Aufstehen? - Wozu? - Gisi von Sima - E-Book

Aufstehen? - Wozu? E-Book

Gisi von Sima

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Beschreibung

Nessa hat nach einer außergewöhnlichen Kindheit im Rotlichtmilieu und der Bekanntschaft mit skrupellosen, gewaltbereiten Männern ihr Vertrauen in die Menschheit komplett verloren. Panikattacken machen ihr den Alltag schwer. Da tritt Marc, Polizist einer Spezialeinheit, in ihr Leben - wie ein Blitz aus heiterem Himmel - und weckt Gefühle in ihr, die ihr bisher völlig fremd waren. Während ihre verwundete Seele gegen das ungewohnte 'Kribbeln im Bauch' ankämpft, holt Nessas Vergangenheit sie immer wieder ein und bringt sie erneut in Gefahr. Wird die Liebe eines Mannes stark genug sein, um Nessas Vertrauen zu gewinnen und ihr Weltbild geradezurücken?

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Inhaltsverzeichnis

Prolog: New York 2005

Miami 2014

New York 2006

Miami 2014

New York 2005

Miami 2014

Paris 2014

Bamenda/Ngosa Kamerun 2014

Miami 2015

Prolog

New York 2005

Nessa war glücklich. Zum dritten Mal holte sie nun schon ihren Stapel Dollarscheine aus der Tasche und zählte ihn. Nicht das 'Große Geld', aber davon würde sie auf alle Fälle schon einmal ihre Miete zahlen und sich ernähren können. Wenn alles gut lief, würde sie das jetzt jede Woche bekommen. Sie ließ sich nach hinten auf ihr Bett fallen.

Vor zehn Tagen erst war sie hier in New York angekommen. Sie hatte mit ihrer Mutter geredet und ihr gesagt, dass sie gehen würde.

Seit sie zwölf war, hatte sie Pläne geschmiedet, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und nach New York zu ziehen. Zwei Versuche waren schon gescheitert, weil sie noch zu jung war. Beide Male hatte sie es nicht mal aus Philadelphia herausgeschafft. Jedes Mal war aus irgendwelchen dummen Gründen die Polizei auf sie aufmerksam geworden und hatte sie postwendend wieder zu ihrer Mutter zurückgebracht. Ha! Als ob sie da besser aufgehoben gewesen wäre!

Als sie sechzehn wurde und ihren Highschoolabschluß in der Tasche hatte - sie war etwas früher dran, da sie eine Klasse in der Grundschule überspringen konnte - hatte sie ihre Vorgehensweise geändert. Ihrem Aussehen nach konnte sie nun durchaus als volljährig durchgehen und wenn sie ihre Mutter einweihte, würde die nicht auf die Idee kommen, nach ihr zu suchen.

Nessa war nicht mal sicher, ob ihre Mutter das überhaupt tun würde - nach ihr suchen - aber sie wollte kein Risiko eingehen. Diesmal wollte sie keinen Fehler mehr machen, diesmal sollte es endgültig klappen. Sie hatte alles gut vorbereitet.

Nachdem sie dem Barbesitzer und Boss ihrer Mutter endgültig klargemacht hatte, dass sie nicht beabsichtigte in das 'Gewerbe' einzusteigen und ihn mit einem gezielten Faustschlag aufs Auge davon überzeugt hatte, dass sie ihm auch privat nicht zur Verfügung stehen werde, war er sichtlich beeindruckt und richtig umgänglich geworden und hatte sie ab und zu in der Küche aushelfen lassen. So konnte sie sich etwas Geld zur Seite legen. Außerdem hatte sie sich eine Mitfahrgelegenheit besorgt.

Jeden Monat kam eine Lieferung von einem Spirituosenladen in New York. Sie hatte die letzten Monate jedes Mal dafür gesorgt, dass sie zu dieser Zeit gerade in der Küche Dienst hatte und war den beiden Fahrern beim Verstauen der Getränke im Lager behilflich gewesen. Letzten Monat hatte sie dann endlich ihren ganzen Mut zusammengenommen und gefragt, ob sie sie mitnehmen könnten.

Das war natürlich immer ein Risiko. Die Tatsache allein, dass sie in einem Bordell wohnte, reichte bei den meisten Männern schon, um alle möglichen Fantasien freizusetzen. Sie hatte schon damit gerechnet, dass die beiden irgendeine 'Erkenntlichkeit' erwarteten und hatte sich mental auf alle möglichen Szenarien vorbereitet, aber sie hatte Glück gehabt. Der Fahrer war ein eher väterlicher Typ über 50. Er hatte ihr immer wieder eingeschärft, dass sie auf sich aufpassen solle und hatte am Ende sogar noch eine Adresse parat gehabt, bei der sie nach einem Job fragen konnte.

Ein Kunde, Cafébesitzer im East Village, suchte eine Aushilfe.

Sie hatte sich direkt dort absetzen lassen und prompt den Job bekommen. Als sie dann auch noch drei Tage später ein bezahlbares Zimmer in einer WG in der Nähe gefunden hatte, war es ihr fast schon unheimlich geworden.

Sie hatte sich auf schwierigere Zeiten eingestellt gehabt, aber irgendwie war das schon immer so gewesen. Von vielen Menschen, mit denen sie zu tun hatte, bekam sie einfach positive Resonanz, dafür musste sie sich nicht anstrengen. Es flog ihr einfach zu.

In der Schule hatte sie einmal mit einer ihrer Lehrerinnen darüber geredet.

Es hatte Ärger gegeben, weil eine ihrer Mitschülerinnen böse Gerüchte über sie in Umlauf gebracht hatte und sie diese dann, als sie nicht damit aufhören wollte, mitsamt Klamotten unter die Dusche gestellt hatte.

Die Lehrerin hatte ihr erklärt, dass das Mädchen wohl eifersüchtig auf sie war, weil sie vielleicht insgeheim so sein wollte wie sie.

Nessa hatte das nicht wirklich verstanden.

Sie wusste zwar, dass ihr Leben außergewöhnlich und anders war, als das der anderen, aber ihrer Meinung nach war es eher außergewöhnlich schlecht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendwer mit ihr tauschen wollte.

Naja, sie hatte schon ein paarmal gesagt bekommen, dass sie hübsch wäre, aber die meisten, die das gesagt hatten, waren Männer gewesen und was die damit bezweckten, wusste sie schon lange. Die hatten das schließlich auch zu Trudy gesagt, um sie in die Besenkammer zu locken. - Trudy, come on! - Sie mochte Trudy, aber hübsch? Das konnte man jetzt wirklich nicht behaupten. Mit ihren weit vorstehenden Vorderzähnen und ihrer pickligen Haut.

Woher sollte sie wissen, ob irgendeiner dieser verdammten Typen es ehrlich meinte? Zur Sicherheit ging sie einfach mal davon aus, dass alle Menschen notorische Lügner waren und sie nur manipulieren wollten. Sie hatte sich angewöhnt, alles was sie hörte, sah oder las, erst einmal durch ihr eigenes System laufen zu lassen. Erst wenn etwas Sinn für sie machte und ihr gesunder Menschenverstand oder wenigstens ihr Gefühl grünes Licht gaben, akzeptierte sie es. Was natürlich auch nicht selten dazu führte, dass sie Regeln einfach nicht beachtete und sich damit Ärger einhandelte.

Sie hatte schon sehr viele Gedanken daran verschwendet, einen Weg zu finden, wie sie Lügen erkennen konnte. Das war schon immer ein großes Thema und sehr wichtig für sie gewesen. Sie war der Meinung, dass die Lösung in den Augen lag, aber wie genau das funktionieren konnte, musste sie noch herausfinden.

Was ihr eigenes Aussehen anging, war Nessa einer ziemlichen Fehleinschätzung unterlegen. Sie war einer der Menschen, die einfach von Natur aus wunderschön waren. Die morgens aus dem Bett sprangen, einmal durch ihr Haar wuschelten und schon atemberaubend gut aussahen.

Dadurch, dass sie keinen blassen Schimmer davon hatte, wie sie auf andere Menschen wirkte, war sie total natürlich in ihrem Verhalten und in ihren Bewegungen, was diese unglaubliche Wirkung nur noch intensivierte.

Sie hatte kräftiges blondes Haar, das ihr in leichten Wellen bis fast zur Taille fiel. Je nach Licht, schimmerte es mal golden, mal sogar etwas rötlich oder es erinnerte an ein riesiges Weizenfeld, das im Sommer kurz vor der Ernte stand und dessen Halme von einer angenehmen Sommerbrise durchweht werden. Ihre Augen waren blaue Kornblumen, die am Rande des Feldes leuchteten und ihr sinnlich geformter Mund war wie der Klatschmohn, der mit seiner roten Farbe, die perfekte Ergänzung zu dem Ganzen bildete.

Nessa hatte sich noch nie Mühe gegeben, anderen zu gefallen. Es war ihr schlichtweg egal, was andere über sie dachten. Sie war selbst ihr größter Kritiker. Wobei sie sich mit ihrer Eigenkritik fast ausschließlich auf ihre geistige Performance beschränkte und teilweise sehr streng mit sich ins Gericht gehen konnte. Sie hatte sich immer jemanden gewünscht, mit dem sie über alles reden konnte und der ihr ehrlich und ohne Umschweife all ihre Fragen, die sich schon als sie noch ein kleines Mädchen war, wie Pilze in ihrem hübschen Kopf vermehrten, beantworten würde. Aber diesen Jemand hatte sie leider nie gefunden, da es in ihrem Umfeld wenige Menschen gab, die ihrem regen Gedankengut folgen konnten und sie immer, wenn sie einmal einen Versuch gestartet hatte, feststellen musste, dass ihre Gedankengänge bei anderen nur wirre Ratlosigkeit, komplettes Vakuum oder sogar in wenigen Fällen aggressive Verständnisprobleme hervorgerufen hatten. Irgendwann hatte sie sich mit dem Gedanken abgefunden, dass sie wohl die einzige Person auf dieser Welt war, auf die sie sich blind verlassen konnte und dass sie am besten beraten war, alles was sie bewegte, mit sich selbst zu besprechen. So war sie zumindest sicher, dass sie weitestgehend vernünftige Antworten bekam und dass ihre Gedanken nicht von irgendwelchen ignoranten Dummköpfen, von denen es da draußen offensichtlich raue Mengen gab, misshandelt und in Richtungen gezerrt wurden, die sie überhaupt nicht beabsichtigte. Sie hatte relativ früh beschlossen, den Song 'Circle' von Edie Brickell zu ihrem Lieblingssong zu machen (nichts ist gut genug für andere/ allein zu sein, ist das Beste, denn dann kann sich niemand verabschieden) und ihr geistiges Gedankengut, wenn überhaupt, dann allerhöchstens mit ihren Lehrern zu teilen. Ansonsten machte sie alles nur mit sich selbst aus. Wenn sie mit sich zufrieden war, war alles gut.

Trotz vieler Zweifel an ihrer eigenen Persönlichkeit und ihrer stetigen Bemühung eine objektive Sichtweise an den Tag zu legen, verlieh ihr diese Einstellung ein gesundes Selbstbewusstsein und manchmal konnte sie sogar etwas ruppig wirken, was ihr aber nur den nötigen Respekt verschaffte, den sie brauchte, um sich in ihrer Umgebung, in der niemand zimperlich war und die Wortwahl eher kräftig ausfiel, zu behaupten.

Ok, sie wusste, dass sie nicht hässlich war und sie war Klassenbeste, ohne etwas dafür zu tun, aber den Rest wollte definitiv keiner haben.

Ihre Lehrerin meinte, sie habe eine so positive Ausstrahlung, dass sie jeden damit anstecke und die Leute um sie herum fast verzaubere. Nessa war der Meinung, dass sie da ganz schön übertrieben hatte, aber etwas Wahres war vielleicht doch daran. Wenn sie einigermaßen höflich fragte und womöglich noch dazu lächelte, bekam sie so ziemlich alles, was sie wollte.

Das hatte sie natürlich schon bemerkt, sie war ja nicht doof, aber sie hatte immer gedacht, dass das alle so machten.

Na, jedenfalls lief es super in New York.

Der Job war zwar nicht das, was sie sich auf Dauer vorstellte - sie war Mädchen für alles und musste immer da einspringen, wo gerade Not am Mann war, Burger braten, Thekendienst, Bedienung - aber sie mochte die Abwechslung, versuchte überall so viel zu lernen wie möglich und sah das Ganze als das was es tatsächlich war, eine Geldquelle, die sie über Wasser hielt, bis sie ihre eigentlichen Pläne verwirklichen konnte. Sie wollte auf jeden Fall noch ein College besuchen, sie wusste zwar momentan noch nicht, wie sie das finanzieren sollte, aber das war ihr großes Ziel.

Miami 2014

Nessa bog in die Straße ein, die das Navi ihr anzeigte. Typisch amerikanische Wohnsiedlung, Einfamilienhäuser, breite Straße, viel Platz. Hier musste es irgendwo sein.

Nachdem sie zwei Tage lang erfolglos in Miami und Umgebung herumgeirrt war, hatte sie endlich einen Hinweis auf Ihren Schützling Benji erhalten. Überall hatte sie sein Foto herumgezeigt. Am Strand, in Geschäften - in einer Bar hatte endlich einer gezuckt. Nach zähem Nachfragen hatte er schließlich gemeint er habe Benji mit einer Gruppe von Leuten gesehen, die er flüchtig kannte, und war sogar am Ende mit einer Adresse herausgerückt. Sie war sofort losgefahren. Sie musste ihn unbedingt finden.

Am Ende der Straße stand ein Großaufgebot von Polizeifahrzeugen. Was war das denn?

Sie schaute auf die Hausnummern. Die Adresse, die sie suchte, war weiter hinten. Nessa wurde unruhig. Sie parkte ihren Wagen und ging das letzte Stück zu Fuß.

Überall rannten Polizisten herum, die Wagen standen kreuz und quer auf der Straße, manche mit Blaulicht. Einer brachte gerade eine Absperrung in Form eines orangeroten Bandes an, auf dem in schwarzen Buchstaben 'crime scene - do not cross' stand. Sie ging näher heran und da sah sie ihn.

"Nein!" Sie fing an zu rennen.

Benji wurde gerade von einem Polizisten zu einem der Autos geführt. Sein schwarzes Haar hing ihm, wie immer, in einem zu langen Pony über den Augen. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, was ihn viel älter und ziemlich wild erscheinen ließ. Sie hatten ihm Handschellen angelegt. Der Polizist an der Absperrung versuchte sie aufzuhalten.

"Hier können Sie nicht durch. Gehen Sie zurück!"

Sie lief einfach weiter. Der Polizist stellte sich ihr in den Weg.

"Halt stehenbleiben!"

Sie stieß ihn zur Seite und rannte schneller. Gerade setzten sie Benji in den Wagen.

"Nein, nicht! Benji!"

Sie rannte auf den Wagen zu. Ein Polizeibeamter stellte sich vor Benji und hielt Nessa auf. Ein weiterer in Zivil kam dazu. Er war in voller Montur, kugelsichere Weste, Waffe schussbereit.

"Was ist hier los?" fragte er in barschem Ton. Er schien das Kommando zu haben.

Nessa schaute ihn an." Ich muss mit ihm reden."

"Nein, er ist verhaftet." Er gab dem Polizisten ein Zeichen einzusteigen.

Nessa ergriff Panik.

"Bitte, ich brauche eine Minute."

"Sind Sie verwandt mit ihm?"

Sie zögerte nur eine Sekunde. Er warf die Tür zu.

Mit zwei schnellen Schritten war sie am Auto und riss die Tür wieder auf. Sie beugte sich zu Benji. Er schaute sie mit traurigem Blick an und schüttelte nur den Kopf.

Bevor sie etwas sagen konnte, wurde sie grob von hinten gepackt und gegen den Wagen geworfen. Der Cop war außer sich vor Zorn.

" Was glauben Sie was Sie hier tun? Was an dem Wort 'nein' haben Sie nicht verstanden?"

Er drückte sie mit einer Hand gegen das Fahrzeug. Dunkle Augen funkelten sie an. Sie schnappte nach Luft. Wie immer, wenn ihr jemand zu nahe kam, verkrampfte sich ihr ganzer Körper und sie fing an zu zittern.

Bilder tauchten vor ihren Augen auf. - Ein dunkler Keller. Ein blutiges Messer. Ein Junge weinte.

'Oh nein, das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Sie musste stark sein. Sie musste Benji helfen.' - Sie schaute sich verzweifelt um.

Etwas Schönes, sie brauchte etwas Schönes.

Da fiel ihr Blick auf einen blühenden Baum. Sie starrte ein paar Sekunden auf die üppigen rosa Blüten, dann schloss sie kurz die Augen.

'Einatmen!....Ausatmen!....Einatmen!.....Ausatmen!... Konzentrier Dich, Nessa. Konzentrier Dich. Er wird Dir nichts tun. Alles ist gut.'

Sofort bemerkte sie, wie sich ihr Körper entspannte. - Sie atmete auf. Das Training zahlte sich endlich aus. Es wirkte.

Der Cop schaute verwirrt von ihr zu dem Baum und wieder zurück. Was war das? Er konnte sich nicht erklären, wieso die junge Frau plötzlich ganz still geworden war. Aber da war es auch schon wieder vorbei. Sie nutzte seine Verwirrung und befreite sich aus seinem Griff, indem sie sich blitzschnell duckte. Allerdings kam sie nicht weit, der Andere war zu sehr Profi, um dies zuzulassen. Sofort hatte er ihr wieder den Arm auf den Rücken gedreht und diesmal stieß er sie weg von dem Fahrzeug, in dem sich Benji befand.

Sie wehrte sich heftig, aber gegen diese starken, im Vergleich zu ihren eigenen, riesengroßen Hände, die sie wie ein Schraubstock umklammerten, hatte sie keine Chance.

Er machte den Kollegen ein Zeichen, loszufahren. Sie konnte einen letzten, verzweifelten Blick mit Benji wechseln, und dann war er weg.

Ein zweiter Cop in Zivil tauchte auf. Er war etwas kleiner als der Erste, aber genauso muskelbepackt und braungebrannt wie der.

"Was hast Du denn hier für ein Problem?" fragte er seinen Kollegen, der immer noch alle Hände voll zu tun hatte, um Nessa zu fixieren.

"Nimm mir diese Furie mal ab. Wir nehmen sie mit aufs Präsidium."

Zu Nessa gewandt sagte er. " Sie sind auch festgenommen."

"Waaas? Warum?" rief Nessa verzweifelt. 'Festgenommen?!? Präsidium?!?.....' Nessas Gehirn fing an zu rattern. 'Sie würden sie einsperren! Gitterstäbe! Gitterstäbe!!!.......' Sie wusste genau, was das mit ihr tun würde. Nein, das durfte nicht passieren! Verzweifelt versuchte sie, sich aus dem Klammergriff des Mannes zu befreien. - Es war aussichtslos! Was hatte sie erwartet?........

Als sie den Hinweis auf Benji erhalten hatte, war sie so glücklich gewesen. Sie hatte vorher schon fast den Mut verloren gehabt. Wie sollte sie ihn denn hier in dieser großen Stadt je finden?

Das größte Problem war, dass er anscheinend gar nicht gefunden werden wollte. Aber diese Erkenntnis hatte sie nur noch weiter angetrieben, irgendetwas war im Gange und es war klar, dass das nichts Gutes sein konnte.

Jetzt hatte sie ihn tatsächlich aufgestöbert, aber war offensichtlich zu spät gekommen. Wenn diese Typen sie jetzt auch noch festsetzten, war alles aus.

Wie sollte sie Benji denn dann helfen? Wie sollte sie ihm überhaupt helfen? Ha! Hatte sie ihm denn schon jemals helfen können? Scheiße........

Sie musste nachdenken, sie wurde wieder ruhiger. Ihr Gehirn fing an zu arbeiten......

Inzwischen hatte der zweite Zivilbeamte sie übernommen. Er ging etwas behutsamer mit ihr um, legte ihr aber Handschellen an.

"Warum wurde der Junge verhaftet?" fragte sie jetzt ganz ruhig und sachlich.

"Er ist ein Terrorist, er hat fünf Menschen getötet." erwiderte der Mann ungerührt.

Nessa stöhnte auf. Es kümmerte sie plötzlich gar nicht mehr so sehr, was gerade mit ihr passierte. Sie hatte ihrem Gehirn inzwischen verboten, bestimmten Gedankengängen nachzugehen. Sie würde schon klarkommen. Aber sie wollte sich gar nicht vorstellen wie die amerikanische Polizei mit einem mutmaßlichen Terroristen umging und was das mit Benji's ohnehin schon bis zur Unerträglichkeit verwundeten Seele anrichten würde.

Sie fühlte sich so verdammt hilflos. Oh, wie sie dieses Gefühl hasste!

"Er war es nicht." sagte sie mit fester Stimme.

Sie versuchte sich umzudrehen, damit sie die Polizisten ansehen konnte. Sogleich wurde der Griff, der sie hielt, wieder fester.

Der, den Nessa für den Boss hielt, baute sich vor ihr auf und schaute sie grimmig an.

"Ach ja? Die Beweise sagen uns etwas anderes."

Sie schaute genauso grimmig zurück.

"Scheiß auf die Beweise. Er war es nicht."

Nessa versuchte, ihm in die Augen zu sehen, aber er wandte sich ab.

"Führ sie ab, Luke? Ich hab genug davon."

Mit einem Streifenwagen hatte man sie zu einem großen Gebäude in der Innenstadt von Miami gefahren. Offensichtlich das Polizeipräsidium, oder MPD-Headquarters, wie sie es hier nannten. Sie hatte sich auf ihr extrem gutes Beobachtungsvermögen besonnen und den ganzen Weg in ihrem Gehirn abgespeichert. Coral Gate Drive, SW 16th Street, SW 17th Ave, N Miami Ave, Parkplatz rechts neben dem Gebäude, Fahrstuhl, erster Stock. Hier waren die Fotos und Fingerabdrücke genommen und der übliche Papierkram von Officer Malkona (Ausweis am Revers) erledigt worden. Dann hatte man sie, wieder in Handschellen, zwei Stockwerke tiefer, das musste also der Keller sein, in ein kahles Zimmer mit Betonwänden und nichts als einem einzigen Stuhl gesteckt.

Hier saß sie nun schon seit Stunden im Dunkeln. Mit ihr im Raum war diese riesige, schwarze Wolke aus unbeschreiblicher Angst, die sie seit Jahren wie einen Schleier hinter sich herzog, die sich immer wieder wie dichter Nebel um sie schloss und versuchte, sie zu ersticken. Es kostete sie all ihre Kraft, sich dagegen zu stemmen und nicht in dieser Wolke unterzugehen. Ein paar Mal war sie schon kurz davor gewesen, in diese tiefe alles vernichtende Depression zu fallen, die sie nur zu gut kannte. Die ihren Körper zu einem willenlosen Bündel werden ließ, und ihr Gehirn gegen eine tote, watteartige Materie austauschte und komplett außer Gefecht setzte. Sie wusste genau, dass das nicht passieren durfte und kämpfte dagegen an wie eine Löwin.

Mit ihrer unglaublichen Willensstärke hatte sie versucht, sich über die Zeit einen Schutzpanzer anzuschaffen, den sie sich bei jeder Angstattacke umlegen konnte, der verhinderte, dass die Angst ihr die Luft abschnürte und ihren ganzen Körper paralysierte. Neben physischer Fitness, auf die sie sehr großen Wert legte, bestand dieser Schutzpanzer hauptsächlich aus mentaler Stärke und vor allem aus Ablenkung. Wann immer die schwarze Wolke näher kam und versuchte sie einzuschließen, konzentrierte sie sich mit aller Kraft, die ihr zur Verfügung stand, auf andere Dinge, die sie mit der Stärke ihrer Gedanken aus der Nebensächlichkeit herausholte und ihren Platz mit der alles übernehmenden Angst tauschen ließ.

Mittlerweile war sie eine regelrechte Meisterin darin geworden, ihre eigenen Gedanken in die von ihr gewünschte Richtung zu lenken. Manchmal jedoch war diese verfluchte Angst einfach zu stark und sie musste sich immer noch viel zu oft geschlagen geben.

Auch jetzt, in dieser Extremsituation hier in diesem dunklen, unwirtlichen Kellerraum kämpfte sie gegen ihren allgegenwärtigen Feind an, indem sie verzweifelt versuchte, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Ihr Po war schon völlig taub von dem extrem unbequemen Stuhl, nicht zu reden von ihren Händen, die sie kaum mehr spüren konnte. Sie hatte versucht aufzustehen, aber irgendwie waren die Handschellen mit der Rückseite des Stuhles verbunden.

Eine fiese Konstruktion!

Sie machte einen neuen Versuch, ihre Position zu verändern. Plötzlich hatte sie eine Idee. Nicht ganz einfach, aber sie hatte einen sehr beweglichen Körper und wenn sie es schaffte den Stuhl zu drehen und mit ihren Beinen durch ihre Arme zu steigen, könnte es klappen.

Nachdem sie all ihr akrobatisches Können und jede Menge Geduld eingesetzt hatte, gelang es ihr tatsächlich.

Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Tür aufging, hatte sie es wirklich geschafft, die drohende Katastrophe abzuwehren und ihren Körper und ihre Gedanken zumindest vorübergehend unter Kontrolle zu bringen.

'Cool bleiben, Nessa! Du schaffst das!' hatte sie sich immer wieder selbst ermahnt und jetzt saß sie tatsächlich relativ entspannt, mit den Armen auf der nun nach vorne gedrehten Stuhllehne da und blickte die Hereinkommenden erwartungsvoll an.

Es waren die beiden Zivilbeamten, die sie festgenommen hatten. Damit hatte sie schon gerechnet. Sie beobachtete die Männer genau und scannte sie mit ihren Augen von oben bis unten ab.

Der Eine war dunkelhaarig, ungefähr 1,85 groß, sehr athletisch gebaut und ganz offensichtlich der Boss. Er hatte ein Tattoo am rechten Unterarm und eines in der Halsbeuge, was seine toughe Ausstrahlung noch hervorhob.

Der Andere war blond. Er hatte etwas längere Haare als sein Kollege und war einen halben Kopf kleiner. Ansonsten aber genauso muskulös und durchtrainiert wie der. Nessa schätzte sie beide auf Anfang bis Mitte Dreißig.

Sie hatte sich überlegt, welche Taktik sie wohl am besten anwenden würde, um vielleicht doch noch eine Chance zu bekommen, Benji zu sprechen.

In Paris hatte sie schon des Öfteren mit der Polizei zu tun gehabt, wenn wieder mal einer ihrer Schützlinge Ärger bekommen hatte und sie versucht hatte, ihn herauszuhauen. Sie hatte verschiedene Methoden entwickelt und war eigentlich immer ziemlich erfolgreich damit gewesen. Die Anmache-/Verführungstaktik schloss sie gleich aus. Die beiden waren viel zu gutaussehend. Sie hatten wahrscheinlich mehr Angebote als nötig und würden nicht auf eine verzweifelte Inhaftierte reagieren.

Blieben noch 'Tränendrüse' und 'cool-geheimnisvoll'. Naja, sie musste spontan agieren und sehen, wo es sie hinführte.

Die beiden blieben erst einmal völlig irritiert vor ihr stehen und schauten mit gerunzelter Stirn und fragenden Blicken auf ihre Gefangene und den Stuhl.

"Wie zum Teufel........?" fing der Blonde an.

Nessa schaute die beiden mit unbewegter Miene an. Mit der Stuhlgeschichte hatte sie sich erfolgreich ablenken können und ihre Angst, zumindest für den Moment, im Griff. Außerdem vermittelte die kurzfristige Ratlosigkeit der Männer ihr, dass sie es mit Menschen zu tun hatte, die wie alle anderen auch, manipulierbar waren, was ihr ein gewisses Gefühl der, für sie so wichtigen, Kontrolle gab.

Der Boss hatte sich als Erster wieder gefangen. Mit verschränkten Armen baute er sich vor Nessa auf.

"So, dann erzählen Sie mal. Wer sind Sie und was haben Sie mit unserem Terroristen zu schaffen?"

"Was soll die Fragerei?" Nessa war jetzt total cool. Ihre Stimme war fest und verriet auf keinste Weise, wie unruhig, aufgewühlt und voller Angst ihr Inneres noch vor Kurzem gewesen war. Sie wusste, dass mit der heutigen Technik, solche Fragen komplett überflüssig waren. "Sie wissen doch sicher schon, wer ich bin, oder haben Sie hier ein Funkloch?" sagte sie genervt. "Sie sollten sich lieber auf die Suche nach dem wirklichen Täter machen, Sie haben nämlich den Falschen erwischt."

Der Mann kam nahe an sie heran und schaute sie feindselig an.

"Da sind wir anderer Meinung. Beantworten Sie meine Frage." sagte er knapp.

Sie atmete tief ein.

"Also gut. Mein Name ist Vanessa Johnson. - Ich wohne zurzeit in Paris, Frankreich und arbeite dort als eine Art Streetworker. Daher kenne ich Benji."

Sie schaute ihr Gegenüber eindringlich an.

"Ich kenne ihn gut. Er war es nicht.- Bitte, ich muss mit ihm reden."

Er reagierte nicht und schaute sie weiterhin grimmig an.

Jetzt schaltete sich der Blonde ein, der die ganze Zeit im Hintergrund geblieben war.

"Warum sind Sie sich so sicher, dass er es nicht war?" Nessa wandte sich jetzt ihm zu, er schien der Umgänglichere zu sein.

"Weil er es gesagt hat."

"Oooohhh, na dann!" rief der Boss sarkastisch aus, drehte sich um und ging ein paar Schritte in Richtung Tür.

"Nein bitte" Nessa musste sich zusammenreißen, wenn sie irgendetwas erreichen wollte. Sie zwang sich, zu einem etwas freundlicheren Ton.

"Ich kenne ihn seit mehreren Jahren. Es war am Anfang sehr schwer an ihn heranzukommen, aber nach einer Weile hat er Vertrauen zu mir gefasst. Ich habe mehr mit diesem Jungen geredet, als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Er hat schon so viel Schreckliches erlebt, ich habe Angst, dass ihn diese Sache hier seelisch überfordert. - Ich muss zu ihm, bitte."

"Ach, die Sache überfordert ihn seelisch?" der Boss schoss auf sie zu, was Nessa kurz zusammenzucken ließ. Sie konnte gerade noch verhindern, dass sie im Reflex ihre Arme schützend vor ihr Gesicht warf.

"Was glauben Sie, wie überfordert waren wohl die fünf Leute, die er in die Luft gejagt hat?" Er war unglaublich wütend und zudem noch felsenfest davon überzeugt, dass Benji das tatsächlich getan hatte.

"Mir schien ihr 'armer Junge' ziemlich tough zu sein, jedenfalls hat er mindestens zwei 'Veilchen' verteilt, bevor er sich festnehmen ließ."

Benji machte seit Jahren Karate und Krafttraining. Nessa wusste, dass er kämpfen konnte und seine Muskulatur war auch nicht schlecht ausgebildet. Das gab nach außen hin jedoch ein absolut falsches Bild von ihm ab. Er war alles andere als ein gewalttätiger Schlägertyp. Er kämpfte nur, um sich zu verteidigen. Aber klar, woher sollte das jemand wissen, der ihn überhaupt nicht kannte.

Einen Moment lang sagte niemand etwas. Der Boss trat zwei Schritte zurück und Nessa konnte sehen, dass er versuchte sein Inneres wieder auf die angebrachte, sachliche Souveränität zu polen. Es gelang ihm nur teilweise.

Sie beschloss spontan diese Phase für einen Angriffsversuch zu nutzen.

"Haben sie in seine Augen gesehen?" fragte sie.

"Nein, warum sollte ich?" fragte der Boss barsch und etwas irritiert zurück.

Nessas Stimme war ganz ruhig und fast schon sanft, als sie entgegnete, "Sein Äußeres kann man verändern. Worte sind berechenbar. Die Augen sagen jedoch immer die Wahrheit."

"Pffff. Was kommt jetzt?" sagte er abwertend " Ein esoterischer Vortrag? Ich habe mich noch nie um Augen gekümmert."

"Das sollten Sie aber. Jeder Mensch hat geheime Ängste und Schwächen." Sie schaute ihm tief in die Augen.

"Wenn sie die Augen lesen können, wissen sie alles." sagte sie geheimnisvoll.

Er versuchte ihrem Blick standzuhalten, schaffte das aber nicht lange.

'Ah' dachte Nessa 'war da etwa eine kleine Unsicherheit in der sonst so knallharten Fassade zu erkennen?' Sie lächelte süffisant und lehnte sich etwas auf ihrem Stuhl vor.

"Keine Angst, ich verrate nichts."

Seine Augen flackerten kurz. Der Boss sah zu seinem Kollegen hinüber. Der konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Da wusste Nessa, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Sie war zu weit gegangen.

Sie hatte ihn in die Enge getrieben und er war nicht der Typ, der sich das gefallen ließ.

"Na gut, wie sie wollen" er zwang sich ganz ruhig zu bleiben.

"Luke, lass sie in eine Zelle bringen. Wir machen morgen weiter." sagte er und verschwand.

Nessas Herz setzte einen Schlag aus.

'ZELLE!?!.....Lass sie in eine ZELLE bringen' hatte er gesagt. Sie spürte, wie sich sämtliche Muskeln in ihrem Körper automatisch anspannten.

Sie schloss die Augen und versuchte ihren Gegenwehrmechanismus zu aktivieren. Es gelang auf Anhieb. Ihr Körper blieb ruhig und ihr Gehirn arbeitete. Diese Erkenntnis gab ihr ungeahnte Kraft weiterzumachen.

Sie war ein hohes Risiko eingegangen mit ihrer Attacke und sie hatte verloren. Vorerst! Aber sie würde sich nicht geschlagen geben.

Der Blonde wählte eine Nummer auf seinem Phone und orderte einen Polizisten an, dann wandte er sich Nessa zu.

"Wie haben Sie das mit dem Stuhl gemacht?"

Sie musste kurz lachen. Hatte der sonst kein Problem? "Wenn Sie mir zwei Minuten mit Benji verschaffen, sage ich es Ihnen." machte sie einen letzten verzweifelten Versuch.

"Sorry, das kann ich nicht." erwiderte er.

"Bitte" sie versuchte es noch einmal "ich will mich nur vergewissern, dass er in Ordnung ist. Manchmal ist er psychisch labil. Wenn er sich gerade in solch einer Phase befindet, braucht er meine Hilfe."

Luke hob die Augenbrauen.

"Psychisch labil?" wiederholte er Nessas Worte.

"Wenn wir das in die Akte aufnehmen, ist er in Nullkommanix verurteilt."

Nessa erschrak.

Verdammt, sie machte alles nur noch schlimmer. Sie fühlte sich so hilflos.

Sie sah ihr Gegenüber flehend an.

"Jaja, schon gut." sagte er fast mitfühlend. " Ich habe schon vergessen, dass Sie das gesagt haben."

Es klopfte an der Tür. Der Polizeibeamte, der sie in die Zelle bringen sollte, war angekommen.

"Danke" sagte sie noch schnell und dann wurde sie abgeführt.

Am nächsten Morgen wurde Nessa wieder in den gleichen Raum gebracht. Diesmal verzichtete man auf die Handschellen.

Sie war hundemüde. Sie hatte keine einzige Minute geschlafen. Die Zelle war, wie erwartet, eine ungeheure Herausforderung gewesen, die Nessa einmal mehr an die Grenzen ihrer körperlichen und mentalen Fähigkeiten gebracht hatte. Wenn sie nicht damit beschäftigt gewesen war, ihren Körper gegen das dunkle Monster Angst zu wappnen und ihre Gedanken unter Kontrolle zu halten, hatte sie sich den Kopf zermartert, wie sie Benji helfen konnte. Es war nicht wirklich etwas Zufriedenstellendes dabei heraus gekommen, aber ihr war klar, dass ihre erste Priorität sein musste, die beiden Cops von Benjis Unschuld zu überzeugen. Sie musste sie dazu bringen, nach einem alternativen Täter zu suchen. Nur so konnte die Wahrheit zu Tage befördert werden.

Der blonde Luke hatte sich durchaus bereit gezeigt, über eine Alternative nachzudenken und Nessa hatte den Eindruck gewonnen, dass er ihr wohl gesonnen war. Die harte Nuss, die es zu knacken galt, war der Boss. Er hatte sich überhaupt nicht empfänglich für Nessa's Charme gezeigt. Obwohl Nessa sicher war, eine Unsicherheit in seinen Augen erkannt zu haben, hatte er nur kurz gewackelt und seine Souveränität trotzdem gewahrt. Ihm musste sie etwas Handfestes vorlegen, um ihn auf ihre Seite zu bringen, aber wie sollte sie das tun, wenn sie hier in dieser verdammten Zelle hockte.

Sie musste sich dringend etwas einfallen lassen.

Solange sie hier war würde sie auf alle Fälle versuchen, mit Benji Kontakt aufzunehmen.

Wenn sie doch nur wüsste, wer ihm das verdammte Flugticket nach Miami gekauft hatte und was er hier wollte.

Die Tür ging auf und die beiden Zivilcops kamen wieder herein.

Luke sah noch etwas verschlafen aus, aber der dunkelhaarige Boss schien nur so vor Energie zu strotzen. Nessa nahm sich vor, heute vorsichtiger zu sein. Sie durfte ihn nicht mehr provozieren, sonst würde sie nichts erreichen. Er kam gleich zur Sache.

"Wir haben Ihre Angaben überprüft. Erzählen Sie uns, was Sie über die Mission Ihres Schützlings wissen. Wer ist der Auftraggeber?" Seine Stimme war hart, genau wie seine Augen, die Nessa fast zu durchbohren schienen.

Sie hatte sich nicht auf den Stuhl gesetzt, sondern stand mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt. Sie erwiderte seinen Blick.

"Das wüsste ich auch gerne. Ich habe keine Ahnung." sagte sie mit neutraler Stimme.

"Ist das nicht Ihr Job, über die Aktivitäten Ihrer Schützlinge Bescheid zu wissen?" fragte er bissig.

Mann, der hatte es wirklich auf sie abgesehen. Sie konnte sagen was sie wollte, er hatte immer eine fiese Bemerkung parat. Sie zwang sich ruhig zu bleiben und ihre sachliche, neutrale Haltung beizubehalten.

"Benji ist vor ein paar Monaten volljährig geworden, damit erlosch automatisch meine offizielle Zuständigkeit und seine Meldepflicht. Ich hatte nur noch selten Kontakt zu ihm."

"Aha, aber Sie wissen genau, dass er nichts getan hat."

sagte er sarkastisch und stellte sich breitbeinig und mit verschränkten Armen direkt vor Nessa.

"Er hat mir vor ein paar Tagen eine Nachricht auf meine Mailbox gesprochen." sagte Nessa und atmete tief ein. Sie hatte sich bis heute nicht verziehen, dass sie diesen Anruf verpasst hatte. Wenn sie mit Benji geredet hätte, wüsste sie jetzt garantiert mehr. Vielleicht wäre es gar nicht erst so weit gekommen.

"Er sagte 'ich bin weit weg von Paris, weil ich etwas erledigen muss. Was immer Du auch hörst, ich möchte, dass Du weißt, dass ich mein Versprechen nicht gebrochen habe.' "

"Was für ein Versprechen?" fragte Luke.

Nessa wandte sich jetzt ihm zu.

"Vor einiger Zeit, während einem unserer langen Gespräche, hat Benji gesagt, dass er nie die Chance haben werde, ein normales Leben zu führen. Dass er immer darauf angewiesen sein werde, auf kriminelle Handlungen zurückzugreifen, um überleben zu können. Ich habe ihm gesagt, dass er durchaus die Möglichkeit hat, einen normalen Job zu finden, aber wenn es denn so sei, solle er sich wenigstens auf Diebstahl oder sowas beschränken und auf keinen Fall jemanden verletzen oder gar töten. Er sagte, das käme für ihn nicht in Frage und ich habe ihm das Versprechen abgenommen, dass er nie zum Mörder wird."

Die beiden Polizisten schauten sich an. Nessa witterte ihre Chance.

"Wenn ich nur ein paar Minuten mit ihm hätte, könnte ich sicher etwas herausfinden was auch Ihrem Fall weiterhelfen würde."

Der Boss schien tatsächlich über ihren Vorschlag nachzudenken. Er sah sie an und genau wie Nessa das so oft tat, schien er ihr Gesicht aufs Genaueste zu studieren. Er wollte herausfinden, ob er ihr vertrauen konnte.

Schwierige Sache, das wusste Nessa aus eigener Erfahrung. Sie stand ruhig da und wartete geduldig auf eine Antwort, wohlwissend, dass dieser Moment ausschlaggebend für den weiteren Verlauf dieser Sache war und alles was sie jetzt tun oder nicht tun würde, in irgendeiner, von ihr nicht vorhersehbaren Form, auf das Ausschlagen des Zeigers in die eine oder andere Richtung Einfluss nehmen könnte. Sie wollte kein Risiko mehr eingehen und war einfach nur froh über die Tatsache, dass er diese Möglichkeit jetzt wenigstens in Betracht zog.

Doch bevor er eine Entscheidung fällen konnte, öffnete ein dritter Kollege die Tür und winkte die beiden Männer zu sich heran. Sie gingen hinaus und schlossen die Tür hinter sich.

Als sie nach ein paar Minuten wieder hereinkamen, bemerkte Nessa sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihre Gesichter kündigten schlechte Nachrichten an. Instinktiv spannte sie ihren ganzen Körper an, um sich zu wappnen.

Luke sah sie mit traurigen Augen an. Der Boss schaute eher schuldbewusst.

Noch bevor er etwas sagte, wusste sie was passiert war und ein stechender Schmerz durchfuhr sie.

Wie durch einen hohlen Gang hörte sie den Boss mit rauer Stimme sagen:

"Es tut mir leid. Er hat sich heute Nacht in seiner Zelle erhängt."

Sie schloss die Augen und ballte ihre rechte Hand zur Faust, dann holte sie aus und schlug sie dem Mann mit voller Wucht ins Gesicht. Danach sank sie auf ihre Knie und brach weinend zusammen.

Sie rechnete damit, dass der Cop zurückschlagen würde, aber sie schützte sich nicht. Es war ihr egal. Der Schmerz, den sie gerade empfand, konnte nicht noch schlimmer werden.

Jede einzelne Körperzelle schien von ihm befallen und kurz davor zu bersten. Jede einzelne Faser in ihrem Körper schien zu beben.

Sie hatte Benji verloren, sie hatte es nicht geschafft, ihn zu retten. Nicht vor den anderen und auch nicht vor sich selbst.

Wenn sie sich vorstellte, wie dieser Junge gelitten hatte, und wie er nun seine letzten Stunden verbracht haben musste. Eine abgrundtiefe Traurigkeit senkte sich auf sie herab und ließ sie den Schmerz wie aus weiter Ferne spüren. Wie dicke schwarze Tinte kroch sie in ihr vorwärts und breitete sich gnadenlos in ihr aus. Ließ ihre Arme und Beine unendlich schwer werden, nahm ihr die Luft zum Atmen.

Die Tränen wichen nach einer Weile einer totalen Lethargie. Völlig regungslos kniete sie auf dem kalten Betonboden und versuchte irgendwie die Kontrolle über die unglaubliche Wut und Verzweiflung, die in ihr aufstieg, zu erlangen.

Bilder tauchten vor ihren Augen auf.

Benji - Gitterstäbe!! - seine langen tiefschwarzen Haare klebten zottelig an seinem Kopf - Benji - auf einer Brücke - hinter der Absperrung - seine Haare wehten im Wind - Benji - laut schreiend - auf einem Drahtgestell.........

Nessas Gedanken und Gefühle hatten sie in ein weit von der Realität entferntes Universum getragen. Sie nahm kaum mehr etwas wahr. Ihr war als befände sie sich im Auge eines Wirbelsturmes, der sie wild hin und her schüttelte. Irgendwann meinte sie plötzlich Stimmen zu hören....aufgeregte Stimmen. Das Schütteln wurde immer heftiger und es fühlte sich so an, als hätte sie der Sturm tatsächlich an den Schultern gepackt. Ihre Wahrnehmung wurde wieder realer und als sie schließlich den Kopf hob, sah sie Luke vor sich stehen. Entsetzen in seinem Gesicht. Der Boss war neben ihr in die Hocke gegangen. Nessa bemerkte seine blutige Lippe, er kümmerte sich jedoch nicht darum. Er war der Wirbelsturm! Er hatte Nessa an den Schultern gepackt und schüttelte sie und er rief, "Atme! Mädchen! Atme!"

Ganz langsam fing Nessas Gehirn an, seine Funktion wieder aufzunehmen. "Atme?" Was meinte er damit? "Mädchen?" Meinte er damit sie?

"Atmen - ja, atmen war wichtig......atmen war lebensnotwendig .......atmen.....Nessa.....atmen....."

Sie nahm einen tiefen Atemzug. Ihre Lunge füllte sich, Ihre Wahrnehmung kehrte zurück.

Sie hatte vergessen zu atmen!

Sie sah wie Luke erleichtert aufatmete und sie bemerkte, wie der Boss ihren Arm nahm.

"Kommen Sie!" Die Härte in seiner Stimme war verschwunden. Er half ihr, aufzustehen und setzte sie auf den Stuhl. Sie ließ es völlig willenlos geschehen.

"Möchten Sie ein Glas Wasser?" hörte sie ihn, wie durch eine dreifachisolierte Glasscheibe hindurch, fragen. Er schien tatsächlich besorgt.

Nessa nahm all ihre Kraft zusammen und schüttelte den Kopf.

Luke kam heran und legte ihr seine Hand auf die Schulter.

"Es tut mir leid." sagte er und Nessa konnte an seiner Stimme hören, dass er es wirklich meinte.

Sie sah ihn an.

Sie hatte das Gefühl, als wäre alles Blut aus ihrem Körper gewichen. Nur noch eine leere Hülle war übrig.

So als wäre mit Benji ein Teil von ihr gestorben.

Er war ihr Verbündeter gewesen,........der Einzige,.........der Einzige, der wusste......

Die Anteilnahme der beiden Polizisten tat gut. Sie waren beide da geblieben und hatten ihr Zeit gegeben, damit klarzukommen. Sie schienen tatsächlich schockiert zu sein, obwohl sie in ihrem Beruf bestimmt des Öfteren mit ähnlichen Schicksalen konfrontiert wurden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, gelang es Nessa wieder, aus diesem schwerelosen Zustand in die reale Welt zurückzukehren und einen klaren Gedanken zu fassen.

"Was passiert jetzt? Ist der Fall damit abgeschlossen?" fragte sie mit tonloser Stimme.

Die beiden Männer wechselten Blicke.

"Ja, eigentlich schon." sagte Luke zögerlich.

Nessa biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. Sie würde nicht ruhen, bis sie herausgefunden hatte, was geschehen war.

"Er war es nicht." Ihre Stimme klang jetzt bestimmt.

"Da draußen läuft ein Terrorist frei herum."

Der dritte Cop kam wieder herein. Er reichte dem Boss einen zusammengefalteten Zettel.

" Er hat einen Abschiedsbrief geschrieben. Er ist für sie." Er nickte in Richtung Nessa.

Sie stand auf und lief auf die Männer zu.

Der Boss wollte den Zettel auffalten, überlegte es sich dann aber doch anders und reichte ihn, wenn auch zögerlich und nicht ohne sie dabei genauestens zu beobachten, an Nessa weiter. Mit zitternden Händen nahm sie ihn entgegen.

' An Nessa' stand mit wackeligen Buchstaben darauf. Sie starrte auf das Papier in ihrer Hand. Sie war nicht sicher, ob sie dem gewachsen war. Mit geschlossenen Augen stellte sie sich vor, wie Benji letzte Nacht in seiner Zelle, diese Zeilen an sie geschrieben hatte, während sie vielleicht nur ein paar Meter weiter, wachgelegen hatte. Warum war es ihr nicht gelungen, zu ihm zu kommen?

Ihr Körper fing wieder, wenn auch nur leicht, an zu zittern. Es dauerte eine Weile, bis sie den Mut fand, das Papier auseinanderzufalten.

'Hey Chaka,

Du bist die Einzige.............für die ich existiere.

Die Einzige............... die mit mir fühlt.

Die Einzige.............die meine Schmerzen kennt.

Die Einzige............die weiß.......wofür es sich zu sterben lohnt........

Bitte fahr nach Hause und stelle keine Fragen mehr, sonst war alles umsonst.

soulship forever see you back then'

Nessa sank ohnmächtig zu Boden.

Ganz langsam kam sie zurück in diese Welt. Nessa war nicht sicher, ob sie das überhaupt wollte. Sie verlangte ihr so viel ab, diese Scheiß-Welt. Sie hatte keine Kraft mehr.

Die Augen öffnen? Wozu?

Sie wollte nicht noch mehr sehen.

Aber irgendetwas in ihr trieb sie immer wieder an und ließ sie weitermachen.

Mit geschlossenen Augen versuchte sie herauszufinden, wo sie war.

Jemand atmete sehr nahe neben ihr, sie war in Bewegung, aber lief nicht selbst. Sie wurde getragen. Sie spürte die Wärme des Anderen durch ihre Kleider hindurch. Die Nähe zu diesem anderen Menschen war ihr nicht unangenehm, was bemerkenswert war, da sie eigentlich ein Problem damit hatte, von Fremden angefasst zu werden.

Sie waren stehengeblieben. Eine Tür wurde geöffnet. Ein paar Schritte mehr, dann beugte sich ihr Helfer nach vorne. Sie roch Seife, oder Shampoo, oder nein...... etwas Schärferes...... Rasierwasser. Es roch gut.

Sie öffnete die Augen. Die Person, die sie getragen hatte, legte sie gerade auf eine Couch und ihre Gesichter kamen sich dabei sehr nahe.

Es war der Boss.

Erstaunlich sanft legten seine starken Arme Nessa ab. Er blieb noch kurz über sie gebeugt.

"Ruh' Dich aus. Schlafe ein wenig." sagte er und ging dann hinaus, die Tür hinter sich schließend. Es war eine Glastür, der ganze Raum hatte Glaswände, sie konnte mehrere Leute stehen sehen, darunter auch Luke.

Irgendwie beruhigte es sie, ihn zu sehen. Er unterhielt sich mit den Anderen und schaute dann zu ihr herüber.

Nessa fielen die Augen wieder zu.

Als sie das nächste Mal aufwachte, war Luke bei ihr und breitete gerade eine Decke über ihr aus. Als er bemerkte, dass sie die Augen geöffnet hatte, ging er neben ihr in die Hocke.

"Hey, wie geht's?" fragte er mit sanfter, freundlicher Stimme.

Sie schaute ihn nur mit traurigen Augen an und stieß ihren Atem aus.

Er nickte verständnisvoll.

"Wir müssen zu einem Außeneinsatz. Wenn Du etwas brauchst, Niko ist zwei Büros weiter, er wird ab und zu nach Dir schauen. Wir reden später."

Sie nickte und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. Er war so nett zu ihr.

Der Wind hatte sich etwas gedreht, das konnte sie spüren. Sie war nicht mehr inhaftiert. Aber was würde jetzt geschehen? Benji hatte geschrieben, sie solle keine Fragen stellen.

Benji......er war tot......es tat so weh.

Sie schloss die Augen wieder und ging in Gedanken noch einmal seine Zeilen durch.

'......die Einzige, die weiß, wofür es sich zu sterben lohnt......'

Wusste sie das?

Der Tod war in ihren Gesprächen mit Benji nie direkt vorgekommen, aber indirekt immer ein Thema gewesen. Jeder von ihnen hätte ihn einfach so in Kauf genommen, da war sie sich sicher.

Konnte er wirklich so viel schlimmer sein, als dieses abgefuckte Leben?

Aber ihn in Kauf nehmen und ihn in voller Absicht herbeiführen, das war nochmal etwas Anderes. Benji hätte weiß Gott schon jede Menge Möglichkeiten gehabt, seinem Leben ein Ende zu setzen, aber er hatte es letztendlich nie getan. Warum jetzt? Was war passiert?

Sie wusste es?

Nein, verdammt, sie wusste es nicht, aber irgendwie ließ sie der Gedanke nicht los, dass es etwas mit ihr selbst zu tun hatte.

Wofür würde sie ihr Leben lassen?

Ihr Unterbewusstsein wehrte sich, sie wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken.

Sie wusste es genau.

Die Antwort war 'für einen anderen Menschen'.

Plötzlich hatte sie nur noch ein großes Bedürfnis. Sie wollte raus an die frische Luft.

Sie schaute sich um. Auf dem großen Schreibtisch in der Mitte des Raumes, sah sie ihre abgewetzte Leinentasche liegen. Sie stand auf. Es schien alles da zu sein, Ausweis, Geld, Phone.

Sie überlegte.

Wenn sie die Cops davon überzeugen konnte, den Fall weiter zu verfolgen, war die Chance natürlich größer, der Sache auf den Grund zu kommen.

Aber konnte sie das?

Der Boss war davon überzeugt, dass Benji der Täter war und er würde letztendlich die Entscheidung treffen.

Sie musste ihm einen triftigen Grund nennen, warum er weiter ermitteln sollte.

Sie würde einen Grund finden.

Es war außer ihr niemand da. Auch dieser Niko, der ja angeblich nach ihr schauen wollte, war nirgends zu sehen.

Kurzentschlossen nahm sie ihre Tasche und lief hinaus. Durch die Glastür, links den Gang hinunter, erste Treppe, zweite Treppe und schon stand sie auf der Straße.

Sie atmete tief durch. Die Nachmittagssonne brannte auf sie herab. Nessa sog sie in sich auf und ließ sich wärmen.

In dem Gebäude war es kühl gewesen und in dem Kellerraum hatte sie zwischenzeitlich richtig gefroren nur mit ihrem T-Shirt.

Sie nahm ihre Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf.

Sie hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte. Ihr Mietwagen stand noch da, wo sie ihn gestern abgestellt hatte.

Das hoffte sie zumindest.

Dahin musste sie irgendwie kommen.

Den Weg hatte sie sich während der Fahrt mit dem Streifenwagen genau eingeprägt.

In Gedanken ging sie die Strecke nun rückwärts durch. N Miami Ave, SW 17th Ave, SW 16th Street, Coral Gate Drive.

Sie waren ungefähr 10 Minuten unterwegs gewesen. Zu Fuß würde sie wahrscheinlich über eine Stunde brauchen, aber sie hatte keine andere Wahl.

Sie machte sich auf den Weg.

Nach einer halben Stunde war sie total erledigt.

Normalerweise hatte sie keine Konditionsprobleme, aber die Ereignisse der letzten Tage, Zeitumstellung und Schlafmangel zehrten an ihren Kräften. Außerdem war sie seelisch total im Eimer. Sie spürte, dass sie kurz vor einer ihrer Krisen war. Sie kämpfte gegen eine aufkommende Panikattacke an. Ihr Körper fing an sich zu verkrampfen.

Sie blieb stehen und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Hausmauer.

'Etwas Schönes’, dachte sie, ' ich brauche etwas Schönes.'

Da hörte sie aus einem der Häuser, vor denen sie gerade stand, Musik kommen.

Ja, Musik, dachte sie. Sie wollte tanzen.

Es war eine Bar.

Nessa sammelte all ihre verbliebenen Kräfte und ging hinein.

Das übliche Bild. Schummriges Licht, das bisschen Beleuchtung, das es gab, wurde von dem dunklen Holz der Einrichtung absorbiert, was für Nessa's Zwecke durchaus von Vorteil war. Ein paar Typen saßen am Tresen, der sich ungefähr über die halbe Länge der gesamten Bar erstreckte. An der Wand gegenüber gab es ein paar Tische von denen zwei besetzt waren. Hinter dem Tresen waren ein paar Spielautomaten und Dartscheiben an der Wand, dort wäre Platz zum Tanzen, befand Nessa. Sie setzte sich auf einen freien Barhocker und bestellte sich eine Cola.

Das Bedürfnis sich zu bewegen wurde immer größer. Sie wollte alles von sich schütteln, sich die Seele aus dem Leib tanzen.

Ihr war klar, dass sie hier sehr exponiert sein würde. Die Typen würden sie angaffen, eventuell musste sie auch mit mehr rechnen. Sie überlegte kurz, ob sie das riskieren wollte und fand, es war ihr egal. Solange sie die Kontrolle hatte, war alles gut.

Diese Art von Ablenkung war für sie die Einfachste, weil die Musik real war und sie sich diese nicht vorstellen musste. Sie reagierte unglaublich intensiv auf Musik und sie wusste genau, wann sie welche Musik brauchte, um ihre Seele zu beruhigen. Normalerweise hatte sie für jede Gelegenheit die richtige 'playlist' auf ihrem Phone, aber, wie immer wenn man es am Dringendsten brauchte, war der Akku leer. Sie hatte in den letzten Tagen keine Möglichkeit gehabt ihn aufzuladen.

Sie winkte den Barkeeper, einen jungen Jamaikaner mit außergewöhnlich langem Haar, zu sich heran.

"Darf ich einen Musikwunsch äußern?" fragte sie und lächelte ihn an.

Er grinste freundlich zurück. "Klar, wenn ich's da habe."

Sie nannte ihm zwei ihrer Lieblingstitel. Er nickte und ging zur Musikanlage rüber. Kurz danach hörte sie Chaka Khan.

Sie stand auf und schloss kurz ihre Augen. Ihr Körper begann schon bei den ersten Moves, sich zu entspannen. Es tat so gut, die Musik zu hören und sich dazu zu bewegen.

Leider musste sie die meiste Zeit ihre Augen geöffnet halten, um ihre Umgebung abzuchecken. Sie wusste genau, dass manche Männer es als Einladung verstanden, wenn eine Frau alleine in einer Bar tanzte. Nach kurzer Zeit war auch schon einer auf dem Weg zu ihr. Sie machte eine abwehrende Handbewegung und schüttelte den Kopf. Das genügte glücklicherweise, um ihn abzuwimmeln. Nessa atmete erleichtert auf. Sie war sich der Gefahr, in die sie sich mit solchen Aktionen begab, durchaus bewusst und wenn sich einmal einer der Männer nicht so einfach zurückziehen würde, hätte sie ein echtes Problem, aber das war bisher nie passiert und daher ging sie das Risiko immer wieder einmal ein.

Sie tanzte die zwei Titel durch und fühlte sich danach wieder wesentlich besser.

Kurz bevor das zweite Lied zu Ende war, sah sie noch einmal auf und entdeckte im Spiegel ein bekanntes Gesicht. Der Boss stand am Ende der Bar. Ganz cool mit einer Flasche Bier in der Hand lehnte er am Tresen und beobachtete Nessa.

Sie schloss die Augen wieder für einen Moment und tanzte weiter. Sie war überrascht, aber irgendwie fast erleichtert ihn zu sehen.

Das konnte kein Zufall sein, wahrscheinlich hatten sie ihr Phone geortet.

Wie lange er wohl schon da stand?

Nachdem das Lied verklungen war, ging sie langsam zu ihm hinüber.

"Hi" sagte sie nur und lehnte sich neben ihm mit dem Rücken gegen den Tresen.

" Hi" er sah sie an "warum bist Du weggelaufen?"

Sie zuckte die Schultern. "Ich weiß nicht. Ich wollte einfach raus."

"Was willst Du jetzt tun?"

"Wenn ich das wüsste?" sie drehte sich zu ihm um " ich will wissen, was da passiert ist."

Er nickte. "Verständlich. - Ich habe beschlossen, der Sache nachzugehen. Wir werden weiter in dem Fall ermitteln."

"Wirklich?" fragte Nessa ungläubig.

"Ja" erwiderte er mit ernstem Blick.

Eine Weile sagte keiner der beiden etwas.

Nessa fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Sie war so froh, über diese Entscheidung. Als sie so alleine durch die Straßen gelaufen war, war ihr klar geworden, dass sie überhaupt keinen Plan hatte, wie sie vorgehen könnte. Sie hatte fast keine Technik verfügbar und kannte sich hier kaum aus.

Wenn überhaupt jemand der Sache auf den Grund gehen konnte, dann er hier mit seinem Team.

Sie blickte auf und schaute den Boss an.

Sein kurz geschnittenes, dunkles Haar war gerade so lang, dass es sich über den Ohren leicht zu kräuseln begann, was seinen sonst so männlichen Gesichtszügen eine jungenhafte Frechheit verlieh.

Es war ihr vorher schon aufgefallen, wie gutaussehend er war, aber wenn er freundlich schaute und lächelte, war es fast unerträglich.

An seiner Lippe waren noch Spuren ihres Faustschlages zu erkennen. Sie hob die Hand bis sie ihn fast berührte.

"Tut mir leid......" sagte sie und verzog die Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln.

Er fasste sich an die Stelle und zog die rechte Augenbraue hoch.

"Möglicherweise habe ich es verdient. - Wenn ich Dich zu ihm gelassen hätte......."

Er brach ab und schaute Nessa mit ernstem Gesicht an.

Sie konnte sehen, dass er sich die Schuld an Benjis Tod gab.

Komischerweise tat sie das nicht.

Im ersten Moment war sie unglaublich wütend auf ihn gewesen, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger glaubte sie, dass irgendjemand hätte verhindern können, was in der Nacht passiert war.

"Benji war ein sehr außergewöhnlicher Junge" sagte sie "ich glaube, er hatte das alles schon vorher genau geplant und es spielt überhaupt keine Rolle was wir getan - oder nicht getan - haben. Er hat seinen Plan ausgeführt und weder Du noch ich sind darin vorgekommen, also war es auch komplett irrelevant, was wir tun."

"Meinst Du nicht, dass er auf Dich gehört hätte?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Nein, Benji hat auf niemanden gehört, nur auf sich selbst."

Der Boss nickte, er hatte noch Zweifel, aber es beruhigte ihn, dass Nessa das so sah.

" Wo hast Du so zuschlagen gelernt?" fragte er sie.

Sie grinste schuldbewusst.

"Das war die blanke Wut, die das vollbracht hat."

Er nickte anerkennend.

"Kannst Du morgen nochmal bei uns vorbeikommen. Vielleicht weißt Du ja noch etwas, das uns weiterhilft." Sie nickte. Natürlich würde sie "vorbeikommen". Er sollte mal nicht denken, dass sie sich zurückziehen würde. Sie wollte dabei sein.

Er machte sich auf zu gehen.

"Kann ich Dich noch irgendwo absetzen?"

Sie zögerte.

"Ja, vielleicht. Ich wollte mal sehen, ob mein Mietwagen noch da steht, wo ich ihn gestern abgestellt habe."

"Wo ist das?"

"Na, da wo Ihr mich festgenommen habt."

"Ok" er machte eine Bewegung mit dem Kopf "gehen wir."

Als sie in die Straße einbogen, sah Nessa den silbergrauen Ford sofort stehen. Sie hob die Hand und deutete darauf.

"Da ist er."

Der Boss hielt ein paar Meter vor dem Fahrzeug an und drehte den Kopf zu ihr.

"Ok, wir sehen uns morgen?"

Nessa nickte und machte Anstalten auszusteigen. Sie zögerte.

"Nach wem soll ich fragen?"

"Oh" er streckte ihr seine Hand entgegen " Ich heiße Marc." Nach kurzer Pause fügte er hinzu.

" Frage nach Lieutenant Commander Marc Montgomery."

Sie nahm seine Hand.

"Nessa."

Nach kurzem Zögern sagte er " Benji hat Dich Chaka genannt."

Sie senkte kurz den Blick, dann schaute sie ihn wieder an.

"Ja, Benji war............anders."

Sie stieg aus und ging zu ihrem Wagen. Er fuhr los. Noch bevor sie angekommen war, machte er plötzlich eine Vollbremsung und sprang aus seinem Truck.

"Halt! " rief er ihr zu " geh nicht weiter!"

Sie sah ihn fragend an.

Er kniete sich neben ihren Mietwagen und schaute darunter, dann kam er auf sie zu und machte dringliche Handzeichen, sie solle ihm auf die andere Straßenseite folgen.

"Los komm, hier herüber!"

Was hatte er gesehen? Sie ging ebenfalls in die Hocke, da nahm er sie auch schon am Arm und zerrte sie mit sich.

"Zum Teufel nochmal, kannst Du einmal tun, was ich Dir sage?" fragte er verärgert.

Sie schaute ihn schuldbewusst an, sie hatte es auch gesehen. Ein kleines Kästchen war unter ihrem Fahrzeug angebracht worden.

"Sorry." sagte sie zerknirscht "Ist das eine Bombe?"

Er nickte und nahm sein Phone heraus.

Ein paar Minuten nachdem er telefoniert hatte, war der Bereich um ihr Auto weitläufig abgesperrt. Ein Sonderkommando war angerückt, das sich jetzt um die Bombe kümmerte.

Luke war auch da, zusammen mit zwei weiteren Kollegen aus ihrem Team. Enrico, ein groß gewachsener Puerto Ricaner mit ganz dunklen Augen und einem sympathischen Lachen und Chona, sie war eher zierlich gebaut, aber sehr drahtig und hatte einen asiatischen Einschlag. Sie hatten Nessa mit tausend Fragen bombardiert.

'Wer konnte das getan haben?',

'Wer wusste, dass sie hier war?',

'Wen hatte sie getroffen, seit sie hier war?', usw........ Sie konnte sich aus all dem keinen Reim machen. Sie kannte niemanden hier.

Außer mit ihrem Chef, hatte sie vor ihrem Abflug mit niemandem gesprochen, und ihm hatte sie nur gesagt, sie würde ein paar Tage Urlaub machen.

Sie war völlig ratlos.

"Ich habe ganz sicher nicht viele Freunde”, sagte sie und schaute in die Runde, "aber es war mir eigentlich auch nicht bewusst, dass ich Feinde habe."

Marcs komplettes Team hatte sich um sie herum versammelt.

Sie zuckte mit den Schultern.

Dafür, dass gerade jemand versucht hatte, sie umzubringen, war Nessa relativ entspannt. Das war ganz typisch für sie. Eigentlich war sie nämlich gar kein ängstlicher Mensch. Ganz im Gegenteil, man konnte sagen, dass Nessa ziemlich cool war. Sie war nicht leicht zu erschrecken, behielt meistens einen kühlen Kopf und über ungelegte Eier, regte sie sich gleich gar nicht auf.

Solange nichts passiert war, musste man auch kein Fass aufmachen.

Umso mehr ärgerte sie sich über diese Angstzustände und Panikattacken, die sie immer wieder heimsuchten.

Meistens standen sie in Zusammenhang mit direktem Kontakt zu anderen Menschen, aber manchmal waren es auch bestimmte Umstände und Situationen, die sie heraufbeschwören konnten und die sie letztlich so willkürlich und für Nessa unvorhersehbar machten.

Sie schüttelte ratlos den Kopf.

"Ich habe keine Ahnung, wer das getan haben könnte."

"Ok" Marc überlegte kurz " Rico und Chona, befragt die Nachbarn, vielleicht haben sie etwas gesehen."

Die beiden nickten und machten sich auf den Weg.

"Ich habe Matthew gesagt, er soll eine genaue Vergleichsanalyse mit den bei dem Attentat verwendeten Materialien vornehmen." informierte Luke seinen Boss. "Könnte gut sein, dass die aus derselben Quelle stammen."

Nessa vernahm diese Aussage von Luke mit großer Erleichterung. Wenn dem wirklich so wäre und 'ihre' Bombe vom selben Täter stammte, dann konnte es Benji ja wohl nicht gewesen sein. Als Marc dann auch noch zustimmte, war Nessa erst richtig froh.

Sie schienen ihr endlich zu glauben.

"Ja" sagte Marc "das vermute ich auch. - Lass uns das Ergebnis abwarten. Bis jetzt haben wir nichts wonach wir gehen könnten."

Sie schauten sich an und nickten, dann sahen beide zu Nessa hinüber.

"Wo wohnst du?" fragte Luke.

"Nirgends" Nessa schaute zu Boden.

"Wie nirgends?"

Nessa antwortete nicht.

"Hast Du nicht gesagt, dass Du schon drei Tage in der Stadt bist?" mischte sich Marc ein. "Wo hast Du geschlafen?"

Sie schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Du meinst, bevor Ihr mich im Hotel 'Hoffnungslos' eingecheckt habt?"

Er zog ein Gesicht.

Nessa schaute zu ihrem Mietwagen, der immer noch von den Experten in den weißen Overalls untersucht wurde.

"Im Auto."

"Im Auto?" Die beiden Männer sahen sie ungläubig an.

"Waaas?" Nessa rümpfte die Nase " Ich bin kein Krösus. Meine mickrige Geldreserve ging komplett für den Flug drauf. Ich musste mich entscheiden, Auto oder Unterkunft."

Verständnisvolles Schweigen.

Nach einer Weile sagte Marc.

"Das ist ja wohl jetzt keine Option mehr."

Nessa sah ihn entsetzt an.

"Warum? Bekomme ich den Wagen nicht zurück?"

Luke schaute sie mit großen Augen an.

"Du willst doch wohl nicht sagen, dass Du dich da wieder reinsetzen würdest, geschweige denn, darin schlafen?"

Sie schaute mit großen Augen, ihn imitierend, zurück. "Ich habe nichts anderes. Auf jeden Fall würde ich es der miesen Unterkunft, die Ihr mir letzte Nacht besorgt habt, vorziehen."

Marc beobachtete das Ganze leicht amüsiert. Dann sagte er, "Ich finde es keine gute Idee, dass Du weiterhin mit diesem Teil herumfährst. Die Leute vom MPD werden den Wagen an die Verleihfirma zurückgeben, wenn sie fertig sind. - Für Dich müssen wir etwas Anderes finden."

Nessa stöhnte und rollte mit den Augen. Eigentlich gab sie den beiden ja Recht. Es hätte sie schon einige Überwindung gekostet, wieder in diesen Wagen zu steigen, aber es wäre definitiv die einfachste Version.

Sie mochte einfache Versionen.

Für ihren Geschmack waren das schon wieder viel zu viele Umstände.

Im Auto zu schlafen, war zwar nicht besonders angenehm gewesen und sie hatte den Platz, wo sie es abstellte, immer sehr genau wählen müssen, aber es war die beste Lösung.

Sie war weder anspruchsvoll noch zimperlich. Bei ihr kam es immer darauf an, dass sie die Kontrolle behielt. Solange sie das Gefühl hatte, dass alles nach ihrem Plan lief, war sie sicher. Nur wenn andere Menschen involviert waren und diese ihr in ungeplanter Weise zu nahe kamen, wurde es schwierig für sie.

"Hast du ein Rückflugticket?" fragte Luke jetzt. "Vielleicht ist es das Beste, du fliegst zurück."

"Auf gar keinen Fall!" ihre Augen funkelten ihn aufgebracht an. Wie konnte er das überhaupt in Erwägung ziehen. " ich will wissen, was mit Benji passiert ist."

"Schon gut, schlag mich nicht" er hielt seine Arme vor das Gesicht und grinste, " das war nur ein Vorschlag."

Nessa war nicht zum Lachen zumute. Sie sah ein echtes Problem auf sich zukommen, das sie relativ schnell lösen musste, wenn sie die Nacht nicht auf der Straße verbringen wollte.

Sie hatte noch ungefähr 80 Dollar in der Tasche. Davon musste sie sich ernähren und selbst wenn sie vielleicht morgen wieder einen fahrbaren Untersatz besorgen könnte, würde das gerade mal für das Benzin reichen. Keine Chance damit auch noch eine Unterkunft zu finanzieren. Entweder sie musste irgendwo Geld auftreiben, oder Lukes Rat befolgen und nach Hause fliegen.

Ratlos stand sie da und ließ Ihren Blick die Straße entlang schweifen.

Da hörte sie Marc plötzlich sagen: "Du kannst erstmal mit zu mir kommen, bis wir eine andere Lösung gefunden haben."

Wie vom Donner gerührt starrte sie ihn an. In Sekundenschnelle ratterte ihr Gehirn sämtliche möglichen Beweggründe herunter, warum er das tun sollte. Viel Positives war nicht dabei.

'Oh lieber Gott', dachte sie, 'nicht noch mehr Komplikationen.'

Auch Luke schaute nicht sonderlich begeistert drein.

"Was? Schaut mich nicht an, als wäre ich ein Monster." Marc hob abwehrend die Hände. " Ich will nur helfen. Außerdem finde ich, wir sollten Dich im Auge behalten. Immerhin hat gerade jemand versucht, Dich in die Luft zu jagen. - Aber wenn ihr eine bessere Idee habt, nur heraus damit."

Ja, das war ein guter Punkt.

Sie wollte diese Tatsache gerne verdrängen, aber möglicherweise würde derjenige, der an ihrem Auto herumgebastelt hatte, es wieder versuchen, und sie war tatsächlich in Gefahr.

Ihre Gedanken überschlugen sich.

Sie versuchte die Lage objektiv zu beurteilen.

Im Grunde hatte sie schon mehr als genügend schlechte Erfahrungen mit Männern gesammelt, so dass sie eigentlich laut schreiend davonlaufen müsste. Aber irgendwie, ließ sie ihr Instinkt diesmal zögern. Sie wägte ihre Möglichkeiten ab.

Ein Mann, der so aussah, musste sich keine Frau mit Gewalt nehmen, andererseits, wenn er es trotzdem täte, hätte sie sowas von keine Chance. Der Commander war ein einziges Muskelpaket und zudem noch im Nahkampf ausgebildet.

Damit konnte er sie natürlich auch beschützen. Wenn sie irgendwo sicher sein würde, dann bei ihm.