Ausgebrannt - Sina Graßhof - E-Book

Ausgebrannt E-Book

Sina Graßhof

4,1

Beschreibung

Dunkelheit – um ihn herum und in seinem Inneren. Mark Schmidt, 30, aus Berlin befindet sich in einer Lebenskrise. Er hat alles verloren, am Ende sogar seinen Verstand. Also fasst er einen folgenschweren Entschluss: Er will alles beenden… Ein Buch über Einsamkeit, die Abgründe des Leids, Liebe, Vergebung – und Hoffnung, die sich manchmal versteckt, aber einfach nicht tot zu kriegen ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 371

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,1 (16 Bewertungen)
8
2
6
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

26. August 2013

24. August 2013

16. September 2013

17. September 2013

4. Oktober 2013

12. Oktober 2013

30. Oktober 2013

11. November 2013

16. November 2013

13. Dezember 2013

23. Dezember 2013

01. Januar 2014

12. Januar 2014

19. Januar 2014

28. Januar 2014

08. Februar 2014

12. Februar 2014

14. Februar 2014

19. Februar 2014

20. Februar 2014

21. Februar 2014

24. Februar 2014

01. März 2014

07. März 2014

10. März 2014

12. März 2014

01. April 2014

09. April 2014

12. April 2014

15. April 2014

19. April 2014

23. April 2014

12. Mai 2014

09. Juni 2014

23. Juni 2014

03. Juli 2014

14. Juli 2014

22. Juli 2014

14. April 2013

16. April 2013

17. April 2013

18. April 2013

20. April 2013

21. April 2013

22. April 2013

02. August 2014

03. September 2014

06. September 2014

8. September 2014

10. September 2014

22. September 2014

26. September 2014

30. September 2014

07. Oktober 2014

08. Oktober 2014

12. Oktober 2014

20. Oktober 2014

02. November 2014

11. November 2014

21. November 2014

05. Dezember 2014

13. Dezember 2014

19. Dezember 2014

30. Dezember 2014

01. Januar 2015

03. Januar 2015

12. Januar 2015

29. Januar 2015

13. Februar 2015

15. Februar 2015

17. Februar 2015

22. Februar 2015

26. Februar 2015

03. März 2015

04. März 2015

05. März 2015

12. März 2015

18. März 2015

23. März 2015

25. März 2015

31. März 2015

05. April 2015

20. April 2015

24. April 2015

29. April 2015

1. Mai 2015

03. Mai 2015

10. Mai 2015

13. Mai 2015

18. Mai 2015

24. Mai 2015

30. Mai 2015

01. Juni 2015

03. Juni 2015

07. Juni 2015

12. Juni 2015

17. Juni 2015

21. Juni 2015

26. Juni 2015

29. Juni 2015

01. Juli 2015

12. Juli 2015

16. Juli 2015

23. Juli 2015

29. Juli 2015

4. August 2015

06. August 2015

19. August 2015

06. September 2015

19. September 2015

30. September 2015

08. Oktober 2015

19. Oktober 2015

23. Oktober 2015

25. Oktober 2015

27. Oktober 2015

01. November 2015

06. November 2015

15. November 2015

30. November 2015

01. Dezember 2015

26. August 2013

Ich liege im Koma. Ich sehe kein Licht, keinen Tunnel, kein Ende, keinen Anfang. Aber ich fühle, ich werde nicht mehr aufwachen. Wo ich bin weiß ich nicht. Auch wer ich bin ist mir entfallen. Ich spüre mich nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich nicht alleine bin. Um mich herum wird gesprochen. Die Stimmen klingen besorgt. Sie reden miteinander. Ich höre jedes Wort. Doch das wissen sie nicht.

Um mich herum ein beängstigendes Tal von 1000 Kilometern Radius. Egal wie weit ich komme, auch wenn ich mit letzter Kraft renne, bleibe ich darin gefangen. Wenn überhaupt komme ich hier nur mit fremder Hilfe raus. Doch die kann ich nicht rufen. Niemand wird mich erlösen. Ein hoffnungsloser Fall. Zum Sterben verdammt. In sich gefangen. Ohne letzte Worte werde ich von dieser Welt gehen. Ohne Abschied. Ich kann nicht einmal winken, denen, welchen ich wichtig bin. Denjenigen, die sich vielleicht um mich sorgen.

Wie wird meine Beerdigung wohl werden? Und wer wird sich dort einfinden? Meine Mutter? Die Mutter, die sich nie für mich interessiert hat? Weder für meine Träume, meine Talente, mein Seelenwohl, noch für meine Gefühle oder Empfindungen? Mein Vater? Der Vater, der sich aus dem Staub gemacht hat um durchzudrehen und immer noch neben sich steht? Der mich im Stich gelassen hat und mit dem kein vernünftiges Gespräch möglich ist? Klara? Meine Klara. Die Klara, die mich einfach aus ihrem Leben gekickt hat, ohne mir einen Grund zu nennen? Meine Freunde? Meine Bekannten? Vielleicht. Wer weiß schon, wer am Ende zu einem hält.

Ich liege bewegungslos da. Alles um mich herum ist weis, dieses sterile Krankenhausweis. Befremdlich und kalt. Ich habe langsam die Augen geöffnet – vielleicht geht es mit mir doch nicht zuende.

****

Was passiert mit einem Menschen, wenn tiefe Trauer und immense Wut im Inneren aufeinander treffen? Man verliert für eine Weile den Verstand. Man stürzt sich ins Leben, um nicht nachdenken zu müssen. Doch es ist ein aussichtsloser Wettlauf mit der Zeit. Gefühle die du verdrängst holen dich ein, früher oder später. Spätestens dann, wenn du alles verloren hast was dir wichtig war. Wenn du im Kern er-schüttert wirst.

Ein schlauer Mann hat vor langer Zeit etwas sehr Weises gesagt. Seine Worte hallen schon seit Tagen durch meinen Kopf: Das Leben beginnt nicht zu irgendeinem späteren Zeitpunkt, auf den es sich zu warten lohnt. Das Leben findet genau jetzt statt. In diesem Moment. Es ist wie es ist. Und es liegt an uns, das Beste daraus zu machen.

Wenn es so ist, wenn ich mein Schicksal in der eigenen Hand habe, möchte ich, dass alles sofort ein Ende findet. All das, was sich Leben nennt. Ich halte es nicht mehr aus. Das alles hier ist nichts für mich.

****

Menschen, die sich in einer ausweglosen Lage befinden, sollten versuchen, die Situation von außen zu betrachten – ihren Blickwinkel ändern. Das habe ich probiert. Vor zwei Tagen entschied ich mich für die Vogelperspektive. Ich stand am äußersten Rand meiner Dachterrasse. Eigentlich wollte ich gar nicht springen, aber irgendetwas trieb mich. Dennoch konnte ich mich erst nicht überwinden. Ich fing an nachzudenken.

Möchte ich das wirklich? Einfach springen? Ist das ein guter Weg? Mein Weg? Der einzige Ausweg? Ich möchte nicht wirklich sterben. Den Schwestern in der Charité habe ich die Wahrheit gesagt. Ich will mich nicht umbringen, aber ich will auch nicht mehr leben. Am liebsten hätte ich mich freiwillig für eine Weile ins Koma legen lassen, um danach wieder frisch und lebensfroh aufzuwachen. Ich möchte einfach nur ganz lange schlafen. Möchte alles vergessen. Und endlich keine Ängste mehr haben. Ich möchte diese trüben Gedanken loswerden, die schon beim Aufwachen wie eine dunkle Wolke über mir schweben. So schwer, dass ich es nicht mehr aushalte. Mein Kopf ist kaputt, er funktioniert nicht mehr richtig. Ich schaffe es nicht länger durchzuhalten. All dem ein Ende zu setzen ist der beste Weg. Das war’s.

****

Ich bin in keinem normalen Krankenhaus, das habe ich schnell bemerkt. Der behandelnde Arzt sagte mir, nach ein paar komatösen Tagen und Nächten, ich sei krank, sehr krank. Und, dass es lange dauern kann, bis ich wieder vollständig genesen bin. Er sagte mir ich hätte Schizophrenie. Ok, ich bin in der Psychiatrie.

Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen. Vor ein paar Tagen noch sagte mir eine Ärztin, mit mir wäre alles in Ordnung. Ich solle mich ein paar Tage ausruhen, genug schlafen und vor allem – genug Wasser trinken. In ihre Obhut bin ich geraten, nachdem ich beim Joggen ohnmächtig wurde. Es war ein heißer Tag und ich hatte eine harte Nacht hinter mir; hatte einiges getrunken. Mein Lebensstil war schon seit einer Weile ziemlich ungesund. Um meinem Körper etwas Gutes zu tun, wollte ich joggen gehen. Ich setzte mir eine Wollmütze auf – als Sonnenschutz, im August. Ich hatte nicht zuende gedacht. Erst als ich im Krankenhaus torkelnd nach der Toilette fragte, völlig orientierungs- los und unendlich müde, wusste ich, dass ich ein Problem hatte. Ich war nicht betrunken, ich war dehydriert und mit den Nerven am Ende. Ich weinte bei den kleinsten Anlässen. Aber ich war dabei sehr dezent, niemand bekam etwas mit. Und so wurde ich nach zwei Tagen entlassen. Soweit, so gut.

****

Woher weiß man, ob man den Verstand verliert? Ob das eigene Urteilsvermögen einen trügt? Ob man noch zurechnungsfähig ist? Ich bin mir was das angeht inzwischen sehr unsicher. Ich habe nie im Koma gelegen, das wurde mir glaubhaft versichert. Ich hätte jedoch schwören können, dass es so war – zumindest in dem Moment. Das war Teil der Psychose, erklärte mir der behandelnde Arzt. Womöglich verbunden mit einem sehr starken Wunschdenken. Aber einfach nicht real.

Der Wahnsinn kann überzeugender sein als die Realität, das ist das Gefährliche daran. Man gerät in einen Strudel, aus dem man nur mit fremder Hilfe herauskommt. Doch diese anzunehmen ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Je mehr Selbstbewusstsein man besitzt, desto schwerer wird es. Glücklicherweise war meines sehr gering. Ich war hochgradig verwirrt und sehr offen für jegliche Hilfe. Und ich bekam sie, gerade noch rechtzeitig.

Ich war immer ein Stadtmensch. Mit Natur konnte ich nie etwas anfangen, doch das hat sich geändert. Seit ich in der Klinik bin, habe ich das Verlangen Natur zu spüren. Ich denke darüber nach, Bäume anzufassen. Und ich tue es. Will mit der Natur verschmelzen und laufe einfach durchs Gebüsch, spüre die Äste an meinem Körper. Das war mir ein sonderbar dringendes Bedürfnis. Es ist mir egal, ob mich jemand sieht während ich meinem Drang freien Lauf lasse. Ich habe jegliches Schamgefühl verloren. Um mich zu genieren geht es mir viel zu schlecht.

24. August 2013

Man kann zweifellos sagen, mein Leben war extrem. Auf allen Ebenen. Zumindest in den letzten Monaten. Das, was die meisten Menschen nur in Träumen erleben – diese wagen Erinnerungen an verrückte Aktionen oder Situationen, war bei mir oft genug Realität. Viele dieser Dinge sind aus meinem Gedächtnis gelöscht. Es funktionierte noch nie besonders gut. Nur an Weniges kann ich mich noch genauer erinnern. Wie zum Beispiel die Geburtstagsparty eines Bekannten. Eine wilde Feier, wirklich wild. Es war die Art Party, bei der einfach alles egal war. Fielen Gläser zu Boden und zerbrachen, wurden sie einfach liegen gelassen. Fielen Leute um, wurde es genauso gehalten. Jeder Mensch für sich allein und alles war möglich. Ein Typ, der ständig auf irgendwelchen Technopartys unterwegs ist, hatte irgendeine neue Designerdroge dabei, die er großzügig unter den Gästen verteilte – sein Geburtstagsgeschenk, sozusagen. Danach sind alle durchgedreht. Ich bekomme nur mit viel Mühe Zusammenhänge hin. Doch das, woran ich mich erinnere, ist völlig klar und sehr intensiv. In einem Moment tanze ich mit einem Mädel auf der Balkonbrüstung, im nächsten quatscht mich einer auf der Toilette voll. Auf einmal bin ich im Schlafzimmer, inmitten einer Orgie. Soweit ich mich erinnere, bereute ich im Anschluss, darauf eingegangen zu sein. Die Sachen die da abgingen waren zu schräg um sich daran zu erfreuen.

Wie ich nach Hause kam weiß ich nicht mehr. Am nächsten Tag lag ich dort regungslos am Boden, mein Fernseher auf mir. Ich muss ihn beim hereinstolpern umgerissen haben. Vielleicht war ich ohnmächtig und hatte eine Gehirnerschütterung. Die riesige Beule an meinem Kopf und das Erbrochene auf meinem Oberteil deuteten auf so etwas hin. Aber ich habe das nicht abchecken lassen, es war mir relativ egal.

Normalerweise trinke ich nicht über mein Limit. Eigentlich mochte ich Alkohol noch nie besonders. Doch das hat sich in letzter Zeit geändert. Er beruhigt, gerade, wenn man den Eindruck hat, die Kontrolle zu verlieren. Und das ist leider mein Alltag. Mein Herz steht kurz vor einer Explosion. Nicht vor Freude. In Momenten, in denen ich mir wünsche, mich nicht mehr zu kennen, tue ich alles Menschenmögliche, um mich von mir zu entfernen. Von mir und von meinen Gefühlen. Das war schon immer so, und das wird jetzt zu meinem größten Problem.

Ich habe mich verliebt. Wirklich verliebt. So verliebt, dass man sich wünscht, in die andere Person hineinzukriechen, um sich so nahe wie nur möglich zu sein. Ich habe es gewagt. Habe es drauf ankommen lassen. Etwas, das ich vorher nie gewagt hatte. Und wurde enttäuscht. Zum ersten Mal. Einmal ist keinmal. Wenn es nur so wäre. Dieses keinmal hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggerissen. Mein freier Fall dauert seit dem an – schon über vier Monate. Ich würde alles dafür tun, endlich zu landen. Selbst, wenn es irgendein verdammter Asphaltboden ist. Mir könnte nichts gleichgültiger sein.

Ich war immer tapfer. Ich weiß nicht, was die Veränderung bewirkt hat. Doch sie ist geschehen. Ich bin ein absoluter Angsthase geworden. Und dafür schäme ich mich – vor mir selbst und vor allen, die es bemerken. Wenn die wüssten, was mir in letzter Zeit alles passiert ist, sie würden sich wahrscheinlich fragen, warum ich überhaupt zögere alles zu beenden.

Mein bester Freund wurde erstochen. Wie ein armes Schwein. Es ist keine drei Monate her. Wir kannten uns seit dem Kindergarten. Eine ungeheuer lange Zeit. Die besten Erinnerungen meines Lebens beinhalten ihn. Er war der großartigste Mensch den ich je kannte. Und das sage ich nicht erst seit seinem Tod! Er war es schon immer und er wusste, was er mir bedeutet. Auch wenn wir nie große Worte darüber verloren haben. Vor drei Monaten waren wir zusammen aus. Wir wollten mal einen neuen Club ausprobieren. Was für eine dumme Idee! Die Musik war grässlich und die Leute ebenso. Wir waren nicht mal eine halbe Stunde dort, und schon wieder am Gehen, als einer der fragwürdigen Typen sich an ein Mädel ranschmiss. Sie war eindeutig nicht interessiert und er etwas zu hartnäckig. Um es kurz zu machen: mein Kumpel ist dazwischen gegangen und hat ein Messer in den Bauch bekommen. Mehrmals. Die Notärzte konnten nichts mehr machen. Auf dem Weg ins Krankenhaus ist er gestorben.

Meine Freundin hat mich wenig später verlassen. Und ich kann es ihr noch nicht einmal übel nehmen. Die ersten Monate unserer Beziehung waren himmlisch. Es war Liebe auf den ersten Blick, auch auf den zweiten und mit jedem weiteren wurde sie stärker. Vor ihr wusste ich nicht, was wirkliche Liebe ist. Die große Frage ist, was hat den Knacks verursacht? Das ist leicht beantwortet. Ich war es. Ich selbst. Nach dem Tod meines Kumpels habe ich fast eine Woche lang kein Wort gesprochen, auch nicht mit ihr. Ich hatte nicht das Gefühl, dass irgendwer auch nur ansatzweise verstehen könnte wie es mir geht. Also hab ich gar nicht erst versucht es zu erklären. Auch ihr nicht. Sie hat sich das gefallen lassen – ein paar Tage zumindest. Dann ging ihr die Geduld aus. Meine Schweigsamkeit war für sie unerträglich. Aber sie war nicht das größte Problem. Ich bin für ein paar Tage verschwunden. Ohne ihr zu sagen, wohin. Ich wusste es ja selbst nicht. Ich war nicht nur gedanken-, sondern auch ziellos. Bin durch die Dunkelheit gerannt. Hab mir die Nächte in Bars um die Ohren geschlagen. Ich brauchte Ablenkung. Fremde Menschen um mich herum, die keine Fragen stellten. Gemeldet habe ich mich nicht bei ihr. Als ich irgendwann wieder zu Hause aufgeschlagen bin, hat sie mich angeschrien. Hat geweint. Das tat mir leid. Eine Weile hab ich es mir angehört, nur um dann wieder zu verschwinden. In irgendeinen Club. Nur weg.

Ich weiß nicht, wie ich mein Verhalten erklären soll. Ich habe sie geliebt – liebe sie noch immer. Dennoch war ich nicht in der Lage, auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen. Die Realität dieser Beziehung hat mich plötzlich überfordert. Der sinnlose Tod meines Freundes hatte mich komplett aus der Bahn geworfen.

Nach diesem Abend durfte ich noch zwei Mal nach Hause zurückkehren. An meiner Stimmung hatte sich nichts geändert und ich blieb nie lange. Beim dritten Mal hat sie die Tür nicht mehr geöffnet. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wusste, dass ich inzwischen meinen Job verloren hatte. Und ob es damit etwas zu tun hatte. Aber ich befürchte, sie hatte einfach genug von mir.

In meiner eigenen Wohnung war für mich inzwischen alles fremd. Ich konnte mich dort nicht aufhalten, ohne Panikattacken zu bekommen. Um mich davon abzulenken trank ich. Ich ging in Kneipen und unterhielt mich mit Fremden, nur, um nicht mit meinen Gedanken allein zu sein. Ich fing an, mich richtig gehen zu lassen. Ich konnte das Alleinsein einfach nicht ertragen. Mir war dabei völlig egal, mit wem ich zusammen war. Je flacher die Gespräche, desto besser für mich. Und je lauter das Gegröle, desto leiser die Gedankenspiralen in meinem Kopf. Es gab keinen Moment in dem ich nüchtern war.

Wir alle tun wohl Dinge, auf die wir im Nachhinein nicht stolz sind. Doch ich habe den Fehler gemacht, sie zur Gewohnheit werden zu lassen. Dass zu all meinen Problemen noch die Trennung dazu kam habe ich nicht verkraftet. Vergeblich habe ich das Gespräch gesucht. Alles was dabei rum kam war ein kurzes Telefonat in dem es darum ging, meine Sachen bei ihr abzuholen. Danach habe ich etwas Dummes gemacht…

Ich habe eine sehr schöne, große Wohnung, mit einer schönen großen Dachterasse. Mein absoluter Lieblingsort. Ich ging hinaus und schaute herunter. Das würde ich nicht überleben. Mein Nachbar muss das gleiche gedacht haben als er mich auf die Brüstung klettern sah.

Der frühe Abend war so ernüchternd, dass ich mich immens betrinken musste, um die Balance wieder herzustellen. Ich weiß nicht, woher er kam, der Drang auf die Brüstung zu steigen. Doch er ließ sich nicht unterdrücken. Also stieg ich hoch. Wem das Leben gleichgültig ist, der fürchtet den Tod nicht. Ich fürchte den Tod nicht. Das einzige, was mir Sorgen macht, ist die Fallhöhe. Reicht sie aus, um tatsächlich zu sterben? Was, wenn ich überlebe? Mit Ach und Krach und irgendwelchen Behinderungen? Ich muss sicher gehen, am Ende wirklich tot zu sein. Ich hole ein paar Bierflaschen und lasse sie auf dem Asphalt zerschlagen. Wenn ich auf sie falle, werde ich überall bluten. Bis mich jemand findet, bin ich tot, auch wenn ich den Fall an sich überleben sollte. Um den Glasscherben die Arbeit zu erleichtern, ziehe ich meine Klamotten aus, steige hinauf.

Ich stehe auf der Brüstung, halte die Balance. Beuge mich vor, schaue nach unten. Ich habe keine Angst mehr. Erleichterung breitet sich in mir aus. Gleich ist alles vorbei. Gleich hat diese Schmierenkomödie, die sich mein Leben nennt, ein Ende. Ich spüre wohltuende Leere.

****

Ich weiß nicht mehr wie, aber mein Nachbar schaffte es, mich zu überreden auf ein Bier zu ihm rüber zu kommen. Er hat mich draußen gesehen und wenig erschrocken mit mir geredet, so als wäre es das Normalste auf der Welt sich umbringen zu wollen. Er hat mich nicht darauf angesprochen oder gefragt was mit mir los ist. Wir sahen fern, aus Verlegenheit sprachen wir nicht miteinander. Aber wir tranken. So viel, dass ich am frühen Morgen wie ein Stein in mein Bett fiel. Später an dem Tag beschloss ich zu joggen und wurde in die Charité eingeliefert. Zwei Tage später kam ich in die Psychiatrie.

16. September 2013

Es klingt vielleicht seltsam, aber inzwischen fühlt es sich gut an in der Psychiatrie zu sein. Durch die vielen Medikamente bin ich benebelt; wie in imaginäre Watte gepackt, sicher vor Gefahren von außen und vor allem vor mir selbst. Aber man muss hier gut auf sich aufpassen. Die Schwestern behandeln einen manchmal als wäre man ein kleines, dummes Kind. Und nicht nur einmal wurde ich beschuldigt, meine Mediakamente nicht genommen zu haben, nur weil jemand vergessen hatte die Einnahme zu dokumentieren. Aber es gibt auch gute Leute im Personal. An die halte ich mich, so gut sich das beeinflussen lässt.

Die Mitpatienten sind teilweise ok, teilweise recht an-strengend. Manche haben einen übersteigerten Rededrang, vor denen muss man sich in Acht nehmen, weil sie einen richtig in Beschlag nehmen. Und ich brauche momentan Zeit für mich, Zeit zum Nachdenken.

Mein Zimmer teile ich mit einem Soziopaten und einem 20-Jährigen, der noch keine Diagnose bekommen hat. Seltsamerweise können wir Drei gut miteinander reden. Auch wenn der Soziopath größtenteils wirklich seltsam ist und sozial kaum Kompetenzen hat. Aber er verhält sich ganz höflich. Allerdings beäugt er mich immer auf eine Art, die ein bisschen besorgniserregend ist. Und er kapselt sich ab. Dass er zwei Kinder hat, fand ich überaus verwunderlich. Er hat jedoch kein Umgangsrecht. Was mir einerseits leid tut, andererseits aber sicherlich gerechtfertigt ist.

Eine wirkliche Wellenlänge habe ich hier mit niemandem. Aber das ist nicht mehr wichtig, denn heute werde ich entlassen. Zurück in die Welt da draußen. Ich fürchte mich davor. Am liebsten würde ich bleiben, hier in meinem Kokon. Ab morgen werde ich stattdessen in eine Tagesklinik gehen, eine Institution, in der man den Tag verbringt und dann zu Hause übernachtet. Ich habe keine Ahnung was mich da erwartet. Bald werde ich es erfahren. Ich bin gespannt ob ich es hinkriege wieder allein für mich zu sorgen. Es wird auf jeden Fall eine Herausforderung.

17. September 2013

Heute ist mein erster Tag in der TK. Ich musste früh er-scheinen, vor meiner eigentlichen Aufwachzeit. Um viertel vor acht wird sich hier zum Frühstück getroffen. Daran teilzunehmen ist Pflicht. Die Bahnfahrt hierhin allein kostet mich schon Kraft, durch die Panikattacken die ich dabei habe. Seit die Hospitalisierung eingesetzt hat sind sie kaum zu ertragen. Alles fühlt sich unwirklich an, wie im Traum. Aber in keinem angenehmen. Alles ist beängstigend. Da kann ich die Stärkung zwar gut vertragen, aber Hunger habe ich keinen. Drum herum komme ich aber leider nicht. Ich wäre nicht der erste der es vergeblich versucht.

Nach dem Essen machen wir eine Morgenrunde. Jeder sagt kurz, wie es ihm geht und die Neuen stellen sich vor. Ich fühle mich fehl am Platz. Wie ein Alien in New York.

****

Seit drei Stunden sitze ich in einem Raum mit Fremden und versuche mitzukommen. Die anderen kennen und verstehen sich alle schon, ich bin außen vor und will auch nicht wirklich dazu gehören. Ich fühle mich fremd und würde am liebsten gehen. Mich interessiert das alles hier überhaupt nicht.

Später machen wir einen Spaziergang, der tut immer gut. Ich merke, wie mein Kopf sich leert und Platz macht für neue Eindrücke. Die anderen sind die ganze Zeit am Quatschen. Das stört mich, ich will einfach nur meine Ruhe. Die bekomme ich aber erst als der Tag zu Ende geht. Ich weiß nicht, wie ich es hier sechs Wochen aushalten soll.

Auch wenn es vielleicht nicht so wirkt – ich hatte nie Probleme mit dem Kontakt zu anderen Menschen. Obwohl ich eher introvertiert bin und man mich schon als Einzelgänger bezeichnen könnte, habe ich das Zusammensein mit anderen doch immer genossen. Für eine gewisse Zeit. Ich bin gesellig. Deshalb verstehe ich nicht was los ist. Mir geht einfach jeder auf die Nerven. Mir ist alles zu viel. Das einzige was ich gut verkrafte ist die Natur, ihre Klänge. Ich habe mir eine CD mit Bachrauschen gekauft, die ich rauf und runter spiele. Nichts beruhigt mich so sehr wie dieses Geräusch. Es ist himmlisch. Die Stimmen und besonders das Lachen von anderen Menschen dagegen sind das schlimmste was ich mir momentan vorstellen kann. Nicht zu ertragen. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder fröhlich genug sein kann, um dieses Geräusch selbst zu erzeugen.

Die folgenden Tage sind der Horror. Ich fühle mich immer noch deplatziert und finde keinen Anschluss. Möchte ich auch gar nicht. Ich möchte einfach nur weg. Doch wohin? Das wüsste ich gerne. Genaue Vorstellungen habe ich nicht. Aber so ziemlich alles muss besser sein als das hier. Wir essen und reden, reden und hängen rum. Ab und zu eine Entspannungsübung, mal eine Malstunde. Haut mich alles nicht vom Hocker. Und die Zeit will einfach nicht vergehen. Ich hab mich noch mit niemandem hier näher unterhalten. Und es stört mich auch nicht. An meinem Tisch, dem ich zugeteilt wurde, wird viel gejammert und das zieht mich runter. Ich möchte mich davon distanzieren. Also bleibe ich ruhig. Man hat hier mit seinen Tischnachbarn am meisten Kontakt. Traurig. Bisher ist noch niemand von den anderen auf mich zu gekommen. Man wird hier in Ruhe gelassen, das ist das Gute. Scheinbar sieht man mir meine Abwehrhaltung an. Die anderen sind bestimmt ganz nett. Aber ich hab genug mit mir selbst zu tun.

****

Was ist Liebe, und was macht sie mit uns? Sie ist so mächtig, dass alles andere neben ihr verblasst, selbst wenn sie nicht mehr da ist. Wenn eine Liebe zu Ende ist, wie stellt man es am besten an, sie wiederzubeleben oder zu vergessen? Macht Liebe mutig oder feige? Ist die Angst am größten wenn große Gefühle im Spiel sind, oder ist die Angst so mächtig, weil man an die Falsche geraten ist? Wie lange sollte man für sie kämpfen? Und wann die Hoffnung aufgeben?

Fragen drängen sich auf. Fragen ohne Antworten. Jeder leidet so lange er es aushält. Oder erfreut sich am vielversprechenden Wartezustand, ein Zustand in dem alles möglich ist – alles kann, nichts muss. Niemand wird enttäuscht oder verletzt. Es ist der beste Zustand den es gibt. Aber nur so lange bis es anfängt zu nerven.

Haben Träume ein Verfallsdatum? Und viel wichtiger: ist träumen nur etwas für Idioten? Idioten wie mich? Wer zieht es vor, sich Fantasien hinzugeben, wenn er etwas Reelles erleben könnte? Wer steigert sich so sehr in eine Traumvorstellung von etwas oder jemandem, dass er es so sehr will und nur ruinieren kann? Träumen ist für Spinner. Oder? Sich etwas zusammen zu spinnen ist vergebens, denn diese Gespinste haben keine Konsequenz. Wer nur träumt und nichts erlebt, hat kein Leben. Und nichts auf das er am Ende dessen zurückblicken kann. Keine Nachkommen, keine Freunde, keine Erinnerungen. So sieht es aus. Das was man sich in seinem Kopf zurechtdenkt kann die Realität nicht antasten. Man verpasst dadurch nicht einiges, man verpasst alles. Das Tragische dabei ist, solange man träumt merkt man das nicht. Erst wenn die Realität einbricht, und das tut sie immer, weiß man, wie blöd man war. Träumen beflügelt nicht, es macht doof. Und wer will schon doof sein? Wer andere Menschen in seine Träume einbezieht und davon ausgeht, dass man gemeinsam träumt, ist schon verloren.

Aber was tun wenn’s klemmt? Was tun, wenn man festgefahren ist und einfach nichts mehr geht? Gelegenheiten suchen und sie am Schopfe packen? Naja, es ist nicht gerade so als würden sie mir um die Ohren fliegen. Es mangelt an ihnen. Und ich kann auch nicht wirklich für Gelegenheiten sorgen. Zumindest nicht in meinem Zustand.

Gut Ding will Weile haben, oder was lange währt wird endlich gut. Ich wünsche es mir so sehr, aber ich glaube nicht mehr daran. Mit mir und Klara ist es aus. Das muss ich endlich irgendwie verarbeiten…

****

Vor vier Jahren haben wir uns kennen gelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. So intensiv hatte ich es noch nie vorher verspürt. Bei jedem Blick bekam ich weiche Knie. Wir waren ein paar Mal aus und dann ging alles ziemlich schnell. Wir zogen zusammen und waren glücklich. Bis mein altbekanntes Problem uns einholte – die Eifersucht. Sie hatte ein paar enge männliche Freunde und ich war auf jeden einzelnen so eifersüchtig wie man nur sein kann, besonders auf diejenigen ohne feste Freundin. Das hat Klara in den Wahnsinn getrieben. Verständlicherweise. Ich konnte es aber einfach nicht kontrollieren. Vielleicht, weil mein Selbstwertgefühl schon im Keller war.

Wann der Bruch kam, kann ich gar nicht sagen. Ich denke, es hat sich stetig aufgebaut und irgendwann hatte sie einfach die Nase voll, von meiner Eifersucht, meiner Schweigsamkeit, meiner ständigen Abwesenheit – geistig und körperlich. Sie hatte es sicherlich nicht leicht mit mir. Ich habe sie nicht mehr an meinem Leben und meinen Gedanken teilhaben lassen. Das werfe ich mir vor. Wir hätten mehr reden sollen. Doch ich war schon zu sehr in meinem Abwärtsstrudel gefangen, es ging einfach nicht. Und ich habe nicht über die Ursachen nachgedacht oder darüber, was es bewirken könnte.

Ich liebe sie nach wie vor. So sehr, dass es mich beinahe auseinanderreißt.

4. Oktober 2013

Heute erlebte ich eine große Überraschung. Die Ärztin der Tagesklinik sagte mir, ich hätte keine Schizophrenie sondern ein Burnout, dem eine Depression mit Psychose zugrunde liegt. Das erleichtert mich irgendwie. Es gibt sicher gute Leute, die an Schizophrenie erkranken, aber das Stigma, das damit verbunden ist brauche ich nicht auch noch zusätzlich zu meinen Problemen. Ich bin froh. Meine Medikation wird umgestellt von Zyprexa, einem Neuroleptikum auf Citalopram, ein Antidepressivum. Langsam fühle ich mich hier wohl. Die Leute nerven auch nicht mehr so, was zum Teil daran liegt, dass ich mich endlich eingewöhnt habe. Zum Teil auch an der Medikamentenumstellung, wie ich meine. Das Medikament hat mich stumpf gemacht. Allerdings sind auch einige Patienten gegangen und Neue gekommen. Es liegt an mehreren Ursachen, würde ich sagen. Vor allem aber daran, dass es mir besser geht.

Wir sind inzwischen eine ganz illustere Truppe, haben sogar richtig Spaß. Das Frühstücken, was sonst immer eine Qual war, wird mit Witzen aufgelockert und bringt Laune. Zu unserer Runde gehört unter anderem ein junges Mädchen, mit dem ich mich angefreundet habe. Wir machen jeden Tag Mittagschlaf zusammen und mit ihr fühlt es sich an als verbinde uns eine lange Ehe. Aber alles auf rein platonischer Ebene. Ein gutes Gefühl. Es tröstet mich ein wenig über die Trennung von Klara hinweg. Aber wirklich nur ein wenig. Ich bin immer noch zerstört.

In der Tagesklinik gibt es viele Gesprächsrunden zu den unterschiedlichsten Themen. Letztens wurden Partnerschaften thematisiert. Ich hab mich tatsächlich getraut meine Probleme auszusprechen, was ich gleich bereute. Das Feedback war vernichtend. Selbst die Leute hier denken ich sollte Klara vergessen, weil die Chancen schlecht stehen. Mir bleibt wohl also nichts anderes übrig.

Wenn wir nicht reden oder essen, singen wir zusammen, trommeln – was richtig spaßig ist, machen Entspannungsübungen, malen. Alles nette Dinge. Und wir freunden uns tatsächlich an. Am Anfang hätte ich das nie für möglich gehalten, aber es stimmt wohl, wer sich in der Not kennen lernt, befreundet sich über kurz oder lang. Wir haben hier einen Sonnenschein, einen schlaue Sprüche-Klopfer, eine Mutti, einen Schriftsteller, einen Witzeerzähler und mich. Wir halten extrem zusammen. Trotzdem ahnt man manchmal nicht, was so in den Köpfen der anderen vor sich geht. Kai, unser Witzeerzähler, der ein unglaubliches Repertoire hat, hat vor ein paar Tagen versucht sich das Leben zu nehmen. Zum Glück erfolglos. Er hat seinen kompletten Tablettenvorrat geschluckt und dann bei seiner Freundin angerufen um sich zu verabschieden. Die hat so schnell geschaltet, dass sofort Hilfe unterwegs war. Er hat es überlebt.

Es ist wirklich erschreckend wie schnell es gehen kann. Die Male, in denen ich am liebsten Schluss gemacht hätte, sind mir noch sehr wohl im Bewusstsein. Man denkt gar nicht darüber nach, aber es kann so schnell vorbei sein. Ich kann mich noch genau erinnern, welch magische Anziehungskraft Fenster auf mich ausgeübt haben. Ich konnte an keinem vorüber gehen ohne an einen Sprung zu denken. Ich habe es nie durchgezogen, aber ich wollte immer eine Todesart, bei der ich wirklich umkomme. Keine, die ich, vielleicht behindert, überlebe. Mein Witze erzählender Freund war von seinem Überleben auch nicht gerade begeistert. Aber er fängt sich langsam wieder. Auf weitere Witze müssen wir aber wohl noch etwas warten, sowie auf seine Rückkehr aus dem Krankenhaus.

12. Oktober 2013

Ich stehe vor Klaras Tür. Die hat sie mir vor der Nase zugeknallt. Eigentlich kenne ich sie nicht so temperamentvoll. Irgendwas an mir muss das in ihr auslösen. Ich habe sie lediglich gebeten mir zuzuhören. Aber das war wohl schon zu viel verlangt. Es gibt so vieles was ich ihr erklären oder einfach sagen möchte. Ich habe sie nie betrogen und immer über alles geliebt. Nur den Tod meines Freundes habe ich nicht verkraftet. Aber das sollte sie mir nicht so nachtragen, finde ich. Ich würde uns gerne noch eine Chance geben. Die letzten vier Jahre haben wir zusammen verbracht, das möchte ich nicht einfach so wegwerfen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ihr das leicht fällt. Aber anscheinend tut es das. Vielleicht hat sie längst einen anderen. Einer ihrer Kollegen hatte Interesse an ihr. Das wusste sie nicht, aber ich hab es bemerkt. Bei ihrer letzten Geburtstagsparty hat er sich ganz schön an sie rangeschmissen. Obwohl er wusste wer ich bin. Ganz schön dreist. Was da auf der Arbeit abgegangen ist möchte ich gar nicht erst wissen. Wenn sie also mit diesem Vogel zusammen ist, war es das endgültig. Vielleicht liebt sie mich aber auch einfach nicht mehr. Ist das, so simpel und lapidar, vielleicht die Erklärung?

Wann ist eine Beziehung vorbei? Wenn einer aufgibt? Wenn man sich nicht mehr anstrengt? Wenn die Gefühle weg sind? Wenn man eine schwere Zeit durchmacht? Aber vielleicht ist das nur eine Phase und geht vorbei. Wer weiß das schon. Vielleicht ist das Geheimnis einer langen Beziehung einfach Ausdauer. Die habe ich. Aber das ist wertlos, wenn der andere nicht mitkämpft und trotzdem alles den Bach runter geht.

30. Oktober 2013

Die Tagesklinik ist eine Auffangstation für Leute, die über kurz oder länger alleine nicht klar kommen, die Beschäftigung, Gesellschaft und einen geregelten Tagesablauf brauchen. So verstehe ich das zumindest. Manche Leute erwarten sich hier Heilung oder einen großen therapeutischen Fortschritt. Solche Ansprüche habe ich nicht, deshalb gibt es für mich auch keinen Grund zur Beschwerde. Es gibt mehrmals die Woche Gruppentherapie, in der von uns gewählte Themen besprochen werden. Manchmal sitz dann einer von uns auf dem heißen Stuhl und wird besprochen. Das ist von demjenigen immer sehr mutig, weil hier alle ehrlich sind und keiner ein Blatt vor den Mund nimmt. Auch wenn die oberste Regel Respekt und Rücksichtnahme lautet. Eine von uns wurde zum Beispiel als Betthäschen abgestempelt, obwohl sie der Meinung war, eine funktionierende Beziehung zu führen. Das war ganz schön hart, sie hatte damit auch einige Zeit zu kämpfen. Ich war nie wieder auf dem heißen Stuhl, ganz bewusst nicht, weil ich es nicht verkraften würde. Ich habe auch kein weiteres Thema das unbedingt besprochen werden muss. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt.

Wir werden hier im Grunde ganz gut bespaßt. Am besten gefällt mir die Trommelgruppe. An afrikanischen Trommeln kann man ein bisschen Wut rauslassen, gleichzeitig erhöhen sie das Selbstbewusstsein, wenn auch nur für den Moment. Man macht zusammen Musik und verschmilzt dabei, das ist ein tolles Gefühl. Was mir auch viel Spaß macht sind die Malstunden. Ich habe hier schon einige Bilder geschaffen, die ich bei mir zu Hause aufgehängt habe, weil sie wirklich schön geworden sind. Das werde ich vermissen wenn das alles hier vorbei ist. Und die Kontakte. Die haben mir am Ende wirklich gut getan. Man unterschätzt, wie wichtig es ist, unter seinesgleichen zu sein, sich nicht verstellen zu müssen oder so zu tun als wäre alles in Ordnung. Es ist hier so einfach, gute Gespräche zu führen, ohne sich dafür erst umständlich verabreden zu müssen. Das wird mir auch fehlen. Hätte ich zu Beginn nie gedacht.

11. November 2013

Heute werde ich entlassen. In eine ungewisse Zukunft. Wann ich ins Berufsleben zurück kann weiß ich noch nicht. Vorerst bin ich weiter krankgeschrieben. Dabei will ich nichts lieber als wieder arbeiten. Ich brauche etwas zu tun. Durch meine Arbeit habe ich mich früher immer von Problemen abgelenkt. Das vermisse ich. Aber meinen Job habe ich verloren und wie es weitergehen soll kann ich mir momentan nicht vorstellen. Für die Jobsuche habe ich noch keine Kraft. Und davon abgesehen lassen mich die Ärzte auch einfach noch nicht wieder loslegen. Vielleicht sollte ich mir endlich mal Zeit nehmen, mich meinen Problemen zu stellen. Ich bin lange genug vor ihnen davongerannt. Ich habe auf der Überholspur gelebt ohne einmal inne zu halten und zu sehen wo ich stehe, wer ich bin und was ich will. Das kann auf Dauer nicht gut sein. Man entfremdet sich von sich selbst.

Die Ärztin der Tagesklinik meinte, sie würden mich nicht fallen lassen. Vor allem, weil ich bisher weder einen Psychiater noch einen Therapeuten habe. Ich werde ins Nachsorgeprogramm aufgenommen. Das bedeutet, wenn ich es brauche, kann ich hier jeder Zeit mit jemandem reden.

****

Jetzt, da ich nicht mehr jeden Tag in die Klinik muss, weiß ich nichts mit mir anzufangen. Wenn man nur machen kann was man will, wird es unglaublich schwierig seine Tage sinnvoll zu füllen. Ich nehme mir vor, all die Sachen zu machen, zu denen ich sonst nicht komme. Meinen Kopf aufräumen zum Beispiel. Dabei helfen Spaziergänge. Und ich werde lesen, wenn mein Mangel an Konzentration das irgendwie zulässt. Auf keinen Fall will ich vor dem Fernseher, dem Computer oder im Bett vergammeln. Auch wenn ich für anspruchsvolle Sachen noch nicht fit genug bin, werde ich mich daran versuchen. Vielleicht werde ich ein bisschen zeichnen. Dazu bin ich schon seit Jahren nicht wirklich gekommen. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt dafür. In der Tagesklinik habe ich meine Leidenschaft wiederentdeckt, das möchte ich gerne ausbauen. Ich habe also Pläne. Das fühlt sich gut an. Es geht bergauf mit mir. Hoffentlich.

16. November 2013

Nichts da. Ich habe noch gar nichts geschafft. Wenn ich es hinbekomme aufzustehen, hänge ich nur vor dem Fernseher rum oder gucke DVDs und vegetiere vor mich hin. Das, was ich eigentlich vermeiden wollte. Aber ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Das nervt. Lesen geht also nicht. Und fürs Zeichnen fehlt mir die Inspiration.

Ich war das erste Mal bei meinem neuen Psychiater. Was ich von ihm halten soll weiß ich noch nicht genau, er scheint nett zu sein, aber er gibt mir nie Feedback. Er ist einer von denen, die einen reden und das Gesagte unkommentiert stehen lassen. Man fühlt sich dabei unbehaglich. Und hat das Gefühl, als würde einem in den Kopf geschaut. Sehr unheimlich. Was genau wissen diese Leute und wie schnell und gut können sie einen Menschen einschätzen? Das frage ich mich. Vielleicht wirken sie nur so schlau und man überschätzt sie vollkommen. Vielleicht aber auch nicht. Wer weiß. Ich entscheide mich, ihn anzunehmen und weiter hinzugehen. Jetzt brauche ich nur noch einen guten Therapeuten. Ich bin eine ganze Liste durchgegangen, von allen Psychologen der Stadt und habe viele angerufen. Dabei hab ich fast immer nur die Mailbox erwischt, aber das ist nicht schlimm, so kann man sich ein erstes Bild machen und schon mal aussortieren. Bei einem hatte ich ziemlich schnell einen Termin. Nur einen Fragebogen einschicken, dann durfte ich mich vorstellen.

Als der Mann mir das erste Mal über den Weg lief, dachte ich, er wäre ein Bote. Er hatte ein Cappy auf und eine rote Weste mit vielen bunten Buttons an. Er sah drollig aus. Als ich aber erfuhr, dass er mein Therapeut sein soll, ist mir fast die Kinnlade runtergefallen. Aber so schnell lasse ich mich nicht abschrecken. Er bat mich in sein Büro. Es sah aus wie eine Rumpelkammer, vollgestellt und unaufgeräumt. Ich entschied weiterhin, mit meinem Urteil noch zu warten, obwohl das brennzlich wurde. Herr Herger fragte mich, warum ich da sei. Ich sagte, dass ich auf Anraten meiner Ärztin aus der Tagesklinik gekommen bin. Was ich den ganzen Tag mache, wollte er wissen. Ich sagte: fernsehen, DVDs sehen, mich ausruhen. Er schien davon nicht begeistert zu sein. Und entschloss sich, nach fünf Minuten Gespräch, einfach mal meine Diagnose umzuwerfen. Er sähe bei mir keine Depression, sondern eine bipolare Persönlichkeit. Gut, dass er sich da so sicher ist. Andere Fachleute hatten weitaus mehr Überlegung in meine Diagnose gesteckt. Wir machten weiter. Er hatte anscheinend genug von mir gehört und beschloss, mir eins von seinen selbstgetexteten Liedern vorzuspielen. Ich versuchte, einen Bezug zu mir herzustellen. Es war ein Kinderlied und es ging darin um Ängste. Ich begann darin fast einen Sinn zu sehen. Leider ging der Mann, ohne über das Lied zu reden, direkt zum nächsten Einspieler über. Auch das ein selbstgetextetes Kinderlied. Was für eine Show. Langsam fühlte ich mich ein wenig verarscht. Aber ich blieb am Ball. Es war mein erster Therapieversuch und ich wollte alles richtig machen, mich einlassen, mich in die Hände eines anderen begeben und als besserer, schlauerer Mensch daraus hervorgehen. Aber Herr Herger machte es mir nicht leicht. Er holte sein von ihm verfasstes Buch heraus, das unten am Empfang auch zum Kauf angeboten wurde, und las mir daraus vor. Eine Szene über den Tod. Ich dachte: ok, jetzt will er herausfinden, ob ich selbstmordgefährdet bin. Das dachte ich, weil ich davon ausging, dass diese Sitzung irgendwas mit mir zu tun hatte. Leider wurde am Ende der Lesestunde kein Bogen geschlagen. Der Mann wollte einfach nur seine selbstdarstellerische Show abziehen. Daraufhin fragte er mich, was ich als die größten Fehler meines Lebens betrachten würde. Mir fielen auf die Schnelle ein, zwei Sachen ein. Als Reaktion sagt er mir, dass er sich nicht sicher sei, ob ich sehr naiv oder einfach nur sehr dumm bin. So, das war’s für mich. Ich mag ihn nicht mehr. Gott sei Dank bin ich einigermaßen stabil. Dieser Termin hätte mich sonst ganz schön ins Wanken gebracht. Wenn man zu jemandem kommt und sich Hilfe erwartet, dann aber nur eine abgefahrene Freakshow und einen hinterhältigen Tritt in den Hintern bekommt, kann einen das ganz schön aus der Bahn werfen.

Trotz all des Blödsinns, den der Typ verzapft hat, suche ich immer noch einen therapeutischen Sinn in der ganzen Chose und komme tatsächlich ein zweites Mal, eine Woche später. Das gleiche Spiel, der gleiche Einsatz und das gleiche Resultat. Er liest, spielt vor und erzählt mir was über seine Erfahrungen mit der Buchbranche. Alles sehr interessant, aber doch nicht wirklich Sinn und Zweck unserer Zusammenkunft. Am Ende legt er mir einen Vertrag hin. Wenn ich Patient bei ihm werden möchte, soll ich unterschreiben. Ich frage mich kurz, ob ich bei der versteckten Kamera bin und er mich nur veräppelt hat, die eigentliche Therapie aber ganz seriös wird. Ich wünsche es mir sehr, weil es verdammt schwer ist, einen Termin bei einem Therapeuten zu bekommen, ganz besonders bei einem guten. Ich beschließe aber, dass er nicht in Frage kommt, nehme den Vertrag mit nach Hause und erbitte mir Bedenk-zeit. Nicht, dass ich sie brauchen würde, aber ich bin einfach ein höflicher Mensch. Und dieser Therapeut könnte selbst eine Therapie vertragen. Man sagt ja, gut die Hälfte des Fachpersonals in dieser Branche braucht selbst Hilfe. Er gehört definitiv dazu.

13. Dezember 2013

Ich kenne jetzt ziemlich viele Filme. Und stürze mich praktisch auf alles, was mich von meinen Gedanken ablenkt. Aber ich war auch ein bisschen fleißig. Ich habe mir eine Checkliste erstellt, anhand derer ich sehen kann, wie es mir geht. Es mag vielleicht komisch klingen, aber für jemanden wie mich ist es manchmal schwer zu wissen, beziehungsweise zu merken, wie es einem geht. Ob man ok ist oder sich auf dem absteigenden Ast befindet. Man spürt sich nicht mehr richtig und es ist ein schleichender Prozess. Wenn man nicht aufpasst, erwischt es einen wieder. Dazu muss man manchmal gesondert reflektieren. Meine Checkliste hilft mir dabei. Momentan geht es mir ok. Weder schlecht noch gut. Aber nicht besorgniserregend. Ich frage mich, ob sich das an Weinachten ändert, da sollen Depressive ja eine besonders schwere Zeit durchmachen. Ich behalte mich im Auge. Wo ich Weinachten verbringe weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich alleine. Mein Vater lebt in London und meine Mutter feiert mit der Familie ihres Partners. Da ist kein Platz für mich. Ich bin darüber nicht enttäuscht, mir bedeutet Weihnachten nicht so viel. Und es macht mir nichts aus, allein zu sein. Das wäre auch schlimm, denn alleine bin ich ziemlich oft. Wenn ich es mir aussuchen könnte, hätte ich es natürlich lieber anders, aber ich habe keine Wahl. Mein Job ist vorbei, ich habe keinen Kollegenkreis mehr, diese regelmäßigen Kontakte fallen also weg. Und enge Freunde habe ich schon lange nicht mehr, weil mir die Arbeit immer wichtiger war als der Kontakt zu ihnen. Karriere, Karriere, Karriere. Und dann ganz lange nichts. Es gab nur ganz Wenige, die noch zu mir vorgedrungen sind. Die wohnen entweder nicht hier, oder haben sich mittlerweile auch verflüchtigt. Das habe ich nun davon.