Aus und vorbei - Dorothee Röhrig - E-Book

Aus und vorbei E-Book

Dorothee Röhrig

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Wenn Freundinnen Schluss machen

Kaum ein Mensch ist Frauen wichtiger als die beste Freundin: Sie ist Vertraute und Beraterin, Kummerkasten und Komplizin. Umso schmerzlicher empfinden wir es, wenn die Freundschaft schleichend oder unerwartet in die Brüche geht. Wie kann es sein, dass uns die vermeintliche Soul Sister plötzlich fremd wird oder verrät? Dorothee Röhrig hat viele Fallgeschichten über gescheiterte Frauenfreundschaften gesammelt und die Expertise von Psychologen eingeholt. Ihr Fazit: Wenn man anerkennt, was an der Freundschaft gut war und dass zur Weiterentwicklung auch das Loslassen gehört, kann man nach dem Ende der gemeinsamen Wegstrecke positiv und gestärkt weiterleben.

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Seitenzahl: 317

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Dorothee Röhrig

Aus und

vorbei!

Woran Frauenfreundschaften

zerbrechen und wie wir

daran wachsen

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Deutsche Erstausgabe

© 2019 Kailash Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Dr. Antje Korsmeier Umschlaggestaltung: ki 36, Sabine Krohberger Editorial Design, München

Satz: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-24641-9V002

www.kailash-verlag.de

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Für Josefine zum Nachfühlen

Für Caspar zum Staunen

Inhalt

Vorwort

Wie das Buch entstand

Warum?

Eine kurze persönliche Betrachtung

Zum Ausheulen war ich gut genug

Alexandra und Cora

Es ging nie um Freundschaft, es ging um ihr Projekt

Katarina und Claudia

Kapitel 1

Du gehörst zu mir

Warum die Freundin der Anker in einem Frauenleben ist

Nach dem Coaching war meine Freundin wie ein fremder Mensch

Margaux und Elena

Sandra war mein Herzenszwilling

Karin und Sandra

Kapitel 2

Du bist wie ich

Über unseren heimlichen Wunsch nach Übereinstimmung

Als ich kein Geld mehr hatte, spielte sie mir böse mit

Anke und Lena

Sie hat eine Ausländerin denunziert. Fünfundvierzig Jahre Freundschaft waren in Sekunden ausgelöscht

Sabine und Angela

Kapitel 3

Du kannst mich mal …

13 Klippen, an denen es kritisch wird

Aus der Familienfreundschaft wurde eine Zweckgemeinschaft

Martina und Ulla

Man will doch nicht später am Grab stehen und denken: Hätten wir bloß geredet!

Konstanze und Clara

Kapitel 4

Was hat das mit mir zu tun?

Den eigenen Anteil am Konflikt sehen und verstehen

Für ihren Egoismus habe ich Anna insgeheim bewundert

Anne und Anna

Wir sind mit altem Ballast in die neue Freundschaft eingestiegen

Susanne und Silvia

Kapitel 5

Abtauchen, weitermachen, konfrontieren?

Wie wir am Ende Klarheit gewinnen und gut voneinander Abschied nehmen

Unser Versöhnungsgespräch lief auf einen Machtkampf hinaus

Alice und Nicola

Julia ist mein Herzensmensch geblieben. Unser Krach hat daran nichts geändert

Harriet und Julia

Kapitel 6

Lass mich in Frieden!

Über die Chancen und das Glück der Pause

Mein Mann betrog mich mit meiner Freundin. Meine Freundin betrog mich mit meinem Mann. Ich habe gelitten und daraus viel gelernt

Nora und Liv

Ich wünsche dir alles Gute

Abschiedsbrief an eine Freundin

Nachwort

Mein Dank

Literatur / Zitate

Vorwort

Lass los, lebe jetzt, folge deinem eigenen Weg – so lautet das Credo unserer Zeit. Die Bereitschaft zur Veränderung scheint wichtiger denn je zu sein. Wir wechseln die Stadt für den Job. Den Mann für eine neue Liebe. Wir wechseln die Kollegen, den Freundeskreis, die Familien. Beweglichkeit auf allen Ebenen.

Nur nicht bei den engsten Freundinnen. Sie sollen beständig an unserer Seite sein. Auf unsere Soulsisters müssen wir uns verlassen können. Egal, was ist und was kommt. Das wollen wir so.

Umso schmerzhafter, wenn sich die Erwartung nicht erfüllt und Verbundenheit verloren geht. Weil Lebenswege in unterschiedliche Richtungen führen. Karriere, Männer, Kinder dazwischenfunken. Interessen sich verlagern. Gemeinsame Themen wegfallen. Neue Charakterzüge hervortreten und sich die Freundschaft anders anfühlt als früher. Der sichere Boden wackelt.

Dabei ist es das Wesen von Freundschaft, dass sie nicht sicher ist. Und nicht unbedingt für ewig. Freundschaft ist freiwillig. Und deshalb Gefahren ausgesetzt. Freundinnen kommen und gehen. In Zeiten von gesellschaftlichen Umbrüchen durch Mobilität und Internet vielleicht mehr denn je.

Nichts ist so fragil wie eine innige Frauenfreundschaft. Weil wir uns so gut kennen – vor allem unsere wunden Punkte. I know how you feel – ich weiß, wie du fühlst nennt die amerikanische Psychoanalytikerin F. Diane Barth ihr aktuelles Buch über Freundschaften unter Frauen. Wir scheinen so sehr aufeinander angewiesen zu sein, dass wir Liebeskummer besser ertragen als die Trennung von der besten Freundin.

Freundschaften unter Frauen werden beherrscht von einer erstaunlichen Sehnsucht nach Harmonie. Wir stellen unsere Freundinnen aufs Podest, machen sie zu unserer besseren Hälfte – obwohl sie uns verletzt haben. Wir ignorieren Enttäuschung, Konkurrenz, Illoyalität, weil die Wahrheit so wehtut. Genauso weh wie die Einsicht, dass sich Lebensumstände verändern können und der Gesprächsstoff von früher schwindet wie die Sonne am Horizont. Statt zu reden, schlucken wir unseren Frust herunter und lächeln dabei tapfer. In Liebesbeziehungen oder im Job treten wir selbstbewusst auf. Doch Krisen mit der besten Freundin werden ängstlich verdrängt, bis es irgendwann grausam kracht.

Dieses Buch ist ein Plädoyer für eine erwachsene Form der Frauenfreundschaft. Für eine Freundschaft, die sich etwas zutraut. In der Entwicklung möglich ist. Klarsicht statt watteweicher Harmoniesucht. In der man sich und seine Gedanken der Freundin mutig zumuten darf, auch und gerade die liebevoll-kritischen. In der wir ehrlich miteinander sein können und Konflikte nicht ängstlich überspielen. In der man Verantwortung für sich wie für die Freundschaft übernimmt. In der Veränderung respektiert und angenommen wird. Auch – und darum geht es – auf die Gefahr hin, dass die Beziehung kippt. Eine echte Frauenfreundschaft ist nichts für Feiglinge.

Und falls ein Bruch unvermeidlich ist, sollten wir den Verlust der Freundschaft in Kauf nehmen, wenn sie nicht mehr ins Leben passt. Den bohrenden Schmerz zulassen, den ein Schlussstrich nach sich zieht. Wir können traurig und dabei doch zuversichtlich sein. Weil wir wissen, dass zur Weiterentwicklung auch das Loslassen gehört. Kein Scheidungskrieg zwischen Freundinnen! Wir können es besser machen als in den Beziehungen zu unseren Männern. Gerade weil sich Freundinnen in- und auswendig kennen. Nachempfinden, wie die andere sich fühlt. Empathischer sind. Deshalb kein nerviger und sinnloser Rosenkrieg! Fragen wir uns lieber: Was war gut zwischen uns? Was hat sie mir gezeigt? Was konnte ich durch sie über mich lernen und als Erfahrung mitnehmen? Freundschaft kann ein gutes Ende finden! Frieden ist möglich. Mit mir. Und mit der Freundin. Gerade diese Chance sollte eine Frauenfreundschaft auszeichnen.

Ein gutes Ende bedeutet neben dem Verlust auch den Gewinn von neuem Raum, neuen Erkenntnissen, von persönlicher Entwicklung. Ein gutes Ende schließt die Möglichkeit ein, dass ehemalige Freundinnen sich neu begegnen können. In einer anderen Lebensphase. Mit den Erfahrungen, an denen sie in der Zwischenzeit gewachsen sind.

In diesem Buch geht es nicht um virtuelle Freundschaften und Kontakte, die das Etikett Freundschaft als Label zur Schau tragen. Es geht um echte, leibhaftige Freundschaften, um tiefe Verbindungen, die uns für immer oder eine Zeit lang durchs Leben tragen.

Ich habe mit dreizehn Frauen, die anonym bleiben wollen und deren Namen ich geändert habe, ausführlich über ihre zerbrochenen Freundschaften gesprochen. Die Bereitschaft, offen, engagiert und nachdenklich zu erzählen, kann ich nur bewundern. Nicht wenige Gespräche begannen stockend. Der Schmerz über den Verlust war noch zu spüren, auch wenn der Bruch schon länger zurücklag. Manchmal flossen Tränen. Immer war Herzklopfen im Raum. Gleichgültigkeit hingegen nie.

Ihre Geschichten vom Ende einer innigen Freundschaft sind subjektiv. Die andere Seite kenne ich nicht. Sie spielt auch keine Rolle. Es geht nicht um Recht oder Unrecht, Schuld oder Unschuld, Bewertung oder Urteil. Es sind Erfahrungsgeschichten, die das Leben schreibt und die jede Frau betreffen.

Ich bin in der Vorbereitung auf das Buch und während des Schreibens niemandem begegnet, den das Thema kaltließ. Die meisten hatten sofort ein Beispiel parat, eine zerbrochene Freundschaft, von der sie erzählen wollten. Das hat mich und Audrey Lobo-Drost ermutigt, den Beziehungen zwischen Frauen tiefer auf den Grund zu gehen. Auch mein Mann hat mich bestärkt, ohne es zu ahnen. »Was ist bloß bei euch los?«, fragte er ratlos nach dem Lesen der ersten hundert Seiten. Und murmelte leise: »Frauen machen mir beinahe Angst.« Männerfreundschaften sind tatsächlich ein völlig anderer Kosmos.

Ich bin jeder meiner Gesprächspartnerinnen unsagbar dankbar für die Überwindung, die sie auf sich genommen, und den Mut, den sie gezeigt hat. Als mehr oder weniger fremde Journalistin kam ich zum Treffpunkt und knipste das Mikrofon an. Eins, zwei, drei, los. Es ist eine enorme Herausforderung, das eigene Gefühlsleben zu reflektieren und öffentlich zu machen. Mein herzlichster Dank gilt an dieser Stelle von ganzen Herzen diesen dreizehn einzigartigen Mutmacherinnen!

Bei Ihnen, meine lieben Leserinnen, bedanke ich mich dafür, dass Sie dieses mein zweites Buch erworben und aufgeschlagen haben. Ich wünsche Ihnen eine berührende, erkenntnisreiche und tröstliche Reise durch das weite Land unserer weiblichen Seelen. Ohne Freundinnen wäre es ein armes Land. Mit ihnen entfaltet sich eine vielschichtige, zuweilen steinige, doch immer faszinierende Landschaft, die ganz einfach Leben heißt.

Dorothee Röhrig, Pollença 2019

Wie das Buch entstand

Am Anfang war Zwist. Eine plötzliche, nie vermutete Verhärtung zwischen mir und meiner besten Freundin. Ich war ratlos, unsicher und vor allem traurig. Aus der Ohnmacht heraus entstand der Impuls, ein Buch über Frauenfreundschaften zu schreiben.

Ich suchte nach einer Expertin, wie es für eine Journalistin üblich ist. Traf verschiedene Psychologinnen und Psychoanalytikerinnen, aber es funkte nicht. Ich wurde nicht fündig und wollte schon aufgeben. Bis mir eine liebe Freundin eine Telefonnummer von der Freundin ihrer Freundin gab. Sie kenne sie nicht, meinte sie, aber von Erzählungen her könne sie sich vorstellen, dass wir zusammenpassen.

Ich wählte die unbekannte Nummer und erwischte Audrey auf dem Fahrrad, beim Familienausflug in Amsterdam. Es brauchte nur wenige Sätze, um zu wissen: Ja! Wir beide packen es gemeinsam an. Zwei fremde Frauen, die sich nur auf ihre Stimmen verließen und auf die Begeisterung, die sich in dem kurzen, vom Wind verwehten Gespräch durchs Telefon mitteilte. Der Zufall hatte uns zusammengewürfelt. So geht Leben.

Eine Woche später fuhr ich von Hamburg nach Kiel. Audrey holte mich vom Bahnhof ab und führte mich zielsicher in ein nahegelegenes Restaurant. Wir waren vom ersten Moment an ins Gespräch vertieft und bemerkten dabei gar nicht, dass dieses Lokal eigentlich geschlossen und komplett im Umbau war. Erst als wir fünf Meter weit im Raum standen, auf feuchtem Beton zwischen Leitern, Eimern und Handwerkern, trauten wir unseren Augen nicht. Für jenen Moment, in dem man alles um sich herum vergisst, prägten wir einen neuen Begriff: der »Vapiano-Effekt«.

Audrey und ich haben uns in großer Sympathie aufeinander eingelassen. Psychologische Sachkenntnis, Lebenserfahrung, Freude am Schreiben ergänzten und beflügelten sich. Audrey ist zu mir nach Pollença gekommen, nächtelang haben wir in der »Straße des Warum« diskutiert, geschrieben und wieder verworfen. Was es mit dieser auf sich hat, lesen Sie übrigens auf der nächsten Seite.

Ob aus der kreativen Verbindung zwischen Audrey und mir eine langjährige Freundschaft wird? Wir wissen es noch nicht. Warten ab. Lassen uns Zeit. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis der Beschäftigung mit dem Thema Frauenfreundschaften.

Warum?

Eine kurze persönliche Betrachtung

Porquer. Auf Mallorquin, so wurde mir gesagt, heißt das: warum. Das kleine Stadthaus über den Dächern von Pollença, in dem ich gerade zu schreiben beginne, steht in der Carrer de Porquer. Abgesehen davon, dass ich den Ort wunderschön finde und das Häuschen genau meinen Vorstellungen entspricht, habe ich mir diesen Platz auch deshalb ausgesucht, weil mich der Name der kleinen Straße angesprochen hat. Die Straße des Warum. Danach kann ich in Deutschland lange suchen.

Ich habe mich gefragt, welche Bedeutung so ein ungewöhnlicher Straßenname haben könnte. Die Carrer de Porquer ist eine Sackgasse, sie endet an der 193. Stufe einer langen Treppe, die vom Dorf hinaufführt zum Kalvarienberg, zur weißen Pilgerkirche über Pollença. Die Hälfte des Aufstiegs ist auf der Höhe der Carrer de Porquer geschafft. Vielleicht hat man sich hier früher ausgeruht und innegehalten. Sich genau hier, in der Mitte, auf die Steinmauern am Rand gesetzt und überlegt: Soll ich noch bis ganz nach oben gehen? Oder umdrehen? Vielleicht doch lieber runter ins Dorf, zurück auf die Plaza, zu den Menschen? Was will ich dort oben überhaupt? Warum nehme ich die steilen Treppen? Warum?

Keine Ahnung, ob meine Vorstellung von der Carrer de Porquer historisch richtig ist. Ehrlich gesagt interessiert mich das auch nicht besonders. Für mich ist das so. Ich kann mir die Menschen vorstellen, die hier Rast machten, nachdachten über das Vorwärts und das Rückwärts, über das, was ihnen im Leben wichtig ist. Bis heute bleiben Menschen hier stehen. Biegen in meine kleine Straße ein, gehen den Berg weiter hinauf oder treten wie beiläufig den Rückweg an. Das beobachte ich. Also scheint etwas dran zu sein an meiner Idee.

Die Carrer de Porquer ist meine »Straße des Warum«. Ein guter Platz, um ein Buch zu schreiben über Freundschaft. Freundschaften zwischen Frauen. Enttäuschte Freundschaften. Über das Ende von Gefühlen, Illusionen und falschen Hoffnungen und den Anfang von etwas Neuem, Eigenem. Es sind immer die Brüche und Umbrüche im Leben, die mich besonders interessieren. Sie fühlen sich für mich lebendig an. Hier in Pollença bin ich auf einer Insel, an einem Ort, wo ich fast niemanden kannte. Der mir spontan ein zweites Zuhause geworden ist und dabei genug Abstand einräumt, um den Blick zu schärfen. Auch auf meine Freundschaften, mein starkes Bedürfnis nach Nähe und Austausch, auf bittere Niederlagen und geplatzte Träume, auf geglückte wie glücklose Neuanfänge. In jeder Erinnerung, in jedem Gedanken verfolgt mich hier die Frage des Warum.

Die ursprüngliche Idee war, nicht über mich zu schreiben, sondern ein lupenreines Sachbuch zu verfassen. Doch ich stellte fest: Der Anker vieler Überlegungen und Fragen zu dem Thema liegt in mir selbst. Nun ist dieses Buch, auch dank meiner besonderen Begegnung mit der Verhaltenstherapeutin Audrey Lobo-Drost, ein persönliches Sachbuch geworden.

Ich war und bin bis heute eine »Frauenfrau«. Obwohl mich männliches Denken und Fühlen immer fasziniert und angespornt hat, vor allem das meines Mannes, brauche ich ganz stark die Begegnung mit Frauen. Auch wenn wir alle individuell und einzigartig sind und ich bei Weitem nicht mit jeder Frau klarkomme, glaube ich an eine unbewusste Verständnisebene, die mich in mein Geschlecht einbettet und die mir weibliche Heimat gibt. Um es mit den Worten der Psychoanalytikerin F. Diane Barth zu sagen: Ja, ich bin auf Frauen angewiesen. Mehr noch, auf Freundinnen.

Ein Vorbild für lebenslange, treue Frauenfreundschaften bin ich nicht. Dazu hat mich die Neugier, der Lebenshunger zu sehr angetrieben. So empfinde ich meine engen Freundinnen, auch die, die ich verloren habe, als Teil dieses rastlosen, manchmal widersprüchlichen und auf jeden Fall farbenfrohen Lebens. Als Teil meiner Suche nach mir selbst. Jede von ihnen hat meine Entwicklung in einer bestimmten Phase begleitet und beeinflusst. Nicht, dass ich meine Freundinnen absichtlich benutzt hätte. Aber ich habe sie genau zu diesem Zeitpunkt gebraucht. Wahrscheinlich würden wir tiefere und ehrlichere Freundschaften haben, wenn wir das eigene, möglicherweise egoistische Interesse aneinander erkennen und vielleicht sogar aussprechen könnten.

Das Ich entsteht am Du, sagen die Philosophen. Für mich trifft das zu, auf meine Frauenfreundschaften mindestens so wie auf die Liebesbeziehungen mit Männern.

Ich überlege: Welche Seiten meines Ichs haben sich entfalten können mithilfe meiner Freundinnen? Welche Bereicherung erfuhr ich aus den Gesprächen, dem Lachen, den Tränen, dem gegenseitigen Zuhören und Mitfühlen von Frauen? Welche Charakterzüge hat eine Freundin aus mir herausgelockt, die einmal nah an meinem Leben war und jetzt weit weg ist? Fragen, die mir den Wert von Freundschaft vor Augen führen und meinen Blick auf die zerbrochenen Freundschaften verändern, hier in der Carrer de Porquer. Fragen, die Groll, Unverständnis oder trübe Gleichgültigkeit durch ein Gefühl der Dankbarkeit ersetzen und das Warum ins Zentrum rücken. Warum sind Freundinnen irgendwo auf meinem Lebensweg ausgestiegen? Und: Würde ich sie gern noch einmal treffen? Mich mit ihnen aussprechen? Wieder vertragen?

Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Selbst wenn das möglich wäre: Ich verspüre kein Bedürfnis danach. Lieber möchte ich mich der ständigen Bewegung meines Lebens überlassen. Nicht stehenbleiben, nicht klammern. Dazu gehört, dass ich akzeptiere, dass es Wegbegleiterinnen gibt, die mal ein Stück mitgehen und irgendwann auf der Lebensstrecke abbiegen. Auch die engste Freundin hat darauf ein Recht. Wie oft hat sich mein Leben, habe ich mich in meinem Leben verändert. Im Älterwerden treten die unterschiedlichen Abschnitte deutlicher hervor. Ich kann jetzt besser verstehen, dass Freundinnen nicht immer zusammenbleiben müssen. Meine Bedürfnisse, meine Interessen wandeln sich. Entsprechend wechseln auch die Freundinnen, die sie bedienen und mich bereichern. Ihnen bin ich dankbar. Ist der Hunger gestillt, können wir uns voneinander lösen. Neue Freundschaften treten an die Stelle von alten. Raum entsteht. Und möglicherweise wird aus der alten wieder eine neue Freundschaft. So ist Leben. Das ist das Spannende daran.

Wer behauptet, dass es mit den Jahren immer schwieriger wird, neue Freundschaften zu knüpfen, hat Unrecht. Ich erlebe das Gegenteil. Auch wenn dieses wunderbare »Weißt Du noch?« des Erinnerns fehlt, das mich mit meinen Zeitzeuginnen verbindet, ist doch der Motor jeder neu gesponnenen Annäherung die gegenseitige Offenheit und die Idee einer gemeinsamen Zukunft. Das macht mich glücklich.

Ich bin ruhiger geworden. Die bedürftige Unruhe von früher, die Sorge, keine Freundin zu finden, hat mich verlassen. Ich habe in den vergangenen Jahren viele liebenswerte Frauen getroffen, engagierte, sensible, spirituelle, bodenständige, mutige, zweifelnde, mitfühlende. Diejenigen, die meine Freundinnen wurden, haben von allem etwas. Und ganz wichtig: Ich kann mit ihnen lachen.

Im Unterschied zu früher ist die Not verflogen. Der Druck ist raus. Stattdessen schätze ich die Freiwilligkeit, die zwischen mir und meinen Freundinnen existiert. Ich bin inzwischen mutiger darin, mich anderen zuzumuten. Und gelassener im Loslassen. Warum? Das bleibt – ein klein wenig – das Geheimnis meiner Carrer de Porquer.

Zum Ausheulen war ich gut genug

Alexandra und Cora

Cora und du habt euch in Hamburg bei einem Praktikum kennengelernt. Was hat dich zu ihr hingezogen?

Cora war blitzgescheit und mit vielen Talenten ausgestattet. Ich war von ihr fasziniert. Sie konnte nicht nur toll schreiben, sondern auch sehr gut zeichnen und im Nu neue Sprachen lernen. Ein durchweg kreativer Mensch, sprudelnd, mit immer neuen Ideen. Dazu sehr unternehmungslustig. Wir sind zusammen verreist, nach Thailand, nach Australien, und konnten wunderbar miteinander lachen. Ich habe mich von ihrer Lebendigkeit anstecken lassen. Wir waren wie im Flow miteinander. Passten zusammen wie der Schlüssel ins Schloss. Ich mochte Cora unheimlich gern.

Sie hat deine Lebensfreude gekitzelt?

Absolut. Sie hat mich immer gut draufgebracht. Aber es war mehr. Uns verband eine ziemlich komplizierte Kindheit. Cora war Einzelkind, ihre Mutter hatte große psychische Probleme und musste oft in die Klinik. Cora fühlte sich zuständig, sie war allein damit und total überfordert. Ihre Mutter hat sich später umgebracht. Bei mir war es nicht so krass. Aber auch ich komme aus einer Familie, die keine war. Meine Mutter hat meinen Vater verlassen und uns Kinder zurückgelassen. Cora und ich konnten uns über diese belastenden Erlebnisse sehr gut austauschen. Eine verstand die andere. Im Glück wie im Unglück waren wir uns ganz nah.

Jede war für die andere der Anker …

Ja, so kann man es sagen. Wir hatten beide keine Stabilität und definierten uns stark über unsere jeweiligen Probleme. Ängste, Spannungszustände, Selbstzweifel, darüber kann man sich endlos austauschen. Wo will ich mit mir hin?, das war so eine der Fragen. In dieser Gefühlslage brauchst du einen Verbündeten. Es hat lange gedauert, bis ich im Leben angekommen bin. Bis ich etwa dreißig Jahre alt war, habe ich nur gesucht. Genau wie Cora. Die Kombination aus negativen Erfahrungen und Fröhlichkeit hat uns zusammengeschweißt. Nur, dass ich mich stabilisiert habe und irgendwann ein normales Leben anfing. Ich begann regelmäßig zu arbeiten, während Cora nie Boden unter die Füße bekam und weiter nach sich suchte. Ich bin sicher, sie hatte wie ihre Mutter eine Form von Depression.

Wie hast du das bemerkt?

Es gab Phasen, in denen sie kaum gegessen hat und nicht schlafen konnte. Sie machte verschiedene Therapien, doch ohne erkennbares Ergebnis. Ständig kreiste sie um sich und ihre eigenen Probleme. Cora blieb stehen, während ich mich weiterentwickelte. Schade, denn im Grunde war sie begabter als ich.

Konntest du ihr helfen?

Das habe ich mit allen Kräften versucht. Ich ließ sie bei mir wohnen, wenn es ihr schlecht ging. Besorgte ihr einen Job. Borgte ihr Geld, wenn sie pleite war. Auf Dauer war das anstrengend. Als Coras beste Freundin bin ich da, dachte ich. Ohne Einschränkung. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass sich langsam unser Gleichgewicht verschob.

Wie das?

Ich fühlte mich langsam nur noch wie ein emotionaler Mülleimer. Zum Ausheulen war ich gerade gut. Oder zum Geld pumpen. Wir haben darüber gesprochen und uns auch gestritten. »Es geht in unserer Freundschaft nicht nur um dich«, versuchte ich ihr klarzumachen. Aber sie ließ nichts an sich ran. Ich habe unser Ungleichgewicht durchaus als Problem empfunden, aber wusste nicht, was ich dagegen tun sollte. Ständig habe ich nachgefragt, getröstet, Hilfe angeboten. Das gibt es bei mir jetzt nicht mehr.

Hast du eine Idee, warum du dich so aufgeopfert hast?

Ich weiß es nicht genau. Sicherlich zum einen, weil ich mich hundertprozentig als Freundin empfand. Da steht man einfach zusammen. Vielleicht genoss ich aber auch das Gefühl, Cora moralisch überlegen zu sein. Der Gutmensch sozusagen. Das könnte für mich der Gewinn gewesen sein. Ich habe mich schon gefragt, ob das bei mir strukturell ist. Ob ich öfter in diese Falle tappe. Aber so ist es nicht mit anderen Freunden. Dieses wahnsinnige Verantwortungsgefühl habe ich nur Cora gegenüber erlebt. Sie schien mir so schutzlos in der Welt zu sein. Ich hatte das Gefühl, sie retten zu müssen. Auch noch, als sie nach dem Tod ihrer Mutter ziemlich viel Geld erbte.

Da brauchte sie deine Hilfe?

Wie ein Kind! Sie wusste nicht, was sie mit dem vielen Geld machen sollte. Sie hat ihr Erbe letztlich verprasst. Cora hat sich teure Wohnungen geleistet, ist ständig durch die Welt gegondelt. Sie hat das Geld nach Strich und Faden rausgeworfen. Irgendwann war alles weg. Dabei hätte sie so viel aus ihrem Leben machen können, mit ihrer finanziellen Unabhängigkeit.

Hast du auch mal gedacht, Cora geht es ganz schön gut?

Ich ticke völlig anders. Ich verdiene mein Geld und komme damit aus. Ich habe Cora ihren Geldsegen total gegönnt. Aber wir waren in unterschiedlichen Welten unterwegs. Cora meinte wohl, sie bekommt den Jackpot, und ich habe nur so ein kleines, spießiges Leben. Doch neben Abwertung empfand sie mir gegenüber auch Neid. Bei mir war alles auf der Reihe. Ich hatte schon lange meinen Freund, mit dem ich heute noch glücklich zusammen bin. Cora dagegen ist wild gereist und wechselte ständig ihre Begleiter. Sie fühlte sich zu Höherem berufen und fand mein geregeltes Leben bestimmt unendlich öde. Ich war nicht mehr spannend für sie. Da bin ich sicher.

Hat das Thema Geld eure Krise ausgelöst?

Nein, als sie erbte, dachte ich: Wenn die Familie nicht hilft, dann wenigstens das Geld, damit sie in die Pötte kommt. Allerdings, es war schon sehr befremdlich, wie sie mit ihrem Vermögen umging. Wenn ich sie darauf ansprach, wurde sie aggressiv. »Das ist mein Geld, das steht mir zu. Es geht dich nichts an, wofür ich es ausgebe«, so in der Art.

Aus welchem Grund seid ihr sonst gescheitert?

Wie gesagt, da war schon länger dieses Ungleichgewicht. Und gekippt ist das Ganze, als ich selbst einmal eine schreckliche Krise hatte und Cora brauchte. Ich hatte meinen Job verloren, die Arbeitsagentur machte mir keine allzu große Hoffnung, mein Vater wurde plötzlich pflegebedürftig, und ich musste mich obendrein noch operieren lassen. In dieser angespannten Verfassung verabredete ich mich mit Cora zu einem Spaziergang.

Was passierte da?

Sie wusste über meine Situation Bescheid, wir hatten telefoniert. Dann bei unserem Treffen fragte sie nicht ein einziges Mal, wie es mir geht. Mein Zustand war ihr total egal, sie zeigte null Interesse an mir. Stattdessen erzählte sie mir, dass sie keine gescheiten Klamotten habe und unbedingt etwas Neues bräuchte. Cora war total auf dem Egotrip. Ich konnte das nicht glauben. Von einer Sekunde auf die andere war bei mir der Stecker gezogen. Ich ging nach Hause und dachte mir: Das war’s.

Du hast ihr keinen Vorwurf gemacht?

In diesem Moment nicht. Ich war ehrlich gesagt sprachlos. Danach habe ich mich komplett zurückgezogen und mich nie mehr gemeldet. Für mich war klar, das ist aus. Irgendwann hat Cora mich angerufen und aufs Band gesprochen: »Wo steckst du denn?« Ich habe ihr daraufhin einen Brief geschrieben. »Vielleicht wunderst du dich, dass ich mich nicht mehr melde. Aber ich habe das Gefühl, unsere Freundschaft ist zu Ende. Wahrscheinlich vermisst du mich gar nicht.« Der Brief war nicht lang. Ich hatte erwartet, dass Cora sich meldet. Irgendeine Art von Reaktion. Aber es kam nichts außer einer Facebook-Anfrage, viel später. Coras gnadenlose Egozentrik hat mich unfassbar geschmerzt. Die Tatsache, dass ich ihr überhaupt nicht wichtig war, gab unserer Freundschaft den Rest.

Wie lange ist das jetzt her?

Zehn Jahre. Wir waren über zwanzig Jahre eng befreundet. Ich habe viel eingesteckt in dieser Zeit. Mit Sicherheit zu viel. Aber Freundschaft ist ein wertvolles Gut für mich, ich gebe nicht schnell auf. Auch möglich, dass ich aus Angst vor Verlust darin verharrt habe. Und mich mit den guten Momenten getröstet habe, die es zwischendurch ja auch immer gab. Die beste Freundin zu verlieren ist extrem schmerzhaft. Meine Mutter hat mich verlassen. Seitdem habe ich wahrscheinlich eine Macke. Alleingelassen zu werden ist für mich eine Erfahrung, die ich nur schwer aushalte. Es braucht viel, bis ich aktiv sage: »Jetzt reicht es.« Das Herz wieder zu verschließen, wenn es einmal offen war, ist eine harte Sache.

Du bist mit Freundschaften vorsichtiger geworden?

Sagen wir so: Ich würde mein Visier nie mehr komplett öffnen. Lieber behalte ich einen Rest Distanz. Heute habe ich sehr gute Freundinnen, aber es ist nicht mehr so symbiotisch. Mein Bedürfnis nach Ausschließlichkeit hat sich verändert. Das ist auch eine Frage des Alters. Der Reifung. Diese Aufregung, diese Unsicherheit in mir hat sich gelegt. Ich kann besser bei mir bleiben als früher.

Möchtest du den Kontakt mit Cora wieder aufnehmen?

Nein. Das ist vorbei. Ich wüsste nicht, wo wir ansetzen sollten. Wir haben keine Basis mehr. Ich habe zu lange in einer nur halb zufriedenstellenden Situation ausgehalten. Cora war eiskalt bei unserem letzten Treffen. Sie interessiert sich nicht für mich, das muss ich einfach zur Kenntnis nehmen. Dass unsere Freundschaft keinen Abschluss gefunden hat, nagt allerdings schon an mir. Ich bin nicht verbittert, aber es ist verdammt traurig nach über zwanzig Jahren. Wenn Cora nach meinem Brief auf mich zugegangen wäre, hätte ich ihr sicherlich verzeihen können. So gibt es nichts mehr zu verzeihen.

Weißt du, was aus ihr geworden ist?

Sie lebt in Frankreich, hörte ich. Und ist Mutter. Vielleicht hat sie sich ja mal alte Fotos angeschaut und an uns gedacht …

Wofür bist du Cora dankbar?

Für die gute Zeit. Für zwanzig einzigartige Jahre. Und dafür, dass ich jetzt weiß, was Freundschaft für mich ist und was nicht. Ein Ungleichgewicht, eine einseitige Freundschaft lasse ich mir von niemandem mehr gefallen.

Es ging nie um Freundschaft, es ging um ihr Projekt

Katarina und Claudia

Es gibt diesen Augenblick zwischen zwei Menschen, in dem man spürt: Jetzt passiert etwas ganz Besonderes. Das lässt sich nicht erklären, nicht verstehen, nur fühlen. Die Geschichte zwischen Claudia und mir begann so. Von einer Sekunde auf die andere empfand ich eine ungewöhnliche Nähe.

Das war vor acht Jahren in Rumänien, meiner Heimat. Wir wurden einander bei einem Konzert in Bukarest vorgestellt. Claudia gab mir die Hand. Sie war sehr schön, sehr feminin, mit interessanten Gesichtszügen. Ihre Ausstrahlung imponierte mir. Die Art, wie sie ihre Lippen nachzog, sich kleidete, mit welcher Nonchalance sie auf Menschen zuging. Sie war in ihren Vierzigern, etwa zehn Jahre jünger als ich. Schon bei unserer ersten Begegnung empfand ich ein wohliges Gefühl von Wärme. Ich schloss sie sofort in mein Herz. Weil ich diese Frau näher kennenlernen wollte, lud ich sie und ihren Mann in unser Ferienhaus an der rumänischen Küste ein. Sie sagten zu und besuchten meinen Mann und mich wenig später.

Claudia ist Radiojournalistin. Doch vor allem kümmert sie sich um vernachlässigte Kinder, die in Waisenhäusern leben. Sie holt sie am Wochenende in eine Werkstatt, bastelt, malt und näht mit ihnen und bringt ihnen soziales Verhalten bei. »In den Waisenhäusern gibt es zwar Kleidung und Essen, aber die Kinder lernen nichts«, erklärte sie mir. Um finanzielle Unterstützung zu bekommen, spricht Claudia unermüdlich bei Behörden vor, sitzt stundenlang vor verschlossenen Türen und kassiert in der Regel Absagen. Aber sie gibt nicht auf. Nach Theatervorstellungen stehen sie und ihre Mitstreiter am Ausgang und sammeln Spenden. Mehr als umgerechnet einen Euro können die meisten Besucher nicht aufbringen. Trotzdem kommen am Abend schon mal hundert Euro zusammen. Claudia verströmt eine enorme Kraft und kann andere schnell für ihr Anliegen begeistern. Die Waisenkinder sind ihr eine Herzensangelegenheit, sie kämpft mutig und unverdrossen. Das habe ich bei ihrem Besuch verstanden. Voller Bewunderung hörte ich ihr zu. Ich wusste sofort: Dieses Projekt werde ich unterstützen.

Zu Hause in Berlin gaben mein Mann und ich eine Einladung, um Claudias Arbeit vorzustellen. Für die Spendenbox hatte ich eine lustige Idee: Ich verkaufte Küsschen! Wer eines von mir wollte, musste zahlen! Das hat fantastisch funktioniert, alle Gäste erwiesen sich als großzügig. Mein Schwiegervater wollte gleich viermal geküsst werden und holte jedes Mal dicke Geldscheine heraus, bis meine Schwiegermutter ihn ermahnte: »Genug! Jetzt hör endlich auf!« Wir haben viel gelacht auf dieser Party.

Eintausendfünfhundert Euro kamen zusammen. Mein Mann und ich gaben noch fünfhundert dazu, und ich brachte die Summe nach Bukarest zu Claudia. Sie war vor Glück ganz aus dem Häuschen. Die Freundschaft schien für immer besiegelt. Claudia führte uns in ihren Freundeskreis ein. Wir lernten sehr interessierte, gebildete Menschen kennen, unter ihnen Künstler, Theaterleute, Schriftsteller.

Im Sommer organisierten mein Mann und ich in der Nähe unseres Ferienhauses ein Filmfestival. Über zweihundert Leute kamen, darunter Claudia. Sie schlug vor, ein Festival mit Kinderfilmen zu veranstalten. Es hat geklappt, wir fanden einen kleinen Saal. Claudia brachte fünfzehn Waisenkinder mit, zwischen sechs und vierzehn Jahren. Sie waren glücklich, zum ersten Mal in einem eigenen Zimmer im Gasthof schlafen zu dürfen. Mit Fernseher und Fernbedienung! Ich zeigte ihnen den Strand und machte voller Freude Programm rund um die Uhr. Wir befragten die Kinder mit der Kamera. Sie erzählten uns ihre Geschichten und malten, was sie in den Filmen sahen. Danach sprachen wir über die Bilder, und es wurde deutlich, wie persönlich die Kinder den Film erlebt hatten. Da sind tolle, sehr berührende Sachen entstanden. Die Kinder hatten Spaß, entdeckten ihre Lebensfreude und fühlten sich anerkannt. Claudias Idee ging auch diesmal voll auf, obwohl das Geld wie immer knapp war. In Berlin, wo ich lebe, kenne ich einige reiche Rumänen, die in meine Arztpraxis kommen, unter ihnen die Chefin einer Bank. Ich fragte sie nach einer Spende für Claudias Projekt. Zu unserer Überraschung spendete die Bankerin zweieinhalbtausend Euro zu Weihnachten. Claudia und ich waren überglücklich. Es war die Blütezeit unserer Freundschaft.

Monate später rief Claudia mich an, sie wollte mit den Kindern in die Ferien fahren, aber das Geld dafür fehlte mal wieder. Sie bat mich, noch einmal mit der Bankerin zu sprechen. Ich lehnte ab, weil ich das zu fordernd fand. Immerhin ist sie in erster Linie meine Patientin. Ich schlug Claudia vor, selbst zu fragen. Das tat sie, doch ohne Erfolg. Der Fond war leer. Die Bank konnte nicht helfen. Claudia begann daraufhin, mich unter Druck zu setzen. Wie schlimm das sei für die Kinder. Wie verzweifelt sie selbst sei. Ob ich denn keine Ideen hätte und so weiter. Ich empfand sie als sehr penetrant. Was will Claudia von mir?, fragte ich mich. Warum insistiert sie so? Erwartet sie, dass ich persönlich den Betrag aufbringe? Ich sprach sie darauf an. Aber Claudia reagierte beleidigt wie ein Kind. Sie sei tief enttäuscht, dass ich ihr nicht helfe, erklärte sie unwirsch. Ich empfand das als einen schwerwiegenden Vorwurf.

Das ist drei Jahre her, wir hörten erstmal wochenlang nichts voneinander. Als ich mir ein Herz nahm und sie irgendwann anrief, wirkte Claudia verschlossen. »Was ist los? Ist es noch die Sache mit dem Geld?«, fragte ich. »Ja«, antwortete sie knapp. Und: »Du hilfst mir ja nicht.« Sie gab mir also eindeutig die Schuld an unserer Missstimmung. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Schlagartig war mir klar: Claudia denkt, wer aus dem Westen kommt, ist reich. Sie hat keine Ahnung, wie hart ich arbeiten muss, und erwartet, dass ich mehr Geld für sie lockermache, weil ich ja sowieso genug davon habe. »Dein Vorwurf kränkt mich«, gab ich Claudia zu verstehen. Mir war elend zumute. Wenn ich nicht funktioniere und ihre Erwartungen nicht erfüllen kann, dachte ich, verstößt sie mich. »Ich bin nur deine Freundin, wenn ich Geld gebe. Damit fühle ich mich nicht gut. Überlege dir, was das für unsere Freundschaft bedeutet«, sagte ich noch am Ende des Telefonats. Wieder entstand eine wochenlange Pause.

Umso erstaunlicher erschien mir unser Wiedersehen im Sommer in Rumänien. Claudia zeigte sich so herzlich, als ob alles in Ordnung wäre zwischen uns. Ich war erleichtert und überzeugt, wir hätten den Konflikt gemeistert. Versuchte, mich in Claudias Lage zu versetzen und sie besser zu verstehen. Sie ist mit ihren Gedanken ständig bei den Kindern, sagte ich mir, sie setzt sich selbst so unter Druck. Und vielleicht denkt sie wirklich, ich bin eine wahnsinnig reiche Frau und kann schnell mal fünftausend Euro beisteuern. Ich entschied mich, das Vergangene zu vergessen.

Doch ich hatte mich getäuscht, der Konflikt schwelte weiter. Unser Verhältnis kühlte zunehmend ab, wir wurden immer steifer miteinander. Claudia war nicht mehr so spontan und unbefangen wie früher. Ich konnte mich nicht gegen den Eindruck wehren, sie benutze meinen Mann und mich lediglich als renommiertes Aushängeschild für ihre Projekte. Tatsächlich konnte sie mit unserer Unterstützung noch einmal einen größeren Betrag für die Ausbildung von Betreuern und Erziehern sammeln. Darüber entstand wieder ein Film, aber diesmal wurden mein Mann und ich nicht wie früher als Berater hinzugezogen. In dem Film wurden die Kinder auch nicht kommentarlos gezeigt, sondern ihr Verhalten wurde von den Erziehern bewertet und ihre oft tragischen Lebensgeschichten offengelegt. Aus unserer Sicht war das ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre. Mein Mann und ich standen mit unseren Namen für den Film. In unserer früheren Arbeit war es nur um Filmwahrnehmung gegangen – jetzt plötzlich war öffentliche Therapie daraus geworden. Wir konnten ihn nicht akzeptieren. Mein Mann schrieb eine entsprechende Mail an Claudia.

Die Endphase unserer Freundschaft war in diesem Moment eingeläutet. Zurück kamen aggressive, boshafte Zeilen, sie waren an mich gerichtet. Darin stand, ich hätte meinen Mann aufgehetzt und hinter Claudias Rücken schlecht geredet. Sie zweifele schon länger an uns und sei nun endgültig fertig mit dieser Freundschaft. Heute bin ich sicher, es ging Claudia nie um Freundschaft, es ging ausschließlich um ihr Projekt. Ich war für Claudia nur wichtig, solange ich Geld einbringe. Aber selbst wenn ich tausend Euro spende, irgendwann ist auch das nicht mehr genug. Erwartungen steigern sich bekanntlich. Unser Verhältnis hätte sich komplett verändert. Ich hätte akzeptiert, nur gemocht zu werden, weil ich zahle. Für mich ist das eine Freundschaft ohne Wert. Ich schrieb ihr zurück: »Ich verstehe, dass du unsere Freundschaft beenden willst. Es ist tatsächlich keine. Es ist Business. Freundschaft bedeutet für mich etwas anderes.«

Wenig später in Bukarest machte ich noch einmal einen Versuch. Ich wollte den Bruch mit ihr einfach nicht wahrhaben. Und sagte mir, komm, du bist die Ältere, mach den ersten Schritt, obwohl sie dich verletzt hat. Also ging ich auf Claudia zu: »Lass dich umarmen!« Aber sie stand steif wie ein Stock da und wollte nicht reden. Sie sei zu beschäftigt, erklärte sie. Ich spürte etwas Endgültiges in ihrer Stimme. Das Ende unserer Freundschaft war gekommen. Claudia und ich schaffen den Weg zurück nicht mehr, den Weg zueinander. Die Wahrheit ist: Wir haben uns verloren.

Ich kann nicht beschreiben, wie unendlich traurig mich das macht. Als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Mein Heimatboden. Vor dreißig Jahren musste ich Rumänien verlassen, noch unter dem kommunistischen Regime. Das Land hat mich damals ausgestoßen, ich fühlte mich wie aus meinem Elternhaus gejagt. Jahrelang wollte ich mit meiner Heimat nie mehr etwas zu tun haben. Besuche bei meiner Mutter, die in Bukarest lebt, habe ich jedes Mal gehasst. Mein Herz war wie aus Beton. Nichts Rumänisches sollte hineindringen. Als ich meinen zweiten Mann, einen Deutschen, kennenlernte, kauften wir uns ein einfaches Haus am Meer und eine kleine Wohnung in Bukarest. Liebevoll meinte er: »Ein Stück Heimat für dich. Ich glaube, du brauchst das.« Aber immer noch fühlte ich mich unbehaglich, um nicht zu sagen fremd in Rumänien. Obwohl ich nach wie vor oft rumänisch spreche und schreibe und in Deutschland viele rumänische Freunde habe.

Erst durch Claudia, also vor acht Jahren, bekam ich allmählich wieder Zugang zu meiner ehemaligen Heimat. Langsam konnte ich mich öffnen und entdecken, was das Land mir zu sagen hat. Als ich Claudia und ihre Freunde kennenlernte, atmete ich auf und dachte: Es gibt ein modernes Rumänien. Ein Land mit neuen Menschen. Mit Hoffnungsträgern. Hier passiert etwas, worauf ich stolz sein kann. Mit Claudia glaubte ich, meine Beziehung zu meiner Heimat reparieren zu können. Ich durfte wieder Nähe fühlen. Sie hat mich mit Menschen zusammengebracht, die Mut haben und Mut machen. Die unglaublich viel auf die Beine stellen. Die meisten Leute sind ausgewandert und arbeiten im Ausland. Wer bleibt denn noch in diesem Land? Dass es Menschen wie Claudia und ihren Freundeskreis gibt, hat mich beflügelt.

Meine Seele jubelte. Meine Freundin konnte mir dabei helfen, eine positive Beziehung zu meiner Heimat aufzubauen. Doch meine Hoffnung war übertrieben groß. Am Ende habe ich entdeckt, das Einzige, was ich geben soll, ist Geld. Wenn ich das nicht kann, bin ich sofort raus. Das tut furchtbar weh. Denn es ist doch so: Als Mensch bin ich nicht wichtig, sondern als Bank.