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Kerstin Rachfahl

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Beschreibung

Sie sind Spezialisten und kämpfen gegen das Verbrechen in Deutschland und International. Themis eine Sondereinheit aus Polizisten und Soldaten. Die ehrgeizige Natasha wird zum Einstellungstest der Sondereinheit Themis eingeladen. Zum ersten Mal im Leben scheitert sie an einem Sporttest. Zu ihrer größten Überraschung wird sie dennoch Auf Probe eingestellt. Der Mann, der dafür sorgen soll, dass sie beim nächsten Anlauf den Test schafft, ist ausgerechnet der Trainer, der ihr die Vorbereitungswochen zur Hölle machte. Aber Natasha wäre nicht Natasha, wenn sie sich von einem Mann in die Knie zwingen ließe. Das bekommt auch ihr unfreiwilliger Trainer und Partner Peter zu spüren. Doch der hat nicht umsonst von seinen Kameraden den Spitznamen Pit - als Kurzform für Pitbull – erhalten. Das Themis Team schließt Wetten ab. Wer von den Beiden wird am Ende sein Ziel erreichen?

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Auf Probe

Sondereinheit Themis Band 1

Kerstin Rachfahl

Impressum

Deutsche Erstausgabe Mai 2018

Copyright © 2018 Kerstin Rachfahl, Hallenberg

Lektorat, Korrektorat: Martina Takacs

Umschlaggestaltung: neptunian art

Kerstin Rachfahl

Heiligenhaus 21

59969 Hallenberg

E-Mail: [email protected]

Webseite: www.kerstinrachfahl.de

Alle Rechte einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

Das Team und Familie Abel

1. Auf Probe

2. Erwischt

3. Zwinger

4. Akiro

5. Auf dem Abstellgleis

6. Wahlstrom

7. Ein Team

8. Träume

9. Check-up

10. Training

11. Florian

12. Recherche

13. Kollegen

14. Treffer

15. Brain

16. New York

17. Gilbert

18. Beichte

19. Rückflug

20. Jake

21. Abschied

Nachwort

Bücher von Kerstin Rachfahl

Über die Autorin

Für meine Freundin Tina, die es nie müde wird, mit mir über die Psychologie von Hunden zu diskutieren. In ihrer Hundepension mit familiärem Anschluss fühlt sich jeder Vierbeiner pudelwohl.

Das Team und Familie Abel

Generalmajor Karl Hartmann

Ist der Gründer und Chef der Einheit. Er war lange Zeit Polizist und ist dann zum Militär gewechselt.

Oberst Ben Wahlstrom

Ist der Personalverantwortliche der Einheit. Er war schon immer Soldat und ist mit der Fotografin Johanna Rosenbaum, die immer nur Hanna genannt wird, liiert. Er leitet die Einsätze.

Major Tobias Wagner (TJ)

Ist der Länder Analyst der Einheit. Er ist auch Springer, wenn mal einer ausfällt. Auch er leitet Einsätze. Er ist mit Tamara, kurz Tami verheiratet. Sie ist ein IT-Security Consultant und arbeitet ab und an für die Einheit. Aus erster Ehe bringt TJ drei Kinder mit in die Ehe und mit Tami hat er eine Tochter.

Kriminalkommissar Paul Gerlach

Ist der IT Wizard in der Einheit. Eigentlich gehört er zum BKA, doch oft arbeite er exklusiv für Hartmann.

Kriminalhauptkommissarin Natasha Kehlmann

Ist die Verhörspezialistin und Hauptfigur in der Reihe. Früher Wettkampfschwimmerin und Polizistin aus Leidenschaft.

Kriminalhauptkommissar Peter Abel (Pit)

Ist der Leiter des Teams. Er erstellt die Trainingspläne für alle und kennt keine Gnade, wenn es um die Leistungsfähigkeit aller geht. Sein Spitzname kommt von Pitbullterrier, weil er sich gerne in etwas festbeißt.

Odin von Lichtenfels (Smart)

Ist der Diensthund in der Einheit und wird von Pit geführt. Er ist unglaublich klug, weshalb er auch seinen Spitznamen hat. Zusammen mit Pit und Natasha bildet er ein Dreierteam.

Kriminalhauptkommissar Kevin Steuber

Ist der Fahrer des Teams. Er kann alles fahren, egal ob auf Vierrädern, Zweiräder, dem Wasser oder in der Luft. Außerdem kann er auch alles kurzschließen.

Stabsfeldwebel Chris Neumann

Ist der Kommunikationstechniker der Einheit. Seine Aufgabe ist es, den Kontakt zu halten und den Input bei einem Einsatz zu liefern. Er bildet mit Kevin ein Zweierteam.

Kriminalhauptkommissar Mark Becker

Ist der Entschärfer und Spotter (Beobachter für einen Scharfschützen) im Team. Egal um was für Sprengsätze es geht, er weiß, wie er sie deaktiviert. Nur nicht, wenn es um seine Partnerin geht.

Oberleutnant Carolina Herrmann (Caro)

Ist die Scharfschützin im Team. In den ersten drei Monaten bei der Einheit war sie die Partnerin von Pit, dann hat sie zu Mark gewechselt.

Kriminalhauptkommissar Römer

Ist der Forensiker im Team. Er kennt sich mit allen Themen der Forensik aus, ist aber kein Spezialist für ein Teilgebiet. Er beurteilt einen Tatort und zieht daraus Schlüsse oder weiß, was untersucht werden muss.

Kriminalhauptkommissarin Gabriella Santinos

Ist die Fassadenkletterin im Team. Einem Affen gleich, kommt sie überall hoch. Sie bildet ein Team mit Bodo, der einzige, der mit ihrem Temperament und Agilität umgehen kann.

Leutnant Zoe Dübbers

Ist die Nahkampfspezialistin im Team. Eine echte Ninja-Kämpferin, die mit Carolina liiert ist. Sie legt jeden Mann flach, sehr zum Ärger der Männer.

Oberleutnant Ulf Clemens

Ist der Sanitäter im Team. Die tödlichste Waffe und der Lebensretter bilden ein Zweierteam und sind das einzige rein militärische Duo in dem Team.

Familie Abel

Dr. Kain Abel, Mediziner, arbeitete in der Forschung und lehrte, Sportfanatiker, Peters Vater, kommt nur im kostenlosen Zusatzkapitel »Mia« auf meiner Autorenwebsite vor.

Dr. Lydia Abel, Allgemeinärztin, inoffizielles Oberhaupt der Familie, mit dem sich keiner anlegt. Kommt nur im kostenlosen Zusatzkapitel »Mia« auf meiner Autorenwebsite vor.

Yvonne Kramer, Peters älteste Schwester, verheiratet mit Robert, zwei Kinder: Charlotte und Tim.

Die Zwillinge: Dr. Carina Abel, Ärztin der Inneren Medizin, war Stammzellspenderin für ihre Zwillingsschwester, als diese Leukämie hatte, Dr. Cecilia Abel, Psychotherapeutin, auf Gewaltopfer spezialisiert. Zwei Jahre älter als Peter.

Angela Abel, fünf Jahre jünger als Peter und damit das Küken, leitet die Stiftung der Familie.

1

Auf Probe

Kerzengerade saß Natasha auf dem Stuhl, die Knie ein Stück auseinander, die Füße parallel auf dem Boden. Ihre Hände lagen locker auf dem Schoß. Egal was er sagen würde, egal wie vernichtend sein Urteil war, sie würde es mit Fassung tragen. Innerlich kochte sie vor Wut, vor Frustration und Enttäuschung. Sie war es nicht gewohnt zu scheitern, wenn sie sich ein Ziel gesetzt hatte. Sie würde einen Teufel tun und sich das vor ihm anmerken lassen.

Sie hatte keine Ahnung, weshalb er sie zu sich zitiert hatte, nachdem sie gestern durch den Leistungstest gefallen war. Als ob sie nicht selbst wüsste, dass sie auf ganzer Linie versagt hatte. Sie unterdrückte die Gedanken und hielt die Augen offen, aus Angst, dass sie anfangen würde zu heulen. Das war die allerletzte Blöße, die sie sich vor diesem Mann geben wollte.

In seiner höflichen, stillen Art hatte er sie ins Büro gebeten, auf den Stuhl vor seinem schlichten Schreibtisch gedeutet und sich auf den Bürostuhl gesetzt. Der Besucherstuhl war hart und unbequem. Bewusst. Eine Taktik. Der Schreibtisch bestand aus einer schlichten weißen Platte auf vier Metallbeinen mit rundem Querschnitt. Ein Laptop und ihre Personalakte lagen auf dem Tisch. Nichts im Raum deutete auf den militärischen Rang des Mannes hin. Sie hatte ihn in voller Uniform gesehen, doch heute trug er Zivil – Anzug, Hemd, aber keine Krawatte. Er blätterte in der Akte, sah dann wieder mit gerunzelter Stirn auf den Bildschirm des Laptops. Worauf wartete er? Dass sie eine Frage stellte? Dass sie wieder aufstand? Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, einer Viertelstunde. Nichts war zu hören, außer dem Klicken der Taste, wenn er weiterblätterte.

Die Wände des Raums waren komplett in Cremeweiß gehalten. Der Boden bestand aus Linoleum, das wie der lasierte Holzfußboden einer skandinavischen Hütte aussah. Die großen Fenster ließen viel Licht herein. An den Wänden ausdrucksstarke Fotografien von Landschaften, Menschen, Tieren, dem Leben. Fast meinte sie, die Wellen zu hören, die an den Steg schlugen, das Salz in der Luft zu riechen. Sie liebte das Wasser, das Meer, die Stille, wenn sie tauchte und die Welt um sich herum mit all ihren Problemen vergessen konnte. Manchmal hatte sie sich gewünscht, nie wieder daraus aufzutauchen.

»Kriminalhauptkommissarin Kehlmann?«

Herausgerissen aus ihren Gedanken zuckte sie zusammen.

»Generalmajor Hartmann?«

Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und betrachtete sie mit nachdenklich gerunzelter Stirn. »Was machen wir mit Ihnen?«

Sie schwieg, hielt seinem Blick stand.

Er seufzte, beugte sich nach vorn, legte die Unterarme auf die Tischplatte. »Sie wissen, dass Sie beim Leistungstest durchgefallen sind, wenn auch knapp.«

»Beim Hindernisparcours – ja, wegen des Seils.«

Kurz zuckte es um seine Mundwinkel, doch sie war nicht sicher, ob sie nicht einer Täuschung unterlag.

»Beim Sprint erreichten Sie exakt die als Minimum geforderte Zeit.«

»Was bedeutet, dass ich bestanden habe.«

»Beim Schnellschießen war Ihre Reaktionszeit hart an der Grenze.«

»Dafür traf ich das Ziel.«

»Die Bruchteile von Sekunden, die Sie eher reagieren, können in einer kritischen Situation überlebenswichtig sein.«

Sie schwieg. Was sollte sie darauf auch antworten? Sie musste allein mit dem fertig werden, was geschehen war.

»Wie oft haben Sie versucht, das Seil hochzuklettern?«

Er wusste es doch genau. Was wollte er von ihr? Dass sie sich noch mehr als Versagerin fühlte? Gottverdammt, sie hatte sich nicht für diesen Scheißtest beworben! Sie hatte sich für ein Sonderkommando beworben, und man hatte sie zu dem Bewerbungsverfahren für diese Abteilung eingeladen. Niemand hatte ihr sagen können, was von ihr erwartet wurde. Über den physischen Test hinaus waren die Kandidaten in den letzten drei Monaten auch an ihre psychischen Belastungsgrenzen gebracht worden. Sie war sich sicher, dass sie diesen Part herausragend bewältigt hatte. Es kratzte gewaltig an ihrem Selbstwertgefühl, dass sie schließlich an dem dämlichen Seil gescheitert war. Immerhin hatte sie beim gesamten Training je nach Disziplin entweder auf Platz eins, zwei oder drei gestanden. Sie war eine verdammt gute Polizistin, war körperlich fit und psychisch stabil. Sie würde sich jetzt nicht von ihm verunsichern lassen. Irgendein Sonderkommando würde sie schon nehmen.

»Drei Mal.«

»Warum haben Sie es kein viertes Mal versucht?«

»Weil man es mir nicht erlaubte.«

»Wie oft hätten Sie es noch versucht?«

Sie schwieg. Mit Sicherheit wusste er die Antwort. Bis ihre Kräfte nicht mehr gereicht hätten, um auch nur den ersten Meter zu schaffen. Verflucht, sie hatte in dem dreimonatigen Vorbereitungstraining das Seil geschafft, nur war es da im Hindernisparcours relativ weit vorn drangekommen. Beim Leistungstest war es dann das letzte Hindernis gewesen. Das Zeitlimit war nach dem dritten Versuch abgelaufen gewesen. Sie wollte es nur sich selbst beweisen, nach all der Schinderei, dass sie es hätte schaffen können. Keiner der übrig gebliebenen zehn von 37 Teilnehmern hatte am Ende beide Tests – den Leistungstest und den psychologischen Test – bestanden. Nicht, dass es sie tröstete. Sie hätte es schaffen können, wären nicht das Wandhochklettern, das Hangeln und das Hochklettern am Seil direkt hintereinander drangekommen. Der Parcours war in ihren Augen bewusst so gestaltet worden, damit sie es nicht schaffte und Lucas, der Favorit des Trainers, sie schlagen würde. Dumm für ihn, dass er durch den psychologischen Test geknallt war.

Hartmann nahm sein Smartphone, das neben ihrer Personalakte gelegen hatte, und wählte eine Nummer.

»Kriminalhauptkommissar Abel, kommen Sie in mein Büro. – Nein, jetzt sofort. – Das ist mir egal.«

Er legte auf, sah sie weiter an, während sie gemeinsam warteten. Abel, ging es ihr durch den Kopf. Scheiße, ausgerechnet das Arschloch von Trainer. Er hatte das dreimonatige Vorbereitungstraining geleitet. Der Drill hatte ihr nichts ausgemacht. Von ihr aus konnte er sie anbrüllen und verbal unter Druck setzen, so viel er wollte. Mindestens einmal pro Tag hatte er ihr das Aufgeben schmackhaft gemacht. Sie hatte ihn einfach ignoriert. Doch bei vielen anderen war er erfolgreich gewesen, und mit jeder Kandidatin und jedem Kandidaten, die aufgaben, war ihre Wut auf ihn gestiegen und ihr Wille, es ihm zu zeigen, ebenfalls. In den letzten Wochen hatte sie mehr am Boden zerstörte Menschen wieder psychisch hochgepäppelt als in ihrem gesamten Bachelor- und Master-Studiengang zusammen. Sie war die einzige Frau von allen Anwärtern, die es in den Abschlusstest geschafft hatte. Abel war derjenige gewesen, der sie im Leistungstest beim dritten Anlauf gepackt und vom Seil weggezerrt hatte, nachdem er sie angebrüllt hatte, es endlich zu lassen. Es hatte ein kurzes Handgemenge zwischen ihnen gegeben, bis sie das Seil losließ. Nichts, worauf sie stolz war. Es war einfach zu viel Adrenalin in ihrem Blut gewesen.

»Gib auf, du bist raus!«

Sie hatte sich aus seinem Griff befreit. »Wenn ich etwas anfange, dann beende ich es auch.«

Damit hatte sie sich umgedreht und war die zehn Meter über die Ziellinie gesprintet. Sie war froh gewesen, dass der Regen die Tränen, die ihr übers Gesicht liefen, tarnte.

In Jeans, schwarzem T-Shirt und Turnschuhen trat er ins Büro und ignorierte sie geflissentlich. Die Arme verschränkt baute er sich neben ihr vor dem Schreibtisch seines Vorgesetzten auf. Sie schwor sich: Wenn er es auch nur wagte, zu grinsen oder irgendeine abfällige Bemerkung zu machen, würde er diesmal Kontra bekommen, und nicht zu knapp.

»Es ist nicht mein Problem, dass alle Anwärter durchgefallen sind. Ich habe sie vorbereitet wie alle anderen Gruppen. Überlassen Sie das nächste Mal wieder Oberst Wahlstrom die Auswahl der Kandidaten. Er hat ein Händchen dafür.«

Sie hielt die Luft an. Hartmann ignorierte die provozierende Anmerkung seines Mitarbeiters.

»Sie erinnern sich an Kriminalhauptkommissarin Kehlmann?«

Er warf ihr noch nicht einmal einen Blick zu. Dieser arrogante, selbstherrliche, beschissene, masochistische Saftsack. Zwei Stunden allein in einem Zimmer mit ihm, und sie würde ihm zeigen, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden verbal fertigmachte. Ja, das wäre die richtige Strafe für ihn. Erika hatte geheult wie ein Schlosshund, als er mit ihr fertig war. Dabei war sie nach ihr die körperlich Fitteste von ihnen gewesen.

»Die Loserin an den Seilen. Die auf den letzten Metern versagt hat und nicht akzeptieren wollte, dass sie durchgefallen ist.«

»Sie haben exakt zwei Monate und siebzehn Tage Zeit – bis zu unserem Quartalstest.«

Die verschränkten Arme fielen hinunter. »Das ist ein schlechter Scherz.«

»Wann habe ich zuletzt einen Scherz gemacht?«

»Weshalb machen wir den verfluchten Einstellungstest, wenn wir ihn nicht als Maßstab für das Team nehmen?«

»Nun, nach dem, was ich hier vorliegen habe, tun wir das.«

Zum ersten Mal warf ihr Abel einen raschen Blick zu. »Weshalb wollen Sie ausgerechnet bei ihr eine Ausnahme machen?«

»Ich denke, wir beide wissen wieso. Aber ich mache gar keine Ausnahme. Sie werden dafür sorgen, dass sie beim Quartalstest die geforderte Leistung zeigt.«

»Und wenn ich mich weigere?«

Es entstand eine Pause, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

»Kriminalhauptkommissarin Kehlmann, wären Sie so gut und würden einen Moment draußen warten?«

Wie in Trance erhob sich Natasha, verließ den Raum und schloss die Tür leise hinter sich. Sie ging auf die andere Seite des Flurs, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ sich hinuntergleiten. Hatte sie das eben richtig verstanden? Sie bekam eine zweite Chance? Ein Grinsen machte sich in ihrem Gesicht breit. Generalmajor Hartmann hatte kapiert, dass Abel versucht hatte sie rauszukicken, anders konnte sie es sich nicht erklären.

»Setzen Sie sich, Abel.«

»Einen Teufel werde ich tun. Was soll das? Wenn wir so dringend neue Leute brauchen, dann nehmen wir Lucas. Der hat den Parcours unter dem gesetzten Zeitlimit geschafft.«

»Sie vergessen den psychologischen Test, den er, wenn auch nur knapp, nicht bestanden hat. Abgesehen davon hat er nicht das, was sie hat.«

»Scheiße, und was soll das sein?«

Sein Chef warf ihm die Akte zu. Er fing sie geschickt auf, machte sich erst gar nicht die Mühe, sie durchzublättern, sondern schlug direkt das Blatt am Ende auf, wo Hartmann immer seine Vermerke machte. Er las, runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen zusammen. Schließlich warf er die Akte auf den Tisch zurück.

»Okay, ich gebe zu, es ist beeindruckend.«

»Beeindruckend? Das ist eine Quote von 93 Prozent. Drei – und – neun – zig.«

»Mag ja sein, aber unsere Fälle sind andere. Wir sitzen nun mal nicht nur am Schreibtisch und setzen die Puzzelteilchen zusammen. Im Einsatz bestimmt das schwächste Glied der Kette am Ende über den Ausgang, und es gibt verflucht noch mal einen Scheißgrund, weshalb wir die Werte beim Leistungstest gesetzt haben. Mein GSG-9-Ausbilder würde sich kaputtlachen über die Anforderungen, die wir bei Themis stellen.«

»Es reicht, Abel. Passen Sie gefälligst auf Ihre Sprache auf. Bei uns kommt es eben nicht nur auf die körperliche Leistungsfähigkeit an. Ich habe die Einheit bewusst mit Männern, Frauen und Hunden aufgebaut. Okay, nur einem Hund momentan.«

»Weshalb ich nicht verstehe, dass Sie ausgerechnet für sie eine Ausnahme machen wollen.«

»Weil Sie den Parcours bewusst so aufgebaut haben, dass sie durchrasselt. Drei Hindernisse, die die Oberkörpermuskulatur fordern, hintereinander? Für wie dumm halten Sie mich? Dachten Sie, ich würde das nicht durchschauen?«

Peter wusste, wann es besser war, zu schweigen. Lucas wäre seiner Ansicht nach die bessere Wahl gewesen. Nicht, dass er etwas gegen eine Partnerin gehabt hätte. Aber Kehlmann, die war ihm vom ersten Tag an ein Dorn im Auge gewesen.

»Kriminalhauptkommissar Abel, wie viele Partner hatten Sie in diesem Jahr?«

Eine Weile starrten sich beide lediglich an.

Er wusste nicht recht, worauf sein Chef hinauswollte. Es passierte ihm selten, dass er eine Situation nicht einschätzen konnte. Bisher hatte ihm der Generalmajor viel Leine gelassen, weil er verdammt noch mal der Beste in der ganzen Einheit war. Doch er befürchtete, dass er gerade das Ende dieser Leine erreicht hatte.

»Drei.«

»Richtig, drei. Einer hat den Dienst quittiert, einer bekam eine Kugel ab, die ihn dienstuntauglich machte, und die dritte hat die Chance wahrgenommen, ihren Partner zu wechseln, kaum dass sich ihr die Gelegenheit bot.«

Es tat ihm noch immer weh, dass ihn Carolina im Stich gelassen hatte. Sie war die ideale Partnerin für ihn gewesen. Dabei hatte er sie doch mit Samthandschuhen angefasst, weil er wusste, dass er mit einer Partnerin besser zurechtkam als mit einem Mann. Es war nicht seine Schuld gewesen, dass Manfred den Dienst quittiert hatte.

Niemandem war am Anfang klar gewesen, worauf man sich bei dem Job einließ. Die körperliche Herausforderung war eine Sache, aber die psychische etwas vollkommen anderes. Egal wie sehr man sich im Vorfeld darauf vorbereitete – erst die Realität zeigte einem, ob man damit zurechtkam. Und Sean? Den hatte eine Kugel erwischt. Nicht allzu schlimm, aber blöd nur, dass es sein Schultergelenk getroffen hatte. Es kickte ihn aus dem Team, weil er nicht mehr die geforderte körperliche Leistung erbringen konnte. Ab und an trafen sie sich auf ein Bier in ihrer Stammkneipe.

»Ihre Aufgabe ist ganz simpel, Abel. Entweder Sie schaffen es, dass Kriminalhauptkommissarin Kehlmann den Leistungstest besteht, oder Sie fliegen mit ihr aus dieser Einheit. Je schneller Sie sie fit bekommen, desto eher sind Sie wieder im Einsatz.«

»Das ist nicht Ihr Ernst.«

»Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt. Es ist mein voller Ernst. Wenn es Ihnen nicht passt, steht es Ihnen selbstverständlich frei, den Dienst zu quittieren.«

Für den Bruchteil einer Sekunde war Peter genau dazu bereit. Er atmete tief durch, erhob sich und rauschte aus dem Büro. Statt die Tür zuzuknallen, was er am liebsten getan hätte, schloss er sie bewusst lautlos. Da – er hatte seine Emotionen vollkommen unter Kontrolle, im Gegensatz zu dieser Frau, die ihm bei der Seilübung an die Gurgel gegangen war. Dabei hatte er ihr lediglich gesagt, was für jeden offensichtlich gewesen war, nämlich dass sie gescheitert war.

Hartmann atmete vorsichtig aus, als sich seine Bürotür geschlossen hatte. Er ärgerte sich maßlos, dass er sich zu diesem Satz hatte hinreißen lassen. Nicht nur hatte er riskiert, seinen besten Mann zu verlieren, er hatte die junge Frau auch noch in eine unmögliche Situation gebracht. Er konnte nur hoffen, dass er sie richtig einschätzte und sie ein überaus hartnäckiger Mensch war und genug Mumm in den Knochen hatte, um bei Abel gegenzuhalten. Immerhin hatte sie während der Vorbereitung mehr als einmal gezeigt, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern ließ.

Ansonsten musste er sich Gedanken machen, wenn es so weit war. Am besten würde er dann Wahlstrom vorschieben.

2

Erwischt

Natashas Grinsen gefror, als sie zu dem Mann hochsah, der sich mit verschränkten Armen vor ihr aufbaute und auf sie herabsah. Es war nicht so sehr die Haltung, die ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagte: bewusst einschüchternd, die Füße ein Stück weit auseinander, den Kopf leicht nach vorn gereckt, die breiten Schultern und der starke Rücken, der sich zur Hüfte hin nur eine Spur verjüngte. Eine aufrechte Wand. Es waren vielmehr seine Augen, die ihr die Haare zu Berge stehen ließen. In der Farbe von dunklen Gewitterwolken sahen sie sie an, als würden sie jeden Moment Blitze auf sie herabschicken.

Sie erhob sich vom Boden.

Stehend war sie nur noch wenig kleiner als er. Um den Augenkontakt halten zu können, war sie gezwungen, den Kopf leicht zu heben. Eine Weile starrten sie sich einfach nur an. Die Feindseligkeit quoll aus jeder Pore seines Körpers. Gut, etwas anderes hatte sie nicht erwartet – immerhin eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen. Generalmajor Karl Hartmann wollte sie haben, und sie würde sich die Chance nicht entgehen lassen, Teil dieser Einheit zu werden. Wenn es sein musste, auch über seine Leiche.

Der Starrwettbewerb hielt an. Sie war gut darin, doch sie wusste, dass es etwas gab, worin sie weit besser war. Sie musste bewusst ihre Gesichtsmuskeln entspannen. Sie legte den Kopf leicht seitlich und lächelte ihn schräg an.

»Es tut mir leid, dass der Generalmajor Ihnen meinetwegen die Pistole auf die Brust setzt, aber wir können unsere erzwungene Zusammenarbeit rasch abkürzen. Machen Sie mir einen Trainingsplan für den Quartalstest, und Sie sind mich los.«

»Einen Scheißdreck werde ich.«

»Sie sind wütend, das kann ich nachvollziehen. Ich bin durch den Leistungstest gefallen, und die Regeln waren klar. Was halten Sie von einem Deal?«

Zum ersten Mal veränderte sich seine Haltung minimal. »Ein Deal?«

Sie standen Nase an Nase. Er roch nach Salz und einem Hauch von Minze. Wie ärgerlich, sie liebte den Geruch dieses minzigen Duschgels, das sie selbst so gern benutzte, weil es nach dem Sport ein kühles, frisches Gefühl auf der Haut hinterließ. Seine Haare waren voll und dicht und erinnerten sie an die Schale von Haselnüssen. Hellere Brauntöne gepaart mit dunklen, beinah schwarzen Strähnen. Seine Nase war groß und prägnant und passte gut zu seiner gröberen, kantigen Form. Im Kontrast dazu standen seine Lippen, die erstaunlich weich geschwungen und voll waren. Seine Nähe, seine Körperhaltung verursachten ihr ein Gefühl von bedrohlicher Enge, der sie sich nur allzu gern entzogen hätte. Dummerweise stand sie mit dem Rücken zur Wand, und die einzige Möglichkeit, Distanz zwischen ihn und sie zu bringen, wäre gewesen, seitlich an ihm vorbei in den Flur zu treten. Keine Option, sonst glaubte er noch, dass er sie einschüchterte.

»Ein Deal«, wiederholte sie. »Vier Wochen, dann erbringe ich die Leistung, und Sie akzeptieren mich im Team.«

»Und wenn nicht?«

»Geh ich zum Generalmajor und sage ihm, dass ich aufgebe.«

Jetzt lichtete sich das Dunkelgrau seiner Iris. Seine Haltung änderte sich kein bisschen.

»Vier Wochen? Warum sollte ich mich vier Wochen mit Ihnen rumschlagen, wenn ich Sie auch in einer Woche wieder loswerden kann?«

Natasha wusste, dass sie ihn am Haken hatte, und der strahlende Blick, den sie ihm schenkte, kam aus tiefstem Herzen. »Von mir aus. Doch sollte es nicht klappen, steht der Deal mit vier Wochen, in denen Sie mich voll unterstützen.«

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich seine Gesichtsmuskeln entspannten und sich die verschränkten Arme voneinander lösten.

»Einverstanden. Ich gebe dir keine Woche, und ich schwöre dir, du wirst jede Minute davon bereuen.«

Er drehte ihr den Rücken zu und ging los. Sie hatte keine Ahnung, ob sie ihm nachlaufen sollte oder nicht.

»Das werden wir ja sehen, mein Lieber, wer es am Ende bereut«, murmelte sie vor sich hin und beeilte sich, ihm zu folgen.

Sie bekam eine Tour durch das Gebäude, das direkt neben der BKA-Zentrale in Berlin stand. Von außen war es ein schlichter Betonklotz, eines dieser modernen architektonischen Gebilde mit symmetrischen Linien. Das Innere war seinem schlichten Äußeren angepasst.

Im Erdgeschoss lag das Schwimmbad mit fünf parallelen Bahnen von 25 Metern Länge. Als sie ankamen, trat gerade eine attraktive Frau mit blonder Mähne im Badeanzug an einen Block. Ihre Beine schienen unendlich. Sie schüttelte den Kopf, packte ihre Haare, schlang sie zu einem Knoten und steckte sie unter eine Badekappe. Mit einem verführerischen Grinsen warf sie ihnen eine Kusshand zu und sprang ins Wasser. Gern hätte Natasha der Frau beim Schwimmen zugeschaut, doch Abel eilte weiter.

Es gab insgesamt fünf verschiedene Trainingsräume. Einer war mit Geräten zum Krafttraining ausgestattet, einer mit Ausdauergeräten, einer war vollkommen leer, dafür mit einem weichen, federnden Boden ausgelegt, und ein weiterer mit den Hindernissen aus dem Parcours. Der Letzte enthielt eine Raumschießanlage vom Feinsten.

Ab und an trafen sie auf einen Mann oder eine Frau aus der Einheit. Deren Gesichtsausdrücke spiegelten immer kurz Überraschung, die dann in Ablehnung wechselte. Jeder schien zu wissen, dass keiner der Anwärter den Test bestanden hatte. Super. Das hieß, dass sie das ganze Team überzeugen musste.

In der ersten Etage lagen die Büroräume. Jeder Raum war funktional mit modernster Technik ausgestattet, die Schreibtische alle wie im Büro des Generalmajors – weiße Platten, metallene Füße, wenig Papier, dafür zwei Monitore auf jedem Tisch.

Im zweiten Stock lagen große Besprechungsräume, eine Küche, mehrere Aufenthaltsräume, einer davon mit Fernseher, verschiedenen Spielkonsolen, einem Billardtisch und einem Kicker. Des Weiteren gab es zwei Räume mit Betten.

Sie kehrten zurück in den ersten Stock, gingen auf einen der Büroräume zu. Abel öffnete die Tür und machte spöttisch eine einladende Geste. Sie folgte der Aufforderung und erstarrte zur Salzsäule. Ein freudig winselnder Deutscher Schäferhund zögerte nur kurz, schoss an ihr vorbei und stürzte auf Abel zu.

Er hob die Hand. »Smart, sit!«

Sofort gehorchte der Hund, leckte sich mit der Zunge über die Lefzen, die Ohren gespitzt, die Augen auf Abel gerichtet. Der Schwanz ging wild hin und her, stockte dann. Als der Hund anfing zu hecheln, bekam Natasha Einblick in ein beängstigendes Gebiss mit scharfen Reißzähnen.

Abel ging in die Hocke, und der Hund bekam nicht nur eine ausgiebige Krauleinheit, sondern auch einen Fluss von schmeichelnden, liebevollen Worten ins Ohr geflüstert.

Interessant.

»Lay down.«

Brav trottete der Hund in ein Körbchen, das hinter dem linken Schreibtisch in der Ecke stand. Kaum lag er dort, fixierte der Hund den Blick auf sie.

Natasha blieb, wo sie war, rührte sich nicht, unsicher, wie der Hund mit ihrer Anwesenheit umgehen würde. Abel kam an ihre Seite, musterte sie ein paar Atemzüge lang. Sie atmete bewusst und versuchte, sich zu entspannen.

Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Du kennst dich mit Hunden aus.«

»Klar, natürlich«, gab sie hastig zurück.

Es war eine der Fragen auf dem Bewerbungsbogen gewesen. Sie hatte eine Weile überlegt, wie sie antworten sollte, und dann schlicht und ergreifend gelogen. Immerhin, welche Rolle spielte es, ob sie Erfahrung mit Hunden hatte oder nicht? Nur bei der Antwort, ob sie jemals selbst einen Hund besessen hatte, antwortete sie wahrheitsgemäß mit Nein. Der Riesenschnauzer ihrer Nachbarn war ihr lebhaft in Erinnerung. Er hatte ihr in ihrer Kindheit eine Heidenangst eingejagt. Aber danach hatte schließlich niemand gefragt.

»Smart hat heute erst seinen Dienst angetreten. Er ist noch grün hinter den Ohren und ziemlich verspielt. Du kannst das Knotenseil aus seinem Korb nehmen und es ihm werfen.«

Natasha betrachtete den Hund, dann das bunte, geflochtene Seil, das mit den dicken Knoten an den Enden einem Knochen ähnelte, angesabbert und mit abstehenden Fäden durch das viele Kauen. Der Kopf des Hundes ruhte darauf.

Sie schluckte trocken. Unter den wachsamen Augen des Hundes und seines Herrchens ging sie langsam auf den Korb zu. Sie hockte sich hin, wie sie es bei einem Kind gemacht hätte, um Freundschaft zu schließen. Das Fell im Nacken des Hundes sträubte sich. Seine Lefzen zuckten, und er fixierte sie mit seinem Blick.

Ihr brach der Schweiß auf dem Rücken aus.

»Braves Hundchen«, versuchte sie es halbherzig und streckte die Hand aus, in der Absicht, das Spielzeug unter seinem Kopf fortzuziehen.

Sie verdankte es nur ihrer topp Reaktionsfähigkeit, dass sie es noch schaffte, die Hand wegzuziehen, bevor die Fänge des Hundes sich darum schließen konnten. Im Bruchteil einer Sekunde wurde aus dem Hund eine Bestie, die sie mit einem Sprung aus dem Liegen auf den Boden warf, die Fänge dicht über ihrem Hals. Sie roch seinen stinkenden Atem, spürte Sabber auf ihre Haut tropfen und wagte es nicht, sich zu rühren.

»Smart. Let go.«

Ein tiefes Grollen kam aus der Brust des Tieres.

»Smart!« Diesmal kam der Befehl schärfer. »Let go!«

Der Hund hob den Kopf, ohne sie aus den Augen zu lassen.

»Sit.«

Brav setzte er sich.

»Fine.«

Etwas flog durch die Luft, das der Hund geschickt auffing.

»Lay down.«

Smart kehrte in sein Körbchen zurück, drehte sich ein paarmal im Kreis, bevor er sich wieder niederließ, den Kopf auf dem Spielzeug ablegend.

Noch immer wagte Natasha nicht, sich zu bewegen. Der Schock saß tief. Ihr Gehirn weigerte sich, ihrem Körper irgendwelche Befehle zu geben. Bewusst konzentrierte sie sich auf ihre Atmung und hätte sich gleichzeitig ohrfeigen können. Es war eine Falle gewesen. Ein Test. Und sie war erneut durchgefallen.

Langsam spannte sie die Bauchmuskeln an und kam in eine Sitzposition. Nur um sich ein weiteres Mal mit Peter Abel Nase an Nase zu finden, der vor ihr hockte, schwarze Sturmwolken in den Augen, die Stimme ein gefährlich leises Wispern, als brauchte er all seine Kraftanstrengung, um sie nicht auch körperlich zu attackieren.

»Wag es nie wieder, mich zu belügen. Hast du mich verstanden?«

Sie schluckte trocken.

»Hast du mich verstanden?«, wiederholte er.

Sie nickte stumm.

»Ich will es aus deinem Mund hören.«

»Verstanden«, brachte sie mühsam hervor.

»Oh nein, das reicht mir nicht. Sag: Ich werde dich nie wieder belügen, das schwöre ich bei allem, was mir wert und heilig ist.«

Sie sah ihn perplex an, um festzustellen, ob er sich einen Scherz mit ihr erlaubte. Doch es schien sein bitterer Ernst zu sein.

»Findest du das nicht ein wenig ...« Sie brach ab. Hatte er da gerade geknurrt oder der Hund?

»Okay. Ich werde dich nie wieder belügen, das schwöre ich bei allem, was mir wert und heilig ist.«

Seine Haltung entspannte sich ein wenig. Er stand auf. Auch sie erhob sich.

»Muss ich mir jetzt noch in den Finger schneiden und ein paar Blutstropfen herausquetschen?«

Er warf ihr ein Multifunktionstaschenmesser zu, das sie sicher auffing.

»Das war ein Scherz, um die Stimmung ein wenig aufzulockern«, erklärte sie. »Ich gehöre nicht zu den Pfadfindern oder irgendeinem Geheimbund.«

»Du willst ein Teil unserer Einheit werden.« Seine Mimik blieb unergründlich.

Sie warf ihm das Messer zurück. »Noch bin ich es nicht.«

Obwohl er sein Augenmerk auf alle ihre Schwächen konzentrierte, kam er nicht umhin, ihre Widerstandskraft zu bewundern.

Sie saß neben ihm auf dem Beifahrersitz seines Dienstfahrzeugs. Ein Golf Kombi, allerdings mit reichlich PS unter der Haube.

Sie hatte sich weder von Smart noch von ihm einschüchtern lassen, obwohl er stinksauer auf sie war. Zwar war Smart frisch in der Einheit, aber es war von Anfang an klar gewesen, dass Hunde dazugehören würden – der einzige Grund, weshalb er von der GSG 9 zu der neuen Sondereinheit gewechselt war, die sie intern mit »Themis« bezeichneten. Deshalb gab es auf dem Bewerbungsbogen die Frage zum Umgang mit Hunden, und er hatte schon lange darauf hingewiesen, dass diese wesentlich spezifischer gestellt und die Hunde in den Test mit einbezogen werden mussten. Nur hatte es bis dato eben noch keinen Hund gegeben. Er warf Natasha einen raschen Seitenblick zu.

Ihren Kopf auf die Hand gestützt, den Ellenbogen auf den Türrahmen, starrte sie aus dem Seitenfenster. Sie hatte keine Frage gestellt, als er sie aufgefordert hatte, mitzukommen. Allerdings war ihm schon im Training aufgefallen, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die viel redeten. Dennoch wirkte sie geknickt. Vielleicht genügten sogar drei Tage, um sie loszuwerden.

Er hielt vor einem flachen Gebäude, neben dem ein Wohnhaus stand und an das sich ein riesiges, mit einem Maschendrahtzaun komplett eingezäuntes Freigelände anschloss. Es war eines der vielen ehemaligen Militärgelände, die Malte für einen Apfel und ein Ei gekauft hatte.

Malte war für seine Hunde bekannt, die überall auf der Welt im Einsatz waren. Eine neue Sparte, die er zur Zeit aufbaute, war der Schutzhund für Familien. Das stellte besondere Herausforderungen an den Charakter des Tieres, da es sowohl mit Kindern zurechtkommen als auch im Zweifel einen Täter angreifen musste.

Die leer stehenden Gebäude, Fahrzeuge, verfallenes Gemäuer, dichtes Gebüsch, ein Wäldchen, durch das ein Bach floss, ein See und eine Sandgrube bildeten die perfekte Trainingsumgebung für die Ausbildung der Hunde. Malte bot ein breites Spektrum von Dienstleistungen an. Dazu zählte neben der Hundeausbildung auch die Ausbildung der Hundeführer zusammen mit ihrem Hund, die Korrektur von Problemhunden sowie die Ausbildung von Junghunden aus dem Bestand der Behörden.

»Wir sind da.«

Natasha warf dem Mann auf der Fahrerseite einen spöttischen Blick zu, verkniff sich aber eine Bemerkung. Immerhin war es offensichtlich gewesen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, nachdem er das Fahrzeug vor dem Zaun geparkt und den Motor abgestellt hatte. Sie stieg aus. Smart klebte am Bein seines Herrchens, kaum dass er aus der Transportbox hinten im Kofferraum gelassen wurde. Seine Augen schienen beständig auf Peter Abel gerichtet zu sein. Obwohl sie seit dem Vorfall im Büro tunlichst Distanz zu dem Tier wahrte, konnte sie sich der Faszination, mit der der Hund Peter vergötterte, nicht entziehen. Ihr Herz zog sich sehnsüchtig zusammen, ohne dass sie verstand weshalb.

Peter betätigte die Klingel am Tor. Eine von Maltes Angestellten kam aus dem flachen Gebäude zum Tor und öffnete es. Das Mädel war neu. Er schaltete seinen Charme ein. Hunde waren wirklich ein nicht zu unterschätzendes Asset, wenn es darum ging, Frauen aufzureißen.

»Hi, ich bin Marina, was kann ich für euch tun?«

»Ich möchte zu Malte. Ist er da?«

»Habt ihr einen Termin?«

»Brauch ich einen?«

»Was für ein schöner Hund, ist das einer aus Maltes Zucht? Wie heißt er denn?«

Marina ging in die Hocke und hielt Smart eine Hand hin. Der Hund rührte sich nicht.

»Be friendly, Smart.«

Langsam schob Smart die Schnauze vor, schnüffelte an der dargereichten Hand. Der Schwanz pendelte langsam hin und her.

»Hat Malte ihn ausgebildet?«

»Nein, ich.«

Wie erwartet bekam er einen bewundernden Blick aus ihren karamellfarbenen Augen und wusste, dass er heute Nacht nicht allein im Bett liegen müsste, wenn er es darauf anlegte. Durchaus einen Gedanken wert, nach den letzten Wochen mit den Anwärtern und dem heutigen Tag.

»Unter meiner Anleitung.«

Natasha wandte den Blick von dem Trio ab, bei dem zwischen den Menschen unverkennbar sexuelle Schwingungen zu bemerken waren. Die Stimme gehörte einem hochgewachsenen, sportlichen Typen in kakifarbener Cargohose und dunkelbraunem T-Shirt, der hinter der Frau aus dem Gebäude getreten war. Dunkelblonde, lockige Haare, die ihm bis in den Nacken reichten, waren hinten durch das Band der Kappe gezogen.

Kurz musterte der Mann sie aus veilchenblauen Augen und reichte ihr die Hand. Sein Gesicht war wettergegerbt. Sie schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Der Druck seiner Hand war fest, die raue, schwielige Haut zeugte davon, dass er viel mit den Händen arbeitete.

»Malte Balthaus.«

»Natasha Kehlmann.«

Sie lächelte ihn an, worauf er nicht reagierte, stattdessen wanderte sein Blick weiter zu Smart, der jetzt schneller mit dem Schwanz wedelte, jedoch weiterhin wie festgeklebt am Bein seines Herrchens saß, und zuletzt zu Peter.

»Ich wusste nicht, dass du heute zum Training kommen wolltest. Marina, kümmer dich bitte um Alina und sieh zu, dass sie genug Stroh hat, damit sie sich wohlfühlt. Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis sie wirft. Schau auch nach, ob sie genug Wasser hat, und gib ihr noch was von dem Futter, das ich für sie vorbereitet habe. Denk daran, nur eine kleine Portion.«

»Klar doch, mach ich. – Jetzt kenne ich den Namen deines Hundes, aber deinen nicht«, schickte sie hinterher und grinste Peter an.

»Peter, aber meine Freunde nennen mich Pit.«

»Man sieht sich, Pit.« Sie blinzelte ihm zu.

Nein, er würde heute Abend nicht allein schlafen. Sein Blick blieb auf ihrem vielversprechenden, knackigen Hintern in der engen Jeans hängen. Auch das eng anliegende T-Shirt, das ihr nur gerade so über den Busen reichte, ließ keinen Raum für Fantasie. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.

»Vergiss es, Freundchen, Marina ist Sperrgebiet, capisce?«

Er wartete, bis sie um die Ecke gebogen war, bevor er sich Malte zuwandte. »Nur weil du verheiratet bist, heißt das nicht, dass wir alle in Abstinenz leben müssen.«

»Sie ist die Tochter einer Freundin meiner Frau. Wenn du mit ihr rummachst, bekomme ich Ärger von zwei Seiten. Darauf hab ich keinen Bock.«

»Ich denke, sie kann selbst entscheiden, was sie will oder nicht. Immerhin ist sie volljährig.«

»Ist mir scheißegal. Ich habe jedenfalls keine Lust, mir ständig neues Personal zu suchen, weil du deinen Schwanz nicht bei dir behalten kannst.«

»Pah! Als ob ich schon jemals mit einer deiner Angestellten rumgemacht hätte. Das tun nur deine Ami-Freunde. Stell Männer ein, dann hast du das Problem nicht.«

Er machte Anstalten, an Malte vorbei das Gelände zu betreten. Doch der versperrte ihm den Weg. »Du hast keinen Termin.«

»Ich brauche deine Hilfe.«

»Wofür?«

Über seine Schulter hinweg deutete er mit dem Daumen auf Natasha. »Für die da.«

»Weshalb? Geht sie auf deine charmanten Offerten nicht ein?«

»Nein, sie ist auf …«

»Eine Kollegin«, kam ihm Natasha zuvor. »Ich denke, es geht um Ihre Sachkompetenz betreffend Hunden, da mir eben diese fehlt.«

Peter drehte sich um und musterte sie, doch sie ließ sich von ihm nicht aus dem Konzept bringen.

»Mir war bei den zwei Fragen zum Thema Hund auf dem Bewerbungsbogen nicht bewusst, in welche Tiefe sie zielten.«

»Sie hat gelogen. Hatte noch nie im Leben mit Hunden zu tun, und Smart hat sie angegriffen.«

Malte ließ den Blick zwischen ihnen hin und her wandern.

»Smart würde nie jemanden angreifen, ohne dass du ihm dazu die Freigabe erteilt hast. Und sollte er es getan haben, dann ist er noch nicht diensttauglich.«

»Es war meine Schuld, weil ich ihm sein Spielzeug unter dem Kopf wegholen wollte. Wie gesagt, ich habe wenig Erfahrung mit Hunden und wusste nicht, dass er so eifersüchtig über sein Spielzeug wacht.«

»Wie kamst du auf die blöde Idee, einem Hund das Spielzeug unterm Kopf wegzuziehen?«

»Ich dachte, wenn ich es ihm werfe, werden wir Freunde.«

Einen Moment sah Malte sie nur an, und sie erkannte, dass er genau wusste, dass sie die Situation anders darstellte, als sie sich abgespielt hatte.

»Mal ehrlich, wie machst du das?«, wandte er sich an Peter. »Nicht nur, dass du keine zwei Sätze brauchst, damit sie in dein Bett steigen, sie stellen sich auch noch schützend vor dich.« Er deutete auf Smart. »Das ist nicht nur ein Hund, sondern auch eine Waffe. Wenn du nicht reif dafür bist, ihn zu führen, dann werde ich Generalmajor Hartmann anrufen und ihm mitteilen, dass ich jemand anderen aus der Truppe an dem Hund ausbilden werde.«

»Ich weiß genau, was ich mache.«

»Sicher?«

Die Atmosphäre zwischen den Männern wurde merklich angespannter.

»Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie mir helfen würden. Es ist mein großer Traum, in die Einheit zu kommen, und für mich würde eine Welt zusammenbrechen, wenn ich doch noch rausfliege, nur weil ich nicht weiß, wie ich richtig mit Hunden umgehen muss.«

Als Malte sie ansah, setzte sie umgehend die größte Waffe ein, die sie besaß: ein strahlendes Lächeln und einen tiefen, herzerweichenden Blick, den sie bereits als Kind perfektioniert hatte. »Ich verspreche, ich werde Ihre beste Schülerin sein. Großes Ehrenwort.«

Es funktionierte. Brummend gab Malte nach. Mit großen Schritten überquerte er die Distanz zwischen Tor und Flachbau. Rasch folgte Natasha seiner wortlosen Einladung.

Peter klappte den Mund zu, als Natasha sich an ihm und Smart vorbei drängte und Malte hinterherlief. Dieser Kleinmädchenausdruck in ihrem Gesicht war pure Berechnung gewesen. Er hatte noch nie erlebt, dass eine Frau seinen Freund binnen Sekunden weichkochte. Immerhin war er seit 25 Jahren glücklich verheiratet und Vater von zwei Mädchen, die sein ein und alles waren und auf die er wie ein Schießhund aufpasste. Malte war absolut immun gegen weiblichen Charme. Und das waren nicht seine Worte, sondern die seiner Töchter, in deren Augen er viel zu streng war.

Er legte eine Hand auf Smarts Kopf. »Pass bloß auf, mein Freundchen, dass sie dich nicht um den Finger wickelt. Deine Aufgabe ist dir hoffentlich klar. Du machst ihr das Leben zur Hölle, wo immer es geht, verstanden?«

Smart sah ihn mit seinem treuesten, süßesten Hundeblick an, womit er dieselbe Wirkung bei ihm erzielte wie zuvor Natasha bei Malte.

Peter hockte sich vor ihn und nahm seinen Kopf in beide Hände. »Denk daran, wir tun nur so, als ob wir ihr helfen. Keiner darf uns am Ende vorwerfen, wir hätten nicht alles in unserer Macht Stehende getan, damit sie in die Einheit aufgenommen wird. Nur so habe ich die Chance, unseren Arsch zu retten, damit wir beide zusammen bei Themis bleiben können. Klar, Partner?«

Zur Antwort leckte Smart mit tierischem Enthusiasmus jedes freie Stück seiner Haut.

3

Zwinger

Sie blieben an einem Zwinger mit einer großen Hundehütte stehen. Eine Hündin lag draußen vor der Hütte. Sechs Welpen drängten sich über- und untereinanderliegend an ihre Zitzen, aber die Hündin ließ das Gewusel um ihre Nahrungsquellen mit stoischer Geduld über sich ergehen.

»Das ist Nanna mit ihrem Wurf. Die Welpen sind knapp vier Wochen alt. Geh in den Zwinger.«

Natasha löste ihren Blick von dem entzückenden Schauspiel und musterte Malte skeptisch.

»Geh rein, beweg dich langsam auf sie zu, reich ihr deine Hand, damit sie deinen Geruch aufnehmen kann. Lies ihre Körpersprache und finde heraus, ob du sie streicheln kannst. Setz dich zu ihr und beobachte.«

»Als ich vorhin sagte, ich hätte null Erfahrung mit Hunden, war das mein absoluter Ernst.«

»Du lügst.«

Sie atmete tief durch. »Okay, unsere Nachbarn hatten einen Riesenschnauzer, der hat mir eine Riesenangst eingejagt. Für mich verkörperte er den Hund von Blackwood Castle. Du weißt schon, der aus dem Edgar-Wallace-Krimi.«

»Hat er dich gebissen?«

»Nein, aber es ist keine drei Stunden her, da hatte ich einen anderen Höllenhund an meiner Kehle.

---ENDE DER LESEPROBE---