Außerirdisch - Avi Loeb - E-Book

Außerirdisch E-Book

Avi Loeb

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Beschreibung

Wir sind nicht allein im Universum - das zeigt Harvard-Professor Avi Loeb in diesem Buch

Avi Loeb ist einer der renommiertesten Astronomen unserer Zeit. Und er ist sich sicher: Wir sind nicht allein im All. Denn Form und Eigenschaften des unbekannten Flugobjekts, das im Oktober 2017 durch unser inneres Sonnensystem schoss, ließen nur eine Erklärung zu: Oumuamua, wie man es nannte, war Alien-Technologie, von einer außerirdischen Zivilisation entwickelt und auf Erkundungsflug. Hier erzählt Loeb von der ersten Sichtung dieses »interstellaren« (aus einem anderen Sternensystem kommenden) Besuchers, belegt die hohe Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens und stellt die Frage, welche Konsequenzen das für uns hat: für Wissenschaft und Religion, für die Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde. Sein Buch ist eine Reise an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens.

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Seitenzahl: 370

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Über das Buch:

Wir sind nicht allein im Universum – das zeigt Harvard-Professor Avi Loeb in diesem Buch

Avi Loeb ist einer der renommiertesten Astronomen unserer Zeit. Und er ist sich sicher: Wir sind nicht allein im All. Denn Form und Eigenschaften des unbekannten Flugobjekts, das im Oktober 2017 durch unser inneres Sonnensystem schoss, ließen nur eine Erklärung zu: ’Oumuamua, wie man es nannte, war Alien-Technologie, von einer außerirdischen Zivilisation entwickelt und auf Erkundungsflug. Hier erzählt Loeb von der ersten Sichtung dieses »interstellaren« (aus einem anderen Sternensystem kommenden) Besuchers, belegt die hohe Wahrscheinlichkeit außerirdischen Lebens und stellt die Frage, welche Konsequenzen das für uns hat: für Wissenschaft und Religion, für die Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde. Sein Buch ist eine Reise an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens.

Über den Autor:

Avi Loeb, geboren 1962, ist seit 1997 Professor für Astrophysik an der Harvard University, seit 2007 Direktor des Institute for Theory and Computation (ITC) am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, seit 2011 Vorsitzender des Fachbereiches Astronomie der Harvard University und seit 2012 dort Frank B. Baird, Jr. Professor of Science. 2012 wurde Loeb in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Loeb ist Vorsitzender des Beratungskomitees des Forschungs- und Entwicklungsprojektes Breakthrough Starshot, das sich zum Ziel gesetzt hat, Forschungssatelliten in das der Sonne nächstgelegene Nachbarsternsystem Alpha Centauri zu entsenden.

Besuchen Sie uns auf www.dva.de

Avi Loeb

AUSSERIRDISCH

Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten

Aus dem Englischen von Jürgen Schröder

Deutsche Verlags-Anstalt

Die Originalausgabe ist 2021 unter dem Titel Extraterrestrial. The First Sign of Intelligent Life Beyond Earth bei Houghton Mifflin Harcourt erschienen. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © Avi Loeb 2021 Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2021 by Deutsche Verlags-Anstalt, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: total italic / Thierry Wijnberg (Amsterdam/Berlin) Umschlagabbildung: © Greg Rakozy / Unsplash Satz und E-Book Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-26336-2V001www.dva.de

Meinen drei Musen, Ofrit, Klil und Lotem, und allen anderen, die da draußen sind …

INHALT

Einleitung

1Kundschafter

2Die Farm

3Anomalien

4StarChips

5Die Lichtsegel-Hypothese

6Muschelschalen und Bojen

7Von Kindern lernen

8Unermessliche Weite

9Filter

10Astroarchäologie

11’Oumuamuas Wette

12Samen

13Singularitäten

Schluss

Nachwort

 

Dank

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Register

EINLEITUNG

Wenn Sie die Möglichkeit haben, gehen Sie nach draußen und bewundern Sie das Universum. Am besten macht man das natürlich nachts. Aber selbst wenn der einzige Himmelskörper, den wir sehen können, die Mittagssonne ist, ist das Universum stets da und wartet auf unsere Aufmerksamkeit. Ich finde, dass man nur nach oben schauen muss, um die eigene Perspektive zu ändern.

Der Blick nach oben ist zwar am erhabensten in der Nacht, aber das ist keine Eigenschaft des Universums. Vielmehr handelt es sich um eine Eigenschaft des Menschen. Im Durcheinander der Alltagssorgen verbringen die meisten von uns einen Großteil der Stunden damit, unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was sich ein paar Meter vor uns befindet; wenn wir daran denken, was über uns ist, dann meistens nur deshalb, weil wir am Wetter interessiert sind. Doch in der Nacht verebben unsere irdischen Sorgen in der Regel, und die Pracht des Mondes, der Sterne, der Milchstraße und – für diejenigen von uns, die vom Glück begünstigt sind – die Spur eines vorbeiziehenden Kometen oder Satelliten werden für Gartenteleskope und sogar für das bloße Auge sichtbar.

Was wir sehen, wenn wir uns die Mühe machen, nach oben zu schauen, hat die Menschheit begeistert, seit es geschichtliche Aufzeichnungen gibt. Tatsächlich wurde vor Kurzem gemutmaßt, dass vierzigtausend Jahre alte Höhlengemälde in ganz Europa zeigen, dass unsere fernen Verwandten die Sterne verfolgten. Von Dichtern bis zu Philosophen, von Theologen bis zu Naturwissenschaftlern haben wir im Universum Anregungen zur Ehrfurcht, zum Handeln und zur Weiterentwicklung der Zivilisation gefunden. Schließlich war es das aufkommende Gebiet der Astronomie, das den Anstoß zur wissenschaftlichen Revolution von Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Isaac Newton gab, die die Erde aus dem Mittelpunkt des physikalischen Universums entfernte. Diese Wissenschaftler waren zwar nicht die Ersten, die sich für eine bescheidenere Sicht unserer Welt einsetzten, aber im Unterschied zu den Philosophen und Theologen, die ihnen vorangingen, vertrauten sie auf eine Methode evidenzgesicherter Hypothesen, die seit der damaligen Zeit der Prüfstein für den Fortschritt der menschlichen Zivilisation gewesen ist.

• • •

Den größten Teil meiner beruflichen Laufbahn habe ich damit verbracht, dem Universum gründliche Neugier entgegenzubringen. Direkt oder indirekt gehört alles, was sich jenseits der Atmosphäre der Erde befindet, zum Zuständigkeitsbereich meines Berufs. Während ich dies schreibe, bin ich Lehrstuhlinhaber des Instituts für Astronomie der Harvard University, Gründungsrektor der Black Hole Initiative in Harvard, Leiter des Institute for Theory and Computation am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, Vorsitzender der Breakthrough Starshot Initiative, Vorsitzender des Ausschusses für Physik und Astronomie der Nationalakademien, Mitglied des Beratungsausschusses für die digitale Plattform »Einstein: Visualize the Impossible« an der Hebräischen Universität in Jerusalem und als Mitglied des Beratungsgremiums des amerikanischen Präsidenten für Wissenschaft und Technik in Washington, D.C. Es ist mein Glück, an der Seite vieler außergewöhnlich talentierter Wissenschaftler und Studenten zu arbeiten, während wir einige der tiefgreifendsten Fragen des Universums erforschen.

Dieses Buch nimmt eine dieser tiefgreifenden Fragen ins Visier, die wohl auch die folgenschwerste ist: Sind wir allein? Im Laufe der Zeit wurde diese Frage auf verschiedene Weise gestellt. Ist das Leben hier auf der Erde das einzige Leben im Universum? Sind Menschen die einzige bewusste Intelligenz in der unermesslichen Weite von Raum und Zeit? Eine bessere, präzisere Formulierung der Frage wäre folgende: Gibt es jetzt oder gab es jemals über die gesamte Ausdehnung des Raumes und über die gesamte Lebensdauer des Universums hinweg andere Kulturen, die wie wir die Sterne erforschten und Spuren ihrer Bemühungen hinterließen?

Ich glaube, dass sich im Jahr 2017 ein Beleg durch unser Sonnensystem bewegte, der die Hypothese stützt, dass die Antwort auf die letzte Frage Ja lautet. In diesem Buch überprüfe ich diesen Beleg, teste diese Hypothese und stelle die Frage, welche Konsequenzen sich ergeben könnten, wenn die Naturwissenschaftler dieser empirischen Evidenz denselben Glauben schenken würden, den sie Vermutungen über Supersymmetrie, Extradimensionen, die Natur dunkler Materie und die Möglichkeit eines Multiversums schenken.

Aber dieses Buch stellt auch noch eine weitere Frage, die in mancher Hinsicht schwieriger ist. Sind wir, sowohl Naturwissenschaftler als auch Laien, bereit? Ist die menschliche Zivilisation bereit, dem ins Auge zu sehen, was aus unserer Akzeptanz der plausiblen Schlussfolgerung, zu der wir anhand evidenzgesicherter Hypothesen gelangt sind, folgt – nämlich dass das Leben auf der Erde nicht einzigartig und vielleicht noch nicht einmal besonders beeindruckend ist? Ich fürchte, die Antwort darauf lautet Nein, und diese Befangenheit gibt Anlass zur Sorge.

• • •

Wie es in vielen Berufszweigen der Fall ist, so sind auch in der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft modische Trends und Konservatismus bei der Auseinandersetzung mit dem Unvertrauten offenkundig. Ein Teil dieses Konservatismus entspringt einem lobenswerten Gespür. Die wissenschaftliche Methode fördert vernünftige Vorsicht. Wir stellen eine Hypothese auf, sammeln Beweise, testen diese Hypothese gegen die verfügbaren Beweise und verfeinern dann unsere Hypothese oder sammeln weitere Beweise. Aber Modeerscheinungen können die Erwägung bestimmter Hypothesen verhindern, und Karrierismus kann die Aufmerksamkeit und Ressourcen auf bestimmte Gegenstände hin- und von anderen weglenken.

Die Populärkultur war dabei auch nicht von Nutzen. Science-Fiction-Bücher und – Filme stellen außerirdische Intelligenz häufig auf eine Weise dar, die die meisten seriösen Wissenschaftler lächerlich finden. Außerirdische verwüsten die Städte der Erde, entführen Menschen oder versuchen auf qualvoll indirekte Weise mit uns zu kommunizieren. Unabhängig davon, ob sie gut- oder böswillig sind, besitzen die Außerirdischen häufig eine übermenschliche Intelligenz und beherrschen die Physik auf eine Weise, die es ihnen ermöglicht, Raum und Zeit so zu manipulieren, dass sie das Universum – manchmal sogar ein Multiversum – im Nu durchkreuzen können. Mit dieser Technik besuchen sie Sonnensysteme, Planeten und selbst Stadtteilkneipen, die von bewusstem Leben wimmeln. Im Laufe der Jahre bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Gesetze der Physik nur an zwei Stellen keine Geltung mehr besitzen: bei Singularitäten und in Hollywood.

Ich persönlich finde keinen Gefallen an Science-Fiction, wenn sie die Gesetze der Physik verletzt; ich mag die Naturwissenschaft und ich mag Belletristik, aber nur, wenn sie ehrlich und nicht überheblich sind. Aufgrund meines Berufs mache ich mir Sorgen darüber, dass sensationslüsterne Darstellungen von Außerirdischen zu einer populären und wissenschaftlichen Kultur geführt haben, in der es salonfähig ist, viele ernsthafte Erörterungen von außerirdischem Leben mit einem Lachen abzutun, und zwar selbst dann, wenn die Belege eindeutig darauf hinweisen, dass dieser Gegenstand einer Erörterung wert ist und dass wir ihn jetzt sogar mehr denn je erörtern sollten.

Sind wir das einzige intelligente Leben im Universum? Science-Fiction-Erzählungen haben uns darauf vorbereitet, dass die Antwort Nein lautet und dass sie sich mit großem Getöse einstellen wird; naturwissenschaftliche Berichte neigen dazu, die Frage gänzlich zu vermeiden. Das Ergebnis ist, dass die Menschen äußerst schlecht auf eine Begegnung mit einem außerirdischen Gegenstück vorbereitet sind. Nachdem der Abspann über die Leinwand geflimmert ist, wir das Kino verlassen und in den Nachhimmel nach oben blicken, ist der Gegensatz erschütternd. Über uns sehen wir zum größten Teil leeren, scheinbar leblosen Raum. Aber der Schein kann trügen – und zu unserem eigenen Wohl können wir uns nicht erlauben, noch länger getäuscht zu werden.

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In »Die hohlen Männer«, seiner Meditation über das Europa nach dem Ersten Weltkrieg, denkt der Dichter T. S. Eliot, dass die Welt mit Gewimmer und nicht mit einem Knall zugrunde gehen wird, genau wie der verheerende Konflikt, der zu diesem Zeitpunkt der tödlichste der Menschheitsgeschichte war. Aber vielleicht weil meine erste akademische Liebe die Philosophie war, höre ich in Eliots evokativer Darstellung mehr als nur Verzweiflung. Ich höre auch eine ethische Entscheidung.

Natürlich wird die Welt zugrunde gehen, und ganz entschieden mit einem Knall; unsere Sonne, die jetzt etwa 4,6 Milliarden Jahre alt ist, wird sich in etwa sieben Milliarden Jahren in einen sich ausdehnenden Roten Riesen verwandeln und alles Leben auf der Erde auslöschen. Das steht außer Frage und ist auch nichts Moralisches.

Nein, die ethische Frage, die ich in Eliots »Die hohlen Männer« höre, konzentriert sich nicht auf die Auslöschung der Erde, die eine wissenschaftliche Gewissheit ist. Vielmehr betrifft sie die weniger als gewisse Auslöschung der menschlichen Zivilisation – möglicherweise sogar allen irdischen Lebens.

Heute steuert unser Planet auf eine Katastrophe zu. Umweltverschmutzung, Klimawandel, Pandemien und die stets gegenwärtige Gefahr eines Atomkriegs sind nur die bekanntesten Bedrohungen, denen wir gegenüberstehen. Auf unzählige Weisen haben wir die Voraussetzungen für unseren eigenen Untergang geschaffen. Er könnte sich mit einem Knall oder mit Gewimmer oder beidem ereignen – oder keinem von beiden. Im Augenblick bleiben alle Optionen.

Welchen Weg werden wir wählen? Das ist die ethische Frage von Eliots Gedicht.

Was wäre, wenn diese Metapher über das Ende für bestimmte Anfänge gälte? Was wäre, wenn eine Antwort auf die Frage »Sind wir allein?« sich präsentierte und subtil, flüchtig, mehrdeutig wäre? Was, wenn wir unsere Beobachtungs- und Deduktionsfähigkeiten im vollsten Ausmaß einsetzen müssten, um sie zu erkennen? Und was wäre, wenn die Antwort auf diese Frage den Schlüssel zu der anderen Frage enthalten würde, die ich gerade gestellt habe – nämlich ob und wie das irdische Leben und unsere kollektive Zivilisation enden werden?

• • •

Auf den folgenden Seiten ziehe ich die Hypothese in Betracht, dass am 19. Oktober 2017 der Menschheit genau eine solche Antwort gegeben wurde. Ich nehme nicht nur die Hypothese ernst, sondern auch die Botschaften, die sie für die Menschheit enthält, die Lehren, die wir aus ihr ziehen können, und einige der Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten, dass wir entsprechend dieser Lehren handeln oder nicht.

Obwohl die Suche nach Antworten auf die Fragen der Naturwissenschaft, vom Ursprung des Lebens bis zum Ursprung von allem, den Anschein erwecken könnte, dass sie zu den anmaßendsten aller menschlichen Bestrebungen gehört, lehrt uns diese Suche doch Demut. Nach allen Größen bemessen, ist jedes menschliche Leben unendlich klein; unsere individuellen Leistungen sind nur in der Gesamtheit vieler Generationen von Anstrengungen sichtbar. Wir stehen alle auf den Schultern unserer Vorfahren – und unsere eigenen Schultern müssen die Bemühungen derjenigen stützen, die nach uns kommen werden. Wir vergessen das zu unserem und ihrem möglichen Schaden.

Demut liegt auch darin, anzuerkennen, dass es uns aufgrund unseres mangelnden Verständnisses Schwierigkeiten bereitet, dem Universum einen Sinn abzugewinnen, und nicht aufgrund der Tatsachen oder Naturgesetze. Von einem frühen Alter an war ich mir dessen bewusst, was eine Folge davon war, dass ich in meiner Jugend dazu tendierte, Philosoph zu werden. Ich erfuhr dies erneut während meiner frühen Ausbildung als Physiker und verstand es umfassender, als ich gewissermaßen unbeabsichtigt Astrophysiker wurde. In meiner Teenagerzeit war ich besonders von den Existenzialisten und ihrem Fokus darauf berührt, dass der Einzelmensch einer anscheinend absurden Welt gegenübersteht, und als Astrophysiker bin ich mir besonders meines Lebens bewusst – eigentlich allen Lebens –, gemessen an dem immensen Maßstab des Universums. Ich habe festgestellt, dass sowohl die Philosophie als auch das Universum, wenn sie mit Demut betrachtet werden, Anlass zur Hoffnung geben, dass wir eines Besseren fähig sind. Es erfordert sachgemäße wissenschaftliche Zusammenarbeit über alle Staaten hinweg und eine wahrhaft globale Perspektive – aber wir können Besseres leisten.

Außerdem glaube ich, dass die Menschheit manchmal einen Anstoß braucht.

Wenn Belege für außerirdisches Leben in unserem Sonnensystem erschienen, würden wir sie dann wahrnehmen? Wenn wir den Knall von der Schwerkraft trotzenden Raumschiffen an unseren Horizonten erwarten, laufen wir dann Gefahr, das subtile Geräusch anderer Ankünfte zu verpassen? Was wäre zum Beispiel, wenn diese Belege in einer inaktiven oder erloschenen Technologie bestünden – vielleicht im Äquivalent des Abfalls einer Milliarden Jahre alten Zivilisation?

• • •

Folgendes ist ein Gedankenexperiment, das ich den Studenten vorlege, die mein Erstsemesterseminar in Harvard besuchen. Ein außerirdisches Raumschiff ist auf dem Gelände von Harvard gelandet, und die Außerirdischen machen deutlich, dass sie freundlich gesonnen sind. Sie machen Besichtigungen, lassen sich auf den Stufen der Widener Library ablichten und berühren den Fuß der Statue von John Harvard, wie es so viele irdische Touristen tun. Dann wenden sie sich an ihre Gastgeber und laden sie ein, an Bord ihrer Raumschiffe für die Hinreise (ohne Rückreise) zum Heimatplaneten der Außerirdischen zu klettern. Sie räumen zwar ein, dass das etwas riskant ist, aber welches Abenteuer ist das nicht?

Würden Sie ihr Angebot akzeptieren? Würden Sie die Reise unternehmen?

Fast alle meine Studenten bejahen diese Fragen. An dieser Stelle wandle ich das Gedankenexperiment etwas ab. Die Außerirdischen bleiben zwar sympathisch, aber jetzt teilen sie ihren menschlichen Freunden mit, dass sie über den Ereignishorizont eines Schwarzen Loches hinausreisen werden, anstatt zu ihrem Heimatplaneten zurückzukehren. Wieder handelt es sich zwar um einen riskanten Vorschlag, aber die Außerirdischen haben so viel Vertrauen in ihre theoretische Modellierung dessen, was sie dort erwartet, dass sie bereit sind, die Reise zu machen. Was die Außerirdischen wissen wollen, ist: Sind Sie bereit? Würden Sie die Reise unternehmen?

Fast alle meine Studenten antworten mit Nein.

Beide Reisen sind nur Hinreisen. Beide enthalten Unbekanntes und Risiken. Warum dann die unterschiedlichen Antworten? Der am häufigsten genannte Grund ist, dass meine Studenten im ersten Fall immer noch in der Lage wären, ihre Telefone zu benutzen, um ihre Erfahrungen mit Freunden und Familienangehörigen zu Hause zu teilen, denn obwohl es Lichtjahre dauern könnte, bis die Signale die Erde erreichen, würden sie schließlich doch eintreffen. Doch eine Reise über den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs hinaus garantiert, dass kein Selfie, kein Text, keine Information, ob wundersam oder nicht, durchkäme. Die eine Reise würde »Gefällt mir« auf Facebook oder Twitter hervorbringen; bei der anderen wäre das ausgeschlossen.

An diesem Punkt erinnere ich meine Studenten daran, dass sich, wie Galileo argumentierte, nachdem er durch sein Fernrohr geschaut hatte, empirische Beweise nicht um Zustimmung kümmern. Das gilt für alle Beweise, ob sie auf einem fernen Planeten oder auf der anderen Seite des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs in Erfahrung gebracht werden. Der Wert einer Information bemisst sich nicht an der Anzahl von Daumen-hoch-Zeichen, die sie bekommt, sondern daran, was wir mit ihr anfangen.

Und dann stelle ich ihnen eine Frage, auf die meine jungen Harvard-Studenten die Antwort zu kennen glauben: Sind wir – das heißt wir Menschen – die smartest kids on the block? Bevor sie antworten können, füge ich hinzu: Schauen Sie zum Himmel empor und machen Sie sich bewusst, dass Ihre Antwort zu einem großen Teil davon abhängen wird, wie Sie auf eine meiner Lieblingsfragen antworten – sind wir allein?

Die Betrachtung des Himmels und des Universums jenseits davon lehrt uns Demut. Der Raum und die Zeit des Kosmos haben riesige Größenmaßstäbe. Es gibt mehr als eine Milliarde Billionen sonnenähnliche Sterne in der beobachtbaren Ausdehnung des Universums, und diejenigen von uns, die am meisten Glück haben, leben nur ein Prozent eines Millionstels der Lebensdauer der Sonne. Aber auch wenn wir demütig bleiben, sollte uns das nicht daran hindern, unser Universum besser kennenzulernen. Vielmehr sollte es uns animieren, unsere Ziele höherzustecken, schwierige Fragen zu stellen, die unsere Annahmen in Zweifel ziehen, und dann sollten wir uns daranmachen, auf strenge Weise Belege anstatt »Gefällt mir«-Bekundungen zu erforschen.

• • •

Der größte Teil der empirischen Belege, mit denen dieses Buch ringt, wurde über elf Tage hinweg gesammelt, angefangen am 19. Oktober 2017. Das war die Zeitspanne, die uns zur Verfügung stand, den ersten bekannten interstellaren Besucher zu beobachten. Aus der Analyse dieser Daten und zusätzlichen Beobachtungen haben wir unsere Schlussfolgerungen zu diesem sonderbaren Objekt gezogen. Elf Tage klingt nach nicht viel, und obwohl sich jeder Wissenschaftler gewünscht hätte, dass es uns gelungen wäre, noch mehr Belege zu sammeln, sind die Daten, die wir haben, erheblich. Aus ihnen können wir Vieles folgern, das ich in diesem Buch alles genau beschreiben werde. Einer Schlussfolgerung jedoch stimmen alle zu, die die Daten studiert haben: Dieser Besucher war verglichen mit jedem anderen Objekt, das Astronomen je untersucht haben, exotisch. Und die Hypothesen, die angeboten werden, um allen beobachteten Sonderbarkeiten des Objekts gerecht zu werden, sind ebenfalls exotisch.

Ich behaupte, die einfachste Erklärung dieser Sonderbarkeiten besteht darin, dass das Objekt von einer intelligenten Zivilisation erschaffen wurde, die nicht von dieser Erde ist.

Das ist natürlich eine Hypothese – aber es ist eine durch und durch wissenschaftliche. Die Schlüsse, die wir aus ihr ziehen können, sind nicht ausschließlich wissenschaftlich, ebenso wenig wie die Handlungen, die wir angesichts dieser Schlüsse tätigen könnten. Der Grund dafür ist, dass meine einfache Hypothese zu einigen der tiefsten Fragen führt, die die Menschheit je zu beantworten versucht hat, ob durch das Objektiv der Religion, der Philosophie oder der wissenschaftlichen Methode. Sie berühren alles, was irgendeine Bedeutung für die menschliche Zivilisation und das Leben, jedes Leben, im Universum hat.

Im Geiste der Klarheit und Offenheit sollen Sie wissen, dass manche Naturwissenschaftler meine Hypothese unzeitgemäß finden, außerhalb des Mainstreams der Naturwissenschaft oder sogar gefährlich schlecht durchdacht. Aber der ungeheuerlichste Fehler, den wir machen können, besteht glaube ich darin, diese Möglichkeit nicht ernst genug zu nehmen.

Lassen Sie mich das erläutern.

1

KUNDSCHAFTER

Schon lange bevor wir etwas von seiner Existenz ahnten, bewegte sich das Objekt von der Vega aus, einem Stern, der nur 25 Lichtjahre von der Sonne entfernt ist, auf uns zu. Am 6. September 2017 flog es durch die Umlaufebene hindurch, in der sich alle Planeten unseres Sonnensystems um die Sonne drehen. Doch die extrem hyperbolische Flugbahn des Objekts sorgte dafür, dass es nur einen Besuch abstatten, aber nicht hierbleiben würde.

Am 9. September 2017 erreichte der Besucher sein Perihel bzw. den Punkt, an dem seine Flugbahn ihn der Sonne am nächsten brachte. Danach begann er, das Sonnensystem zu verlassen; seine Geschwindigkeit – relativ zu unserer Sonne bewegte er sich mit 94 240 Kilometern pro Stunde – stellte sein Entkommen aus dem Gravitationsfeld der Sonne mehr als sicher. Um den 29. September wanderte er durch die Umlaufebene der Venus und um den 7. Oktober durch die der Erde, während er sich rasch auf das Sternbild Pegasus und die Finsternis dahinter zubewegte.

Als das Objekt in den interstellaren Raum zurücksauste, hatte die Menschheit noch keine Notiz von ihm genommen. Da wir seine Ankunft nicht wahrgenommen hatten, hatten wir ihm auch keinen Namen gegeben. Auch wenn irgendjemand oder irgendetwas es je mit einem solchen versehen hätte, wüssten wir doch nicht, was es sein könnte.

Erst als es bereits an uns vorbeigeflogen war, erhaschten Astronomen auf der Erde einen Blick auf unseren abreisenden Gast. Wir schrieben dem Objekt mehrere offizielle Bezeichnungen zu und landeten schließlich bei der folgenden: 1I/2017 U1. Aber die Wissenschaftlergemeinde der Erde und die allgemeine Öffentlichkeit sollten es einfach als ’Oumuamua kennenlernen – ein hawaiischer Name, der die geografische Lage des Teleskops widerspiegelt, das bei der Entdeckung des Objekts benutzt wurde.

• • •

Die Inseln von Hawaii sind Juwelen im Pazifischen Ozean, die Touristen aus der ganzen Welt anziehen. Für Astronomen halten sie jedoch noch eine zusätzliche Verlockung bereit: Sie beheimaten einige der raffiniertesten Teleskope der Erde, ein Zeugnis unserer am weitesten fortgeschrittenen Technologien.

Unter den modernsten Teleskopen Hawaiis sind die, aus denen das Panoramic Survey Telescope and Rapid Response System (Pan-STARRS) besteht, ein Netzwerk aus Teleskopen und hochauflösenden Kameras, die sich bei einem Observatorium auf dem Haleakala befinden, dem inaktiven Vulkan, der den größten Teil der Insel Maui bildet. Eines dieser Teleskope, Pan-STARRS1, enthält die höchstauflösende Kamera der Erde, und seit es in Betrieb ging, hat das System insgesamt die meisten der in der Nähe der Erde vorbeifliegenden Kometen und Asteroiden entdeckt, die in unserem Sonnensystem gefunden wurden. Doch Pan-STARRS zeichnet sich noch durch eine weitere Eigenschaft aus – es sammelte die Daten, die uns ursprünglich über ’Oumuamuas Existenz informierten.

Kombinierte Teleskopaufnahme des ersten interstellaren Objekts ’Oumuamua, eingekreist als unaufgelöste, punktförmige Quelle in der Mitte. Es ist von Spuren schwach leuchtender Sterne umgeben, von denen jede zu einer Reihe von Punkten verwischten, während die Einzelaufnahmen des Teleskops das sich bewegende ’Oumuamua verfolgten. ESO/K. Meech et al.

Am 19. Oktober entdeckte der Astronom Robert Weryk am Haleakala-Observatorium ’Oumuamua in den Daten, die vom Pan-STARRS-Telekop gesammelt wurden – Bilder, die das Objekt als einen Lichtpunkt zeigten, der über den Himmel sauste und sich zu schnell bewegte, um von der Schwerkraft der Sonne eingefangen werden zu können. Dieser Hinweis führte die Gemeinschaft der Astronomen rasch zu der übereinstimmenden Auffassung, dass Weryk das erste interstellare Objekt gefunden hatte, das je in unserem Sonnensystem entdeckt wurde. Doch zu dem Zeitpunkt, als wir uns einen Namen für das Objekt ausgedacht hatten, war es schon über dreißig Millionen Kilometer von der Erde entfernt oder etwa 85-mal so weit entfernt wie der Mond, während es sich schnell von uns wegbewegte.

Es kam als Fremdling in unsere Umgebung, aber es verließ sie als etwas mehr. Das Objekt, dem wir einen Namen gegeben hatten, ließ uns mit einer Menge unbeantworteter Fragen zurück, die sowohl den prüfenden Blick unserer Wissenschaftler als auch die Fantasie der Menschheit voll in Anspruch nehmen sollten.

Das hawaiische Wort ’Oumuamua (ausgesprochen als »Ohmuamua«) wird grob als »Kundschafter« übersetzt. Bei ihrer Verkündung der offiziellen Bezeichnung des Objekts bestimmte die Internationale Astronomische Union ’Oumuamua anders, nämlich als »einen Boten aus der Ferne, der als Erster ankommt«.1 So oder so legt der Name eindeutig nahe, dass das Objekt nur das erste von weiteren ist, die noch kommen werden.

• • •

Zuletzt bezeichneten die Medien ’Oumuamua als »sonderbar«, »rätselhaft« und »eigenartig«. Aber im Vergleich wozu? Die kurze Antwort ist, dass dieser Kundschafter sonderbar, rätselhaft und eigenartig war, wenn man ihn mit allen anderen Kometen und Asteroiden vergleicht, die je zuvor entdeckt wurden.

Tatsächlich konnten die Wissenschaftler nicht mit Sicherheit feststellen, ob dieser Kundschafter überhaupt ein Komet oder ein Asteroid war.

Nicht dass wir keine Vergleichsgrundlage hätten. Tausende Asteroiden, trockene Gesteinsbrocken, die durch den Weltraum rasen, werden jedes Jahr entdeckt, und die Zahl vereister Kometen in unserem Sonnensystem ist größer, als unsere Instrumente zählen können.

Interstellare Besucher sind viel seltener als Asteroiden oder Kometen. Genau genommen hatten wir zum Zeitpunkt von ’Oumuamuas Entdeckung nie ein Objekt gesehen, das seinen Ursprung außerhalb unseres Sonnensystems hatte und sich durch es hindurchbewegte.

Dieses Alleinstellungsmerkmal ging jedoch schnell wieder verloren. Ein zweites interstellares Objekt wurde kurz nach der Identifikation von ’Oumuamua entdeckt, und in der Zukunft werden wir wahrscheinlich noch viel mehr entdecken, und zwar insbesondere mit dem bald in Betrieb gehenden Spiegelteleskop des Legacy Survey of Space and Time (LSST) des Vera C. Rubin Observatory. In einem gewissen Sinne hatten wir diese Besucher zudem schon erwartet, bevor wir sie sehen konnten. Denn Statistiken deuten darauf hin, dass die Anzahl von interstellaren Objekten, die die Umlaufebene der Erde kreuzen, zwar um Größenordnungen kleiner ist als die Anzahl von Objekten, die ihren Ursprung innerhalb unseres Sonnensystems haben, dass diese interstellaren Objekte selbst jedoch nicht ungewöhnlich sind. Kurz, die Vorstellung, dass unser Sonnensystem seltene interstellare Objekte beherbergt, ist zwar erstaunlich, aber daran ist nicht Geheimnisvolles. Und anfangs versprachen die schlichteren Tatsachen zu ’Oumuamua nur Staunen: Schon bald nachdem ’Oumuamuas Entdeckung am 26. Oktober 2017 vom Astronomischen Institut der University of Hawaii verkündet worden war, überprüften Wissenschaftler auf der ganzen Welt die rudimentärsten Daten, die gesammelt worden waren, und stimmten hinsichtlich der grundlegenden Tatsachen überein: ’Oumuamuas Flugbahn, seine Geschwindigkeit und seine ungefähre Größe (sein Durchmesser betrug weniger als vierhundert Meter). Keine dieser frühen Einzelheiten deutete darauf hin, dass ’Oumuamua aus irgendeinem anderen Grund ungewöhnlich war als aus dem, dass sein Ursprung außerhalb unseres Sternensystems lag.

Doch binnen Kurzem begannen Wissenschaftler, die die sich anhäufenden Daten durchsuchten, auf die Eigentümlichkeiten von ’Oumuamua hinzuweisen – Einzelheiten, die uns schon bald die Annahme infrage stellen ließen, dass dieses Objekt ein völlig normaler, wenn auch interstellarer, Komet oder Asteroid sei. Tatsächlich änderte nur wenige Wochen nach der Entdeckung des Objekts die Internationale Astronomische Union – die Organisation, die neu identifizierten Objekten im Weltraum einen Namen gibt – Mitte November 2017 ihre Bezeichnung für ’Oumuamua zum dritten und letzten Mal. Ursprünglich hatte die IAU es C/2017 U1 genannt – das C stand für Comet. Dann wechselte sie zu A/2017 U1 – das A stand für Asteroid. Schließlich erklärte die IAU es zu 1I/2017 – wobei das I für interstellar steht. Zu diesem Zeitpunkt war die Tatsache, dass ’Oumuamua seinen Ursprung im interstellaren Raum hatte, eines der wenigen Dinge, auf die sich alle verständigen konnten.

• • •

Ein Wissenschaftler muss sich dorthin leiten lassen, wohin die empirischen Beweise ihn führen, sagt ein altes Sprichwort. Es ist eine gewisse Demut dabei, wenn man den Beweisen folgt, und dieses Verhalten befreit einen von Voreingenommenheiten, die Beobachtungen und Einsichten verdunkeln können. In etwa dasselbe lässt sich über das Erwachsenenalter sagen, für das eine gute Definition folgendermaßen lauten könnte: »Der Punkt, an dem man so viel Erfahrung gesammelt hat, dass die eigenen Modelle eine hohe Erfolgsrate bei der Vorhersage der Wirklichkeit haben.« Das ist vielleicht nicht die Form, die Sie wählen würden, um die Idee Ihren kleinen Kindern zu präsentieren, aber dennoch finde ich, dass die Definition ihre Vorzüge hat.

In der Praxis bedeutet das einfach, dass wir uns selbst gestatten sollten zu stolpern. Man gebe Vorurteile auf. Man schleife William von Ockhams Rasiermesser und suche nach der einfachsten Erklärung. Man sollte bereit sein, Modelle aufzugeben, die nicht funktionieren, was bei manchen unweigerlich der Fall ist, wenn sie mit unserer unvollkommenen Erfassung der Tatsachen und der Naturgesetze kollidieren.

Offensichtlich gibt es Leben im Universum. Wir sind ein Zeugnis dafür. Und das bedeutet, dass die Menschheit einen riesigen, überzeugenden, bald beflügelnden und bald ernüchternden Datensatz liefert, der zu berücksichtigen ist, wenn wir uns Fragen zu den Handlungen und Absichten irgendeines anderen intelligenten Lebens stellen, das vielleicht im Universum existieren – oder existiert haben – könnte. Als einziges Beispiel von bewusstem Leben, das wir eingehend erforscht haben, geben die Menschen sehr wahrscheinlich viele Hinweise auf das Verhalten irgendeines anderen vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen bewussten Lebens im Universum.

Als Physiker bin ich beeindruckt von der Allgegenwart der physikalischen Gesetze, die unsere eigene Existenz auf unserem besonderen kleinen Planeten regieren. Wenn ich in den Kosmos hinausblicke, stehe ich ehrfürchtig vor der Ordnung, vor der Tatsache, dass die Naturgesetze, die wir hier auf der Erde feststellen, auch an den äußersten Rändern des Universums zu gelten scheinen. Und seit Langem, auch schon lange vor der Ankunft von ’Oumuamua, geht mir eine Folgerung aus diesem Gedanken durch den Kopf: Die Allgegenwart dieser Naturgesetze legt nahe, dass, wenn es irgendwo anders intelligentes Leben gibt, dieses Leben höchstwahrscheinlich Wesen umfassen wird, die diese allgegenwärtigen Gesetze erkennen und die bereit sind, dorthin zu gehen, wohin die empirische Evidenz sie führt, wobei sie begeistert Theorien bilden, Daten sammeln, die Theorien testen, verfeinern und erneut testen. Und schließlich Forschungsreisen unternehmen, genau wie die Menschheit es getan hat.

Unsere Kultur hat fünf Flugobjekte in den interstellaren Raum hinausgeschickt: Voyager 1 und Voyager 2, Pioneer 10 und Pioneer 11 und New Horizons. Allein diese Tatsache deutet auf unser unbegrenztes Potenzial hin, uns weit hinauszuwagen. Das Gleiche gilt für das Verhalten unserer weiter entfernten Vorfahren. Jahrtausendelang sind Menschen in die Weiten unserer Erde gereist und haben nach einem anderen oder besseren Leben gesucht, oftmals unter erschreckender Ungewissheit darüber, was sie finden oder wann sie wieder zurückkehren würden. Die Gewissheit unserer Spezies hat mit der Zeit beträchtlich zugenommen – Astronauten gelang es im Jahr 1969, sicher zum Mond und zurück zu reisen –, aber die Unsicherheit dieser Unternehmungen bleibt. Nicht die Wände der Mondlandefähre, die etwa so dick wie ein Blatt Papier waren, haben diese Weltraumreisenden beschützt, sondern die Naturwissenschaft und Technik, die hinter deren Bau stand.

Und wenn andere Kulturen sich da draußen unter den Sternen entwickelt haben, hätten sie dann nicht denselben Drang empfunden, Forschungsreisen zu unternehmen, sich über die vertrauten Horizonte auf der Suche nach dem Neuen hinauszuwagen? Wenn man nach dem menschlichen Verhalten urteilt, wäre das nicht im Geringsten überraschend. Tatsächlich haben diese Wesen sich vielleicht mit der Zeit so an die grenzenlose Ausdehnung des Weltraums gewöhnt, dass sie in ihm ebenso reisten, wie wir hier auf der Erde jetzt unseren Planeten durchqueren. Unsere Vorfahren verwendeten Begriffe wie reisen und erforschen; heute fahren wir in Urlaub.

Im Juli 2017 besuchten meine Frau, Ofrit, unsere beiden Töchter, Klil und Lotem, und ich eine eindrucksvolle Sammlung von Teleskopen auf Hawaii. Als Lehrstuhlinhaber des Instituts für Astronomie der Harvard University war ich eingeladen worden, eine Vorlesung auf Big Island zu halten. Ziel war es, dem Publikum, das zum Teil gegen den weiteren Bau des nächsten großen Teleskops auf der Höhe des inaktiven Vulkans Mauna Kea protestierte, die Begeisterung für Astronomie zu vermitteln. Ich habe die Einladung gerne angenommen und nutzte die Gelegenheit, die anderen Inseln von Hawaii, einschließlich Maui, zu besuchen, die ebenfalls hochmoderne Teleskope beherbergen.

Mein Thema war die Bewohnbarkeit des Universums, die Wahrscheinlichkeit, in den kommenden Jahrzehnten Belege für außerirdisches Leben zu entdecken, und dass eine solche Entdeckung die Menschheit zu der Anerkennung zwingen würde, dass wir nicht so überaus besonders sind. Die Überschrift der Lokalzeitung, die über meinen Vortrag schrieb, fasste die Grundidee schön zusammen: »Seid demütig, Erdbewohner.«

Die Vorlesung wurde etwas weniger als einen Monat vor dem Zeitpunkt gehalten, als ’Oumuamua – ohne dass die Erdbewohner davon wussten – sich durch die Umlaufbahn von Mars bewegte, und ich hielt sie nur wenige Kilometer vom Pan-STARRS1 entfernt – einem der Teleskope, die ich auf dieser Reise besuchte, und einem technischen Wunderwerk der Instrumentenausrüstung. Drei Monate später sollten die Daten, die von Pan-STARRS gesammelt wurden, zur Entdeckung von ’Oumuamua führen.

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Das erste Pan-STARRS-Teleskop, PS1, ging 2008 in Betrieb. Fünfzig Jahre zuvor, im Jahr 1958, war ein anderes Teleskop auf dem Gipfel von Haleakala gebaut worden, das jedoch nicht zur Erforschung der Sterne genutzt wurde. Zu jener Zeit war man wegen sowjetischer Satelliten besorgt, und Amerika wollte in der Lage sein, sie zu verfolgen. Pan-STARRS, das Panoramic Survey Telescope and Rapid Response System, hatte ein anderes Ziel: Kometen und Asteroiden zu entdecken, die mit der Erde zu kollidieren drohten. Infolgedessen ist es seit 2008 immer raffinierter geworden. Weitere Teleskope wurden im Laufe der Jahre hinzugefügt, von denen das bedeutendste Pan-STARRS2 ist, das 2014 voll einsatzfähig wurde. Die Reihe von Teleskopen, die zusammen als Pan-STARRS bezeichnet werden, kartografiert den Himmel über uns weiterhin und entdeckt Kometen, Asteroiden, explodierende Sterne und anderes.

Kurz, ein vergangener Kalter Krieg trug dazu bei, ein Observatorium von solcher Komplexität und technischer Raffinesse anzustoßen, dass Jahrzehnte später in der kalten, klaren Atmosphäre auf einem erloschenen Vulkan ein ausgeklügeltes Gerät in der Lage war, ’Oumuamua zu entdecken, das nur wenige Jahre, nachdem dieses besondere Teleskop seinen Betrieb aufgenommen hatte, darüber hinwegflog.

Leicht können einen Koinzidenzen durch ihre Eigenschaft der Selbsterfüllung beeindrucken. Doch Koinzidenzen können irreführend sein. Den größten Teil der Menschheitsgeschichte haben die Menschen nach mystischen oder religiösen Erklärungen gesucht, um sich einen Reim auf Vorkommnisse zu machen, die keine eindeutigen Ursachen hatten. Ich denke mal, dass die Menschen selbst während des Jugendalters und der frühen Adoleszenz unserer Zivilisation so viel Erfahrungen sammelten, dass ihre Modelle eine zunehmende Erfolgsrate bei der Vorhersage der Wirklichkeit hatten. Man könnte sagen, dass die Menschheit im Laufe der Zeit, über die es Aufzeichnungen gibt, langsam ins Erwachsenenalter eingetreten ist.

Eigentlich gehen die meisten Ereignisse im Leben auf einen Zusammenfluss mehrerer Ursachen zurück. Das gilt sowohl für beiläufige Beispiele (das Essen der Suppe in der Schüssel, die vor Ihnen steht) als auch für außergewöhnliche Fälle (die Ursprünge von, nun ja, allem). Sie können sich von ganz persönlichen Dingen (beispielsweise der ersten Begegnung, die zur Ehe führt, aus der zwei Töchter hervorgehen, die begierig auf einen Urlaub auf Hawaii sind) bis zu globalen erstrecken (etwa der Möglichkeit – der ganz realen Möglichkeit –, dass unsere Teleskope elf Tage lang im Oktober jenes Jahres Zeugen eines Objekts waren, das seinen Ursprung außerhalb unserer Sonnensystems hatte).

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Meine Familie und ich kehrten von unserem Urlaub zu unserem hundertjährigen Haus außerhalb von Boston, Massachusetts, zurück. In vielerlei Hinsicht unterscheidet es sich stark von der Farm in Israel, wo ich aufwuchs. Aber in dem Sinne, dass es meine Liebe zur Natur stillt, mein Bedürfnis, inmitten der Dinge zu sein, die um uns herum wachsen und leben, ist es das Gleiche.

Während eines Abendspaziergangs im Wald in der Nähe meines Hauses beobachtete ich, wie ein großer Baum im Wald, der sich hinter unserem Garten ausbreitet, umfiel. Zuerst hörte ich das Knacken, und dann sah ich, wie er nachgab und fiel. Ich sah, dass sein Stamm hohl war. Ein Großteil davon war schon seit Jahren abgestorben, und an jenem Tag und zu jener Stunde konnte er dem Wind nicht länger standhalten. Es ergab sich einfach, dass ich bei seinem Sturz zugegen war – dem einen Teil einer Kausalkette, deren Zeuge ich war, auf die ich jedoch keinen Einfluss hatte.

Unter günstigeren Umständen können unsere Handlungen jedoch entscheidend sein. Vor etwa einem Jahrzehnt, kurz nachdem meine Familie nach Lexington gezogen war, entdeckte ich einen gebrochenen Ast an einem jungen Baum im Garten. Ein Gärtner riet mir, den schon fast abgetrennten Ast abzusägen. Bei näherer Untersuchung sah ich, dass lebendige Fasern ihn immer noch mit dem übrigen Baum verbanden. Ich beschloss, den Ast mit Isolierband zusammenzubinden. Heute erhebt sich der Ast hoch über meinem Kopf in den Himmel, aber das Isolierband blieb auf Augenhöhe. Dieser Baum steht nahe beim Haus und ist von unseren Fenstern aus sichtbar. Ich verweise auf ihn meinen Töchtern gegenüber, um sie daran zu erinnern, dass bescheidene Handlungen außergewöhnliche Folgen haben können.

Einige der folgenreichsten Entscheidungen treffen wir in der hoffnungsvollen Erwartung, was daraus folgen könnte. Zu der Zeit, als ich den Baumast bei meinem Haus reparierte, war das nicht nur ein Glaubensgrundsatz für mich, sondern eine häufig wiederholte Erfahrung.

2

DIE FARM

Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört, wie ich an meinem ersten Schultag in der ersten Klasse etwas zu spät zur Schule kam. Als ich das Klassenzimmer betrat, rannten die Kinder herum und sprangen auf ihre Stühle und sogar auf ihre Schreibtische. Es war ein wildes Durcheinander.

Meine Reaktion war Neugier. Ich schaute auf meine Klassenkameraden und dachte: Sollte ich mich ihnen anschließen? Ist es sinnvoll, sich so zu verhalten? Warum tun sie das? Warum sollte ich es tun? Ich stand einen Augenblick lang an der Tür und versuchte, mit diesen Fragen klarzukommen.

Ein paar Sekunden später kam die Lehrerin herein. Zu sagen, dass sie unzufrieden war, wäre eine Untertreibung. So wollte sie das neue Schuljahr nicht beginnen lassen. Bei dem Versuch, ihre Autorität durchzusetzen und die Schüler zu beruhigen, sah sie in mir eine Möglichkeit, die Ordnung wiederherzustellen. »Schaut euch an, wie anständig Avi sich benimmt«, sagte sie zu der Klasse. »Könnt ihr nicht alle seinem Beispiel folgen?«

Aber meine Gelassenheit war kein Zeichen von Tugend. Ich hatte nicht entschieden, dass das richtige Verhalten darin bestand, ruhig dazustehen und auf die Ankunft der Lehrerin zu warten; ich hatte einfach noch nicht herausbekommen, ob es für mich sinnvoll wäre, mich dem Chaos anzuschließen.

Ich wollte das der Lehrerin sagen, tat es aber nicht, was ich nun bedauerlich finde. Die Lektion, die meine Klassenkameraden aus meinem Verhalten hätten lernen können – eine Lektion, die ich schließlich selbst lernte und die ich seitdem meinen eigenen Schülern versucht habe beizubringen –, hätte sich nicht darauf bezogen, ob man der Menge folgen sollte, sondern vielmehr darauf, dass man sich Zeit zum Überlegen nehmen sollte, bevor man handelt.

Im Überlegen liegt die Demut der Ungewissheit. Auch das ist eine Einstellung zum Leben, um die ich selbst mich bemühte, die ich bei meinen Studenten in Harvard kultivieren und meinen Töchtern beibringen wollte. Schließlich hatten meine Eltern versucht, mir diese Einstellung beizubringen.

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Ich wuchs in Israel auf der Farm unserer Familie in Beit Hanan auf, einem Dorf, das sich etwa 24 Kilometer südlich von Tel Aviv befindet. Es handelt sich um eine landwirtschaftliche Gemeinde, die auf das Jahr 1929 zurückgeht und schon kurz nach ihrer Gründung 178 Einwohner hatte. Im Jahr 2018 war diese Zahl jedoch nur auf 548 gestiegen. In meiner Kindheit war das Dorf von seinen Obstgärten und Gewächshäusern geprägt, wo alle möglichen Arten von Obst, Gemüse und Blumen kultiviert wurden. Zudem war es ein Moschav, eine besondere Art von Dorf. Im Unterschied zu einem Kibbuz, bei dem das Land gemeinschaftlich bewirtschaftet wird, besteht ein Moschav aus einzelnen Familien, die Eigentümer ihrer eigenen Farmen sind.

Unsere Farm war bekannt für ihr großes Feld mit Pekannussbäumen – mein Vater stand den Pekannussproduzenten von ganz Israel vor –, aber wir bauten auch Orangen und Grapefruits an. Als ich klein war, ragten die Pekannussbäume, die über dreißig Meter hoch wachsen können, über mir auf, während die Zitrusbäume mit ihrem charakteristischen scharfen Geruch reifer Früchte nur selten über drei Meter hoch wurden und es leichter war, auf sie zu klettern.

Die Pflege der Haine und die Beaufsichtigung der notwendigen Maschinen waren für meinen Vater David, der ein kompetenter Problemlöser war, eine Vollzeitbeschäftigung. Tatsächlich erinnere ich mich an ihn hauptsächlich anhand von bestimmten Gegenständen: die Traktoren, die er wartete, die Bäume unserer Obstplantage, die er pflegte, die Haushaltsgeräte, die er in unserem ganzen Haus und unserem Hof ausbesserte. Eine besonders deutliche Erinnerung habe ich daran, wie er im Sommer 1969 auf das Dach unseres Hauses kletterte, um sicherzustellen, dass wir mit unserem Fernsehempfang die Mondlandung von Apollo 11 ansehen konnten.

So fähig mein Vater auch war, das schiere Ausmaß von Arbeit bedeutete, dass zahlreiche tägliche Arbeiten für meine Schwestern und mich übrig blieben. Wir zogen Hühner auf, und schon in einem sehr frühen Alter sammelte ich jeden Nachmittag Eier und verbrachte viele Nächte mit einer Taschenlampe auf der Jagd nach flauschigen Küken, die aus ihren Käfigen entkommen waren.

Israel war in den 1960er und 1970er Jahren, den Jahrzehnten meiner Kindheit und Jugend, ein gefährdeter Ort. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Bevölkerung durch jüdische Flüchtlinge um etwa ein Drittel, und die Anzahl von Menschen in der Region wuchs von zwei auf über drei Millionen. Viele kamen aus Europa, sodass der Widerhall des Holocausts immer gegenwärtig war. Hinzu kommt, dass die arabischen Länder des Nahen Ostens Israel entschieden feindlich gesonnen waren, wobei Israel sich behaupten musste. Ein Konflikt folgte dem anderen: Auf den Sinai-Krieg von 1956 folgte der Sechstagekrieg von 1967 und auf diesen der Yom-Kippur-Krieg von 1973. Obwohl zur Zeit meiner Kindheit erst einige Jahrzehnte alt, war Israel von jüngerer und alter Geschichte durchdrungen, und den Israelis war damals – wie heute – bewusst, dass das weitere Überleben ihres Staates davon abhing, dass sie sich die Folgen ihrer Entscheidungen überlegten.

Das Land war außerdem schön, und Beit Hanan sowie die Farm meiner Familie waren herrliche Orte zum Aufwachsen. Diese freie Atmosphäre regte meine frühen Schriften an, Aufzeichnungen, die ich sammelte und in der oberen Schublade meines Schreibtischs auftürmte. Tatsächlich war es während eines Großteils meines Erwachsenenalters für mich ein motivierender Gedanke, dass ich immer und sehr gern zur Farm meiner Kindheit zurückkehren könnte, wenn mein Freidenkertum mich je in Schwierigkeiten bringen sollte.

Gemeinhin denkt man, dass das Leben eine Sammlung der Orte ist, die man besucht. Doch das ist eine Illusion. Das Leben ist eine Sammlung von Ereignissen, und diese sind das Ergebnis von Entscheidungen, von denen nur einige bei uns liegen.

Natürlich gibt es auch Kontinuitäten. Die Wissenschaft, die ich betreibe, ist durch eine direkte Linie mit meiner Kindheit verbunden. Es war eine unschuldige Zeit, in der ich über die großen Fragen des Lebens staunte, die Schönheit der Natur genoss und mich zwischen den Obstgärten und den nächsten Nachbarn in Beit Hanan nicht um meinen Status oder meine Stellung kümmern musste.

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Die Kausalkette, die mich nach Beit Hanan brachte, begann direkt mit der Entscheidung meines Großvaters (und Namensvetters in der hebräischen Übersetzung) Albert, aus Nazi-Deutschland zu fliehen. Klarsichtiger als viele sah er die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe voraus, den schnellen Ablauf von Ereignissen, der selbst vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ein immer enger werdendes Spektrum von Wahlmöglichkeiten für Juden übrig ließ, eine immer größer werdende Gefahr entsetzlicher Konsequenzen, wenn er nicht den richtigen Weg wählen würde.

Zum Glück für ihn, und auch für mich, traf Albert die richtige Entscheidung. Er verließ Deutschland 1936 und zog kurz nach der Gründung von Beit Hanan dorthin. Obwohl es weitgehend unbesiedelt war und wie die gesamte Welt vom aufziehenden Sturm des Krieges durchgeschüttelt wurde, war die Landwirtschaftsgemeinde ein vergleichsweise sicherer Hafen. Schon bald nach seiner Ankunft gesellten sich meine Großmutter Rosa und ihre beiden Söhne zu ihm, von denen einer mein damals elfjähriger Vater war. Durch den Übergang von der deutschen zu einer jüdischen Gesellschaft änderte sich sein Name von Georg zu David.

Meine Mutter Sara kam ebenfalls aus der Ferne nach Beit Hanan. Sie wurde in Chaskowo, in der Nähe der bulgarischen Hauptstadt Sofia, geboren und großgezogen. Der geografische Zufall, der sie zu einer Bulgarin und nicht zu einer Deutschen machte, rettete sie und ihre Familie während des Krieges. Obwohl es sich mit dem Nazi-Regime verbündete, behielt Bulgarien seine Souveränität und konnte sich daher Adolf Hitlers stärker werdenden Forderungen widersetzen, das Land solle seine Juden nach Deutschland deportieren. Als Gerüchte über Todeslager zirkulierten, protestierte die bulgarische orthodoxe Kirche gegen die Deportationen, und der bulgarische König beschwor die Entschlossenheit, Deutschlands Aufforderung abzulehnen. Damit keine Missverständnisse aufkommen – er tat das, indem er erklärte, Bulgarien brauche seine Juden für seine eigene Arbeitsreserve, aber die Folge war, dass es ihm gelang, viele Juden des Landes zu beschützen. Daher war meine Mutter in der Lage, eine relativ normale Kindheit zu genießen. Sie besuchte eine französische Klosterschule und ging schließlich auf die Hochschule in Sofia. Doch 1948, als das Nachkriegseuropa in Trümmern lag und die Sowjetunion sich nach Westen ausdehnte, verließ sie die Schule und emigrierte mit ihren Eltern in den neuen Staat Israel.

Die frühesten Gründer Beit Hanans stammten aus Bulgarien, weshalb es nicht überraschend war, dass Saras Familie dort landete. Allerdings unterschied sich das bäuerliche Dorf stark von der kosmopolitischen Stadt und den Hochschulstudien, die sie zurückgelassen hatte. Ihre neue Heimat hatte jedoch ihre eigenen Reize. Kurz nach ihrer Ankunft begegnete Sara meinem Vater. Sie verliebten sich ineinander, heirateten und bekamen drei Kinder – meine beiden älteren Schwestern, Shashana (Shoshi) und Ariela (Reli), und schließlich mich im Jahr 1962.