Aufruhr im Kopf - Daniel J. Siegel - E-Book

Aufruhr im Kopf E-Book

Daniel J. Siegel

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Beschreibung

Die Pubertät als eine der prägendsten Phasen des Lebens bringt nicht nur für die Jugendlichen selbst, sondern auch für ihre Eltern viele Veränderungen und Fragezeichen mit sich. In diesem Buch zeigt der Kinder- und Jugendpsychiater Daniel J.Siegel, dass das Ausloten von Grenzen und das Erkunden neuer Dinge wertvolle Abenteuer sind, die neben Hormonrausch und Gefühlschaos auch eine Menge neuer Möglichkeiten und Kreativität bereithalten, die es zu erkennen und zu nutzen gilt. Frei von eingestaubten Klischees entlarvt er gängige Mythen um die Zeit des Heranwachsens und macht anhand spannender, neuester Erkenntnisse aus der Neurobiologie verständlich, was während des jugendlichen Umbaus im Gehirn geschieht. So können Sie Ihr Kind nicht nur besser verstehen, sondern auch optimal durch diese aufregende Zeit begleiten und unterstützen.

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Seitenzahl: 364

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Daniel J. Siegel

AUFRUHR IM KOPF

Daniel J. Siegel

AUFRUHR IM KOPF

Was während der Pubertät im Gehirn unserer Kinder passiert und wie wir sie durch diese Zeit begleiten können

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

1. Neuausgabe 2022

© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2013 by Mind Your Brain, Inc.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Jeremy P. Tarcher, a member of Penguin Group (USA) LLC, A Penguin Random House Company.

Die Originalausgabe erschien 2013 bei Tarcher unter dem Titel Brainstorm.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Martin Bauer

Redaktion: Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildung: shutterstock/topform, Irina Adamovich, nnamsa

Satz: inpunkt[w]o; Andreas Linnemann

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0433-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-829-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-830-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Madeleine und Alexander gewidmet, die mir anschaulich zeigten, was die Essenz des Heranwachsens ausmacht.

Caroline gewidmet, meiner mitfühlenden Gefährtin auf dieser wilden und wundersamen Reise.

Und meiner Mutter, die im Herzen eine Heranwachsende geblieben ist und uns allen eine Inspiration war.

Inhalt

Teil I Die Essenz der Adoleszenz

Nutzen und Probleme der Adoleszenz

Wie man Energie und Fokus des heranwachsenden Gehirns ins Erwachsenenalter hinüberrettet

Adoleszenz von innen heraus

Risiko und Belohnung

Abnabelung

Zeitlicher Ablauf von Pubertät, Sexualität und Adoleszenz

Probleme der verlängerten Adoleszenz

Übergänge in der Adoleszenz und die Bedeutung unserer Bindungsbeziehungen

Mindsight-Werkzeuge, Teil 1

Teil II Ihr Gehirn

Dopamin, Entscheidungen und die Suche nach Belohnung

Familie, Freunde, Herumalbern

Der Zweck der Adoleszenz

Entscheidungen treffen

»Lass das!« reicht nicht

Das eigene Hirn integrieren

Das Handmodell des Gehirns

Adoleszenz als Tor zur kreativen Erforschung

Zusammenarbeit zwischen den Generationen ermöglichen

Schwachstellen und Chancen

Gehirn im Umbau und Ausraster

Während der Adoleszenz wird Integration ins Gehirn gebaut

Das emotionale »primitive« Gehirn

Natürliches Bedürfnis nach Abenteuern und Gemeinschaft

Mindsight-Werkzeuge, Teil 2

Teil III Ihre Bindungen

Geschützter Hafen und Ausgangsbasis

Wie Bindungen entstehen

Reaktive Bindungen

Sichere Bindungseinstellungen erwerben und das Gehirn integrieren

Über Bindungen nachdenken und die Vergangenheit verstehen

Arbeitsfragen zur Bindung

Bindungs-Narration und unsere zwei Gehirnhälften

Vermeidung, emotionale Distanziertheit und die linke Gehirnhälfte

Ambivalenz, Verwirrung der Gefühle und die rechte Gehirnhälfte

Desorganisierte Bindung und Dissoziation

Schaffung eines geschützten Hafens und einer Ausgangsbasis für Heranwachsende

Mindsight-Werkzeuge, Teil 3

Teil IV Präsent bleiben

Die Person würdigen, die ein Heranwachsender gerade wird

Auszug von zu Hause

Pubertät, Sexualität und Identität

Herummachen

Erste Liebe

Die Rolle der Präsenz

Veränderungen und Herausforderungen für die Integration

Akzeptanz, Loslassen von Erwartungen und sexuelle Orientierung

Drogen

Rückkehr nach Hause: Reflexion, Neuausrichtung und das Kitten von Brüchen

Mindsight-Werkzeuge, Teil 4

Schlussbemerkung MWe und die Integration der Identität

Danksagung

Teil I

•••

Die Essenz der Adoleszenz

Die Adoleszenz ist ein ebenso verwirrender wie erstaunlicher Lebensabschnitt, der grob gerechnet vom 12. bis zum 24. Lebensjahr reicht – tatsächlich, bis in die Zwanziger! Kulturübergreifend wird diese Phase als große Herausforderung aufgefasst, sowohl für die Heranwachsenden selbst als auch für die Erwachsenen in ihrem Umfeld. Die Phase kann für alle Beteiligten schwierig sein, und ich hoffe, beiden Seiten mit diesem Buch beistehen zu können. Dem heranwachsenden Leser möchte ich Weggefährte sein durch diese Zeit der persönlichen Entwicklung, die gelegentlich schmerzlich und gelegentlich mitreißend ist. Erwachsenen Lesern – Eltern, Lehrern, Vertrauten, Trainern und Mentoren von Heranwachsenden – hoffe ich mit meinen Ausführungen zu ermöglichen, dass sie den Heranwachsenden dabei helfen können, diese außerordentlich stark prägende Phase nicht nur zu überleben, sondern in ihr zu gedeihen.

Lassen Sie mich gleich zu Anfang betonen, dass sich rund um Pubertät und Adoleszenz etliche Mythen ranken, die nach neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft schlicht unhaltbar sind. Das Schlimme daran: Diese Mythen machen sowohl Heranwachsenden wie auch ihrem Umfeld das Leben oft ziemlich schwer. Räumen wir mit diesen Mythen also gleich auf.

Eines der gängigsten Vorurteile gegenüber Heranwachsenden lautet, dass Teenager, da von Hormonen überschwemmt, geradezu »verrückt werden« oder »den Verstand verlieren«. Das stimmt schlicht nicht. Ja, während dieser Zeit steigt die Hormonproduktion, doch nicht die Hormone bestimmen, was in der Adoleszenz abläuft. Heute weiß man, dass das, was Heranwachsende durchleben, hauptsächlich das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses im Gehirn ist. Das Wissen um die Änderungen, die sich dort abspielen, hilft Heranwachsenden und ihrem Umfeld, das Zusammenleben problemloser zu gestalten.

Ein weiterer Mythos besagt, die Adoleszenz sei schlicht eine Phase der Unreife, Teenager müssten einfach erst »erwachsen werden«. Dieser beschränkten Sichtweise nach muss man die Adoleszenz irgendwie ertragen bzw. möglichst unbeschadet überleben. Ja, die Adoleszenz kann verwirrend und erschreckend sein, weil so viel neu und oft intensiv erlebt wird. Und ja, das Verhalten von Heranwachsenden wirkt auf Erwachsene gelegentlich verstörend und nachgerade sinnlos. Glauben Sie mir, als Vater zweier heranwachsender Kinder weiß ich, wovon ich rede. Doch die Sichtweise, dass die Adoleszenz schlicht etwas sei, das es durchzustehen gilt, ist sehr beschränkt. Das Gegenteil stimmt: Heranwachsende müssen die Adoleszenz nicht nur überleben, sie brauchen diese wichtige Phase, um gedeihen zu können. Was meine ich damit? Im Folgenden werde ich darlegen, dass die »Arbeit« des Heranwachsens – das Ausloten von Grenzen und das leidenschaftliche Erkunden neuer und spannender Dinge – ganz zentral dazu beiträgt, wichtige Charakterzüge zu entwickeln, die es dem Menschen erst ermöglichen, ein sinnerfülltes und von Unternehmungslust geprägtes Erwachsenenleben zu führen.

Ein dritter Mythos besagt, dass sich der Mensch während der Adoleszenz notwendigerweise von einer völligen Abhängigkeit von Erwachsenen zur vollständigen Unabhängigkeit bewegt. Nun streben Heranwachsende zwar natürlicher- und nötigerweise nach einer Abnabelung von den Erwachsenen, die sie großgezogen haben, doch die Unabhängigkeit soll nie hundertprozentig sein. Eine gesunde Entwicklung führt zu einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Beziehung, nicht zu einer völligen Isolation nach dem Motto »Ich mach’s alleine«. Die Natur der Beziehung zwischen Heranwachsenden und ihren Eltern ändert sich, die Bindung nimmt ab, dafür werden in dieser Phase Freunde wichtiger. In der Adoleszenz verabschieden wir uns vom Bemuttert-Werden, wir lösen uns von unseren Eltern und anderen Erwachsenen und halten uns vermehrt an Gleichaltrige, um die wir uns kümmern und von denen wir wiederum Beistand erfahren. Wir bewegen uns von einseitiger Abhängigkeit in ein System gegenseitiger Abhängigkeiten. In diesem Buch werden wir die Natur dieser Beziehungen untersuchen und zeigen, dass unser Bedürfnis nach engen Bindungen unser ganzes Leben lang anhält. Erst wenn wir die Mythen überwunden haben, können wir die dahinter verborgenen Wahrheiten erkennen – und das Leben von Heranwachsenden und ihrem Umfeld enorm verbessern.

Leider kann die Einstellung anderer Menschen beeinflussen, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir uns verhalten. Das lässt sich bei Heranwachsenden oft beobachten: Sie »übernehmen« negative Vorurteile, die viele Erwachsene ihnen gegenüber (offen oder versteckt) zum Ausdruck bringen – dass Teenager »außer Kontrolle geraten«, »faul« oder »unkonzentriert« seien. Studien haben gezeigt, dass Schüler, deren Lehrern man vorher gesagt hatte, sie seien nur »mäßig intelligent«, schlechtere Leistungen zeigten als (ebenso intelligente) Schüler, von denen die Lehrer diese Information nicht bekamen. Umgekehrt schnitten Schüler, deren Lehrern man vorher gesagt hatte, sie seien ganz außerordentlich klug, in Prüfungen deutlich besser ab als eine (ebenso kluge) Kontrollgruppe. Heranwachsende, die sich negative Vorurteile über die Adoleszenz zu eigen machen, riskieren, dass sie in ihrem Leben auf dieses Niveau absinken, anstatt ihr wahres Potenzial auszuschöpfen. Wie Johann Wolfgang von Goethe einst schrieb: »Behandle die Menschen so, als wären sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein können.« Die Adoleszenz ist keine Phase, in der man »durchdreht« oder sich »unreif« verhält. Sie ist eine wichtige Phase, geprägt von intensiven Gefühlen, großer Geselligkeit und Kreativität.

•••

Dieses Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Der erste Teil untersucht, was die Adoleszenz ausmacht und wie das Verständnis ihrer wichtigen Dimensionen Ihr Leben verbessern kann. Im zweiten Teil wird erklärt, wie sich das Gehirn während der Adoleszenz entwickelt. Dieses Wissen kann uns dabei helfen, die Chancen, die diese Lebensphase bietet, voll zu nutzen. Der dritte Teil geht der Frage nach, wie Beziehungen unser Selbstbild prägen und was wir tun können, um die Beziehungen zu anderen, aber auch zu uns selbst zu verbessern. Im vierten Teil zeigen wir, dass man den Veränderungen und Herausforderungen während der Adoleszenz am besten begegnet, indem man für den Heranwachsenden präsent ist, indem man Verständnis für ihn zeigt und sich genau bewusst macht, was sich in ihm und in seinen Beziehungen abspielt. In den Abschnitten »Mindsight-Werkzeuge« stelle ich wissenschaftlich untermauerte Methoden zur Stärkung des Gehirns und zur Verbesserung von Beziehungen vor.

Wir alle lernen auf verschiedene Weise, gehen Sie dieses Buch nach der Lektüre des ersten Teils also ruhig in der Reihenfolge an, die Ihnen am meisten zusagt. Wenn Sie mit einer Mischung von Ideen und Fakten, von Wissenschaft und Anekdoten am besten lernen, sollten Sie das Buch vielleicht von vorn nach hinten lesen. Lernen Sie hingegen am besten durch praktische Übungen, fangen Sie besser mit den Mindsight-Werkzeugen an; die Theorie dahinter und die Beispielgeschichten dazu können Sie dann später immer noch nachlesen. Ich habe das Buch so geschrieben, dass jeder Teil für sich steht – interessiert man sich für Beziehungen, kann man direkt zum Teil drei springen, interessiert man sich für das Gehirn, geht man zu Teil zwei usw. Wenn Sie am besten aus Geschichten lernen, sollten Sie vielleicht mit Teil vier anfangen und sich erst dann den früheren Teilen widmen. Probieren Sie es aus und finden Sie heraus, was für Sie am besten funktioniert.

Nutzen und Probleme der Adoleszenz

Die typischen Merkmale der Adoleszenz entstehen aufgrund von gesunden, natürlichen Veränderungen im Gehirn. Da das Gehirn sowohl unsere Gedanken als auch unsere Beziehungen beeinflusst, kann ein größeres Verständnis für das Gehirn uns helfen, mit uns selbst ins Reine zu kommen und soziale Beziehungen zu verbessern. In diesem Buch werde ich zeigen, wie man, ausgehend von diesem Verständnis, konkrete Schritte zur Stärkung des Gehirns unternehmen, seine geistige Resilienz (Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit) stärken und die Beziehungen zu anderen verbessern kann.

Während der Adoleszenz verändert sich die Art und Weise, wie unser Gehirn sich erinnert, denkt, argumentiert, sich konzentriert, Entscheidungen fällt und auf andere Menschen reagiert. In der Phase zwischen zwölf und 24 Jahren wächst und reift der Mensch wie nie zuvor in seinem Leben. Das Verständnis der Natur dieser Veränderungen kann uns helfen, eine positivere Einstellung zu uns zu finden und ein produktiveres Leben zu führen.

Ich bin Vater von zwei Teenagern. Darüber hinaus lehre ich geistige Gesundheit und helfe als Kinder- und Jugendpsychiater Heranwachsenden, Erwachsenen, Paaren und Familien, diese spannende Lebensphase zu verstehen. Im Zuge meiner Arbeit fiel mir auf, dass es kein Buch gibt, das die Phase des Heranwachsens als das preist, was sie ist: eine Zeit voller Möglichkeiten, Mut und Kreativität zu zeigen.

Das Leben verändert sich mit Beginn der Adoleszenz gewaltig. Doch diese Veränderungen sind nichts, das man vermeiden oder nur durchstehen müsste. Sie sind etwas Gutes. Dieses Buch entstand, weil ich es für nötig hielt, die positiven Aspekte dieser Phase für Heranwachsende und Erwachsene herauszuarbeiten.

Ja, die Adoleszenz ist gelegentlich anstrengend, doch während des »Umbaus« im Gehirn entstehen Qualitäten, die uns nicht nur während des Heranwachsens nützlich sein können, sondern auch im Erwachsenenalter. Unser Umgang mit diesen Veränderungen hat einen direkten Einfluss darauf, wie wir später leben. Die hervorbrechende Kreativität kann auch dem Umfeld zugutekommen: Ideen und Neuerungen entstehen ganz natürlich aus Rebellion gegen den Status quo und der unbändigen Energie von Teenagern.

Allerdings birgt jede neue Art des Denkens, Fühlens und Verhaltens nicht nur das Potenzial für Verbesserungen, sondern auch für Verschlechterungen. Zum Glück lässt sich lernen, wie man aus den positiven Qualitäten des heranwachsenden Gehirns das Beste macht und wie man diese Qualitäten auch ins Erwachsenenalter hinein bewahrt.

In den frühen Teenager-Jahren verändert sich das Gehirn in viererlei Hinsicht erheblich: Es entsteht eine Gier nach neuartigen Erlebnissen, der Wunsch nach Umgang mit Gleichaltrigen, eine gewaltige emotionale Intensität und kreative Neugier. In der Adoleszenz verdrahtet sich das Gehirn neu, wodurch sich das Erleben fundamental von demjenigen während der Kindheit unterscheidet. Neu ist etwa, wie Teenager durch neue Erlebnisse »Kicks« suchen, wie sie mit Gleichaltrigen umgehen, dass sie intensivere Gefühle spüren, sich gegen die »übliche« Art auflehnen, Dinge zu tun, und versuchen, der Welt ihren Stempel aufzudrücken. Jede dieser Veränderungen ist notwendig, um den wichtigen Umbau unser Art zu denken, zu fühlen, zu interagieren und Entscheidungen zu treffen, voranzubringen. Zugegeben, diese an sich positiven Veränderungen können auch Nachteile mit sich bringen. Betrachten wir deshalb die Vor- und Nachteile der vier Hauptveränderungen im heranwachsenden Gehirn:

Gier nach neuen Erfahrungen. Das Belohnungszentrum des heranwachsenden Gehirns reagiert stärker auf neuartige Erfahrungen. So entsteht die innere Motivation, Neues auszuprobieren und intensiver zu leben. Das verleiht dem Leben Schwung. Nachteil: Bei der Suche nach Abenteuern besteht die Gefahr, dass Risiken unterschätzt und Belohnungen überschätzt werden. Das kann zu übermäßig riskantem Verhalten und zu Verletzungen führen. Aufgrund ihrer erhöhten Impulsivität neigen Heranwachsende dazu, Ideen spontan umzusetzen, ohne vorher die Konsequenzen zu durchdenken. Vorteil: Wer es schafft, sich die Offenheit für neue Gedanken und eine leidenschaftliche Lebenseinstellung ins Erwachsenenalter zu bewahren, geht den Rest seines Lebens voller Neugier und Abenteuerlust durch die Welt, immer bereit, die Dinge auf neuartige Weise anzupacken.

GesteigerteGeselligkeit. Das Bedürfnis nach Umgang mit Gleichaltrigen wächst, neue Freundschaften entstehen. Nachteil: Teenager, die kaum mehr mit Erwachsenen und hauptsächlich mit anderen Teenagern verkehren, verhalten sich riskanter als andere. Lehnen Teenager Erwachsene, deren Wissen und Lebensweise vollständig ab, steigt die Risikofreude noch stärker. Vorteil: Die Suche nach gleichaltrigen Genossen führt zu gesunden, auf Gegenseitigkeit beruhenden Freundschaften – und die wiederum tragen nach aktuellem Forschungsstand ganz entscheidend dazu bei, dass wir uns gut fühlen, lang leben und glücklich sind.

Intensives Erleben von Gefühlen. Es macht das Leben lebendiger. Nachteil: Die intensiv empfundenen Emotionen können das Verhalten bestimmen und zu Impulsivität, Launenhaftigkeit und mitunter extremer Ablehnung führen. Vorteil: Intensive Gefühle verleihen Energie und Lebenslust; sie vermitteln Spaß daran, auf diesem Planeten zu leben.

Kreativität. Der geistige Horizont von Heranwachsenden weitet sich, sie entwickeln die Fähigkeit, konzeptuell und abstrakt zu denken. Das ermöglicht ihnen, den Status quo zu hinterfragen, Probleme mit ungewöhnlichen Lösungsansätzen anzugehen, neue Ideen zu entwickeln und innovativ zu sein. Nachteil: Die Sinnsuche während der Teenagerjahre kann eine Identitätskrise auslösen, empfänglicher für Gruppendruck machen und zu Ziel- und Antriebslosigkeit führen. Vorteil: Wenn das erwachsene Gehirn es weiterhin schafft, die Welt bewusst auf neue Art zu denken, zu imaginieren und wahrzunehmen sowie das Spektrum der möglichen Erfahrungen kreativ zu erforschen, dann stellt sich nicht so leicht das »Hamsterrad-Gefühl« ein, unter dem viele Erwachsene leiden. Der Sinn für die »Ungewöhnlichkeit des Gewöhnlichen« bleibt erhalten. Keine schlechte Strategie für ein erfülltes Leben!

Der Titel Aufruhr im Kopf beschreibt ganz gut, was sich während der Adoleszenz abspielt: Einerseits entwickeln Heranwachsende eine Fülle neuer Ideen, die sie während der schöpferischen Erkundungen und mit Gleichaltrigen teilen, die Gier nach neuen Erfahrungen sorgt für einen Strom von kreativem Input, andererseits kann der Aufruhr im jugendlichen Gehirn auch dafür sorgen, dass der Betreffende Koordination und Balance verliert und von seinen Gefühlen überwältigt wird wie von einem Tsunami. Dann vermengen sich Verwirrung und Innovationsgeist. Zur Adoleszenz gehören beide Seiten dieses »Aufruhrs im Kopf«.

Kurz zusammengefasst: Die Veränderungen, die sich im jugendlichen Gehirn abspielen, stellen sowohl ein Risiko als auch eine Chance dar. Je nachdem, wie wir die Gewässer der Adoleszenz durchfahren – als Heranwachsende oder als Erwachsene in ihrem Umfeld – führen wir unser Schiff des Lebens entweder in gefährliche Strudel oder in spannende Abenteuer. Es liegt allein an uns.

Wie man Energie und Fokus des heranwachsenden Gehirns ins Erwachsenenalter hinüberrettet

Wie oft höre ich in meiner Praxis Erwachsene über den ewig gleichen Trott ihres Lebens klagen. Sie fühlen sich »eingesperrt« in einem »sinnentleerten« Leben, jede Neugier ist ihnen abhandengekommen. Gelangweilt machen sie tagein, tagaus das Gleiche. Darüber hinaus spüren viele Menschen einen Mangel an sozialen Bindungen, sie fühlen sich isoliert und allein. Sie haben ihre Begeisterungsfähigkeit verloren, der Alltag fühlt sich schal und fade an. Dieser Ennui kann zu Apathie oder sogar Depressionen und Verzweiflung führen. Nichts scheint mehr wichtig, elektrisierend oder gar unverzichtbar. Wenn Erwachsenen ihre Kreativität abhandenkommt, versuchen sie, die Herausforderungen des Alltags auf immer gleiche Weise zu bewältigen; für Fantasie bleibt kein Platz mehr. So wird ihr Leben »leblos«.

Durch die Schöpfung neuer Verbindungen zwischen Dingen entstehen Verspieltheit und Humor, die man braucht, um sein Leben lebendig zu erhalten. Aus Teenagergruppen hört man oft Gelächter. Man hört auch oft Weinen. Emotionale Intensität kann also Freude bereiten – oder für Tränen sorgen. Erwachsene unterhalten sich meist ernsthaft miteinander. Ja, das Leben ist eine ernsthafte Angelegenheit. Aber trotzdem müssen wir doch auf Freude und Gelächter nicht verzichten. Wir brauchen Humor und Lebensfreude, nicht trotz all den Problemen auf diesem Planeten, sondern wegen der Probleme.

Wenn Erwachsenen die vier Merkmale des Heranwachsenden verloren gehen – Gier nach neuen Erfahrungen, gesteigerte Geselligkeit, intensives Erleben von Gefühlen und hohe Kreativität – fühlt sich ihr Leben langweilig, ewig gleich und einsam an. Wer würde ein solches Leben bewusst wählen? Wahrscheinlich niemand. Offenbar neigen wir Erwachsene dennoch dazu, auf Autopilot dahinzusegeln. Warum? Vielleicht weil wir uns überfordert fühlen, den Anforderungen der Welt gerecht zu werden. Dann unterdrücken wir sicherheitshalber den Drang nach Neuem, nach Geselligkeit, nach Veränderungen, der in der Adoleszenz hochkommt. Stattdessen schalten wir in einen »Überlebensmodus« und versuchen, eine zuverlässig funktionierende Routine zu entwickeln. Tatsächlich aber machen wir uns das Dasein nur schwer, wenn wir uns freiwillig in ein Hamsterrad begeben – außerdem altert unser Gehirn dann möglicherweise schneller.

Meine These lautet: Die Essenz der Adoleszenz – ein Geschenk und gleichzeitig eine Herausforderung – ist auch für Erwachsene wichtig. Damit halten sie ihr Leben lebendig. Und noch so ein Mythos: Viele Menschen glauben, das Gehirn würde nach der Kindheit nicht weiter wachsen. Doch das stimmt nicht. Das Gehirn vergrößert und verändert sich nicht nur während der Kindheit und Adoleszenz, sondern das ganze Leben lang. Doch dafür müssen wir Erwachsenen uns die Eigenschaften bewahren, die den Teenager auszeichnen.

Ich spreche gern von der Essenz der Adoleszenz, weil das im Amerikanischen ein schönes Akronym ergibt:

Emotional Spark (emotionaler Funke)

Social Engagement (Geselligkeit)

Novelty (Neugier)

Creative Explorations (kreative Erkundungen)

Ich frage mich, ob die Gereiztheit, die ich bei den Eltern von Heranwachsenden oft beobachte, vielleicht daher rührt, dass die Erwachsenen sich genau diese Merkmale für sich selbst zurückwünschen. Jugendlicher Übermut wirkt mitunter erschreckend, wenn man selbst kein Feuer mehr im Herzen spürt. Relativ isoliert lebende Erwachsene fühlen sich angesichts des lebendigen Soziallebens von Teenagern schnell ausgeschlossen. Wie viele neue Freundschaften schließen wir im Alter von 30, 40, 50 Jahren denn noch? Man selbst fühlt sich schnell antriebslos im Kontrast zur Leidenschaft, mit der sich Jugendliche in neue Erfahrungen stürzen. Und die überbordende Kreativität, mit der Teenager Dinge angehen, zeigt den Erwachsenen auf, wie eingefahren und begrenzt ihr eigener Alltag ist.

Vielleicht würde sich die Kluft zwischen den Generationen verkleinern, wenn Erwachsene einen Teil dieser Urkraft wieder für sich entdecken würden. Was ich damit meine: Mitunter erinnert uns das, was wir in anderen sehen, daran, was uns selbst fehlt. Und dieses Gefühl von Verlust macht uns frustriert, enttäuscht, wütend oder traurig. Als Therapeut sehe ich ständig, dass Eltern sich genau an den Eigenschaften ihres Kindes stören, die sie an eine schmerzliche Lücke in ihrem eigenen Leben gemahnen. Atmen wir also tief durch und erinnern wir uns daran, dass wir ein Leben lang lernen. Und dann erlauben wir uns, den Umstand, dass unser heranwachsendes Kind uns auf die Palme bringt, als Chance zu begreifen, unser Innenleben zu erforschen.

Erwachsene müssen aus ihrer eigenen Adoleszenz lernen und von denjenigen, die diese Phase gerade durchmachen. Das Beispiel der Heranwachsenden gemahnt uns daran, wie lebendig auch unser Leben sein dürfte. Umgekehrt können Heranwachsende auch von Erwachsenen lernen, wenn diese ihre Erfahrungen mit ihnen teilen und ihre Entwicklung hin zur Selbstständigkeit unterstützen.

Adoleszenz von innen heraus

Lassen Sie uns »von innen heraus« betrachten, was die Essenz der Adoleszenz ausmacht. So können wir besser verstehen, was in uns und anderen vorgeht; und das wiederum erlaubt uns, besser zu verstehen, wie wir und andere uns verhalten. Dieses Verständnis von innen heraus hilft uns dabei, unser Leben aktiv zu gestalten, anstatt uns in unveränderlich scheinende Umstände zu fügen. Zunächst möchte ich erklären, wie Gehirn, Selbstbewusstheit und zwischenmenschliche Beziehungen in ihrem Zusammenspiel unseren Geist prägen – und damit die Erfahrung, wer wir sind. Dieses Buch ist als Dialog zwischen mir, dem Verfasser, und Ihnen, dem Leser, angelegt. Ich hoffe, es fühlt sich beim Lesen so an, als würden wir uns tatsächlich über diese wichtige Phase im Leben unterhalten, von Angesicht zu Angesicht.

Ich freue mich darauf, mit Ihnen diese Erkundung anzugehen, Ihnen diese Erfahrung zu vermitteln und mit Ihnen darüber nachzudenken, was sich in Ihrem Leben so abspielt. Ich habe einen Sohn knapp über 20, eine Tochter knapp darunter, ich weiß also um die täglichen Chancen und Herausforderungen, die das Zusammenleben mit Heranwachsenden so mit sich bringen. Während der Adoleszenz meiner Kinder musste ich an meine eigene Jugend zurückdenken, und einige der Überlegungen aus dem eigenen Erfahren werde ich weiter unten mit Ihnen teilen.

Falls Sie selbst Heranwachsender sind: Nehmen Sie diese Abschnitte doch zum Anlass, über Ihr aktuelles Leben nachzudenken.

Erwachsenen helfen diese Abschnitte vielleicht zu verstehen, was momentan gerade im Leben des Heranwachsenden abgeht, vielleicht erinnern sie diese aber auch an ihre eigene Adoleszenz. Ich lade Sie herzlich zu einem aktiven Dialog mit mir ein. Denken Sie während der Lektüre ruhig über Ihre eigene Erfahrung nach; das macht möglicherweise durchaus Vergnügen, außerdem fördert es erwiesenermaßen das Verständnis. Gehen Sie mit mir auf eine Entdeckungsreise! Die Erkenntnisse daraus werden Ihnen den Weg durch die Adoleszenz erleichtern und Ihnen erlauben, sich das Wichtigste aus dieser Phase für das Erwachsenenleben zu erhalten.

Die Entdeckungsreise, wer wir sind und was wirklich zählt, endet nie. Wir wachsen und entwickeln uns unser Leben lang weiter, und unser Geist wächst mit, sodass wir jederzeit ein gesundes und ausgelassenes Leben führen können. Ich will Sie wirklich auf eine Entdeckungsreise mitnehmen, nicht einfach mit Fakten zuschütten, mit Meinungen und Ermahnungen, was Sie tun sollten. Dieses Buch wird Sie weiterbringen, egal, ob Sie erwachsen sind oder mitten in der Pubertät. Da es sich hier um ein Gespräch handelt, werden Fragen gestellt, grundsätzliche Fragen, mit denen wir uns dann herumschlagen und auf die wir eine Antwort finden wollen. Tatsache ist aber, dass wir auf viele Fragen hinsichtlich Gehirn und Geist keine letztgültige Antwort kennen. Trotzdem müssen wir uns diese Fragen stellen und nach Antworten suchen.

Auf die Frage meiner Kinder, warum ich so gerne lehre, antwortete ich ihnen: »Weil ich von meinen Schülern immer etwas lerne.« Ich finde es eine ganz wichtige Feststellung, dass wir ein Leben lang lernen. Wer versteht, wie es während der Adoleszenz in allen Beteiligten aussieht, kann ihnen dabei helfen, diese Phase gut zu meistern und weiterhin zu wachsen.

Während der Kindheit dienen die Eltern oft als unhinterfragte Vorbilder, sie werden idealisiert. Erst in der Adoleszenz beginnt der Nachwuchs, die Eltern als echte Persönlichkeiten mit Fehlern und Beschränkungen wahrzunehmen. Vielleicht hilft ihm dieser realistischere Blick auf die Eltern, sich von ihnen zu lösen und in die Welt hinauszuziehen. Wie Mark Twain einmal sagte: »Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig stellte ich verblüfft fest, wie viel er in sieben Jahren dazugelernt hatte.«

Neues erlebt nur, wer sich vom Status quo löst. Die Suche nach »Kicks« ist einerseits Teil dieser Loslösung, andererseits aber an sich schon spannend und lohnend. Die Adoleszenz ist auch eine Phase neuer Ideen, voller Abenteuerlust werden Erfahrungen, Verhaltensweisen, Ansichten, Gedanken, Vorstellungen, Absichten und Überzeugungen hinterfragt.

Die Gier nach Neuem und nach Unabhängigkeit ist eine kreative Urgewalt, die zum Nutzen aller beitragen kann, wenn wir sie als etwas Gutes betrachten. Versuchen Erwachsene hingegen, Grundmerkmale der Adoleszenz zu unterdrücken, verhalten sie sich wie jemand, der einen Wasserfall aufzuhalten versucht. Die Adoleszenz ist eine Naturgewalt, und sie bahnt sich ihren Weg, sie schlägt sich im Verhalten des Heranwachsenden und in der sich verändernden Struktur seines Geistes nieder. Man kann einen Wasserfall nicht aufhalten, man kann nur seine Richtung steuern und seine Kraft nutzbar machen.

Die gute Nachricht ist, dass die Adoleszenz nicht als Kriegszustand zwischen den Generationen erlebt werden muss. Versuchen Erwachsene, den Fluss der Adoleszenz zu stoppen, leidet die (für Beziehungen ungeheuer wichtige) Kommunikation wahrscheinlich unter Spannungen und Respektlosigkeit. Entfremdung, Heimlichtuerei und Isolation gehören zu den negativen und schmerzlichen Folgen schlechter Kommunikation. Es ist ganz entscheidend, sowohl für den Heranwachsenden als auch für den Erwachsenen, der selbst mal in diesem Alter war, die wichtigen Veränderungen im Gehirn des Jugendlichen zu akzeptieren. Das hilft dabei, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, die man unbedingt braucht, um allen das Leben zu erleichtern. Das fällt nicht immer leicht, aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wie wichtig diese Aufgabe ist.

Es ist ein Balanceakt, den Heranwachsende und ihre Umwelt vollführen müssen: das Streben nach Unabhängigkeit, das Verlangen nach neuen Erfahrungen und die jugendliche Kreativität so zu managen, dass sich das Leben positiv verändert.

Das Gehirn ist unser Ermöglicher – unser Kontrollzentrum –, und die gute Nachricht ist: Wenn wir das Gehirn verstehen, können wir seine Energie nutzen, um gute Entscheidungen zu treffen und unser Leben konstruktiv zu verändern. Das Verständnis davon, wie das Gehirn verdrahtet ist, wie es sich im Lauf der Entwicklung immer stärker integriert, erlaubt uns einen klaren Blick darauf, was wir tun können, um während der Adoleszenz und darüber hinaus eine optimale Funktion sicherzustellen.

Hier ein sehr wichtiges Forschungsergebnis: Es gibt ganz konkrete Übungen, mit denen sich Integration und Resilienz des Gehirns fördern lassen. Man kann lernen, die Funktionsweise des Gehirns zu verbessern, das Gehirn gesünder zu machen und die persönlichen Beziehungen reicher. Wenn Sie diese Dinge lernen, kann das den Rest Ihres Lebens verbessern. Ungelogen.

Risiko und Belohnung

Während der Adoleszenz verbessern sich viele messbare Aspekte unseres Lebens: Die Körperkraft nimmt zu, das Immunsystem wird stärker, die Widerstandskraft gegen Hitze und Kälte steigt, die Reaktionsfähigkeit verbessert sich. Und doch erleiden Jugendliche in dieser Phase dreimal so viele ernsthafte oder gar tödliche Verletzungen pro Jahr wie in der Kindheit oder im Erwachsenenalter. Dieses gesteigerte Risiko kommt nicht von ungefähr: Die Wissenschaft hält es für eine direkte Folge der Art, wie sich das Gehirn in dieser Phase entwickelt.

Die Frage lautet, wie sich die Erkundung neuer Dinge fördern, gleichzeitig aber das Risiko für Leib und Leben minimieren lässt. Darin besteht das Problem, dem wir auch in diesem Buch einigen Raum geben.

Kurz vor dem ersten Geburtstag meines Sohnes ging ich mit ihm in unserer Straße spazieren, auf der Suche nach Steinen, die er werfen konnte (eine seiner Lieblingsbeschäftigungen). Ich wunderte mich über den ungewöhnlichen Stau auf unserer Straße. Als ich heimkam, hörte ich von Nachbarn, die im Stau gesteckt hatten, dass sich keine zwei Kilometer von hier ein schrecklicher Unfall abgespielt hatte.

Entsetzt erfuhr ich später die Details: Bill1, der beste Dozent während meiner psychiatrischen Ausbildung, wollte mit seiner Frau ausgehen. Die beiden setzten sich ins Auto und fuhren los. Später erzählte seine Frau, Bill habe sich schon auf den Restaurant- und Kinobesuch gefreut. Doch beim Linksabbiegen an einer vierspurigen Straße passierte es. Bill prüfte – wie er es seit fast einem halben Jahrhundert getan hatte –, ob der Weg frei war, und fuhr in die Kreuzung ein. Da donnerte aus heiterem Himmel ein Raser in sie hinein, Bills Auto wurde in der Mitte auseinandergerissen, Bill starb auf der Stelle. Wie durch ein Wunder blieben Bills Frau und der Raser unversehrt, körperlich zumindest.

Der Raser, ein 19-jähriger Jugendlicher in einem brandneuen Sportwagen, war schon zwei Monate zuvor nach einem Unfall auf der gleichen Straße verhaftet worden; auch damals war er viel zu schnell unterwegs gewesen und gegen einen Baum gekracht. Seine Eltern hatten seinen kaputten Flitzer einfach durch einen neuen ersetzt. Später erfuhr ich von Bills Frau, dass der Jugendliche den Ermittlungen zufolge über 150 Stundenkilometer drauf gehabt hatte. Immer wieder ging ich den Unfallhergang durch und versuchte, einen Sinn in diesem sinnlosen Unfall zu finden. Bei dieser Geschwindigkeit konnte Bill das Auto auf dieser kurvigen, baumbestandenen Straße unmöglich rechtzeitig gesehen haben. Ebenso wenig hatte der Unfallfahrer eine Chance, Bill rechtzeitig zu sehen und auszuweichen. Während der Trauerfeiern tat ich mein Bestes, um Bills Angehörige, Freunde und Kollegen aufzurichten. Ich dachte darüber nach, was Bill mir über die Entwicklung des Gehirns beigebracht hatte: Wie unsere ganz frühen Erfahrungen uns prägen, wie stark unser Verhalten von geistigen Vorgängen beeinflusst wird, die völlig außerhalb unseres Bewusstseins ablaufen. Nur wenige Wochen vor seinem tragischen Tod hatte ich mich noch mit ihm getroffen, um über meine aktuelle Forschung zu Bindung und Gedächtnis zu sprechen. »Das ist ja faszinierend!«, rief Bill. »Erzähl mehr!« Bill war ein mitreißender Lehrer, er hörte genau hin, wenn ich ihm erzählte, was in mir vorging, er begeisterte sich für meine Interessen und ermutigte mich, meinen Leidenschaften nachzugehen. Nach dem Treffen sagte ich ihm das. Und er antwortete: »Danke, Dan, aber ich sehe dich inzwischen als Kollegen, nicht mehr als Schüler.« Ich dankte ihm und fühlte mich geehrt, diesen Menschen in meinem Leben zu haben, egal, ob als Kollegen, Lehrer oder Freund. Jetzt fragte ich mich, wie Bills lebenslange Beschäftigung mit der Frage, warum Menschen tun, was sie tun, uns dabei helfen könnte, diesen schlimmen und rücksichtslos herbeigeführten Unfall zu verstehen.

Als ich begann, mich mit den Fakten zur Adoleszenz zu beschäftigen, nahm es mich wirklich mit, dass Jugendliche statistisch viel mehr »vermeidbare« Todesfälle erlitten als Kinder oder Erwachsene. Mit »vermeidbar« meine ich, dass allein übermäßig riskantes Verhalten zu bleibenden Schäden oder gar zum Tod führte. Nie laufen wir mehr Gefahr, durch Verkehrsunfälle, Drogenmissbrauch oder Waffen, durch Selbstmord oder Mord Schaden zu nehmen als zwischen 12 und 24 Jahren. Bills Tod passte gut in diese Statistik: Es ist nun einmal so, dass viele Teenager – wie dieser Neunzehnjährige – sich extrem riskant verhalten und dabei sich oder anderen irreparablen Schaden zufügen.

Doch wie kommt es zu diesem risikofreudigen, die Grenzen auslotenden, den »Kick« suchenden Verhalten? Ich fragte mich, ob ich als Vater irgendetwas tun könnte, um zu verhindern, dass mein Sohn sich später ebenso destruktiv verhielt. Wenn ja, dann wollte ich es herausfinden und diese Erkenntnis unter meinen Patienten und Kollegen möglichst weit verbreiten. Vielleicht ließen sich Tragödien wie Bills Unfalltod ja zukünftig vermeiden. Das Ausloten und Erweitern von Grenzen ist in der Adoleszenz ein großes Thema, das für Erwachsene sehr anstrengend sein kann und gelegentlich in die Katastrophe führt. Doch dieser Drang kann sich auch bemerkenswert positiv auswirken und ein zentrales Element unseres Lebens sein. Die Herausforderung besteht darin, Wege zu finden und aufzuzeigen, wie sich die Grenzen des Lebens ausloten lassen, ohne dass man mit 150 eine kurvige Straße hinunter donnert und Unschuldige umbringt.

Insbesondere junge Männer haben ein offenbar biologisch bedingtes Bedürfnis nach Nervenkitzel; es scheint für das Erwachsenwerden nötig zu sein, dass junge Männer Gefahren eingehen, an Grenzen gehen, und ihre Reife dadurch beweisen, dass sie alles heil überstehen. Allerdings müssen wir als Gesellschaft Initiationsriten finden, bei denen diese Grenzen nicht in einem zwei Tonnen schweren Mordinstrument ausgelotet werden. Wenn eine jugendliche Gazelle sich einem Geparden nähert, um sich den Räuber mal näher anzusehen, riskiert sie nur ihr eigenes Leben, nicht das anderer Gazellen. Auch menschliche Heranwachsende teilen diese Risikolust, aber bei ihnen kommt oft noch Alkohol ins Spiel, der die Urteilsfähigkeit und Koordinationsfähigkeit beeinträchtigt. Außerdem stehen ihnen Instrumente wie Autos oder Waffen zur Verfügung, mit denen sie sich und anderen sehr schaden können. Und das macht diese Lebensphase so gefährlich.

In den zwanzig Jahren seit Bills Tod haben wir etliche Amokläufe an Schulen und Anschläge erlebt, und sehr häufig waren heranwachsende Männer die Täter. Die Entfremdung von der heutigen Welt wächst offenbar, und wir müssen etwas unternehmen, um Teenagern zu helfen, damit solch destruktives Verhalten unwahrscheinlicher wird.

Jammern darüber, was mit den Jugendlichen nicht stimme, führt dabei zu gar nichts. Viel produktiver ist es, das Wesen der Adoleszenz mit den Betroffenen selbst und ihrem Umfeld zu erkunden. Ich glaube, Bill würde es gerne sehen, wenn ein besseres Verständnis von den Vorgängen im heranwachsenden Gehirn, die zu seinem Unfalltod führten, dazu beitragen könnte, solche Tragödien in Zukunft weniger wahrscheinlich zu machen.

Abnabelung

Der jugendliche Drang, sich gegen alles Bekannte, Sichere, Vertraute zu stemmen, ist eine zweischneidige Sache. Ja, die Abnabelung von Erwachsenen scheint in unseren Genen verankert zu sein. Aber der Drang nach Unabhängigkeit verführt uns eben auch dazu, mit 150 Sachen eine unübersichtliche Straße hinunter zu brettern. Das ist die destruktive Seite der Medaille, die man in den Griff bekommen sollte, damit der Heranwachsende seine Flügel ausbreiten kann, aber sich und andere dabei möglichst wenig in Gefahr bringt.

Allerdings gibt es auch eine konstruktive, nützliche Seite der Medaille.

Mit ein wenig Achtsamkeit lässt sich die Urgewalt des adoleszenten Gehirns in sehr nützliche Bahnen lenken. Jugendliche Kreativität ist für unzählige Neuerungen in Kunst, Technik und Musik verantwortlich, die unsere Welt verändert haben. Die Phase des Heranwachsens zeichnet sich durch enormes Potenzial und unbändige kreative Energie aus. Aus Rebellion gegen ewig gleiche Routinen entstehen neue Denkansätze und originelle Lösungen.

Angesichts der Probleme, vor denen unsere moderne Welt steht – Energiekrise, Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion, Kriege, Armut, Wasserknappheit, Luftverschmutzung und Gift in der Nahrung – brauchen wir wie nie zuvor Denkansätze jenseits unserer üblichen Strategien. Nur so können wir das Leben auf diesem kostbaren Planeten erhalten. Ich bin davon überzeugt, dass Heranwachsende genau die kreative Energie, Leidenschaft und Diskussionsfreude haben, die es braucht, um neue Lösungen zu erkunden. Ein adoleszentes Gehirn könnte das Leben auf unserem Planeten retten.

Der Schlüssel besteht darin, diese verborgene positive Seite der Adoleszenz wahrzunehmen.

Doch selbst wenn Sie bezweifeln, dass Heranwachsende die Welt retten könnten: Dank der Hirnforschung wissen wir inzwischen, wie Eltern Teenager dazu bewegen können, zu Hause anzurufen oder um ein Uhr nachts heimzukommen statt um drei. Vielleicht ist auch die Erkenntnis der Hirnforschung tröstlich, dass Erwachsene gesünder und glücklicher leben, wenn sie sich Wesensmerkmale der Adoleszenz bewahrt haben. Aber, und dabei bleibe ich: Die Charakteristika der Adoleszenz können dazu beitragen, unseren Planeten zu einem besseren Ort zu machen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen, dass Jugendliche, die die Wissenschaft hinter dem verstehen, was sich in ihrem Gehirn abspielt, eine reibungslosere Adoleszenz und ein reicheres Erwachsenenleben vor sich haben.

Zeitlicher Ablauf von Pubertät, Sexualität und Adoleszenz

Im Zuge der Adoleszenz finden immer zwei Veränderungen statt. Erstens erleben wir mit dem Einsetzen der Pubertät körperliche und emotionale Veränderungen. Zweitens nabeln wir uns von den Eltern ab, suchen verstärkt die Gesellschaft Gleichaltriger und streben danach, Dinge auf neuartige Weise zu machen.

Im Lauf der Pubertät entwickeln sich unsere Sexualorgane, wodurch sich der Hormonspiegel ändert und sich sekundäre Geschlechtsmerkmale ausbilden: Mädchen bekommen Brüste, Jungs einen Bart. Bei den meisten beginnt nach der Pubertät das sexuelle Begehren. Plötzlich fühlen wir uns auf ganz neue, sehr intensive Weise zu anderen hingezogen, ein wunderbares und gleichzeitig erschreckendes Gefühl. Oft markiert die Pubertät auch das Einsetzen der Adoleszenz. Bei manchen Menschen beginnen die Veränderungen im Gehirn schon vor der Pubertät, beispielsweise in Fällen verspäteter sexueller Reifung.

Die Pubertät führt zur Fruchtbarkeit, der Fähigkeit, sich fortzupflanzen. Noch vor einhundert Jahren lag zwischen beginnender Adoleszenz und dem tatsächlichen Übernehmen von Verantwortung (Kinder versorgen bzw. ernähren) nur eine sehr kurze Zeitspanne von wenigen Jahren. Früher setzte die Pubertät bei Mädchen im Alter von 15, 16 Jahren ein, und nur wenige Jahre später wurden diese Mädchen schon Mütter. Das ist mittlerweile anders; das Ende der Pubertät (Geschlechtsreife) und das Ende der Adoleszenz (Gründung einer Familie) liegen Jahrzehnte auseinander. In vielen modernen Kulturen vergehen zwischen Pubertät und Familiengründung zehn, ja 20 Jahre. Heutzutage setzt die Pubertät viel früher ein, bei Mädchen oft schon vor dem Teenageralter, gleichzeitig gründen die Menschen viel später Familien und übernehmen Verantwortung für andere – entsprechend hat sich die Phase der Adoleszenz verlängert.

Dass Jugendliche sich abzunabeln versuchen, ist universal; neu ist allerdings, dass immer mehr Heranwachsende sich komplett von allen Erwachsenen abschotten. Dabei kommen Erwachsene wie Jugendliche nur dann gut durch diese Jahre, wenn sie die Kommunikationswege offenhalten.

Alle Kulturen dieser Welt betrachten die Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter als eine eigene Lebensphase. Interessanterweise gibt es diese Phase auch im Tierreich – Hunde und Geparden, Papageien und Finken erleben sämtlich die Adoleszenz als eigene Lebensphase. Möglicherweise steckt uns die Adoleszenz also schlicht in den Genen.

Wir können aber nicht einfach die alten Rezepte weiterverwenden, die für frühere Generationen funktionierten, schließlich leben wir in modernen, wechselhaften Zeiten. Heranwachsende müssen lernen, sich in diese Umwelt zu finden, neue Strategien dafür entwickeln, wie man heute lebt. In der brutalen Logik der Evolution (»sich anpassen oder zugrunde gehen«) sind die Jugendlichen das kreative Element, das wir brauchen, um uns anpassen zu können.

Dennoch scheinen viele Erwachsene zu vergessen, dass sie früher selbst auch einmal jung waren. Sie fühlen sich mit dem Status quo wohl, wollen nicht, dass sich irgendetwas verändert. Dieser Wunsch nach Konstanz inmitten eines hektischen, verantwortlichen Lebens ist verständlich, führt aber, wie wir gesehen haben, schnell zu Spannungen zwischen den Generationen, die durchaus auch destruktive Wirkung entfalten und bei Erwachsenen wie Heranwachsenden erhebliches Leid verursachen können.

Wir werden ausführlich darauf eingehen, wie unsere Beziehungen unsere Identität formen, während wir uns von der engen Bindung zu den Eltern lösen und verstärkt den Kontakt zu Gleichaltrigen suchen. Diese Gemeinschaft mit Altersgenossen ist für uns überlebensnotwendig. Bei ihnen finden wir während unserer Nestflucht Beistand, in ihrer Gesellschaft fühlen wir uns sicherer. Sie erleichtert uns auch, uns mit ihnen zusammenzutun, um eine ganz neue Welt zu schaffen.

Während der gesamten Menschheitsgeschichte ist es uns gelungen, als Gesellschaft zusammenzuhalten, während Heranwachsende ihre Unabhängigkeit erforschten und erkämpften, dabei aber immer wichtige und lehrreiche Interaktionen mit den Erwachsenen beibehielten. In der heutigen Welt droht der Draht zwischen den Generationen zu reißen, mit Entfremdung und Vereinsamung als schlimme Folgen. Der Mensch ist ein geselliges Wesen und braucht den engen Kontakt zu anderen. Wenn die Abnabelung eines Teenagers nun dazu führt, dass er nicht nur mit seinen Eltern, sondern auch mit seinen Altersgenossen nichts mehr anfangen kann, löst dies zuweilen ein bestürzendes Gefühl totaler Isoliertheit aus. Vergessen Sie nicht: Es ist ganz natürlich, dass Heranwachsende sich von den Erwachsenen lösen; wenn sie sich aber von allen anderen Menschen absondern, ist das ebenso schädlich wie unnatürlich. Halten Sie also die Kommunikationswege immer offen – lassen Sie den Draht nicht abreißen – und bedenken Sie, dass wir alle, Erwachsene wie Heranwachsende, die Gesellschaft der anderen brauchen.

Probleme der verlängerten Adoleszenz

Kürzlich beteiligte ich mich an einer Brainstorming-Sitzung von älteren Heranwachsenden und jüngeren wie älteren Erwachsenen zum Thema Erziehung und Internet. Um das Gespräch anzustoßen, versetzten wir uns in unsere Teenagerjahre zurück und versuchten, das Gefühl dieser Jahre in einem einzigen Wort zu erfassen. Die Teilnehmer nannten folgende Begriffe: isoliert, durchgeknallt, verwirrt, durcheinander, allein, verängstigt, wild, außer Kontrolle, verloren, suchend, ängstlich.

Ich selbst steuerte das Wort abgekoppelt bei, was mein damaliges Lebensgefühl genau traf. Trotzdem fragte ich mich sofort, ob das Wort zu abstrakt, zu abgehoben, zu abgekoppelt von meiner eigenen Erfahrung war. Wie wir später sehen werden, gehören Selbstzweifel dieser Art bei vielen Menschen einfach zum Charakter. Während der Adoleszenz befällt diese Unsicherheit aber jeden Einzelnen, das liegt in der Natur dieser Phase. Warum? Weil sich eine große Umwälzung vollzieht. Wir verlassen das sichere und vertraute Nest und haben vorübergehend – manchmal jahrzehntelang – keinen Ort totaler Geborgenheit. Wir fühlen uns also aus zwei guten Gründen verunsichert: Wir geben das Vertraute, das Sichere auf und wir begeben uns ins Unbekannte, Gefährliche. Man weiß ja nie, was da draußen in der kalten Welt auf einen wartet, oder? Die Adoleszenz ist deswegen so schwierig, weil man sich Neuem stellt. Das kann verwirrend, verstörend, erschreckend und stressig sein und zu Abkapselung, Ernüchterung oder Mutlosigkeit führen. Ihnen selbst fallen vielleicht ähnliche Formulierungen ein; vielleicht hatten Sie das Gefühl »zu verschwinden« oder »sich aufzulösen«. Dies gehört zu den unangenehmen Nebenwirkungen dieser Phase, in der wir uns aus der Abhängigkeit und Wärme des heimischen Nests lösen und uns in die Welt stürzen. Sie verschwinden möglicherweise erst wieder in der Gesetztheit des Erwachsenenlebens.

In dieser Phase ist die Gesellschaft von Gleichaltrigen nicht nur angenehm, sondern schlicht überlebensnotwendig. Unter Altersgenossen findet man Menschen, die einen auf dieser Übergangsreise begleiten, außerdem ist man in der Menge sicherer: Raubtiere werden von der großen Gruppe abgeschreckt, man selbst kann sich in der Menge verstecken. Darin liegt auch ein Grund, warum es für viele Teenager so wichtig ist, »dazuzugehören« – früher hing tatsächlich das Überleben davon ab. In der Gruppe kann man sich geborgen fühlen, stärker, und – als Teil der Schwarmintelligenz – sogar kreativer.

Tatsächlich kann im Zusammenspiel einer Gruppe sehr Intelligentes entstehen – die Gruppe kann einen aber auch dazu bringen, dass man sich von einer Klippe stürzt oder zu schnell fährt. Vermutlich aus diesem Grund bleibt in traditionellen Kulturen (und selbst im Tierreich) der Kontakt zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden immer bestehen: In völliger Isolation von Erwachsenen drehen Heranwachsende mitunter tatsächlich durch.

In vielen Kulturen wird der Eintritt in die Adoleszenz mit einem Initiationsritus markiert. Auf sozial akzeptable Weise setzen Jungs sich dann Gefahren aus, nach deren Bestehen sie feierlich in die Erwachsenenwelt aufgenommen werden. Für Mädchen bedeutet Adoleszenz, ihre Fruchtbarkeit zu akzeptieren: sich bewusst zu werden, dass sie Kinder empfangen können und dann für sie sorgen müssen. Deshalb werden Mädchen als neue Mitglieder in die Gemeinschaft aufgenommen, als zukünftige Erwachsene. Initiationsriten sind eine formale Anerkennung dieses wichtigen Übergangs im Leben.

In der modernen Kultur sind diese Initiationsriten entweder ganz weggefallen oder unwichtig geworden. Viele Ventile, über die Jugendliche auf sozial akzeptable Weise »Dampf ablassen« können, sind verschwunden. Heranwachsende Menschen (und viele andere Säugetiere auch) verlassen ihr Zuhause und entfernen sich räumlich von den ihnen genetisch Nahestehenden. Das hat einen ganz konkreten biologischen Nutzen: Die Trennung von der »Herde« sorgt dafür, dass die Geschlechtspartner weniger stark mit einem verwandt sind, der Nachwuchs bekommt eine größere genetische Vielfalt auf den Weg. Aus Perspektive der Gemeinschaft braucht der Mensch also eine klare Trennung zwischen der Phase kindlicher Abhängigkeit und dem verantwortungsvollen Erwachsenenleben.

Angesichts einer hohen (Jugend-)Arbeitslosigkeit und großer Unsicherheit hinsichtlich der Teilhabe an der modernen Gesellschaft verlängert sich die Phase der Adoleszenz mitunter sogar noch weiter. Unsere moderne Kultur kennt keine nichtelterlichen Übergangs-Beziehungen, kein erwachsener »Mentor« hilft dem Jugendlichen durch die Adoleszenz. Gleichzeitig sehen sich Jugendliche in der modernen Welt einigen erheblichen Schwierigkeiten gegenüber. Dies ist etwas, was sich im Zuge einer sich stets neu formenden Kultur vielleicht ändern sollte.

Vielleicht sollten wir als Gesellschaft einen Initiationsritus schaffen, bei dem Jugendliche von jungen Erwachsenen beraten werden, welche Risiken man noch eingehen, welche »Kicks« man noch vertreten kann, sodass die Essenz der Adoleszenz erhalten bleibt, Risiken aber minimiert werden. Der Schlüssel liegt in einer klugen Zusammenarbeit der Generationen, bei der das Wesen der Adoleszenz gewürdigt und die versteckte Urkraft und Zielgerichtetheit des heranwachsenden Gehirns entdeckt und gehegt wird.

Übergänge in der Adoleszenz und die Bedeutung unserer Bindungsbeziehungen

Während ich mit Ihnen diesen Dialog führe, erfahre ich selbst Veränderungen und Übergänge im Leben. Kürzlich traf es mich mit voller Wucht, wie bedeutsam und wie wunderbar diese Zeit ist, und zwar an dem Tag, als unsere Tochter von zu Hause auszog, um auf die Uni zu gehen. Ich möchte diese Erfahrung mit Ihnen teilen, in der Hoffnung, damit auch vertraute Erfahrungen aus Ihrem Leben zu wecken.