Aus Zeit wird Ewigkeit - Rudolf Bultmann - E-Book

Aus Zeit wird Ewigkeit E-Book

Rudolf Bultmann

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Beschreibung

Von Rudolf Bultmann sind aus seiner Marburger Zeit 15 Trauerpredigten und zwei Gedenkansprachen erhalten. Sie vermitteln den Trost aus dem Glauben, dass die Toten in Gottes Hand sind. Dabei wird die Schwere des Verlusts nicht überspielt, zugleich jedoch der Blick auf die Ewigkeit als das Ziel unserer irdischen Wanderschaft gerichtet. Der Glaubende nimmt in der Hoffnung bereits voraus, was sich in der Gottesschau erfüllen wird. In der Trauerpredigt darf auch der Dank zum Ausdruck kommen für das, was den Trauernden in dem zu Ende gegangenen Leben geschenkt worden ist und nun in der Erinnerung zu ihrem inneren Besitz werden kann. Dabei verzichtet Bultmann auf ein richterliches Urteil, da dieses allein Gott zusteht. Es ist Gottes Gnade, die den Tod zum Tor in das Leben werden lässt. [Time becomes Eternity. Mourning Sermons] From Rudolf Bultmann's time in Marburg fifteen mourning sermons and two remembrance speeches are preserved. They offer comfort from the belief that the dead are in God's hand. This does not smooth over the serverity of loss, yet directs the view on eternity as the end of our earthly wanderings. The believer anticipates already in its hope what will be fulfilled in the beatific vision of God. Gratitude ist expressed in the mourning sermons for what was given to the mourners by the life that ended and what can now become their internal possession through their remembrance. At the same time Bultmann forgoes an adjudication, since this is exclusively entitled to God. It is from God's grace that death turns to be the gate into life.

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AUS ZEIT WIRD EWIGKEIT

Rudolf Bultmann

AUS ZEIT WIRD EWIGKEIT

TRAUERPREDIGTEN

Eingeleitet und herausgegeben von Werner Zager

RUDOLF BULTMANN, 1884–1976, D. theol., D.D., war von 1921 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1951 o. Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg und zählt zu den profiliertesten Theologen des 20. Jahrhunderts.

WERNER ZAGER, geb. 1959, Dr. theol., ist apl. Professor für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiter der Evangelischen Erwachsenenbildung Worms-Wonnegau.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: Zacharias Bähring, Leipzig

Coverbild: »Der alte Kirchturm auf Wangeroog«, Zeichnung Rudolf Bultmanns aus dem Jahre 1901, UB Tübingen, Nachlass Rudolf Bultmann, Mn 2-3057.

Satz: Raphael Zager, Tübingen

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

ISBN 978-3-374-05584-5

www.eva-leipzig.de

VORWORT

Von Rudolf Bultmann sind aus seiner Marburger Zeit 15 Trauerpredigten und zwei Gedenkansprachen – seine Ansprache zum Gedenken an die gefallenen Brüder vom 1.3.1925 und die zum Gedenken an die verstorbenen Bundesbrüder des Tübinger »Igel« vom 25.7.1954 – erhalten.

Sie vermitteln Trost aus dem Glauben, dass die Toten in Gottes Hand sind. Dabei wird die Schwere des Verlusts nicht überspielt, zugleich jedoch der Blick auf die Ewigkeit gerichtet als dem Ziel unserer irdischen Wanderschaft. Der Glaubende nimmt in der Hoffnung bereits voraus, was sich in der Gottesschau erfüllen wird.

In der Trauerpredigt darf auch der Dank zum Ausdruck kommen für das, was den Trauernden in dem zu Ende gegangenen Leben geschenkt worden ist und nun in der Erinnerung zu ihrem inneren Besitz werden kann. Dabei verzichtet Bultmann als ein der paulinischlutherischen Rechtfertigungsbotschaft verpflichteter Theologe auf ein richterliches Urteil, da dieses allein Gott zusteht. Es ist Gottes Gnade, die den Tod zum Tor in das Leben werden lässt.

Die Edition von Bultmanns Trauerpredigten geht auf eine Anregung von Herrn Prof. Dr. Konrad Hammann zurück, die ich gerne umgesetzt habe. Der Titel des vorliegenden Buchs nimmt eine Formulierung aus einem Gedicht Bultmanns auf, die in prägnanter Weise dessen Ewigkeitshoffnung zum Ausdruck bringt.

In der folgenden Einleitung behandle ich Bultmanns Praxis als Trauerprediger. Dabei gilt es, sein theologisches Anliegen herauszuarbeiten und in Beziehung zu setzen, wie er sich in anderen Kontexten als Theologe zu Sterben, Tod und ewigem Leben geäußert hat. Die Edition selbst bietet die Texte in der originalen Schreibweise des Verfassers, wobei Abkürzungen stillschweigend aufgelöst worden sind. Die Anmerkungen bringen Zitatnachweise und knappe Erläuterungen. Den Predigten werden jeweils Angaben über die Biographie des Verstorbenen/ der Verstorbenen und Bultmanns Verhältnis zu ihr/ihm und/oder zu den Angehörigen vorangestellt.

Mein Dank gilt Frau Dr. Annette Weidhas für die Aufnahme dieses Bandes in das Programm der Evangelischen Verlagsanstalt und die bewährte Zusammenarbeit bei der Veröffentlichung. Weiterhin danke ich dem Verein zur Erforschung kirchlicher Zeitgeschichte nach 1945 e.V. für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Schließlich möchte ich auch meinem Sohn Raphael Zager herzlich danken für die zuverlässige Erstellung der Druckvorlage.

Frankfurt am Main, im April 2018

Werner Zager

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG von Werner Zager

STIMME DES SCHICKSALS – GOTTES STIMME

Ansprache bei der Trauerfeier für Max Löhlein am 30. Dezember 1921

GEDENKEN AN DIE GEFALLENEN BRÜDER

Ansprache bei der Gedenkfeier am 1. März 1925

HEBRÄER 13,14

Ansprache bei der Trauerfeier für Helmut Brachmann am 23. Juni 1939 in Marburg

PSALM 90,2-6.10.12; MATTHÄUS 5,8

Ansprache bei der Trauerfeier für Carl Bantzer am 23. Dezember 1941 in Marburg

HEBRÄER 13,14

Ansprache bei der Trauerfeier für Ilse Brachmann am 7. August 1942 in Marburg

RÖMER 8,31.35.37-39

Ansprache bei der Gedenkfeier für Herbert Birtner am 31. Oktober 1942 in Marburg

1. KORINTHER 3,18-23

Ansprache bei der Trauerfeier für Max Kommerell am 29. Juli 1944 in Marburg

JOHANNESOFFENBARUNG 21,3-6

Ansprache bei der Trauerfeier für Ursula von Loewenstein zu Loewenstein am 13. Oktober 1944 in Marburg

MATTHÄUS 5,6

Ansprache bei der Trauerfeier für Max Krüger am 15. März 1945 in Marburg

1. KORINTHER 4,1-4

Ansprache bei der Trauerfeier für Hans Freiherr von Soden am 8. Oktober 1945 in Marburg

JOHANNESOFFENBARUNG 14,13; JESUS SIRACH 51,35; 2. TIMOTHEUS 4,7

Ansprache bei der Trauerfeier für Rudolf Beneke am 6. April 1946 in Marburg

MATTHÄUS 5,8; RÖMER 14,7F.

Ansprache bei der Gedenkfeier für Karl Francis Bantzer am 12. Mai 1946 in Marburg

JOHANNESOFFENBARUNG 14,13

Ansprache bei der Trauerfeier für Katharina Kippenberg geb. von Düring am 12. Juni 1947 in Marburg

PSALM 90,1-6.10

Ansprache bei der Trauerfeier für Max Versé am 4. September 1947 in Marburg

JOHANNESOFFENBARUNG 2,10B

Ansprache bei der Trauerfeier für Luise Feldmann am 4. März 1948 in Marburg

2. KORINTHER 12,7-10

Ansprache bei der Trauerfeier für Wilhelm Kalthoff am 5. Februar 1949 in Marburg

LUKAS 20,38; 1. KORINTHER 7,29-31; PSALM 31,16

Ansprache bei der Gedenkfeier für die verstorbenen und gefallenen Bundesbrüder der Akademischen Verbindung Igel am 25. Juli 1954 in Tübingen

BIBELSTELLENREGISTER

EINLEITUNG

von Werner Zager

Die meisten seiner Trauerpredigten hat Rudolf Bultmann zwischen 1939 und 1949 in Marburg gehalten, also in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren. Die Verstorbenen oder deren nächsten Verwandte bzw. Freunde hatte er offenbar persönlich gekannt, zum Teil mit ihnen in einem engeren Verhältnis gestanden. Viele der Verstorbenen gehörten in das Umfeld der Marburger Universität oder partizipierten wie die Familie Bultmann selbst am geistigen und kulturellen, insbesondere musikalischen Leben der Universitätsstadt. Von daher erklärt sich auch, dass Bultmann die Ansprachen häufig nicht auf dem Friedhof, sondern im intimen Familien- und Freundeskreis in den Häusern der Verstorbenen hielt – sei es zusammen mit dem Sarg oder zum Gedenken des im Krieg Gefallenen. Auch die Universitätskirche, der Hörsaal der Anatomie und die Kapelle des Pathologischen Instituts in Marburg waren Orte der Trauerfeier. In zwei Fällen wissen wir, dass Bultmann die Trauerpredigt übernahm, während ein Marburger Pfarrer für die Beerdigung zuständig war.

Die Trauerpredigten sind durchweg ausformuliert und von Bultmann mit der Hand geschrieben. Zum Teil enthalten die Manuskripte auch die Schriftlesungen, in einem Fall die bei der Trauerfeier gesungenen Lieder. Vielfach sind Gebete angefügt, die entweder der Agende entnommen sind oder sich daran anlehnen, bisweilen wohl von Bultmann selbst verfasst sind. Bei zwei Trauerfeiern fungieren der Sonnengesang des Franz von Assisi bzw. Liedstrophen von Gerhard Tersteegen als Gebete.

Abgesehen von der Gedenkansprache von 1925 für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen, in der kein kirchlicher Rahmen zu erkennen ist, bediente sich Bultmann in seinen Trauerpredigten sonst eines, öfters auch mehrerer biblischer Texte. Er tat dies nicht zuletzt aus der Überzeugung, dass nur ein Wort Gottes angesichts von Leid und Tod trösten kann (S. 64).1 Dabei war er stets darauf bedacht, einen Zusammenhang mit der Biographie der Verstorbenen herzustellen, wobei diese jeweils unterschiedlich stark zur Geltung kommt. Auch das Gewicht der biblischen Texte ist für den Aussagegehalt der Predigt nicht immer gleich. »Einige werden zu Beginn bzw. zum Schluß der Ansprache faktisch lediglich verlesen oder klingen nur an, andere dagegen belegen bzw. begründen einen (manchmal auch nur marginalen) Gedankengang.«2

Ein sich durchhaltendes Anliegen Bultmanns war es, in seinen Trauerpredigten nach Möglichkeit die Verstorbenen selbst zu Wort kommen zu lassen. »Schon in der biblischen Textauswahl für die Ansprache findet dieses Interesse Bultmanns seinen Ausdruck: Entweder hatten die Verstorbenen oder deren Familien den Text selbst ausgewählt, oder aber er hatte für sie eine besondere Bedeutung.«3 Darüber hinaus ließ sich der Trauerprediger von der Überzeugung leiten, dass die Verstorbenen durch ihre Gedanken, ihr Wesen, ihre künstlerischen Äußerungen oder ihr Vorbild in der Lage sind, »den biblischen Text verstehbar zu machen und damit den Angehörigen den christlichen Trost angesichts des Schmerzes über den Verlust eines geliebten Menschen zu vermitteln«.4 Dabei griff Bultmann auf Briefe, Predigten, Publiziertes oder Kunstwerke der Toten zurück, auf eine gewählte Grabinschrift oder von ihnen verfasste Gedichte.5

Es ist deutlich, dass die Adressaten der Trauerpredigten Bultmanns die Hinterbliebenen sind, und nicht etwa der verstorbene Mensch. Die Trauernden sollen getröstet und zugleich ermutigt werden, den Weg ins Leben zu finden. Damit »steht Bultmann ganz in der Tradition der Reformation. In deren Folge hat sich ein Bestattungstypus ausgebildet, der sich bewußt nicht dem Ritus am toten Menschen zuwendet, sondern dem Trost der Hinterbliebenen. Der Verstorbene bleibt dabei im Hintergrund.«6

Bei aller persönlichen Ausrichtung der Ansprachen kann man feststellen, dass sich etliche Grundgedanken in der Verkündigung durchhalten, die auch in Bultmanns systematisch-theologischen Vorträgen und Aufsätzen begegnen:

1. Für Bultmann ist eine grundlegende Einsicht, dass der Tod stumm macht. Das Schicksal von Sterben und Tod muss ausgehalten werden und darf nicht mit vordergründigen Trostgründen umgangen werden. Wer keinen Scheintrost will, müsse zur letzten und tiefsten Wirklichkeit durchdringen, aus der unser Schicksal hervorwächst. So begreift Bultmann die Trauerpredigt als einen Versuch, auf das zu hören, was Gott uns durch den Tod eines Menschen sagen will. Sie darf nicht über den Ernst der Abschiedsstunde hinwegreden, gilt es sich doch zu »beugen vor der Majestät der Ewigkeit, die in der Gestalt des Todes uns begegnet« (S. 39). Angesichts der Ewigkeit schrumpfe nämlich alles menschliche Tun zu einem Nichts zusammen (S. 132).

2. In einer Predigt macht Bultmann sich die Vorstellung zu eigen, dass das menschliche Leben sich als eine »Wanderschaft aus der Fremde in die Heimat« vollziehe, als eine Wanderung aus der alten, vergänglichen Welt zur neuen, unvergänglichen Welt (S. 34). Dies steht im Einklang damit, dass Bultmann in seinen Trauerpredigten auf vielerlei Weise immer wieder die Hoffnung auf Vollendung in der Ewigkeit Gottes zur Sprache bringt. So bezieht er etwa die Verheißung in Jesu Seligpreisung »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen« (Mt 5,8) auf »das Gottschauen in der Ewigkeit, jenseits der Zeit« (S. 43). Damit schließt Bultmann die Möglichkeit einer Gottesschau in dieser Welt zwar nicht aus, in vollem Maße werde sie aber erst jenseits des Todes zuteil. Es ist der »Glaube an eine Welt jenseits der Welt des Irdischen«, der »Glaube an die Welt Gottes« (S. 48), der die Kraft verleiht, Schicksalsschläge zu tragen und nicht darunter zu zerbrechen.

3. Die von Bultmann verkündigte Ewigkeitshoffnung richtet sich nicht auf eine nähere oder fernere »Zukunft irdischer Welt und ihrer Geschichte«, sondern auf »die Welt der Ewigkeit«, die für uns nicht allein eine zukünftige Größe ist, sondern die »ewig gegenwärtig jenseits dieser unserer Welt« ist (S. 76). Indem Menschen bereits in ihrer irdischen Existenz mit der jenseitigen Welt vertraut sind und sich auf ihrem Lebensweg von dem ewigen Gott führen lassen, werde es ihnen möglich, selbst das Liebste loszulassen und als ihnen geliehene Gabe in Gottes Hand zurückzugeben (S. 77). Wenn ihnen nun durch den Tod ein geliebter Mensch genommen wird, werden sie dadurch in die Einsamkeit vor Gott gestellt. Als Christen – so Bultmann weiter – sind sie damit aber zugleich unter das Kreuz Christi gestellt. Dieses lehre nicht nur, »vor Gott stille zu sein im Dunkel«, sondern sei im Sinne der Osterbotschaft auch »das Zeichen der Verheißung, daß uns aus dem Dunkel das Licht aufgehen soll« (ebd.). Wer »seine eigentliche Heimat« in der jenseitigen Welt Gottes hat, weiß sich innerlich frei gegenüber seinem Ergehen in dieser Welt (ebd.), sind wir hier doch nur Gäste auf Zeit (S. 132 f).

4. Christliche Lebenshaltung sieht Bultmann dadurch bestimmt, dass wir zwar unsere Verantwortung wahrnehmen, indem wir sorgen und planen, uns aber eine innere Freiheit davon bewahren. Denn – so lautet die Begründung – Gott »braucht uns, so lange er will und wofür er uns will, und wir haben kein Recht, zu bestimmen, wie lange unser Leben währen soll, welche Pläne wir zur Ausführung bringen, welches Werk wir vollenden wollen« (S. 108).

Damit in Übereinstimmung beurteilt Bultmann in seinem Vortrag »Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung« den menschlichen Anspruch auf Glück als Sünde, ebenso den »Anspruch eigener Gerechtigkeit«.7

5. Hinzu kommt nun noch für Bultmann, dass sich mit der christlichen Ewigkeitshoffnung die Sehnsucht nach Erlösung verbindet. Es ist »die tiefe Sehnsucht, sich als den bestätigt zu sehen, als der in Gottes Augen dastehen und gelten zu dürfen, der man im Innersten sein möchte« (S. 83). So gewiss der Christ in der Hoffnung das Ziel vorausnehme, die Erfüllung steht noch aus. Diese bringe erst die »Welt des Wesenhaften jenseits dieser irdischen Welt« (S. 126).

Ein vergleichbarer Gedanke begegnet auch in Bultmanns Artikel »Gott in der Natur«, in dem es heißt: »Die Unendlichkeit unserer Aufgabe erhält uns lebendig. Aber freilich nur dann, wenn uns der Sinn für das Ewig-Vorläufige unserer Arbeit nicht verloren geht, wenn wir vielmehr dadurch stets aufs neue in die Unruhe und Fragwürdigkeit unseres Lebens hineingeführt werden. […] Und wir finden doch unser eigentliches Sein, unser Selbst, nicht in der Welt unseres Gestaltens, der Welt des Ewig-Vorläufigen. Sind wir denn überhaupt mehr als ein Ewig-Vorläufiges, ein ›Nicht mehr‹ und ein ›Noch nicht‹? Freilich nicht in dieser Welt; in ihr stehen wir in steter Spannung zwischen dem ›Nicht mehr‹ und dem ›Noch nicht‹; unser eigentliches Sein, unser Selbst, kann nicht zur Erscheinung kommen; wir können nur daran glauben. Aber gerade jene Spannung und Unruhe […] macht uns innerlich frei von der Welt des Ewig-Vorläufigen und gibt uns den Sinn für die Welt des Ewigen, für die Welt Gottes.«8

Es fällt auf, dass Bultmann außerhalb der Trauerpredigt Erlösung als »Befreiung von sich selbst« versteht, die identisch mit der Vergebung der Sünde sei. Die so verstandene Erlösung geschieht nicht erst postmortal, sondern wird vom Glauben ergriffen, der Gottes Wort der Vergebung vertraut, das Gottes Heilstat in Christus verkündigt.9 Gleichwohl hält Bultmann als Theologe am eschatologischen Vorbehalt fest: Der Glaubende steht noch nicht im Schauen; er ist in der Welt, gehört aber nicht mehr zu ihr.10

6. Als Trauerprediger weiß Bultmann darum, dass er nicht zum »richterlichen Urteil berufen« ist – auch dann nicht, wenn der Verstorbene ihm besonders nahestand (S. 92 f.). Dessen Qualitäten dürfe er »vor Gott nicht rühmend nennen« (S. 120), was der paulinischlutherischen Rechtfertigungsbotschaft zuwiderlaufen würde.11 Der Verstorbene sei vielmehr der Gnade Gottes anzubefehlen.

7. Dagegen hält Bultmann es für legitim, sich dessen Bild bzw. Wesen dankend zu vergegenwärtigen, und damit den Segen, mit dem Gott sein Leben gesegnet hat (S. 93). In der Trauerfeier dürfen wir uns von einem Verstorbenen mit Dank verabschieden – mit Dank gegenüber ihm und mit Dank gegenüber Gott, der ihn uns geschenkt hat (S. 142). Ja, Bultmann geht noch darüber hinaus, wenn er den Wunsch ausspricht, dass das durch den Verstorbenen geschenkte Gute zu einem inneren Besitz werden soll, der sich in der Zukunft als fruchtbar erweist (S. 112).

8. In der Trauerpredigt verzichtet Bultmann bewusst darauf, das Leben in der Ewigkeit näher zu beschreiben. Dieses ist nicht in Worten auszudrücken. Selbst die Musik ist nur ein Symbol, das uns ahnen lässt, »daß es ein Leben gibt, dessen Gehalt nicht in Worte faßbar ist« (S. 135).

Demgemäß heißt es in Bultmanns Aufsatz »Die christliche Hoffnung und das Problem der Entmythologisierung«: »Das einzig Gewisse der menschlichen Zukunft ist ja, daß jedem Menschen der Tod bevorsteht. Für den, der offen ist für alle Zukunft als die Zukunft des kommenden Gottes, hat der Tod seine Schrecken verloren. Er wird darauf verzichten, die Zukunft, die Gott im Tode schenkt, auszumalen; denn alle Bilder von einer Herrlichkeit nach dem Tode können nur Wunschbilder der Phantasie sein; und der Verzicht auf Wunschbilder gehört zur radikalen Offenheit des Glaubens an Gottes Zukunft. Der durch die Entmythologisierung freigelegte Sinn der mythologischen Hoffnungsbilder aber ist der, daß sie von der Zukunft Gottes reden als von der Erfüllung des menschlichen Lebens.«12

In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich Bultmann mit einer Reihe von damals erschienenen Beiträgen zur Gottesfrage auseinander, die sich gegen ein theistisches Gottesbild wandten. So zeigte er sich aufgeschlossen gegenüber der von John A.T. Robinson geforderten »Transformation des Gottesbildes, in dem der Gegensatz von Welt und Gott, von Diesseits und Jenseits überwunden ist«.13 Mit Paul Tillich sei Gott »als die Tiefe und der Grund alles Seins« oder im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer »als das Unbedingte im Bedingten« zu begreifen.14 Wie sich die von Bultmann geforderte Überwindung des Gegensatzes von Diesseits und Jenseits15 auf die Trauerpredigt auswirken müsste, ist eine offene Frage, da es aus dieser Zeit keine Trauerpredigten Bultmanns gibt.

Die beiden Gedenkansprachen Bultmanns von 1925 und 1954 heben sich von seinen Trauerpredigten dadurch ab, dass sie nicht einem einzelnen Verstorbenen gelten, sondern gefallenen Kommilitonen bzw. Bundesbrüdern zweier studentischer Vereinigungen, denen Bultmann selbst angehörte. Er spricht hier zugleich als Bundesbruder und als Theologe.

Beim Gedenken für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen tritt die politische Verantwortlichkeit hervor, in der Bultmann dies tut. Der Trauerredner will das Gedenken an die im Krieg umgekommenen Soldaten nicht der bürgerlichen Rechten überlassen. Offenbar gab es einen Riss in der Marburger Gesellschaft und Universität, der es nicht zuließ, eine gemeinsame Trauerfeier zu halten (S. 29). Zwar kann Bultmann der Gefallenen in Trauer, sogar in Stolz gedenken, aber »nur ihnen zur Ehre« und »nicht dem Kriege zur Ehre« (S. 28). Auch vermag er von ihrem Heldentum zu sprechen, von ihrer Bereitschaft, ihr Leben für Deutschland hinzugeben. Jedoch sei solche Hingabe nur gerechtfertigt, wenn dieses Deutschland »dazu beiträgt, daß der Welt der Frieden erhalten werde« (ebd.). Und so ermahnt Bultmann die Teilnehmer der Gedenkfeier zur Pflicht, mutig für Republik und Demokratie einzutreten (S. 29). Nur derjenige könne glauben, dass die Gefallenen in Gottes Hand sind, der selbst nicht nur von Recht und Gerechtigkeit rede, sondern sich auch selbst davon bestimmen lasse (S. 30).

In der zweiten Gedenkrede, in der der Opfer beider Weltkriege gedacht wird, hält Bultmann dazu an, auf eigene Wünsche zu verzichten, um dadurch offen zu werden »für das Leben, das Gott schenkt« (S. 157). Und wie die toten Bundesbrüder sich ihrer Sterblichkeit bewusst waren, wovon ihre Studentenlieder zeugen, so sollen auch wir in Distanz zur Welt leben. Eine solche Lebenshaltung realisiert sich Bultmann zufolge in jeder wirklichen Begegnung; denn diese »läßt uns die Vorläufigkeit dessen, was wir sind, erfahren und stellt uns in Frage, ob wir uns von dem frei machen, was wir immer schon sind, offen für das Neue, das auf uns zukommt, und durch das wir selbst immer neu werden sollen« (S. 160 f.). Anders als in den Trauerpredigten, in der sich die vergängliche Welt und Gottes Ewigkeit gegenüberstehen, lässt Bultmann in der Gedenkrede von 1954 die »flüchtige Zeit des Vergehens« von der Ewigkeit Gottes »umfangen« sein, womit er Ps 31,16 interpretiert: »Meine Zeit steht in Deinen Händen.«

Die Hoffnung, die Bultmann in seinen Predigten angesichts des Todes verkündigte, kommt prägnant zum Ausdruck in seinem Gedicht, das er im Jahr 1949 in das Gästebuch seines Vetters Fritz Bultmann eingetragen hat:

»Wir sind als Zeitliche geboren,

Und nie bleibt unser Jetzt bestehn.

So ist denn, was wir tun, verloren?

Und müssen wir mit ihm vergehen?

Getrost! Es will der Zeiten Schwinden

Uns von uns selber machen frei,

Damit im Kommenden wir finden

Uns selber ständig wieder neu.

So sagt das WORT, und bist du offen

Und dem Begegnenden bereit,

So darfst du glaubend, liebend hoffen,

Und aus der Zeit wird Ewigkeit.«16

1Die in den Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Edition in diesem Band.

2MICHAEL DORHS, Über den Tod hinaus. Grundzüge einer Individualeschatologie in der Theologie Rudolf Bultmanns (EHS.T 665), Frankfurt a.M. 1999, S. 57.

3A.a.O., S. 58.

4Ebd.

5 Vgl. EBERHARD HAUSCHILDT, Rudolf Bultmanns Predigten. Existentiale Interpretation und lutherisches Erbe (MThSt 26), Marburg 1989, S. 243.

6M. DORHS, Über den Tod hinaus (s. Anm. 2), S. 59.

7RUDOLF BULTMANN, Die liberale Theologie und die jüngste theologische Bewegung (1924), in: ders., Glauben und Verstehen. GAufs., Bd. I, Tübingen 81980, S.(1-25)19.

8RUDOLF BULTMANN, Gott in der Natur, in: ChW 36 (1922), Sp. (489-491. 513 f. 553 f.) 553 f.

9Vgl. RUDOLF BULTMANN, Das Verständnis von Welt und Mensch im Neuen Testament und im Griechentum (1940), in: ders., Glauben und Verstehen. GAufs., Bd. II, Tübingen 51968, S. (59-78) 74 f.

10Vgl. RUDOLF BULTMANN, Die Frage der natürlichen Offenbarung (1941), in: ders., Glauben und Verstehen. GAufs., Bd. II, a.a.O., S. (79-104) 97 f.

11Vgl. EBERHARD HAUSCHILDT, Rudolf Bultmann als lutherischer Prediger, in: Bultmann und Luther. Lutherrezeption in Exegese und Hermeneutik Rudolf Bultmanns, hg. v. Ulrich H.J. Körtner, Christof Landmesser, Mareile Lasogga u. Udo Hahn, Hannover 2010, S. 23-63.

12 RUDOLF BULTMANN, Die christliche Hoffnung und das Problem der Entmythologisierung (1954), in: ders., Glauben und Verstehen. GAufs., Bd. III, Tübingen 31965, S. (81-90) 90.

13 RUDOLF BULTMANN, Ist der Glaube an Gott erledigt? (1963), in: ders., Glaben und Verstehen. GAufs., Bd. IV, Tübingen 31975, S.(107-112) 108.

14Ebd. – Vgl. auch RUDOLF BULTMANN, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch (1963), in: ders., Glauben und Verstehen. GAufs., Bd. IV, a.a.O., S. (113-127) 122: »Das eben ist es, was Robinson als die notwendige Revolution bezeichnet: Nachdem aus dem Gott oberhalb der Welt der Gott jenseits der Welt geworden war, gilt es heute, Gott mitten in der Welt, in der Gegenwart zu finden.«

15Vgl. R. BULTMANN, Der Gottesgedanke und der moderne Mensch, a.a.O., S.

16RUDOLF BULTMANN, Eintrag in das Gästebuch von Fritz Bultmann, Ganderkesee, 3.–7.3.1949; zit. nach: Gedichte, 3. Heft, Nachlass Rudolf Bultmann, Mn 2-3440, Universitätsbibliothek Tübingen.

STIMME DES SCHICKSALS – GOTTES STIMME

Ansprache bei der Trauerfeier für Max Löhlein am 30. Dezember 19211

Auf Bitten von Konrad Löhlein (1876–1936),2 der als Hochschulreferent im Hessischen Landesamt für das Bildungswesen mit Rudolf Bultmann in Kontakt stand, hielt Bultmann wenige Monate nach seinem Wechsel als Ordinarius für Neues Testament von Gießen nach Marburg die Traueransprache für dessen Bruder, den Medizinprofessor Max Löhlein, im Rahmen der Trauerfeier, die am 30. Dezember 1921 im Hörsaal der Anatomie in Marburg stattfand. Die Beisetzung erfolgte am Tag darauf im engsten Familienkreis auf dem Marburger Hauptfriedhof an der Ockershäuser Allee.3

Der am 3. Juni 1877 in Berlin als Sohn des Gynäkologen Hermann Löhlein geborene Max Löhlein hatte von 1896 bis 1900 Medizin an den Universitäten Bonn, Würzburg und Gießen studiert. Nach seiner Promotion im Jahr 1900 in Gießen arbeitete er bis 1905 als Assistent am Pathologischen Institut in Leipzig, am Hygienischen Institut in Halle, am Institut Pasteur in Paris und am Institut für Infektionskrankheiten in Berlin. Anschließend war er bakteriologischer Assistent an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, wo er sich 1906 für Medizin habilitierte. Im Jahr 1910 unternahm er als Bakteriologe und Pathologe eine 1½-jährige Studienreise nach Duala (Kamerun). Nach seiner Rückkehr nach Leipzig wurde er außerordentlicher Professor. Von 1913 an wirkte er als Prosektor am Städtischen Krankenhaus in Charlottenburg. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Löhlein zunächst vor Antwerpen stationiert, dann kam er als Bakteriologe und Hygieniker nach Grodno, Bialystok und Kowno und schließlich als Armee-Pathologe nach Wilna. Nach der Rückkehr in seine frühere Stellung folgte er im Oktober 1918 dem Ruf auf eine ordentliche Professur für Pathologische Anatomie an der Universität Marburg. Schwerpunkte seiner Forschung bildeten die Bakteriologie und Tropenkrankheiten.4

Max Löhlein verstarb am 27. Dezember 1921 im Alter von 44 Jahren an einer »schweren Streptokokkeninfektion«, die er sich bei der »Untersuchung von septischen Organen« zugezogen hatte.5 Max Löhlein war seit 1913 mit Susanna Löhlein, geb. Hantzsch (geb. 1888) aus Leipzig verheiratet. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Gertrud (geb. 1914), Gerhard (geb. 1916), Rudolf (geb. 1919) und Gisela (geb. 1921).6

Die Worte menschlicher Teilnahme, die Worte aus Kollegen-, aus Freundesmund sind gesprochen, Worte herzlicher Verbundenheit, Worte der Wertschätzung, Worte des Schmerzes. Eines bleibt uns noch zu sagen übrig: zu sagen, wie wir uns zurechtfinden in dieser Not, wie wir Ruhe gewinnen gegenüber diesem Schicksal. – Das bleibt uns noch zu sagen? Das bliebe uns wohl zu sagen, wenn wir es vermöchten! Aber wer vermag solches zu sagen!

Nein, es bleibt uns in Wahrheit ein anderes: zu schweigen und zu lauschen, denn eine andere Stimme redet: das Schicksal, des Todes furchtbare Majestät. Und uns bleibt nur, zu lauschen. Denn das ist der einzige Weg, in diesem Leid einen Halt zu gewinnen: es nicht zu verhüllen mit voreiligen Trostgründen und uns nicht von ihm abzuwenden und unser Inneres vor ihm zu verschließen, sondern ihm ins Auge zu sehen und seiner Stimme zu lauschen. Denn eines ist gewiß: was in solchem Schicksal offenbar wird, unverhüllt und ohne schönen Schein, ist tiefe harte Wirklichkeit. Und wer keinen Scheintrost will, der kann nur eines wollen: zur letzten Wirklichkeit durchdringen, aus der unser Schicksal hervorwächst, ob er hier Ruhe finde.

Aber wird uns hier Ruhe und Trost? Ist diese Wirklichkeit nicht trostlos und erdrückend? Oder sollte es wahr sein, daß die einzige unmittelbare Offenbarung Gottes für uns Tod und Sterben ist? Das wenigstens ist wahr, daß Gott nur die letzte, tiefste Macht unseres Seins, die letzte, tiefste Wirklichkeit bedeuten kann, und ebenso dies: daß das Schicksal des Todes uns vor solche letzte Wirklichkeit stellt. Und die Frage ist, ob wir aus solchem Schicksal Gottes Stimme zu hören vermögen. Und dafür gibt es nur einen Weg: stille zu sein und zu lauschen.

Das ist freilich das Schwerste, was man einem Menschen zumuten kann. Aber das wird uns zugemutet, und kein Vorbeireden und Vorbeisehen hilft, wenn wir ehrlich bleiben wollen. Das wird uns zugemutet, und kein Mensch nimmt uns den Weg in die Einsamkeit, in die Stille ab.

Nur eines darf ich vielleicht sagen: welche Kraft uns auf diesem Weg führen kann: die Dankbarkeit. Wir wollen all des Guten, des Edlen und Schönen, das vor uns versank, nicht nur gedenken mit Klage, sondern vor /2/ allem mit Dankbarkeit. Das darf ich Euch vor allem sagen, die Ihr am meisten verloren habt. Und ich darf nur andeuten, was für ein Bild des Guten, Edlen und Schönen mir erwuchs aus kurzen Eindrücken persönlicher Berührung und aus dem Widerklang vom Wesen des Verstorbenen bei denen, die ihm nahe standen: das Bild des Mannes voll Sicherheit und Ritterlichkeit, voll Freundlichkeit und Heiterkeit; das Bild von seinem Lebenswege, auf dem ihm die Mächte des Geisteslebens einen Reichtum an innerem Besitz schenkten in Elternhaus und Bildungsgang; die Ehe, die ein gemeinsames Wachsen und Sich-bereichern war. – Bringen wir die Kraft der Dankbarkeit auf, so vermögen wir die Bitterkeit von dem Gedenken fern zu halten, und nur dann ist unser Gedenken rein und würdig. Wir fühlen all das, dessen wir gedenken, als Geschenk, als köstliche Gabe, die uns reich machte auf unserem Wege; ja, als Gabe, die uns ein innerer Besitz bleibt und uns dauernd reich macht.

Unser Weg führt weiter, und wir kennen sein Ziel nicht, aber wir tragen, was uns gegeben war, als heiligen Besitz mit uns. Und dann mag es uns gelingen, daß auch der Schmerz uns ein heiliger Besitz wird, der uns reicher macht auf unserem Wege, daß wir dem Schmerz stillhalten können für das, was er uns sagen will. Er kann einen Sinn für uns gewinnen und wird doch nicht aufhören, ein Rätsel zu sein. Kein anderer kann für uns den Sinn deuten; wir allein können hören, was er zu uns spricht. Wir Menschen haben alle die Freiheit, an unserm Schicksal vorbeizugehen, und das nennt man wohl auch so: »mit dem Leben fertig werden«. Sein Schicksal meistern kann nur der, der sich zuerst von seinem Schicksal hat meistern lassen, der sein Schicksal zu sich hat sprechen lassen. Denn sein Schicksal meistern, heißt doch, zu seinem Sinn durchdringen, ihm einen Reichtum abgewinnen, es fruchtbar machen für sein Leben. Neue Pflichten wachsen für Euer Leben gerade aus /3/ diesem Schicksal, und doch können diese Pflichten als heilige nur dann erfüllt werden, wenn sie nicht aufgefaßt werden als Mittel der Selbstbetäubung, sondern mit innerer Freude, als Vermächtnis dessen, der von Euch gegangen.

O Gott, du tiefste Wurzel unseres Seins, du letzte Macht unseres Schicksals! Schwer ist der Weg zu dir. Aber unser Herz ist unruhig in uns, bis es Ruhe findet in dir.7 Gib uns Kraft, in die Stille zu gehen, unserem Schicksal zu lauschen und unter tausend Schmerzen aus ihm zu schöpfen Kraft, deine Kraft, daß wir Herr unseres Schicksals werden.

O Gott, du wunderbarer und rätselvoller! Du spendest Freude und Leid in buntem Wechsel, ja in furchtbarem, erschütternden Wechsel, und in die Weihnachtsfreude gibst du Totenklage, und wir verstehen nicht deine Gedanken. Gib uns Kraft, auch deine Rätsel zu tragen. Gib uns Kraft, in der Freude, die du schickst, die innere Freiheit zu bewahren, daß uns stets ein heimliches Gefühl begleite: das alles ist Dein Geschenk, du kannst geben, du kannst nehmen.8 Gib uns Kraft, auch in das Leid hinein den Glauben zu nehmen, daß Deine Hand auch in dem schwersten Schicksal waltet, daß Deine Stimme zu uns sprechen will.

O Gott, voll Furchtbarkeit und voll Segen. Wir bitten nicht: gib uns Trost; denn wir wissen, du willst ihn uns geben. Aber wir bitten: gib uns Kraft, bereit zu sein, deinen Trost zu empfangen auch unter Schmerzen!

So mögen denn am Schluß unserer Besinnung 2 Worte stehen von Männern, die aus Schicksal und Tod Gottes Stimme sprechen hörten. 2 Worte, deren Kraft wir vielleicht schon empfinden, oder die uns doch ein Wegweiser sein können:

[»Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.«] Röm 14,7 f.

Hölderlin: »die Linien des Lebens sind verschieden,

Wie Wege sind und wie der Berge Grenzen,

Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen

Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.«9

In solchem Sinne bitten wir um den Segen des Herrn.

1Ms. 3 S. hsl., Nachlass Rudolf Bultmann, Mn 2-83, Universitätsbibliothek Tübingen; zuerst veröff. in: RUDOLF BULTMANN