Auf nackten Füßen zum Erfolg - Finn Magnus - E-Book

Auf nackten Füßen zum Erfolg E-Book

Finn Magnus

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Beschreibung

Lola Álvarez Sánchez lebt mit ihrer Familie in Dortmund in ärmlichen Verhältnissen. Das ändert sich jedoch nach einem Konzertbesuch am Wochenende. Zusammen mit ihrer besten Freundin Marijana schleicht sich Lola heimlich auf das Konzert. Als sie entdeckt werden, müssen sie fliehen und auf der Flucht liest Lola ein Plakat und merkt sich ein paar Worte, die sie zu "Auf nackten Füßen zum Erfolg" zusammensetzt. Darauf aufbauend definiert sie sich neu. Die nun stets barfüßige Lola stürzt sich als unerschrockene Ritterin "Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito" in jedes Abenteuer und beginnt zeitgleich den Sport ihres Lebens zu trainieren: Freestyle Kickboxing. Und den beherrscht sie wie keine andere. Lola Álvarez Sánchez ist kein Mädchen zum Liebhaben, sondern ein toughes Mädchen, was sich mutig und schlagkräftig wehren kann, und räumt so mit dem Klischee auf, dass Männer das starke und Frauen das schwache Geschlecht wären. Begleiten Sie das Power-Girl auf ihrer action- und abenteuerreichen Reise durch die große Ruhrgebiets-Stadt Dortmund und werden Sie Zeuge, wie sie mit ihrer Kraft und ihrer Stärke die Bösen bezwingt und den Schwachen hilft.

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel: Lola stellt sich vor

2. Kapitel: Das Salcrabbio-Konzert

3. Kapitel: Die Legende von Doña Quijota de Piedes (Pies Descalzos al Éxito)

4. Kapitel: Der Unverpackt-Laden

5. Kapitel: Der Kampf mit dem Bären

6. Kapitel: Von Hexen und Kindern

7. Kapitel: Das Fußballspiel

8. Kapitel: Das Angebot

9. Kapitel: Die Schnupperstunde

10. Kapitel: High Noon im Stadtgarten

11. Kapitel: Das Training

12. Kapitel: Der Box-Sack für Zuhause

13. Kapitel: Friday for Future

14. Kapitel: Ein echtes Ritterabenteuer

15. Kapitel: Auf nackten Füßen zum Turnier

16. Kapitel: Das letzte Kapitel

1. Kapitel: Lola stellt sich vor

Ich heiße, me apellido Lola Álvarez Sánchez und bin vierzehn Jahre alt. Ich bin gebürtige Spanierin und trage deswegen wie alle anderen Spanier auch mein Leben lang zwei Nachnamen. Meinen ersten Nachnamen Álvarez habe ich von meinem Vater (Padre) und meinen zweiten Nachnamen Sánchez habe ich von meiner Mutter (Madre) geerbt, die jene Nachnamen als ihre ersten Nachnamen tragen. Das ist bei spanischen Nachnamen so üblich. Ich wohne mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder Luis in Dortmund. Ursprünglich kamen wir aus Marbella, sind aber später nach Dortmund gezogen, um in Deutschland ein besseres Leben zu führen. Eigentlich leben wir ein ganz normales Leben in unserer neuen deutschen Heimat, doch mein Vater Juan Álvarez Gómez musste beruflich erst einmal einen neuen Anschluss im Leben finden und schaffte es nicht, direkt einen guten Job zu finden. Auch meine Mutter María Sánchez García musste einen Nebenjob aufnehmen, da sie als Hausfrau alleine nicht genug verdient, damit genug Geld für unsere vierköpfige Familie da ist. Unter dieser kleinen finanziellen Schwäche leide ich auch außerhalb der Familie, denn meine Freunde tragen coolere Klamotten als ich und können sich es auch leisten, ihre Stars live auf der Bühne zu sehen, während ich mich bloß mit den CDs dieser zufriedengeben muss. So erging es mir auch neulich, als ich wieder mit der Straßenbahn vom Borsigplatz zum Gymnasium in der westlichen Innenstadt fuhr. Zusammen mit meiner besten Freundin Marijana – auch sie kam nicht aus Deutschland, sondern vom Balkan, und ihre Familie floh damals vor den Bomben des Jugoslawienkriegs – saß ich wie immer dort auf einer Bank und sah mir die Leute an. Ich sah, wie sie telefonierten, Spiele auf den Tablets spielten oder auch wie sie ihre Zeitungen lasen. So auch ein netter Mann, der uns gegenübersaß. Als er an der Reinoldikirche ausstieg, ließ er seine Zeitung auf dem Sitz zurück und ich nahm sie an mich, um herauszufinden, was es so Neues in der Welt gab. Nach weitaus weniger interessanter Seiten über Fußball, dämliche Politiker und irgendwelche langweiligen Promi-Tratsch-Geschichten fand ich dann doch etwas für mich sehr Interessantes in der Zeitung stehend: Meine Lieblingsrockband Salcrabbio, wahre Hochseekapitäne des Shanty-Rocks, ging auf Deutschland-Tournee und würde bald bei uns in Dortmund in der Westfalenhalle spielen. Ein Konzert von Salcrabbio in der eigenen Stadt: Nichts Sehnlicheres hätte ich mir von Herzen wünschen können. Live mit ihnen auf der Bühne zu rocken; das war mein größter Traum, seitdem ich aus Spanien nach Deutschland ausgewandert war und die deutsche Musik kennen und lieben gelernt hatte und irgendwann schließlich der klassischen spanischen Musik wie Flamenco endgültig meinen Rücken gekehrt hatte. Zu diesem Konzert wollte ich unbedingt gehen. Das teilte ich dann auch Marijana gleich mit und sie sagte zu mir:

»Lola, gerne können wir das, aber wir brauchen dafür auch Karten und die sind teuer.«

»Zu teuer, dass wir sie uns nicht leisten könnten?«

»Das kannst du mir glauben.«

Eine freundliche Stimme aus dem Lautsprecher teilte uns mit, dass unsere Haltestelle kam. Wir stiegen aus und gingen das letzte Stück von der Straßenbahnhaltestelle zur Schule. Mir wurde ein wenig mulmig, denn eigentlich wäre das Abrocken für mich einfach super. Doch schon bald musste ich Farbe bekennen, dass es nicht so einfach werden würde, zu dem Konzert zu gelangen. In der Schule begegneten mir verschiedene Schulkollegen, die meinten, dass so eine ärmlich aussehende Spanierin wie ich mir so etwas nicht erlauben könnte. Das verletzte mich schon. Ich wollte ihnen das nicht glauben, denn ich war schließlich genauso viel wert wie sie. Doch kaum läutete hinterher die Glocke zum Schulschluss und Marijana und ich machten uns auf den Weg zu einem Kiosk, wo wir die Karten hätten kaufen können, erfuhren wir, dass wir pro Kopf und Karte 70 Euro bezahlen mussten.

»70 Euro?! So viel Geld haben wir gar nicht!«, erklärte ich dem Verkäufer.

»Tut mir leid, aber dann kann ich euch noch nicht einmal eine Karte verkaufen. Einen schönen Tag noch!« Wütend und geknickt mussten Marijana und ich den Kiosk wieder verlassen. Wir machten uns auf den Weg zur Straßenbahn, die uns nach Hause fahren würde.

Marijana versuchte, mich zu trösten:

»Kopf hoch, Lola, heute ist nicht aller Tage Abend.«

Doch auch das konnte mich nicht aufmuntern. Als wir zu Hause ankamen, beschlossen wir erst einmal, unsere Eltern zu fragen. Da es bald Mittagessen gab, bot sich eine gute Gelegenheit dazu. Marijana und ich trennten uns vor dem Hochhaus, in dem Marijana mit ihren Eltern wohnte, und ich ging zwei Hochhäuser weiter in das Hochhaus, wo ich mit meiner Familie wohnte. Ich schloss die Tür auf, ging die Treppe hinauf und roch schon einen köstlichen, bekannten Duft in meiner Nase. Es war der leckere, köstliche Duft von Paella. Mmm (Mhm), Madre (Mama) kochte Paella: mein Leibgericht. Sie schmeckt köstlich und erinnert mich stets an meine alte Heimat in Spanien. Allein der Geruch nach dem geschmorten gelben Reis mit Hühnchen und Meeresfrüchten brachte mir das Gefühl, den Strand von Marbella um die Ecke zu haben, zurück. Entsprechend ging ich schnell die Treppe herauf und öffnete mit dem Schlüssel die Wohnungstür. Ich zog meine Schuhe aus, begrüßte meine Familie und brachte meine Schulsachen in mein Zimmer. Dann setzte ich mich an den Esstisch und genoss das Mittagessen. Madres Paella schmeckte wie immer fantastisch. Nach dem Mittagessen entschloss ich mich dann, meine Eltern nach dem Konzert zu fragen.

2. Kapitel: Das Salcrabbio-Konzert

Es war nicht anders zu erwarten. Meine Eltern hatten kein Geld, um mir Karten für das Konzert zu besorgen. Auch Marijanas Eltern konnten es aufgrund ihres geringen Einkommens nicht bezahlen. Was sollte ich nun machen? Guter Rat war nun teuer. Das Konzert fand in der Westfalenhalle statt und die Eintrittskarten kosteten 70 Euro pro Kopf. Sollten wir die nun selbstständig verdienen oder ersparen? Nun ja ersparen konnten wir nicht viel von unserem geringen Einkommen. Also wäre es sinnvoller, das Geld selbstständig zu verdienen. Die Frage ist nur: Wie? Denn da hatte ich wirklich keine Idee, wie wir das anstellen sollten. Schließlich hatten wir weder genug Krimskrams, den wir hätten verkaufen können, noch genügend schmutzige Autos in der Nachbarschaft, die wir hätten putzen können. Zeit blieb uns auch nicht viel, da das Konzert bereits am nächsten Abend stattfand. Also blieb ich dann doch sehr geknickt und lag heulend auf meinem Bett und heulte über den Schmerz, dass ich dann doch nicht zum Konzert gehen konnte. Mir ging es nicht besonders gut. Also rief ich Marijana an und erkundigte mich, wie es ihr ginge. Auch sie sagte, sie könne nicht zum Konzert, da ihre Eltern kein Geld dafür hätten, aber sie hatte eine Idee und schlug mir vor, ein wenig mit der Straßenbahn spazieren zu fahren. Also verabredeten wir uns und nur eine halbe Stunde später trafen wir uns an der Straßenbahnhaltestelle.

»Wir müssen nur einmal umsteigen und zwar an der Reinoldikirche in die Linie 46.«

So machten wir es und fuhren erst zur Reinoldikirche und dann mit der U-Bahn-Linie 46 zu den Westfalenhallen. Eigentlich war ich eher schlecht als gut gelaunt und mir war nicht wohl dabei, doch Marijana meinte, ich müsste mir keine Sorgen machen. Wir erreichten die Hallen und stellten schon fest, dass alles für das Konzert vorbereitet war. Durch die Türen der Hallen entdeckten wir, dass die Vorräume bereits mit Fan-Artikel-Ständen, die T-Shirts verkaufen würden, ausgestattet waren. Wir fragten uns natürlich, wie wohl die Bühne aussehen würde, doch als wir versuchten, die Türen zu öffnen, stellten wir fest, dass sie alle fest verschlossen waren. So sehr wir auch an den Griffen rissen, die Türen bewegten sich um keinen Zentimeter. ¡Maldición!, in die Halle war kein Reinkommen. Nach drei weiteren unglücklichen Versuchen, die Tür zu öffnen, tippte Marijana mir auf die Schultern. Ich drehte mich nach ihr um und sie flüsterte mir ins Ohr:

»Ich glaube, wir sollten es mal an einem Hintereingang versuchen.«

Ich nickte und schlich zusammen mit Marijana einmal um die Halle herum. Nach einer Weile entdeckten wir ein Gitter am Boden. Dieses war hinter einem dicken grünen Busch versteckt. Ich hob es an und merkte, dass es ganz locker war und sich leicht entfernen ließ. Ich kletterte hinein und Marijana folgte mir unauffällig und legte das Gitter wieder an seinen ursprünglichen Platz. Das Gitter führte in einen Lüftungsschacht und dieser führte zu einem weiteren Gitter in einen Keller. Ich drückte das Gitter beiseite und schlüpfte dadurch. Marijana folgte mir und sie schob wieder das Gitter über das Loch. Anschließend schaute ich mir an, in welchem Raum wir waren. Es war ein Besenkeller, an dessen Ende eine verschlossene Tür lag. Ich bekam sie nicht auf, jedoch fand Marijana in ihrem Rock eine große Büroklammer; eigentlich nur ein kleines Stück Draht, mit dem man irgendwelche bedruckten Papiere zusammenheften konnte, aber damit konnte man auch etwas Anderes machen, was Marijana mir schnell bewies. Sie verbog den Draht und steckte ihn in das Schloss. So konnte sie die Tür der Besenkammer öffnen. Gegenüber der Tür hing ein Schild an der Wand. Es zeigte nach rechts und wies auf einen Notausgang hin. Wir entschieden uns daher nach links zu gehen. Marijana und ich guckten, ob die Luft rein war, und als ich vorausging, verschloss Marijana die Tür der Besenkammer wieder mit dem Draht. Wir erreichten einen langen Gang und gingen ihn geradeaus. An den Seiten links und rechts lagen verschiedene Keller, in denen Putzmittel und auch anderer Kram lagerte. Auch lagen dort zum Teil die Kabinen, in denen sich die Stars für die Bühne fertigmachten. Solche Räume nannte man Masken, was ich später mal erfuhr. Nach einer Weile erreichten wir eine große Tür, über der das Wort »Backstage« angebracht war.

»Das ist der Hintereingang der Bühne«, erläuterte Marijana.

»¡Muy bien!«, erwiderte ich. »Dann ist unser Konzert ja gerettet.«

»¡Muy bien!« war Spanisch und hieß »Sehr gut!«, »Klasse!« oder »Super!«. Im Deutschen könnte man hier auch »Prima!« sagen, doch den Ausruf »Prima!« verwende ich als gebürtige Spanierin äußerst ungern, da prima das spanische Wort für Cousine ist. Ich habe übrigens auch eine solche; sie heißt Ana und lebt im andalusischen Málaga.

Aber zurück zu meiner Geschichte:

»¡Muy bien!«, erwiderte ich. »Dann ist unser Konzert ja gerettet.«

Wir schlugen »High Five« ein und drehten uns dann um. Gemeinsam und unauffällig verließen wir wieder die Keller hinter der Bühne. Diesmal benutzten wir einen der Notausgänge und achteten darauf, von niemanden gesehen zu wurden. Ganz vorsichtig, aber vergnügt gingen wir zurück zur U-Bahn-Station »Westfalenhallen«, um die Bahn nach Hause zu nehmen. Wir waren sehr glücklich. Nun konnte der ersehnte Samstagabend kommen. Der Samstagabend, an dem wir uns zum großen Konzert von Salcrabbio in die Westfalenhalle schleichen werden.

Dann kam der Abend des Konzerts. Marijana und ich waren auch auf der Party. Wir trugen zwar keine Eintrittskarten für den Vordereingang bei uns, jedoch unsere persönlichen speziellen »Eintrittskarten« für den Hintereingang. Wir trugen ultramarinblaue Kapuzenpullis und schwarze Sonnenbrillen und schlichen uns so getarnt an dem gesamten Personal vorbei. Wir stiegen durch das Gitter und den Lüftungsschacht in die Besenkammer im Keller. Nachdem Marijana deren Tür mit dem Draht aus ihrer Rocktasche geöffnet hatte, erreichten wir dann den Gang, durch den wir uns schon zuvor in Richtung Bühne geschlichen hatten. Mit den ultramarinblauen Kapuzenpullovern und schwarzen Sonnenbrillen getarnt schlichen wir uns am gesamten Personal und den vielen Putzräumen vorbei in Richtung Bühne. Während sich tausende Fans in der Halle versammelten, um Salcrabbio zu zujubeln, blieben wir hinter den Kulissen und hörten dort ihre shantyrockige Musik live. Marijana und ich rockten und sangen mit, auf dass die Wände wackelten, und fühlten uns überglücklich. Vor Freude rief ich lautstark aus:

»Gleich bei der Autogrammstunde von Salcrabbio bin ich auch dabei!«

Das hätte ich aber nicht so laut aussprechen sollen, denn plötzlich wurden Marijana und ich von einem Wachmann entdeckt. Er ging auf uns zu.

Marijana wusste, dass es jetzt besser wäre, das Konzert zu verlassen und den Bühnensaal zu räumen. Sie zog an meinem Kapuzenpulli und flüsterte mir ins Ohr:

»Lola, es ist besser, wenn wir jetzt von hier verschwinden.«

Ich tat, wie mir geheißen. Marijana und ich rannten nach rechts von der Bühne weg in einen Korridor, der an einem der hinteren Räume vorbeiführte. In diesem Raum war ein großer Tafelschreibblock, auch Flipchart genannt, aufgestellt, auf dem wichtige Wörter und Sätze zum Thema einer Präsentation geschrieben standen. Ich blieb vor diesem Block stehen und las aufmerksam, was da geschrieben stand. Na gut, ich überflog, was da geschrieben stand. Dennoch hätte ich gerne mehr Zeit zum Lesen gehabt, denn die Überschrift des Vortrags auf dem Blatt sprach mich doch an. Sie lautete: »Weg zum Erfolg«. Ich überflog den Text und erkannte, er bestand aus vier Absätzen und beim dritten stand unten eine rot umrandete Randnotiz, die mit einem Pfeil auf Absatz 3 zeigte. Dort stand in Rot geschrieben: »Das Wichtigste:

Auf eigenen Füßen stehen!« Eigentlich wollte ich das wirklich durchlesen, da ich mir dachte, damit könnte ich die Situation meiner Familie verbessern, doch Marijana riss an meinem Kapuzenpullover und sagte:

»Lola! Jetzt komm endlich! Oder willst du Ärger?!«

Und sie riss mich vom Platz. Schnell konnte ich noch ein Wort unterhalb des Vortrags lesen. Oder war es oberhalb des Vortrags? Oder stand es auf einem Plakat, das an einer Wand klebte und Werbung verbreitete? Jedenfalls stand da, wenn ich mich richtig erinnere, irgendwas mit »Nachhaltig dank nackter Ware: Ihr Unverpackt-Laden«. Mir blieb ja nicht wirklich Zeit, um das Plakat zu lesen. Um ehrlich zu sein, mussten wir rennen, was das Zeug hielt, um nicht vom Wachpersonal erwischt zu werden. Wir hatten so wenig Zeit, wie unseren Familien Geld hatten. Wir flüchteten durch die Hintertür und rannten zur Straßenbahnhaltestelle. Hinter uns rannte ein Wachmann und rief uns zu:

»Bleibt stehen!«

Marijana und ich konnten nicht. Wir eilten die Treppe hinab zu der halb unterirdisch angelegten Station. Wir stürmten den Bahnsteig. Hinter uns war noch immer der Wachmann. Da kam ein helles Licht am Ende des Tunnels; eine U-Bahn fuhr ein. Hastig eilten Marijana und ich in die Bahn und warteten nur darauf, dass die Türen schlossen. Das taten sie dann auch und zwar noch rechtzeitig, bevor der Wachmann vom Konzert einsteigen konnte. Die U-Bahn fuhr kreischend los. Auch wenn sie bereits auf ihrer Strecke verschwand und den Wachmann am Bahnsteig zurückließ, so rasten unsere Pulse weiterhin auf 180. Wir konnten noch einen letzten Blick auf die Hallen mit dem Konzert werfen und dann fuhren wir davon. Auf nach Hause, wo unsere Eltern uns längst in unseren Betten vermuteten. Für Marijana und mich stand fest: Das war der schönste Abend unseres Lebens und wir werden ihn nie vergessen. Doch eines werde ich auch nicht vergessen und zwar das, was da auf dem Blatt des aufgestellten Blocks geschrieben stand: Worte, die mein Leben veränderten.

Wir mussten einmal umsteigen und dann waren wir auch zu Hause am Borsigplatz. Leise schlichen wir uns durch die Treppenhäuser unserer verschiedenen Hochhäuser und öffneten vorsichtig unsere Wohnungstüren. Ich zog beim Betreten meiner Wohnung meine Schuhe aus, wie ich es in Spanien schon als kleine Chica gelernt hatte. Einerseits, um die Wohnung nicht zu verschmutzen, andererseits, um niemanden zu wecken. Schließlich hatte ich mich zuvor heimlich fortgeschlichen. Es war zwar in Spanien nicht üblich, als Gast bei Betreten der Wohnung die Schuhe auszuziehen, jedoch als Bewohner war es schon üblich. So zog ich meine indigoblauen Sneakers, deren Schnürsenkel und Schuhkappe jedoch weiß waren, aus und stellte sie leise und vorsichtig aufs Schuhregal. Dann schlich ich mucksmäuschenstill auf meinen weißen Strümpfen durch die Wohnung. Ich erreichte die Tür meines Zimmers ohne meine Eltern zu wecken und zog meinen ultramarinblauen Kapuzenpulli und die weißen Strümpfe aus. Eigentlich wollte ich gleich ins Bett, doch eine Sache wollte ich vorher noch machen. Nämlich die Worte, die ich noch im Kopf hatte, aufschreiben. Ich nahm mir einen Zettel und schrieb sie auf. Ich bekam sie aber nur brüchig zusammen:

»Der Weg zum Erfolg … auf eigenen Füßen … nachhaltig mit nackt. Ja, so war das, aber wie standen sie zusammen?«, dachte ich.

Weitere Wörter von dem Block aus dem Zimmer beim Salcrabbio-Konzert wollten mir nicht einfallen, doch das Wort »nachhaltig« beeindruckte mich dann doch so sehr, dass ich darin den Schlüssel für meine Zukunft sah. Ich sortierte die Worte und bekam etwas heraus, was von nun an mein neues Lebensmotto würde. Ein Lebensmotto, was mich, Lola Álvarez Sánchez, für immer veränderte. Ich sortierte die Worte und erhielt den Satz:

»Auf eigenen nackten Füßen nachhaltig der Weg zum Erfolg.«

Und weil der Satz etwas zu holprig war, kürzte ich ihn und erhielt schließlich:

»Auf nackten Füßen zum Erfolg.«

Das war von nun an mein Lebensmotto. Ein neuer Name, den ich, Lola Álvarez Sánchez, mir nun zulegte. Von nun an galt für mich: Ich geh‘ heute als Lola Álvarez Sánchez ins Bett, werde aber morgen als »Auf nackten Füßen zum Erfolg« aufwachen. Und ins Bett gehen war ein gutes Stichwort, denn es war spät, und ich wollte nur schlafen. Zum Glück war der Folgetag ein Domingo (Sonntag) und ich konnte ausschlafen. Ich tauschte meine Klamotten gegen meinen Schlafanzug und ging »auf nackten Füßen zum Erfolg« erst mal ins Bett, um zu einem erfolgreichen Schlaf zu gelangen.

3. Kapitel: Die Legende von Doña Quijota de Piedes (Pies Descalzos al Éxito)

Der nächste Morgen kam. Ich schlief selbst noch morgens tief und fest und, als ich aufwachte, war es gefühlt schon Mittag. Ich hatte sehr gut geschlafen und gut geträumt und war noch ganz begeistert vom Konzert des Vorabends. So begeistert, dass ich gleich nochmal eine CD von Salcrabbio hören wollte. Ich schlug die Bettdecke beiseite und ging zu meinen CDs und legte eine von ihnen in den Player. Ich spielte sie ab und fühlte mich schon bei dem ersten Lied »Frei wie das Meer«. Ich tanzte und sang mit und fand plötzlich den Zettel vom gestrigen Abend, wo ich ein paar Wörter notiert hatte, die ich auf meiner Flucht vom Konzert von einer Tafel aufgefischt hatte. Diese Wörter waren viele, doch sie ergaben zusammen den Namen, den ich mir für mein künftiges Leben als Leitfaden zugelegt hatte: »Auf nackten Füßen zum Erfolg.«

Ich nahm den Zettel in die Hand und las diesen Namen, diesen Leitfaden mir laut vor:

»Auf nackten Füßen zum Erfolg.«

Eifrig wiederholte ich den Satz:

»Auf nackten Füßen zum Erfolg.«

Und dann sagte ich laut zu mir:

»Lola Álvarez Sánchez, du bist jetzt: Auf nackten Füßen zum Erfolg!«

Ich gefiel mir, als ich das sagte, und war irgendwie auch ein wenig stolz auf mich. Mir wurde klar, ich werde von nun an im Leben mehr Glück und Erfolg haben, wenn ich es auf nackten Füßen führe. Ich beschloss sogleich, meine beste Freundin Marijana davon zu unterrichten. Doch dazu musste ich mich erst einmal anziehen, denn ich trug noch immer meinen Schlafanzug. Also ging ich zum Kleiderschrank, um mich umzuziehen. Auf dem Weg dahin fiel mein Blick auf den Rücken des Buches »Don Quijote« von Miguel de Cervantes Saavedra – natürlich die spanischsprachige Originalversion, die ich als Kind schon tausendmal gelesen hatte. Den Buchrücken des gelb gedeckelten Buches schmückte dasselbe Porträt des berühmtem spanischen Nationaldichters, was auch auf den Rückseiten der spanischen goldenen 10-Eurocent-, 20-Eurocent- und 50-Eurocent-Münzen zu finden war. Darunter stand in roten Lettern der Titel des Buches: »Don Quijote«. Da ich geistig so auf einem Erfolgstrip war, dachte ich mir, ich möchte so sein wie Don Quijote und Abenteuer bestehen. Entsprechend wollte ich mich auch kleiden. Dafür brauchte ich ein paar Klamotten. Ich entschied mich für einen Dreiviertelrock, der aus drei Stufen bestand und mir zumindest bis etwa zu den Knien reichte, und ein Oberkleid. Der Rock war knallgelb wie die Sonnenblumen und die Sandstrände meiner Heimat Südspanien und das Oberkleid rot wie die untergehende Sonne an spanischen Abenden. In meinem Schrank befanden sich auch verschiedene Socken, Strümpfe und Schuhe, doch da mein Lebensmotto nun »Auf nackten Füßen zum Erfolg« lautete, blieb ich barfuß. Um allerdings so tapfer zu werden, wie mein Vorbild Ritter Don Quijote, nahm ich mir noch eine dunkelblaue Schürze, die ich mir über den Kopf stülpen konnte, aus dem Schrank und zog sie verkehrt herum an, sprich mit der eigentlichen Schürze nach hinten, sodass sie nun wie eine Art dunkelblauer Umhang wirkte, der, wenn er sich wellte, mich an das blaue Meer meiner Heimat erinnerte. Dann verschloss ich meinen Kleiderschrank, ging rüber zu meinem Bastelschrank und nahm mir etwas bunte Pappe, die weiße Punkte auf blauem Hintergrund zeigte, Bindfaden und Klebstoff sowie meine Bastelschere und legte alles auf meinen Schreibtisch. Dann ging ich in den Flur unserer Wohnung und fand noch einen dicken, braunen Karton. Ich schnappte ihn mir und trug ihn ebenfalls zu meinem Schreibtisch. Aus der blauen Pappe mit den weißen Punkten schnitt ich mir ein großes Oval aus, was so breit wie mein Gesicht war. Ich schnitt zwei große Löcher hinein und machte mit dem Heftlocher zwei kleine Löcher an den Rand. Die großen Löcher waren für meine Augen und die kleinen Löcher außen für ein Stück Schnur. Das Stück Pappe sollte nämlich eine Maske werden. Ich schnitt zwei Dreiecke aus, damit die Maske auch gut auf meine Nase passte. Dann probierte ich sie an und fädelte auch gleich den Faden dadurch. Als die Maske perfekt saß, schnitt ich ein Stück Faden auf einer Seite ab, nahm die Maske wieder herunter, um den Faden dort zu verknoten. Anschließend konnte ich mir meine Maske wieder aufsetzen. Aus dem großen Karton schnitt ich mir ein großes Schwert aus, das ebenfalls gut in meiner Hand lag. Eine weitere Ecke des Kartons konnte ich rechteckförmig abschneiden. Ich schnitt von einem weiteren Stück des Kartons einen längeren Streifen ab und klebte ihn auf das Rechteck. Dadurch, dass der Streifen etwas länger war, konnte ich im Nachhinein meinen Arm durchstecken. Fertig war also mein Schild. Damit war ich nun fertig. Ich hatte Schwert, Maske, Schild und Umhang. Ich war eine fertige Ritterin, ich war ein fertiger Don Quijote. Doch als Mädchen konnte ich schlecht ein Don Quijote sein. Aber das war nur ein ganz kleines Problem. Ich setzte einfach den Namen Don Quijote in die weibliche Form und bezeichnete mich schließlich als »Doña Quijota«. Und da mein Lebensmotto von nun an »Auf nackten Füßen zum Erfolg« lautete, nannte ich mich »Doña Quijota auf nackten Füßen zum Erfolg«. Doch auch dieser Name erfüllte noch nicht ganz meine feurige spanische Seele, also brachte ich ihn schließlich ins Spanische und nannte mich endlich »Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito«. So und unter diesem Kampfnamen wird mich nun diese Welt kennen lernen!

Ich fühlte mich als frischgebackene Ritterin wie neugeboren und wollte sogleich aufbrechen. Entschlossen ging ich aus meinem Zimmer: Mit dem Schwert in der einen Hand und dem Schild in der anderen. Ich nahm meinen Schlüssel und legte ihn in eine der Rocktaschen. Als ich am Telefon vorbeikam, erinnerte ich mich daran, dass ich Marijana anrufen wollte. Da fiel mir ein, dass ich zwar eine Ritterin war, jedoch noch keinen Knappen oder Knappin hatte. Was ist bitte schön ein Ritter oder eine Ritterin ohne einen Knappen oder eine Knappin? Genau, gar nichts. Ich brauchte also unbedingt noch einen Knappen oder eine Knappin. Und wer könnte das anderes sein als meine beste Freundin Marijana? Genau, meine beste Freundin Marijana, genau sie sollte meine Knappin werden, entschied ich. Rasch ging ich zum Telefon, rief Marijana an und sagte ihr, dass ich in zehn Minuten bei ihr sei. Das schrieb ich auch meinen Eltern auf einen Zettel und legte ihn neben das Telefon. Dann ging ich los. Barfuß aus der Wohnung, barfuß die Treppen hinab und barfuß über die Wiesen vor den Hochhäusern rüber zu dem Hochhaus, in dem Marijana wohnte. Das Barfußlaufen machte mir nichts aus. Im Gegenteil: Es machte mir sogar viel Spaß und erinnerte mich an meine Kindheit in Marbella, wo ich oft im Sommer barfuß an den Strand gegangen war. Es war, fand ich, viel cooler als Schuhe zu tragen. Ich erreichte das Haus, wo Marijana wohnte, klingelte und ging die Treppen hinauf. Sie trug ihr dunkelblaues Lieblingskleid und wartete schon an der Tür, als ich heraufkam. Marijana wirkte fast erschrocken, als sie mich da kommen sah. Mit verdutzten Gesicht fragte sie mich:

»Lola, bist du das?« Ich antwortete:

»Sí, Lola Álvarez Sánchez wollte man mich bei meiner Geburt nennen. Doch diese bin ich nicht mehr! Stattdessen steht dir nun Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito gegenüber!«

»Doña Quijota?«, fragte mich Marijana verwundert.

So verwundert, dass sie ihre schwarzgeränderte Brille abnahm und kurz putzte. Ihre Brille war schwarzgerändert und bestand aus zwei runden Gläser, die aber zur Nase hin wie ein Dreieck spitz zuliefen. Als sie sich dann die Brille wieder aufsetzte und mich ansah, verlor sie doch nichts an ihrem verwunderten Blick.

»Sí, Doña Quijota«, sagte ich, legte mein Schwert beiseite und schob meine Maske nach oben, während ich sprach, »aber du kannst mich auch gerne weiterhin Lola Álvarez Sánchez nennen, wenn dir das lieber ist.«

»Und ob mir das lieber wäre, denn sie ist meine beste Freundin. Aber mit Doña Quijota komme ich zur Not auch zurecht. Komm herein! Ziehe dir aber vorher die Schuhe …«

Ich verstand den Satz, den Marijana zu mir sagen wollte. Umso verdutzter wirkte sie, als sie das sagte und gleichzeitig auf meine nackten Füße blickte.

»Da staunst du, was?! Selbstverständlich wäre ich nicht Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito, wenn ich mit Schuhen zu dir käme. Aber ich trete mir gerne meine Füße für dich ab.«

Ich trat meine Füße an der Wohnungstür auf der Fußmatte ab und ging zusammen mit Marijana in ihr Zimmer. Sie ging im Gegensatz zu mir auf Strümpfen. In ihrem Zimmer setzte ich mich erst einmal auf einen Stuhl. Meine Freundin fragte mich, ob ich was trinken wollte, und bot mir Zitronenlimonade an. Ich bejahte das und Marijana holte uns zwei Gläser und die Limo. Auch sie setzte sich hin und zwar auf ihr Bett und fragte mich dann, wie es zu meiner Sinneswandlung gekommen sei. Ich erklärte ihr die Kurzfassung:

»Also, als wir gestern Abend auf dem Weg vom Konzert nach Hause waren, habe ich in den Westfalenhallen eine Tafel mit einer Botschaft gefunden, die ein Rezept für eines jeden Erfolges darstellen soll. Ich wollte die Tafel komplett lesen, doch sowohl du vor mir als auch der Wachmann hinter mir zwangen mich zur Flucht. Ich konnte mir ein paar Worte einprägen und niederschreiben. Und dabei kam dann der Satz ›Auf nackten Füßen zum Erfolg‹ heraus, der fortan mein neuer Name und mein neues Lebensmotto wurde. Ja, und als ich das heute Morgen in die Tat umsetzen wollte, sah ich das Buch Don Quijote in meinem Schrank und zack wurde aus Lola Álvarez Sánchez nun die, die dir jetzt gegenübersteht: Die große Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito: Die größte Ritterin, die die Welt je gesehen hat.«

»So so«, meinte Marijana skeptisch, »also Doña Quijota kann ich da vielleicht noch nachvollziehen, aber deinen Beinamen de Pies Des…, äh wie war der?«

»Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito. Das ist Spanisch für Doña Quijota auf nackten Füßen zum Erfolg: Eben ganz mein Lebensmotto.«

»Na gut, jetzt verstehe ich das. Aber ich müsste Spanierin sein, um mir den Namen merken zu können. Wie wäre es, wenn wir den abkürzen? Hatte dieser Don Quijote nicht auch einen Beinamen?«

»Wenn du es genau wissen willst: Mit vollem Namen nannte er sich Don Quijote de la Mancha. La Mancha ist eine Gegend in Spanien. Aber nicht die, aus der ich komme, denn meine Heimat liegt in Andalusien.«

»Dann machen wir es bei dir ähnlich kurz und knackig und in Anlehnung an dein Namensvorbild, geben wir dir den Namen Doña Quijota de Pies Des. Nur so viel konnte ich mir von deinem Namen merken. Und da sich ›Pies Des‹ so blöd sprechen lässt, würde ich das S in der Mitte einfach weglassen und ›Piedes‹ draus machen«, wobei sie Piedes wie »pi-ä-des« aussprach.

Ich dachte einen Moment nach und sagte dann:

»Doña Quijota de Piedes als Kurzform von Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito. Ich finde dieser kurze Name gefällt mir. Und da der gute alte Don Quijote auch einen Escudero, einen Knappen, einen Gefährten namens Sancho Pansa hatte, sollst du von nun an Sancha María heißen und als meine Escudera, das heißt Knappin, mich auf meinen großen Abenteuern begleiten.«

»Wenn du es so wünschst, gerne.«

Ich trank einen Schluck der köstlich prickelnden Zitronenlimonade. Sie schmeckte vorzüglich und, während ich dieses süßlich saure Prickeln genoss, fragte mich meine Freundin sogleich:

»Und Doña Quijota, wonach gelüstet es Euch denn abenteuermäßig?«

»Wonach es mich gelüstet, Sancha? Nun ja, da wäre noch die Höhle des Salcrabbio-Konzertes mit der Tafel des Wissens, die mich neu entstehen ließ. Leider konnte ich ihr Geheimnis nicht ganz lüften. Lasst uns zu diesem Ort reiten und diesen großen Schatz holen!«

»Reiten?«

»Ja, reiten. Auf geht’s zu Rosinante.«

»Rosinante?«

Marijana/Sancha María schien Rosinante noch nicht zu kennen, aber ich wollte ihr mein Ross gerne vorstellen, denn Rosinante war ja schließlich das Pferd des großen Don Quijote aus seiner Geschichte und so auch das Pferd der großen Doña Quijota. Ich bat Sancha María, mir zu folgen. Sie zog sich schwarze Mokassins über ihre weißen Strümpfe und folgte mir herüber in mein Hochhaus, wo im Stall ganz unten mein getreues und edles Streitross Rosinante untergebracht war. Ich setze mich drauf und eine kleine Berührung brachte es auch zu einem klingelnden Wiehern.

»Darf ich vorstellen: Das ist Rosinante, mein treues Streitross.«

»Das soll ein Streitross sein? Für mich sieht es eher wie ein Fahrrad aus.«

Ich hörte diese Worte nicht, sondern zog mit voller Kraft am Zaumzeug.

»Also wie gesagt, mein treues Streitross, und auf diesem Streitross werden wir zwei zu der Höhle Salcrabbios reiten und die Heilige Schrift aus den Klauen des Bösen befreien.«

»Ob wir zwei zusammen auf diesem Fahrrad fahren, weiß ich nicht, denn das ist kein Tandem. Aber ich kann gerne auf dem Sattel vorne Platz nehmen und dich fahren oder ich hole mir ein eigenes Fahrrad, wobei habe ich denn ein eigenes? Lass mich überlegen! Nein, ich meine nicht, aber ich habe noch meinen Tretroller. Er steht in meinem Zimmer.«

»Los geht’s, Sancha!«, rief ich. »Auf ins Abenteuer!«

»Na, gut, aber brauchst du nicht einen Helm? Immerhin hat die gute Ritterin nur Haare auf dem Kopf.«

Ich fasste mir daraufhin auf den Kopf und bemerkte, dass ich tatsächlich keine Kopfbedeckung auf meinen pechschwarzen Haaren trug, die wie üblich in einem von einem bunten Gummiband gehaltenen, kugelförmigen, hochgesteckten Zopf endeten. Ich trug meine schwarzen Haare am liebsten so zum kegel- bis kugelförmig Zopf gebunden, der aber weniger geflochten als bloß hochgesteckt war. Ich sagte daher zu Sancha María, deren Haare ebenso pechschwarz und ebenso schulterlang wie meine waren:

»Jetzt, wo du es erwähnst, muss ich dir Recht geben.«

Ich sah mich kurz um und wurde schnell fündig. Es dauerte höchstens fünf Minuten, da hatte ich, Doña Quijota de Pies Descalzos al Éxito, nicht nur meinen Ritterhelm, sondern auch meine ritterliche Lanze in meinem Besitz. Beides hatte ich mir so mir nichts, dir nichts eben zusammengebastelt. Der Helm lag da schon ungenützt herum, jedoch war er oben recht flach und ihm fehlte der Helmschmuck, der Putz, doch diesen fand ich kurioserweise in Form eines roten Kamms an die Lanze gebunden. Ich brach den Kamm von der Lanze ab und legte ihn auf die flache Oberseite meines Helms. Da er nicht ganz hielt, legte ich den Helm auf einen Holzscheitel und nahm einen Nagel und einen Hammer und hämmerte so mit dem Nagel einen kleinen Kreis aus Löchern in die Helmoberseite. So bekam ich ein Loch, das gerade so groß war, dass ich den Helmkamm hineinstecken konnte. Fertig war mein Helm. Ich setzte ihn mir auf den Kopf und da er praktischerweise schon den Helmgurt für den Hals hatte, hielt er optimal auf meinem Kopf. Ich fand außerdem noch einen Gürtel, den ich mir um den Rock schnallen konnte. Das war auch nötig, da ich schlecht die Lanze, mein Schwert und meinen Schild gleichzeitig in den Händen halten konnte. Dank des Gürtels konnte ich aber mein ritterliches Schwert gut an meiner rechten Seite befestigen und hatte so die rechte Hand für meine Lanze frei. Ich stieg auf mein Schlachtross, hielt dabei Schild und Zügel in der linken Hand und rief entschlossen:

»So, meine getreue Sancha María, auf geht’s in den Kampf mit dem Ziel, die Heilige Schrift zu retten!«

Ich führte mein Schlachtross den Aufgang zur Straße hinauf und stieg auf, gab ihm die Sporen und ritt los. Meine getreue Escudera Sancha María folgte mir auf ihrem Ross ins Abenteuer. Während sie allerdings das Ihre empor führte, sprach sie:

»Ich bin ganz schön erstaunt von Lolas Veränderung. Ich sage ihr, dass ihr als Ritter noch der Helm fehlt, und was macht sie?! Während ich in mein Zimmer gehe, um meinen Roller zu holen, guckt sie sich im Keller um und findet einen alten Blecheimer und einen Besen und bastelt sich aus dem Blecheimer und dem Besenkopf ihren Ritterhelm und verwendet den Besenstiel anschließend als Lanze. Also eins sage ich: Das wird ein aufregender Tag werden!«

Ich ritt los und meine Escudera Sancha María folgte mir ins Abenteuer. Wir ritten gefühlt Stunden durch viele große Wälder, die grün und voller sprudelnder Quellen waren. Der Ritt machte Spaß und uns schmeckte die wunderbare frische Luft:

»Doña Quijota«, fragte mich meine Escudera Sancha María, »weißt du auch in welcher Richtung dieser Ort der Heiligen Schrift liegt?«

»Meine liebe Sancha«, sagte ich, »das ist doch ganz einfach. Hier hängen überall Hinweise darauf. Der Schatz befindet sich bei Salcrabbio und diese befinden sich laut ihrer vielen Hinweistafeln in den Westfalenhallen. Und mein Gefühl sagt mir genau, dass wir in dieser Richtung reiten müssen, um diese Westfalenhallen, bei denen es sich wohl um eine Festung handelt, zu erreichen.«

»Meine liebe Doña Quijota, da wir mitten durch den Westfalenpark fahren, ist das schon der richtige Weg dahin. Wir müssen allerdings bald rechts abbiegen und zwar an dem Pfeil, wo ›BVB 09‹ draufsteht. Diese Abkürzung ist schwarz auf gelb geschrieben und daher auffällig.«

Wir fanden den Hinweis und bogen entsprechend ab. Wir ritten noch etwas weiter entlang eines Pfades, den das Volk wohl Remydamm nannte, bis wir schließlich die Festung Westfalenhallen mit dem ersehnten Schatz erreichten. Doch leider war die Festung, wie es auch nicht anders zu erwarten war, von feindlichen Soldaten bewacht.

Sancha María und ich versteckten uns zusammen mit meiner Rosinante und Sancha Marías Streitross in einem Gebüsch nahe der Festung Westfalenhalle und behielten einen guten Blick auf die feindlichen Soldaten, die den Eingang bewachten.

»So ein Mist«, sagte ich, »wie sollen wir da hereinkommen? Ich würde sagen: Doña Quijota de Pies Descalzos als Éxito stürmt auf sie zu und macht ihnen den Garaus.«

Ich nahm meine Lanze und wollte damit schon auf die feindlichen Wachen zielen. Doch Sancha María hielt mich ab:

»Warte, Doña Quijota, es ist besser, wir schleichen uns an.«

»Ach, disparates (Blödsinn), meine Liebe, wir greifen natürlich an!«

Gesagt, getan, stürmte ich mit ausgestreckter Lanze auf die dort stehenden Feinde zu. Sie waren sehr überrascht, aber natürlich auch erschrocken vor der furchtlosen Doña Quijota, die sie nun kennen lernen würden.

»So ihr Fettsäcke, es geht zu Ende mit euch! Doña Quijota macht euch den Garaus!«

Und diese griff an und rannte ihnen mit der Lanze voraus in den Magen. Ich traf ihn dort und kurioserweise fiel er leicht um und schrie, anstatt sich gegen meinen Angriff zu wehren. Ich hatte ihn wohl sehr überrascht. Er fiel zur Seite und lag auf dem Rücken wie ein Käfer und ich rief:

»Prima! Jetzt muss ich nur noch das Tor aufbrechen.«

Ich rannte rüber zu dem Tor und versuchte es aufzureißen, doch dann merkte ich, es war fest verschlossen.

»Verflixt!«, rief ich. »Wie breche ich die jetzt auf? Sancha, komm hilf mir mal! Sancha?«

Ich sah mich nach meiner Escudera um, doch ich konnte Sancha María nirgends entdecken. Stattdessen sah ich weitere der feindlichen Soldaten kommen. Sie trugen alle schwarze Anzüge und schwarze Dinger auf den Augen, was bedrohlich aussah. Einer von denen zeigte auf mich und rief:

»Packt sie!«

Ich überlegte mir, was zu tun war. Ich konnte unmöglich gegen alle gleichzeitig kämpfen, dazu war ich mit meinem Schwert und meiner Lanze nicht fähig genug. Also entschloss ich, mich aus dem Staube zu machen. Ich beschloss zu rennen. Ich rannte vom Tor weg, zurück zu der Stelle, wo ich angekommen war. Ich dachte mir, dass mein Ziel darin bestand, die Burg einzunehmen. Also müsste ich die Wachen ablenken, sie in einen Hinterhalt locken und ihnen anschließend die Schlüssel für die Burg abnehmen. Also rannte ich ihnen voraus um die Festung herum. Nach wenigen Schritten entdeckte ich Sancha María, die gerade ein Gitter vom Boden wegbrach.

»Sancha María, hier steckst du also! Ich wusste gar nicht, dass du so stark bist und Gitter herausreißen kannst.«

»Scherze nicht, Lola Doña Quijota! Folge mir lieber schnell hierein!«

Ich folgte Sancha María durch das Loch im Boden, was durch das Wegbrechen des Gitters entstanden war. Es führte uns, so erschien es mir, in einen Geheimgang, der aber so niedrig war, dass wir kriechen mussten und ich meine Lanze voraus nach vorne strecken musste.

»Keine Sorge, die Dinger sind so eng, da passen die Feinde nicht durch. Ich hoffe nur, wir kommen dort raus, wo wir zuvor auch herausgekommen waren«, sagte Sancha María.

Wir erreichten nach kurzer Zeit wieder ein Gitter im Boden. Sancha María brach das durch und wir konnten nach unten in einen Raum darunter schlüpfen. Dieser Raum war klein und schien eine sehr komische Rüstkammer zu sein, denn überall standen Lanzen herum, an deren Köpfen aber keine Metallspitzen, sondern Helmköpfe waren.

»Eine sehr komische Waffenkammer ist das, Sancha María.«

»Das ist eine Besenkammer und nicht irgendeine Besenkammer, sondern die Besenkammer, über die wir schon mal hereinkamen, und zum Glück habe ich noch den Schlüssel, der hier durch jedes Schloss passt.«

Sancha María griff in ihre Rocktasche und holte einen Draht hervor. Diesen steckte sie in das Schloss der Tür und konnte es so öffnen. Hinter der Tür befand sich ein Gang, in den wir links einbogen:

»Wenn wir hier geradeaus gehen, erreichen wir die Bühne«, erklärte Sancha María. »Als wir von dieser flüchteten, rannten wir einen Korridor direkt geradeaus durch und kamen dabei an dem Raum vorbei, wo du die Heilige Schrift fandst. Daher werden wir sie jetzt auch finden, wenn wir uns an diesen Weg hier halten.«

Kurz darauf erreichten wir mehrere Kammern zu unserer Linken. Doch nirgendwo war der Raum mit der Heiligen Schrift dabei. Dann erreichten wir ein großes Tor, wo »Backstage« draufstand.

»Ist das nicht der Raum, der in den großen Saal der Festung führt?«, fragte ich.

»Ja, Doña Quijota, dahinter war die Bühne, auf der wir standen und dem Konzert zuhörten.«

»Und dann rannten wir, meine ich nach rechts, als wir geflohen waren.«

»Ja klar rannten wir nach rechts«, sagte Sancha María. »Schließlich musste ich dich an deiner rechten Seite hinter mir herziehen. Wir brauchen einen Seiteneingang nach rechts.«

Kaum hatte meine Escudera das gesagt, hörten wir laute Schritte.

»Die Feinde kommen. Schnell, lass uns die Heilige Schrift holen! Ich werde sie in Sicherheit bringen, auch wenn ich gegen die Feinde vorher kämpfen muss.«