Ausgefegte Schreibstube - Olaf Dröge - E-Book

Ausgefegte Schreibstube E-Book

Olaf Dröge

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Beschreibung

Dieser Band versammelt Geschichten, die aus dem Leben kommen – und für Menschen geschrieben sind. Geschichten, die zugleich so spannend und so sperrig wie das Leben selbst sind. Geschichte, die uns leiden und lieben lassen. Geschichten, die uns abstoßen und umarmen. Geschichten, die eine neue Heimat suchen… Ein Buch, das die Axt für das gefrorene Meer in uns ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Olaf Dröge

Ausgefegte Schreibstube

Bittersüßer Geschichtenbrei

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2025 Olaf Dröge, vertreten durch Rocket Words, Konrad-Adenauer-Promenade 18, 35578 Wetzlar

Lektorat und Korrektorat: Casten S. Leimbach

Copyright Cover: pixabay Oktober 2025

Inhaltsverzeichnis

251

Besuch bei einer alten Dame12

Fußball17

Residenz Haus Seelenruh‘20

Ansichtssache24

Der Liegestuhl30

Der Pizzabote33

Wer A sagt, ist aller Laster Anfang.37

Totgesagte leben länger39

Steinzeitkind45

Beobachtungen49

Tierchen55

Alles in Ordnung57

Horst (Gedicht)62

Geschäftsreise nach Maß64

Der Nacktmull und das Gürteltier (eine Fabel)69

Hans Meier71

Die Siedlung76

Der Ferkelhase (eine Diplomarbeit)81

Die Rezension99

Zirkus Knubbelnase105

Hoffnung stirbt zuletzt.114

Klabautermanns Beute (ein Hörspiel)119

Prozess (ein Anti-Plot)125

Bastis Haustier129

Der Brief135

Brommels großer Tag137

Karin zuliebe141

Wie immer146

Das Weihnachtsduell151

Ofen aus im Räuberhaus160

Die Banditos und der Wassermann221

Schlussgedicht261

Die drei mutigen Heftklammern

Es waren einmal drei Heftklammern, die hießen Ticki, Tacki und Herbert. Sie wohnten nur zu dritt in ihrer Heftklammernschachtel in der Ecke auf dem großen Schreibtisch, denn die gesamte restliche Familie war bereits jämmerlich vom bösen Bürotacker Theo vertackert worden. Also lebten sie in ständiger Furcht, dass Theo auch sie bald erwischen würde. „So geht es nicht weiter!“, sagte Ticki eines Tages. „Wir müssen fliehen. Etwas Besseres als das Getackert-werden finden wir überall.“

„Aber wohin?“, fragte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert.

„Als Großvater Tacktack noch nicht vertackert war, hat er mir von einem sicheren Ort am anderen Ende des Schreibtisches erzählt“, raunte Ticki verschwörerisch. „Ein Ablagekörbchen. Dort soll unsere neue Heimat sein.“

„Am anderen Ende des Schreibtisches?“, hauchte Tacki. „Wie weit ist das?“

„Etwa einen Meter“, sagte Ticki. „Das schaffen wir in einer Nacht.“

„Meinst du wirklich?“, fragte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert. „Aber Großvater Tacktack hat noch mehr erzählt“, fuhr Ticki fort. „Auf dem Weg zum Ablagekörbchen lauern drei Gefahren auf uns, die erste kennen wir ja bereits: THEO, der Tacker des Todes!“

„Der böse Theo“, ängstigte sich Tacki.

„Zweitens: TESSA, das Klebeband des Grauens!“

„Die grausame Tessa“, bibberte Tacki.

„Drittens: THILO, der Spitzer des Wahnsinns!“

„Der verrückte Thilo.“ Tacki war blass geworden.

„Hm!“, machte Herbert. Und so geschah es, dass sich Ticki, Tacki und Herbert in der nächsten Nacht auf die Reise zum sicheren Ablagekörbchen am anderen Ende des Schreibtisches machten. Sie wanderten los. Es war stockdunkel. Sie sahen nichts! … Ticki, Tacki und Herbert wussten nicht, welchen Weg sie gehen sollten. Ticki nahm seinen Mut zusammen und rief: „Wer helfet uns Blinden, die Richtung zu finden?“ … Kratz, Kratz, Kratz. Etwas kroch kratzend aus der Düsternis. „Ich bin Bodo Bleistift H., kratz kratz kratz und helf‘ Euch ja“…:

„Immer geradeaus, Ihr Drei.

Müsst an THEO noch vorbei.

Euch das Glück gewogen sei.“

Das Etwas verschwand.

„Danke“, sagte Ticki.

„Danke“, zitterte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert. Mutig schlichen die drei Helden den beschriebenen Pfad. Da! Ein lautes Schnarchen erfüllte die Düsternis. THEO! Er schlief! Sein riesiger Leib versperrte Ticki, Tacki und Herbert den Weg. Zitternd umschlichen sie den Tacker des Todes. Der knirschte im Schlaf mit den Zähnen und schmatzte genüsslich. Die Helden bibberten. Endlich hatten sie THEO halb umrundet und schlichen erleichtert weiter durch die Düsternis. Die erste Gefahr war überstanden. Nach einer Weile des Laufens hatten Ticki, Tacki und Herbert erneut den Weg verloren. Ticki nahm seinen Mut zusammen und rief: „Wer helfet uns Blinden, die Richtung zu finden?“…

Blubb, blubb, blubb. Eine Gestalt erschien blubbernd in der Düsternis. „Ich bin Tanja Tintenfass, blubb blubb blubb, und sag‘ euch was…:

„Links die Ecke rum, Ihr Drei.

Müsst an TESSA noch vorbei.

Doch das ist mir einerlei.“

Die Gestalt verschwand.

„Danke schön“, raunte Ticki.

„Danke schön“, zitterte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert. Die drei Helden wanderten furchtlos weiter. Da! Ein Zischen erklang aus der Düsternis. Die drei Helden erschraken. TESSA! Das Klebeband des Grauens! „Wasss issst losss?“, zischte der Schatten, der sich schlängelnd näherte. TESSA hatte ihren klebrigen Körper gefährlich ausgerollt.

„Rennt!“, schrie Ticki.

„Ahhhh!“, brüllte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert. Sie rannten um ihr Leben. Tacki verfing sich in TESSA‘s klebrigem Schwanzende und strampelte wie wild. Herbert ergriff das Ende und riss es beherzt entzwei. Tacki war frei! TESSA heulte auf und schlängelte sich klagend zurück in die Düsternis. Gerettet! Die zweite Gefahr war gebannt. Schwer atmend folgten die Drei weiter dem Weg und waren bald von einem flatternden Waldgestrüpp aus Notizblättern umgeben. Abermals verloren sie die Orientierung.

Ticki nahm seinen Mut zusammen und rief: „Wer helfet uns Blinden, die Richtung zu finden?“…

Flatt, Flatt, Flatt. Die Herrin des Notizblätterwaldes erschien raschelnd in der Düsternis. „Ich bin Moni Memoblock, flatt flatt flatt, nun spornt die Sock‘…:

„Rechts die Ecke rum, Ihr Drei.

Müsst an THILO noch vorbei.

Trotzt der Gefahr, o wei.“

Die Herrin des Notizblätterwaldes verschwand.

„Danke sehr“, raunte Ticki.

„Danke sehr“, zitterte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert. Die drei Helden schlichen weiter. Erschöpfung ergriff sie. Aber sie liefen weiter! Immer weiter! „Aaarghh!“, grollte es plötzlich aus der Düsternis. Ticki, Tacki und Herbert erstarrten. THILO! Der Spitzer des Wahnsinns!

„Aaarghh!“, grollte es erneut und mit einem Satz kam THILO aus der Düsternis gehüpft. „Schreddern! Schreddern! „Schreddern!“, brüllte er wie von Sinnen und fuchtelte mit seiner Klinge. „Ich zerschnippel Euch zu Spänen, jahaaa!“

Ticki, Tacki und Herbert klammerten sich aneinander. Da bemerkte Ticki, dass direkt hinter dem rasenden THILO ein Abgrund gähnte. Todesmutig spurtete Ticki los und schubste den Spitzer des Wahnsinns in die Tiefe. „Jahaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa …“, verklang das irre Gelächter von THILO, dann war alles ruhig.

Ticki atmete heftig. Er dachte nach: „Ein Abgrund.“ Sie mussten bereits am anderen Ende des Schreibtisches sein. Das Ziel war nahe.

Ticki drehte sich zu seinen Gefährten um. „Die dritte und letzte Gefahr ist vereitelt.“ Er starrte in die Düsternis. Dann nahm Ticki erneut seinen Mut zusammen und rief: „Wer helfet uns Blinden, die Richtung zu finden?“ …

Schrapp, Schrapp, Schrapp. Ein Wesen erschien wedelnd in der Düsternis. „Ich bin Rolf Radiererlein, schrapp, schrapp, schrapp, helf‘ Euch in Pein …:

„Weiter geradeaus, Ihr Drei.

Seid Ihr bald zuhaus und frei?

Anton, eure Zuflucht sei.“

Der Radierer verschwand.

„Vielen Dank“, raunte Ticki.

„Vielen Dank“, zitterte Tacki.

„Hm!“, machte Herbert.

Die Drei wanderten vorsichtig weiter. Da! Ein Schatten zeichnete sich in der Düsternis ab. Das Ablagekörbchen! Sie waren gerettet!

„Hallo Ihr Drei, ich habe schon auf Euch gewartet“, brummte das Ablagekörbchen freundlich. „Ich bin der gutmütige Anton und Ihr könnt so lange bleiben, wie Ihr möchtet. „Bei mir seid Ihr in Sicherheit.“ Anton lächelte und blinzelte in die aufgehende Sonne. Ein neuer Tag erwachte. Ticki, Tacki und Herbert umarmten sich glücklich.

„Wir sind in Sicherheit!“, sagte Ticki.

Tacki schluchzte erleichtert.

„Hier ist unsere neue Heimat!“, sagte Herbert. Und damit hatte er Recht.

(Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.)

Besuch bei einer alten Dame

Ich schloss die Türe der vor kurzem von mir bezogenen Mietwohnung von außen ab und wandte mich dem Aufzug im Hausflur zu, um hinunter ins Erdgeschoss zu fahren. Ich stutzte. Die Türe der gegenüberliegenden Wohnung stand einen Spalt offen. Obwohl ich spät dran war, wartete ich einen Augenblick, aber niemand kam heraus. Einzig der schwarz-weiß karierte Einkaufstrolley stand dort neben der Tür, als ob er warten würde. Ich durchquerte den Hausflur und lugte durch den Türspalt in die Wohnung. Es war niemand zu sehen.

„Hallo?“, wisperte ich und schob die Türe ein Stückchen weiter auf. Sie quietschte ein wenig. „Hallo? Ist alles in Ordnung? Die beige Deckenlampe im Korridor war eingeschaltet und ein milchiger Lichtstrahl strömte mir entgegen. „Hallo?“, fragte ich erneut und betrat die Wohnung. Nichts war zu hören, bis auf ein fernes Ticken, das aus dem Wohnzimmer zu kommen schien. Ich schlich weiter und erschrak kurz, als ich mich selbst im Spiegel erblickte, der in einem mit Schnitzereien verzierten Holzrahmen im Korridor hing. Darunter stand ein schwarzes Paar Schuhe auf einer gemusterten Fußmatte, ordentlich nebeneinander hingestellt. Die Schuhe sahen abgetragen, aber gepflegt aus. An einem verzierten Garderobenhaken hing auf einem Bügel akurat ein schwarzer Stoffmantel, der sicherlich schon bessere Zeiten gesehen hatte. Wenigstens schien er warm zu halten, denn meine Nachbarin trug den Mantel immer, wenn wir uns zufällig beim Kommen und Gehen im Hausflur begegneten und uns flüchtig einen guten Tag wünschten. Und draußen war es zu dieser Jahreszeit kalt. Ein knackendes Geräusch ließ mich aufhorchen. „Hallo?“, fragte ich nochmals vorsichtig. „Entschuldigen Sie mein Eindringen, ich wollte nur sichergehen, dass alles in Ordnung ist! …Hallo?“ Ich folgte dem Knacken und betrat die Küche. Auf der kalten Herdplatte stand ein einsamer Kochtopf. Eine einzelne Tasse schmückte den kargen Küchentisch. Der Duft nach Kaffeepulver und Seife schwebte in der Luft. Neben dem Herd kauerte eine schwarze Katze auf dem blank gebohnerten Linoleumboden und fraß knackend Katzenkekse aus einem Napf. Als ich mich näherte, fauchte sie leise und starrte mich vorwurfsvoll an. Ich verließ die Küche und betrat über den Korridor das Wohnzimmer. Die geblümten Fenstervorhänge waren zugezogen und ein Kronleuchter erzeugte auch hier schwaches Licht. In der Ecke stand eine schwere Standuhr, deren Pendel das monotone Tick-Tack verursachte. Jeder Ton erschien mir wie eine Erinnerung an die Vergänglichkeit. In die gestreifte Tapete war eine Vielzahl weißer Heftzwecken gesteckt worden, jede einzelne mit der Aufgabe, ein vergilbtes Foto zu behüten. Lachende Gesichter eines jungen Paares, dem man das Glück ansehen konnte. Die Fotos waren mit schwarzem Filzstift beschriftet worden. – Unsere erste gemeinsame Ferienfahrt –, las ich. – Unsere gemeinsame Tanzveranstaltung. – Wir beim Bootfahren auf unserem See – und so weiter. Auf einer Eichenkommode thronte das einzige in Holz gerahmte Bild wie eine Statue. „Unsere Goldhochzeit“, stand dort geschrieben. Daneben ein Teelicht mit brennendem Docht auf einem silbernen Metalltellerchen und ein Strauß Blumen in einer weißen Porzellanvase. Es roch nach warmem Kerzenwachs und Nelken. Bei der allgegenwärtigen Ordnung wunderte es mich, dass ein paar abgefallene Blumenblätter auf der Kommode lagen.

Der klobige Standfernseher kauerte wie ein Fels mitten im Raum, wohl um besser vom altmodisch anmutenden Sofa aus betrachtet und gehört werden zu können. Eine randlose Brille und ein Buch lagen griffbereit auf dem niedrigen Wohnzimmertisch.

Ich schlich wieder in den Korridor. Aufgrund der räumlichen Gleichartigkeit der Wohnungen in unserem Mietshaus wusste ich auch hier, dass der nächste Raum das Badezimmer sein musste. Die Türe war geschlossen. Ich näherte mich langsam. Plötzlich das glucksende Plätschern der Toilettenspülung. Ich zuckte zusammen und hastete den Korridor zurück, durch die Eingangstür aus der Wohnung in den Hausflur zum Aufzug. Ich wartete. „Huch!“, hörte ich den erstaunten Ausruf aus der Wohnung. „Habe ich die Haustür schon aufgemacht? Ich werde langsam vergesslich.“ Etwas später kam sie in ihrem schwarzen Wollmantel aus der Wohnung, schloss sorgfältig die Türe ab und griff nach ihrem Einkaufstrolley. „Guten Morgen, Frau Redlich“, grüßte ich freundlich. „Möchten Sie auch nach unten fahren? “ Die alte Dame blickte mich mit trüben Augen an. „Ja“, sagte sie leise. „Ich möchte neue Blumen kaufen. Die Nelken sind nicht mehr so schön.“

Fußball

Robert („Rocki“) Sobotka riss die Kabinentüre auf, zerrte sich das Trikot vom Leib und feuerte es fluchend in die Ecke. Ausgewechselt. Er, der Star der 1. Mannschaft der Sportfreunde Gumpingen, 9. Fußball-Liga, Bezirksgruppe West. Rocki trat wütend vor den Klamottenspind. Selbst wenn er als Stürmer und Torjäger die letzten zwölf Spiele nicht getroffen hatte, war das kein Grund, von Trainer Strack ausgewechselt zu werden. Er war der Star. Was sollten jetzt die Zuschauer denken?

Strack kam in die Kabine getobt, die verschwitzte Mannschaft hinter ihm her schleichend wie eine Schafherde. „Wie groß müssen die Tore für Herrn Sobotka denn sein, damit er reintrifft?“, brüllte Strack. „Unzählige Chancen und wieder 0:0!“ „Einfach Pech“, knurrte Rocki. „Nächste Woche klappt’s!“ „Das wollen wir hoffen“, blaffte Strack, „dann kommt nämlich Fortuna Drömeling. Mit null Punkten Tabellenletzter!“ „Nächste Woche klappt’s“, murmelte Rocki erneut und nickte grimmig.

Am nächsten Sonntag pfiff der Schiedsrichter das Spiel pünktlich ab. Unter den Zuschauern waren ein paar Drömelinger Fans, die nun das 0:0 ihrer Mannschaft gegen die Sportfreunde Gumpingen wie einen Sieg feierten, weil Rocki sich kurz vor Schluss entgegen der Anweisung seines Trainers den Ball geschnappt und einen Elfmeter an den Pfosten gehämmert hatte.

Strack lief mit verschränkten Armen vor versammelter Mannschaft in der Kabine herum. Rocki starrte düster vor sich hin. „Hinten stehen wir gut“, begann Strack und atmete tief durch. „Vorne läuft’s miserabel, so dass wir statt wie geplant um den Aufstieg mitzuspielen in der Tabellenmitte rumdümpeln.“ Alle schielten zu Rocki hinüber. „Und Mittwochabend kommen die rot-weißen aus Heldenheim aus der 8. Liga zum Pokalspiel. Starke Truppe“, dozierte Strack weiter. „Rocki, du bekommst eine Spielpause!“

„Was? “ Rockis Kopf ruckte hoch. „Ohne mich gewinnt ihr nicht!“ „Pause! Basta!“, knurrte Strack.

Am Mittwochnachmittag betrat Rocki den Gumpinger Dorfkrug. „Oh, unser Acker-Ronaldo“, grinste der Wirt und die anderen Gäste lachten. Rocki stapfte zum Tresen. „Pils!“ „Ein bißchen Mut machen für das Pokalspiel nachher?“, fragte der Wirt und zapfte. „Die hauen wir weg. Der Trainer muss mich spielen lassen. Ich bin der Star!“ Rocki leerte das Glas in einem Zug. „Noch eins!“

„Hauch mich mal an“, zischte Strack in der Kabine zu Rocki, der grinsend vor ihm saß. „Verdammt! Du musst spielen. Wir sind heute kurzfristig nur elf Mann. Micha und Hassan sind verletzt und Andi und Igor müssen arbeiten.“ „Die hauen wir weg“, nuschelte Rocki. „Bülent, heute keine Viererkette, du spielst Libero!“, befahl Strack. „Rocki, du bleibst einfach immer nur vorne. Und kipp mir bloß nicht um.“

Rocki trabte im gegnerischen Strafraum umher. Die Uhr zeigte die 89. Minute, Spielstand 0:0. Da, scharfe Flanke von rechts. Rocki sah den Ball verschwommen auf sich zufliegen, dann wurde alles schwarz.

Als Rocki aufwachte, lag er von seinen Mannschaftskollegen umringt auf einer Pritsche in der Kabine. „Super!“, lachte Strack und tätschelte ihm die Schulter. „1:0 gewonnen, und das gegen Heldenheim.“ „Starkes Tor, Rocki“, lobte Bülent. „Hast den Ball mitten in die Fresse gekriegt und unhaltbar in den Winkel abgeprallt.“

Ich bin eben der Star, dachte Rocki und hielt sich den brummenden Schädel.

Residenz Haus Seelenruh‘

Professor Dr. Hieronymus Feddersen ließ den Kugelschreiber sinken, gähnte und inspizierte seine Uhr. Sie zeigte genau 17.30 Uhr an. Zeit genug, um seinen letzten Termin für heute einzuhalten. Er überflog nochmals die Eintragungen, die er über seine Patienten in das Notizbuch gekritzelt hatte, und verließ das Zimmer Richtung Flur.

„Um exakt 17.45 Uhr…“, murmelte er und strich sich eine Falte aus dem gestärkten Kittel. „… letzter Termin, danach ist Feierabend. Pünktlich wie immer.“ Feddersen wanderte durch den Flur und kontrollierte wiederholt, ob sich in seinem Notizbuch auch wirklich keine Eselsohren befanden. „Ordnung ist für einen Arzt das halbe Leben“, murmelte er und knallte prompt mit einer Dame zusammen, die aus einem der angrenzenden Zimmer in den Flur gerauscht kam.

„Lady Butterfly!“ Feddersen kniete nieder und klaubte seine verlorenen Unterlagen zusammen. Die Dame kicherte, rückte den riesigen Strohhut auf ihrem Kopf zurecht und zupfte an der Feder-Boa, die um ihren Hals geschlungen war. „Dr. Feddersen, Sie Wilder. Eine Dame einfach umzurennen.“

„Nichts passiert“, grunzte Feddersen und kontrollierte die Faltenlosigkeit seines weißen Kittels, nachdem er sich wieder in die Senkrechte begeben hatte.

„Wissen Sie, wann hier das nächste Taxi kommt?“, fragte die Dame und wedelte sich mit ihrem Fächer Luft zu.

„Es kommt keins!“

„Was?“ Lady Butterfly schlug die Hand vor den Mund und starrte Feddersen an, wie ein Neandertaler einen Jumbo-Jet. „Aber mein Auftritt heute Abend.“

Feddersen verdrehte die Augen. „Wie jeden Tag haben Sie auch heute nach den Therapiesitzungen bis 19.30 Uhr Freizeit. Um 19.45 Uhr gibt es Abendessen und anschließend geht es ins Bett. Das wissen sie doch, Lady Butterfly. Kein Ausgang! Kein Taxi!“

„Aber mein Auftritt in der Metropolitan Opera!“

„Der existiert nicht, Lady Butterfly!“ Feddersen prüfte sein Notizbuch und konsultierte dann die Uhr. 17.40, noch genau fünf Minuten bis zu seinem Termin, den er berufsbedingt nicht verpassen durfte. „Wir reden morgen früh in der Therapiestunde weiter, nachdem ich die anderen Patienten …“

„Bröm, bröm, bröööm …“, mit ohrenbetäubendem Geheul flitzte ein Mann auf Rollschuhen um die Ecke in den Flur und kam eiernd vor Feddersen und der Dame zum Stehen.

„Mensch Willy, pass’ doch auf!“, tadelte Feddersen, klappte das Notizbuch zu, strich seinen Kittel glatt und inspizierte die Uhr.

„’Tschuldigung, Doktor, aber ich hänge im Zeitplan hinterher und muss mich beeilen. Außerdem heiße ich nicht Willy, sondern Horst“, brummte der Mann.

„Gestern warst du noch Willy Otremba“, sagte Feddersen streng und schlug sein Notizbuch auf.

„Gestern war ich auch noch der Chauffeur des nigerianischen Ministerpräsidenten. Heute bin ich Busfahrer!“

Feddersen runzelte die Stirn, schüttelte nachdenklich den Kopf und kritzelte etwas in sein Notizbuch.

„Der ist völlig bekloppt“, flüsterte Lady Butterfly Feddersen zu und zupfte wieder an ihrer Feder-Boa. Feddersen atmete tief durch und massierte mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel. „Nicht bekloppt, Lady Butterfly. Sie sind alle etwas … angespannt. Das ist auch der Grund, warum wir Ihnen und allen anderen Bewohnern unserer schönen Residenz „Haus Seelenruh“ so gut es geht … helfen möchten. Verstehen Sie?“

„Ich bin ja nicht bekloppt“, zischte sie und wedelte mit ihrem Fächer in der Gegend herum. „Wenn Sie mir jetzt bitte ein Taxi für meinen Auftritt in der Metropolitan Opera bestellen …“

„Horst Pachulke, mein Name“, sagte der Mann auf Rollschuhen und machte einen Diener.

„Können Sie Taxi fahren?“, fragte Lady Butterfly spitz.

„Ja. Aber heute bin ich Busfahrer!“

Professor Dr. Feddersen holte tief Luft. Er starrte auf seine Uhr. 17.42. Noch genau drei Minuten bis zu seinem Termin. „Schluss jetzt!“, bellte er und krakelte hektisch einige Vermerke in sein Notizbuch. „Alles Weitere morgen früh in der Therapiestunde! Willy, Horst, oder wie auch immer du heute heißt: Du hast jetzt Freizeit bis 19.30 Uhr. Um 19.45 Uhr gibt es Abendessen und anschließend geht es ins Bett. Verstanden? Spiel bis dahin doch einfach im Aufenthaltsraum „Mensch ärgere dich nicht“ mit Herrn Döbel.“

„Der hat alle Spielfiguren aufgegessen.“

Feddersen kniff den Mund zusammen, atmete tief durch, strich sich den Kittel glatt und schrieb etwas in sein Notizbuch. Ein weiterer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch exakt zwei Minuten Zeit bis zu seinem bedeutenden Termin hatte.

„Ich gehe in den Aufenthaltsraum, fernsehen“, flötete Lady Butterfly, drehte sich um und glitt von Dannen wie ein Papagei auf Schlittschuhen.

„Muss auch weiter“, trompetete Horst Pachulke und zischte los.

Feddersen hetzte durch den Flur und wäre an der nächsten Biegung beinahe mit einem älteren Herrn zusammengekracht.

„Hoppla, Feddersen. So eilig?“, lächelte der Mann.

„Wichtiger Termin, Herr Kollege!“

Der andere stutzte. „Ach ja, natürlich. Schwarzwaldklinik fängt in einer Minute an! “ Der Chefarzt klopfte Feddersen freundlich auf die Schulter und drohte mit dem Zeigefinger. „Ich weiß, Ihre Lieblingsserie. Trotzdem ziehen wir jetzt schön den Kittel aus und dann in den Aufenthaltsraum mit Ihnen, Feddersen. Alles Weitere dann morgen früh in der Therapiestunde. Und denken Sie daran: Sie haben Freizeit bis 19.30 Uhr. Um 19.45 Uhr gibt es Abendessen und anschließend …

Ansichtssache

Die Frau:

„Natürlich bin ich pünktlich zum Meeting zurück“, bellte ich ins Handy. „Ich geh‘ nur kurz was essen.“ Ich drückte den Anruf meines Sekretariats weg, hetzte die Straße entlang, so schnell es meine neuen High Heels zuließen, und eilte die Stufen des >La Veneziana< hinauf. Mein Lieblingsitaliener für die kurze Mittagspause lag nur zwei Minuten von unserer Anwaltskanzlei entfernt und es gab auch Kleinigkeiten zu essen, so dass man schnell wieder zurück im Büro war.

„Wie immer einen Tisch in der Ecke und einen Salat, ich hab’s eilig, Pietro“, begrüßte ich den Kellner und schob mich an ihm vorbei. „Verzeihung, Signora, tut mir furchtbar leid, heute alles voll, ist da eine Hochzeitsgesellschaft. Aber ein Platz ist frei, dort vorne bei dem Herrn am Tisch. Wollen wir da sitzen? ” Ich runzelte die Stirn und blickte hinüber. Ein älterer Mann saß alleine an einem Zweipersonen-Tisch und löffelte im Zeitlupentempo irgendeine Suppe. Der war bestimmt früher Nachtwächter, dachte ich. Mir blieb auch nichts erspart. „Na gut Pietro, aber beeil dich mit dem Salat.“