Aura – Verliebt in einen Geist - Jeri Smith-Ready - E-Book

Aura – Verliebt in einen Geist E-Book

Jeri Smith-Ready

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Beschreibung

Der Beginn einer Liebe zwischen Leben und Tod …

Es sollte eine besondere Nacht werden, doch überraschend stirbt Logan, Auras große Liebe. Unvorstellbar scheint ein Leben ohne ihn, da kehrt ihr attraktiver Freund wieder – körperlos, violett leuchtend und doch … so wirklich. Seit dem sogenannten Shift sind alle danach geborenen in der Lage, Tote zu sehen. Aura, deren lästige Aufgabe es ist, Geistern den Übergang zu ermöglichen, versucht mithilfe von Zach, dem Neuen an ihrer Schule, hinter das Geheimnis des Shifts zu kommen. Doch das hieße auch Abschied zu nehmen von Logan. Nur … je näher sie Zach kommt, desto größer werden ihre Zweifel. Ist es richtig, einen Geist zu lieben?

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Seitenzahl: 480

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© Szemere Photography

DIE AUTORIN

Jeri Smith-Ready hat Umweltpolitik studiert und lebt mit ihrem Mann, zwei Katzen und einem pensionierten Renn-Windhund in Maryland. Für ihre Romane hat sie bereits mehrere Preise gewonnen. »Aura« ist der Auftakt ihrer romantischen Reihe in der geheimnisvollen Welt nach dem Shift und die junge Geisterseherin Aura Salvatore.

Jeri Smith-Ready

Aura

Verliebt in einen Geist

Aus dem Amerikanischen von Katarina Ganslandt

cbjist der Kinder- und Jugendbuchverlagin der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage Erstmals als cbj Taschenbuch Januar 2014Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform© 2014 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle deutschsprachigen Rechte vorbehaltenDie Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Shade« bei Simon Pulse, an imprint of Simon & Schuster Children’s Publishing Division.© 2010 by Jeri Smith-ReadyAus dem Amerikanischen von Katarina GanslandtLektorat: Anja GalićUmschlaggestaltung und -illustration: © Isabelle Hirtz, Inkcraft, München, unter Verwendung eines Motivs von ftelkov/ShutterstockMG • Herstellung: ReDSatz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN: 978-3-641-06099-2www.cbj-verlag.de

Erstes Kapitel

»Du kannst mich hören, nicht wahr?«

Ich drückte energisch auf den grünen Startknopf am Kopierer, worauf das Gerät summend ansprang und die körperlose Stimme übertönte. Wenn ich sie ignorierte, verstummten sie manchmal von selbst – verwirrt, entmutigt und einsamer denn je. Allerdings klappte das nicht immer.

Okay, so gut wie nie. Meistens wurden sie lauter.

Aber heute hatte ich wirklich keine Zeit. Ich musste nur noch die Heftklammern aus einem Stapel von Gerichtsunterlagen entfernen, die einzelnen Seiten kopieren und anschließend wieder zusammenheften, bevor ich nach Hause fahren, mich endlich aus meiner Büro-Zwangsjacke, bestehend aus Bluse und Kostüm, befreien und bequemere Sachen anziehen konnte. Danach wollte ich zu Logan – den ich hoffentlich noch vor der Bandprobe erwischen würde –, um ihm zu sagen, dass ich nach langem Nachdenken endlich eine Entscheidung getroffen hatte und es mir diesmal ernst damit war. Wirklich ernst.

»Ich weiß, dass du mich hören kannst.« Die Stimme wurde lauter, als die alte Frau sich mir näherte. »Du bist eine von ihnen.«

Ohne eine Miene zu verziehen, griff ich mir die nächste Akte vom Stapel. Im grellen Neonlicht des Konferenzraums konnte ich die Frau nicht sehen, und das machte es mir wenigstens ein winziges bisschen leichter, so zu tun, als wäre sie gar nicht da.

Was mir definitiv am liebsten gewesen wäre.

»Dein Benehmen ist wirklich ausgesprochen unhöflich«, schimpfte sie.

Ich zog die Heftklammern aus den Blättern und schnippte sie mit scheinbarer Gelassenheit in den Papierkorb. Die Geisterfrau durfte nicht mitbekommen, dass ich es eilig hatte, denn wenn sie merkte, dass ich hier gleich fertig war, würde sie mir unaufgefordert ihre Geschichte aufzwingen, und zwar von Anfang bis Ende. Sorgfältig legte ich die Seiten in den Einzugsschacht und drückte wieder auf den Kopierknopf.

»Du bist auf keinen Fall älter als sechzehn.« Jetzt war die Stimme ganz nah, etwa auf Höhe meiner Schulter. »Also gehörst du zu denen, die uns von Geburt an hören können.«

Vielen Dank für die Info. Als hätte ich eine Erinnerung daran gebraucht, wie das ununterbrochene Gejammer der Geister die tröstlichen, selbst ausgedachten Schlaflieder übertönt hatte, die meine Mutter mir immer vorgesungen hatte, als ich klein war. Tante Gina hatte mir erzählt, dass Mom die klassischen Lieder im Stil von »Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt …« zu verstörend für eine zarte Kinderseele gefunden hatte. Wobei die Angst, womöglich im Schlaf zu sterben, wahrlich nicht das Schlimmste ist, wenn ständig wimmernde und wehklagende tote Menschen um dein Bettchen herumstehen.

Viel schlimmer fand ich, dass diese Lieder meine einzige Erinnerung an Mom waren.

»Jetzt mach schon!«, zischte ich ungeduldig, als der Kopierer nicht anspringen wollte, und musste mich schwer zusammenreißen, um ihm nicht einen Fußtritt zu verpassen.

Die LED-Anzeige begann rot zu blinken. Papierstau.

»Mist!« Ich ballte die Hände zu Fäusten und rammte mir dabei prompt die Spitze des Heftklammerentferners in den Daumen. »Au! Verfluchte Scheiße!« Ich betrachtete den winzigen Blutstropfen und steckte mir den Daumen in den Mund.

»Achte auf deine Ausdrucksweise, Mädchen«, empörte sich die alte Frau neben mir. »Als ich in deinem Alter war, kannten wir solche unschicklichen Wörter noch nicht einmal, und selbst wenn, hätten wir unsere schöne Sprache niemals auf diese Weise verunstaltet …« Blablabla … die Jugend von heute … Blablabla … Medien sind an allem schuld … Blablabla.

Ich riss die Kopiererabdeckung auf, bückte mich, um das zwischen den Walzen eingeklemmte Blatt Papier herauszuziehen, und summte dabei einen meiner Lieblingssongs von den Keeley Brothers vor mich hin, damit ich mir das wütende Gekeife des Geists nicht anhören musste.

»Sie sind mit einem Messer auf mich los«, sagte sie plötzlich leise.

Ich hörte auf zu summen und stieß einen so tiefen Seufzer aus, dass es mir die dunklen Ponyfransen aus der Stirn wehte. Manchmal war es einfach unmöglich, sie zu ignorieren.

Ich richtete mich auf und knallte die Klappe am Kopierer zu. »Okay, ich höre Ihnen zu. Aber nur unter einer Bedingung: Ich will Sie dabei sehen.«

»Auf gar keinen Fall«, schnaufte sie.

»Falsche Antwort.« Ich umrundete den Konferenztisch und ging auf die Lichtschalter neben der Tür zu.

»Bitte nicht! Was die mir angetan haben, ist … Das möchtest du nicht sehen, glaub mir.«

»Gut, dann eben gar nicht.« Ich knipste das Licht aus und wollte gerade den Obsidian-Blocker einschalten, als die Geisterfrau wie ein violetter Blitz auf mich zuschoss.

»Nicht!« Sie blieb wenige Zentimeter vor mir stehen und stieß einen schrillen Schrei aus, der meine Ohren zum Klingeln brachte.

Falls sie geglaubt hatte, ich würde zurückzucken, täuschte sie sich. Ich verschränkte die Arme, dann hob ich die Hand und legte sehr langsam und sehr entschlossen den Zeigefinger auf den Schalter.

»Ich warne dich«, kreischte sie mit sich überschlagender Stimme, um mir Angst einzujagen. »Mach sofort das Licht wieder an.«

»Sie haben gesagt, Sie wollen mit mir reden. Ich spreche aber nicht mit Geistern, die ich nicht sehe.« Mein Zeigefinger lag immer noch auf dem Schalter des Blockers. »Unangenehmes Gefühl, so in die Ecke gedrängt zu werden, was? Genau so fühle ich mich Tag für Tag, wenn Geister wie Sie mich zwingen, mir ihre Geschichten anzuhören.«

»Wie kannst du es wagen?« Die Frau schlug mir mit gekrümmten Fingern quer übers Gesicht. Ihre Hand fuhr durch meinen Kopf hindurch, ohne dass ich auch nur einen Lufthauch verspürt hätte. »Nach allem, was ich durchgemacht habe. Sieh mich doch nur an!«

Ich versuchte es, aber sie zitterte vor Empörung so sehr, dass die violetten Konturen ihres Körpers zu einem einzigen Durcheinander heller Linien verschwammen. Es war ein bisschen so, wie wenn ich ohne Kontaktlinsen fernschaute.

»Mal abgesehen von Ihren Schuhen, die etwas schicker sein könnten, sehen Sie ganz okay aus«, sagte ich achselzuckend.

Die Geisterfrau blickte an sich herab und zog überrascht die Brauen hoch. Sie hatte ihre blassvioletten Haare, die zu Lebzeiten wahrscheinlich grau gewesen waren, zu einem Knoten hochgesteckt, trug ein elegantes Kostüm mit Schluppenbluse und dazu Pumps mit niedrigen Absätzen. Die Frau sah aus wie all die anderen alten Bonzenzicken, die in den Villen hier im noblen Vorort Roland Park residierten und sich mit Golf und Cocktails im Country Club die Zeit vertrieben. Vermutlich betrachtete sie ihr eigenes Ableben als absolut skandalös.

»Ich konnte mich bis jetzt nicht sehen«, sagte sie erstaunt, »und hatte angenommen, ich wäre …« Sie strich sich über den Bauch.

»Was? Dicker?«

»Aufgeschlitzt worden …«

»Oh.« Plötzlich schämte ich mich. »Sie sind ermordet worden?« Die Geister alter Menschen waren normalerweise an Herzinfarkten oder Schlaganfällen gestorben. Aber das erklärte natürlich, warum sie so aufgebracht war.

Sie warf mir einen bösen Blick zu. »Selbstmord war es jedenfalls ganz bestimmt nicht.«

»Ich weiß«, sagte ich sanft und beschloss, geduldiger mit ihr zu sein. Obwohl sich die Regierung seit dem Shift immer wieder darum bemühte, die Bevölkerung in groß angelegten Kampagnen über das zu informieren, was sie nach ihrem Tod möglicherweise erwartet, gab es genug arme Seelen, die es immer noch völlig unvorbereitet traf. »Wenn Sie sich umgebracht hätten, wären Sie jetzt kein Geist, weil Sie vorher gewusst hätten, dass Sie sterben«, klärte ich sie auf. »Und von den Stichwunden ist deshalb nichts zu sehen, weil Ihr Geist im letzten glücklichen Moment Ihres Lebens materialisiert wurde.«

Um die Mundwinkel der alten Frau spielte die Andeutung eines Lächelns, während sie ihr Kostüm in Form zupfte. Vielleicht dachte sie an den Tag zurück, an dem sie es getragen hatte. Doch dann hob sie plötzlich ruckartig den Kopf und sah mich mit verzweifeltem Blick an. »Aber warum?«

»Woher soll ich das wissen?«, stöhnte ich. »Ich habe keine Ahnung, warum wir Sie überhaupt sehen können. Das weiß niemand, okay?«

»Nicht in diesem Ton, junges Fräulein!« Sie hob streng einen violetten Zeigefinger. »Als ich in deinem Alter war …«

»Als Sie in meinem Alter waren, hatte der Shift noch nicht stattgefunden. Sie sollten froh sein, dass Sie überhaupt jemand hören kann.«

»Ich wäre noch froher, wenn ich nicht …« Die Worte tot wäre brachte sie offensichtlich nicht über die Lippen. Sie holte tief Luft. »Ich brauche jemanden, der das in Ordnung bringt.«

»Verstehe. Sie wollen also Anklage erheben?« Solche von Geistern angestrengte Mordprozesse waren das Spezialgebiet von Tante Gina, die nicht nur die Schwester meiner Mutter und mein gesetzlicher Vormund war, sondern auch eine leidenschaftliche Rechtsanwältin. Sie glaubte fest an das Konzept des »Inneren Friedens durch Gerechtigkeit« und war davon überzeugt, dass ein ordentliches Gerichtsverfahren den Geistern half, in die nächste Sphäre überzuwechseln – wo auch immer sich die befinden mochte. Im Himmel vielleicht. Auf jeden Fall an einem Ort, der schöner war als Baltimore, Maryland.

Leider konnte meine Tante – genau wie alle anderen vor dem Shift geborenen Menschen, also alle, die älter als sechzehn Jahre und neun Monate waren – die Geister weder hören noch sehen. Und wer musste dolmetschen, wenn die Anwaltskanzlei, für die Tante Gina tätig war, solch einen Fall bearbeitete? Richtig – ich. Und das alles im Rahmen meines mickrig bezahlten Jobs als Bürohilfe neben der Schule. Cool, was?

»Mein Name ist Hazel Cavendish«, informierte mich die Frau, »und ich gehöre seit Jahrzehnten zu den treuesten Mandantinnen dieser Kanzlei.«

Aha, das erklärte, warum sie hier war. Geister konnten nur an solchen Orten erscheinen, an denen sie schon zu Lebzeiten mindestens einmal gewesen waren. Niemand wusste, warum das so war, aber es erleichterte Post-Shiftern wie mir das Leben erheblich.

»Ich wurde heute Morgen vor meinem Haus ermordet«, fuhr die einstige Hazel ohne Umschweife fort. »Die genaue Adresse lautet …«

»Können Sie Montag wiederkommen?«, unterbrach ich sie und warf in dem violetten Schein, der von ihr ausging, einen Blick auf meine Armbanduhr. »Ich muss jetzt nämlich leider gleich weg.«

»Aber heute ist erst Donnerstag. Ich kann unmöglich bis Montag warten, ich muss jetzt sofort mit jemandem sprechen.« Sie nestelte an ihrer zweireihigen Perlenkette. »Bitte … Aura.«

Ich wich erschrocken zurück. »Woher wissen Sie, wie ich heiße?«

»Deine Tante hat oft von dir erzählt und mir auch ein Foto von dir gezeigt. Wenn man deinen Namen einmal gehört hat, vergisst man ihn nicht.« Sie kam mit unhörbaren Schritten auf mich zu. »Es ist ein sehr schöner Name.«

Mir wurde schwindelig.

Oh-oh.

Wenn eine nach dem Shift Geborene wie ich in Gegenwart eines Geistes Schwindelgefühle verspürte, war das in der Regel ein ernstes Alarmsignal dafür, dass er im Begriff war, zu einem Schatten zu mutieren. Das passierte immer dann, wenn Geister es zuließen, dass das Gefühl der Verbitterung in ihnen überhandnahm. Diese Verwandlung hatte durchaus Vorteile für sie – Schatten waren in der Lage, sich an jeden Ort dieser Welt zu bewegen. Allerdings hatte sie auch einen gravierenden Nachteil: Sie waren für immer im Diesseits gefangen. Nach gegenwärtigem Wissensstand war es ihnen im Gegensatz zu Geistern nicht mehr möglich, jemals inneren Frieden zu finden und dadurch in eine andere Sphäre überzuwechseln. Und da sie jeden zufällig in ihrer Nähe stehenden Post-Shifter erheblich schwächen konnten, war es besser, unverzüglich Schutzmaßnahmen einzuleiten, sobald man einem Schatten begegnete.

»Ich muss wirklich los«, flüsterte ich, als wäre es für die einstige Hazel leichter zu akzeptieren, wenn ich es leise sagte. »Zeit spielt doch keine Rolle und es sind schließlich nur ein paar Tage.«

»Zeit spielt immer eine Rolle.«

»Für Sie nicht«, widersprach ich sanft, aber mit Nachdruck. »Jetzt nicht mehr.«

Sie kam mir so nahe, dass ich jedes noch so winzige Fältchen in ihrem violett schimmernden Gesicht erkennen konnte.

»Du hast den wissenden und leicht erschöpften Blick eines Menschen, der schon sehr viel in seinem Leben gesehen hat«, zischte sie. »Aber du hast längst nicht alles gesehen. Du hast keine Ahnung, wie sich das hier anfühlt.« Sie legte ihre Hand, die ich nicht spüren konnte, an die Stelle, an der mein Herz schlug. »Eines Tages wirst auch du etwas Kostbares verlieren, und dann wirst du begreifen, wovon ich spreche.«

Als ich eine Stunde später zu meinem Wagen rannte, brannten meine Füße, die ich mir in den engen, hohen Schuhen wund gelaufen hatte. Leider blieb keine Zeit, noch schnell einen Abstecher zu Hause einzulegen und mich umzuziehen, bevor ich zu Logan fuhr. Ich ärgerte mich darüber, keine bequemen Klamotten zum Wechseln mitgenommen zu haben, aber woher hätte ich auch ahnen sollen, dass Gina einen neuen Fall annehmen würde? Natürlich hatte ich mich letztendlich doch breitschlagen lassen, für die alte Dame zu dolmetschen, damit sie meiner Tante die Geschichte ihres gewaltsamen Todes erzählen konnte. Sie war so aufgewühlt gewesen, dass ich Angst vor dem gehabt hatte, was möglicherweise passiert wäre, wenn ich mich nicht sofort um sie gekümmert hätte. Schattenmutationen waren zwar relativ selten – vor allem bei »frischen« Geistern wie Hazel –, aber ich hatte lieber kein Risiko eingehen wollen.

Obwohl die Sonne erst in einer Stunde untergehen würde, waren in den dämmrigen Schatten, die dicht belaubte Bäume entlang der Straße warfen, bereits Geister sichtbar. Ein paar von ihnen lungerten vor der Kindertagesstättegegenüber des Parkplatzes herum. Die Little Creatures Kiddie Care verfügte wie die meisten Gebäude in Roland Park über einen Obsidian-Komplettblocker, was bedeutet, dass sämtliche Außenwände mit einer dünnen Schicht aus elektrisch geladenem Obsidian verkleidet waren. Mit dieser Methode wurden Geister auch aus anderen Räumen oder Örtlichkeiten gebannt, in denen sie unerwünscht waren, Toiletten und Waschräumen zum Beispiel oder militärischen Anlagen. Ich hätte auch gern in einem komplett versiegelten Haus gewohnt.

Bevor ich weiter Richtung Speedway fuhr, hielt ich vor einem Imbiss und besorgte mir noch schnell einen großen Coke-Slush. Kaum hatte ich durch den Strohhalm den ersten Schluck genommen, ließ das höllisch kalte zerstoßene Eis mir sofort die Stirn pochen. Normalerweise löffelte ich meine Coke-Slushs langsam und genüsslich aus, aber nach der Begegnung mit Hazel benötigte ich dringend die konzentrierte Dosis Zucker und Koffein, die nur in der am Boden des Bechers schwimmenden Sirup-Mischung enthalten war.

Die langen Schatten der Bäume tauchten die Allee in ein dämmeriges Halbdunkel, und ich hielt meinen Blick starr auf die Fahrbahnmitte gerichtet, um die auf dem Gehsteig herumirrenden Geister auszublenden.

Besonders viel brachte es mir nicht. An der letzten Kreuzung vor der Schnellstraße winkte ein kleiner violetter Junge vom Rücksitz des vor mir fahrenden Wagens und rief mir irgendetwas zu, das ich durch die Scheiben nicht verstehen konnte. Neben ihm saß ein älteres Mädchen, das sich die Ohren zuhielt und so heftig den Kopf schüttelte, dass ihr blonder Pferdeschwanz hin- und herpeitschte. Die Eltern unterhielten sich vorne scheinbar ungerührt weiter – entweder, weil sie tatsächlich nicht mitbekamen, was auf dem Rücksitz passierte, oder weil sie wie viele Erwachsene nicht wussten, wie sie darauf reagieren sollten. Das Beste wäre, sie würden sich ein neues Auto kaufen, dachte ich mitfühlend, solange die Kleine noch keinen bleibenden Schaden davongetragen hat.

Als ich in die Auffahrt zur Schnellstraße bog und einen Moment später im goldenen Licht der Nachmittagssonne weiterfuhr, seufzte ich erleichtert auf.

Nachdem ich mir nun schon seit fast siebzehn Jahren ständig Erzählungen von grauenhaften Morden und entsetzlichen Unfällen anhören musste, sollte man meinen, dass mich das abgehärtet hätte. Dass mich die Geschichten der Geister irgendwann nur noch genervt hätten, statt mich traurig zu machen.

Und genau so war es auch. Meistens jedenfalls. Als ich fünf wurde, hörte ich auf, zu weinen und Albträume zu haben, und ließ nicht mehr die ganze Nacht meine Nachttischlampe brennen, um ihre Gesichter nicht sehen zu müssen. Ich redete auch nicht mehr ständig über das, was ich sah und hörte, weil man uns mittlerweile glaubte. Fünfhundert Millionen Kleinkinder konnten schließlich nicht alle lügen.

Aber ich hatte niemals aufgehört, mich zu erinnern. Die Geschichten der Geister waren in meinem Gehirn gespeichert wie auf einer Festplatte. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass ich so viele von ihnen bei Gericht im Zeugenstand hatte wiedergeben müssen.

Da Geister nicht fähig waren zu lügen, eigneten sie sich perfekt als Zeugen. Allerdings galt die Aussage eines Geists nur dann als rechtskräftig, wenn zwei Post-Shift-Geborene sie unabhängig voneinander bestätigten. Im Jahr zuvor hatte ich zusammen mit einer verschüchterten Neuntklässlerin für die Opfer eines psychopathischen Serienmörders gedolmetscht (ich sage nur: Tomcat – der Killer, der gern mit seinem »Essen« spielte. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere ja daran).

Tja, willkommen in meinem Leben. Und das ist noch lange nicht alles.

Es war schon zwanzig vor fünf, als ich endlich vor dem Haus der Keeleys in Hunt Valley parkte, wo noch vor ein paar Jahren nichts als Weideland gewesen war. Für mich war es immer die reinste Erholung dort, weil sich in den Neubausiedlungen viel weniger Geister herumtrieben als in der Stadt. Bei Logan zu Hause war mir jedenfalls noch keiner über den Weg gelaufen.

Bevor ich ausstieg, warf ich einen prüfenden Blick in den Rückspiegel und stöhnte. Ich sah wie eine total verklemmte Bürotusse aus. Hastig kramte ich in meiner Tasche nach den Spängchen mit den Totenköpfen und gekreuzten Knochen, die ich mir vor ein paar Tagen gekauft hatte, und schob sie mir so in die Haare, dass sie kreuz und quer nach allen Richtungen abstanden.

Stirnrunzelnd begutachtete ich das Ergebnis. Jetzt sah ich aus wie eine Sekretärin, die krampfhaft einen auf Punkgirl macht. Ich zog eine Grimasse und beugte mich noch ein Stück näher zum Spiegel vor.

Hatte ich tatsächlich einen erschöpften Blick? Ich leckte an meinem Zeigefinger und rieb prüfend über die Haut, um zu sehen, ob vielleicht nur die Wimperntusche verschmiert war. Nein, die grauen Schatten unter meinen Augen kamen eindeutig daher, dass ich zu wenig geschlafen und zu viel darüber nachgegrübelt hatte, was ich gleich zu Logan sagen sollte.

Als ich den gepflasterten Weg zum Haus hinaufging, hörte ich durch das geöffnete Kellerfenster Gitarrenakkorde.

Verdammt, zu spät! Wenn Logan erst einmal seine Gitarre in der Hand hatte, vergaß er alles um sich herum, einschließlich mir – seiner Freundin. Dabei musste ich wirklich dringend mit ihm reden.

Ich trat ohne zu klingeln ins Haus, wie ich es schon als Sechsjährige getan hatte, als die Keeleys noch bei uns um die Ecke in einem Reihenhaus wohnten, das exakt so geschnitten gewesen war wie unseres. Ihre Tür stand immer offen.

»Hey, Aura«, begrüßte mich Logans fünfzehnjähriger Bruder Dylan, der wie üblich im Wohnzimmer barfuß vor dem Fernseher lag, als ich auf meinem Weg zum Keller an ihm vorbeikam. Er schaute kurz von seinem Ballerspiel auf und zog die Augenbrauen hoch, als er den Riesenbecher Coke-Slush in meiner Hand bemerkte. »So schlimm?«

»Alte Frau. Ist bei einem Raubüberfall erstochen worden. Semi-Schatten.«

»Ach du Scheiße.« Dylan richtete den Blick wieder auf den Fernseher und nickte im Rhythmus der Gitarren des Metal-Soundtracks, der aus den Boxen dröhnte. »Energydrinks wirken übrigens noch besser.«

»Ich schätze, da hat wohl jeder sein eigenes Heilmittel.«

»Kann sein«, murmelte Dylan und heulte dann plötzlich auf. »Hey! Wa…? Neeeeiiiiiin! Was soll die Scheiße? Ich mach dich platt, du verdammtes Arschloch!« Er warf sich rücklings gegen die Couch und rüttelte so heftig am Joystick, dass er ihn fast abgebrochen hätte. Als sein Avatar von einem Flammenwerfer in ein Häufchen Asche verwandelt wurde, kommentierte er das mit einer Flut noch derberer Beschimpfungen, von denen seine Eltern wahrscheinlich nicht einmal ahnten, dass er sie überhaupt kannte.

Ich wusste, dass Mr and Mrs Keeley vorgehabt hatten, an diesem Tag in ihre lang geplanten zweiten Flitterwochen auf einem Karibik-Kreuzfahrtdampfer aufzubrechen. Offensichtlich waren sie schon abgereist, sonst hätte Dylan es niemals gewagt, zu Hause so zu fluchen.

Obwohl mir laute Gitarrenmusik entgegendröhnte, als ich die Kellertür aufzog, schlüpfte ich vorsichtshalber aus meinen Pumps, um möglichst geräuschlos nach unten zu gehen.

Auf der Hälfte der Treppe beugte ich mich über das Geländer und spähte hinunter. Logan stand mit dem Rücken zu mir und stimmte gerade seine brandneue Fender Stratocaster, während sein Bruder Mickey ein Solo spielte. Logan hatte das T-Shirt an, das ich ihm vor Kurzem bei einem Ausflug nach Ocean City gekauft hatte.

Gerade neigte er leicht den Kopf nach unten, um auf das Griffbrett seines Instruments zu schauen. Er sah hochkonzentriert aus und gleichzeitig lag ein seliges Lächeln auf seinem Gesicht. Logan hätte auch irgendwo in einem verdreckten Abwasserkanal ohne Publikum nur für sich allein Gitarre spielen können und wäre in dem Moment der glücklichste Mensch der Welt gewesen.

Er und Mickey waren in jeder Beziehung wie Yin und Yang – nicht nur äußerlich. Logan hatte blond gebleichte, stachelig hochgegelte Haare mit schwarzen Strähnchen, die von Mickey waren schwarz gefärbt und blond gesträhnt. Logan war Rechtshänder und spielte auf einer nachtschwarzen Gitarre, sein Bruder war Linkshänder und hatte ein schneeweißes Instrument. Ihre einzige Ähnlichkeit bestand darin, dass beide groß und schlank waren, weshalb sie oft für Zwillinge gehalten wurden, obwohl Mickey schon achtzehn und Logan erst siebzehn war (minus einen Tag).

Siobhan — die tatsächlich Mickeys Zwillingsschwester war – saß, die Fiedel neben sich, im Schneidersitz auf dem Teppich vor ihnen und teilte sich mit ihrem Freund Conner, dem Bassisten der Band, eine Zigarette.

Meine beste Freundin Megan McConnell hockte mit angezogenen Knien daneben und wickelte sich versonnen eine Strähne ihrer langen tizianroten Haare um den Zeigefinger, während sie zu Mickey aufschaute.

Der Einzige, der in meine Richtung sah, war Brian am Schlagzeug, der sich prompt verspielte, als er mich entdeckte. Ich zuckte zusammen. Brian ging auf dieselbe Schule wie Megan und ich und war ein ziemlich begnadeter Drummer, aber so unkonzentriert, dass er sich schon von einer durch die Luft tanzenden Staubfluse aus dem Takt bringen ließ.

Mickey und Logan hörten abrupt auf zu spielen, worauf Brian sich verlegen das verkehrt herum auf seinem Kopf sitzende weiße Basecap in den Nacken schob.

»Jesus«, stöhnte Mickey. »Ist es etwa zu viel verlangt, um einen simplen Backbeat zu bitten?«

»Sorry.« Brian wirbelte seine beiden Sticks zwischen den Fingern und deutete dann damit zur Treppe. »Wir haben Besuch bekommen.«

Logan drehte sich um. Eigentlich hatte ich befürchtet, dass er mich nach unserem letzten, ziemlich heftigen Streit nicht gerade mit offenen Armen empfangen würde, aber er strahlte mich an, als wäre nichts gewesen.

»Hey, Baby!« Er zog sich den Gurt über den Kopf, lehnte die Gitarre an den Verstärker und kam zur Treppe gelaufen. »Rate, was passiert ist!«, rief er, fasste mich um die Taille und wirbelte mich durch die Luft. »Das glaubst du nie!«

»Dir glaub ich alles!« Ich schlang ihm die Arme um den Hals und lachte erleichtert, weil er mir offensichtlich nichts nachtrug. »Los, erzähl – was ist passiert?«

»Sekunde.« Logan ließ mich zu Boden gleiten und betrachtete mich stirnrunzelnd. »Warum hast du dich verkleidet?«

»Idiot!« Ich stieß ihn in die Rippen. »Ich komme direkt von der Arbeit und hatte keine Zeit, mich umzuziehen. Also sag schon. Was werde ich nie glauben?«

»Moment.« Logan drehte sich zu seiner Schwester um. »Schnell, hol ihr was von dir zum Anziehen. Das ist ein echter Fashion-Notfall!«

»Du hast die Wahl, kleiner Bruder«, entgegnete Siobhan lässig. »Entweder du sagst schön ›bitte‹ oder du kannst mich mal kreuzweise …«

»Nein danke!« Logan hob abwehrend die Hände. »Das überlasse ich dann doch lieber Connor.«

»Hahaha.« Siobhan verdrehte die Augen.

»Bitte, Siobhan«, flehte Logan mit herzerweichendem Welpenblick.

Seufzend reichte seine Schwester ihrem Freund die Zigarette und stand auf. Als sie an mir vorbeiging, raunte sie mir zu: »Der Typ hält sich jetzt schon für den neuen Folkpunk-Superstar, bloß weil sich für morgen irgendwelche Labelbosse angekündigt haben.«

Mir wurde einen Moment schwindelig. Dass die Keeley Brothers von einer Plattenfirma unter Vertrag genommen werden würden, war Logans sehnlichster Wunsch und zugleich meine insgeheim größte Angst. »Ist das wahr?«, fragte ich ihn.

»Danke, dass du mir den Überraschungseffekt versaut hast, blöde Kuh!«, rief er Siobhan hinterher, die kichernd nach oben flüchtete.

»Hey.« Ich zupfte an seinem neongrünen T-Shirt. »Was sind das für Typen, die zum Konzert kommen?«

Logan grinste. Er packte mich an den Schultern und sah mich mit seinen ozeanblauen Augen durchdringend an. »Wir sind von den A&R-Managern zweier Plattenfirmen angerufen worden, die sich morgen unseren Gig anschauen wollen. Einer ist von einem ziemlich coolem Indie-Label, Lianhan Records …«

»Wenn die uns unter Vertrag nehmen würden, wäre das der Hammer«, ergänzte Mickey.

»… der andere kommt von Warrant.«

Mir blieb die Spucke weg. »Warrant? Wow. Das sagt ja sogar mir was.«

»Klar, das ist ja auch ein Sublabel von einem der ganz, ganz großen Majors.« Logan sah mich so verzückt an, als hätte der liebe Gott ihm einen Backstagepass für den Rock’n’Roll-Himmel versprochen.

»Aber bei denen wollen wir auf gar keinen Fall unterschreiben«, rief Mickey. »Wir haben sie nur eingeladen, damit die Jungs von Lianhan Records mitkriegen, dass es noch mehr Interessenten gibt.«

Logan zog mich aus dem Blickfeld der anderen in den hinteren Teil des Kellers. »Das ist er vielleicht, Baby«, flüsterte er. »Der Durchbruch, von dem wir immer geträumt haben. Oh Mann, das wäre das geilste Geburtstagsgeschenk, das ich mir vorstellen kann.«

Ich holte tief Luft und nahm all meinen Mut zusammen.

»Hoffentlich kannst du dich dann auch noch über die anderen Geschenke freuen.«

»Du meinst die Strat von meinen Eltern? Klar kann ich, was denkst du denn?«

»Eigentlich meinte ich etwas anderes.« Ich umarmte ihn, schob beide Hände unter sein T-Shirt und strich über seinen muskulösen Rücken.

»Du meinst …?« Seine Augen wurden groß und das kleine silberne Piercing in seiner rechten Braue glitzerte im Licht der Deckenlampe. »Heißt das, du willst …?«

»Mhmmhm.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Ja. Ja, ich will.«

Logan legte den Kopf schräg und sah mich prüfend an. »Du weißt, dass du das schon öfter gesagt hast …«

»Ich weiß, dass ich schon öfter so einiges gesagt habe. Und manches davon war ziemlich bescheuert.«

»Stimmt«, sagte Logan, lächelte dabei aber liebevoll. »Ich hoffe nur, du weißt auch, dass das für mich niemals ein Grund wäre, mit dir Schluss zu machen.«

»Ja, ich weiß. Es tut mir leid.«

»Mir auch.« Er zeichnete mit den Daumen so zärtlich die Kontur meines Gesichts nach, dass ich eine Gänsehaut bekam. »Ich liebe dich, Aura.« Und dann beugte er sich vor und löste all meine Zweifel und Ängste in einem warmen, weichen Kuss auf.

»Achtung!«, rief Siobhan von oben, und im nächsten Moment regnete es Klamotten auf uns herab. »Oh, sorry.« Sie tat zerknirscht, als sie die Treppe herunterkam. »War keine Absicht.«

Ich zog Logan die Jeans vom Kopf und hielt sie in die Höhe. »Vielen Dank, Siobhan.«

»Sagt mal, was treibt ihr da hinten eigentlich?«, rief Mickey ungeduldig. »Kann’s vielleicht mal langsam weitergehen?«

Logan beachtete seinen Bruder nicht und sah mir tief in die Augen. »Okay, dann … Vielleicht hast du ja Lust, morgen nach der Party hier zu übernachten. Aber nur, wenn du dir wirklich ganz sicher bist«, fügte er hastig hinzu. »Wir können gern auch noch warten …«

»Nein.« Meine Stimme war so belegt, dass nur ein heiseres Flüstern herauskam. »Ich will nicht mehr warten.«

Logan lächelte, dann wurde er plötzlich ernst. »Scheiße, ich muss vorher dringend die Müllberge in meinem Zimmer wegräumen. Da ist kein Durchkommen mehr.«

»Ich bin bereit, drüberzuklettern.«

»Nein. Ich will, dass alles perfekt ist.«

»Hey, Logan!«, rief Mickey noch etwas lauter. »Welchen Teil von Kann’s mal langsam weitergehen hast du nicht verstanden?«

Logan zog eine Grimasse. »Wir wollen die Setlist noch mal überarbeiten. Weniger Cover und mehr eigene Sachen. Kann gut sein, dass es heute richtig spät wird.« Er gab mir noch einen Kuss, der zwar kurz war, aber dafür umso verheißungsvoller. »Bleib so lang du willst, Baby. Aber falls es dir zu langweilig wird, uns zuzuhören, bin ich auch nicht sauer, wenn du gehst.«

Kurz nachdem er zur Band zurückgekehrt war und ich mich gerade daran gemacht hatte, mich umzuziehen, schlüpfte Megan um die Ecke.

»Habt ihr euch wieder vertragen?«, flüsterte sie aufgeregt.

»Ja.« Ich setzte mich auf eine alte Couch, die in der Ecke stand, und streifte meine Nylonstrumpfhose ab. »Und … Ich habe ihm gesagt, dass ich mit ihm schlafen will.«

Megan ließ sich neben mich plumpsen, legte einen Arm auf die Rückenlehne und sah mich ernst an. »Aber das hast du nicht gesagt, weil du Angst hast, dass er sonst mit dir Schluss machen könnte, oder?«

»Nein, ich will es wirklich. Außerdem ist es besser, wenn wir es endlich hinter uns bringen.«

»Aura …«

»Du weißt doch, wie das auf den Konzerten abläuft«, flüsterte ich. »Die Mädels stehen Schlange. Die würden wahrscheinlich sogar noch Geld dafür zahlen, um mit Mickey oder Logan in die Kiste springen zu dürfen … oder sogar mit Brian und Connor.«

»Du hast ja recht, aber die Jungs würden sich niemals darauf einlassen. Na ja, Brian vielleicht schon, aber der ist auch der Einzige, der keine Freundin hat. Mickey hat mich und Logan hat dich.«

»Na und?« Ich stand auf, zog die Jeans an und knöpfte sie zu. »Es gibt genug Musiker, die Freundinnen haben oder sogar verheiratet sind und trotzdem mit Groupies ins Bett gehen. Das gehört für die quasi zum Job.«

»Ich finde Ihren Mangel an Vertrauen beklagenswert«, schnarrte Megan mit Darth-Vader-Stimme, und ich musste lachen, obwohl mir eigentlich gar nicht danach zumute war.

»Was soll ich denn morgen anziehen?«, wechselte ich das Thema, während ich mich aus meiner weißen Bluse schälte.

»Irgendwas, in dem du dich wohlfühlst. Logan mag dich so, wie du bist.« Megan deutete stirnrunzelnd auf meinen hautfarbenen BH. »Aber für drunter solltest du dir vielleicht lieber was anderes zulegen.«

»Danke für den Tipp, aber wo bleibt dein Vertrauen in mich?«, gab ich grinsend zurück und streifte mir das Distillers-T-Shirt über den Kopf, das Siobhan mir rausgesucht hatte. Meine Freundin wusste nicht, dass ich schon vor Wochen heimlich bei Victoria’s Secret in Owings Mills shoppen gewesen war, wo kaum Gefahr bestand, irgendwelchen geschwätzigen Mitschülern über den Weg zu laufen. Der schwarze Spitzen-BH und das dazu passende Höschen lagen allerdings immer noch originalverpackt im hintersten Winkel meiner Wäscheschublade.

»Du brauchst übrigens keine Angst davor zu haben«, sagte Megan. »Auch wenn es das erste Mal ist, kann es richtig schön werden … Hauptsache, ihr lasst euch Zeit.«

»Ist klar«, antwortete ich einsilbig, weil das definitiv kein Thema war, über das ich mich hier und jetzt mit ihr unterhalten wollte.

Zum Glück schlug Brian in dem Moment seine Sticks aneinander, um den Takt vorzugeben, und die ersten Akkorde von The Day I Sailed Away – einem der Songs, die die Band selbst geschrieben hatte – erfüllten den Keller.

Die Keeley Brothers spielten irischen Folk mit einer kräftigen Prise amerikanischem Skate-Punk und hofften, eines Tages als die nächsten Pogues oder Flogging Mollys berühmt zu werden.

Sobald Logan zu singen begann, bekam ich – wie jedes Mal, wenn ich ihn hörte –, eine Gänsehaut. Megans Gesicht war abzulesen, dass es ihr nicht anders ging. Mit dieser Stimme hatten die Keeley Brothers es gar nicht nötig, in die Fußstapfen irgendwelcher Vorbilder zu treten, sondern konnten als eigenständige Musiker Furore machen.

Und jetzt gab es gleich zwei Plattenfirmen, die Interesse an der Band angemeldet hatten. Ich schloss die Augen, ignorierte das bleierne Gefühl in meinem Magen und überließ mich ganz dem Sound, den Megan und ich bald mit dem Rest der Welt würden teilen müssen.

Ich wusste genau, dass ab dem nächsten Tag alles anders sein würde. Es war, als würde ich mich auf einem Zeitstrahl befinden, der sich einmal um sich selbst geschlungen hatte, und könnte mich an etwas erinnern, das in der Zukunft lag.

In einer Zukunft, die mir jetzt schon Angst machte.

Zweites Kapitel

»Hey. Da hinten ist ein Neuer.«

Megan zeigte quer über den Schulhof auf die violett schimmernden Umrisse eines großen schlanken jungen Mannes. Normalerweise wäre er um diese Uhrzeit gar nicht zu sehen gewesen, aber der Himmel war so bedeckt, dass schon dämmerige Abendstimmung herrschte.

Der Geist ging langsam um das Becken des Springbrunnens herum und blieb alle paar Schritte stehen, um ins Wasser zu spähen.

»Nein, der ist nicht neu. Das ist Jared«, klärte ich Megan auf. »Er hat vor neun Jahren seinen Abschluss hier an der Ridgewood High gemacht und ist im Krieg getötet worden.«

»Wonach sucht er im Springbrunnen?«

»Geh doch hin und frag ihn.«

Sie schüttelte sich. »Ganz bestimmt nicht.«

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