Aus Liebe zu den Pflanzen - Stefano Mancuso - E-Book

Aus Liebe zu den Pflanzen E-Book

Stefano Mancuso

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Beschreibung

Ein neuer Blick für die Natur, leidenschaftliche Aufmerksamkeit und Forschergeist können unsere Vorstellung von der Welt verändern. Der Biologe Stefano Mancuso lässt in seinem neuen Buch Botaniker, Genetiker und Philosophen, aber auch Landwirte und schlichte Liebhaber aus fünf Jahrhunderten Revue passieren, denen aus inbrünstiger Beschäftigung mit der Welt der Pflanzen entscheidende Entdeckungen gelangen. Da ist George Washington Carver, der als erster Schwarzer an einer Universität studiert und die Amerikaner von der Essbarkeit der Erdnuss überzeugt. Oder Nikolai Wawilow, der Russland durch eine gigantische Samenbank Nahrungssicherheit schenken will – und selbst in einem Gefängnis Stalins verhungert. Darwin entwickelt eine »Theorie zum Wurzelgehirn«; Leonardo da Vinci studiert, wie Blätter Sonnenlicht einfangen; Goethe ist, auf der Suche nach der Urpflanze, dem einheitlichen Organisationsplan des Lebens auf der Spur. Wahre »Amateure« sind sie alle, die als »liebende Forscher« einen neuen Blick wagten und damit zu Pionieren wurden. Mancusos inspirierende Anthologie der Begeisterung und zugleich selbst ein überzeugendes Plädoyer dafür, die Naturforschung aus den Händen der Molekularbiologen zu erretten.

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Zum Buch

In diesem Buch stellt Stefano Mancuso Entdecker vor, die sich den Pflanzen mit Leidenschaft gewidmet haben – eine inspirierende Anthologie, ein Geschenk für jeden Naturliebhaber.

Ein neuer Blick für die Natur, leidenschaftliche Aufmerksamkeit und Forschergeist können unsere Vorstellung von der Welt verändern. Der Biologe Stefano Mancuso lässt in seinem neuen Buch Botaniker, Genetiker und Philosophen, aber auch Landwirte und schlichte Liebhaber aus fünf Jahrhunderten Revue passieren, denen aus inbrünstiger Beschäftigung mit der Welt der Pflanzen entscheidende Entdeckungen gelangen.

Da ist George Washington Carver, der als erster Schwarzer an einer Universität studiert und die Amerikaner von der Essbarkeit der Erdnuss überzeugt. Oder Nikolai Wawilow, der Russland durch eine gigantische Samenbank Nahrungssicherheit schenken will – und selbst in einem Gefängnis Stalins verhungert. Darwin entwickelt eine »Theorie zum Wurzelgehirn«; Leonardo da Vinci studiert, wie Blätter Sonnenlicht einfangen; Goethe ist, auf der Suche nach der Urpflanze, dem einheitlichen Organisationsplan des Lebens auf der Spur.

Wahre »Amateure« sind sie alle, die als »liebende Forscher« einen neuen Blick wagten und damit zu Pionieren wurden. Mancusos inspirierende Anthologie der Begeisterung ist zugleich selbst ein überzeugendes Plädoyer dafür, die Naturforschung aus den Händen der Molekularbiologen zu erretten.

Über den Autor

Stefano Mancuso, international renommierter Pflanzenforscher, ist Professor an der Universität Florenz und leitet das Laboratorio Internazionale di Neurobiologia Vegetale. In Deutschland wurde er mit seinem Buch Die Intelligenz der Pflanzen (Kunstmann 2015) einem breiten Publikum bekannt. Zuletzt erschien von ihm das Gesprächsbuch Die Wurzeln des guten Geschmacks mit dem Slow-Food-Gründer Carlo Petrini (Kunstmann 2015).

Stefano Mancuso

AUS LIEBE ZUDEN PFLANZEN

Geschichten von Entdeckern,die die Welt veränderten

Aus dem Italienischen vonChristine Ammann

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag Antje Kunstmann

Für meinen Lehrer Franco Scaramuzzi,einen Liebhaber der Pflanzen

Inhalt

Vorwort

  1. Ein Mensch im Tausch für ein Pferd

George Washington Carver und die Erdnuss

  2. Das sowjetische Supergetreide

Nikolai Iwanowitsch Wawilow, der die Russen satt machen wollte und den Hungertod starb

  3. In den Weintrauben liegt die Wahrheit

Ephraim Wales Bull und die Concord-Traube

  4. Das Geheimnis der Phyllotaxis

Leonardo da Vinci und die Botanik

  5. Vom Einfachen zum Komplizierten

Marcello Malpighi, der Begründer der Pflanzenanatomie

  6. Schmetterlinge und andere Familiengeschichten

Die Darwins und die Botanik

  7. Die besondere Beziehung zwischen Pflanzen und Ameisen

Federico Delpino und die Myrmekophilie

  8. Ein Blattstiel, groß wie ein Baumstamm

Odoardo Beccari entdeckt Amorphophallus titanum

  9. Die Vererbung und ihre Regeln

Gregor Johann Mendel: der Abt, der die Genetik begründete

10. Auf der Suche nach der Urpflanze

Johann Wolfgang von Goethe, der letzte Universalgelehrte

11. Die Botanik wird populär

Der Literat und Philosoph Jean-Jacques Rousseau

12. Die Entdeckung des Heuschnupfens

Charles Harrison Blackley, der Mann mit dem Roggen unterm Hut

Anmerkungen

Vorwort

Aus Liebe zu den Pflanzen ist zwar nach meinem Buch Die Intelligenz der Pflanzen entstanden, bildet aber gewissermaßen den Prolog dazu. Denn dass ich Pflanzen heute als komplexe Wesen mit kommunikativen Fähigkeiten, raffinierten Verteidigungsstrategien und sozialen Beziehungen betrachte, verdanke ich zu einem großen Teil den Protagonisten dieses Buchs, Menschen, die die Natur, die Lebewesen und ihre vielfältigen Beziehungen als ein Ganzes begriffen haben. Es fällt uns meiner Meinung nach nämlich auch deshalb so schwer, die Probleme unserer modernen Welt zu lösen, weil uns diese Sicht inzwischen abhandengekommen ist und einer extremen Wissensspezialisierung Platz gemacht hat. Wir werden jedoch nur dann imstande sein, nachhaltig zu produzieren, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und die zahlreichen bedrohten Arten zu schützen, wenn wir lernen, über unseren eigenen Tellerrand hinauszublicken. Vielleicht liegt es daran, dass ich in Florenz, der Wiege des Humanismus, lebe, aber ich denke, wir brauchen heute dringender denn je einen neuen Humanismus, eine neue Allianz des Wissens, die uns eine neue Sicht auf die Rolle erlaubt, die wir auf unserem Planeten spielen.

Die Personen, die im Folgenden die Bühne betreten werden, eint eine seltene, für jedoch Forscher unverzichtbare Fähigkeit: unsere Umwelt und insbesondere die vielen Erscheinungsformen der belebten Welt mit teilnehmender Aufmerksamkeit zu betrachten. Jeder gute Naturforscher sollte sich beharrlich darum bemühen, die Welt mit Respekt und – ich scheue mich nicht vor diesem Wort – mit Liebe zu ergründen. Die Protagonisten der folgenden Lebensgeschichten, so unterschiedlich sie verliefen, besaßen diese Fähigkeit.

Im Lauf der Jahre bin ich über meine Arbeit oder per Zufall auf diese Menschen gestoßen und immer wieder, wenn auch oft nur sporadisch, auf sie zurückgekommen. Sie waren gewissermaßen ständig präsent, ein wenig wie alte Freunde. Manche sind mir sympathisch, andere sind mir wirklich ans Herz gewachsen, doch meine Bewunderung und mein Dank gelten allen. Gemeinsam ist ihnen, dass ihr Wirken auf dem Gebiet der Pflanzen im Allgemeinen wenig bekannt ist. Vermutlich kennt jeder den Schöpfer der Mona Lisa, und viele wissen, dass er ein guter Ingenieur war, aber wer hat je davon gehört, was Leonardo da Vinci auf dem Gebiet der Botanik geleistet hat? Andere Protagonisten meiner Geschichten, wie Washington Carver, sind zwar in ihrem Heimatland sehr bekannt, aber kaum im Ausland. Und manche kennt höchstens eine Handvoll Spezialisten.

Wer der Menschheit so viel gegeben hat, dem steht, so meine ich, auch ein angemessener Platz im allgemeinen Bewusstsein zu. Niemand veröffentlicht ein Foto der Mona Lisa ohne den Namen des Malers, aber bei einem Bild der Titanwurz sagt uns kaum jemand, wer die Pflanze zuerst entdeckt, klassifiziert und in die botanischen Gärten der halben Welt eingeführt hat. Ich bin wahrlich ein großer Kunstliebhaber, aber als Forscher schmerzt es mich immer wieder, dass wissenschaftliche Erkenntnisse weniger Anerkennung finden als künstlerische Leistungen. Die Namen der Wissenschaftler, die mit ihrer unermüdlichen, häufig schlecht bezahlten Arbeit das Wissen der Menschheit gemehrt haben und sich dabei vielfach gegen Widerstände durchsetzen mussten, werden oft schlicht vergessen oder gedankenlos verwechselt.

Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch unklug, denn die Unternehmungen, Ziele und Träume dieser Pioniere der Wissenschaft könnten Anreiz, Motivation und Leitfaden für unser eigenes Leben sein. Ihre Fehlschläge und die Feindschaften, denen sie ausgesetzt waren, weil sie hartnäckig an ihren Ideen festhielten, verraten uns viel über das Leben und die Liebe zur Wissenschaft.

Viele Entdeckungen, über die ich in diesem Buch berichte, haben unsere Welt verändert. Wenn wir die wachsende Weltbevölkerung mit ihrem zunehmenden Energiebedarf in den nächsten Jahrzehnten ernähren wollen, dann brauchen wir die visionäre Kraft, die die Protagonisten dieses Buchs besaßen. Laut Welternährungsorganisation muss die Landwirtschaftsproduktion bis 2050 um siebzig Prozent zunehmen, wenn sie der wachsenden Weltbevölkerung – die dann bei 9,3 Milliarden liegen dürfte – und ihren zu erwartenden veränderten Ernährungs- und Konsumgewohnheiten gerecht werden soll. Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Produktionssteigerung nur gelingen kann, wenn sich unsere Vorstellung von Landwirtschaft grundlegend wandelt und wir auch die Meere als landwirtschaftliche Produktionsstätte nutzen.

Die Forschungsgruppe, die ich an der Universität Florenz leite, hat deshalb gemeinsam mit Pnat, dem Spin-off unserer Universität (www.pnat.net), ein autarkes schwimmendes Gewächshaus entwickelt, das, so unsere Hoffnung, dazu beitragen kann, das Problem des steigenden Nahrungsbedarfs auf unserer Erde zu lösen. Das schwimmende Gewächshaus ist in puncto Boden, Wasser und Energie vollkommen autonom. Anders gesagt: Weil es auf dem Meer schwimmt, benötigt es keine Erde; weil es Meerwasser entsalzen kann, kein Süßwasser; und weil es seinen Strom aus Sonnenlicht und Wellenbewegungen bezieht, kann es sich selbst mit Energie versorgen. Wir konnten die simple Meeresfabrik, in der viel innovative Technologie steckt, auf der Expo 2015 präsentieren, deren Hauptmotto ja lautete: »Den Planeten ernähren«.

Ist das nun Fantasterei? Ich glaube nicht, eher eine veränderte Einstellung oder, wenn man so will, eine neue Sicht auf die Dinge. So ähnlich wie der Perspektivwechsel, den viele Protagonisten dieses Buches gewagt haben, weil sie – ob als Botaniker, Genetiker, Philosophen, Landwirte oder schlichte Naturliebhaber – unbeirrt an die Wissenschaft glaubten und sie zum Vorteil des Menschen nutzten.

Die meisten Städter haben heute im Grunde keine Beziehung mehr zur Pflanzenwelt. Pflanzen sind für sie nur noch angenehmes Beiwerk oder Bestandteile eines hübschen Landschaftsbildes. Aber der Fortschritt, den wir zu Recht anstreben, darf uns nicht unseren Wurzeln entfremden und unsere Beziehung zur Natur beeinträchtigen. Die zunehmende Abholzung des Regenwalds führt schon heute zu enormen Schäden und verändert oder zerstört das sensible Gleichgewicht der vorhandenen Ökosysteme. Die Folgen des ökonomischen Irrwegs werden sich allerdings erst in vollem Umfang zeigen, wenn der Schaden irreparabel geworden ist. Wenn bislang unerforschte Pflanzenarten aussterben, ist das allein unter Nutzengesichtspunkten ein unschätzbarer Verlust an Ernährungs- und Heilungschancen. So werden beispielsweise über sechzig Prozent der heute eingesetzten oder getesteten Mittel zur Krebsbekämpfung größtenteils aus Pflanzen gewonnen. Es liegt also auf der Hand, dass die Bewahrung der Artenvielfalt für unser eigenes Überleben von fundamentaler Bedeutung ist.

Die Geschwindigkeit, mit der wir die Ressourcen unserer Erde verbrauchen, hat in den letzten Jahren besorgniserregend zugenommen. Es ist eine Geschwindigkeit, die keine Erholung der Ressourcen mehr zulässt. Wenn man von einem Bankkonto laufend Geld abhebt, und zwar schneller, als das Konto wieder aufgefüllt wird, ist jedem klar, dass große Probleme oder ein Bankrott die Folge sein werden. Doch während uns die alltägliche Erfahrung die negativen Folgen eines unklugen Finanzgebarens umgehend vor Augen führt, lehrt unser Alltag uns nicht, welche furchtbaren Folgen der Missbrauch unserer begrenzten irdischen Ressourcen hat.

Nur wenn wir vor allem junge Menschen für solche Themen sensibilisieren können, wie es, nebenbei bemerkt, Papst Franziskus mit seiner Umweltenzyklika versucht hat, werden wir das Wohlergehen der Menschheit und der Erde – als Ganzes begriffen – sicherstellen können. Junge Menschen werden die Gefühle und die Begeisterung, die die Protagonisten dieses Buches angetrieben haben, vermutlich am ehesten verstehen. Und wir brauchen heute mehr denn je Vorbilder, die uns zum Gemeinsinn, zum Schutz der Natur und dem Respekt gegenüber allen Lebewesen ermuntern – statt zur persönlichen Vorteilnahme. In diesem Sinne ist es auch heute unser aller Aufgabe, Menschen zu fördern, deren Talent sonst verschwendet wäre.

Die Reihenfolge der Lebensgeschichten in diesem Buch orientiert sich an keiner Chronologie oder wie auch immer gearteten Skala der Bedeutsamkeit. Um ehrlich zu sein, fiel mir erst im Nachhinein auf, dass sie dennoch einer gewissen Logik gehorcht: Die ersten drei Protagonisten sind Landwirte, die folgenden sechs Naturwissenschaftler, und die letzten drei haben auf anderen Gebieten Berühmtheit erlangt und sich sozusagen nur als Hobby mit Pflanzen beschäftigt. Nennen wir sie Liebhaber.

Einige der Protagonisten mussten gegen erhebliche Schwierigkeiten und Vorurteile kämpfen, ehe ihre Ideen – manchmal erst lange nach ihrem Tod – Anerkennung fanden. Der eine starb im Kerker, andere wurden verlacht oder verarmten. Und manche sind wahre Helden: Die Bedeutung ihrer Forschungsarbeit wirkt weit über ihre Zeit hinaus. Ich bin allen gleichermaßen dankbar für das, was ich von ihnen lernen durfte, und ich erzähle ihre Geschichten in der Hoffnung, damit andere Pflanzenliebhaber, ob Wissenschaftler oder Laien, zu inspirieren. Als Visionäre und Pioniere besaßen sie nämlich den Mut, ein Stück weiter zu denken, und jeder von ihnen hat – von seiner Liebe zu den Pflanzen ausgehend – die Welt ein wenig verändert. Es gibt vielleicht andere Möglichkeiten, das zu tun, doch keiner, glaube ich, wohnt ein solcher Zauber inne.

Jemand hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass alle Protagonisten dieses Buches Männer sind. Meine Auswahl hat jedoch sicher nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun. Selbstverständlich gibt und gab es berühmte Botanikerinnen, wenn auch bedauerlicherweise nicht viele. Es wären sicherlich mehr, wenn Frauen immer dieselben Bildungschancen gehabt hätten wie Männer. Doch selbst als Frauen studieren durften, war es für sie aufgrund einer diffusen Frauenfeindlichkeit schwer, ihre Arbeit öffentlich sichtbar zu machen. Fest steht aber auch, dass zur Zeit unserer Urahnen die Männer auf die Jagd gingen, während die Frauen die Früchte des Bodens sammelten. Sie lernten so als Erste, Pflanzenarten zu erkennen, giftige von unschädlichen und Nahrungs- von Heilpflanzen zu unterscheiden. Darum denke ich, dass die Frauen ihre Vorrangstellung in puncto Pflanzenwissen schon bald zurückerobern werden. Jedenfalls sind sie unter meinen Studierenden zweifellos in der Mehrzahl. Außerdem hoffe ich, dass ich den Mangel in Kürze wettmachen kann: mit einem weiteren Buch über das Leben von Frauen und Männern, die die Pflanzen lieben. Aber das wird auch davon abhängen, wie Ihnen dieses Buch gefällt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen jedenfalls viel Spaß bei der Lektüre.

George Washington Carver (1864–1943)

 

 

ERSTES KAPITELEIN MENSCH IM TAUSCH FÜR EIN PFERD

George Washington Carver und die Erdnuss

GEORGE WASHINGTON CARVER kam im amerikanischen Bürgerkrieg, um das Jahr 1864, in der ärmlichen Hütte einer Südstaatenfarm zur Welt. Sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt. »Ich wüsste auch gern, wann genau ich geboren wurde«, sagte er einmal, »aber niemand machte sich damals die Mühe, das Geburtsdatum eines Sklavenkinds festzuhalten, und da war ich keine Ausnahme.« Wer 1864 in den amerikanischen Südstaaten Sklave war, besaß buchstäblich nichts, nicht einmal einen Namen. George Washington Carver war eigentlich George Washington des Moses Carver. Georges Mutter gehörte zum Eigentum des mittelmäßig wohlhabenden Farmers Carver in Missouri.1

Als Sklave und Sohn von Sklaven auf einer Farm im tiefen amerikanischen Süden steht Carvers abenteuerreiches Leben zunächst unter keinem guten Stern und scheint sich sogar bald noch zum Schlechteren zu wenden: Als sechs Wochen alter Säugling wird er zusammen mit seiner Mutter und einer Schwester von einer Bande geraubt, die es auf Tiere und Sklaven abgesehen hat, und in Arkansas verkauft. Doch glücklicherweise ist Moses Carver ein fürsorglicher Sklavenhalter und erträgt es vor allem nicht, wenn ihm jemand etwas wegnehmen will. Er begibt sich auf die Suche: Nach wenigen Wochen hat er die Bande aufgetrieben, und es gelingt ihm, George nach kurzen Verhandlungen gegen ein 300-Dollar-Rennpferd einzutauschen. Von Mutter und Tochter fehlt hingegen jede Spur.

Wenn das Leben eines Menschen so stürmisch beginnt wie das von George Washington und er das nicht nur überlebt, sondern sich noch dazu seinen Wissensdurst und sein Vertrauen in die Welt bewahrt, dann muss er aus einem besonderen Holz geschnitzt sein. George Carver, dieser schwarze Sohn Amerikas, hat das mit jedem Tag seines langen und ruhmreichen Lebens bewiesen.

Nach der Abschaffung der Sklaverei2 in den USA lebte er noch ungefähr zehn Jahre auf der Farm seines ehemaligen Besitzers und entwickelte durch den engen Kontakt mit der Natur ein reges Interesse für Pflanzen, das ihn ein Leben lang begleiten sollte. Später erinnert er sich:

Tag für Tag streifte ich durch die Wälder, sammelte meine floralen Schönheiten und pflanzte sie in meinen kleinen Garten. (…) Seltsamerweise schienen alle Pflanzen durch meine Pflege aufzublühen. Schon bald war ich als Pflanzendoktor bekannt, und man brachte mir von weit her Pflanzen, damit ich sie behandelte.

Zu Carvers weiteren Interessengebieten jener von »unsystematischem Wissensdurst« geprägten Tage gehörten Musik und Malerei.

George Carver ist lernbegierig. Mit wenigen Hilfsmitteln bringt er sich das Lesen bei, erlernt Sprache und Grammatik.3 Doch das unmethodische Lernen stellt ihn nicht zufrieden; er spürt, dass er regelmäßigen Unterricht braucht.

Er beschließt darum, die kleine Schule im Städtchen Neosho zu besuchen, fünfzehn Kilometer von der Farm entfernt. Die Carvers legen ihm keine Steine in den Weg, sind aber auch nicht bereit, ihn finanziell zu unterstützen. So macht sich George, kaum älter als zehn Jahre und ohne einen Cent in der Tasche, auf den mühseligen Weg in ein neues Leben. Er durchquert Felder, erklimmt Hügel, überwindet Hecken und Bretterzäune und erreicht schließlich an einem Spätnachmittag des Jahres 1875 das ihm völlig unbekannte Neosho. Erstmals im Leben allein auf sich gestellt und weit weg von der Farm, steht er vor zahlreichen Herausforderungen und Schwierigkeiten. Er hat kein Geld. Wie er sich später erinnert, »besaß ich keinen Cent, kannte niemanden und wusste nicht, wo ich schlafen sollte«. Doch er richtet sich in einem alten Heuschober ein und kann sich mit Hilfsarbeiten über Wasser halten. Obwohl er allein und obdachlos ist und nur dank körperlich anstrengender Arbeiten überleben kann, schafft er es, die Schule von Neosho mit Erfolg zu besuchen, eine Schule, mit der es nach seinen eigenen Worten nicht weit her ist:

Der Lehrer war unvorbereitet. Das Schulgebäude war eine einfache Holzhütte, die im Sommer stickig heiß und im Winter bitterkalt war. Die Schulbänke besaßen keine Rückenlehne und waren so hoch, dass die Schüler mit den Füßen nicht den Boden erreichten. Von einer schulischen Ausstattung hatte man dort noch nichts gehört. Was immer man sich an Unannehmlichkeiten vorstellen kann, gab es, würde ich sagen, an dieser Schule.

Doch selbst die bescheidene Schule und der unzulängliche Lehrer konnten die Fantasie des Jungen anregen. Wie George W. Carver Jahre später erzählt, begreift er dort, was er im Leben wirklich will: ein »Pflanzenfachmann« werden.

Nach einem Jahr hat er alles gelernt, was ihm die Schule von Neosho zu bieten hat, und zieht weiter; er nimmt in verschiedenen Orten der amerikanischen Südstaaten Gelegenheitsarbeiten an und beendet die weiterführende Schule schließlich in Fort Scott in Kansas. Dann schmiedet er Pläne für ein Universitätsstudium.

Im Jahr 1890 war es für einen Schwarzen nicht leicht, zu studieren. Genauer gesagt: Es war in den Vereinigten Staaten, einem Land, in dem Apartheit und Rassismus noch jahrzehntelang an der Tagesordnung sein sollten, noch nie vorgekommen. Man darf nicht vergessen, dass wir uns im Jahr 1890 befinden. Es sollten noch fünfundsechzig Jahre vergehen, bevor der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika verkündete, dass Universitäten Bewerber nicht aufgrund ihrer Hautfarbe ablehnen dürfen.

Dass in seinem Land noch nie ein Schwarzer studiert hat, schreckt George Carver nicht ab. Als er von einer ihm passend scheinenden Universität in Iowa erfährt, schickt er seine Bewerbungsunterlagen dorthin. Und hält eine Woche später die Aufnahmebestätigung in der Hand. Glücklich, dass alles so unkompliziert verläuft, macht er sich umgehend nach Iowa auf. Die Reise verschlingt seine letzten Ersparnisse, und am Ziel warten schlechte Nachrichten auf ihn: Das College bedauere seinen Fehler außerordentlich, aber das winzige Detail der Hautfarbe, auf das Carver in seiner Bewerbung vorsichtshalber hingewiesen hatte, sei von einem unaufmerksamen Angestellten, der damit vermutlich nicht gerechnet habe, übersehen worden. Die Verantwortlichen bedauerten außerordentlich, aber der Schwarze Carver könne die Vorlesungen der Universität leider nicht besuchen.

Doch einmal mehr verliert Carver nicht den Mut. Da bräuchte es schon anderes; außerdem hatte er damit gerechnet, dass es nicht einfach würde. Im Jahr 1890 nimmt das Simpson College in Indianola den schwarzen Studenten schließlich auf. Jetzt trennt Carver nur noch eins von seinem Lebenstraum: das Geld, um das College zu bezahlen. Er nimmt jede Arbeit an, die er kriegen kann: Teppichreiniger, Wäscher, Pferdeknecht oder erster Hotelkoch. Nach einem Jahr hat er so viel Geld zur Seite gelegt, dass er die Aufnahmegebühr begleichen kann.

Seine finanzielle Situation war so miserabel, erinnert sich Carver, dass ihm nach Begleichung der Einschreibegebühr »noch genau zehn Cent blieben. Für fünf Cent kaufte ich Maismehl und für die anderen fünf Schweinefett. Davon konnte ich dann eine Woche leben.«4

Doch das Simpson College in Indianola ist vor allem auf die schönen Künste spezialisiert, die Naturwissenschaften haben dort nur einen untergeordneten Stellenwert. Carver möchte aber unbedingt die Pflanzenwelt erforschen. Wieder lässt er sich nicht entmutigen, und nach endlosen Anläufen wechselt er schließlich an das Iowa State College von Ames, wo er 1894 die Bachelorprüfung in Agrarwissenschaften ablegt – als erster schwarzer Universitätsabsolvent in den Vereinigten Staaten – und zwei Jahre später den Master. Am Iowa State College arbeitet er – wiederum als erster Schwarzer – als Assistent für Botanik. Professor James Wilson, später Landwirtschaftsminister unter den Präsidenten McKinley, Roosevelt und Taft, hat ihn unter seine Fittiche genommen. Als der Bundesstaat Alabama 1897 ein Gesetz zum Aufbau einer Landwirtschaftsschule und Versuchsstation für Schwarze am Tuskegee Institute erlässt, steht George Washington Carver schon in den Startlöchern. Auf das Schreiben des Institutsleiters, mit dem dieser ihn einlädt, dem Lehrkörper der Landwirtschaftsschule beizutreten und das dortige Lehrprogramm zu leiten, antwortet Carver voller Selbstbewusstsein:

George Washington Carver (Mitte, vorn) mit dem Lehrkörper des Tuskegee Institute im US-Bundesstaat Alabama

Arbeiterinnen an einem der ersten Fließbänder zum Abfüllen von Erdnussbutter

Es war stets mein großer Lebenstraum, möglichst vielen Angehörigen meines Volkes möglichst viel Gutes zu tun, und auf dieses Ziel habe ich viele Jahre meines Lebens hingearbeitet, denn ich glaube, dass das Bildungssystem der Schlüssel ist, um meinem Volk das goldene Tor der Freiheit zu öffnen.

Carver blieb siebenundvierzig Jahre, bis zu seinem Tod im Jahr 1943, in Tuskegee. Er unternimmt während dieser Zeit unzählige Anstrengungen, um das Bildungsniveau der ehemaligen Sklaven anzuheben, die in den Südstaaten nun großteils als arme Bauern lebten. So entwickelt er ein ambulantes Lehrpult, mit dem er und andere Lehrkräfte aus Tuskegee die Höfe – per Pferdekarren – aufsuchen und die Bauern, ob weiß oder schwarz, über neue Anbaumethoden unterrichten und ihnen helfen, Fehler bei der Bestellung der Äcker zu vermeiden.

Zu den gefährlichsten Fehlern zählt für Carver die Baumwollmonokultur – womit er, bedenkt man die gewaltigen aktuellen Probleme durch Monokulturen, seiner Zeit weit voraus ist. Er erkennt, dass die Böden durch Monokulturen ausgelaugt werden, die Ernten zurückgehen und, was ihn am meisten beschäftigt, dass die Bauern verarmen. Er entwickelt und propagiert daher ein Fruchtfolgesystem, bei dem im Wechsel Erdnüsse und Baumwolle angebaut werden. Sein System wird allgemein angenommen, so gut sogar, dass er beinah zum Opfer seines eigenen Erfolgs wird. Als die Landwirte auf Carvers Geheiß abwechselnd Erdnüsse und Baumwolle anbauen, erzielen sie verblüffende Erntemengen; doch obwohl die meisten Erdnüsse als Viehfutter Verwendung finden, sammeln sich schon bald enorme Restbestände an, die in den Scheunen verfaulen.

Carver sucht nach neuen Verwendungsmöglichkeiten für Erdnüsse – wohlgemerkt zu einer Zeit, als diese vom Menschen noch verschmäht wurden. Ein Klacks für ein Genie wie Carver. Schon bald hatte er dreihundert neue Möglichkeiten gefunden, wie man die Restbestände verwenden konnte, beispielsweise – nur um sich eine Vorstellung von seinem außergewöhnlichen Erfindergeist zu machen – als Erdnussderivat bei der Produktion von Klebstoff, Pomade, Bleichmittel, Chilisauce, Brennstoffplatten – die wir heute Biobrennstoff nennen würden –, Tinte, Löskaffee, Gesichtscreme, Shampoo, Seife, Linoleum, Mayonnaise, Metallreiniger, Papier, Kunststoff, Rasiercreme, Schuhputzmittel, Synthetikgummi, Straßenbelag, Talkum oder Fleckentferner für Möbel. Und natürlich in Form von Lebensmitteln wie Erdnussbutter, Milch, Käse oder Erdnussöl. Seine Ideen sollten die amerikanischen Nahrungsgewohnheiten – und die Landwirtschaft – für immer verändern. Und Carver beschränkte sich nicht auf Erdnüsse. Offenbar hatten die Bauern auch Probleme mit der Vermarktung anderer Anbauprodukte: Carver entwickelte auch Hunderte neuer Verwendungsmöglichkeiten für Süßkartoffeln, Sojabohnen oder Pekannüsse.

Carver arbeitet unermüdlich. Nicht nur als Forscher; er veröffentlicht seine Ideen zur Verwendung von Tomaten, die in den USA damals noch als ungenießbar galten, von Süßkartoffeln oder Erdnüssen auch in Mitteilungsblättern, die in die Geschichte der amerikanischen Landwirtschaft eingehen sollten. Die Titel seiner Mitteilungen – Wie man Tomaten anbaut und auf 115 Arten zubereitet, Wie man Haselnüsse anbaut und auf 105 Arten zubereiten kann, Wie man Süßkartoffeln haltbar machen und zubereiten kann – belegen, wie sehr er davon überzeugt ist, dass seine Forschungsergebnisse das Universitätslabor verlassen und den Bauern durch geeignete Publikationen bekannt gemacht werden müssen.

Jedenfalls ist es dem Erfindergeist und der Arbeit von George W. Carver zu verdanken, dass der Erdnusspreis, der wenige Jahre zuvor noch gegen null tendiert hatte, während der Großen Depression einen ungeahnten Höhenflug erlebte und in den Südstaaten ein Markt im Wert von über 250 Millionen Dollar entstand. Allein durch den Verkauf von Erdnussöl konnten die Bauern 60 Millionen Dollar erwirtschaften, und in nur wenigen Jahren entwickelte sich die Erdnussbutter zum amerikanischen Nahrungsmittel schlechthin.

Carvers Lebensgeschichte scheint umso bemerkenswerter und nötigt einem noch mehr Bewunderung ab, wenn man weiß, dass seine großartigen Leistungen, die den Wohlstand seines Landes mehrten, ihm selbst keinen Cent einbrachten. George W. Carver lebte bescheiden und steckte den Großteil seines Gehalts – und einzigen Einkommens – in die von ihm gegründete Stiftung zur Förderung der Agrarforschung. Von den fünfhundert Verwendungsmöglichkeiten landwirtschaftlicher Derivate, die er entwickelte, ließ er sich nur drei Erdnussderivate für die Kosmetik patentieren. Und wenn ihm jemand die enormen Gewinne vor Augen führte, die ihm dadurch entgingen, antwortete er nur: »Als Gott die Nüsse erschuf, präsentierte er uns auch keine Rechnung. Wieso sollte ich dann an Erdnussderivaten verdienen?«

Thomas Alva Edison, der dagegen mit Argusaugen über seine