcht leben, es könnte vielleicht kein Wiedersehen mehr geben. Ich weiß nicht, wie lange es mir noch möglich sein wird, auf dich zu warten!“

Ihre harten und deutlichen Worte trafen ihn mitten ins Herz. Entsetzt flehte er: „Bitte sprich nicht so! Lass mich gehen und mich wiederfinden, damit ich wieder der sein kann, den du dir so sehr wünschst!“

Unglücklich erwiderte Nelda: „Was bleibt mir übrig, als dich ziehen zu lassen! Wenn du gehen willst, dann geh!“ Und nachdem sie das kundgetan hatte, wandte sie sich enttäuscht vom Fenster ab.

Ragnar fasste sie am Arm und zog sie an sich. Fordernd drückte er seine Lippen auf die ihren. Anfangs war sie noch bestrebt, sich seiner rauen Art zu entziehen. Aber ihre Sehnsucht nach ihm war stärker und so gab sie sich seinem plötzlichen Verlangen ganz und gar hin.

Er hob sie hoch und Nelda schlang gleich begehrend ihre Beine um ihn. Ragnar trug sie zur Schlafstatt und dort ließen sie sich eng umschlungen nieder. Hinterher liebten sie sich hart und stürmisch und während in Nelda neue Hoffnung entflammte, begann das Düstere und Dunkle in Ragnar ein mächtiges Feuer zu schüren.

Zwei Tage später zog es Rouven in die Siedlung. Er wollte sehen, wie es ihnen allen so erging. Man hatte auch den Eindruck, er vermisse ein wenig das Leben mit den Kameraden in der Festung. Viele suchten gleich ein Gespräch mit ihm, sodass es ihm erst gegen Abend endlich gelang, mit seinen Freunden beisammen zu sitzen.

„Ihr ward fleißig! Man sieht kaum mehr einen Schaden!“, lobte Rouven beeindruckt.

„Ja, jeder Einzelne hat hart gearbeitet!“, erwiderte Ragnar stolz, der sich sichtlich am Besuch von Rouven erfreute. Endlich konnte man an ihm wieder mal ein Lachen sehen.

„Lass deine Hände sehen!“, forderte Rouven seinen Freund auf, der hielt sie ihm gleich bereitwillig entgegen. „Sie sehen beinahe aus, als wäre ihnen nie ein Schaden zugefügt worden! Es ist ein Wunder! Ein Wunder, dass du in der Schlacht kämpfen konntest, aber noch mehr, dass sie überhaupt genesen sind! Ich hatte es nicht zu hoffen gewagt!“, gestand Rouven leise.

„Ich habe noch weniger daran geglaubt!“, gab Ragnar zurück.

„Und du trägst neuerdings Bart!“, stellte Rouven überrascht fest, was ihm sein Freund mit einem kurzen: „Ja!“, bestätigte. Auch wenn er noch nichts von Ragnars erneuten Veränderung wusste, so schien es ihm gleich, der Bart müsse etwas bedeuten.

Am gedeckten Tisch saß nicht nur das Königspaar. Auch Welf und Herward, Erik und Albin waren eingeladen. Sie schwatzten viel, lachten, erinnerten sich aber auch gemeinsam an die traurigen Tage.

Es war schon einige Zeit vergangen, als der König mit einem Mal laut in die fröhliche Runde rief: „Freunde, hört mir zu!“ Unvermittelt beendeten alle ihre Gespräche und blickten interessiert zu ihm hin. „Ich habe euch etwas mitzuteilen!“ Er hielt kurz inne, seufzte und begann, weiterzusprechen. „Ich werde eine Zeit lang fortgehen!“

Einen Moment herrschte erstaunte Stille. Alle blickten auf Ragnar, aber auch zu Nelda. Die Königin saß nun mit gesenktem Haupt am Tisch und wenn sie auch angestrengt versuchte, ihren Unmut darüber zu verbergen, gelang es ihr nicht und alle erkannten, wie sehr sie doch der Kunde wegen litt.

Welf war er es schließlich, der den anderen geradewegs die Worte aus dem Mund stahl: „Wohin willst du gehen?“

„Auf alten Pfaden wandern!“, erklärte Ragnar, worauf Herward nur trocken feststellte: „Und dabei sicher allein!“

„Ja!“, entgegnete sein König entschlossen.

„Was soll das alles?“, wollte Rouven wissen. „Du wirst hier gebraucht, Ragnar!“

Sein Freund und König blickte ihm entgegen und antwortete: „So wie ich im Augenblick bin, kann ich keinem von Nutzen sein! Ich muss mich wiederfinden!“

„Warum? Was ist mit dir?“, drängte Rouven weiter auf Antworten.

Ragnar schlug die Fragerei schon wieder auf sein Gemüt. Es reizte ihn und verärgert antwortete er: „Verzeih, Rouven, aber ich bin es leid, etwas zu erklären, was ich mir selbst nicht erklären kann!“

Rouven entgegnete: „Und ich hatte nicht vor, dich zu verärgern, Ragnar! Doch als dein Freund beunruhigt mich dein Vorhaben, wie sicher alle hier, und ich kann es auch nicht verstehen, war ich doch viele Tage nicht unter euch!“

Rouven sah seinen Freund eindringlich an. Der erwiderte den Blick und äußerte darauf: „Ihr wollt Antworten, gut, ich gebe sie euch! Alles hier ist mir eine Last! Ich fühle mich wie in einem Käfig und sehne mich nur nach Stille!“

„Dann komm mit mir! Am See findest du Ruhe und Erholung, so wie die vorhergehenden Könige bereits auch!“, schlug Rouven ihm begeistert vor.

Ragnar schüttelte sein Haupt und meinte: „Nein, dort sind mir auch zu viele Menschen! Ich will dorthin, wo ich aufgewachsen bin und glücklich war!“ So wie er sprach und wie er sie ansah, war allen klar, seine Absichten waren ihm ernst.

Während seiner letzten Worte hatte sich Nelda hastig erhoben und dann den Saal rasch verlassen. Alle außer ihr Gemahl blickten ihr ratlos hinterher. Nachdem die Königin die Tür hinter sich laut geschlossen hatte, richtete sich Welf an seinen Freund. „Du machst sie unglücklich Ragnar!“

Der antwortete sogleich: „Ich weiß! Und darum muss ich gehen und finden, wonach ich suche! Nelda soll nicht länger leiden müssen, ich will ihr wieder der Mann sein, nachdem sie sich sehnt!“

Still war es dann für lange Zeit. Was sollte man auch sagen, wenn man nicht verstehen konnte, was in dem Freund vor sich ging?

„Ragnar!“, begann Herward, schließlich zu sprechen. „Ich habe dich vor längerer Zeit bereits auf deine Veränderung hin angesprochen und auch meine Sorge darüber bekundet. Natürlich liegt jedem dein Wohl am Herzen. Wenn du dir von dieser Reise viel erhoffst, dann sollst du auch gehen dürfen! Nur kann ich es nicht verantworten, dich allein ziehen zu lassen!“

Sein König fragte enttäuscht: „Warum? Was soll mir denn geschehen? Der Feind ist besiegt!“

„Ragnar, du bist der Herrscher des Landes und nicht irgendein Wandersmann! Was sollen die Menschen denken, wenn sie dich allein im Land umherziehen sehen?“, bekräftigte Herward.

„Ich habe nicht vor, mich unter das Volk zu mischen!“, beteuerte Ragnar.

„Lass mich wenigstens mit dir gehen, Ragnar! Wir beide, auf Streifzügen wie früher, als wir kleine Jungen waren!“, ersuchte ihn sein bester Freund eindringlich, worauf ein kleines Lächeln in Ragnars Gesicht zu erkennen war.

„Ich werde dir ein paar gute Männer als Gefolge mitschicken! Du wirst sie nicht bemerken, ich werde allen Anweisung geben, dich in Ruhe zu lassen und dir nicht zu nahe zu kommen! Du hast mein Wort, Ragnar! Aber nur so kann ich ruhige Nächte verbringen!“, betonte Herward.

Ragnar schaute in die Runde und gab sich schließlich geschlagen. „Also gut, ich füge mich euren Bitten, ehe ich hier noch länger gefangen bin!“ Nach erneutem Blick auf die Anwesenden, die alle erleichtert nickten, meinte er noch: „Ich will mich aber alsbald auf den Weg machen!“

„Wir sind bereit, wenn du es bist!“, gelobte Welf. „Arnim soll uns auch begleiten!“, forderte er weiter, erhob sich und verließ wortlos den Saal.

Während die anderen sich angeregt über Ragnar und dessen Vorhaben unterhielten, grübelte Welf: „Seltsam? Erst will er alleine gehen und dann befiehlt er aber, Arnim müsse ihn auch begleiten!“

Rouven blieb auch noch am nächsten Tag. Die meiste Zeit davon verbrachte er gemeinsam mit seinen Freunden auf dem Übungsplatz, dabei gab er dem ein oder anderen Soldaten einen gut gemeinten Rat. Später am Tag begab er sich in die Siedlung, um dort Trockenfisch einzutauschen. Er erwarb beim Schmied neues Werkzeug und bei einer Frau erhielt er für Hanna eine Kette aus hölzernen Perlen.

Ursprünglich hatte er vorgehabt, gegen Abend wieder nach Hause zu ziehen. Welf überredete ihn aber, diese Nacht noch zu bleiben.

„Du hast recht, mein Freund! Warum sollte ich in der Nacht reiten! Ich bleibe noch und mache mich morgen, gleich in der Früh, auf den Weg.“

„Das freut mich. Dann komm, lass uns in die Schenke gehen und uns mal wieder fühlen, als wären wir einfache Soldaten, die sich bei einem Krug Bier über den vergangenen, anstrengenden Tag unterhalten!“, schlug Welf ihm vor.

Auf dem Weg zur Schenke schlossen sich ihnen Erik und Albin an. Inmitten von Soldaten und Männer der Siedlung saßen die Freunde schließlich an einem Tisch und ließen sich wie zu alten Zeiten das Bier schmecken. Gerne hätten sie auch Ragnar in ihrer Gesellschaft gehabt, doch ihren König hatten sie den ganzen Tag über noch nicht gesehen und sicher hätte er ihnen ihre Einladung auch ausgeschlagen.

Ausgelassen ging es in dem Haus her. Die Männer sangen fröhlich Lieder, manche tanzten und andere unterhielten sich laut und angeregt. Doch es gab drei, die hielten sich von den Feiernden fern und schienen nur wortlos alles um sich herum zu beobachten. Die Männer saßen in einem dunklen Eck und hätten sie dabei nicht hin und wieder an ihrem Krug genippt, so hätte man meinen können, sie wären gar nicht wirklich anwesend. Auch schickten sie andere, die an ihrem Tisch Platz nehmen wollten oder ein Gespräch mit ihnen suchten, gleich wieder mürrisch und unvermittelt fort. Sie selbst sprachen nicht miteinander und doch schienen sie alle die gleichen Gedanken zu haben.

Der eine war Ansgar, die anderen beiden hießen Neidhart und Holger. Spät am Abend verließen sie dann als eine der Letzten die Schenke und blieben ein Stück weiter, unbemerkt von anderen, stehen. Sie flüsterten angeregt miteinander und an ihren Gebärden konnte man erkennen, dass sie sich über irgendetwas sichtlich ärgerten. Hinterher trennten sie sich und gingen ihrer Wege, am nächsten Tag mischten sie sich wieder unter ihre Kameraden und taten so, als hätten sie am Feiern in der Schenke teilgenommen wie jeder andere auch.

„Ragnar, ich wünsche dir, dass du deine Antworten findest und wohlbehalten zurückkehrst!“, verabschiedete sich Rouven am nächsten Morgen von seinem Freund.

„Ich danke dir! Richte Hanna und meiner Schwester liebe Grüße von uns aus und berichte uns, wenn euer Kind geboren ist!“, meinte Ragnar. Hinterher umarmte er seinen einstigen Gefährten und der erwiderte seine Geste, und so hielten sie sich ein wenig länger als gewöhnlich. Dann zog Rouven sich in den Sattel und winkte noch eine Weile, zumindest so lange, bis er auf der Gasse, die durch die Siedlung nach unten zum Tor führte, nicht mehr zu sehen war.

Am Abend vor seinem Fortgehen saß Ragnar in Gedanken versunken auf der königlichen Schlafstatt. Dort verweilte er, ohne auch nur einen Blick von seinen Händen zu nehmen. Nelda hatte die Kinder zu Bett gebracht und ließ sich neben ihm nieder. Da er nichts sagte und sich auch nicht rührte, legte sie ihm ihre Hand auf die seine und flüsterte unglücklich: „Mein Gefühl, dein Herz würde nicht mehr für mich schlagen, will mich einfach nicht mehr loslassen!“

Ragnar nahm ihre Hand, küsste ihre Fingerspitzen. „Doch, Nelda, mein Herz schlägt noch immer für dich, nur ist es im Moment eingesperrt und kann nicht heraus!“

Laut und herzzerreißend schluchzte Nelda darauf.

„Ich erinnere mich eben an die Tage, an denen ich meine Eltern für immer verloren habe. Ich fühle wie damals, als ich an der Hochzeitstafel von Welf und Svea saß und mich an ihrem Glück nicht erfreuen konnte. Ich bin voller Zorn und weiß nicht, warum! Es gelingt mir nicht, mich an etwas zu erfreuen! Ich habe immerzu das Bedürfnis, allein zu sein!“, klagte er aus dem Nichts heraus und wandte sich dabei seiner Liebsten zu.

Nelda hatte bitterlich zu weinen begonnen, worauf er sie wortlos auf die Schlafstatt drückte. Er wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht und küsste sie zärtlich auf ihren Mund. Mit einem Mal wurde aber sein Küssen rauer und verlangender und auch sein Körper zeigte ihr nun, nach was ihm verlangte. Anfangs ließ sie seine Berührungen zu, doch als seine Hand erregt unter ihr Nachtgewand fuhr, stieß sie ihn bestimmend fort und kroch sogleich an das andere Ende der Schlafstatt. Ragnar ließ sich indes geschlagen auf dem Rücken nieder und starrte an die Decke.

„Wer bist du? Wo ist der Mann hin, den ich so sehr liebe?“, fragte sie zitternd.

„Ich weiß es nicht!“, gab er gereizt zurück.

Von da an herrschte in der Kammer nur noch Stille. Irgendwann legte Ragnar sich schließlich auf seine Seite des Bettes und schloss die Augen. Nelda hingegen saß weiterhin mit angezogenen Beinen am Rande der Schlafstatt und weinte leise.

Lange Zeit später, als sie das Gefühl hatte, Ragnar würde schlafen, legte auch sie sich nieder. „Ich hoffe so sehr, du kehrst als Ragnar zu mir zurück!“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mir das selbst wünsche!“, erhielt sie im Dunkeln darauf Antwort.

Zu früher Stunde schlich sich Ragnar aus den Gemächern, geradewegs zu den Ställen. Dort sattelte er Alarith, während die ersten seiner Begleiter erschienen. Schweigend führte er schließlich seinen Hengst hinaus und begab sich auf den Platz vor der Burg. Dort stand Nelda, und als er bei ihr angekommen war, vermutete sie traurig: „Du wolltest dich nicht einmal mehr von mir verabschieden!“

„Ich dachte, es sei so am besten!“

Eine Weile blickten sie einander an, als wären sie Fremde. Dann nahm Ragnar Nelda in den Arm und hielt sie lange fest an sich gedrückt. „Gib den Kindern einen Kuss von mir!“, flüsterte er ihr ins Ohr. Hinterher hauchte er ihr noch einen Kuss auf die Stirn und gab sie schließlich wieder frei. Mit glasigen Augen trat sie einen Schritt zurück, während er sich in den Sattel zog.

Inzwischen waren all seine Begleiter erschienen und bereit für die Reise, so gab er ihnen auch ein Zeichen zum Aufbruch.

Nach ein paar wenigen Schritten zu Pferd wandte er sich noch einmal um. Nelda weinte, doch ihr unglücklicher Anblick bewegte ihn nicht, zu bleiben. Entschlossen zog er erneut an den Zügeln und zeigte Alarith, dass es weiterging. Gehorsam wandte sich der Hengst wieder gen Tor und gemeinsam verschwanden sie schließlich in den Gassen der Siedlung.

*

Rattenloch

Der Letzte von zwanzig Mann aus Eriks Truppen – neben Welf, Albin und ebenso Arnim – durchschritt das Siedlungstor und alle folgten ihrem König ins Landesinnere. Welf hatte sich gleich zu Beginn gewundert, weshalb sie diesen Weg nahmen. Lange konnte er seine Neugier deswegen nicht im Zaum halten. Rasch holte er seinen Freund an der Spitze ein, der allen voranritt und beinahe so tat, als hätte er gar kein Gefolge. „Du sagtest, du würdest auf alten Pfaden wandern wollen!“

Ragnar blickte zu ihm und schien mit dieser Aussage nichts anfangen zu können. „Ja!“

„Warum dann diesen Weg und nicht den zum Fluss? So gelangen wir doch viel früher an den Ort, wo sich einst unser Dorf befand!“

„Du hast recht, aber ich will auch nach Magnus und seinen Männern sehen! Hinterher ziehen wir weiter und nehmen für die Rückkehr den Weg am Fluss!“, verkündete der König, worauf der Heerführer den Schritt seines Pferdes wieder zügelte und sich über das eben Erfahrene erneut seine Gedanken machte. Er kannte Ragnar einfach schon viel zu lange und dessen erneute Veränderung und der Wunsch, allein durchs Land zu ziehen, all das bereitete ihm ein gewisses Maß an Unwohlsein.

Am Morgen des dritten Tages erwachte Welf als einer der Ersten. Sie hatten am frühen Abend die letzten Erhebungen der Hügellandschaft erreicht und dort ihr Nachtlager errichtet. Er setzte sich auf und bemerkte gleich, dass Ragnar verschwunden war.

Der Platz, an dem sein Freund gelegen hatte, war verlassen. Erschrocken sprang er auf und sah sich suchend nach ihm um. Im Lager befand er sich nicht, darum spurtete Welf den Hügel hinauf in der Hoffnung, er könnte ihn in der Ferne noch erkennen. Aber seine Sorge war unbegründet. Sein König saß nicht unweit von ihm auf der Erde und blickte gen Berge. Erleichtert schritt Welf zu ihm hin und ließ sich neben ihm nieder. „Ragnar?“, äußerte er besorgt.

Ohne den Blick vom in der Ferne liegenden Gebirge zu nehmen, offenbarte Ragnar: „Ich hatte einen Traum!“

Diese vier Worte trafen Welf gewaltig wie ein Schlag in die Magengrube. Gleichwohl hatte er mit solch einer Bekanntgabe auch längst gerechnet. „Was hast du geträumt?“, wagte er, zu fragen, obwohl er sich nicht sicher war, ob er es wirklich hören wollte.

„Ich war gefangen ... in einem dunklen Loch!“, antwortete Ragnar, während er weiterhin in der Ferne hängen blieb.

„Du hast von deiner Gefangenschaft geträumt! Aber das ist vergangen, Ragnar, und wird auch nicht mehr wiederkehren!“, behauptete Welf und entspannte sich augenblicklich wieder.

Endlich sah Ragnar ihn an und entgegnete ihm: „Ja, sicher, doch sagen mir meine Bilder, dass ich noch einmal dorthin zurückmuss!“

Welf schloss für einen Moment verzweifelt die Lider und stieß einen Seufzer des Missmuts aus. „Du willst allen Ernstes in die Festung der Krieger ziehen?“

„Ja, das will ich!“, antwortete Ragnar und erhob er sich vom Boden.

Welf tat es ihm gleich und hakte bestürzt nach: „Warum Ragnar?“

„Weil ich glaube, dass ein Teil von mir dort zurückgeblieben ist!“, begründete Ragnar seine Absicht.

„Das ist doch Unsinn!“, bemerkte Welf etwas lauter, worauf sein Freund ihm überaus erzürnt erwiderte: „Du bist nicht ich! Du fühlst nicht wie ich und du bist auch nicht dort gewesen! Also behaupte nicht, ich würde Unsinn von mir geben!“

Streitsüchtig standen sie sich gegenüber. „Mich befällt das Gefühl, du hast das alles bereits von Beginn an geplant! Darum auch sollte uns Arnim begleiten! Habe ich recht, Ragnar?“

Ragnar erwiderte den bohrenden Blick seines Freundes und fragte aufgebracht: „Spielt es denn eine Rolle, ob ich es von Beginn an geplant habe?“

„Ja, das tut es! Du wolltest allein gehen! Was, wenn sich dort in der Festung noch der Feind aufhält?“

„Dort wird keiner mehr sein!“, meinte Ragnar überheblich.

„Das kannst du nicht wissen!“, entgegnete ihm Welf äußerst erregt.

„Es muss mich keiner von euch dorthin begleiten!“, polterte Ragnar zurück, machte kehrt und schritt zum Lager.

Ratlos blickte ihm sein bester Freund hinterher. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie sich jemals so gegenübergestanden hatten. Viel hätte nicht mehr gefehlt und sie wären mit den Fäusten aufeinander losgegangen.

Also machten sie sich kurz darauf zum Gebirge auf. Während ihr König wieder allen voranritt, musste Welf seinen Kameraden bezüglich der neuen Reiseabsichten Rede und Antwort stehen. Aber so recht wusste er gar nichts darauf zu sagen.

Als sie am nächsten Tag den Eingang zum Berg erreicht hatten, war es bereits zu spät, um ihn noch zu passieren, und so errichteten sie sich davor ein Lager für die Nacht. Während ihres Aufenthalts zeigte Welf Ragnar den kleinen Hügel. Jenen, in dem sein Schwert gesteckt hatte und der noch immer so erhalten war, wie vor einiger Zeit, als sie sich auf der Suche nach ihm befunden hatten. „Er gleicht wahrhaftig einem kleinen Grabhügel!“, stellte Ragnar aufgewühlt fest und konnte seinen Zorn darüber nicht mehr im Zaum halten. Ungestüm stieß er mit einem Fuß dagegen, sodass ein Loch zurückblieb und von oben Erdreich und kleine Steine hinunterrieselten.

„Lass es sein, Ragnar! Es wird uns an Tage erinnern, die wir so nicht mehr erleben wollen!“, hielt Welf seinen Freund vor einer weiteren Zerstörung zurück. Ragnar nickte und ließ sich schließlich auch bereitwillig von der Stätte fortziehen.

Am nächsten Morgen entzündeten sie Fackeln, die wie früher schon im Eingang verstreut lagen, und machten sich auf den langen Weg durch die Dunkelheit. Diesmal umwickelten sie die Hufe der Pferde nicht mit Tüchern. Sie waren guter Dinge und glaubten nicht, dass sich auf der anderen Seite der Berge noch irgendjemand befinden würde.

Welf kam der Weg diesmal viel, viel länger vor als die letzten Male und auch Urban rutschte bereits ungeduldig in seinem Sattel. Für den jungen Soldaten war es die erste große Reise im Dienste des Königs. Als sein Heerführer Erik ihn in das Gefolge berief, freute er sich sehr darüber. Im Moment gefiel es ihm aber nicht sonderlich. Die Dunkelheit, die Kälte und auch das Wasser, das einem stetig auf den Körper tropfte und die Kleidung durchnässte, bereitete ihm großes Unbehagen.

So war er froh, als er Arnim rufen hörte: „Wir haben es bald geschafft! Ein paar wenige Schritte noch und wir sind am Ende angelangt!“ Urban entspannte sich und freute sich, endlich aus dem Berg herauszukommen.

Die Nachmittagssonne verschwand gerade hinter dicken Wolken, als Ragnar an der Spitze und hoch zu Ross aus dem Berg treten wollte. „Ragnar, warte! Wir sollten die Dämmerung abwarten!“, meinte Arnim warnend, worauf sein König sich im Sattel zu ihm wandte und fragte: „Warum?“

„Zu jeder Nacht hin entzünden sie Wachfeuer für Schiffe, die sich nähern könnten! Brennt heute keines, so können wir sichern gehen, dass dort niemand mehr verweilt!“, erklärte der einstige Knecht der Krieger.

„Gut, dann lasst uns hier warten!“, äußerte Ragnar, glitt aus dem Sattel und rieb sich seine schmerzenden Oberschenkel. Sein Gefolge tat es ihm gleich, wenn auch gerade die Letzten des Zuges nicht sonderlich begeistert waren, noch länger in diesem dunklen, kalten und vor allem nassen Schacht zu verweilen.

Quälende Stunden vergingen, in denen die Männer auf dem feuchten Stein saßen, ihre aufgeregten Pferde beruhigen mussten oder sich mit Essen die Zeit vertrieben. Endlich wollte sich das Tageslicht verabschieden und die vorderen blickten gespannt zur Festung hin, die auch an diesem Tage aus dicken Nebelschwaden lugte.

„Es ist kein Feuer zu sehen!“, behauptete Erik, nachdem es bereits arg dämmerte.

„Du hast recht! Sie hätten es längst gezündet!“, bestätigte Arnim.

„Gut, Männer! Wir gehen hinunter und warten, bis der Letzte von uns dort sicher angelangt ist!“, beschloss der König, nahm die Zügel fest in die Hand und führte Alarith sachte den steilen und steinigen Abhang hinunter. Einer nach dem anderen folgte ihm und nachdem alle den Abstieg geschafft hatten, befahl er: „Wir reiten zügig einer neben dem anderen! Keiner reitet voraus und es bleibt auch keiner zurück!“

Längst waren alle Fackeln erloschen, doch das letzte Licht des Tages genügte ihnen noch für das Überqueren des Feldes. Auch wenn weiterhin kein Feuer zu sehen war, ließ ihre Anspannung sie unentwegt und aufmerksam zum Gemäuer hinsehen. Schließlich erreichten sie den Pfad, der leicht ansteigend und von Nebel umhüllt zur Festung führte. Dort verharrten sie einen Moment und lauschten. Nichts zeugte von Leben in der Burg und auch das offen stehende Tor zeigte den Soldaten, dass dieser Ort verlassen war. Vor dem Tor stiegen sie ab und marschierten wachsam hindurch. Drinnen mussten sie feststellen, dass sie hier doch nicht ganz allein waren. Unzählige Ratten streuten umher, huschten aber gestört von den Eindringlingen rasch über den Hof und verschwanden in allerlei Löchern und Spalten.

„Hier bleibe ich keinen Tag länger als notwendig!“, bekannte Ragnar leise und schüttelte sich vor Ekel und Grausen.