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Augenstern – Die Serie: Jessi steht kurz vor dem Abi, ist in Liebesdingen nicht gerade erfolgsverwöhnt und führt ein überschaubares Leben in Frankfurt, als plötzlich mehrere Männer in ihr Leben einbrechen. Nicht alle sind von dieser Welt, und einige bedrohen sogar den Fortbestand der Erde. Kann Jessi ihren Gefühlen trauen, und welches Wesen verbirgt sich hinter welcher Gestalt? Es beginnt ein Verwirrspiel um Emotionen und Fassaden, das Jessi nur gewinnen kann, wenn sie lernt zu kämpfen: für sich, für ihren Planeten und für ihre Liebe. Band 2 "Tod und Täuschung": Jessi entgeht nur knapp einem Mordanschlag, und allein David scheint für ihre Sicherheit sorgen zu können. Doch der zielstre-bige Liam stellt sich dem Rivalen entgegen und bietet Jessi nicht nur seinen Schutz, sondern auch seine Leidenschaft. Jessi ist hin- und hergerissen. Als sie erkennt, wem ihr Herz gehört, ist es fast zu spät: Die Invasoren beenden den Kampf um Jessis Liebe auf grausame Weise …
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Seitenzahl: 235
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Augenstern – Die Serie:
Jessi steht kurz vor dem Abi, ist in Liebesdingen nicht gerade erfolgsverwöhnt und führt ein überschaubares Leben in Frankfurt, als plötzlich mehrere Männer in ihr Leben einbrechen. Nicht alle sind von dieser Welt, und einige bedrohen sogar den Fortbestand der Erde. Kann Jessi ihren Gefühlen trauen, und welches Wesen verbirgt sich hinter welcher Gestalt? Es beginnt ein Verwirrspiel um Emotionen und Fassaden, das Jessi nur gewinnen kann, wenn sie lernt zu kämpfen: für sich, für ihren Planeten und für ihre Liebe.
Band 2 „Tod und Täuschung“:
Jessi entgeht nur knapp einem Mordanschlag, und allein David scheint für ihre Sicherheit sorgen zu können. Doch der zielstrebige Liam stellt sich dem Rivalen entgegen und bietet Jessi nicht nur seinen Schutz, sondern auch seine Leidenschaft. Jessi ist hin- und hergerissen. Als sie erkennt, wem ihr Herz gehört, ist es fast zu spät: Die Invasoren beenden den Kampf um Jessis Liebe auf grausame Weise …
Die Autorin
Susanne Roßbach ist 1966 in Frankfurt am Main geboren und lebt mit ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter im Süden Frankfurts. Sie ist Diplom Betriebswirtin (BA) und Diplom-Psychologin und arbeitet als Senior Business Analystin in der IT-Abteilung einer Großbank. In ihrer Freizeit widmet sie sich ihrem Pferd und ihrem Hobby als Romanautorin. Veröffentlichungen „Der Tote vom Odenwald“ (Ullstein Midnight 2017), „Schatten über dem Odenwald“ (Ullstein Midnight 2018). „Augenstern – Die Invasoren“ (2018) ist ihr erstes Buch bei mainbook.
eISBN 978-3-947612-23-9
Copyright © 2018 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer
Covergestaltung und -rechte: Nona Roßbach
Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannendeTaschenbücher und E-Books www.mainbook.de
Augenstern
Band 2:
Tod und Täuschung
Serie
Kapitel 9 – Die Eroberung
Kapitel 10a – Wut
Kapitel 10 – Der Mistelzweig
Kapitel 11 – Die Offenbarung
Kapitel 12 – Die Verbündeten
Kapitel 13 – Paralysen I
Kapitel 14a – Kleiner Irrtum
Kapitel 14 – Paralysen II
Kapitel 15 – Die Entscheidung
Erst als sich jemand an der Appartement-Tür zu schaffen machte, erwachte ich aus meiner Schockstarre.
„David?“ Ich schälte mich aus dem Sessel. „David?“
„Wer sonst?“ Er versuchte sich an einem Lächeln, aber er sah abgekämpft aus. Den Blumenstrauß in seiner Hand legte er auf das Sideboard neben der Garderobe. „Das habe ich vor der Tür gefunden.“ Er sah mich fragend an.
Ich lief auf ihn zu. Mein Impuls, mich in seine Arme zu flüchten, wurde jäh abgewürgt, als er seinen Mantel abstreifte.
„Oh Gott, David, du blutest ja!“ Sein weißes Hemd wies am Ärmel einen großen, dunkelroten Fleck auf.
„Das sieht schlimmer aus, als es ist. Siehst du?“ Er krempelte den Ärmel hoch und zeigte seinen unversehrten Arm. „Ich bin nur unglücklich gestolpert …“
„… gestolpert und in ein Messer gefallen?“ Ich griff mir mit beiden Händen an den Kopf. „Was zum Teufel ist hier eigentlich los?“ Dass David versuchte, mich anzulügen, trug nicht gerade zu meiner Besänftigung bei. „Könntest du mal bitte mit der Wahrheit herausrücken? Deine Informationspolitik ist noch mein Tod!“
David sah schuldbewusst aus. „Jessi, so beruhige dich doch!“ Er kam auf mich zu und berührte mich leicht am Arm. „Bitte, setzen wir uns.“
Ich ließ mich widerwillig von ihm Richtung Sofa führen. „Ich kann mich aber nicht beruhigen! Um ein Haar hätte ich dem Invasor die Tür geöffnet, dann hättest du mich hier beruhigter vorgefunden, als dir lieb gewesen wäre.“
„Was?“ David blieb stehen und drehte mich zu sich. „Der Invasor?“ Er schaute mich durchdringend an.
„Ja, der Typ, dem du angeblich in meiner Wohnung den Hals durchgebissen hast, erinnerst du dich?“ Ich wandte mich ab und warf mich aufs Sofa. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass der in meiner Wohnung ein anderer war als der, der dich im Coffee Shop angegriffen hat? Du hast mich im Glauben gelassen, es gäbe nur einen! Ich hätte dabei draufgehen können!“
David wurde bleich. Er kniete sich schräg vor mich und stützte sich mit dem Arm auf die Sitzfläche der Couch. „Bitte verzeih mir, das war wirklich nicht meine Absicht! Ich wollte dich nicht verängstigen …“
„Sehe ich jetzt vielleicht unbesorgt aus? Du hättest es mir unbedingt sagen müssen!“
„Du hast recht. Ich habe es versucht, aber … Es tut mir sehr leid.“ Er schlug mit der flachen Hand auf das Polster. „Ich dachte, ich könnte ihn ausfindig machen und … das Problem lösen, bevor du es merkst.“ David rieb sich das Kinn. „Ich hatte in deiner Wohnung das Handy des toten Invasors an mich genommen und mit diesem Handy dem verbliebenen Invasor eine Nachricht geschickt, um mich mit ihm zu treffen. Er kam auch, aber … er war nicht unbewaffnet. Dann näherten sich Menschen … Ich muss zugeben, mein Plan ist fehlgeschlagen.“ David blickte mir zerknirscht in die Augen.
„Tja, und vor eurem Treffen hat er noch schnell die Gelegenheit nutzen und mich alleine hier im Appartement antreffen wollen. Zum Glück habe ich auf mein Bauchgefühl gehört und ihm nicht die Tür geöffnet.“
„Die Blumen!“ David kniff die Augen leicht zusammen. „Er hat sie dir vor die Tür gelegt, nicht wahr?“
„Ja. Aber er hätte sie zu gern persönlich abgegeben.“
„Oh Jessi, es tut mir so leid! Bitte …“
„Du brauchst dich nicht ständig zu entschuldigen“, unterbrach ich ihn und hob abwehrend die Hände. „Aber in Zukunft will ich wissen, was los ist. Das musst du mir versprechen!“ Ich sah ihn streng an.
David nickte ernst.
„Wo waren eigentlich die Personenschützer? Sonst kleben sie einem ständig an der Backe, aber wenn man sie braucht, sind sie nicht da“, knurrte ich.
„Herr Meyer steht unten. Aber er kann natürlich auch nicht jeden anhalten, der dieses Gebäude betritt.“ David zuckte mit den Schultern.
Wir schwiegen eine Weile, und ich überlegte. „Waren sonst noch brauchbare Daten auf dem Handy gespeichert?“
„Nein, der noch lebende Invasor, den du aus dem Coffee Shop kennst, war der einzige private Kontakt, den er gespeichert hatte.“
„Haben wir damit nicht seinen Namen?“
David lächelte schwach. „Er ist unter ‚Wichser‘ abgelegt, das wird wohl nicht sein offizieller Name sein.“
Ich zog die Augenbrauen hoch.
David zuckte mit den Schultern. „Sie hegen auch innerhalb ihrer Spezies wenig Sympathien füreinander.“
„Können wir denn jetzt wenigstens sicher sein, dass nur noch dieser eine Invasor aus dem Coffee Shop hier ist? Nicht, dass immer mehr von seiner Sorte auftauchen?“ Ich strich unwillkürlich über meinen Verband.
„Nein, wie ich schon sagte: Die Erfahrung hat gezeigt, dass sie meist nur einen, höchstens zwei als Vorhut auf den auszukundschaftenden Planeten schicken.“
Hm. Erfahrung bedeutete nicht unbedingt eine Garantie für die Zukunft. Ich rieb mir die Stirn.
„Es wird nicht wieder vorkommen.“
Ich sah ihm in die Augen. „Was? Dass mich einer abmurksen will, oder dass du mich über dein Wissen im Unklaren lässt?“
David schaute aus dem Fenster. Sein Blick wandte sich nach innen.
Ich wusste, dass er nicht mehr antworten würde, doch ich beobachtete ihn weiterhin. Nach ein paar Minuten kehrte wieder Leben in sein Gesicht. Er sah mich an und lächelte. „Soll ich uns einen Tee kochen?“
„Ja, bitte.“
David berührte mich kurz an der Schulter, dann stand er auf, drehte sich um und ging in die Küche.
Um die Mittagszeit rief mich Nassi an.
„Um Himmels willen, Jessi, was hast du nur getrieben?“ Sie klang halb belustigt, halb besorgt.
Ich erzählte kurz von meinem angeblichen Sturz und ausführlich von dem tatsächlich stattgefundenen Krankenhaus-Besuch.
„Oh, Jessi, du musst unbedingt vorsichtiger sein! Wenigstens hast du heute einen super langweiligen Schultag verpasst. Die Lehrer sind auch schon alle in Ferienstimmung. Sag mal, weil du doch bald nach Berlin fährst, wir müssen uns unbedingt vorher noch treffen, um die Weihnachtsgeschenke auszutauschen. Oder anders gesagt, wie sieht es überhaupt mit Besuchen bei dir aus?“
Solange der Besuch keine Blumen abgeben will … „Nassi, ich würde mich sehr freuen, wenn ihr zu mir kommen würdet, aber ich muss euch vorwarnen. Ich bin auf die Wange gefallen und sehe aus wie nach einem Boxkampf.“
„Ihr Sparringspartner sieht sicher noch schrecklicher aus.“ Das war die Stimme von Mike R.
„Hey, Mike, hörst du etwa mit?“
„Klar“, sagte Nassi. „Du hast uns ja einen schönen Schrecken eingejagt.“
Ich hörte im Hintergrund Mike gute Besserung wünschen.
„Okay, wie wäre es mit heute Abend?“, fragte Nassi.
Falls Liam tatsächlich noch anrufen würde, könnte ich ihn auf heute Nachmittag schieben. „Ja, super! Aber ihr müsstet zu David kommen, er ersetzt zur Zeit meine rechte Hand.“
„Du wohnst bei David?“ Ich hörte ein Schnaufen und konnte förmlich sehen, wie Nassi einen Schwall Ermahnungen verschluckte. „Äh, klar, wie ist denn die Adresse?“
„Sag ihr, sie sollen zum Abendessen bleiben“, raunte mir David zu.
„Walther-von-Cronberg-Platz … David, was haben wir denn für eine Hausnummer hier?“
„Einundzwanzig.“
„Einundzwanzig. Und David lädt euch zum Abendessen ein.“
„Oh, das ist ja total nett! Mike nickt auch. Also dann bis später, ich sag mal, so zwanzig Uhr?“
„Ja, super, ich freue mich!“
„Wir uns auch! Dir weiter gute Besserung!“
David lächelte. „Sehr schön, dann bekommen wir heute Abend Besuch!“
Ich erwiderte sein Lächeln.
„Apropos Essen, Jessi! Wie wäre es jetzt mit Mittagessen? Was hättest du gerne? Ich könnte zum Beispiel einen sehr guten Griechen empfehlen.“
„Oh, ja prima, vielen Dank.“
David zeigte mir einen Flyer mit einem umfangreichen Angebot an griechischem Essen. Während er bestellte, klingelte wieder das Handy.
„Jessi, du arme Maus, was hast du nur angestellt?“, platzte Laura sofort heraus.
Ich wiederholte meine Geschichte. „Aber genug von meinem Sturz, wie lief deine Präsentation?“
Laura erzählte, und ich hörte im Hintergrund Bahnhofsgeräusche. Dann berichtete sie mir, an welchen Tagen sie wen in München besuchen und dass ihr Zug gleich losfahren würde. Laura konnte reden wie ein Wasserfall. Aber es war schön, ihre Stimme zu hören und in Normalität zu schwelgen. Einfach auszublenden, dass man mir zweimal kurz hintereinander nach dem Leben getrachtet hatte.
Mittlerweile war das Essen gekommen, und damit es nicht kalt wurde, stellte David es in den Ofen und hielt es warm.
Laura fragte mich inzwischen nach meinen Berlin-Plänen, und ich vermied es zu erwähnen, dass David mitkommen und ich bei ihm wohnen würde. Ich wollte nicht, dass Laura falsche Schlüsse zog, die sich in Liams Richtung verbreiten konnten.
Nach einer halben Stunde gab ich dann doch zu, dass ich essen wollte, und wir verblieben, dass wir uns über die Feiertage wieder anrufen würden.
Es war schön gewesen, Lauras Stimme zu hören, aber nun hatte ich wirklich Hunger, und David holte das Essen aus dem Ofen. Da klingelte schon wieder das Handy.
Ich lächelte entschuldigend und sagte: „Fang schon mal an!“ Aber er stellte alles erneut in den Ofen.
Diesmal war es Liam.
Ich spulte meine Geschichte noch einmal ab. „… und in drei Tagen darf der Verband ab.“
„So, da bin ich ja erleichtert. Das hörte sich sehr schlimm an. Sag mal, wie wäre es, wenn ich dich heute Nachmittag besuchen komme? Ich kann dir was vorlesen oder dich bekochen oder so.“
Huch, das war ja echt niedlich.
„Oh, Liam, das wäre echt toll. Ich muss nur sagen, ich sehe aus wie Quasimodo, weil auf das Gesicht bin ich auch gefallen; ich hoffe, du kriegst keine Angst vor mir.“
„Trag einfach eine weiße Nelke im Knopfloch, damit ich dich erkenne“, sagte Liam trocken. „Soll ich irgendwas mitbringen, soll ich vielleicht für dich einkaufen?“
„Ja, eine weiße Nelke, ich hab nämlich gerade keine hier.“ Ich kicherte ein wenig. „Nein, das ist sehr nett, aber David macht schon den Krankenpfleger.“ Okay, und jetzt musste es raus. „Ich wohne auch im Moment bei ihm, weil ich mich alleine wirklich kaum versorgen kann, kannst du vielleicht hierher kommen?“ Ich schaute zu David, denn es war ja immerhin sein Appartement. Er nickte und lächelte.
„Frag ihn, ob er zum Essen bleiben möchte.“
„David möchte dich gerne zum Essen einladen.“
Hoffentlich lehnte Liam das Angebot ab. Ich hatte ohne nachzudenken das sichere Gefühl, nicht mit David und Liam hier zusammen sitzen zu wollen.
War Liam noch dran?
„Äh, das ist sehr nett, aber ich muss heute Abend noch trainieren. Also, ich habe jetzt noch eine Vorlesung, aber so bis halb fünf sollte ich es schaffen. Wie ist die Adresse?“
Ich gab ihm unsere Daten durch, und wir verabschiedeten uns. Hurra! Liam würde mich besuchen! Wir hatten so etwas wie unser erstes Date. Ich zappelte innerlich.
Es war nur völlig blöde, dass es bei David stattfinden würde. Es wäre sicher das Beste, wenn wir spazieren oder in ein Café gehen würden, denn ich wollte keinesfalls zu dritt hier herumsitzen.
„Weißt du was?“ David holte nun zum zweiten Mal unser Essen aus dem Ofen. „Während Liam hier ist, fahre ich hinüber in deine Wohnung zum Aufräumen. Dann bist du nicht allein, und ich bin auch schnell wieder zurück. Der Personenschützer steht unten vor dem Haus; du kannst ihn jederzeit anrufen.“
Das war ein Deal. Mir fiel eine Last von der Seele.
Endlich konnten wir essen.
Danach musste ich erst einmal durchschnaufen und kuschelte mich quer auf das Sofa. David legte die Decke von gestern, die Frau Sägebrecht gewaschen und ordentlich zusammen gefaltet hatte, über mich.
„Ich muss auch noch ein paar Anrufe tätigen.“ Er zeigte Richtung Schlafzimmer. „Ich gehe dazu nach nebenan, damit du nicht gestört wirst.“
Ich schloss die Augen. Nur nicht an die Invasoren denken. Lieber an Liam. An David. An meine Freunde …
Aus dem Schlafzimmer ertönte Davids gedämpfte Stimme. Das war ein besseres Schlafmittel als jede Medizin.
Gegen sechzehn Uhr wachte ich wieder auf. David saß im Sessel und hatte den Laptop auf dem Schoß. Er lächelte mich an.
„Na, geht es dir gut?“
„Ja, danke.“ Ich streckte mich.
Liam könnte bald kommen. Ich sollte mich noch einmal im Spiegel betrachten.
Ich lief ins Bad und bürstete mir die Haare. Meine Wange sah echt schlimm aus. Der Bluterguss ging mittlerweile vom Roten ins Blaue oder sogar Schwarze über. Aber es war nicht zu ändern. Ich putzte mir die Zähne und zog mir die Jeans an. Soweit ich es mit einer Hand konnte.
„David, es ist mir sehr unangenehm, aber könntest du mir mein Unterhemd in die Jeans stopfen und den Knopf zu machen? Ich krieg das echt nicht hin.“
„Sicher.“ David lachte.
Es war mir gar nicht peinlich, mir von David beim Anziehen helfen zu lassen. Seit er mir im wahrsten Sinne des Wortes den Invasor vom Hals gehalten hatte, war er mir so vertraut wie niemand sonst.
Ich hatte noch einen Anruf bei meinen Eltern zu tätigen. Das hätte ich schon gestern erledigen sollen, aber ich hatte es hinausgezögert.
„Äh, sag mal, ich wollte jetzt meine Eltern wegen Weihnachten anrufen, aber deswegen wollte ich dich vorher noch um einen kleinen Gefallen bitten.“
David sah mich aufmerksam an.
„Weißt du, meine Eltern werden hundertpro nichts dagegen haben, wenn ich noch einen Freund mitbringe, aber meine Mutter würde es wahrscheinlich komisch finden, wenn ich dann auch noch bei dir wohne, obwohl wir nicht zusammen sind. Also du weißt schon. Wenn du einfach ein guter Freund bist, dann würde meine Mutter sicher erwarten, dass ich auch bei ihnen übernachte, aber wenn ich sagen würde, dass du mein fester Freund bist, dann würde es sie nicht verletzen, wenn ich mit dir … äh, bei dir schlafe. Das kennt sie ja schon von meinen Geschwistern.“ Hoffentlich war ich jetzt nicht auch noch rot geworden.
David lächelte. „Das ist eine lustige Idee. Wenn es die Sachlage vereinfacht, gerne. Ich weiß nur nicht, ob ich mit meinem geringen Erfahrungsschatz als Liebhaber einen guten Schauspieler abgebe.“ David grinste sehr breit und ließ seine perfekten Zähne aufblitzen.
Ich war erleichtert, dass er es so lässig sah.
„Wir müssen ja keine große Show abziehen.“
„Kein Problem“, sagte David immer noch grinsend.
Also rief ich meine Eltern an.
Es war nur meine Mutter zuhause, da mein Vater noch keinen Urlaub in seinem neuen Job nehmen konnte. Ich kündigte ihr an, dass ich jetzt einen Freund hätte, der auch ein Haus in Berlin hatte, und dass wir sie von dort aus an Weihnachten besuchen würden. Meine Mutter wollte sofort alles über David wissen. Dass ich dann bei David wohnen würde, war schon gar kein Thema mehr. Mein Plan hatte funktioniert.
Ich erzählte so einiges von David, was man eben über sein Menschenleben erzählen konnte, und meine Mutter freute sich offensichtlich mit mir. Es tat mir ein bisschen leid, dass die Sache nur erfunden war. Irgendwann würde ich ihr hoffentlich mit Liam einen echten festen Freund präsentieren können. Aber jetzt war es erst einmal wichtig, für David ein schönes Weihnachtsfest zu organisieren. Das sollte die kleine Lüge gegenüber meinen Eltern doch rechtfertigen.
Danach berichtete ich so harmlos wie möglich von meinem angeblichen Unfall.
Meine Mutter war entweder mit ihren Gedanken noch bei meinem neuen Freund, oder sie stellte sich nur einen erbsengroßen blauen Fleck auf meiner Wange vor, jedenfalls reagierte sie völlig gelassen, und ich war froh, zwei heikle Themen abhaken zu können.
Nach diesem Telefonat setzte ich mich wieder auf die Couch und betrachtete David, der auf den Laptop schaute. Ich wartete auf Liam.
Es dauerte auch nicht lange, bis das Haustelefon klingelte. Der Empfangsmitarbeiter kündigte Liam an. Mit seinem Vornamen. Es passte zu Liam, dass er sich selbst in dieser vornehmen Hütte nicht zu Formalien hinreißen ließ.
Als es klingelte, öffnete David die Tür und begrüßte Liam freundlich. Ich stand auf und lief ihm entgegen.
Liam trug eine Wollmütze und sah total knuffig aus. Er pfiff durch die Zähne. „Du hast nicht übertrieben, du siehst aus wie nach einem Boxkampf.“ Sein Blick wanderte tiefer. „Wie geht’s deiner Hand?“
„Ach, geht so. Ich traue mich nur nicht, sie zu bewegen.“
Ich war froh, dass Liam mein Aussehen unverblümt angesprochen hatte. Wie immer entkrampfte er die Situation durch seine lockere und direkte Art. Das Thema war erledigt.
„Möchtest du etwas zu trinken?“ David lächelte Liam freundlich an. „Ich kann dir gerne einen Tee oder Kaffee machen.“
„Nö, alles bestens.“
Wir standen ein paar Sekunden irgendwie dämlich herum, also ging ich auf die Sitzgruppe zu, bedeutete Liam mir zu folgen und setzte mich.
„Hört mal, ich möchte nicht unhöflich sein“ – wann war David jemals unhöflich? – „aber ich würde gerne die Gelegenheit nutzen, etwas zu erledigen.“ David sah mich an. „Solange Liam da ist, kann ich kurz wegfahren. Sag mir einfach Bescheid, wenn ich eher zurückkommen soll, dann bin ich in fünfzehn Minuten wieder da.“
„Kein Ding“, sagte Liam.
Mir fiel ein, dass wir ohne David ans Appartement gefesselt waren.
„David, kannst du mir vielleicht noch so eine Plastikkarte für die Tür geben, falls wir mal raus wollen?“
David zögerte.
„Es ist schon ziemlich dunkel …“ Er sah mich besorgt an.
Liam lachte. „Mach dich mal locker. Soll ich eine Taschenlampe mitnehmen?“
David gab mir die Karte und sah mich noch mal eindringlich an.
„Sie dient auch am Empfang als Eintrittskarte, falls ein Pförtner Dienst hat, der dich nicht kennt.“
„Super, danke.“ Ich schaute ihm fest in die Augen. „Wir kommen schon zurecht.“
David nickte zögerlich und verabschiedete sich. Ich hoffte, dass der Invasor nicht schon angefangen hatte zu verwesen oder einen ekligen Flecken auf meinem Laminat hinterlassen hatte.
Nachdem David verschwunden war, rückte Liam neben mich.
„Ganz schön unentspannt, der Typ. Zeig mal den Verband.“
Ich hatte ein bisschen Angst, meine gebeutelte Hand anfassen zu lassen, aber Liam hob nur vorsichtig meinen Unterarm an.
„Beeindruckend. Wo hast du dich geschnitten?“
Ich deutete über dem Verband den Verlauf des Schnitts an und erzählte noch einmal die Geschichte meines ‚Sturzes’ und von dem Krankenhaus-Aufenthalt.
Liam schlug vor, spazieren zu gehen, und ich nahm die Plastikkarte mit, die mir David dagelassen hatte.
Es war schon völlig dunkel. Der arme David musste jetzt einsam in meiner Wohnung herumwerkeln. Hoffentlich war der Invasor wirklich mausetot. Es tat mir leid, David damit alleine zu lassen. Aber ich drängte diese Gedanken beiseite. Ich wollte mich absolut auf Liam konzentrieren.
Am Empfang saß ein Mann mittleren Alters. Er wünschte uns einen guten Abend, als wir an ihm vorbeiliefen.
Liam erzählte von seinem Tag an der Uni und richtete Grüße von Robert aus, die ich mit gemischten Gefühlen entgegennahm.
Die Lichter der Stadt erzeugten eine weihnachtliche Stimmung. Wir liefen über die Flößerbrücke und blieben etwa in der Mitte stehen. Ich schaute in das unter uns dahinströmende, dunkle Wasser.
Liam lehnte mit dem Rücken am Geländer, schnickte sich die Haare mit einer schnellen Kopfbewegung aus dem Gesicht und schaute die Brücke hoch und runter.
Ich glaube, ich spürte eine gewisse Stimmungsänderung bei Liam, jedenfalls ahnte ich schon, welches Thema er als nächstes anschneiden würde.
„Jessi, ich finde es ziemlich abgedreht, dass du bei David wohnst. Es muss dir doch klar sein, dass das gewöhnliche Freunde normalerweise nicht tun?“
„Äh, ja, klar. Aber David und ich sind wirklich nur ganz normale Freunde. Genau wie ich und Mike R. Den kenn ich schon ewig und bin weiß Gott nicht in ihn verliebt.“
„Das mag von deiner Seite aus stimmen, aber vielleicht will er mehr von dir.“
Bei Davids Problemen in diesem Zusammenhang? Ich lachte. „Nö, ich bin mir so was von sicher, dass er nicht mehr von mir will. Er wollte mir einfach nach meinem Unfall helfen, und ich bin auch echt dankbar, dass er mir zurzeit meine rechte Hand ersetzt.“
„Ja, das ist wirklich nett von ihm, trotzdem …“
„Liam, bitte, versuche mir zu glauben, wenn ich dir versichere, dass zwischen David und mir rein gar nichts läuft, weder von meiner noch von seiner Seite.“
„Hm.“ Liam schaute wieder die Brücke hoch und runter.
„Lass uns noch ein Stück gehen.“
Wir schlenderten an das Ende der Brücke und liefen noch ein bisschen den Main entlang. Liam fragte mich nach der Schule und meinen Freunden aus, und dadurch fiel mir etwas ein.
„Sag mal, hättest du vielleicht Lust, einen Tanzkurs mit mir zu machen? Nassi und ich möchten an so einem Kurs in Standard- und lateinamerikanischen Tänzen teilnehmen in der Tanzschule Beifuß, die ist im Nordend.“
„Oh!“ Liam lachte. „Nimm’s mir nicht übel, Jessi, aber das ist überhaupt nicht mein Ding.“
„Schade“, sagte ich ehrlich enttäuscht, „das hätte ich gerne mit dir gemacht.“
Liam wandte sich zu mir und hielt mich an, indem er mich an meiner linken Schulter zu sich drehte.
Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert und glich dem in der Eissporthalle vor den Spinden. In dem Moment, wo ich ihn ansah, schoss mir das Blut in alle möglichen Körperteile.
Er griff mit beiden Händen vorsichtig, aber bestimmt nach mir und zog meinen Körper an seinen. Seine Arme umschlangen meinen Rücken und meine Taille und hielten mich in der Umarmung fest, nach der ich mich schon so lange gesehnt hatte. Unsere Gesichter berührten sich fast wie damals in der Eissporthalle.
„Es gibt noch viele andere Dinge, die ich gerne mit dir machen würde“, sagte er.
Ich schaute in seine braunen Augen und wurde total schwach. Wir wussten beide, was jetzt kommen würde, aber Liam hielt noch einen Moment inne. Nicht, dass er zögerte, weil er unsicher gewesen wäre. Im Gegenteil, Liam war sich absolut sicher, und ich konnte seine Zuversicht in jeder Zelle seines Körpers spüren.
Nein, er hielt inne, um diesen Augenblick auszudehnen, die Gewissheit, dass es endlich so weit war, die umwerfende Erwartung dessen, was jetzt kam. Mein Körper drängte sich ihm entgegen, so weit das überhaupt noch ging, mein Mund öffnete sich und ich atmete schnell und flach.
Als Liam mich endlich küsste, schloss ich die Augen und gab mich völlig dem Gefühl hin. Liam hätte alles mit mir machen können. Mein Körper gehörte ihm. Mein Herz raste und ich keuchte, aber ich konnte nicht aufhören.
Liam auch nicht. Mir wurde leicht schwarz vor Augen, und ich verlor derart an Körperspannung, dass ich ein wenig durch Liams Arme nach unten durch rutschte. Er presste mich noch fester an sich und stöhnte leise. Das war der leidenschaftlichste Kuss meines gesamten Lebens. Ich würde nie mehr aufhören können, Liam zu küssen. Es war alles, was ich im Leben noch wollte.
Der fromme Wunsch wurde von meinem nahenden Erstickungstod relativiert. Ich drückte Liams linke Schulter ein wenig von mir weg. Liam hörte sofort auf mich zu küssen, lockerte seine Umarmung und sah mich fragend an.
„Luft“, japste ich.
„Was? Alles in Ordnung?“
„Ja … Ich muss nur mal wieder richtig atmen.“
„Tut mir leid.“
„Das muss dir nicht leidtun. Du bist der beste Küsser des ganzen Universums“, gab ich offen zu.
Liam grinste vielsagend und sah total niedlich aus. Ich interpretierte seinen Gesichtsausdruck.
„Du hast wohl schon viel trainiert.“
Liam grinste noch breiter. „Sag Bescheid, wenn du wieder kannst.“
Liam intensivierte seine Umarmung ein wenig, aber ich konnte weiter meine Atmung normalisieren. Er beugte sich wieder zu mir herunter und fuhr mit seinen Lippen durch mein Gesicht, meine Haare …
„Hast du ein Haustier?“ fragte er plötzlich.
„Ich, äh, was?“
„Deine Haare riechen ein bisschen nach einem Tier, aber ich komme nicht darauf, nach welchem.“
„Oh.“ Ich wusste nicht, was ich ihm entgegnen sollte. Ein Tiger war in meiner offiziellen Sturz-Geschichte nicht vorgekommen, und mir fiel auch auf die Schnelle keine gute Erklärung ein.
Liam ging zum Glück nicht weiter darauf ein. Er schaute den Weg hinunter, den wir eingeschlagen hatten, bevor wir uns küssten.
„Lass uns mal in die andere Richtung gehen.“
Es war mir egal, wohin wir gingen, ich wollte nur nicht aufhören, ihn zu berühren, ihn anzufassen, ihn zu küssen.
Wir schlenderten also in die andere Richtung, aber wir kamen nicht weit. Liam bemühte sich sichtlich, mich nicht zu fest zu umarmen, aber wir küssten uns nur ein, zwei Sekunden, und schon waren wir beide nicht mehr zu bremsen. Jedes Mal musste ich eine Unterbrechung reklamieren, um wieder zu Atem zu kommen.
Liam lachte. „Das müssen wir jetzt aber konsequent trainieren, damit du etwas länger durchhältst.“
„Tut mir leid, du hast mich voll geflasht.“
„Find ich gut. Wenn du so richtig willenlos und geschwächt bist, zerre ich dich in mein Auto und bringe dich nie mehr zurück.“
Wir befanden uns fast wieder an der Brücke und blieben zum wiederholten Male stehen. Liam lachte jetzt aber nicht mehr; er sah sich um.
„Sag mal, du hast nicht zufällig einen eifersüchtigen Ex-Freund, der dir hinterherspioniert?“
„Was?“
„Könnte es sein, dass uns jemand verfolgt? Ich möchte echt nicht wie ein Irrer erscheinen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass uns seit Verlassen von Davids Wohnung jemand hinterherläuft. Sieh nicht hin.“
Er schaute mich ernst an und küsste meinen rechten und meinen linken Mundwinkel und zupfte dann mit seinen Lippen leicht an meiner Oberlippe, sodass ich schon wieder völlig schwach wurde. „Er steht etwa zehn Meter hinter uns am Geländer angelehnt …“ Liam sprach mit seinen Lippen an meinen. „… Und raucht eine Zigarette. Etwa Anfang zwanzig, breit gebaut wie ein Eishockey-Spieler.“ Liam deutete an, mich zu küssen, aber seine Lippen berührten mich nur, immer noch und immer noch. Ich vergaß, wovon wir geredet hatten und spürte nur seine Lippen ganz leicht auf meinen.
„Jetzt kannst du kurz hinschauen.“
Es fiel mir wieder ein.
Ich lugte an Liam vorbei und erkannte sofort Herrn Meyer am Geländer stehen. Mist! Warum war Liam nur so wachsam?
„Ich weiß nicht, der schaut doch gar nicht zu uns. Und ich kenne ihn definitiv nicht. Im Übrigen stehe ich mehr auf niedliche Sportler mit braunen Augen.“
Ich lächelte Liam an und kam mir ziemlich mies vor. Ich wollte Liam nicht belügen. Aber wahrscheinlich musste ich das noch öfter tun.
„Wenn du ihn nicht kennst … könnte es vielleicht sein, dass David uns von einem Detektiv beobachten lässt?“ Liam zog die Augenbrauen zusammen und spannte seinen Körper an.
„Nein, so etwas würde er niemals machen. Hör auf, so schlecht von David zu denken. Er ist mein bester Freund. Er freut sich bestimmt total für mich, wenn er erfährt, dass du und ich …“
Ich lugte noch einmal an Liam vorbei zu Herrn Meyer. Der schaute gerade in meine Richtung, und ich verdrehte übertrieben die Augen. Herr Meyer verstand die Botschaft, schlenderte langsam zur Brücke und lief uns damit voraus.
„Siehst du, jetzt geht der Typ gerade weg. Der war gar nicht hinter uns her.“
Liam schaute ihm nach. Ich merkte, dass ich ihn nicht überzeugt hatte, aber er schnitt das Thema nicht mehr an.
Allerdings fragte ich mich, was Herr Meyer jetzt wohl von mir dachte. Die Personenschützer hatten sicher David und mich für ein Paar gehalten, und jetzt knutschte ich mit Liam rum. Aber es sollte mir egal sein.
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