Aufstand der Barbaren - Anthony Riches - E-Book

Aufstand der Barbaren E-Book

Anthony Riches

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Beschreibung

Die Germanen sind in Aufruhr, der römische Frieden wankt. Nur ein Zenturio könnte einen Aufstand noch verhindern – doch er gilt als Verräter!

Marcus Tribulus Corvus, der Zenturio der zweiten tungrischen Hilfskohorte, führt seine Männer vom Hadrianswall in Britannien zurück in ihre Heimat nach Germanien. Dort wartet eine neue Herausforderung auf sie. Der Banditenhäuptling Obduro raubt und tötet ungestraft. Nun hat er sich sogar noch höhere Ziele gesetzt: Er will seinem Volk die Freiheit von der römischen Herrschaft bringen! Immer mehr Tungrier folgen ihm. Kann Marcus Tribulus Corvus einen Aufstand verhindern?

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Buch

Marcus Tribulus Corvus, der Zenturio der zweiten tungrischen Hilfskohorte, führt seine Männer vom Hadrianswall in Britannien zurück in ihre Heimat nach Germanien. Dort wartet eine neue Herausforderung auf sie. Der Banditenhäuptling Obduro raubt und tötet ungestraft. Nun hat er sich sogar noch höhere Ziele gesetzt: Er will seinem Volk die Freiheit von der römischen Herrschaft bringen! Immer mehr Tungrier folgen ihm. Kann Marcus Tribulus Corvus einen Aufstand verhindern?

Autor

Anthony Riches hat einen Abschluss in Militärgeschichte von der Manchester University. Nach dem Studium arbeitete er 25 Jahre für eine Reihe von Großkonzernen in aller Welt, bevor er sich mit Aufträgen in Europa, USA, dem Mittleren und dem Fernen Osten selbstständig machte. Das Manuskript zum Auftakt der Imperium-Saga schrieb er bereits Ende der 1990er-Jahre, versteckte es allerdings in seiner Schreibtischschublade, bis er sein Werk 2007 endlich zu einem Verlag schickte, wo sich sofort begeisterte Fans fanden. Anthony Riches lebt mit seiner Frau Helen und drei Kindern in Hertfordshire.

Von Anthony Riches bereits erschienen:

Die Ehre der Legion

Schwerter des Zorns

Die Festung der tausend Speere

Aufstand der Barbaren

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Roman

Deutsch von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »The Leopard Sword (Empire 4)« bei Hodder & Stoughton, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe © 2012 by Anthony Riches

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Umschlaggestaltung: © Johannes Frick unter Verwendung von Motiven von Collaboration JS/Arcangel Images, © Stephen Mulcahey/Trevillion Images, Shutterstock.com (© BERNATSKAYA OXANA, © Yermolov, © leedsn) und iStock.com (© hidesy, © Nik_Merkulov, © nico_blue, © Renphoto)

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21267-4V002

www.blanvalet.de

Für Robin

Prolog

Niedergermanien, September, 182 n. Chr.

»Verfluchter Regen! Gestern Regen, heute Regen, und morgen wird’s sicher auch nicht besser. Die verdammte Feuchtigkeit kriecht überall rein. Bis die Nacht vorbei ist, wird meine Rüstung bestimmt wieder anfangen zu rosten.«

»Dann nimm lieber gleich mal deine Bürste raus, sonst reißt dir der Dreckskerl mit seinem Helmbusch den Arsch auf, dass dir schwindlig wird.«

Die beiden Wachen verzogen angewidert das Gesicht beim Gedanken an die unaufhörliche Arbeit, die vonnöten war, um ihre Rüstung von Rost freizuhalten und so der Missbilligung ihres Zenturios zu entgehen. Kalter Nebel waberte in dieser Nacht um den Wachturm des kleinen Vorpostens. Winzige Tropfen tanzten auf der weichen Brise, die über die umliegende Landschaft wehte. Die gleißende Flamme der Fackel, die den ihnen zugewiesenen Mauerabschnitt des Kastells erhellte, war in Dunst gehüllt und verbreitete ein gespenstisches Glühen, bei dem man kaum weiter als ein paar Schrittlängen sehen konnte. So gut es ging, schirmten sie ihre Augen ab und bewachten das offene Gelände. Gelegentlich warfen sie einen Blick hinunter in das Kastell, um sicherzugehen, dass nichts und niemand, weder Bandit noch Zenturio, sich heranschleichen konnte.

»Das Rüstungputzen ist mir immer noch lieber, als den alten Dreckskerl stundenlang schwadronieren zu hören, wie viel härter es ›damals‹ zuging: ›Als die Chauken uns vom Meer aus überfielen, ja, das waren echte Gefechte, Jungs! Ihr Grünschnäbel würdet einen Kampf ja erst bemerken, wenn ihr die Schwerter in euren Eingeweiden spürt …‹« Der Wachsoldat verstummte. Im Dunkel unter den Mauern hatte er etwas erspäht.

»Was ist?«

Er starrte eine Weile in die Finsternis und blinzelte mit den Augen, um die Müdigkeit zu vertreiben. Dann wandte er sich ab, richtete aber kurz darauf seinen Blick erneut auf denselben Fleck, denn er hätte schwören können, in der Dunkelheit habe kurzzeitig etwas Gestalt angenommen.

»Nichts. Es kam mir vor, als hätte sich da unten etwas bewegt, aber wahrscheinlich war das nur der verdammte Nebel.« Er schüttelte den Kopf, stellte das Ende seines Speers auf die hölzernen Bodenplanken des Wachturms und gähnte laut. »Ich hasse diese Jahreszeit; bei dieser Nebelsuppe schreckt man ständig auf, weil man glaubt, etwas gesehen zu haben.«

Sein Kamerad nickte, lehnte sich über die Brüstung und starrte gleichfalls in die Dunstschwaden hinab. »Ich weiß, manchmal bildet man sich Dinge ein …« Ganz plötzlich verstummte er. Einen Moment schien er unentschlossen, fiel dann unvermittelt über die Mauer und war verschwunden. Während der zweite Wachsoldat noch verdutzt die Augen aufriss, packte eine Hand den Rand der Brüstung, und eine schwarz gekleidete Gestalt schwang sich über die Holzwand auf die von Fackeln erleuchtete Plattform. In der anderen Hand hielt der Eindringling einen kurzen Speer, von dessen Klinge noch das Blut des getöteten Wachmanns herabtroff. Das Schuhwerk des Angreifers war mit robusten Metallsporen bestückt, um die glatte Holzwand zu erklimmen, und glänzte im flackernden Licht der Fackeln. Im Hintergrund, aus einer anderen Ecke des Kastells, waren Schreie zu hören, die der Wachsoldat jedoch kaum wahrnahm. Er trat vor und richtete seinen Speer auf den Angreifer, der ihm mit einer kleinen Handbewegung bedeutete, er könne sich die Mühe sparen. Dann schleuderte er ihm eine schmale Eisenklinge in den Hals. Der Wachmann wankte und spuckte Blut, taumelte über den Rand der Plattform ins Nichts hinaus und schlug gute drei Meter tiefer hart auf dem Boden auf.

Der Zenturio der Einheit lag dösend im Halbschlaf auf dem Bett seines kleinen, zugigen Barackenlagers, als ihn das unmissverständliche Geräusch kämpfender Männer erreichte. Noch bevor er richtig wach war, hatte er sein Schwert ergriffen, das am einzigen Holzstuhl des Raumes hing, und es aus der Scheide gezogen. Dankbar, dass er in weiser V­oraussicht vor dem Zubettgehen seine Stiefel nicht ausgezogen hatte, setzte er den Helm auf und trat durch die Tür hinaus. Er schrie seinen Männern einen harschen Befehl zu und bedauerte schmerzlich, keine Rüstung anzuhaben, die ihn hätte schützen können. Eine schattenhafte Gestalt, deren Speer im Licht der Fackel an der hinteren Wand glänzte, trat rechts aus der Dunkelheit und griff ihn an. Mit einer Gewandtheit, die man nur nach zwei Jahrzehnten Praxis erlangen konnte, wich der Zenturio dem auf ihn geschleuderten Speer aus und rammte seinen Gladius in die Brust des unbekannten Angreifers. Dann stieß er den tödlich Getroffenen von sich ins feuchte Gras, wo er mit einem gurgelnden Geräusch liegen blieb. Auf dem Weg zum Eingang des Kleinkastells bückte sich der Zenturio und ergriff einen Schild, der neben dem Leichnam einer der beiden Wachen auf dem Boden lag. Im blutüberströmten Hals des Toten steckte ein Wurfmesser. Sein Gesicht verfinsterte sich mit Unbehagen beim Gedanken daran, wie leicht die Verteidigungslinie seiner Männer überwunden worden war.

Um mehr über die Lage zu erfahren, lief der Zenturio vorsichtig an der Mauer entlang zum Eingang, wo sich ihm ein entmutigender Anblick bot: Das Tor stand bereits offen, und eine Flut von Angreifern mit gezogenen Schwertern ergoss sich in den Innenhof. Vom Schatten der Palisade gedeckt, konnte er beobachten, wie die wenigen Männer, die das Kastell noch zu verteidigen suchten, überrannt und in nur kurz andauernden Gefechten niedergemetzelt wurden. Er schüttelte den Kopf und wandte sich ab, um die Vernichtung seiner Truppe nicht weiter mit ansehen zu müssen. Sicher war es besser, abzuhauen und seinem Tribun in Tungrorum Rapport über diese katastrophale Niederlage zu erstatten. Doch noch bevor er seinen Entschluss umsetzen konnte, erblickte er eine dunkel gekleidete Gestalt, die einen kurzen Speer in der Hand hielt und sich aus der Finsternis auf ihn stürzte. Den Speer mit dem Schild abwehrend, schlug er mit seiner Schwerthand hart ins Gesicht des taumelnden Mannes und schleuderte ihn gegen die Mauer. Mit einem dumpfen Geräusch prallte der Kopf des Angreifers an die Holzwand, wo er mit glasigen Augen zu Boden sackte. Der Zenturio kniete nieder, hielt dem gefallenen Angreifer seinen Gladius an den Hals und zischte ihm eine Frage ins Gesicht – die eine brennende Frage nämlich, die seit Monaten auf den Lippen aller Soldaten der Provinz lag.

»Obduro? Wer ist Obduro?«

Stumm sah der benommene Mann zu ihm auf, ohne zu antworten.

»Sag mir seinen verfluchten Namen, oder ich beende dein Leben!« Die Verzweiflung, die aus ihm sprach, machte seine Worte zu einer tödlichen Drohung, an deren Ernsthaftigkeit das Opfer kaum zweifeln konnte.

Der Angreifer kam langsam wieder zu sich, schüttelte jedoch nur verhalten den Kopf und richtete die Augen auf eine Stelle hinter dem rachedurstigen Zenturio. Leise begann er zu sprechen, und seine Stimme war im Kampflärm kaum zu verstehen: »Er ist viel mehr wert als mein geringes Leben.«

»Na gut!«

Als ihm bewusst wurde, dass sie nicht mehr allein waren, verhärtete sich das Gesicht des Zenturios, und er nickte bedächtig. Dann drehte er sich zu den Männern hinter ihm um und stach mit der Spitze seines Schwertes fast beiläufig durch den Hals des hilflosen Mannes. Er stemmte seinen Stiefel auf die schwer atmende Brust des Opfers, um ihn am Boden zu halten und seine Waffe aus dessen Körper herauszudrehen. Ein halbes Dutzend Angreifer stand im Halbkreis um ihn herum, und alle außer einem hatten ihre Speere auf ihn gerichtet. Ihre dunkle Kleidung, die sie zur Tarnung in dieser mondlosen Nacht angelegt hatten, verriet nichts darüber, wer sie sein mochten, auch wenn ihm einige Gesichter irgendwie bekannt vorkamen. Der sechste Mann trug lediglich ein um die Hüfte gegürtetes Schwert, dennoch trat der Zenturio unwillkürlich einen Schritt zurück, als er den römischen Kavalleriehelm sah, der die Gesichtszüge fast völlig verdeckte. Der dicke Gesichtsschutz bestand aus einer auf Hochglanz polierten verzinnten Eisenplatte, deren spiegelartige Oberfläche nur von Augenlöchern und einem Schlitz zwischen dünnen, grausam wirkenden Eisenlippen durchbrochen wurde. Die Maske warf das verzerrte Abbild des Zenturios zurück, der seinen Schild hob und sich zum Kampf bereit machte.

»Du suchst Obduro? Dann hast du ihn gefunden. Außerdem hättest du dir diese letzte Bluttat sparen können, Zenturio, denn deine Männer sind bereits geschlagen und zerstreut. Dieser Tote war ein guter Mann, einer meiner besten. Du weißt doch, dass ich dir für einen kurzen Augenblick der Rache lang anhaltende Qualen zufügen könnte. Und dennoch warst du entschlossen, diesen Preis zu zahlen, nur um dir ein wenig flüchtige Befriedigung zu verschaffen. Wie interessant …«

Die Gesichtsmaske des Helmes dämpfte seine Worte so sehr, dass sie kaum zu hören waren. Überdies klang die Stimme verzerrt, sodass die Identität ihres Trägers nicht auszumachen war – trotz all der Gerüchte, die die Soldaten in der ganzen Provinz verbreiteten.

»Heute Nacht, Zenturio, werden wir Gefangene nehmen und Männer rekrutieren, die mit uns in den Wald ziehen. Du kannst also weiterleben, sofern du Schwert und Schild fallen lässt, dein Knie vor mir beugst und mir treuen Dienst gelobst. Du kannst aber auch gleich hier sterben, allein und ohne Ehre, egal wie mutig dein Tod auch sein sollte.«

Der Zenturio schüttelte ablehnend den Kopf und packte sein Schwert, um zu kämpfen. »Hetz nur deine Männer auf mich, dann werden wir schon sehen, wie viele ich niederstrecke, bevor sie mich aufhalten können.« Er spuckte auf den erkalteten Körper zu seinen Füßen, um den Maskierten zu einer unbedachten Tat herauszufordern. »Bis du mich umgebracht hast, werde ich dich mehr kosten als dein Liebhaber hier.«

Mit einem Kopfschütteln zog der Maskierte ein Langschwert aus der Scheide an seiner Hüfte. Die geriffelte Klinge mit ihrem aufwändigen hell-dunklen Streifenmuster glänzte unheimlich im Licht der Fackeln.

»Wahrscheinlich hast du recht, Zenturio. Man sollte keine guten Männer vergeuden, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Daher werde ich mich selbst um dich kümmern.«

Er bückte sich und ergriff einen weggeworfenen Schild. Dann ging er auf den Zenturio zu, hob das verzierte Schwert und richtete dessen Spitze auf seinen Gegner. Einen Moment lang standen sie sich stumm gegenüber, dann zuckte der Zenturio mit den Schultern und ging zum Angriff über. Wuchtig hämmerte er mit seinem Schwert auf den Schild des Maskierten. Einmal, zweimal, der Gladius hob und senkte sich, und einen Moment lang glaubte der Zenturio, die Oberhand zu gewinnen. Doch jedes Mal wich sein Gegner aus oder benutzte den Schild, um die Schläge abzuwehren. Erneut hob er das Schwert, näherte sich und schwang die Klinge mit all seiner Kraft. Der Maskierte hielt inne und parierte den Gladius mit seiner eigenen Waffe. Mit einem klirrenden Geräusch trafen die Klingen aufeinander. Funken sprühten, als das verzierte Schwert die eiserne Klinge des Gladius durchtrennte und zwei Drittel davon in hohem Bogen wegschlug. Fassungslos starrte der Zenturio auf das erbärmliche Stück Klinge, das als Stumpf aus dem Schwertgriff ragte. Der Maskierte gab dem entsetzten Soldaten jedoch keine Zeit, sich von diesem Schlag zu erholen, sondern attackierte ihn mit erbarmungsloser Härte. Mit seinem offenbar unzerstörbaren Schwert hieb er auf den Gegner ein und traf dessen Schild. Die Schichten aus Holz und Leinen fielen auseinander wie ein verfaulter Fassdeckel, sodass der Zenturio nun in der einen Hand ein schiefes Stück Holz und in der anderen die Überreste seiner nutzlosen Waffe hielt. Er schleuderte das Heft seines Schwertes auf den Angreifer und ballte wütend die Fäuste, als er sah, dass sein Wurfgeschoss mit metallischem Klirren an der polierten Maske abprallte. Also warf er die Überreste des Schildes hinterher, doch diese wurden von seinem Gegner noch im Flug sauber in zwei Hälften getrennt. Der Maskierte trat noch einen Schritt vor, ließ seinen Schild fallen und hob sein verziertes Schwert mit beiden Händen.

»Und nun, Zenturio, wirst du den Preis bezahlen, von dem ich vorhin sprach.«

Auf der polierten Gesichtsmaske des Helmes erblickte der Zenturio sein Spiegelbild und wusste, dass er geschlagen war. Wut und Verzweiflung stiegen in ihm empor, und mit einem hasserfüllten Satz sprang er seinem Feind entgegen. Der Maskierte war jedoch ebenso schnell wie der wutentbrannte Angreifer und schlug sein Schwert mit einer geschwungenen Bewegung in den Leib des Zenturios. Anstatt dessen Körper sauber zu durchtrennen, trieb er die grausame Waffe quer über die Wirbelsäule und zog sie dann heraus. Der Zenturio fiel zu Boden, Blut und Eingeweide quollen hervor, und seine Augen flackerten im Bewusstsein der völligen Zermalmung seines Körpers.

Der Schwertträger beugte sich herab, als wolle er dem sterbenden Offizier noch etwas sagen, säuberte seine Klinge an der Tunika des Unterlegenen und steckte sein Schwert zurück in die Scheide. Dann lüftete er den Gesichtsschutz, um sein schwitzendes Antlitz in der Nachtluft zu kühlen. Mit einem Blick auf den sterbenden Soldaten lächelte er und nickte anerkennend. »Gut gemacht, Freund. Du bist als Mann gestorben. Und nun begibst du dich auf den Weg zu deinen Göttern, nachdem wir dir die Münze gegeben haben, um den Wegzoll zu entrichten. In Anbetracht dessen, wo du dich befindest, wirst du allerdings wohl nur die Göttin Arduinna treffen. Und glaub mir, Zenturio, die ist eine boshafte und rachsüchtige Schlampe.«

Er wandte sich ab, um zu gehen, musste jedoch feststellen, dass er am Bein festgehalten wurde. Mit zitternder Hand und allerletzter Kraft hatte ihn der sterbende Zenturio am Knöchel gepackt.

»Du …?«

Er starrte in die langsam verblassenden Augen des sterbenden Mannes. »Ja, ich. Damit hattest du nicht gerechnet, oder?« Er schüttelte sein Bein frei und sah unbeteiligt zu, wie der letzte Rest Leben aus dem Zenturio wich. Dann zog er die Gesichtsmaske wieder vor den Helm. »Bringt den Leichnam hinüber zum Tor. Ich möchte so viele Männer wie möglich für unsere Sache gewinnen, und sie sollen ihre Kameraden in der Stadt ebenfalls davon überzeugen. Die Überreste des Zenturios öffentlich auszustellen sollte die Ermunterung sein, die sie benötigen.«

1

Niedergermanien, März, 183 n. Chr.

»Auch wenn das deine Heimat ist, Julius, für mich ist es nichts als ein Drecksloch.« Der stämmige Zenturio zog seinen dicken Wollumhang fester und betrachtete den kalten Dunst um sie herum mit einer angewiderten Grimasse. Der Nebel dämpfte seine Stimme und beschränkte die Sicht auf nur fünfzig Schritte, wodurch der Eindruck entstand, als sei die kleine Gruppe von dicken grauen Mauern umgeben. »Das Wetter ist nicht besser als in Britannien, das Essen ist sogar schlechter, und das Bier schmeckt wie Pisse.«

Einer der anderen beiden Offiziere, die neben ihm marschierten, schüttelte Wasser aus seinem dicken schwarzen Bart und schnaubte. Dabei lief ein Rinnsal seinen Rücken hinunter, und er zuckte zusammen.

»Als ich das letzte Mal hier war, Dubnus, war ich fünfzehn. Meine Erinnerungen an Tungrorum sind so verschwommen, dass ich es wahrscheinlich gar nicht wiedererkenne, wenn wir dort ankommen. Vorausgesetzt, wir finden in der verfluchten Dunkelheit überhaupt dorthin.«

Einer der drei Barbaren, die hinter ihm gingen, schnaubte, um seinem persönlichen Abscheu gleichfalls Ausdruck zu verleihen. »Irgendein Narr sagte, wir seien nach Germanien unterwegs. Schon bei der Fahrt über das Meer habe ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Als wir dann in dieser erbärmlichen, verlausten Kaserne überwintern mussten und vor Kälte zitterten, habe ich mich mit dem Gedanken getröstet, bald im Land meiner Väter zu sein, dem Land der Quaden. Ein Land voller Flüsse und Wälder, in denen es von Wild nur so wimmelt, bewacht von den Göttern meines Vaters. Stattdessen« – er hob die Hände und deutete auf die sanft hügelige Landschaft auf beiden Seiten der pfeilgeraden Straße – »finde ich mich hier wieder, stampfe durch end­loses Ackerland, das nur von lustlosen Sklavenhorden bewohnt ist. Das ist nicht Germanien – diese verdammte Provinz ist nur ein riesiges Feld.«

Der Zenturio zu Dubnus’ Linken wandte sich um und ging rückwärts, um den Barbaren anzusehen. Ein amüsiertes Lächeln spielte auf seinem hageren, falkenartigen Gesicht. »Arminius, zufällig hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Hier in diesem Teil Niedergermaniens ist es genau wie im Süden von Gallia Belgica: Es wird fast nur noch Korn angebaut. Der Boden ist fruchtbar, das hat mir zumindest mein alter Tutor erzählt. Ohne diese Provinz und das Ackerland im Süden wären am Fluss Rhenus gar keine Legionen stationiert, um die germanischen Stämme in Schach zu halten. Dann gäbe es nämlich kein Getreide, um sie zu ernähren.«

Der Barbar schüttelte ungläubig den Kopf. »Du schaffst es als Einziger, Marcus Valerius Aquila, eine Klage zu einer Lektion darüber zu machen, wie das Imperium betrieben wird.«

Julius marschierte weiter, sagte dann aber mit entschiedener Stimme: »Bleib einfach bei dem Namen, den er jetzt trägt, Arminius. Oder nenne ihn ›Zwei-Klingen‹, wie es die Soldaten tun. Lass die Vergangenheit ruhen, denn wenn du sie zu sehr anstupfst, wird sie nur schlecht gelaunt auf­wachen und uns allen noch mehr Kummer bereiten. Unser Waffenbruder heißt jetzt Marcus Tribulus Corvus, und wir benutzen fortan immer diesen Namen – ob uns jemand belauscht oder nicht. Du weißt genauso gut wie ich, welche Strafe darauf steht, wenn herauskommt, dass wir einem Flüchtigen des Kaiserreichs Unterschlupf gewähren. Egal, ob wir uns in Britannien, Germanien oder sonst einem Flecken des Imperiums befinden.«

Ein anderer aus dem Barbarentrio lachte. Er kommentierte das Gesprächsthema mit einem Zwinkern und nutzte dafür das einzig gute Auge, das er noch besaß. Die Wunde, die sein anderes Auge ruiniert hatte, war inzwischen geschlossen, und er machte keinen Versuch, die frische grellrosa Narbe zu verbergen, die seine Braue in zwei Teile durchtrennte. Die Augenhöhle selbst war leer – eine lebenslange Erinnerung an eine blutrünstige Nacht, in der sie an den Unterdrückern seines Stammes Rache geübt hatten. »Ja, insbesondere, wenn es sich um einen Flüchtling von so aristokratischem Blut handelt.«

»Na, wenn du das sagst, Prinz Martos, muss es wohl stimmen. Wo du doch hier der einzige Spross eines Königsgeschlechts bist …«

Der einäugige Mann quittierte Dubnus’ Stichelei mit einem raschen Kopfschütteln. »Ich habe meinen Rang innerhalb des Stammes verwirkt, als ich mich von den Dinpaladyr lossagte und mit euch gen Süden zog. Ebenso wie du, als du dein Volk verlassen hast, um Teil der zivilisierten Welt zu werden. Außerdem braucht mein Stamm mich sowieso nicht, solange eine römische Garnison über die Festung der Speere wacht, bis mein Neffe irgendwann bereit ist, ohne ihre Hilfe zu regieren. Hier bin ich von größerem Nutzen, indem ich euch helfe, diesen Mann hier« – er deutete mit dem Kopf auf Marcus – »von den Augen der Öffentlichkeit fernzuhalten.« Er ballte eine seiner großen Fäuste und betrachtete mit Genugtuung, wie sein Armmuskel anschwoll. Dann bedachte er den gleichermaßen muskulösen Römer mit einem schiefen Lächeln. »Als ob ihn irgendwer genauer betrachten würde, solange ein einäugiger Krieger, der gebaut ist wie eines der Badehäuser eurer Legion, in seiner Nähe steht.«

Der dritte Barbar war gut einen Kopf größer als die anderen beiden und hatte einen eisenbeschlagenen Streithammer gegen seine kantige Schulter gelehnt. Auch er lachte amüsiert, aber so leise, dass es kaum zu hören war.

Der Prinz wandte den Kopf, um den großen Mann mit seinem gesunden Auge betrachten zu können. Mit einem heftigen Stirnrunzeln fauchte er ihm in ihrer gemeinsamen Stammessprache eine Frage entgegen. »Hast du ein Pro­blem, Lugos?«

Martos hatte noch immer Schwierigkeiten, den Riesen als ein Mitglied der inoffiziellen Späherkohorte der Zenturie zu akzeptieren, die sich aus Kriegern der Votadini zusammensetzte, die im vergangenen Jahr von den Römern besiegt worden waren. Ihre Gefangennahme war dem Verrat des selgovischen Anführers geschuldet, und dieser war König des Stammes, dem der bullige Lugos angehörte. Aus diesem Grund begegnete Martos dem Riesen stets mit unverkennbarer Voreingenommenheit, doch Lugos war schlau genug, abzuwarten und sich nicht mit dem Anführer der Votadini anzulegen.

»Kein Problem, Prinz Martos. Ich höre nur zu, und dabei lerne ich etwas.«

Martos warf ihm einen langen und unerbittlichen Blick zu, aber die unschuldige Miene des Riesen besänftigte ihn zumindest so weit, dass sein Fass nicht zum Überlaufen kam.

Lugos wartete, bis der Prinz aufhörte, ihn misstrauisch anzustarren, dann zwinkerte er Marcus zu. Der Römer antwortete darauf mit einer hochgezogenen Augenbraue und wandte sich wieder in Marschrichtung – nicht ohne den verschwörerischen Blick zu bemerken, mit dem Dubnus die Sticheleien gegen Julius quittierte.

»Wie lange brauchen wir noch bis zur Stadt, Julius? Was meinst du?«

Der ältere Mann warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Fünf Minuten weniger als beim letzten Mal, als du gefragt hast. Warum fragst du überhaupt? Musst du deine Blase entleeren, oder plagt dich die Speerwunde wieder? Du hättest besser vorher gehen sollen …« Er brach abrupt ab, legte eine Hand auf seinen Schwertgriff und zeigte mit der anderen auf den kaum sichtbaren Boden rechts des Weges. »Seht ihr das?«

Weit draußen im Nebel, wo man nur schwer eine Bewegung erkennen konnte, war etwas aus dem matschigen Boden aufgetaucht. Während sie noch zusahen, erhob sich eine weitere Gestalt nahe der ersten. Es war eine menschliche Gestalt, stark mit Schlamm verschmiert.

Dubnus schüttelte den Kopf, starrte auf die gespenstischen Erscheinungen und deutete dann in den Nebel auf der anderen Straßenseite. »Da sind noch mehr!«

Während die Römer weiterstarrten, erhob sich mehr als ein Dutzend unkenntlicher Gestalten um sie herum. Wie von Geisterhand schienen sie direkt aus dem Boden in die neblige Finsternis emporzusteigen. Lugos brach den Zauber, indem er seinen Streithammer mit beiden Händen packte, vortrat und wutentbrannt ein einziges Wort bellte.

»Banditen!«

Die Römer wechselten einen kurzen Blick und zogen ihre Schwerter. Mit der linken Hand riss Marcus ein langes Kavallerieschwert aus der Scheide, die an seiner Hüfte hing. In der Rechten hielt er den kürzeren Gladius, dessen gold- und silberverzierter Adlerkopf schwach im blassen Licht des Nebels schimmerte. Dubnus zog eine Wurfaxt aus seinem Gürtel, schleuderte sie in die Luft und fing sie am Stumpf des Griffes wieder auf, um zum sofortigen Gebrauch bereit zu sein. Stumm verfolgten sie, wie die Geschöpfe näher rückten, allmählich deutlicher Gestalt annahmen und sich kreisförmig um die verwirrte Gruppe herum verteilten. Bei näherer Betrachtung sah Marcus, dass es sich tatsächlich um Männer handelte, Männer in abgetragener, schmutziger Kleidung. Jeder Einzelne von ihnen trug ein Schwert oder einen Speer, und die Klingen der Waffen sahen gut gepflegt aus.

»Bleibt, wo ihr seid – es sei denn, ihr möchtet herausfinden, wie sich meine Schwertspitze zwischen euren Rippen anfühlt!«

Auf Julius’ Zuruf hin blieben die Männer stehen, und einer von ihnen trat aus dem Kreis nach vorne. Was Marcus zunächst für beinharte Gesichtszüge gehalten hatte, stellte sich nun als eiserner Kavalleriehelm mit eng anliegender Gesichtsmaske heraus, der die Stimme des Mannes verzerrte, als dieser das Wort ergriff.

»Wir sind dreimal so viele wie ihr, also legt eure Waffen nieder und übergebt uns eure Münzen, dann wird niemand verletzt. Solltet ihr aber versuchen, gegen uns zu kämpfen, so werden wir euch wie Vieh abschlachten.«

Julius trat vor, steckte seinen Gladius zurück in die Scheide und griff nach dem Beutel an seinem Gürtel. »Ihr habt recht: Es gibt tatsächlich einen besseren Weg, diese Sache zu regeln.«

Marcus und Dubnus tauschten wissende Blicke aus. Hinter ihnen stand Lugos, der leise knurrte und sich kaum zurückhalten konnte, die Banditen eigenhändig zu erledigen. Der Zenturio hob die Hände, und kurz blitzte etwas Silbernes durch den wabernden Nebeldunst. Der maskierte Bandit entspannte sich ein wenig und hielt seine Hand hoch, um seine Räubergefährten zurückzuhalten.

Mit einem raubtierhaften Lächeln trat Julius näher heran. »Nein, wirklich, es gibt keinen Grund, jemanden zu verletzen. Du aber solltest dich aus dem Staub machen. Und zwar sofort.« Er setzte eine glänzende Pfeife an seine Lippen, während der Anführer der Banditen die Stirn runzelte und sein Schwert zum Kampf erhob. »Du willst nicht? Ich habe dich gewarnt …«

Durchdringend erscholl ein einzelner Pfiff, dann ließ er die Pfeife fallen, zog seinen Dolch aus der Scheide und ging auf den Maskierten zu. Dieser schwang sein Schwert und zielte mit einem schwerfälligen diagonalen Schlag auf die Stelle zwischen Kopf und Nacken des Römers. Julius aber drehte sich behände und duckte sich. Er verlagerte sein Gewicht auf den rechten Fuß und sprang den Banditen an, der zu Boden fiel und dabei seinen Schwertgriff losließ. Darauf bohrte er die fußlange Klinge tief in die freiliegende Achselhöhle des Banditen. Während der andere noch vor Schmerz schrie, riss er seinen Kopf nach unten und rammte den ­Augenschirm seines Helms gegen die eiserne Gesichtsmaske, auf der er eine tiefe Kerbe hinterließ. Dann stieß er sich vom regungslosen Körper seines Angreifers ab, sprang auf die Füße und zog erneut seinen Gladius aus der Scheide. Mit einem breiten Lächeln drehte er sich zum nächsten Banditen um.

Lugos, der sich nicht länger im Zaum halten konnte, war von der Straße getreten, um zwei der Räuber anzugreifen. Dabei hob er seinen Hammer, als wollte er ihn auf den ­näher stehenden Mann niedergehen lassen, besann sich dann aber eines Besseren und schlug mit der schweren eisernen Hammerspitze auf die Beine der Widersacher. Einer der beiden sackte sogleich zu Boden und krümmte sich, der andere sprang mit einem Satz zurück. Dabei verlor er jedoch das Gleichgewicht und fiel kopfüber nach hinten, beide Arme zur Seite gespreizt. Der große Barbar hob seinen Hammer erneut, schwang die teuflische hakenförmige Klinge über seinem Kopf und ließ sie in weitem Bogen auf die Brust des gefallenen Mannes niedersausen, worauf das Geräusch brechender Knochen zu hören war. Während Martos und Arminius an seine Seite traten, tötete der Germane schnell den Banditen, der bereits zuvor niedergestreckt worden war. Der riesige Britannier trat mit dem Fuß auf den Bauch des sterbenden Mannes und zog seinen Hammer aus dessen Brustkorb, der nur noch aus zerschmetterten Rippenstücken bestand, wobei er mit den Augen bereits den Nebel nach weiteren Opfern absuchte.

Marcus und Dubnus eilten zu Julius hinüber, der der Räubermeute entgegenging. Dubnus schwang seine Axt und versenkte sie krachend im Fleisch und den Knochen seines Angreifers, bevor er einem feindlichen Speerstoß ausweichen musste. Er packte den Stiel der Waffe und brachte damit den Speerträger aus dem Gleichgewicht, zog seinen Gladius und bohrte ihm die Klinge tief in den Schenkel. Blut spritzte, als er seinem Opfer den Speer aus der Hand zog. Die soeben erbeutete Waffe über seinem Kopf herumdrehend, ging er auf den Angreifer los und durchbohrte nebenbei noch einen weiteren Banditen. Marcus hingegen war mit zwei Schwertkämpfern beschäftigt. Mithilfe einer Finte täuschte er den ersten, um sich gleich darauf umzudrehen und den zweiten von vorne anzugreifen. Mit seinem Gladius parierte er das Schwert des Feindes und rammte dann mit der anderen Hand dem Banditen seine Spatha in die Seite. Sein Gegner zuckte heftig, als das kalte Eisen seinen Leib durchschnitt, und fiel zu Boden. Dann wandte der Römer sich dem zweiten Mann zu und richtete seine blutige Spatha auf die Brust des langsam zurückweichenden Räubers. Mittlerweile tauschten die Banditen stumme, verwunderte Blicke, waren jedoch noch immer nicht bereit, sich diese Beute entgehen zu lassen. Andererseits scheuten sie mittlerweile den Kampf, nachdem so viele ihrer Männer bereits tot oder verwundet waren.

Einen Moment lag Stille über dem offenen Gelände, abgesehen von einem entfernten rhythmischen Geräusch, das kaum hörbar war, jedoch schnell an Stärke zunahm. Es war ein pulsierendes metallisches Klicken, das wie das Knirschen einer Million winziger Eisenzähne durch den Nebel drang. Julius lächelte noch breiter, spreizte die Arme und wandte sich um, damit alle ihn hören konnten.

»Hört ihr das, Freunde? Das ist der Klang des Todes, der euch entgegeneilt! Ihr habt vielleicht noch zwanzig Herzschläge, womöglich auch dreißig, bevor ein riesiges gepanzertes Monster aus dem Nebel tritt und euch alle in Stücke reißt. Also lauft jetzt oder macht Frieden mit euren Göttern.«

Er unterbrach seine Rede und legte mit theatralischer Geste eine hohle Hand ans Ohr. Das Geräusch schwoll nun an, wurde härter, und der deutlich zu vernehmende Rhythmus verschwamm zu einem klappernden Geratter. Marcus starrte auf die dreckigen, erschöpften Banditen und sah im Gesicht jedes einzelnen das dringende Bedürfnis, schnellstens davonzulaufen. Mit einem heftigen Ruck verstand einer der Räuber, was hier vor sich ging, und schickte sich an zu fliehen. Doch schon kamen die ersten Soldaten in zügigem Marschschritt aus dem Nebel hervor. Marcus erkannte in dem Zenturio neben der Viererkolonne Clodius, und im selben Moment hob sein Kamerad das Schwert und rief seinen Männern einen Befehl zu.

»Dritte Zenturie, macht sie nieder!«

Die Banditen rannten in sämtliche Richtungen, und die Zenturios beobachteten erstaunt, wie schnell sich die geordneten Reihen in ein planmäßiges Chaos verwandelten, in welchem jeder Soldat sein Opfer wählte und ihm dann wie ein Jagdhund nachstellte. So fand sich zur Verzweiflung der Räuber plötzlich jeder von einem halben Dutzend blutrünstiger Soldaten verfolgt. Schreie und wildes Rufen, sowohl der Jäger als auch der Gejagten, erfüllten den Nebel. Ein besonders dienstbeflissener Soldat rannte gar mit hoch erhobenem Speer auf die drei Barbaren-Späher zu, da er sie im Eifer des Gefechts ebenfalls für Räuber hielt. Doch schon einen Augenblick später taumelte er zurück und hielt sich die Hände vors Gesicht, denn Arminius war ihm entgegengetreten. Wütend hatte er den Soldaten mit einem jähen Schlag seiner mächtigen Faust gestoppt. Der unglückselige Tungrer fiel auf den Hintern, und sein Gesicht war nass vor Blut.

»Du hast mir die Nase gebrochen!«

Der Germane schüttelte nur verächtlich den Kopf und deutete auf seine Kameraden. »Und wer hat Schuld daran? Du solltest dich glücklich schätzen, dass ich es war, der dir diese Lektion erteilt hat, und nicht einer der beiden anderen hier. Der Prinz hätte dich ausgenommen wie einen Fisch, und unser Riese hätte dir den Kopf mit nur einem Fausthieb von den Schultern geschlagen. Also verschwinde jetzt und blute irgendwo anders weiter.«

Clodius ging mit hochgezogener Braue zu seinen Offiziersbrüdern hinüber. Er nahm seinen Helm mit dem gepolsterten Innenfutter aus Leinen ab, um die kühle Brise auf sein graumeliertes Haar strömen zu lassen. Dann sah er seinen Männern dabei zu, wie sie die Leichen ihrer Opfer durch die schlammigen Felder zurückschleiften. »Ich hätte mir denken können, dass ihr drei Gelegenheit finden würdet, in Unannehmlichkeiten zu geraten.«

Bevor er antwortete, wischte Dubnus sein Schwert an der speckigen Tunika eines Gefallenen ab und schob es in die Scheide zurück. »Die Unannehmlichkeiten finden uns.«

Clodius grunzte mürrisch. »Wie immer also. Wie geht es deiner Wunde, junger Dubnus? Schmerzt sie immer noch, wenn du auf die Knie sinkst, um …« Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung, wandte sich um und befahl: »Dritte Zenturie, stillgestanden!«

Begleitet vom Ersten Speer Sextus Frontinius schritt Tribun Scaurus in den Kreis der Zenturios und erwiderte deren Salut, während er aus täuschend sanft wirkenden grauen Augen den Kriegsschauplatz um sie herum betrachtete.

»Männer! Ich weiß, dass wir hier sind, um Banditen zu töten. Aber wir sind noch nicht einmal in Tungrorum angekommen, daher scheint mir das alles ein wenig übereifrig, sogar für eure Maßstäbe.« Er betrachtete die über den Boden verstreuten Leichen und die wenigen stöhnenden Räuber, die das Scharmützel überlebt hatten. »Doch ich denke, wir belassen es nun dabei. Normalerweise würde ich sagen, wir sollten sie begraben oder verbrennen, nachdem wir sie getötet haben. Aber unter diesen Umständen …« Mit fragendem Blick wandte er sich an Frontinius: »Was meinst du dazu, Erster Speer?«

Der ranghohe Zenturio humpelte zum Leichnam des Räuberhauptmanns hinüber und zog ihm den Kavallerie­helm vom Kopf. Das Gesicht des Toten war zermalmt, und das Blut, das ihm aus der gebrochenen Nase geströmt war, stach dunkel vom blassen Grau seiner Haut ab.

»Ich glaube kaum, dass er diesen Helm neben der Straße gefunden hat. Wahrscheinlich hat er schon viele gute Männer umgebracht, sodass sein Tod unseren Göttern Gefallen bereiten wird. Daher würde ich sagen, wir lassen ihn einfach hier, damit er zusammen mit dem Rest seiner Meute verrotten kann.«

Scaurus kräuselte die Lippen und nickte. »Einverstanden. Nehmt ihnen die Waffen und alles andere ab, was von Wert sein könnte, dann ladet die Überlebenden auf die Vorratskarren. Ich denke, die Behörden in Tungrorum werden erfreut sein, ein paar gefangene Banditen zu bekommen, die sie öffentlich hinrichten lassen können.« Schon halb im Gehen wandte er sich mit einem kurzen Nicken noch einmal an Frontinius. »Und nun genug damit, dass diese Männer abseits der Kohorte vorausgehen. Es macht mir eigentlich nichts aus, Offiziere zu verlieren, solange sie im Kampf fallen und dabei den Anstand haben, genügend Gegner mit sich in den Tod zu reißen. Aber nachdem wir jetzt schon zu wenig gute Zenturios haben, möchte ich unsere Probleme nicht noch größer machen, indem wir das Schicksal herausfordern.« Der Erste Speer nickte und sah bedeutungsvoll zu den drei Offizieren hinüber. »Und was ist mit diesem hier passiert?«

Ein Verbandträger hantierte an dem Soldaten, dessen Nase Arminius gebrochen hatte.

Der Germane trat vor und nickte Scaurus zu. »Er schien entschlossen, mir seinen Speer durch den Leib zu rammen, also habe ich ihn ersucht, seine Meinung zu ändern.«

Mit gehobener Braue musterte der Tribun seinen Leibwächter. »Das ist dir offensichtlich gelungen, wie ich sehe.« Er klopfte dem unglücklich dreinblickenden Sanitäter kurz auf die Schulter, erhielt jedoch im Gegenzug nur einen nervösen Salut mit blutigen Fingern. »Wenn du das nicht sofort in Ordnung bringen kannst, solltest du es am Ende des Tages tun. Wir haben keine Zeit, hier im Nebel herumzustehen, während du dich abmühst.«

Der Sanitäter hob entschuldigend die nassen, blutverschmierten Hände. »Ich bitte um Verzeihung, Tribun, aber es will mir nicht gelingen, diesen Knochen zu richten.«

Arminius schob ihn ohne weitere Umstände zur Seite und legte eine Hand auf die Schulter des erschrockenen Soldaten, um ihn am Aufstehen zu hindern. »Bleib, wo du bist. Das hier wird nicht lange dauern.« Er fasste mit Daumen und Zeigefinger an die Nase des Soldaten und rieb daran, um zu ertasten, wo sie gebrochen war. Während der Soldat noch vor Schmerz ob dieser ruppigen Behandlung stöhnte, packte der Germane ihn am Schopf, um ihn ruhig zu halten. Dann bog er mit einem schnellen Ruck den Nasenknochen wieder zurecht. Ein schriller Schmerzensschrei ertönte, der Soldat wurde ohnmächtig und hing schlaff herunter, nur vom Germanen am Kopf festgehalten. Mit einem Kopfschütteln stieß Arminius ihn in die Arme des Verbandträgers. »So, das wäre erledigt. Er wird die nächste Woche zwei blaue Augen haben, aber vielleicht lehrt ihn das, seine Gegner fortan mit etwas mehr Bedacht auszuwählen.«

Der Erste Speer Frontinius nickte und bedachte seinen Tribun mit einem schiefen Lächeln. »Es scheint, euer Mann hat ein Talent für gebrochene Knochen, Tribun. Vielleicht sollte die Frau von Zenturio Corvus ihn für ihre Krankenstation rekrutieren?«

Scaurus schüttelte den Kopf, und der Germane entfernte sich. »Das glaube ich kaum. Dafür fehlt ihm die notwendige Feinfühligkeit, die einen Sanitäter auszeichnet. Er war schon immer so, seit ich ihn im Krieg gegen die Quaden vor einem Schwertstoß gerettet habe. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass sich das ändern wird.« Er blickte auf die Straße, die vor ihnen unter dem dichten Nebel lag. »Wie dem auch sei … Sollen wir unsere Kohorten wieder auf den Weg schicken? Ich schätze, bis zur Stadt sind es noch zehn Meilen. Und so, wie es aussieht, wird der verdammte Nieselregen bis dahin keine Pause einlegen.«

Während die vorangehenden Männer sich zurück in die Marschkolonne begaben, fiel Marcus auf, dass Julius den ­Boden um den Leichnam des Banditenführers absuchte.

»Hast du etwas verloren?«

Sein Freund nickte und betrachtete weiter aufmerksam den Boden. »Meine Pfeife. Und eine hübsche noch dazu.«

Marcus sah sich um, sein Blick kreuzte sich mit dem von Dubnus, und er bemerkte, wie dieser mit prahlerischer Geste auf seine Gürteltasche deutete und selbstzufrieden grinste. Julius hatte inzwischen seine Suche aufgegeben und wandte sich wieder seinen Kameraden zu. Da sah er, dass Dubnus den Boden nun ebenfalls mit gespieltem Interesse absuchte.

»Ich könnte eine hübsche Pfeife gebrauchen, denn meine klingt wie das Kreischen eines kastrierten Katers.«

Der ältere Mann schüttelte angewidert den Kopf, während die Dritte Zenturie, welche die zwei Kohorten starke Marschkolonne anführen sollte, sich auf Clodius’ Befehl wieder in Bewegung setzte.

»Überaus lustig, Dubnus. Ich nehme an, das ist der Preis, den ich bezahlen muss, weil ich den Kampf als Erster aufgenommen habe. Immer wieder derselbe Mist.«

Er stapfte zu seiner eigenen Fünften Zenturie hinüber, während seine beiden Freunde ihre Männer an sich vorbeimarschieren ließen.

»Wie lange willst du das Ding behalten?«

Dubnus zuckte die Achseln. »Am besten bis er eine neue gekauft hat. Sobald er ein paar Münzen für eine Ersatzpfeife ausgegeben hat, werde ich sie wieder in seinen Beutel schmuggeln.« Als er die plötzliche Ernsthaftigkeit im Gesicht seines Freundes bemerkte, runzelte er die Stirn. »Was denn? Jetzt tu nicht so, als hätte ich seinen Geldbeutel gestohlen!«

Marcus schüttelte den Kopf. »Hat nichts mit dir zu tun. Ich dachte nur gerade daran, wie lustig Rufius das finden würde.«

Dubnus legte seine spatengroße Hand auf die gepanzerte Schulter seines Freundes. »Ich weiß. Ich vermisse den alten Mistkerl fast ebenso sehr wie du. Aber wie Morban jedem ständig erzählt, ist das Leben für die Überlebenden gedacht, und solange man noch daran teilhat, sollte man das ausnutzen. Hier kommen deine Jungs. Geh und erzähle Qadir die Geschichte von der Pfeife deines Gefährten, das heitert ihn vielleicht ein wenig auf. Du weißt ja, wie mürrisch er wird, wenn seine Männer vor lauter Nässe nicht mit ihren Bogen spielen können.«

Nach weiteren vier Stunden Marsch, in denen der Nachmittag aufgrund des zähen Nebels einer frühen Abenddämmerung gewichen war, fühlte sich sogar Marcus müde und hätte den Tag gerne beschlossen. Er ging hinter seiner Zenturie, begleitet von seinem Optio Qadir, und stellte fest, dass sogar der sonst so unerschütterliche Hamier von Stunde zu Stunde missmutiger aussah.

»Ich gehe mal nach vorne und vergewissere mich, dass Morban den Trompeter nicht zu sehr schikaniert.«

Der Hamier brummte eine Antwort und starrte in die trostlose Landschaft, die sich von Zeit zu Zeit hinter den grauen Nebelschwaden abzeichnete.

Nachdem Marcus die Spitze der Zenturie erreicht hatte, traf er auf seinen Standartenträger. Dieser war ein Veteran mit fünfundzwanzig Jahren Erfahrung und sowohl für seinen scharfen Geist als auch seinen unseligen Hang zum Spielen, Trinken und der Hurerei bekannt. Als er ihn auf die Traurigkeit ihres Gefährten ansprach, zeigte der Veteran sich nachdenklich.

»Ich habe beim Mittagsmahl versucht, ihn mit ein paar Scherzen aufzuheitern, aber er wollte nicht. Vielleicht wird ihm gerade bewusst, was er und seine Kameraden hinter sich gelassen haben, als sie entschieden, nicht bei der hamischen Kohorte am Wall zu bleiben. Für sie ist es sicherlich kein Vergnügen, die Hälfte ihres Körpergewichts an Eisenpanzern und Waffen durch die Gegend zu schleppen, obwohl sie es doch gewohnt sind, halbnackt durch die Wälder zu streifen und hin und wieder ein bisschen Wild fürs Abendessen zu erlegen.« Er ignorierte den eisigen Blick seines Zenturios und fuhr fort. »Und nun findet er sich hier bei uns wieder, friert sich den Arsch ab, das Wasser tropft an seiner Nase herunter, und er muss seinen Bogen tagelang eingepackt lassen, damit ihm der Leim nicht verrottet. Kein Wunder, dass der arme Kerl sich erbärmlich fühlt. Wir sind an so etwas gewöhnt, aber für ihn ist das anders.« Marcus starrte hinaus in den Nebel und bemerkte mit einem leisen Kopfschütteln, dass Morbans Sicht der Dinge bezüglich Qadirs Gemütszustand ebenso gut auf ihn selbst zutraf. »Wie dem auch sei, wir werden schon bald in der Kaserne unseres nächsten Quartiers ankommen. Dann stecken wir ein paar Holzscheite in den Ofen und lassen dieses ganze Elend hinter uns. Und wenn der gute alte ­Qadir nicht mit ein paar Scherzen umgehen kann, dann hätte er besser nicht …«

Die Ausführungen des Standartenträgers wurden jäh unterbrochen, als ein Schrei aus dem vorderen Teil der Marschkolonne zu ihnen drang. Nach einer Reihe laut gerufener Befehle seitens der jeweiligen Zenturios kam die Kohorte abrupt zum Stehen. Als die Zenturie vor ihm auf Anordnung ihres Anführers ebenfalls anhielt, gab Marcus den Befehl auch an seine Männer weiter. Kurz angebunden beorderte er ­Qadir, die Truppe zu beaufsichtigen, während er selbst nach vorne ging, um nachzusehen, was los war. Als er die vorderste Zenturie überholt hatte, wurde der Grund für den unvorhergesehenen Halt schnell offenbar: ein zwanzig Fuß hoher Steinwall ragte aus dem Nebel heraus. Eine Gruppe verwirrt dreinblickender Zenturios scharte sich um zwei massive Holztore innerhalb eines eindrucksvollen Torbogens, welcher der Kohorte den Weg in die Stadt versperrte. Der Erste Speer reckte den Hals, um zu zwei Soldaten hinauf­rufen, die mit zutiefst misstrauischen Gesichtern in den Nebel hinabstarrten.

»Macht die verdammten Tore auf! Den Papierkram können wir später erledigen. Ich habe hier zwei vollzählige Kohorten von Soldaten, die sich die Eier abfrieren, und möchte sie gerne noch vor Einbruch der Dunkelheit in der Kaserne wissen.«

Julius, der hinter dem hochrangigen Zenturio stand, wandte sich kopfschüttelnd an Marcus. Sein dunkles, bärtiges Gesicht zeigte einen grimmigen Ausdruck. »Das wird nicht gut gehen. Falls ich mich nicht irre, sind das Legionstruppen, und wann immer man es mit diesen Straßen­flickern zu tun bekommt, ist Ärger im Anmarsch.«

Ein weiterer Soldat erschien auf dem Wall, und dieser trug den gefiederten und mit Kamm versehenen Helm eines Optio der Legion. Einen Augenblick sprach er mit den ­Wachen, dann lehnte er sich vor und wandte sich an die Hilfstruppen, die unter dem Wall versammelt waren.

»Ich bitte um Verzeihung, Zenturio. Ich habe strikten Befehl, die Tore nicht ohne Erlaubnis meines vorgesetzten Offi­ziers zu öffnen. Ich habe meine Männer bereits nach ihm ausgesandt, doch bevor er nicht hier eintrifft, kann ich euch keinesfalls hereinlassen.« Um seine Hilflosigkeit dieser Situation gegenüber zu unterstreichen, spreizte der Optio entschuldigend die Hände und verschwand wieder hinter der Mauer, während der Erste Speer vor Wut kochte.

»Habe ich da gerade einen Spangenpanzer gesehen, bevor der Mann sich vor dem Zorn des Ersten Speers versteckte?«

Die Zenturios wandten sich um und sahen Scaurus, der von hinten an sie herangetreten war und einen fragenden Gesichtsausdruck zur Schau trug.

Frontinius nickte mürrisch, und sein Zorn war unverkennbar. »Richtig, Tribun. Wie es scheint, ist die Berufs­armee vor uns hier eingetroffen.«

Scaurus betrachtete einen Augenblick lang die Nebelschwaden. »Und ich vermute, wenn wir nichts dagegen unter­nehmen, werden unsere Männer ziemlich lange hier herumstehen.«

Frontinius nickte erneut, und seine ärgerlichen Gesichtszüge wurden weicher, als er seinen Vorgesetzten mit fragendem Blick ansah.

Der Tribun räusperte sich und rief zu dem augenscheinlich unbemannten Wall hinauf. »Optio! Zeige dich!« Nach lang anhaltender Stille blickte der Optio erneut über den Wall, und sein Antlitz trübte sich, als er den Tribun zu sich hochstarren sah. Scaurus hob seinen Umhang, um dem Soldaten seine aufwändig geschmiedete Bronzerüstung zu zeigen, die einem muskulösen Oberkörper nachgebildet war. »Schau genau hin, Optio! Du wirst feststellen, dass ich kein Zenturio bin, sondern der Kommandeur dieser Kohorten, und ein einflussreicher dazu. Außerdem weiß ich hinlänglich Bescheid, wie die Dinge laufen. Also frage ich mich: Mit welcher Legion habe ich es hier zu tun? Mit den ›Frontschweinen‹ oder den ›Schreiberlingen‹? Vielleicht könntest du mich darüber aufklären, Optio?«

Unverzüglich nahm der Optio Haltung an. »Erste Legion Minervia Pia Fidelis, Tribun!«

Über Scaurus’ Antlitz zog ein Lächeln, und leise murmelte er: »Hab ich dich.« Lange sah er den Optio an, bevor er erneut das Wort ergriff. »Aha, dann seid ihr also die ›Frontschweine‹. Erste Legion Minervia, treu und ergeben – ein stolzer Name für eine stolze Legion. Doch sag mir, Optio, ist der sauertöpfische alte Mistkerl Gladio noch immer der Erste Speer der Dritten Kohorte?«

Mit offensichtlicher Verwunderung spähte der Optio zu ihm hinunter und fragte sich, wie viel Einfluss dieser unbekannte Tribun wohl bei seinen vorgesetzten Offizieren genoss. Um jegliche Art einer etwaigen Beleidigung zu vermeiden, gab er eine vorsichtige Antwort. »Ja, Herr. Er ist so fröhlich wie immer.«

Scaurus spürte, dass der richtige Moment für einen Angriff gekommen war, also hob er die Stimme zu einem wütenden Bellen. »Gut, dann sage ich dir, wenn ich nicht durch diese verfluchten Tore komme, bevor ich bis dreißig gezählt habe, wirst du herausfinden, dass ich eine weit geringere Frohnatur als er bin, dabei aber wesentlich rachsüchtiger! Hast du mich verstanden?« Der Optio nickte unglücklich. »Gut. Dann aber mal zackig! Oder soll ich uns beide der Peinlichkeit aussetzen und anfangen zu zählen?«

Nach wenigen Sekunden Stille wandte sich der Optio um und verschwand. Nur einen Moment später öffnete sich die mannshohe Schlupftür des Tores.

Mit einem kurzen Blick auf seinen Ersten Speer trat Scaurus nach vorn. »Ich werde gehen und diese Sache regeln, bevor die Kohorten zu Tode frieren.«

Frontinius wies auf die Gruppe Zenturios und bedeutete ihnen mit der Hand vorzutreten. »Zenturios Julius, Dubnus und Corvus, gebt dem Tribun das Geleit. Man weiß ja nie, was für Leute hinter so einem Wall stecken, insbesondere, wenn eine Legion mit im Spiel ist.«

Die Torwachen schickten sich an, die Schlupftür gleich hinter Scaurus zu schließen, doch Julius zog sie mit einem heftigen Ruck wieder auf. Sein grimmiger Blick brachte sie davon ab, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dem Tribun das Geleit verweigern zu wollen. Der riesige Tungrer starrte verächtlich auf den Optio, bevor er ihn ansprach. »Solltet ihr Spielsoldaten den Auftrag haben, die Stadt zu sichern, so erledigt ihr euren Auftrag alles andere als zufriedenstellend. Wir haben einige Verwundete auf unseren Karren da draußen, Überreste einer Meute Banditen, die uns auf dem Weg versucht hat zu überfallen. Vielleicht möchtet ihr sie hereinholen und medizinisch versorgen, bevor sie vor Kälte sterben. Sonst verweigert ihr den Bewohnern der Stadt die Gelegenheit, sich ein paar Hinrichtungen anzusehen.« Kopfschüttelnd drehte er sich weg und blickte missmutig auf den Nebel, der auch innerhalb der Stadtmauer waberte und ebenso undurchdringlich erschien. »Also, wo finden wir die Kommandostelle?«

Der Optio schickte seine Männer wieder in ihr geheiztes Wachhaus zurück und zeigte dann auf die Straße, die vom Tor in das finstere Innere der Stadt führte. »Hier entlang, Zenturio. Aber sucht nicht nach einer wirklichen Kommandostelle, denn dies ist eine Zivilistensiedlung und kein Kastell. Geht eine Viertelmeile dort hinunter, bis ihr auf eine Kreuzung stoßt. Das große Gebäude zu eurer Rechten ist das Forum, und ich möchte annehmen, dass ihr die Offiziere dort in der Basilika vorfindet.«

Die drei Zenturios bildeten eine schützende Kette um Scaurus, und die Gruppe machte sich auf den Weg.

Dubnus legte seine Hand auf den Schwertgriff und starrte nervös in den Nebel. »Vierhundert Schritte bis zur Mitte der Stadt? Damit wäre sie noch größer als das Kastell der Sechsten Legion in Eburacum. Das ist …«

»Riesengroß?« Ein freundliches Lächeln spielte um Scaurus’ Lippen, während er mit Interesse die Gebäude rechts und links der Straße betrachtete. »Dies ist ein Provinzzentrum, Zenturio. Es leben wohl acht- bis zehntausend Menschen innerhalb dieser Mauern, oder würden das zumindest, wenn die Seuche sie nicht dahingerafft hätte. Mindestens hundertmal so viele sind in Rom zu finden, obgleich die Mauern Roms nur dreimal so lang sind. Deshalb fragt man sich auch, was sie mit all dem Platz anfangen.«

In der Dunkelheit vor ihnen kennzeichneten lodernde Fackeln den Eingang zum Forum, an dem zwei Soldaten vor einem hohen Torbogen Wache standen. Noch bevor der Tribun Gelegenheit fand, den erstaunten Soldaten den Grund ihrer Anwesenheit zu erklären, trat ein Zenturio der Legion aus dem Innenhof. Abrupt hielt er an, als er die Fremden sah, und starrte mit fragendem Blick auf die ihm unbekannten Rüstungen und mit Kamm versehenen Helme der drei Zenturios. Noch überraschter war er, als ihm klar wurde, wem sie Geleit gaben. Scaurus ließ ein paar Sekunden Stille walten, um den abwägenden Gesichtsausdruck des Legionsoffiziers zu betrachten, dann wandte er sich mit scharfem Ton an ihn und klärte ihn über seinen Rang auf.

»Du siehst richtig, Zenturio, dies ist die Uniform ei­nes hochrangigen Offiziers, weshalb es angebracht wäre, schnellstmöglich deine Hand zum Gesicht zu erheben und zu salutieren.«

Der Angesprochene kam dieser Anordnung umgehend nach, und sein Gesicht rötete sich vor Scham. Die Wachen gaben sich größte Mühe, sich ein Grinsen verkneifen, was ihnen allerdings nicht ganz gelang.

»Vergebt mir, Präfekt, aber wir wussten gar nicht, dass Verstärkung anrücken würde.«

Marcus tauschte einen Blick mit Julius und fragte sich, ob sein Kamerad die Rangbezeichnung korrigieren würde, die der Legionsoffizier augenscheinlich missverstanden hatte. Der große Mann entgegnete jedoch nichts, sondern schüttelte lediglich unauffällig den Kopf.

Scaurus bedachte den Zenturio mit einem kurzen Nicken und bemerkte über dessen Schulter das kaum sichtbare Verwaltungsgebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Forums. »Das ist verständlich, Zenturio, denn wir sind gar keine Verstärkung. Wenn du mich nun zu deinem Tribun führen könntest …«

Der Zenturio geleitete sie über den ausgedehnten, gepflasterten Innenhof, der den Händlern der Stadt bei gutem Wetter als Marktplatz diente. War es kalt, so versammelten sie sich in der warmen Basilika. Nachdem er ein wenig ins Hintertreffen geraten war, versuchte der Zenturio, die Herrschaft über die Situation wiederzuerlangen, denn immerhin ging es hier um die Beziehung zwischen einer Legion und deren Hilfskohorten.

»Und nun, meine Herren, darf ich bitten, die Waffen abzulegen, bevor ihr zum Tribun geführt werdet …«

Scaurus unterbrach ihn unwirsch, während er die Eingangshalle mit den vielen Wandteppichen und dem Bodenmosaik betrachtete, das den Gott Merkur zeigte. »Nein, Zenturio, das darfst du nicht. Ich habe gerade weder Zeit noch Geduld dafür.«

Er ging an dem verblüfften Offizier vorbei und durchquerte die Halle, wobei seine genagelten Stiefel über die empfindliche Oberfläche des Mosaiks hämmerten. Nach kurzem Zögern folgten ihm seine Zenturios mit ebenso lautem metallischem Klappern.

Im Vorbeigehen zwinkerte Dubnus dem verärgerten Zenturio zu und flüsterte: »Sei froh, dass du nicht seinen Umhang halten musst, als wärst du ein uniformierter Türsteher.«

Die Tungrer stießen die Türen am anderen Ende der Halle auf und traten in einen Raum mit hoher Decke, in dessen Mitte ein schwerer Tisch stand. Um ihn herum saßen mehrere Männer in den typischen weißen Tuniken der Legion sowie zwei Zivilisten, die in Togen gekleidet waren. Forschend betrachteten sie die unerwarteten Gäste. Dann erhob sich der Jüngste unter ihnen mit sichtlich verärgertem Gesichtsausdruck und deutete auf den Streifen, der seine Tunika schmückte und seinen Rang als Senator kennzeichnete. Die tungrischen Zenturios nahmen unverzüglich Haltung an und salutierten, während Scaurus umständlich die Spange seines dicken Wollumhangs öffnete und diesen über einen Stuhl warf, wodurch seine aufwändig geschmiedete Brustplatte zum Vorschein kam.

Abschätzend betrachtete der junge Tribun den Brustpanzer des Zenturios und presste nach vollzogener Beurteilung der Neuankömmlinge kurz die Lippen zusammen. »Ihr seid Hilfstruppen, nehme ich an?«, sagte er. Scaurus nickte kurz und hielt ohne jede Scheu dem Blick des Mannes stand. »Somit hast du den Rang eines Präfekten. Und ich neige dazu, auf die Feinheiten der militärischen Etikette Wert zu legen, Präfekt. Beispielsweise darauf, dass auch Offiziere vor Ranghöheren zu salutieren haben.«

Die Stimme des jungen Tribuns klang zwar vernünftig, doch sprach er in einer Weise, die verriet, dass er es eher gewohnt war, gehört zu werden, statt selbst zuzuhören. Der erfahrene Marcus erkannte sofort, dass es sich bei diesem Mann um einen typischen Vertreter hochrangiger Legionsoffiziere handelte. Er war Mitte zwanzig, mit elegant langem Haar, und trug einen dichten, buschigen Bart nach der Mode des Imperiums, dabei sauber gestutzt und glatt. Seine Augen, die aufgrund der Herausforderung durch den unbekannten Offizier unerbittlich wirkten, standen eng beieinander. Mit einem Ausdruck bereits über Gebühr beanspruchter Geduld sah er an seiner klassischen römischen Nase herunter.

Scaurus erwiderte seinen Blick unerschrocken, griff in seinen Beutel und zog eine Papierrolle hervor. Er sprach mit trockener Stimme und ohne jede Andeutung einer Anerkennung des angeblich höheren Rangs seines Gegenübers. »Ich bin ganz deiner Meinung, Kamerad. Dasselbe habe ich vor einigen Wochen einem jungen Tribun vom Rang eines Senators gesagt, als er unter mein Kommando kam, bevor er an meiner Seite ehrenhaft im Kampf fiel.«

Marcus beobachtete die Legionsoffiziere und sah, wie sich ihre Augen weiteten und sie nach Luft schnappten, als sie diese unerwarteten Worte hörten.

Scaurus schüttelte kaum merklich den Kopf und hielt die Papierrolle locker in einer Hand. »Allerdings scheinst du es nicht gewohnt zu sein, zunächst die Sachlage zu klären und erst danach den Mund aufzureißen, stimmt’s, Bruder?« Der Mann wurde bleich und wollte etwas entgegnen, doch Scaurus ging um den Tisch herum und stellte sich direkt vor ihn. Seine grauen Augen nahmen einen steinharten Ausdruck an, und er senkte die Stimme zu einem leisen Murmeln, sodass der Tribun alle Mühe hatte, seinen Worten zu folgen. »Dies ist einer jener interessanten, vielleicht lebenswichtigen ­Augenblicke, Tribun, die uns dann begegnen, wenn wir es am wenigsten erwarten. Es sind jene Augenblicke der Wahrheit, in denen sich ein Graben vor uns öffnet und wir nur einen einzigen Schritt davon entfernt sind, hineinzufallen und bis zum Hals darin stecken zu bleiben. Hast du vielleicht noch irgendwelche Fragen, die du mir stellen möchtest, bevor wir nach guter alter Gewohnheit zur Sache kommen und klären, wer von uns beiden den größeren Schwanz hat? Gibt es noch irgendwelche Zweifel, wer am Ende unserer Unterhaltung seine Hand zum Zeichen der Ehrerbietung heben wird?«

Der Tribun schüttelte den Kopf, und es war überdeutlich, dass er seinen Zorn nur mit größter Mühe im Zaum halten konnte. »Mein Name ist Lucius Domitius Belletor, Militärtribun und Kommandeur der Siebten Kohorte der Kaiserlichen Ersten Legion Minervia, abkommandiert zum Schutze der Stadt Tungrorum. Ich habe den Befehl vom Legaten meiner Legion, das Kommando über jedwede Streitmacht zu übernehmen, die in meine Nähe kommt. Das heißt auch über dich und deine Männer, Präfekt.«

Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete er Scaurus, der seinem Blick standhielt und in lauterem Ton als zuvor antwortete, sodass aller Männer am Tisch seine Worte hören konnten.

»Wie du meinst. Ich bin Militärtribun Gaius Rutilius Scaurus, Kommandeur der Ersten und Zweiten Tungrischen Kohorte, abkommandiert von der Britannischen Armee, um Banditen, Deserteure und Rebellen in der Provinz Niedergermanien aufzuspüren und zu vernichten. Ich habe den Befehl vom Statthalter Britanniens, meine Streitmacht keinesfalls dem Kommando eines anderen Offiziers zu unterstellen – es sei denn, ein derartiges Handeln läge im Sinne der mir gegebenen Befehle. Vielleicht hat der Statthalter ja bereits eine Situation wie diese hier vorausgesehen.« Belletor öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch Scaurus hob die Hand. »Wie ich sehe, ist es mir nicht gelungen, dich zu überzeugen. Andererseits halte ich es nicht für sinnvoll, diese Angelegenheit weiter öffentlich zu diskutieren. Vielleicht sollten wir unsere Kameraden und die anderen Herren hier bitten, uns einige Minuten ungestört zu lassen?«

Belletor nickte bedächtig und wandte sich den Zenturios der Legion zu, die allesamt in stiller Verwunderung dem Drama beiwohnten, das sich vor ihren Augen abspielte.

»Lasst uns allein.«

Die Offiziere erhoben sich und eilten zu der Tür, durch die die Tungrer hereingekommen waren. Nach einer kurzen, peinlichen Pause folgten ihnen auch die beiden Zivilisten. Julius verließ den Raum als Letzter und schloss die schweren Eichentüren. Als er einen dicken Vorhang bemerkte, der zur besseren Abschirmung des Raumes diente, zog er auch diesen zu.

»Ich nehme an, du bist der Ranghöchste hier?«

Julius wandte sich um und sah einen grauhaarigen Mann mit breiten Schultern und großen Händen. Sein Gesicht war von einer tiefen Narbe gezeichnet, die von der rechten ­Augenbraue über die Wange bis hin zum Kinn verlief und dabei die Lippen zweiteilte. Julius bereitete sich innerlich sofort auf eine Auseinandersetzung vor, und auch Dubnus und Marcus brachten sich unbewusst in Kampfstellung.

Der Grauhaarige hingegen zog nur die Augenbrauen hoch und hob die Hände, um jede Art von Streit zu vermeiden. »Nicht doch, ihr braucht euch nicht angegriffen zu fühlen. Wir sind hier alle auf derselben Seite. Mein Name ist Sergius, ich bin der Erste Speer der Siebten Kohorte.« Er streckte die Hand aus, die Julius ohne Zögern ergriff und schüttelte. »Was immer da drin geschieht, bleibt wahrscheinlich am besten zwischen den beiden allein, also ist es wohl besser, wir bleiben außer Hörweite, richtig?«

Julius nickte und spürte, dass er anfing, den Mann zu mögen, obwohl seine Hoffnung auf einen Kampf unerfüllt geblieben war. »Ich bin Zenturio Julius von der Ersten Tungrischen Hilfskohorte, und diese beiden heißen Dubnus und Corvus. Unser Erster Speer wartet draußen am Westtor mit dem Rest unserer Männer. Wie sieht’s aus – besteht die Möglichkeit, die anderen hier hereinzubekommen, bevor es dunkel wird?«

Als Belletor sich von der Zuhörerschar seiner Untergebenen befreit wusste, ging er unverzüglich zum Angriff über. Mit dem Finger auf Scaurus’ Gesicht zeigend, brach sein ganzer Zorn aus ihm heraus. »Wie zum Teufel kannst du es wagen, vor meinen Offizieren so mit mir zu sprechen?«

Der ältere Mann lächelte jedoch bloß über diesen Wutausbruch und schüttelte den Kopf. »Das hast du nur dir selbst zu verdanken, Bruder. Ein oder zwei simple Fragen hätten dich über das tatsächliche Rangverhältnis zwischen uns beiden aufgeklärt, das leider nicht so ist, wie du es dir wünschen würdest. Aber lass uns nun deine Unfähigkeit des richtigen Fragenstellens ignorieren und zur Sache kommen.«

»Mein Legat wird schon sehr bald davon erfahren! Und dann werde ich dafür sorgen, dass du …«

Scaurus näherte sich wutschnaubend, sodass sein Gesicht nur wenige Zentimeter von dem Belletors’ entfernt war.

Unwillkürlich wich der andere Mann einen Schritt zurück.

»Das hättest du nicht sagen sollen, Tribun! Denn diesen Zwist werden wir beide alleine lösen, ganz unter uns. Vergiss es, deinen Legaten in diese Geschichte mit hineinziehen zu wollen, denn in diesem Moment stehe ich vor dir, und nicht er! Ich hatte schon öfter mit Offizieren wiedir zu tun, und wenn ich etwas dabei gelernt habe, dann ist es, dass es besser ist, Offiziere wie dich nicht in ihrer Täuschung zu belassen, sondern ihre Illusionen frühzeitig und radikal auszumerzen. Glaub mir, Domitius Belletor: Die Zeiten, in denen auch der unfähigste Mann vom Rang eines Senators einem altgedienten Feldkommandeur und Reiterhauptmann erklären konnte, was zu tun oder zu lassen sei, sind vorbei. Und so wie ich das sehe, gab es jene Zeiten in diesem besonders kleinen Winkel des Imperiums ohnehin nie.« Er nahm die Papierrolle vom Tisch. »Erstens, Tribun: Meine Befehle, die ich vom Statthalter meiner Provinz erhalten habe, besagen eindeutig, dass ich mich keinesfalls einem anderen Kommando unterstellen soll, solange ich das nicht für notwendig erachte. Zweitens, Tribun: Es ist eine Tatsache, dass du weniger als die Hälfte meiner Kampfstärke an Speerträgern besitzt. Deshalb wurde dir auch die Siebte Kohorte zugeteilt, die schon immer eine der schwächeren Kohorten jeder Legion war. Deine Truppeneinheit besteht aller Wahrscheinlichkeit nach aus ungelernten Rekruten und Jungs, die gerade mal ihr erstes Ausbildungsjahr absolviert haben. Und drittens, Tribun: Von dem, was ich hier sehe, muss ich dir leider unverblümt sagen, dass du seit deiner Ankunft wohl kaum mehr getan hast, als diese Stadt mit deinen Truppen zu bevölkern. Etwa zehn Meilen außerhalb dieser Mauern wurden meine Offiziere von einer Räuberbande überfallen, und keiner der Banditen hatte auch nur die leiseste Furcht vor unseren Uniformen. Das wäre sicher nicht so gewesen, wenn deine Männer ihre Patrouillen mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt hätten. Meine zwei Kohorten sind gestählt durch ihre jüngsten Kämpfe während der Barbarenaufstände drüben in Britannien, und ich habe nicht die Absicht, ihre Fähigkeiten brachliegen zu lassen und sie unter deinem Kommando verweichlichen zu sehen.«

Belletor schüttelte entschieden den Kopf und war noch immer nicht gewillt, dem anderen Mann recht zu geben. Halb erstaunt, halb geringschätzig schürzte er die Lippen. »Aber ich bin ein Tribun der Legion! Das verleiht mir automatisch das Kommando über dich, der du nur Hilfstruppen befehligst! Alles andere ist schlicht …«