Schwerter des Zorns - Anthony Riches - E-Book

Schwerter des Zorns E-Book

Anthony Riches

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Beschreibung

Sie schickten ihm Verstärkung, doch sie wünschen ihm den Tod

Britannien brennt! Die mörderischen Horden von Häuptling Calgus haben den Hadrianswall überwunden und verbreiten Angst und Schrecken in der römischen Provinz. Doch der junge Zenturio Marcus hat ganz andere Probleme. Die Verstärkung, die aus Rom eintrifft, bedroht sein Leben. Denn der Kaiser hat ihn zum Tode verurteilt. Seine eigenen Männer werden ihn decken und seine wahre Identität geheim halten. Aber die neuen Soldaten schulden Marcus nichts. Sie werden ihn verraten, sobald sie ihn erkennen. Dann kann ihn nur noch ein Wunder retten – oder eine bespiellos mutige Tat.

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Buch

Britannien brennt! Die mörderischen Horden von Häuptling Calgus haben den Hadrianswall überwunden und verbreiten Angst und Schrecken in der römischen Provinz. Doch der junge Zenturio Marcus hat ganz andere Probleme. Die Verstärkung, die aus Rom eintrifft, bedroht sein Leben. Denn der Kaiser hat ihn zum Tode verurteilt. Seine eigenen Männer werden ihn decken und seine wahre Identität geheim halten. Aber die neuen Soldaten schulden Marcus nichts. Sie werden ihn verraten, sobald sie ihn erkennen. Dann kann ihn nur noch ein Wunder retten – oder eine beispiellos mutige Tat …

Autor

Anthony Riches hat einen Abschluss in Militärgeschichte von der Manchester University. Nach dem Studium arbeitete er 25 Jahre für eine Reihe von Großkonzernen in aller Welt, bevor er sich mit Aufträgen in Europa, USA, dem Mittleren und dem Fernen Osten selbstständig machte. Er lebt mit seiner Frau Helen und drei Kindern in Hertfordshire.

Von Anthony Riches bereits erschienen:

Die Ehre der Legion

Schwerter des Zorns

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Anthony Riches

Schwerter des Zorns

Ins Deutsche übertragenvon Wolfgang Thon

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Arrows of Fury (Empire 2)« bei Hodder & Stoughton, London.

1. Auflage

Copyright © 2010 by Anthony Riches

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016

by Penhaligon in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Alexander Groß

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagmotiv: Arcangel/Nik Keevil

Karten U2/U3: Jürgen Speh

HK · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-18675-3V001www.penhaligon.de

Für Dorothy und Edwin, mit all meiner Liebe

1. Kapitel

September 182 n. Chr.

Die tungrischen Zenturionen sammelten sich in der warmen Nachmittagssonne um ihren Anführer und genossen den letzten ruhigen Moment vor dem bevorstehenden Kampf. Marcus Tribulus Corvus blinzelte seinem Freund und ehemaligen Optio Dubnus zu, dem frischgebackenen Zenturio der Neunten Zenturie, die früher einmal Marcus selbst befehligt hatte. Dann stieß er einem anderen, älteren Mann neben sich den Ellbogen in die Seite. Der hatte jedoch nur Augen für die Reihen der Legionäre, die sich auf dem Hügel hinter ihnen aufgestellt hatten.

»Hör auf, den Legionären nachzutrauern, Rufius. Du bist jetzt ein Tungrer, ob du willst oder nicht.«

Rufius sah sein spöttisches Grinsen und das kaum merkliche Nicken in Richtung von Julius, dem höchsten Zenturio ihrer Abteilung, und nahm den Faden bereitwillig auf.

»Ich kann einfach nichts dagegen tun, Marcus. Wenn ich all diese richtigen Soldaten dort sehe, wie sie auf die Schlacht warten, fühle ich mich wieder in die Zeit zurückversetzt, als ich mit einem Rebstock in der Hand vor ihnen stand. Und zudem ist das auch noch meine alte Kohorte …«

Julius unterbrach die Musterung ihrer Gegner und bedachte die beiden Männer mit einem Blick, dessen Gereiztheit nur zum Teil vorgetäuscht war. Rufius stieß Marcus ebenfalls an und schüttelte ernst den Kopf.

»Also gut, Bruder, zeigen wir Nachsicht mit unserem Kameraden – gönnen wir ihm etwas Frieden. Es ist ja nicht seine Schuld, dass es den ganzen Vormittag und fast den halben Nachmittag gekostet hat, zweitausend Männer und ein paar Katapulte in Position zu bringen. Selbst wenn meine Gedärme knurren wie ein Latrinenköter und mir der Schweiß die Beine hinunterläuft, dass meine Stiefel bestimmt eine ganze Woche quietschen werden.«

Dubnus beugte sich vor und tippte dem älteren Zenturio auf die Schulter. »Du solltest wissen, dass wir diese Brühe in unserer Kohorte Pisse nennen, Großvater.«

Der ältere Mann lächelte nachsichtig. »Ausgezeichnet, Dubnus. Konzentriere du dich lieber darauf, deine Jungs zum ersten Mal als Zenturio ins Gefecht zu führen, dann schaffe ich es schon allein, meine Blase auch bei meinem fünfzigsten Kampf dicht zu halten. Diese Jugend, was, Julius?«

Julius hatte sich wieder zu den Abwehrstellungen vor ihnen herumgedreht, und als er antwortete, verriet seine unwirsche Stimme seine Verärgerung über die lange Wartezeit vor dem Stammesfort auf dem Hügel. Das sie in Kürze stürmen wollten.

»Darf ich vorschlagen, dass ihr alle das Maul haltet, da es nämlich so aussieht, als würden wir tatsächlich bald angreifen? Sobald wir diese Dummköpfe von den Befestigungen auf ihren Palisaden geschossen haben, setzen wir uns in Bewegung und übernehmen die uns zugedachte Rolle bei Tribun Antonius’ ruhmreichem Sieg über den Stamm der Carvetii. Wenn ihr zu euren Zenturien zurückkehrt, um eure Männer auf den Angriff vorzubereiten, denkt daran, ihnen ein letztes Mal unsere Befehle einzuschärfen. Sie sollen ihre verdammten Köpfe einziehen, sobald wir uns in Marsch gesetzt haben.«

Julius warf einen fast angewiderten Blick auf die Batterien der Wurfpfeil-Katapulte, die neben seinen vier Zenturien aufgestellt waren. Die schwitzenden Mannschaften zerrten an den Handwinden der Scorpios und spannten die Taue. Er zupfte am Riemen seines Helmes, dessen quer stehenden Helmbusch der Wind zerzauste, als er sich wieder umdrehte und die hölzernen Palisaden des Forts vor ihnen betrachtete.

»Ich halte es für nicht ausgeschlossen, dass diese faulen Mistkerle zu wenig spannen und gelegentlich einen Bolzen zu kurz zielen. Ich möchte euch vor dem Angriff ein letztes Mal daran erinnern, dass unser Ziel darin besteht, das Fort zu erstürmen und den ersten Wall zu erobern. Das, und nur das! Tribun Antonius hat sich diesbezüglich kristallklar ausgedrückt.«

Marcus verzog keine Miene, obwohl Rufius wissend grinste. Es war bei diesem Feldzug gegen den rebellischen Stamm der Carvetii ein offenes Geheimnis unter den Offizieren der Sechsten Legion, dass der Militärtribun, der Stellvertreter des Legaten, unbedingt seine Fähigkeit beweisen wollte, eine eigene Legion zu kommandieren, bevor seine kurze Dienstzeit in seiner jetzigen Position zu Ende ging und er Platz für einen anderen ehrgeizigen Tribunus Laticlavius machen musste.

»Sobald der Weg zum zweiten Tor freigekämpft ist, treten wir zur Seite und lassen die Legionäre durch, verstanden? Also, zerschlagt jeden Widerstand hinter dem ersten Wall und haltet eure Männer dann zurück. Kein Kampfrausch und kein Versuch, die Festungskrone einzunehmen. Nicht, dass einer von uns auch nur die Chance dazu hätte, wo zwei Kohorten regulärer Legionäre um diese Ehre wetteifern. Sobald wir unsere Aufgabe erfüllt haben, lasse ich diesen verfluchten Straßenbauern den Vortritt, damit sie den Rest erledigen können.«

Die Offiziere rings um ihn drehten sich herum und sahen zu, wie die Katapulte rechts von den Soldaten eine Salve von drei Bolzen gegen die äußeren Palisaden des Hügelforts abfeuerten. Sie befanden sich kaum zweihundert Schritt von den Schlachtreihen ihrer eigenen Soldaten entfernt. Auf solch kurze Entfernung waren diese Waffen äußerst treffsicher, und einer der Barbarenkrieger, die auf den Palisaden des Forts standen, wurde von der Wucht des Geschosses förmlich weggerissen. Wahrscheinlich war er tot, bevor er auf dem Boden hinter der Palisade aufschlug. Einen Herzschlag später duckten sich die restlichen Verteidiger hinter die dicken Holzbalken des Forts, und die Männer an den Katapulten grinsten zufrieden, während ihre Offiziere ihnen befahlen, sich gefälligst wieder an die Winden zu stellen und die Waffen für den nächsten Schuss zu spannen.

Julius nickte. »Los geht’s. Sie haben die Köpfe eingezogen. Geht jetzt zu euren Zenturien.«

Die vier Zenturios salutierten und marschierten zurück auf ihre Plätze in den zwei Reihen der Hilfsinfanterie, die zu beiden Seiten des schweren hölzernen Rammbocks wartete. Der war der Schlüssel für ihr Vorhaben, in das Hügelfort einzubrechen. Dubnus, der Anführer der rechten Zenturie, ein großer, breitschultriger, noch junger Zenturio mit dem Körperbau eines Athleten und einem dichten schwarzen Bart, sprach kurz mit seinem Optio. Der wiederum gab den Tesserarii, den Wachoffizieren, den Befehl, sich davon zu überzeugen, dass jeder einzelne Mann kampfbereit war. Während sie ein letztes Mal Rüstung und Waffen überprüften, schrie Dubnus seinen Männern Julius’ Befehle zu und schärfte ihnen ein, den ersten Wall zu nehmen und dann stehen zu bleiben, damit die Legionen weiter vorrücken und die Angelegenheit zu Ende bringen konnten. Dann zog er seinen Gladius und hob den Schild vom Boden auf, den er vor seinen Leuten abgelegt hatte. Er grinste Marcus sarkastisch zu, der lässig neben ihm vor der Zenturie stand. Sein Helm baumelte am Riemen in seiner Hand.

»Als ich letzten Monat meinen Rebstock bekam, habe ich angenommen, für den Rest meiner Tage keinen Schild mehr tragen zu müssen …«

Die braunen Augen seines Freundes glühten bei der Aussicht auf den bevorstehenden Kampf. Er war genauso groß wie Dubnus, und wenn er auch nicht so kräftig gebaut war, hatte er doch seit seinem Eintritt in die Kohorte im Frühling von dem ständigen Training beeindruckende Muskeln entwickelt. Sein Haar war so schwarz wie das Gefieder einer Krähe, und die Haut seines Gesichts war etwas dunkler als bei den Einheimischen, aus denen sich die Hilfskohorten rekrutierten. Er trug die Spatha, das lange Reiterschwert, an seiner linken Hüfte und hielt das kürzere Infanterieschwert, den Gladius, in der rechten Hand, das normalerweise in der Scheide an seiner rechten Hüfte steckte. Der Knauf, ein prachtvoll verzierter Adlerkopf, glänzte im Nachmittagslicht; die Sonnenstrahlen funkelten auf dem kunstvoll geschmiedeten Eisen und dem Gold, das auf Hochglanz poliert war.

»Und doch bist du hier und hältst dir ein bemaltes Brett vor den Leib, als wärst du immer noch ein einfacher Fußsoldat? Vielleicht solltest du lieber nur mit deinem Rebstock als Schutz voranschreiten, oder, Dubnus?«

»Nein, dieses eine Mal werde ich die Bürde tragen, Marcus, vielen Dank. Diese idiotischen Blaunasen werden ihre Köpfe nicht allzu lange einziehen, und wenn sie wieder hochkommen, werden sie uns bis auf die Wassertröge so ziemlich alles auf den Kopf werfen, sobald wir durch das Tor marschiert sind. Falls wir es überhaupt durch das Tor schaffen. Also, du bist dir sicher, dass du die Neunte Zenturie nicht noch ein letztes Mal anführen möchtest?«

Sein Freund schüttelte den Kopf und deutete auf die erste Reihe der Zenturie, die hinter ihm angetreten war. »Nein, danke. Das sind jetzt deine Männer. Ich bin nur interessierter Beobachter. Nach dir, Zenturio.«

Ein Hornsignal ließ sie hochfahren. Sie strafften sich in Erwartung des bevorstehenden Befehls zum Angriff. Marcus setzte den Helm auf. Seine Gesichtszüge waren unter der breiten Wangenklappe plötzlich unkenntlich. Dann nahm er seinen eigenen Schild hoch.

»Infanterie, vorrücken!«

Julius drehte sich zu seinen Männern der linken Kolonne herum, zog sein Schwert und deutete damit auf das Fort.

»Tungrer … Vorrücken!«

Auf seinen Befehl hin marschierten die beiden Kolonnen der Abteilung zügig den sanften Hang hinab, der bis zum Fuß der Anhöhe führte, auf dem das Hügelfort über dem Tal thronte. Drei Seiten des Forts waren aufgrund des dichten Waldes und der gefährlich steilen Klippen, die von der Anhöhe in nördlicher, südlicher und östlicher Richtung abfielen, vollkommen unzugänglich. Der einzige mögliche Zugang zu dem Hügelfort war von Westen aus, wo ein flacher, baumloser Kamm anstieg, bis er etwa die gleiche Höhe wie der Hügel hatte, auf dem zwei Kohorten der Legion mit ihrer Artillerie-Verstärkung warteten, bereit, den vorrückenden tungrischen Hilfskräften zu folgen. Der breite Kamm wurde auf beiden Seiten von dichtem Urwald aus Eichen und Birken gesäumt, die den Zugang zu dem Hügel des Forts sehr schwierig machten. Der Raum zwischen den Bäumen war mit Stechpalmen, Erlen und Haselnüssen so zugewachsen, dass jedes Fortkommen nahezu unmöglich war. Der Pfad selbst führte schnurgerade direkt zu den massiven äußeren Toren des Forts. Nur hier war ein Angriff möglich, wenn man nicht von vornherein eine verheerende Niederlage riskieren wollte. Aber in Erwartung dieses ganz offensichtlichen Vorgehens der Angreifer hatten die Besatzer des Forts schon vor langer Zeit eine tief gestaffelte Reihe von Verteidigungsanlagen an der Westseite des Forts errichtet. Drei aufeinanderfolgende Wälle aus Palisaden mit dicken Holzstämmen verteidigten das Innere des Forts, den flachen Gipfel des Hügels.

Die Tungrer duckten sich hinter ihre Schilde, als die hölzernen Befestigungen des Forts vor ihnen auftauchten. Sie warfen unruhige Blicke auf die dreißig stämmigen Barbaren, die erwartungsvoll auf den Plattformen hinter den Palisaden hin und her liefen. Ein Rammbock, der aus einem Baumstamm aus dem umliegenden Wald gehackt worden war, hing mit seiner eisernen Spitze zwischen den beiden Reihen von Gefangenen und pendelte vor und zurück, als sie den Hügel von der Stellung der römischen Kohorten hinabmarschierten. Je zwei Männer rechts und links neben dem Stamm waren an den Handgelenken aneinandergekettet, und die Kette selbst hatte man um den Stamm geschlungen, um ihnen jede Fluchtmöglichkeit zu nehmen. Die Männer hatten nackte Oberkörper, und ein Zenturio der Legion sowie ein Dutzend kräftiger Soldaten marschierten mit gezückten Schwertern in grimmigem Schweigen neben ihnen. Dann bellte ein Legionsoffizier einen Befehl in das bedrückende Schweigen, das ihren Vormarsch begleitete.

»Sobald wir das Tor erreicht haben, werdet ihr barbarischen Hunde diesen Rammbock schwingen, als hinge euer Leben davon ab. Was es auch tut!« Er wartete einen Moment, bis die des Lateins kundigen Männer unter den Barbaren seine Worte für die anderen übersetzt hatten. »Wenn wir die Tore zerschmettert haben, werdet ihr von euren Ketten befreit, marschiert in das Fort und nehmt den Verteidigern alle Waffen ab, die ihr in die Hände bekommt. Jeder Mann, der versucht wegzulaufen, wird von den Soldaten neben oder hinter ihm auf der Stelle niedergestreckt. Falls ihr also glaubt, Flucht wäre eine bessere Möglichkeit, als dieses Tor zu erstürmen, solltet ihr euch das gut überlegen. Wer den Angriff überlebt, wird freigelassen und kann mit seinem zweiten Brandzeichen in sein Dorf zurückkehren.« Einige Männer blickten auf das primitive Brandzeichen auf ihrem rechten Unterarm, ein »C« für »Captivus« – Gefangener. »Ich will euch daran erinnern, dass für den unwahrscheinlichen Fall einer erfolgreichen Flucht das Fehlen des zweiten Brandzeichens, das das erste aufhebt, bedeutet, dass man euch kreuzigt, falls man euch wieder fasst. Und das, Männer, ist keine besonders angenehme Art, aus diesem Leben zu scheiden. Es ist weit besser, hier im Sonnenlicht zu sterben, als seinen letzten Atemzug voller Qual herauszupressen, und das mit einem aufgeschlitzten Rücken, der aussieht wie ein Stück verfaultes Fleisch.«

Dubnus stieß seinen Freund an. »Behalte sie im Auge, sobald wir drin sind. Ich bin ziemlich sicher, dass die Hälfte von ihnen gegen uns beim Verlorenen Adler gekämpft hat. Ich erkenne sogar zwei von ihnen, und sie würden wahrscheinlich nur zu gern einen oder zwei von uns mit sich in den Tod reißen. Vor allem Männer, die Haarbüschel auf ihren Pisspötten tragen so wie du und ich.«

Marcus nickte grimmig, als die Truppe vor den schweren, hölzernen Toren zum Stehen kam.

»Bogenschützen, bereit machen …!«

Er warf einen Blick zurück und sah die Abteilung syrischer Bogenschützen, die hinter ihrer kleinen Streitmacht aufgestellt war und jetzt Position bezog, um die Befestigungen mit Pfeilen einzudecken, sollten die Verteidiger dumm genug sein, sich zu zeigen. Der Legions-Zenturio, der die Rammbockträger kommandierte, deutete auf das Tor und gab den Befehl zum Angriff. Mit einem gemeinsamen, angestrengten Stöhnen schwangen die Rammbockträger den Baumstamm nach hinten und stießen ihn dann vorwärts. Der eiserne Kopf krachte donnernd gegen die hölzernen Bohlen des Tores. Ein Schauer von Staub regnete auf die ersten Soldaten der Tungrer herab, die neben ihnen warteten. Ein Stammesmann tauchte hinter den Palisaden auf und hob mit beiden Armen einen Felsbrocken hoch, um ihn auf die Rammbockträger zu schleudern. Er stürzte mit einem Pfeil im Hals zurück, und ein Dutzend weiterer Pfeile schlug in das Holz der Palisaden ein, bevor er den Stein auch nur hatte loslassen können. Noch zweimal wurde der Rammbock zurückgeschwungen und gegen das splitternde Holz des Tores geschleudert. Nach dem vierten Stoß sackte das linke Portal langsam zu Boden, und es würde nicht mehr viel brauchen, um es zum Einsturz zu bringen. Julius’ laute Stimme hallte durch das erwartungsvolle Schweigen.

»Tungrer, wartet auf meinen Befehl …!«

Der fünfte Aufprall des Rammbocks zertrümmerte den linken Torflügel vollständig, und seine zerschmetterten Reste fielen in einer Wolke aus Splittern und Staub auf das freie Feld zwischen der ersten und zweiten Palisadenwand des Forts. Seiner Stütze beraubt, gab auch der zweite Torflügel nach zwei weiteren Stößen des Rammbocks nach, sodass der breite Eingang jetzt offen stand. Die wartenden Legionäre warfen den gefesselten Männern die Schlüssel für ihre Ketten zu und warteten mit gezückten Schwertern hinter ihren Schilden, während die Gefangenen sich von dem Rammbock befreiten. Einige der Barbaren wickelten die Ketten als improvisierte Waffen um ihre Hände, während die anderen sich einfach nur umsahen und die römischen Soldaten um sie herum in einer Mischung aus Hass und schlichtem Entsetzen anstarrten. Als alle befreit waren, deutete der Zenturio mit seinem Schwert auf das Tor.

»Geht! Geht und verdient euch eure Freiheit!«

Die Gefangenen zögerten einen Moment, bis ein zerlumpter, behaarter Hüne, der die schwere Nase des Rammbocks mit seinen muskelbepackten Armen geführt hatte, trotzig aufbrüllte und mit langen Sätzen in das Fort rannte. Er löste einen kollektiven Wutschrei und einen unvermittelten, stürmischen Angriff der Männer hinter ihm aus. Als die letzten Barbaren durch das Tor verschwunden waren, ließ Julius sein Schwert herabsausen.

»Angriff!«

Die vier Zenturien marschierten rasch zu dem zerschmetterten Tor in der Palisadenwand und zuckten unwillkürlich zusammen, als die Katapulte auf dem Hügel hinter ihnen eine Salve von Bolzen abfeuerten, die mit gellendem Pfeifen über ihre Köpfe hinwegfegten. Als Marcus durch den Eingang lief und über die zerschmetterten Reste des Tores trat, flog ein Mann unmittelbar vor ihm von den Palisaden herab und landete krachend und mit zerschmetterten Knochen auf dem Boden. Ein Speer hatte sich tief in seine Brust gegraben. Marcus trat vor und schlug reflexhaft mit dem Schwert nach dem Kopf des Sterbenden, um sicherzugehen, dass er wirklich tot war. Dann blickte er hoch auf die gebogene Fassade der inneren Befestigung. Es schien kein Ziel für sein plötzliches Bedürfnis zu geben, sein Schwert in einen weiteren Feind zu graben. Nur die halbnackten, gefangenen Barbaren liefen rechts und links neben dem Tor auf der freien Fläche herum, und auf dem Boden lagen ein paar Leichen, frühere Ziele der Speerschützen. Er schrak zusammen, als ein Schrei von der Bastion hinter ihm ertönte, und hatte plötzlich das Gefühl, vollkommen schutzlos alldem ausgeliefert zu sein, was über und hinter ihm passierte. Instinktiv hob er den Schild, als er zu der Palisadenwand herumfuhr. Er fühlte den Aufprall, als der Speer, der eigentlich seinen Rücken hatte treffen sollen, nur den eisernen Buckel in der Mitte seines Schildes fand. Der Speerwerfer knurrte vor Enttäuschung über den Fehlschlag, dann taumelte er vorwärts und landete mit einem Pfeil im Hals auf dem Boden. Das war der Preis dafür, dass er sich aufgerichtet hatte, um den Speer zu werfen.

Dann sah Marcus eine Bewegung in den Augenwinkeln. Mehr als hundert aufgepeitschte, angriffslustige Barbaren strömten von rechts um die innere Palisadenwand heran. Mit Schwertern und Äxten stürzten sie sich unter wildem Geheul auf ihre Angreifer. Sie schlugen sich ohne jede Gnade durch die Gefangenen. Ganz offenbar war ihnen klar, dass ihre ehemaligen Verbündeten durch einen Sieg ihre Freiheit wiedererlangen konnten, und sie wollten daher kein Risiko eingehen, was ihre Loyalität anging. Aus welchem Grund auch immer, und ob es klug war oder nicht: Die Verteidiger hatten fast ihre ganze Streitmacht für diesen direkten Angriff auf die Tungrer aufgeboten. Jede Chance, dass die Kohorten der Legion den größten Teil des Kampfes ausfechten würden, sobald die Hilfskräfte die erste Verteidigungslinie des Forts durchbrochen hatten, war dahin. Dubnus hatte den Angriff der Barbaren ebenfalls mitbekommen und trat vor. Sein gebrüllter Befehl durchdrang die momentane Verwirrung.

»Schlachtreihe!«

Ein guter Teil der Neunten Zenturie war bereits durch das Tor ins Fort gestürmt, und innerhalb von Sekunden hatten sie einen lückenlosen Wall aus Schilden gebildet, der sich quer über die Lücke zwischen der ersten und zweiten Palisade erstreckte. Die anderen Zenturien drängten sich hinter ihnen in dem schmalen Raum zwischen den Palisaden. Die Welle der Angreifer krachte gegen die Tungrer, und die Barbaren hämmerten mit Schwertern und Äxten auf den Schildwall ein, während die Soldaten sie in Schach hielten und mit geübter Fertigkeit tödliche Hiebe gegen Kehlen, Bäuche und Schenkel austeilten. Marcus steckte hinter der Schlachtreihe fest und reckte den Hals, um zu sehen, was hinter den wütenden Verteidigern des Forts vorging. Noch während er zusah, sprang der hünenhafte Gefangene, der die erste Welle der Angreifer durch das Tor geführt hatte, wieder auf die Füße. Er befand sich etwa ein Dutzend Schritte hinter dem letzten feindlichen Krieger. Der rote Fleck auf seiner Stirn ließ darauf schließen, dass einer der Verteidiger ihn zu Boden geschlagen hatte, ohne sich davon zu überzeugen, dass der Hieb ihn auch tatsächlich kampfunfähig gemacht hatte. Er deutete auf etwas in dem gebogenen inneren Wall, das Marcus nicht sehen konnte, und seine gebrüllten Worte gingen im Kampflärm, den Schreien und den Flüchen unter. Plötzlich durchzuckte es Marcus wie ein Blitz, als er begriff, worauf der Mann offensichtlich zeigte.

»Das nächste Tor …«

Er drehte sich zu Dubnus um und deutete über die wogende Masse aus Barbarenleibern auf die andere Seite ihres Schildwalls.

»Das zweite Tor ist offen! Gib mir zehn Männer, schnell!«

Er schob die Spatha in die Scheide und kletterte rasch die primitive hölzerne Leiter hoch, die zu der Plattform hinter den Palisaden führte, auf der die Verteidiger kämpfen konnten. Adrenalin pulsierte durch seine Adern, als er begriff, dass das Herz des Forts ungeschützt war, nachdem sich alle Barbarenkrieger den Tungrern entgegengeworfen hatten. Er hatte die schmale Plattform erreicht und blickte kurz über den Rand der Palisaden auf die Kohorten der Legion, die in der Nachmittagssonne warteten. Ihre Standarten glänzten im Sonnenlicht. Er gab den syrischen Bogenschützen mit gekreuzten Fäusten das zuvor vereinbarte Zeichen, dass der Wall erobert war. Es war das Signal, nicht mehr auf jemanden zu schießen, der sich auf dem Wall bewegte. Der Zenturio der Bogenschützen erwiderte das Signal und befahl seinen Männern, das Feuer einzustellen. Ein anderer Soldat trat zu Marcus auf die Befestigung. Er konnte sich noch schwach an sein Gesicht erinnern, aus der Zeit, als er die Neunte Zenturie kommandiert hatte. Ihre Blicke trafen sich, doch als Marcus die Hand hob, um ihm zu befehlen, ihm über den Wall zu folgen, spritzte ihm heißes Blut in die Augen. Ein schwerer Wurfpfeil aus einem Scorpio hatte dem Soldaten mit chirurgischer Präzision den Hals aufgerissen. Das Blut des Mannes spritzte über Marcus’ Kettenpanzer, als der Soldat röchelte, rücklings von der Plattform fiel und auf den Männern landete, die unter ihm kämpften. Ein zweiter Bolzen schlug in das Holz etwa zwei Zentimeter unter der Spitze der Palisaden ein und hätte beinahe Marcus’ Bauch zerfetzt. Ein dritter Bolzen zischte kaum eine Handbreit an seinem Kopf vorbei und bohrte sich in das raue Holz der zweiten Palisadenwand. Ein zweiter Soldat kletterte über die Leiter auf den Wall. Marcus erkannte ihn, es war Narbengesicht, ein Soldat der Neunten Zenturie, der nur wenig Achtung vor den Offizieren der Kohorte hegte.

»Besser, wenn du deinen Scheißkopf unten lässt, Zenturio, sonst schießen dir diese Latrinenköpfe der Legion einen Bolzen hindurch.«

Marcus nickte, duckte sich unter die Brüstung und winkte den anderen Mann zu sich. »Folge mir!«

Er eilte weiter, tief geduckt, über die Plattform, rutschte auf einem nassen Blutfleck aus und wäre fast gestürzt. Dann sah er sich um und überzeugte sich davon, dass die Männer, die nach ihm hinaufgeklettert waren, ihm folgten. Dreißig Schritte hinter der Stelle, an der er auf die Plattform gestiegen war, ließ er sich knapp drei Meter zu Boden fallen und landete neben dem muskulösen Gefangenen. Er zog beide Schwerter, als der Mann mit seiner tiefen Stimme und in gebrochenem Latein zu ihm sprach.

»Tor auf. Wir schließen, sie gefangen.«

Marcus nickte und bedeutete seinen Männern mit einem Winken, ihm zu folgen. »Wie ist dein Name?«

Der Britannier antwortete, ohne den Blick von dem offenen Tor abzuwenden. »Lugos.«

»Komm mit, Lugos. Ich brauche vielleicht jemanden, der ihre Sprache spricht, und du bist bei uns sicherer, als wenn du hierbleibst. Wenn das hier Erfolg hat, bist du am Ende dieses Kampfes ein freier Mann.«

Der große Barbar nickte kurz, und Marcus führte seine kleine Gruppe an der gekrümmten inneren Palisadenwand zu dem Tor. Es stand immer noch offen, trotz des offenkundigen Risikos für die Sicherheit des Forts. Marcus warf einen Blick um den hölzernen Rahmen und sah eine Gruppe von etwa einem Dutzend Krieger, die neben einer weit kleineren Öffnung in der dritten und letzten Palisadenwand des Forts standen. Er zog den Kopf wieder zurück und wandte sich an seine Männer.

»Es gibt bloß noch ein Tor. Es ist offen und wird nur von wenigen Männern bewacht. Wir haben bereits dieses Tor erobert, und wenn wir sie daran hindern können, das kleine Tor zu schließen, haben wir das Fort in der Hand. Seid ihr dabei?«

Die drei Männer von der Neunten Zenturie, die ihm gefolgt waren, nickten sofort. Narbengesicht starrte seine Kameraden auf eine Art und Weise an, die sie nur zu gut kannten. Die drei anderen dagegen kamen aus anderen Zenturien und waren folglich nicht daran gewöhnt, wie er eine solche Sache anging. Sie erwiderten seinen Blick in einer Mischung aus Unsicherheit und Unbehagen. Aber das musste genügen. Der Barbar hatte sich von irgendwo einen Speer besorgt und starrte ihn ungerührt an.

»Also gut, Männer, gehen wir und erobern wir ein Fort.«

Er sprang um die Ecke des Tores und schrie den Kriegern am letzten Tor eine Herausforderung zu. Er wollte, dass sie die kleine Gruppe von Männern sahen, die sie angriff, angeführt von einem einzigen Offizier. Sie zögerten einen Moment, hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, den Römern den Zutritt zu dem Tor zu verwehren, das sie bewachen sollten, und der Möglichkeit, ihre Feinde zu töten. In dieser kurzen Zeit hatte Marcus bereits die Hälfte der Strecke zwischen sich und ihnen überwunden. Als er sich umsah, bemerkte er, dass ihm nur der Barbar, seine drei früheren Soldaten und ein anderer Soldat gefolgt waren. Aber jetzt war es zu spät, um es sich anders zu überlegen. Er musste sich den feindlichen Kriegern stellen. Die wirkten plötzlich sehr zuversichtlich, als ihnen klar wurde, dass sie doppelt so viele waren wie die römischen Angreifer, und stürzten sich mit gezückten Schwertern auf sie.

Marcus wich nach rechts und links aus, schlug das Schwert des ersten Kriegers mit der langen Klinge seiner Spatha zur Seite und rammte seine rechte Schulter in den Mann. Damit schleuderte er ihn in die Männer, die ihm folgten, und erzeugte so einen Moment der Verwirrung, in der seine kleine Gruppe Kraft sammeln konnte. Er wirbelte rasch von dem Knäuel der Barbaren zurück und machte Anstalten, einen zweiten Krieger anzugreifen. Doch in dem Moment sprang Lugos mit einem markerschütternden Schrei auf sein beabsichtigtes Opfer zu und rammte ihm den Speer in den Unterleib. Er ließ die Waffe in dem Sterbenden stecken und riss ihm das Schwert aus den gefühllosen Fingern. Dann hob er die Waffe hoch über den Kopf, hackte sie in den ungeschützten Schädel eines anderen Kriegers, und vor Blutgier traten ihm fast die Augen aus dem Kopf. Marcus konnte gerade noch rechtzeitig den Blick von diesem Spektakel losreißen, um mit der kürzeren Klinge seines Gladius den Schwerthieb eines Kriegers zu seiner Linken abzuwehren. Dann wirbelte er um die eigene Achse, grub die schwere Klinge der Spatha in den Nacken seines Angreifers und trennte ihm in einer Blutfontäne den Kopf vom Rumpf. Der kopflose Körper taumelte rücklings ins Gras. Mittlerweile hatten auch die anderen Tungrer in den Kampf eingegriffen und drängten sich hinter Narbengesicht. Unvermittelt befanden sich die Torwachen in der Verteidigung, weil ihre Anzahl plötzlich fast halbiert worden war.

Marcus blickte an ihnen vorbei auf das letzte Tor. Ihm war klar, dass dieser unerwartete Glücksfall trotzdem in einem Patt enden konnte, wenn nämlich die Männer, die noch hinter dem Wall waren, es schafften, das Tor zu schließen. Die fast drei Meter hohen Pfähle der innersten Befestigung waren solide genug, um die Angreifer so lange aufzuhalten, dass die restlichen Besatzer des Forts Zeit hatten, über die Wände an der gegenüberliegenden Seite zu klettern und dann über die steilen Hänge in den umliegenden Urwald zu entkommen, dessen geheime Pfade nur sie kannten.

»Narbengesicht, halt sie auf! Du da …« Er deutete auf den keuchenden Lugos und zeigte dann mit dem Daumen auf das letzte Tor. »Du kommst mit mir!«

Der Britannier nickte. Er verstand offensichtlich die Absicht des römischen Offiziers, wenn vielleicht auch nicht seine Worte. Die beiden stürmten an dem Gewühl der Kämpfenden vorbei und rannten zum Tor. Gerade als sie es erreichten, eilte ein einzelner Mann durch die Öffnung, offenbar alarmiert von dem Kampflärm. Er starb durch das Schwert des Barbaren, ohne auch nur zu begreifen, dass die Verteidigung des Forts vollkommen zusammengebrochen war. Seine glitschigen Eingeweide rutschten aus seinem zerfetzten Unterleib, während Lugos ihn gegen das Holz der Bastion drückte und ihm dann das Schwert in die Brust bohrte und sein Herz zerfetzte. Marcus stürmte durch das Tor und blieb stehen, beide Schwerter kampfbereit in den Händen, während er sich umsah. Der Hügelkamm bestand aus einer freien Fläche, vielleicht fünfzig Meter im Durchmesser, die vollständig von der letzten Palisadenwand umringt war. Eine einzelne Holzhalle stand an der gegenüberliegenden Palisadenwand, und der freie Platz zwischen dem Tor und dem Gebäude war von rauchenden Kochgruben und den überall herumliegenden Resten der letzten Mahlzeit übersät. Ein einzelner Krieger stand vor der Halle, und während Marcus schwer atmend in dem offenen Tor stand, rief er etwas durch die Tür hinter sich. Unmittelbar danach trat ein hünenhafter Barbarenkrieger heraus. In der einen Hand hielt er eine Streitaxt, in der anderen einen Rundschild. Der dicke goldene Halsring um seinen bulligen Nacken kennzeichnete ihn als den König des Stammes. Er stand einen Moment reglos da und verarbeitete die Tatsache, dass die Schlacht für ihn verloren war, bevor er auf Marcus zulief, gefolgt von seinem Leibwächter.

Der Zenturio warf einen Blick auf das Tor hinter sich und sah, dass der Gefangene immer noch der einzige Mann war, der es so weit in die Verteidigungsstellung des Feindes geschafft hatte. Er rammte die lange Klinge seiner Spatha in das Gras zu seinen Füßen, deutete auf das Tor und fuhr mit der anderen Klinge einmal quer durch die Luft.

»Zerstör das Tor!«

Selbst wenn er diesen letzten Kampf hier verlor, würden seine Soldaten schon sehr bald folgen, wenn der Kampf zwischen dem ersten und zweiten Palisadenwall entschieden war. Das letzte Tor des Forts musste offen gehalten werden, wenn dieser Sieg irgendetwas bedeuten sollte. Der Barbar nickte und hackte mit seinem schweren Schwert in einem Wirbel von Schlägen auf die obersten, hölzernen Türangeln ein. Marcus zog seine Spatha aus dem Gras und drehte sich herum. Der Häuptling des Forts und sein Begleiter waren kaum zehn Schritte von ihm entfernt. Der Hüne deutete auf den gefangenen Barbaren und knurrte einen Befehl, während er Marcus anstarrte. Sein Leibwächter schlug einen vorsichtigen Bogen um den römischen Offizier und rannte mit hoch erhobenem Schwert auf den Gefangenen zu.

Knurrend vor Wut stürzte sich der Häuptling auf den jungen Zenturio und schlug mit seiner Axt auf ihn ein. Der wilde Angriff ließ Marcus keine andere Möglichkeit, als sich außer Reichweite der Waffe zu bringen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Leibwächter und der gefangene Barbar miteinander fochten. Ihre Schwerter funkelten in einem Wirbel von Schlägen, und die beiden Männer schienen, was Geschicklichkeit und Kraft anging, vollkommen gleichwertig zu sein. Der Häuptling trat vorwärts und schlug erneut zu; diesmal führte er die Axt horizontal in einem Rückhandschlag gegen Marcus’ Bauch. Die Klinge fegte sein Schwert beiseite und prallte auf seinen Kettenpanzer. Die Wucht des Schlages nahm ihm den Atem, obwohl die Klinge den Panzer nicht hatte durchdringen können. Als er nach Luft rang, heulte der Hüne triumphierend auf und hob seine Waffe für den tödlichen Schlag, um den Helm des Römers zu spalten und seinen Schädel in zwei Stücke zu hacken. Im nächsten Moment jedoch taumelte er und stürzte, als ein ungeheuer wuchtiger Schlag ihn zu Boden warf.

Der Wurfpfeil hatte Marcus nur um Haaresbreite verfehlt, bevor er das Kettenhemd des Hünen durchbohrt und sich zu zwei Dritteln in seine Brust gegraben hatte. Es war ein Zufallstreffer, der von irgendeinem frustrierten Artilleristen auf dem gegenüberliegenden Hang auf die kämpfenden Gestalten abgefeuert worden war, die sich in dem geöffneten Tor gegen den Himmel abhoben. Der Häuptling versuchte, sich wieder aufzurappeln, schaffte es jedoch nur auf ein Knie. Verständnislos starrte er auf den Bolzen, der aus seiner Brust herausragte, und spürte, wie mit dem Blut, das an seinem Körper hinablief, auch die Kraft aus ihm heraussickerte. Dann warf er Marcus einen flehentlichen Blick zu, während er Axt und Schild fallen ließ und die Arme ausbreitete, um den Gnadenstoß zu empfangen. Der Römer sah ihm einen Moment in die Augen, bevor er nickte. Er ließ seinen Gladius fallen und schwang die Spatha mit beiden Händen, um dem schwer verletzten Stammesführer mit einem Henkerschlag den Kopf von den Schultern zu trennen. Der Leibwächter des Toten hörte auf zu kämpfen, als er das sah, trat von seinem erschöpften Widersacher weg, ließ sein Schwert fallen und legte sich auf den Boden. Der Barbar sammelte seine letzten Kräfte und hob sein Schwert, während er Marcus ansah, um auf dessen Entscheidung zu warten. Der Zenturio schüttelte müde den Kopf und zog ihn aus der tödlichen Öffnung des Tores, bevor noch mehr Bolzen in ihre Richtung gefeuert werden konnten. Dann ließ er sich ins Gras fallen und begann plötzlich, als das gnadenlose Feuer des Kampfes in seinem Blut erlosch, in der Wärme des Nachmittags zu zittern.

»Ich möchte sichergehen, dass ich das richtig verstanden habe. Als das erste Tor des Forts offen war, hast du dir ein halbes Dutzend Soldaten genommen, bist vorgestürmt, als hättest du Feuer im Hintern, und hast dabei sämtliche Befehle ignoriert, die Stellung zu halten und die Kohorten der Legion vorrücken zu lassen?«

Der Erste Speer, Sextus Frontinius, fixierte Marcus mit strengem Blick von seinem Schreibtisch aus und hob eine Braue zu einer stummen Aufforderung für eine Erwiderung.

»Ja, Erster Speer.«

»Als Folge der Missachtung deiner Befehle hast du dann beide Tore gesichert, die die regulären Truppen eigentlich erobern sollten, nachdem du den ersten Einfall erfolgreich zu Ende geführt und ihnen den Weg freigemacht hast?«

Marcus verzog keine Miene, weil ihm der Jähzorn des Ersten Speers nur zu gut bekannt war. Er nahm seinen Blick von der Mauer des Hospitals, das durch das offene Fenster der Amtsstube zu sehen war, und richtete ihn auf den schweren Goldreif, der auf dem Schreibtisch lag. Frontinius bemerkte den kurzen Blick, und seine Miene verhärtete sich.

»Vergiss den Schmuck, Zenturio, und beantworte einfach nur meine Frage.«

»Jawohl, Erster Speer.«

»Und um das Ganze abzurunden, hast du außerdem den Stammesführer der Carvetii in einen Zweikampf besiegt?«

»Ja, Erster Speer. Obwohl ich darauf hinweisen möchte, dass es mir nicht ansteht …«

»… den Ruhm für seinen Tod einzustreichen? Ja, ich habe die Mitteilung gelesen, die Julius deinem Rückmarsch vorausgeschickt hat. Also hatte ich einen ganzen Tag Zeit, die Konsequenzen deiner neuerlichen Glanzleistung zu bedenken. Er wurde mitten im Kampf von einem Bolzen getroffen. Hat noch irgendjemand etwas zu dieser Geschichte über die Missachtung von Befehlen und von glorreichen Siegen beizutragen?«

Rufius ergriff das Wort. »Ja, Erster Speer«, sagte er gelassen. »Du hättest das Gesicht von Militärtribun Antonius sehen sollen. Er hatte bereits die goldene Festungskrone poliert und in der Hand, um sie demjenigen seiner Offiziere zu übergeben, der als Erster auf dem letzten Wall des Forts auftauchen würde. Am Ende musste er sie wieder wegstecken, sonst hätte er sie dem Zenturio einer Hilfskohorte aushändigen müssen.«

Marcus schüttelte bedauernd den Kopf, als er sich an die Verblüffung des Tribuns erinnerte, als dieser hörte, dass die Tungrer das Hügelfort in weniger als zehn Minuten eingenommen hatten, und das nur mit geringen Verlusten. Auf der anderen Seite des Schreibtisches, vor dem die vier Zenturios in Habachtstellung standen, hob der Erste Speer ergeben den Blick zur niedrigen Decke seiner Amtsstube im Hauptquartier der Kohorte, bevor er ihn scharf auf das Subjekt ihrer Diskussion richtete. Marcus hielt die Augen fest auf den Ausblick hinter dem offenen Fenster gerichtet und achtete darauf, dass seine Miene vollkommen ausdruckslos war.

»Du kannst ruhig deinen verfluchten Kopf schütteln, Zenturio. Wieder einmal stellst du mich vor ein unlösbares Rätsel, junger Mann. Ich habe dir einen Ausflug aufs Land genehmigt, und was machst du? Du kommst zurück und hast deinen Ruhm noch vergrößert. Du ziehst mehr Aufmerksamkeit auf dich, als du und diese Kohorte vertragen können. Es erstaunt mich immer wieder, dass wir nicht schon alle vor Monaten ans Kreuz genagelt worden sind …« Er rieb sich nachdenklich den kahlen Schädel und wandte sich dann an Julius. »Ich weiß, dass Tribun Antonius nicht gerade der intelligenteste Offizier ist, unter dem du jemals gedient hast, aber sicher hat auch er erkannt, dass etwas an einem Mann nicht ganz stimmen kann, der in einer Hilfskohorte dient und doch so eindeutig ein Römer ist?«

Der Zweite Speer Julius, sein Stellvertreter, zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, Erster Speer, glaube ich, dass er ein wenig von der Tatsache abgelenkt war, dass Hilfskräfte ihm sämtlichen Ruhm vor der Nase weggeschnappt haben, den man damit erringen konnte, die Reste der Carvetii zu erledigen.«

Der Erste Speer dachte einen Moment über diese Bemerkung nach. »Ja. Mit etwas Glück ist er zu sehr damit beschäftigt zu überlegen, wie er sich jemals würdig erweisen soll, endlich das Kommando über eine eigene Legion zu bekommen, und nimmt dich nicht zu genau in Augenschein, Zenturio Corvus. Also gut, ich muss jetzt dem Präfekten Meldung erstatten. Ihr vier bereitet euch darauf vor, morgen zur Küste zu marschieren. Wir haben Nachricht erhalten, dass unsere Verstärkung aus Germania angekommen ist. Also solltet ihr euch schleunigst auf den Weg zum Kastell Arbeia machen und sie abholen, bevor irgendjemand, der es weniger verdient hat, herausfindet, dass sie angekommen sind, und sie sich unter den Nagel reißt. Und du, Corvus, kannst unterwegs üben, einfach zum Meer und wieder zurück zu marschieren, ohne eine weitere barbarische Kriegshorde anzugreifen und zu besiegen. Wegtreten.«

Die vier Männer salutierten, marschierten aus der Amtsstube und machten sich sofort auf den Weg zur Offiziersmesse. Der älteste von ihnen, ein untersetzter Veteran mit eisengrauem Haar, legte Marcus einen Arm um die Schultern und zerzauste ihm freundlich sein pechschwarzes Haar.

»Mach dir keine Sorgen, junger Marcus. Ich habe diesen Grünschnabel von Aristokrat wie ein Falke beobachtet und schwöre dir, dass er nicht den leisesten Verdacht geschöpft hat. Nehmen wir einen Schluck, wir wär’s? Wir sammeln morgen neue Zenturien ein, achtzig große, starke tungrische Jungs pro Einheit, und feiern, dass wir nicht mehr mit unseren alten Zenturien marschieren, bei denen jetzt andere Männer all unsere Mühe zunichtemachen.« Er duckte sich unter Dubnus’ spielerischem Schlag weg. »Anwesende natürlich ausgenommen.«

Der Erste Speer Frontinius ging nachdenklich vom Gebäude des Hauptquartiers zur Residenz des Präfekten, den schweren Halsreif des Häuptlings in der Hand. Der neue Präfekt war vor nicht einmal zwei Wochen angekommen, um das Kommando über die Kohorte zu übernehmen. Sein Posten war zu Beginn des Sommers durch die Beförderung ihres früheren kommandierenden Offiziers freigeworden, der jetzt die Sechste Legion befehligte. Die beiden Männer befanden sich noch im langwierigen Prozess des gegenseitigen Kennenlernens, der sehr wichtig war, wenn sie ihre Kohorte erfolgreich im Kampf führen wollten, sobald die kriegerische Auseinandersetzung mit den Rebellen nördlich des Hadrianwalls fortgesetzt wurde. Aber schon jetzt flößte etwas an dem Mann Frontinius Unbehagen ein. Anders als der frühere Präfekt, jetzt Legat der kaiserlichen Sechsten Legion, der über die Geheimnisse von Zenturio Corvus’ Position innerhalb der Kohorte informiert war, hatte Gaius Rutilius Scaurus noch keinen Versuch gemacht, seinen Ersten Speer besser kennen zu lernen oder so etwas wie eine Beziehung zu ihm aufzubauen.

Frontinius nickte den Wachen vor der Residenz zu und trat in den kühlen Schatten des Gebäudes. Er wartete, während der wortkarge germanische Leibwächter des Präfekten seinen Herrn holte. Nach einem kurzen Moment tauchte sein Vorgesetzter an der Tür der Amtsstube auf. Gaius Rutilius Scaurus war groß, Anfang dreißig, hatte ein schmales, fast asketisches Gesicht und schwarzes Haar. Er trug eine schlichte weiße Tunika mit dem dünnen purpurnen Streifen am Saum, der anzeigte, dass er dem Ritterstand angehörte. Die Augen des Präfekten waren von einem wässrigen Grau und wirkten trügerisch weich. Der Erste Speer wusste nicht genau, ob er das Kinn des Mannes aristokratisch oder einfach nur verweichlicht nennen sollte, aber Gaius Scaurus benahm sich selbstbewusst, und seine Stimme klang kultiviert, fast weltgewandt.

»Erster Speer. Willst du nicht hereinkommen?«

Frontinius betrat die Stube des Präfekten und nahm den Becher mit Wasser entgegen. Dann setzte er sich dem Mann gegenüber auf einen Stuhl. Eine einzige Lampe verbreitete ein gedämpftes Licht im Raum. Präfekt Scaurus setzte sich hinter seinen Schreibtisch, wo das Lampenlicht eine Hälfte seines Gesichts erhellte, und trank ebenfalls einen Schluck Wasser, bevor er sprach.

»Wie ich gehört habe, ist die Abteilung zurückgekehrt. Ich gehe davon aus, dass die Expedition gegen die Einheimischen erfolgreich verlaufen ist, da wir kaum Verletzte haben.«

»Ja, Herr. Wir haben unsere Rolle wie verlangt gespielt, haben das Fort erobert und die Verteidiger ohne Probleme besiegt. Drei unserer Männer sind gefallen, und ein halbes Dutzend wurde verwundet, aber keiner von ihnen so schwer, dass er ins Kastell Corstopitum verlegt werden müsste. Zum größten Teil handelt es sich um Fleischwunden. Es ist den Offizieren ebenfalls gelungen, dies hier zu erobern …« Er legte den schweren Goldreif auf den Tisch des Präfekten und beobachtete, wie der andere Mann ihn aufnahm und die fein gearbeiteten Bullenschädel betrachtete, die den Verschluss des Halsreifs bildeten. »Eine nette Spende für den Bestattungsfonds.«

Der Präfekt legte den Halsreif wieder auf den Tisch und nickte zufrieden. Seine nächsten Worte jedoch alarmierten den älteren Mann sofort.

»Und Zenturio Corvus?«

»Präfekt?«

»Ich fragte: ›Und Zenturio Corvus?‹, womit ich mich erkundigen wollte, Erster Speer, wie sich dein jüngster Offizier bei der Niederwerfung der Carvetii geschlagen hat.«

Frontinius trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Zenturio Corvus hat eine entscheidende Rolle bei dieser Unternehmung gespielt …«

»Obwohl er nur anwesend war, um Erfahrung zu sammeln, hab ich recht? Mein Vertrauter Arminius hat mir von den Gerüchten erzählt, die im Kastell kursieren, denen zufolge Corvus in fünfhundert Herzschlägen erledigte, wofür die Kohorte der Legion mühsame fünftausend benötigt hätte, und dazu mit erheblich mehr Verlusten, falls es den Einheimischen gelungen wäre, die Palisadentore zu schließen. Und dass sich ein gewisser Militärtribun auf höchst spektakuläre Art und Weise fast die Nase verrenkt hätte, weil er keinen seiner eigenen Zenturios dafür belohnen konnte, den Feldzug zu einem glücklichen Ende gebracht zu haben. Wahrscheinlich wäre das für uns beide nur eine nette Geschichte, hätte ich nicht die Kriegstagebücher der Kohorte gelesen, Erster Speer Frontinius.« Er schwieg einen Moment und fixierte Frontinius mit einem gelassenen Blick. Seine grauen Augen blinzelten nicht, während er seinen Untergebenen musterte. »Und in den Aufzeichnungen dieser Kriegstagebücher scheint dein Zenturio Corvus bei so ziemlich allen Vorfällen eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, die sich in den letzten sechs Monaten ereignet haben. Er scheint sehr beliebt bei seinen Kameraden zu sein, ganz zu schweigen von seinem Ansehen unter den einfachen Soldaten.« Einige Sekunden lang herrschte unbehagliches Schweigen, bis der Präfekt erneut das Wort ergriff. »Als ich die Geschichte über die Einsätze deiner Kohorte am Anfang dieses Feldzugs gelesen habe, habe ich mich zwei Dinge gefragt, Erster Speer. Und zwar erstens, wie ein einzelner Mann die feindlichen Pläne so sehr durcheinanderbringen konnte …«

»Er hat die Kundschafter-Zenturie kommandiert, Präfekt, deshalb wusste er immer …«

»… und was noch wichtiger ist, Erster Speer, fragte ich mich allmählich auch, wie um alles in der Welt er es geschafft hat, den forschenden Blicken seiner höheren Offiziere zu entgehen, die doch von seinen Taten gehört und beschlossen haben müssten, mehr über deinen bemerkenswerten jungen Zenturio in Erfahrung zu bringen. Ich bin sicher, du verstehst, dass ich über diese, meine Kohorte betreffenden Fragen nachgedacht habe. Denn schließlich unterliegt es meiner Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie dem Thron gegenüber vollkommen loyal ist.«

Der Erste Speer wollte etwas erwidern, aber der Präfekt hob Einhalt gebietend die Hand.

»Bevor du antwortest, Erster Speer Frontinius, möchte ich dir noch eine weitere Frage stellen, die mich beschäftigt. Und ich würde dir raten, dir deine Antwort sehr genau zu überlegen, wenn du deine Position hier wertschätzt. Warum, so frage ich dich, kommandiere ich eine Kohorte, in der ein Offizier dient, der, während wir hier plaudern, immer noch von den Frumentarii, den Schergen des Kaisers, als Verräter gegen den Thron gejagt wird?«

Frontinius blieb wie betäubt und schweigend sitzen, während sich die Miene des Präfekten verdüsterte, als sein Untergebener nicht antwortete.

»Komm schon, Mann, für wie dumm hältst du mich? Dieser Mann ist ganz offensichtlich ein Römer. Und dieser Name – Marcus Tribulus Corvus – schreit förmlich ›Deckname‹! Zudem legt er ein Können und eine Geschwindigkeit im Umgang mit Waffen an den Tag, die er wahrscheinlich zehn Jahren Ausbildung bei den besten Lehrern zu verdanken hat. Zufälligerweise höre ich nun, dass Senator Appius Valerius Aquila, ein Mann von sehr hoher Position und tadellosem Ruf, wegen Hochverrats zu Beginn dieses Jahres gefoltert und hingerichtet wurde. Von ihm war bekannt, dass er seinem Sohn fast sein ganzes junges Leben lang von seinen handzahmen Gladiatoren Kampftechnik hat beibringen lassen, um ihn auf seinen Dienst bei den Prätorianern vorzubereiten. Weiterhin ist bekannt, dass eben dieser Jüngling mit einem gefälschten Befehl nach Britannien gesegelt ist, und zwar nur Wochen vor dem Tod seines Vaters durch die Hände der Quaestonarii des Kaisers. Und darüber hinaus, Erster Speer, ist bekannt, dass er sich nach zwei Versuchen, ihn umzubringen, in Luft aufgelöst hat. Beide Versuche endeten damit, dass zwar die Attentäter Blut und Leben verloren, nicht aber ihr beabsichtigtes Opfer. Dieser Mann, ein gewisser Valerius Aquila, der zufälligerweise mehr oder weniger in dem Alter deines Tribulus Corvus zu sein scheint, soll von der Hilfe einheimischer Truppen profitiert haben, und man hat argwöhnisch auf den ehemaligen Legaten der Sechsten Legion als Schuldigen gezeigt, bevor der leichtsinnig genug war, im letzten Frühling sowohl den Adler seiner Legion als auch seinen eigenen Kopf auf dem Schlachtfeld zu verlieren. Vielleicht hatte Legat Sollemnis ja Glück, dass sein Tod sowohl schnell als auch ehrenhaft war …« Er machte eine Pause und starrte den Ersten Speer lange und scharf an. »Der Mann hinter dem Thron, Erster Speer, ist nach wie vor davon überzeugt, dass der Sohn von Aquila sich bei einer Einheit der Armee irgendwo im nördlichen Britannien versteckt. Sollte es diesem Mann, dem Präfekten der Prätorianer, Perennis, jemals an Entschlossenheit gemangelt haben, ihn aufspüren und umbringen zu lassen, dürfte der Tod seines eigenen Sohnes in dieser Provinz im Frühjahr dieses Jahres seine Entschlossenheit nur noch angefacht haben. Vor allem, weil Gerüchte aufkamen, der jüngere Perennis wäre ermordet worden, während er ganz offensichtlich einen Akt des Hochverrats beging. Die besten FrumentariidesKaisers werden die nördliche Grenze überschwemmen, mit dem Befehl, nicht nur den Flüchtigen zu töten, sondern auch die Anführer jeder Militäreinheit, die ihm Schutz gewährt. Sie dürfen zudem nach ihrem Ermessen jeden Mann dieser Einheit bestrafen. Ich glaube, wir wissen beide, dass die Männer, die solch schmutzige Aufgaben erledigen, nie sonderlich zimperlich waren, wenn es darum ging, Schnellverfahren durchzuführen, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass du zum Beispiel deinen letzten Atemzug an einem Kreuz aushauchst, während die Zenturios der Kohorte sehr wahrscheinlich bereits vor dir verreckt sind. Deine Männer würden zumindest ernsthaft dezimiert werden, und was deinen früheren Präfekten angeht, den jetzigen Legaten Equitius … ich möchte jedenfalls nicht in seiner Haut stecken. Also, Erster Speer, du erklärst mir jetzt wohl besser, warum meine Kohorte einem Feind des Imperiums Unterschlupf gewährt und warum um alles in der Welt ich diese Situation auch nur eine einzige Minute länger tolerieren sollte. Sprich!«

Die Ordonnanz der Offiziersmesse döste zufrieden in einer ruhigen Ecke, als sich die Tür öffnete und ein Zenturio in das Lampenlicht der Messe trat. Der Neuankömmling war grauhaarig, stämmig gebaut und nicht mehr der Jüngste, seinem zerfurchten Gesicht nach zu urteilen. Er wirkte auf den ersten Blick eher wie ein Kaufmann als wie ein Soldat, aber der Mann hinter dem Tresen wusste es besser.

»Ordonnanz! Vier Becher und Wein, und zwar anständigen, wenn du noch ein paar Krüge übrig hast, die für mehr taugen, als nur verstopfte Ärsche zu öffnen. Zweifellos haben unsere Offiziersbrüder das Zeug wie griechische Seeleute gesoffen, während wir unterwegs waren, um den Ruhm der Kohorte zu mehren.«

Weitere Offiziere drängten sich hinter ihm in der Tür.

»Schieb deinen Arsch zur Seite, Rufius. Mein Durst verlangt nach sofortiger Befriedigung.«

Julius schlug Rufius auf die Schulter und drängte sich an ihm vorbei in die Messe. Er warf seinen Umhang auf einen Tisch und streckte sich, rechtschaffen müde. Er war jünger und einen Kopf größer als der andere Mann, muskulös und athletisch, und sein schwarzer, von grauen Haaren durchsetzter Bart verstärkte den leicht ruchlosen Ausdruck seines Gesichts noch. Dubnus trat hinter ihm durch die Tür. Sein Körperbau war, wenn überhaupt, noch beeindruckender als der seiner Kameraden, obwohl er sich weniger wohlzufühlen schien als die übrigen. Er hatte sich noch nicht so ganz an seinen neuen Status gewöhnt. Die Ordonnanz wusste aus Erfahrung, dass Zenturios für gewöhnlich etwas unsicher waren, solange sie sich noch an den Rebstock gewöhnten, dass man ihnen nach Ablauf dieser Zeit aber besser nicht mehr in die Quere kam.

»Komm schon, Dubnus. Schleich nicht da draußen rum, sondern komm rein und leg deinen Umhang ab. Du bist jetzt ein Offizier, also musst du nicht in der Tür herumlungern wie irgendeine verdammte Jungfrau, die zu ihrer ersten Orgie eingeladen wurde.«

Dubnus belohnte seinen Offizierskameraden mit einem bösen Blick und betrat den Raum. Dann drehte er sich um und winkte Marcus mit einer fast ehrerbietigen Geste herein, während Rufius an den Tresen trat und eine Münze daraufknallte, die zwar ganz anständig, aber nicht außerordentlich wertvoll war.

»Wenn dein Wein diesen Namen verdient hat, werden wir die ganze Nacht hier saufen, und du, Ordonnanz, bekommst das hier, wenn du uns ordentlich mit Nachschub versorgst. Komm schon, Marcus, stell dich zu uns an den Tresen und halt deine rechte Hand frei.«

Die Ordonnanz nickte respektvoll. Mit solchen Offizieren kam er klar. Er beobachtete über die Schulter des älteren Offiziers hinweg, wie der jüngste Mann in das Licht der Lampe trat. Bei den Göttern, was für eine Versammlung, dachte er. Rufius, ein in der Legion ausgebildeter Kämpfer, erfahren und vor Kraft strotzend, Julius, der überlegene Krieger auf dem Höhepunkt seiner Kämpferkarriere, ganz Muskeln, Narben und Selbstbewusstsein. Dann Dubnus, der frisch beförderte ehemalige Optio, der noch dabei war, die Fußstapfen seines gefallenen Vorgängers auszufüllen, und schließlich der Römer – schmaler als die anderen, weit weniger muskulös, aber jedem einzelnen Mann der Kohorte unter dem respektvollen Titel »Zwei-Klingen« bekannt. Die anderen drei waren gute Zenturios, wurden von ihren Männern respektiert und gefürchtet. Der Römer jedoch war der einzige Offizier im Lager, dem jeder Soldat der Kohorte auch ohne Befehl bis in den Hades folgen würde.

Rufius schob Julius und Dubnus einen Becher zu und winkte Marcus zu sich. »Schnapp dir einen von diesen Bechern.«

Marcus mühte sich einen Moment mit der Fibel ab, die seinen Umhang zusammenhielt, und Rufius warf dem schweren Schmuckstück einen wissenden Blick zu.

»Trägst immer noch diese Brosche, was? Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn dieses verdammte Ding irgendwann verschwindet. Julius, Mann, lass ihn zum Tresen durch.«

Julius drehte sich zu dem jungen Zenturio herum, als der die Fibel drehte, um die Nadel zu öffnen. Er betrachtete kurz die reich verzierte Replika eines runden Reiterschildes, geschmückt mit einer komplizierten Gravur von Mars in voller Rüstung, der sein Schwert zum Schlag erhoben hatte. »Das habt ihr beiden also damals im Wald so lange gesucht? Wirklich sehr hübsch …«

Rufius nahm dem jungen Mann den Umhang ab und warf ihn auf den Tisch zu den anderen. »Das ist so ziemlich das einzige Erinnerungsstück an seinen Vater. Auf der Innenseite steht eine persönliche Widmung, die diese Fibel noch kostbarer für ihn macht. Das war alles, was wir aus dem Bündel retten konnten, das wir an dem Morgen vergraben hatten, an dem Dubnus und ich seine Nüsse aus dem Feuer vor Eburacum gezogen haben.«

Der riesige junge Offizier hinter ihnen lachte leise. Sein Unbehagen über seinen neuen Status war plötzlich vergessen. »Dubnus und ich? Wenn ich mich recht entsinne, hast du nur mit deinem Schwert herumgefuchtelt, während ich mich abgemüht habe wie eine Kastellhure am Zahltag.«

ENDE DER LESEPROBE