Kobra Bar - Sina Graßhof - E-Book

Kobra Bar E-Book

Sina Graßhof

4,3

Beschreibung

Es ist ein Uhr morgens. In der Kobra Bar wird ausgelassen gefeiert. Plötzlich sacken vier Männer in sich zusammen, tot. Die Mörder entfliehen ungesehen in die Dunkelheit. Gäste und Angestellte brechen in Panik aus – nur eine unter ihnen bleibt von alldem unberührt. Erst als sie bemerkt, dass ihre Tasche voll Bargeld verschwunden ist, lässt sie sich von der Hysterie anstecken … Orte des Geschehens: Deutschland (Hannover), Bahamas, Las Vegas, New York. "Sina Graßhof ist ein bemerkenswerter Erstlingsroman gelungen - mit gut gezeichneten Figuren, im Noir-Stil." magaScene Hannover

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Kalter Regen prasselt lautstark auf den Asphalt während eine Gruppe Nachtschwärmer ihren Heimweg antritt. Mit über den Kopf gezogenen Jacken laufen sie durch die verlassenen Straßen eines ungemütlichen Januarmorgens.

Vibrierende Bässe strömen durch die Dunkelheit, als sich die Tür einer Kneipe ruckartig öffnet. Für den Bruchteil einer Sekunde wird Einblick ins Innere gewährt. Stark angeheiterte Gäste bewegen sich ausgelassen auf der engen Tanzfläche, andere vergnügen sich bei Trinkspielen. Jeder versucht auf seine Art, den harten Alltag hinter sich zu lassen. Alkohol wird in rauen Mengen genossen.

Ein schwarz bekleideter Mann tritt heraus, sein ebenso unscheinbarer Begleiter dicht hinter ihm. Hastig laufen sie einem wartenden Taxi entgegen, das kurz darauf mit ihnen davonfährt. Die groteske Reflexion einer Schlange, die als Leuchtschild über der Eingangstür prangt, scheint ihnen verschwörerisch hinterher zu blicken.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

1

Seit Monaten war die Kobra Bar eines der angesagtesten Lokale der Stadt. Lange Warteschlagen am Eingang waren keine Seltenheit. Jeden Abend der Woche herrschte Hochbetrieb. Am späten Abend des 24. Januar war die Tür jedoch fest verschlossen. Polizeiliche Absperrungen hinderten die Gäste am Eintreten. Neugierig schauten sie sich um, dann gingen sie ahnungslos ihrer Wege.

Für die Menschen in der Bar war die Zeit zum Stillstand gekommen. Drei junge Kellnerinnen beobachteten regungslos, wie Kommissar Schiller und seine Kollegen von der Kriminalpolizei Spuren sicherten, Beweismaterial eintüteten und den Tatort fotografierten. Der noch frische Schock ließ bei den Frauen keine absichtliche Bewegung zu. Doch bei jedem Blitz zuckten sie in sich zusammen. Die Jüngste unter ihnen hatte die größte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Erst vor einem Monat war Fanny Blixen nach Deutschland gekommen, um ihren Freund bei seinem Auslandspraktikum zu begleiten. Dieser – ihr erster – Job war für sie ein Glücksgriff gewesen. Die Bezahlung war gut und die Arbeit unterhaltsam, wenn ihr das Treiben auch manchmal zu wild war. Die Bilder dieses Abends sollten ihre Euphorie nun ein für alle Mal beenden. Sie hatte es nicht gewagt, erneut hinzusehen. Dennoch sah sie das Ergebnis der grausamen Tat wie ein Standbild vor ihrem geistigen Auge. Vier gut gekleidete Männer lagen regungslos vor ihr am Boden. In ihrem eigenen Blut.

Kein Wort wurde gesprochen. Vergeblich bemühten sich die Mitarbeiter, ihre Fassung wiederzugewinnen. Doch schon bald würden sie die furchtbaren Ereignisse für die Polizeiprotokolle wiedergeben und erneut durchleben müssen.

***

"Ihr Name ist Fanny Sophie Blixen, sie ist 19 Jahre alt und schwedischer Staatsangehörigkeit", hielt Hauptkommissar Schiller für das Protokoll fest. "Sprechen Sie Deutsch?"

Fanny blickte starr zu Boden, nickte stumm.

"Ihre Bestürzung ist verständlich, aber es führt kein Weg daran vorbei, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Versuchen Sie bitte, uns zu helfen." Schiller sah die junge Frau abwartend an. "Wo waren Sie während der Vorfälle?"

"Ich" Ihr Blick richtete sich noch immer zu Boden. Ihre Stimme war zittrig. "... es war voll. Und sehr eng. Auf einmal fielen Menschen zu Boden ... direkt neben mir. Gläser schepperten. Es gab ein Gerangel. Und die Männer ... lagen da."

Fanny hielt die Hände vor den offenen Mund, als hoffe sie, ihre Emotionen dadurch unterdrücken zu können.

"Frau Blixen, können Sie mir sagen, wie viele Schüsse gefallen sind?"

Fanny schluchzte laut auf bevor sie antwortete: "Ich habe keine Schüsse gehört."

"Dann haben sie Schalldämpfer benutzt“, gab Schiller zu Protokoll. „Haben Sie gesehen, wer geschossen hat? Waren es vielleicht mehrere Personen?" wandte er sich wieder an Fanny.

"Ich weiß es nicht. Oh Gott, das ganze Blut." Fanny konnte nicht länger an sich halten. Tränen strömten über ihr Gesicht.

Schiller hatte Mitleid. "Dacher, sorgen Sie dafür, dass das Mädchen nach Hause kommt."

Der junge Kommissar nickte wenig begeistert und machte Anstalten zu gehen.

"Moment noch, Dacher! Haben Sie etwas Brauchbares vom Barkeeper erfahren?"

"Nein. Er war zum Tatzeitpunkt im Lager, hat Getränkenachschub besorgt. Auch die beiden Kellnerinnen haben nichts Genaues gesehen. Eine von ihnen war im entscheidenden Moment auf der Toilette. Hat wohl einen Magen-Darm-Infekt."

"In Ordnung, können alle gehen. Wo ist die große Blonde?"

"Für kleine Mädchen. Müsste gleich wieder hier sein."

***

Wenige Minuten nachdem Kommissar Dacher den Tatort verlassen hatte, kehrte Viktoria Suhrer in den Hauptraum zurück. Schiller notierte ihre Personalien. Dann beäugte er sie mit ernstem Blick.

"Frau Suhrer, was können Sie über den heutigen Abend aussagen? Ist Ihnen vor dem Anschlag etwas Ungewöhnliches aufgefallen?"

Mit unveränderter Mimik dachte Viktoria an den frühen Abend zurück. Ein ihr unbekannter Mann, den sie vor ihren Kolleginnen wie einen Vertrauten behandelte, hatte ihr eine Lederhandtasche überreicht. Beim Gedanken an den Inhalt begann ihr Herz schneller zu schlagen.

"Ich war hinter der Theke als es passierte. Vorher habe ich nichts Auffälliges bemerkt."

"Es gab keine Auseinandersetzung?"

"Nein."

"Haben Sie im Nachhinein jemand Auffälligen gesehen?"

"Nein, es herrschte völliges Durcheinander. Ich konnte nichts erkennen, tut mir leid."

"Können Sie mir sagen, wie viele Schüsse sie gehört haben?"

"Keinen einzigen."

Obwohl sie gerade einem schrecklichen Mordanschlag beigewohnt hatte, wirkte Viktoria Suhrer seltsam gefasst. Das war verwunderlich. Doch nach Fanny Blixens Gefühlsausbruch fand Schiller ihre Gegenwart beinahe angenehm.

Sie erhob sich. "Kann ich gehen?"

"Es spricht nichts dagegen." Schiller schrieb eine Notiz in sein Heft, sie stand auf. "Moment noch. Wo ist ihr Chef? Der Besitzer der Bar?"

"Die Besitzer. Sind seit einer Woche in Kuba."

Sie ging zum Tresen. Adam Schillers Augen folgten aufmerk-sam jeder ihrer Bewegungen. Sie waren geschmeidig, wie die einer Katze.

"Wo ist meine Handtasche?" fragte sie plötzlich.

Schiller schaute sich um. "Wo sollte sie denn sein?"

"Hier, unterm Tresen, wo wir alle unsere Sachen aufbewahren!"

Ohne ihn weiter zu beachten lief Viktoria in der Bar umher und durchsuchte jeden Winkel nach ihrer Tasche. Schiller sah tatenlos zu. Als sie die Suche schließlich abbrach, ließ sie sich wie versteinert an der Theke nieder. Von ihm abgewandt genehmigte sie sich einen Drink und eine Zigarette.

Ihr Verhalten gab Schiller Rätsel auf. "Hören Sie, falls das heute Erlebte Sie doch mehr mitnimmt, als es den Anschein machte, kann ich Ihnen psychologische Hilfestellung zukommen la-"

"Darum geht es nicht", unterbrach Viktoria barsch. Durch seinen skeptischen Blick alarmiert erklärte sie beiläufig: "Meine Schlüssel waren in der Tasche. Ich weiß nicht, wie ich in meine Wohnung kommen soll."

"Das sollte kein Problem sein. Ich kann Sie zu Hause absetzen und dann rufen Sie einen Schlüsseldienst."

"Nicht nötig! Ich fahre zu einem Freund."

Sie warf sich elegant ihren Mantel über. Ohne eine weitere Reaktion abzuwarten, stürmte sie aus der Bar.

"Sie hören von uns", rief Schiller ihr in letzter Sekunde hinterher. Kurz darauf machte auch er sich auf den Weg.

***

Während der Heimfahrt in Dachers Wagen war es Fanny Blixen nicht gelungen, sich zu beruhigen. Zuerst schien es, als entspannte sie sich immer mehr, je weiter sie sich vom Tatort entfernte. Doch die Bilder der Toten kehrten rücksichtslos in ihr Bewusstsein zurück. Beinahe ohne Unterbrechung liefen Tränen über ihr Gesicht. Ab und zu entwischte ihr ein Schluchzen, daraufhin schaute sie beschämt zu Boden. Mit Kommissar Dacher wechselte sie kein Wort.

"Wir sind da. Nummer 144. Haben Sie jemanden, der sich ein wenig um Sie kümmern kann?"

Fanny wischte sich mit dem Jackenärmel die Tränen von den Wangen. "Meinen Freund. Er wohnt auch hier."

"Kommen Sie, ich begleite Sie nach oben."

Fanny hielt den Wohnungsschlüssel in der Hand, doch sie zögerte. Etwas anderes als die Tragödie schien sie zu beschäftigen.

„Ist alles ok?“

Keine Reaktion. Dacher betätigte kurzerhand die Klingel.

Als Kalle das tränenverschmierte Gesicht seiner Freundin sah, war der heftige Streit vom Nachmittag vergessen. Er blickte sie und den Kommissar besorgt an. Fanny fiel ihm in die Arme und weinte ungehemmt.

Kalle schaute ratlos zu Dacher. Dieser flüsterte kaum hörbar: "Ihre Freundin hatte einen sehr harten Tag. Es gab einen Mordanschlag in der Bar. Nehmen Sie sich etwas Zeit und kümmern sich um sie. Sehen Sie zu, dass sie etwas isst und schläft. Falls irgendetwas sein sollte, rufen Sie an."

Kalle verstand. Dacher überreichte ihm seine Karte und verabschiedete sich.

***

"Das will mir nicht in den Kopf. Ein Typ, oder mehrere gehen in eine Bar, erschießen im Rekordtempo vier Männer und machen sich völlig unerkannt davon? Die Angestellten haben niemanden gesehen. Und die halbwegs nüchternen Gäste, die noch da waren als wir kamen, ebenso wenig. Keine Täterbeschreibung, keine brauchbaren Anhaltspunkte. Wir haben nichts. Es sei denn, die Schwedin bekommt ihre Nerven in den Griff und hat vielleicht doch noch Infos für uns." Dacher plauderte angeregt. Schiller ging einem Gedanken nach. "Kann ich zur ihr fahren? Morgen vielleicht? Ich glaube, ich habe einen guten Draht zu ihr."

"Dazu gibt es keinen Anlass", entgegnete Schiller kurz angebunden. Er mochte es nicht, in seinen Überlegungen gestört zu werden.

Stumm saßen sie sich gegenüber. Als das Schweigen für beide unangenehm wurde, ergriff Schiller schließlich das Wort. Sein Ton klang etwas versöhnlicher. "Zuerst müssen wir herausfinden, wer die Opfer waren. Schreiben Sie Ihren Teil des Berichts fertig, dann haben wir für heute getan was wir können."

"Alles klärchen, Chef!"

Eine Stunde später schaltete Dacher seinen Computer aus und verabschiedete sich in den Feierabend.

Schiller blieb. Es gab etwas, das ihm keine Ruhe ließ.

***

Noch vor Sonnenaufgang erwachte Fanny, mit stark geschwollenen Augen. Ihre Nacht war kurz und wenig erholsam gewesen. Sie hatte versucht zu schlafen, doch dies schnell wieder aufgegeben. Sie saß in der Küche und trank Kaffee. Dabei schaute sie aus dem Fenster. Ihr leerer Blick richtete sich auf die verlassene Straße. Der Regen hatte nachgelassen und sich in Schnee verwandelt. Es wurde langsam Tag. Fanny nahm von all dem keine Notiz. Ihr Körper war angespannt. Hin und wieder schüttelte sie den Kopf, so als hoffte sie, die Gedanken an das blutige Durcheinander würden dabei einfach aus ihm herausfallen.

Gegen zehn Uhr fand Kalle sie in unveränderter Position. Er setzte sich schweigend auf den Stuhl ihr gegenüber. Es fiel ihm schwer die richtigen Worte zu finden. Er hielt ihre Hand – das war alles was er tun konnte.

"Ich will nicht darüber reden. Und nie wieder in diese Bar. Ich will das einfach nur vergessen", sagte sie.

Kalle nickte. Er nahm sich vor, alles zu tun, um ihr dabei zu helfen.

Nach dem Frühstück machte er sich daran, den Caljas Brüdern, Fannys Chefs, in ihrem Namen eine Kündigungsmail zu schreiben. In der Zeit nahm seine Freundin ein ausgiebiges Entspannungsbad. Für sie war es jedoch weit mehr als das. Sie wusch sich das Erlebte förmlich vom Körper und hoffte, danach einen Neuanfang machen zu können – ohne die unliebsamen Schatten auf ihrer Seele.

Die Beiden trafen sich im Wohnzimmer wieder. Fanny hielt eine ihr fremde Tasche in der Hand, die sie kurz zuvor im Flur gefunden hatte. "Wem gehört die?"

Ihr Freund überlegte, dann stellte er fest: "Dir! Der Polizist, der dich hergebracht hat, hat sie mir gegeben."

"Das ist nicht meine."

"Bist du sicher?"

"Na klar. Meine hat an der Seite einen Metallanhänger. Und sie ist kleiner. Die hat bestimmt jemand vertauscht. Sie muss einer Kollegin gehören..."

Fanny öffnete die Tasche. Was sie zu finden hoffte, war ein Portemonnaie mit Ausweis oder ein Handy. Doch der Inhalt ließ ihren Atem stocken. Sie starrte eine Weile in die Lederhandtasche, klappte diese wieder zu und sah Kalle fassungslos an.

"Was ist?"

Ein leiser Seufzer war alles, was Fanny Blixen in der Lage war hervorzubringen.

***

Viktoria Suhrer trank die Nacht über einen Whisky nach dem anderen. Sie war entrüstet. Jemand hatte sie bestohlen und sie wusste nicht wer. Sie konnte sich nicht erklären, wie es zu einer derartigen Panne hatte kommen können. Die Übergabe am frühen Abend war reibungslos verlaufen. Sie war sicher, dass niemand etwas bemerkt hatte. Ihre Kollegen auf keinen Fall. Der permanent zugedröhnte Jerry, ihr Barkeeper, interessierte sich nur für die aktuelle seiner unzähligen Bekanntschaften. Therese war, seit sie vor ein paar Tagen erfahren hatte, dass sie schwanger ist, komplett neben der Spur. Fanny und Kata bedienten gerade, das hatte sie aus dem Augenwinkel beobachtet.

An die Gäste konnte sie sich nicht erinnern. Es war natürlich möglich, dass jemand die Übergabe mitbekommen und ihre Tasche still und heimlich genommen hatte. Im Grunde hielt sie diese Theorie jedoch für unvorstellbar – es sei denn, derjenige war eingeweiht.

Ob das verschwundene Geld mit den Morden in Zusammenhang stand, wusste sie nicht. Es war nicht auszuschließen, dass ihr Auftraggeber darin verwickelt war. Möglicherweise wurde ihr Anteil von einem seiner Geldeintreiber zurückgeholt. In dem vollkommenen Chaos hätten Profis kinderleichtes Spiel gehabt. Für einige Minuten hatte sie nicht auf ihre Tasche geachtet, das hätte jemand ausnutzen können.

Es wäre ein sehr besorgniserregendes Zeichen, wenn ihr Boss damit zu tun hatte, denn es würde bedeuten, dass er mit ihrer Arbeit nicht mehr zufrieden war. Sollten sich ihre Vermutungen bewahrheiten, würde er sie schon bald bedeutend anders behandeln. Wie das aussehen würde, wollte sie sich lieber nicht vorstellen. Ihre unbändige Wut verdrängte derartige Gedanken ohnehin. Gewöhnlich verliefen solche Aktionen genau nach Plan. Die Tatsache, dass dieses Mal alles schief ging, ließ sie beinahe die Wände hochgehen. Etwas anderes stieß ihr allerdings noch bitterer auf. Es war der Gedanke, vorerst weiterhin in dieser Bar arbeiten zu müssen – ein Job, den sie verachtete. Doch sie musste ihn wieder aufnehmen. Nicht etwa, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – das hatte sie nicht nötig – aber sie musste herausfinden, ob nicht einer ihrer Kollegen das Geld an sich gerissen hatte. Wer auch immer es gewesen sein mochte, würde bald seines Lebens nicht mehr froh sein. Das schwor sie sich.

***

"Da ist Geld drin."

"Geld? Wie viel denn?"

"Ein paar ... Bündel… 500er Scheine."

"Was?! Zeig mal her!"

Kalle schüttete den Inhalt der Tasche aus. Ein Haufen Geldbündel fiel vor ihm auf den Boden. Sie zählten 20 Bündel. Jedes bestand aus 50 500-Euroscheinen, was nicht weniger als eine halbe Million Euro ergab.

Fasziniert und ungläubig starrten die beiden auf den Geldberg. Der Anblick hatte ihnen die Sprache verschlagen. Er löste ein Hochgefühl aus, das ihre Körper angenehm kribbelnd durchfuhr.

Nach langem Schweigen unterbrach Fanny die träumerische Stille. "Wir sollten die Polizei informieren."

Während sie das Telefon anstarrte, nahm er ein Bündel in die Hand. "Hast du irgendeine Idee, wem das gehört und wie es hier gelandet ist?"

Fanny dachte nach, dabei ließ sie ihren Blick schweifen. Sie sah ihre Tasche in der Ecke stehen. Kalle schaute verwundert in dieselbe Richtung. "Das versteh ich nicht! Kannst du dich an irgendwas von gestern erinnern, was das erklärt?"

"Ich weiß nicht ... Nach dem Vorfall wurden wir alle befragt. Ich war als Erste dran, musste mich ausweisen und sagen, was ich gesehen habe. Danach hab ich Jacke und Handtasche genommen und wurde nach Hause gefahren."

"Deine Tasche?"

"Ja."

Fanny schüttelte verwundert den Kopf. Plötzlich entspannte sich ihr Gesicht. "Mann, was bin ich durcheinander! Ich war doch gestern vor der Arbeit Pizza holen. Wir haben zusammen gegessen. Dann, als ich gehen wollte, haben wir uns gestritten. Weißt du noch?"

"Ja, das tut mir leid."

"Schon gut. Aber ich war so spät dran, dass ich einfach losgegangen bin – ohne meine Tasche. Mein Portemonnaie hatte ich noch in der Jacke, da war auch mein Ausweis drin." Sie machte eine kurze Pause, sammelte sich. "Nach dem Verhör meinte der Polizist, ich solle meine Sachen nehmen, damit er mich nach Hause bringen kann. Das hab ich getan. Aber ich habe offenbar irgendeine Tasche genommen, ohne weiter darauf zu achten. Ich stand völlig neben mir."

"Dann gehört sie ja wirklich jemandem aus der Bar! Was, wenn das Geld mit den Morden zu tun hat?"

Kalle und Fanny sahen sich fassungslos an.

"Meinst du, irgendwer hat gesehen, dass du die Tasche genommen hast?"

"Keine Ahnung."

In diesem Moment klingelte es an der Tür.

"Oh Gott, die kommen sich das Geld jetzt bestimmt holen", rief Fanny panisch.

Kalle schob reflexartig den Geldhaufen zusammen. Schnell versteckte er ihn, mitsamt der Tasche, im Mülleimer.

"Ich mach das schon, bleib ganz ruhig", beteuerte er, bevor er zur Tür ging.

Kalles Herz raste. Er war groß gewachsen, aber schmal gebaut. Wenn es hart auf hart kam standen seine Chancen schlecht. Er hoffte inständig, dass man ihm Zeit für erklärende Worte ließ. Er würde denjenigen klarmachen, dass es sich um ein Missverständnis handle. Kein Mensch würde jemals davon erfahren und er würde ihnen das Geld sofort zurückgeben, wenn sie es verlangten.

Durch den Türspion war niemand zu sehen. Kalle hielt den Hörer der Gegensprechanlage an sein Ohr und machte sich auf das Schlimmste gefasst. So gelassen er konnte, stellte er sich der drohenden Gefahr. "Hallo?"

"Hallo. Kommissar Dacher. Ich würde gerne kurz mit Ihrer Freundin sprechen."

Erleichterung, das angenehmste der Gefühle durchströmte Kalles Körper mit solcher Wohltat, dass er hoffte, es würde ewig anhalten. Er musste sich kurz anlehnen, dann kehrten seine Sinne zurück.

Dacher hatte, dank seiner exzellenten Fitness, unerwartet schnell die Dachgeschosswohnung erreicht. Als er das Wohnzimmer betrat, fand er Fanny auf dem Sofa sitzend vor – blass um die Nase und noch immer leicht verstört. Die langen blonden Locken waren zerzaust. Ihre in sich zusammengesackte Haltung ließ den zierlichen Körper gebrochen erscheinen.

Große blaue Augen, die sonst fröhlich über ausgeprägten Wangenknochen erstrahlten, starrten ins Leere.

"Guten Morgen, Frau Blixen", brachte er hervor. Ihr trauriger Anblick machte Dacher verlegen. Fast bereute er, hergekommen zu sein. "Ich habe noch ein paar Fragen. Denken Sie, es wäre Ihnen möglich, sich kurz mit mir zu unterhalten?"

Fanny war so angespannt wie sie wirkte. Es fiel ihr schwer, sich auf den vorangegangenen Abend zu konzentrieren. Einerseits, weil sie hoffte, durch Verdrängung alles Erlebte ungeschehen zu machen; andererseits hatte sie große Mühe, ihre Gedanken von den Geldbündeln in ihrem Mülleimer abzuwenden. Sollte sie den Kommissar einweihen, um auf der sicheren Seite zu sein? Seine Anwesenheit gab ihr das Gefühl, geschützt zu werden. Aber was würde er tun, wenn er davon erfuhr? Würde er ihr glauben? Oder würden sie beide dadurch zu Verdächtigen werden?

"Wir können es versuchen", sagte sie unsicher.

"Gut. Ich werde Sie auch nicht lange stören."

Kalle platzierte einen Stuhl vor Fanny. Dacher setzte sich, wobei er Block und Stift aus seiner Jackentasche hervorholte. Bereit, sich ein paar Notizen zu machen, begann er die Befragung.

"Fanny – ich darf Sie doch Fanny nennen?" Die junge Frau nickte. "Sie verstehen sicherlich, dass Ihre Aussage für unsere Ermittlungen von großer Bedeutung ist. Sie waren sehr nahe am Geschehen. Ich möchte Sie also bitten, sich genau zu erinnern." Der Ermittler ignorierte Fannys gepeinigten Gesichtsausdruck nun ganz konsequent. "Um wie viel Uhr sind Sie gestern zur Arbeit erschienen?"

"Meine Schicht begann um 20 Uhr. Ich war ein paar Minuten früher da."

"Was tun Sie dann für gewöhnlich?"

"Ich gehe meistens direkt ins Hinterzimmer, um mich umzuziehen und meine Gürteltasche mit Wechselgeld zu füllen. Dann bespreche ich mich kurz mit den Kollegen und nehme an den Tischen Bestellungen auf."

"So auch am gestrigen Abend?"

"Ja."

"War viel Betrieb?"

"Als ich anfing noch nicht. Aber gegen neun waren alle Tische belegt und auch der Stehbereich komplett gefüllt. Es war sehr viel los."

"Die Morde wurden gegen 21.45 Uhr verübt. Sind Ihnen die Opfer der Schießerei vorher aufgefallen?"

Ihr Gesicht wurde kreidebleich, doch sie bemühte sich um eine Antwort. "Nur einer von ihnen – der Rothaarige." Die Erinnerung wollte sie mit aller Macht überwältigen, doch Fanny riss sich zusammen. "Kurz vorher hatte er bei mir ein Bier bestellt. Er war ziemlich betrunken."

"Haben Sie gesehen, ob er sich mit jemandem unter-halten hat?"

"Nein."

"Ist Ihnen sonst irgendjemand aufgefallen, der sich seltsam verhalten hat oder vielleicht nervös war?"

Fanny überlegte. Sie dachte an die Gäste, deren fremde Gesichter. An Gesprächsbrocken, die sie im Vorbeigehen aufgeschnappt hatte. An ihre Kollegen.

"Nein."

Dacher sah ein, dass er hier nichts erfahren würde, was die Ermittlungen vorantrieb. Nach einem kurzen Austausch von Belanglosigkeiten verabschiedete er sich und lief hastigen Schrittes die Treppen hinab.

Als er außer Sichtweite war, schloss Kalle die Tür und wandte sich Fanny zu. "Du hast ihm nichts von dem Geld erzählt."

"Ich habe mich nicht getraut. Aber es war falsch! Hast du noch seine Karte? Ich muss es ihm sagen!"

"Warte mal, ich finde, wir sollten uns das gut überlegen. Vielleicht behalten wir das doch besser für uns."

Sie sah Kalle ungläubig an.

"Überleg doch mal, was wir mit der Kohle alles anstellen können! Wir kaufen dir was Tolles zum Anziehen, gehen schick essen. Vielleicht in Paris? Dann Venedig, New York ..."

"Kalle, als er mich fragte, ob sich gestern jemand seltsam verhalten hat, ist mir etwas eingefallen. Zwischen den Bestellungen habe ich immer mal wieder leere Gläser an der Bar eingesammelt, dabei habe ich Viktoria mit einem Mann gesehen. Ein seltsamer Typ, hat gar nicht zu ihr gepasst. Sie haben sich unterhalten und Viktoria war total gut drauf – das ist sie sonst nie. Als sie mit ihm da stand, hielt sie eine Tasche unterm Arm. Darüber hab ich mich noch gewundert, normalerweise lassen wir die unterm Tresen. Nun rate mal, wie die aussah..."

"Warte, Viktoria – ist das nicht eure neue Kollegin?"

"Ja, neu und merkwürdig. Redet kaum mit uns, es sei denn, sie fragt uns über die Chefs aus. Keiner kann sie leiden. Einmal hat sie sich am Telefon mit jemandem gestritten. Ich hab durch Zufall mitgehört. Sie ist vollkommen durchgedreht. Das war richtig beängstigend."

"Weiß sie, wo du wohnst?"

"Das ist es ja. Wir haben nie über Privates gesprochen. Aber sie muss in der Nähe wohnen. Neulich ist sie an unserem Haus vorbeigegangen und hat mich reingehen sehen. Es ist bestimmt nur eine Frage der Zeit, bis sie hier auftaucht."

***

Adam Schiller hatte sich in der Mordnacht, nachdem Dacher das Büro verlassen hatte, ebenfalls auf den Weg gemacht. Allerdings nicht nach Hause, sondern zum Kiosk um die Ecke. Eiskalter Wind wehte die fallenden Schneeflocken vor seinem Gesicht umher. Er hasste diese Jahreszeit.

"Na, wieder Überstunden, Herr Kommissar?" Der Inhaber kannte Schiller inzwischen gut. Mit überzogenem Augenzwinkern deutete er an, dass dessen Arbeitsgewohnheiten manchem Betrachter unkonventionell erscheinen könnten.

"Wohl ein schwieriger Fall, was?"

Schiller zahlte schweigend. Er nahm die Whiskyflasche vom Tresen, um ebenso wortlos aufzubrechen.

"Viel Glück, Inspektor!"

Das würde konnte er gebrauchen, dachte Schiller, winkte dem Kioskbesitzer im Gehen zu und verschwand.

Der erste Schluck war eine wahre Wohltat. Schiller hatte das Gefühl, die unsichtbare Schlinge um seine Kehle würde sich langsam lösen.

Zwanzig Jahre war er inzwischen bei der Mordkommission. Seit längerem verfügte er über ein eigenes Büro, war fast allein für seine Fälle verantwortlich. In all den Jahren hatte er vieles erlebt und einiges an Erfahrungen angehäuft, doch dieser Fall beunruhigte ihn. Eines war klar, die Morde wurden von Profis verübt. Vier tödliche Treffer in Rekordzeit, das war kein Zufall, sondern Können. Zudem wurden Schalldämpfer verwendet. Alles Anzeichen für ein professionell ausgeklügeltes Verbrechen. Ein Verbrechen, dessen Aufklärung intensive und langwierige Ermittlerarbeit voraussetzte.

Der zweite Schluck ließ den imaginären Strick zu Boden fallen. Nach dem Dritten streckte er entspannt die Beine von sich und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Dabei erinnerte er sich an die mysteriöse Kellnerin –

Schiller ermahnte sich. Er durfte sich nicht zu Fantasien hinreißen lassen. Derartige Gedanken waren unprofessionell und noch dazu sehr untypisch für ihn. Er musste sich auf seine Arbeit konzentrieren.

Noch konnte er sich keinen Reim auf die Geschehnisse machen, doch er würde der Sache auf den Grund gehen. Alles, was er brauchte, war ein wenig Geduld.

Am frühen Morgen fiel er endlich in einen rauschartigen Schlaf. Nur wenige Stunden später erwachte er, duschte und kehrte ins Büro zurück. Von Frühstück hielt er, wie so oft, nicht viel.

Am späten Vormittag gesellte sich Dacher zu ihm. Nach einiger Überwindung wagte der junge Ermittler es, seinen Besuch bei Fanny Blixen zu beichten.

Der stark übernächtigte, leicht reizbare Schiller musste sich sehr zusammennehmen, um seinen einfältigen Kollegen nicht aus voller Kehle anzubrüllen. Er atme tief ein und betrachtete den jungen Kommissar mit ernstem, prüfendem Blick.

Dacher war ein gutaussehender, athletischer Mittzwanziger mit verbissenem Gesichtsausdruck. Er war in seiner Arbeit sehr bemüht, das musste Schiller ihm lassen. Auch die Polizeischule hatte er mit akzeptablen Ergebnissen abgeschlossen. Leider war er bei den Ermittlungen oft sehr oberflächlich, neigte zu voreiligen Schlüssen und unvernünftigen Handlungen. Er war noch nicht lange genug im Dienst, hatte noch nicht genug Lebenserfahrung, um auf eigene Faust Entscheidungen zu treffen. Obwohl dieser Hausbesuch im Grunde eine Lappalie war, so war er doch unprofessionell. Es zeigte sich, dass Dachers Übereifer dringend gebändigt werden musste. Erst vor zwei Wochen war er Schiller zugeteilt worden, doch dieser war es schon jetzt leid, den Aufpasser spielen zu müssen.

"Was bitte haben Sie sich dabei gedacht, alleine und entgegen meiner deutlichen Anweisungen zu diesem Mädchen zu gehen?"

Dacher saß mit schuldbewusster Miene an Schillers Schreibtisch, dessen Blick meidend.

"Bilden Sie sich nicht ein, schon alles zu wissen. Sie sind mir unterstellt und das nicht ohne Grund! Mit derartigen Dummheiten könnten Sie uns noch große Probleme einhandeln."

"Entschuldigung, kommt nicht wieder vor." Nach einer demütigen Pause gestand er ein: "Sie hatten Recht, das Mädchen war immer noch sehr mitgenommen. Wirklich weitergebracht hat uns mein Besuch nicht. Sie kehrt in den nächsten Tagen mit ihrem Freund nach Schweden zurück, hat sie gesagt."

"Das ist wohl das Beste für sie", versicherte Schiller, während er einen flüchtigen Blick auf Dachers Notizen warf.

***

Fanny Blixen packte eilig die wichtigsten Sachen zusammen. Ihr Freund hatte sie überzeugen können, das gefundene Geld zu behalten. Große Überredungskünste brauchte er dabei nicht anwenden, denn ihre Angst hatte längst über die Vernunft gesiegt. Jede weitere Minute, die sie in ihrer Wohnung verbrachte, steigerte ihre Nervosität. Sie fühlte sich, als säße sie in einer Falle. Der einzige Lichtblick war die Flucht an einen weit entfernten Ort. Wo dieser sein mochte, war ihr beinahe gleichgültig. Die Hauptsache war, dass sie diese immer bedrohlicher erscheinende Stadt schnell verlassen konnte.

Während Fanny packte, recherchierte Kalle wichtige Details. Er informierte sich im Internet über die Zollbestimmungen verschiedener Länder.

"Wenn wir das ganze Geld mitnehmen wollen, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Man kann überall nur ein paar tausend Euro problemlos einführen. Alles andere muss man deklarieren oder sehr gut verstecken. Wenn wir das Geld legal einführen, werden wir registriert. Mal davon abgesehen, dass die uns bei so viel Bargeld sofort auf ein Polizeirevier bringen, kann man die Kohle ab dann jeder Zeit mit uns in Verbindung bringen."

"Hier lassen können wir es aber auch nicht. Wenn wir wenigstens wüssten, wohin wir fliegen, dann könnten wir es als Paket verschicken."

"Nein, das wäre viel zu riskant." Kalle rieb sich nachdenklich die Stirn. "Wir sollten auf dem Weg zum Flughafen aber trotzdem bei der Post anhalten. Oder besser bei der Bank ..."

Als alles gepackt war, legte er die Geldbündel in einen Schuhkarton, den er wiederum in einer Reisetasche verstaute. Vorher entnahm er zwei Bündel und ein paar einzelne Scheine. Letztere packte er in seine Brieftasche, erstere gab er Fanny. "Die müssen wir irgendwo hintun, wo sie auf keinen Fall jemand findet."

„Warum nicht in den Koffer?“

„Wenn der verloren geht haben wir nichts. Und du weißt, wie oft Koffer verloren gehen.“

"Ja. In unsere Schuhe vielleicht? Das hab ich mal in einem Film gesehen."

"Besser nicht, die müssen wir womöglich ausziehen. Ich hatte da eigentlich eine andere Idee…"

Er senkte den Blick, bis seine Augen auf Höhe ihrer Oberweite stoppten. Ein leichtes Kopfnicken beantwortete Fannys wortlose Frage. Sie rollte mit den Augen.

Schließlich ließ sie sich dazu überreden. Es schien die einzige Möglichkeit zu sein, das Geld unbemerkt zu transportieren.

Kalle bewunderte in aller Ruhe den Push-Up-Effekt. Fanny schaute ihn sorgenvoll an. "Denkst du, wir kommen mit alldem durch?"

Sein Beschützerinstinkt war geweckt. Er nahm seine Freundin fest in die Arme. "Mach dir keine Gedanken, Schatz. Wenn wir erst mal hier weg sind, wird alles gut."

Im Taxi beschloss Kalle, das Schließfach ohne Fanny anzumieten. Er hatte seit Praktikumsbeginn ein deutsches Konto, sie nicht. Außerdem hielt er es für sicherer, sie nicht nachweisbar zu beteiligen.

"Warten Sie bitte hier, bis ich wieder da bin", sagte er zum Fahrer. "Bleib du am besten im Auto, mein Engel, ich mach das eben schnell."

Fanny nickte, schaute ihm jedoch fragend hinterher. Er warf ihr eine Kusshand zu, dann verschwand er aus ihrer Sichtweite.

Als Kalle das Kreditinstitut betrat war ihm mulmig. Er wusste nicht, wie die Abläufe waren. Gab es ein grundsätzliches Recht auf Privatsphäre oder wurden aus Sicherheitsgründen alle Behältnisse kontrolliert? Wie sollte er die große Menge Geld erklären, falls der Karton vor dem Einschließen geöffnet werden musste?

Glücklicherweise hatte er nicht lange Zeit, sich in derartige Gedanken zu vertiefen. Ein freundlich lächelnder Mitarbeiter kam schon auf ihn zu.

"Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?"

Hoffentlich guckt er nicht auf meine wackeligen Knie, dachte Kalle. Er musste sich räuspern. "Ich würde gerne ein Schließfach anmieten."

"Aber natürlich. Sind Sie Kontoinhaber?"

"Ja."

"Ausgezeichnet. Dann benötige ich Ihren Namen und die Kontonummer."

Der Mitarbeiter gab die Daten in den Computer ein. Kalle schaute gebannt auf dessen Finger. Wenn jetzt etwas schief ging, war alles vorbei.

"Was möchten Sie aufbewahren?"

Da war sie, die gefürchtete Frage. Sollte er einfach schnell davonlaufen? Oder Angaben zum Inhalt der Schachtel machen? Er konnte doch nicht diesen riesigen Haufen Geld auspacken.

Kalle versuchte mit aller Macht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Sein Gehirn schaltete auf Autopilot. Die Reisetasche, die er krampfhaft in der Hand hielt, beinhaltete eine Schachtel. Er holte sie hervor und sagte kurzerhand: "Die möchte ich bitte aufbewahren."

"Sehr gerne. Wenn Sie für den Inhalt eine Versicherung wünschen, müsste ich einen Blick darauf werfen."

"Ohne Versicherung." Er hatte das Gefühl, komplett neben sich zu stehen.

"Kein Problem. Dann folgen Sie mir bitte in den Tresorbereich."

Fast geschafft! Kalle ging wortlos hinter dem Mitarbeiter her. Die Tasche hielt er noch immer krampfhaft in der Hand, doch allmählich schien er wieder zu sich zu kommen.

"Ihr Fach hat die Nummer 44. Hier sind die Schlüssel. Lagern Sie in Ruhe Ihre Wertgegenstände. Wenn Sie fertig sind, geben Sie mir Bescheid."

Kalle atmete durch. Er verstaute das Geldpaket, dann machte er Anstalten, die Schlüssel zurückzugeben.