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Auswahlband Anna Martach - Liebe und Schicksal September 2018: 3 Romane in einem Buch Dieses Buch enthält folgende Romane: Anna Martach: Zusammenstoß der Herzen Anna Martach: Ein goßer Sprung zur Liebe Anna Martach: Galopp ins Glück Die zehnjährige Laura ist mit ihrer Mutter Kordula zum Tag der offenen Tür im Tierheim. Dort lernen sie den Tierarzt Gernot kennen, und er und Kordula sind sich sofort sympathisch. Auch Laura mag ihn und würde ihn sofort als neuen Vater akzeptieren. Doch ist Kordula schon über den Verlust ihres Mannes hinweg und kann Vertrauen zu einem anderen fassen?
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Seitenzahl: 319
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Auswahlband Anna Martach - Liebe und Schicksal September 2018: 3 Romane in einem Buch
Zusammenstoß der Herzen
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Ein großer Sprung zur Liebe
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Galopp ins Glück
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Dieses Buch enthält folgende Romane:
Anna Martach: Zusammenstoß der Herzen
Anna Martach: Ein goßer Sprung zur Liebe
Anna Martach: Galopp ins Glück
Die zehnjährige Laura ist mit ihrer Mutter Kordula zum Tag der offenen Tür im Tierheim. Dort lernen sie den Tierarzt Gernot kennen, und er und Kordula sind sich sofort sympathisch. Auch Laura mag ihn und würde ihn sofort als neuen Vater akzeptieren. Doch ist Kordula schon über den Verlust ihres Mannes hinweg und kann Vertrauen zu einem anderen fassen?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Familienroman von Anna Martach
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses E-Book entspricht 102 Taschenbuchseiten.
Die zehnjährige Laura ist mit ihrer Mutter Kordula zum Tag der offenen Tür im Tierheim. Dort lernen sie den Tierarzt Gernot kennen, und er und Kordula sind sich sofort sympathisch. Auch Laura mag ihn und würde ihn sofort als neuen Vater akzeptieren. Doch ist Kordula schon über den Verlust ihres Mannes hinweg und kann Vertrauen zu einem anderen fassen?
Es war schon von draußen nicht zu überhören, ein Bellen und Jaulen, Stimmen, die beruhigend sprachen oder scharfe Befehle gaben. Am Ende dieses Weges durch ein idyllisches Wäldchen, gesichert durch einen Gitterzaun, befand sich ein Tierheim. Angesichts der vielen Autos, sich auf dem Parkplatz befanden und auf der Zufahrt abgestellt waren, musste an diesem Tag etwas ganz Besonderes stattfinden.
Und so war es auch.
Das Tierheim führte sein jährliches Sommerfest mit einem Tag der offenen Tür durch. Zu anderen Zeiten gab es bestimmte und festgelegte Öffnungszeiten, schon, damit die Tiere durch die Anwesenheit vieler fremder Menschen nicht zu oft in Unruhe versetzt wurden, und auch, damit das Personal in Ruhe der vielfältigen Arbeit nachgehen konnte.
Heute zeichnete sich diese Unruhe entsprechend ab. Bellend, winselnd, jaulend und aufgeschreckt liefen die Hunde in ihren Gehegen hin und her, beäugten jeden Gast erst einmal als Eindringling und bewachten lautstark ihr Territorium.
Ganz anders die Katzen. Das große Freigehege mit künstlichen Höhlen, einigen Bäumen mit ausladenden Ästen und Kuschelecken am Boden bot einer ganzen Menge Tieren Platz. Einige der Katzen waren ausgesprochen neugierig und starrten die Besucher an, andere zogen es vor, sich regelrecht unsichtbar zu machen.
Das Tierheim an der Hermann-Löns-Straße war für viele Tiere die Endstation, die von ihren vorigen Besitzern vernachlässigt oder abgestoßen worden waren. Hier versuchte man, den oftmals gepeinigten Kreaturen ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen, oder besser noch, sie in liebevolle Hände zu vermitteln.
Zwei dieser liebevollen Hände gehörten Laura Brillatus, der zehnjährigen Tochter von Kordula. Die beiden hatten sich speziell diesen Tag ausgesucht, weil Kordula, die als Witwe darauf angewiesen war, das Geld für die kleine Familie zu verdienen, etwas unregelmäßige Arbeitszeiten hatte. Daher fiel es ihr schwer, die strengen Öffnungszeiten auszunutzen.
Aber heute, so hatte Kordula ihrer Tochter versprochen, würden sie eine Katze aussuchen, die dann in einigen Tagen als neuer Hausbewohner willkommen sein sollte.
Während der meisten Zeit, in der Kordula arbeitete, kümmerte sich ihre Mutter um das Kind, doch die sympathische 32-Jährige verbrachte jede freie Minute mit ihrer Tochter.
Und nun würden sie eben eine Katze als Familienzuwachs bekommen. Kordulas Mutter hätte es gern gesehen, wenn ihre Tochter sich noch einmal in einen Mann verliebte, doch bisher deutete nichts darauf hin. Und wurde Kordula auf dieses Thema angesprochen, so winkte sie lachend ab.
„Wozu brauche ich einen Mann? Ich habe meine kleine Laura, dich und meine Arbeit. Glaube mir, Mutter, ein Mann stört da nur. Und außerdem kann ich Jens nicht vergessen. Weißt du, jeder Mann müsste sich in meinen Augen mit ihm messen.“
„Und du glaubst, nicht einer käme gut genug davon, ja?“, pflegte Anita dann zu erwidern. „Aber du machst da einen Fehler.“
„Und du? Du hast nach Vaters Tod auch keinen anderen Mann mehr angeschaut“, kam in der Regel die spöttische Erwiderung der jungen Frau.
„Das kannst du nicht vergleichen, Kind. Ich war eine Frau von fast fünfzig Jahren.“
„Und ausgesprochen attraktiv. Aber das bist du auch heute noch. Also, Mama, wirklich, erzähle mir nichts.“
„Aber du bist noch so jung, Kordula.“
„Und ich bin glücklich und zufrieden, so wie es ist.“ In dieser oder ähnlicher Form hatten die beiden Frauen diese Diskussion schon oft geführt, doch sie brachte natürlich kein Ergebnis. Aber von Zeit zu Zeit musste man eben auf den Busch klopfen, befand Anita.
Die kleine Laura stand jetzt vor dem Freigehege, in dem sich wenigstens zwanzig verschiedene Katzen sichtbar aufhielten, obwohl hier sicher noch mehr untergebracht waren. Das Mädchen steckte zwei Finger durch den Maschendraht und versuchte vergeblich eines der Tiere anzulocken. Kordula musste lachen.
„So wirst du bei einer Katze nicht viel erreichen“, prophezeite sie. „Aber schau mal, die da vorne, die ganz weiße – sieht die nicht süß aus?“
„Ja, und sie hat große runde Augen, ganz anders als die anderen.“
„Die sehen wir uns mal genauer an. Und du hast nicht vergessen, dass du dich ...“
„... um das Tier kümmern musst. Ja, Mama“, erwiderte Laura ergeben. Natürlich würde Kordula einspringen, wenn sie merkte, dass das Kind es nicht allein schaffte. Doch Laura war schon recht selbstständig und verantwortungsbewusst für ihr Alter. Es würde bestimmt gut gehen. Wahrscheinlich bekam die Katze mehr Pflege, als sie wirklich brauchte. Aber auch da würde sich das rechte Maß sicherlich noch finden lassen.
Das Wetter war ausgesprochen sommerlich, und so hatte man draußen Tische aufgebaut mit einem Kuchenbüfett, der verlockende Duft von frischem Kaffee drang herüber, und nicht weit entfernt gab es auch Spielmöglichkeiten für Kinder. Auf einem kleinen Parcours zeigten einige Hunde eine Art Gehorsamsprüfung, bei einem Glücksrad gab es Zubehör für das Haustier zu gewinnen – und dann war da noch die große Tombola. Viele Geschäftsleute hatten großzügig gespendet, so waren attraktive Preise zu gewinnen, von einer 3-Tage-Reise nach Paris bis zu einem Federmäppchen reichte das Angebot. Und viele Leute benutzten die Gelegenheit, um auf diese Weise dem Tierheim eine Spende zukommen zu lassen.
Einer der Hauptpreise amüsierte Kordula. Wahlweise, so hieß es da, gewann man einen ganzen Tag mit dem Tierarzt Dr. Gernot Schlüter, oder die Kosten, die jemand bei der Übernahme eines Tieres zu zahlen hatte, entfielen. Nun, in dem Fall würde Kordula die Wahl nicht besonders schwer fallen. Da sie ohnehin ein Tier abnehmen wollte, hätte sie dann die Kosten gespart.
Aber nun wurde es Zeit, dass sie mal wieder nach Laura schaute. Das Mädchen war vorhin zu den Spielen gelaufen, doch da sah Kordula sie nicht mehr. Schließlich fand sie ihre Tochter im Katzenhaus. Laura hatte eines der Tiere auf dem Arm und wirkte vollkommen glücklich.
„Die will ich haben“, erklärte sie mit Bestimmtheit.
Das Tier hatte ein fast weißes Fell, darauf verteilt einige schwarze Flecken. Die Augen leuchteten klug und besaßen eine reizvolle Mischung aus Grün und Gold und wirkten intelligent, so als verstände das Tier jedes Wort. Die Katze saß entspannt auf dem Schoß von Laura und genoss es sichtlich, mit vielen Streicheleinheiten verwöhnt zu werden.
Kordula lächelte. Ein schönes, friedvolles Bild. Und dieses Tier wirkte, als habe es sich Laura ausgesucht und nicht andersherum.
„Einverstanden“, sagte die Frau. „Am Dienstag nehme ich mir den Nachmittag frei, und wir holen sie. Bis dahin haben wir dann auch alles zu Hause, was so eine Katze braucht.“
„Sie heißt Fliege“, verkündete Laura nun.
„Hat sie dir das gesagt?“
„Aber Mama, Katzen sprechen doch nicht wie wir“, protestierte Laura lachend.
„Magst du noch ein paar Lose für die Tombola ziehen?“
Kordula versuchte ihre Tochter von der Katze abzulenken. Je länger die Kleine jetzt das Tier bei sich hatte, umso schwerer würde der Abschied fallen, auch wenn es nur für zwei Tage sein sollte.
Eifrig nickte das Mädchen. Mit ernstem Gesicht und vielen Worten verabschiedete sich Laura von Fliege und versprach hoch und heilig, am Dienstag zu kommen und sie zu holen. Lächelnd verfolgte Kordula die Zeremonie. Das Tier und ihre Tochter würden sicher gut miteinander auskommen, die Katze jedenfalls tat so, als würde sie jedes Wort verstehen und wäre voll und ganz mit dieser Regelung einverstanden. Dann winkte Laura ein letztes Mal und ging an der Seite ihrer Mutter zu dem Mann, der in einem Eimer aus Plastik die Lose für die Tombola feilbot. In einem Anfall von Großzügigkeit genehmigte Kordula gleich zehn Stück. Und Laura suchte voller Begeisterung herum, obwohl natürlich von außen nicht zu erkennen war, ob es sich um einen Gewinn handelte.
„Och, ist das doof“, klagte das Mädchen, nachdem es dann schon sechs Lose geöffnet und nur Nieten gefunden hatte.
„Na, was ist denn das für ein Ausdruck?“, rügte Kordula, wohl wissend, dass auf dem Schulhof noch ganz andere Worte gebraucht wurden.
„Aber wenn es doch wahr ist“, maulte die Kleine und zerriss den nächsten Fetzen Papier, auf dem ein mehr oder weniger sinniger Spruch stand.
„He, da ist ja doch was!“ Die Laune des Mädchens schlug schlagartig um. „Jetzt haben wir bestimmt eine Reise gewonnen, oder so was. Das ist eine niedrige Nummer.“
„Übertreibe nicht gleich, mein Schatz. Vielleicht ist es auch nur ein Buch über Pferde“, neckte Kordula.
Wild schüttelte Laura den Kopf. „Das kann ich doch gar nicht gebrauchen“, erklärte sie mit einleuchtender Logik. Sie öffnete die beiden letzten Lose gar nicht mehr, doch Kordula stellte gleich darauf fest, dass es sich dabei auch nur um Nieten handelte.
Ihre Tochter stand jedoch schon an dem Tisch, wo die Preise ausgegeben wurden, und schaute mit großen neugierigen Augen.
„Sind Sie die Mutter?“, begrüßte eine freundliche Frau Kordula. „Dann gratulieren wir herzlich. Sie haben die Auswahl zwischen einem Tag mit unserem Tierarzt oder der Kostenerstattung für ein Tier aus unserem Heim.“
Kordula musste lachen. War das nicht genau der Preis, der sie vorhin schon so amüsiert hatte? „Aber das ist ja wunderbar“, strahlte sie. „Wir haben uns ja heute schon eine Katze ausgesucht, die wir am Dienstag holen wollen, das passt hervorragend.“
„Nein, Mama“, mischte sich jetzt Laura ein.
„Nein? Was soll das heißen?“
„Ich möchte so gerne mal sehen, was ein Tierarzt den ganzen Tag zu tun hat. Bitte, Mama, Fliege holen wir doch sowieso. Und ich habe doch die Lose gezogen, dann möchte ich auch darüber bestimmen.“
Ein verständnisvolles Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht der Frau hinter dem Tisch. „Dann hole ich am besten mal Dr. Schlüter her, der kann mehr dazu sagen.“
Kordula schaute ihre Tochter etwas unglücklich an. „Musste das jetzt sein, Laura? Ich verstehe dich nicht ganz.“
„Ach, Mama, das macht doch bestimmt viel Spaß. Bitte.“ Die flehenden Augen des Kindes waren nicht zu übersehen, und Kordula seufzte.
„Na, dann meinetwegen. Aber nicht allein. Dann nehme ich frei und komme mit.“
„Oh, Klasse, Mama, dann wird der Spaß noch größer“, jubelte Laura.
Kordula wagte das noch zu bezweifeln. Aber gleich darauf stand ihr Gernot Schlüter gegenüber, und für einen Augenblick vergaß sie alle Vorbehalte.
Es hatte wirklich und wahrhaftig gefunkt. Allerdings nur für einen Sekundenbruchteil.
Gernot Schlüter war siebenunddreißig, sah nicht ausgesprochen gut aus, dafür aber interessant mit einem markanten Gesicht und einem warmen, gewinnenden Lächeln. Als er Kordula die Hand reichte, waren ihrer beider Augen aneinander hängen geblieben – bis Laura sich unverhohlen zu Wort meldete.
„He, ich bin auch noch da. Und eigentlich habe ich doch gewonnen, oder?“
Die beiden Erwachsenen hatten herzhaft gelacht, und der zauberhafte Moment war unwiederbringlich verflogen.
„Du willst mich also einen Tag lang begleiten?“ Gernot behandelte Laura vom ersten Moment an wie eine gleichberechtigte Partnerin, ohne die sonstige Überheblichkeit vieler Erwachsener Kindern gegenüber. „Hast du denn schon Erfahrung mit Tieren?“
„Nein, nicht viel“, gestand Laura. „Aber am Dienstag holen wir eine Katze, sie heißt Fliege. Und dann kann ich ja was darüber lernen.“
„Eine gute Idee.“ Er wandte sich an Kordula. „Ich denke, es wäre gut, wenn Sie Ihre Tochter begleiten. Ich muss zugeben, es ist nicht ganz einfach für mich, mich um meine Arbeit zu kümmern und ein Kind zu beaufsichtigen. Ich hoffe, es macht Ihnen nicht zu viele Umstände?“
Natürlich hatte Kordula nicht vorgehabt, ihre Tochter allein in dieses Abenteuer ziehen zu lassen, doch dass der Tierarzt von allein auf diesen Vorschlag kam, verwunderte sie etwas. Und doch war es verständlich. Schließlich hatte der Mann eine verantwortungsvolle Aufgabe.
„Wäre es Ihnen am Dienstag vielleicht schon recht?“, fragte sie aus einem plötzlichen Impuls heraus.
„Ja, warum eigentlich nicht? Das wäre mir recht.“
„Ich wollte mir am Dienstag ohnehin frei nehmen, damit wir die Katze holen können. Dann können wir das miteinander verbinden.“
Gesagt, getan. Pünktlich um 7 Uhr am Dienstag stiegen Kordula und Laura in den Kombi von Gernot Schlüter. Vor der normalen Praxis erledigte der Tierarzt Hausbesuche bei Bauern und Tierzüchtern, um dann am späten Nachmittag ins Tierheim zu fahren, wo er sich meist unentgeltlich um die armen, vernachlässigten Kreaturen kümmerte.
Doch jetzt ging es erst einmal zum Gestüt, wo Gernot sich um einige Pferde kümmern musste. Laura sah augenblicklich etwas unglücklich aus.
„Ich mag Pferde nicht, die sind so groß“, meinte sie.
Gernot lächelte. „Kannst du dir vorstellen, dass die Pferde Angst vor kleinen Mädchen haben?“
„Nein, bestimmt nicht“, kicherte die Kleine.
„Und doch ist es so. Weißt du, Pferde sehen ganz anders als wir Menschen, sie sehen nämlich gleich zwei Bilder, nicht so wie bei uns. Da wird das zu einem Bild zusammengesetzt, was unsere Augen aufnehmen. Aber Pferde sehen dann gleich zwei Mädchen mit raschen Bewegungen und einem ganz lustigen Kichern, und deswegen bekommen sie schnell Angst.“
„Ich glaube Ihnen kein Wort“, stellte Laura würdevoll fest.
„Du darfst mich gern duzen“, bot der Arzt an. „Ich sage ja auch du zu dir.“
„Darf ich?“ Laura wandte sich fragend an ihre Mutter.
„Ich möchte einen Moment darüber nachdenken“, sagte Kordula, die mit dem Verlauf des Gesprächs nicht ganz zufrieden war.
Als der Wagen auf dem Hof des Gestüts anhielt, schickte Kordula das Mädchen vor. „Wie kommen Sie dazu, dem Kind solche Märchen zu erzählen? Ich habe Sie eigentlich für einen vernünftigen Menschen gehalten“, fauchte sie Gernot an.
Der grinste fröhlich, ohne durch ihre harten Worte beleidigt zu sein. „Das sind keine Märchen, Pferde sehen wirklich anders, deshalb sind sie auch so schreckhaft. Und dass ich das Ganze etwas ausgeschmückt habe, ist doch kein Verbrechen, oder?“
„Also wirklich, Dr. Schlüter ...“
„Sagen Sie doch einfach Gernot“, bot er großzügig an, und sein Lächeln war fast unwiderstehlich.
Kordula konnte nicht anders, sie musste ebenfalls lächeln. „Nun gut, ich heiße Kordula. Aber bitte – nicht wieder solche Übertreibungen.“
„Kommt ihr endlich, oder wollt ihr den ganzen Tag reden?“, erkundigte sich jetzt Laura, die plötzlich doch den Mut gefasst hatte, den Pferden gegenüber zu treten. Wider Erwarten stellte das Mädchen fest, dass sie Pferde doch mochte.
Weiter ging es zu einem Bauern, bei dem einige Ferkel eine Impfung brauchten, und danach zu einer älteren Dame, die mit einem Hund allein lebte, der ebenso alt schien wie die Frau selbst.
„Eigentlich wäre es für das Tier eine Erlösung, wenn ich es einschläfere. Aber ich bringe es nicht übers Herz, der alten Dame die letzte Freude im Leben zu nehmen“, gestand Gernot hinterher. „Die alte Frau hängt sehr an dem Tier, und der Hund ist völlig auf sie fixiert. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich denke, es wird der Tag kommen, an dem beide gleichzeitig diese Erde verlassen.“
Kordula war gerührt. Dieser Mann besaß ungeheuer viel Einfühlungsvermögen.
Doch sie änderte ihre Meinung rasch während der Sprechstunde. Gernot konnte sehr bissig und deutlich werden, wenn er der Meinung war, dass jemand sein Tier nicht richtig behandelte. Sie sprach ihn darauf an, als eine Frau mittleren Alters mit ihrer Katze wieder hinausgegangen war – mit Tränen in den Augen.
„Wie können Sie nur so grausam sein?“, fuhr Kordula Gernot an.
Der hielt nicht inne darin, seine Hände zu waschen. „Was Sie als grausam bezeichnen, Kordula“, sagte er schließlich leise, „ist eine bittere Notwendigkeit. Können Sie sich vorstellen, wie es dem Tier gehen würde, wenn ich die Frau nicht frühzeitig auf ihre Fehler hinweise? Vor allem, da diese Frau das Tier seit mehr als einem Jahr falsch behandelt. Sie will einfach nicht verstehen, dass sie der Katze schadet.“
„Ich verstehe nicht ganz“, antwortete Kordula verwirrt. „Sie scheint ihr Tier doch sehr zu lieben.“
In diesem Moment mischte sich Laura ein, die das Gespräch zwischen den beiden verfolgt hatte. „Mama, ist doch klaro. Wenn die Katze zu sehr verwöhnt wird, dann wird sie dick und krank und kann keine Mäuse mehr fangen.“
„Diese Katze hat es nicht nötig Mäuse zu fangen, Laura.“
„Aber das ist es ja gerade“, sagte Gernot ernst. „Ein verwöhntes Tier, das entschieden zu viel gepflegt wird, wird wirklich rasch krank. Ein Leckerli hier, etwas zum Naschen dort, nicht genügend Bewegung – Katzen sind nur scheinbar zahm. Irgendwo in ihnen stecken noch immer die Wildheit und der Drang nach Unabhängigkeit. Und der wird hier bei dieser Katze völlig unterdrückt. Nehmen Sie es mir nicht übel, Kordula, aber ich denke, ich weiß, wie ich mit den Besitzern meiner Patienten umzugehen habe.“
„Ich wollte Sie nicht verletzen, und Ihnen auch keine Vorschriften machen.“ Kordula biss sich auf die Lippen, aber Gernot lächelte verstehend.
„Ich nehme Ihnen Ihre Worte nicht übel, aber verstehen Sie bitte, dass ich zuerst das Tier und dann erst den Menschen sehe.“
„Und das macht Sie den Menschen gegenüber manchmal etwas grob?“
Er zuckte die Schultern. „Wenn Sie das so auffassen wollen ...“
Kordula hielt sich mit weiteren Kommentaren zurück. Dann fiel ihr ein, dass Laura hier in der Praxis eigentlich gut aufgehoben war, und sie beschloss, noch einige Besorgungen zu erledigen. Doch pünktlich am Ende der Sprechstunde war sie wieder da. Schließlich wollte sie jetzt mit Laura zusammen auch Fliege endlich nach Hause holen.
„So, hier haben wir das Kätzchen“, sagte die Frau im Tierheim. „Und Sie sind sicher, dass Sie kein anderes Tier nehmen wollen? Diese Katze ist etwas schwierig“, forschte sie warnend, aber Laura schüttelte energisch den Kopf.
„Die oder keine“, beharrte das Mädchen stur, und Kordula nickte.
„Ich glaube, die beiden haben vom ersten Moment an Freundschaft geschlossen.“
„Umtausch ist ausgeschlossen“, versuchte die Frau einen lahmen Scherz, doch Laura nahm das sehr ernst.
„Ich tausche doch meine Katze nicht um“, erklärte sie empört.
„Ach, Kind, so war das auch nicht gemeint. So, dann wollen wir uns noch um den lästigen Papierkrieg kümmern“, seufzte die Frau.
In dem winzig kleinen Büro, das mit Papieren aller Art vollgestopft war, begann sie eine etwas planlose Suche nach dem Pass der Katze und einer Übernahmeerklärung. Kordula konnte nicht anders, sie musste lächeln.
„Mir scheint, Ihre Art der Ablage ist etwas gewöhnungsbedürftig“, sagte sie dann ohne Spott. „Darf ich helfen?“ Sie besaß eine besondere Art, mit einem ganzen Büro fertig zu werden, und innerhalb weniger Minuten hatte sie nicht nur den Pass der Katze und die sonst noch notwendigen Unterlagen gefunden, sondern sogleich eine gewisse Art Ordnung in das Chaos gebracht.
„Mann, sind Sie gut“, stellte die Frau fest, die sich unterdessen als Pia Fraune vorgestellt hatte. „Eine Bitte – haben Sie vielleicht noch eine halbe Stunde Zeit? Dann könnten Sie den Kram für die beiden nächsten Tiere auch noch erledigen? Ich weiß, ich mute Ihnen da ganz schön etwas zu, aber sehen Sie ...?“
Kordula sah, und sie lächelte und nickte.
„Dann darf ich ein bisschen beim Füttern helfen?“, erkundigte sich Laura.
„Wenn sie niemanden stört?“ Kordula schaute Pia fragend an, aber die schüttelte den Kopf.
„Hier ist jede Hand willkommen, auch eine kleine.“
So kam es, dass Kordula eifrig damit beschäftigt war, die hier notwendigen Papiere auszufüllen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Gernot schaute herein, schüttelte ungläubig den Kopf und lächelte. „Das Chaos steht Ihnen gut“, bemerkte er gut gelaunt.
„Ich habe selten ein schlimmeres gesehen“, gestand Kordula. „Sind Sie dafür verantwortlich?“
„Ich? Gott bewahre, ich habe meinen eigenen Papierkrieg. Aber bis vor kurzem gab es hier eine tüchtige Bürokraft, unsere alte Frau Bremer. Leider ist sie viel zu alt und musste aufhören. Und irgendwie hat noch niemand den Mut gehabt, diese Arbeitsstelle anzunehmen, obwohl wir schon mehr als ein Inserat in der Zeitung hatten. Sie hätten nicht zufällig Lust, diese Arbeit anzunehmen? Aber nein, Sie haben ja eine Stellung. Schade eigentlich, Sie machen mir ganz den Eindruck, als wären Sie mühelos in der Lage, dieses Durcheinanders Herrin zu werden.“
„Sagen Sie, Gernot, wonach beurteilen Sie eigentlich die Menschen? Ich habe Sie für einen Fachmann in Bezug auf Tiere gehalten.“
„Das bin ich auch. Aber ich habe einen guten Blick dafür, ob jemand etwas von einer Sache versteht. Und Sie tun das.“
„Vielen Dank für die Blumen“, erwiderte sie etwas schnippisch. „Ich weiß wirklich nicht, woher Sie die Arroganz nehmen über andere Menschen in dieser Art zu urteilen, mögen es nun die Besitzer Ihrer Patienten sein, oder wer auch immer. Aber glauben Sie eigentlich, Sie liegen damit immer richtig?“
„Nein, bei Ihnen ganz bestimmt nicht“, gab er unumwunden zu. „Ich habe nämlich gedacht, dass Sie ein ganz patenter Kerl sind.“
Empört funkelte sie ihn an, doch noch bevor sie eine scharfe Erwiderung loswerden konnte, tauchte Laura auf. Mit schief gelegtem Kopf und neugierigen Augen musterte sie die beiden Erwachsenen.
„Streitet ihr?“
„Nein, mein Schatz“, erwiderte Kordula rasch. „Mit Gernot kann man gar nicht streiten. Er hat immer recht.“
„Dann ist es ja gut“, stellte Laura zufrieden fest, die jedes Wort für bare Münze nahm. „Weil – wir müssen nächste Woche wieder zu ihm hin, Fliege braucht noch eine Impfung, hat Pia gesagt.“
„Und das können Sie nicht heute schon machen?“, wollte Kordula etwas spitz wissen.
Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Sie würde nicht wirken, weil sich vom letzten Mal noch nicht genügend Antikörper gebildet haben.“
„Na ja, Sie müssen es ja wissen.“
„Wenigstens das gestehen Sie mir also zu?“
„Warum fordern Sie ständig meinen Spott heraus? Und warum provozieren Sie mich?“, fragte Kordula.
„Vielleicht liebe ich das Streitgespräch?“, gab er trocken zurück und schaute Kordula hinterher, als die jetzt mit Laura nach oben ging, um endgültig die Katze zu holen.
„Magst du eigentlich Gernot nicht?“, erkundigte sich Laura auf dem Weg nach Hause.
„Das weiß ich nicht so genau. Aber spielt das denn eine Rolle?“ Kordula war überrumpelt.
„Na ja, ich finde ihn nett.“
„Das kannst du auch, mein Schatz. Niemand hat etwas dagegen.“
„Du auch nicht?“
„Nein, warum sollte ich?“
„Ich weiß nicht genau. Ich dachte, du magst ihn nicht, weil ihr so komisch miteinander redet.“
Kordula war überrascht über die Scharfsinnigkeit des Mädchens. „Ach, weißt du, Laura, Erwachsene benehmen sich manchmal etwas komisch. Und vielleicht haben Gernot und ich das auch getan.“ Sie musste lächeln, zum einen darüber, dass Gernot und sie sich wirklich wie Hund und Katze benommen hatten, zum anderen aber auch über die Beobachtungen ihrer Tochter.
Laura rümpfte die Nase und streichelte dann durch das Gitter des Transportkorbes die Katze. „Sind Erwachsene denn immer so?“
„Nur manchmal“, beeilte Kordula sich zu versichern und dachte unwillkürlich noch einmal an Gernot. Eigentlich war er ein netter, sympathischer Mann. Warum also hatte sie so heftig auf seine Freundlichkeit reagiert? Sie nahm sich vor, beim nächsten Wiedersehen, das ja wohl in der nächsten Woche unvermeidlich war, viel netter zu ihm zu sein.
Die nächsten Tage aber brachten erst einmal eine ganze Menge Sorgen und Probleme bei der Arbeit.
Ein neuer Abteilungsleiter war ernannt worden, und dem konnte niemand etwas recht machen. Besonders auf Kordula hatte er es abgesehen, obwohl sie eigentlich als Perfektionistin galt. Aber vielleicht war es gerade das, was ihm nicht gefiel.
Innerhalb von fünf Tagen war Kordula soweit, dass sie am liebsten ihre Arbeit gekündigt hätte. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen. Wenn sich nicht schnell etwas änderte, würde sie sich auf jeden Fall eine neue Stellung suchen.
Zuerst jedoch wollte sie mit dem Chef sprechen, aber der war nicht bereit, sie in aller Ruhe anzuhören.
Kordula kochte vor Wut, sie war nicht bereit, das alles weiter so hinzunehmen. Bisher hatte immer ein gutes Betriebsklima geherrscht, doch innerhalb weniger Tage war eine Atmosphäre von Feindseligkeit und Misstrauen entstanden. Dann kam ihr eine Idee. Ob die Stelle im Tierheim noch frei war? Sie wollte Gernot fragen, wenn sie ihn morgen mit Laura und Fliege in der Praxis aufsuchte. Schließlich war sie auf eine Arbeit angewiesen, es wäre ihr mehr als unangenehm gewesen, sich arbeitslos zu melden.
Die Praxis war brechend voll. Konnte es denn sein, dass ausgerechnet an diesem Tag alle Leute mit ihren Tieren den Arzt aufsuchen mussten?
Fliege befand sich im Transportkorb, doch allein der Geruch der anderen Tiere schien sie aufzuregen. Bisher hatte Kordula zu Hause noch nicht festgestellt, dass sich die Katze zickig verhielt, wie Pia es genannt hatte. Das mochte vielleicht daran liegen, dass sich Laura sehr intensiv um das Tier kümmerte.
Doch heute schien sie völlig anders. Mit angelegten Ohren hockte sie in dem Korb und fauchte in einer Tour. Laura redete beruhigend auf sie ein und steckte einige Finger durch das Gitter, um Fliege zu streicheln, aber die Katze fauchte erneut und kratzte ihre kleine Besitzerin blutig. Bestürzt schaute Kordula auf zwei tiefe Wunden an der Hand ihrer Tochter.
„Jetzt reicht es!“ Kordula hatte Angst. Irgendwo hatte sie die reinsten Horrorgeschichten über Verletzungen durch Tiere gelesen, und immerhin blutete Laura doch recht stark.
Die Frau riss die Tür zum Sprechzimmer auf und hörte im nächsten Moment die barsche, abweisende Stimme von Gernot.
„Wollen Sie bitte draußen warten, bis Sie dran sind? Andere Patienten sind auch krank.“
„Laura blutet“, fauchte Kordula, und erst jetzt schaute Gernot auf. Sein Blick wurde für einen Moment eisig, bis er auf die Hand des Kindes fiel.
„Bring die Kleine und ihre Mutter in das andere Zimmer“, ordnete er an und kümmerte sich zunächst weiter um den Hund, den er gerade behandelte. Zehn Minuten später aber war er da und kümmerte sich ohne weiteren Gruß erst einmal um Lauras Hand.
„Habe ich dir nicht mal gesagt, dass man aufgeregte Tiere nicht anfassen soll?“, fragte er das Kind mit einem halben Lächeln.
„Aber Fliege gehört doch mir, sie kennt mich“, widersprach Laura und hielt still, während Gernot die Wunden desinfizierte.
„Eine Katze gehört niemandem“, grinste er. „Das ist eher anders herum. Katzen erkennen Menschen manchmal an – als Dosenöffner. So, meine Kleine, da dürfte nichts weiter passieren. Du bist mit Fliege hier? Sie mag andere Tiere nicht besonders, das haben wir schon früher festgestellt. Aber hat man dir das im Tierheim nicht gesagt?“
„Nein, da hieß es nur, sie wäre merkwürdig und zickig“, sagte jetzt Kordula spitz. „Wenn ich vorher gewusst hätte, dass die Katze so reagiert, dann hätte ich ...“
„... alles anders gemacht?“, fragte er leicht ironisch. „Oder stattdessen ein anderes Tier genommen? Kordula, wenn Sie es nicht besser wussten, konnten Sie nicht anders handeln.“ Er holte Fliege heraus, und bei seiner ruhigen Art, und vielleicht auch, weil das Tier den Arzt kannte, wurde sie ruhig. Es war eine rasch erledigte Angelegenheit, der Katze die notwendige Spritze zu geben. Kordula zögerte, für einen Moment kam sie sich ausgesprochen lächerlich vor. Hatte sie nicht gerade zu viel Theater gemacht? Und was sollte Gernot von ihr denken, wenn sie ihn jetzt noch um eine Auskunft bat für einen neuen Arbeitsplatz?
Doch Gernot lächelte sie an, fröhlich und gut gelaunt. Er schien über diese Unterbrechung des normalen Ablaufs also doch nicht böse. Verlegen brachte Kordula ihre Frage vor, und der Tierarzt strahlte plötzlich.
„Nein, soweit ich weiß, ist bis jetzt noch niemand gefunden. Hätten Sie wirklich Interesse daran, Kordula? Ich tue es nicht gerne, doch ich warne Sie. Wer dort arbeitet, braucht nicht nur gute Nerven, sondern auch viel Idealismus.“
„Ja, ich verstehe. Und doch denke ich, es kann im Moment nur besser sein als die augenblickliche Situation.“
„So schlimm?“, erkundigte er sich mitfühlend.
Sie lachte bitter auf. „Wenn ich nach der Beurteilung des neuen Abteilungsleiters gehe, bin ich unfähig das ABC zu entziffern.“
Er lachte. „Ich kann Ihnen aber bestätigen, dass dem nicht so ist. Wollen Sie gleich hinüber ins Tierheim fahren? Dann rufe ich schnell an und melde Sie an.“
„Sie haben doch sicher hier eine Menge zu tun ...“
Er winkte ab. „Im Endeffekt profitiere ich davon, wenn dort alles wieder glatt läuft. Und ich kann Ihnen versprechen, dass man Sie mit Handkuss nehmen wird. Wie schnell können Sie wechseln?“
„Ich muss erst einmal kündigen, aber da wir kurz vor Monatsende sind – in rund vier Wochen könnte ich anfangen.“
„Fantastisch!“
„Heißt das, du arbeitet jetzt für das Tierheim?“, erkundigte sich Laura. „Dann darf ich doch öfter mal mitkommen, oder? Bitte, Mama.“
„Darüber reden wir, wenn es soweit ist“, bestimmte Kordula, die plötzlich Angst vor ihrer eigenen Courage bekam. Ging das nicht alles ein bisschen zu schnell und zu glatt? Ach, egal. Sie wollte nicht länger an ihrem bisherigen Arbeitsplatz bleiben, und eine solche günstige Gelegenheit bot sich bestimmt so schnell nicht wieder. Sicher, sie würde vermutlich etwas weniger verdienen als bisher, doch sie wusste, dass sie auch damit ihr Auskommen haben würde. Und aller Voraussicht nach würde sie auch mehr Zeit für Laura haben, wenn, ja, wenn sie das Kind sogar ab und zu mitnehmen konnte.
Kordula überlegte nicht mehr lange. „Ja, genau so will ich das haben“, erklärte sie mit fester Stimme, und sie hielt das Leuchten in den Augen von Gernot einfach nur für die Freude darüber, dass endlich eine Bürokraft gefunden worden war, die ein bisschen Ordnung in das Chaos bringen würde.
Doch der Mann dachte weiter. Irgendwie verstand er sich selbst allerdings nicht so ganz. Warum schlug sein Herz regelmäßig schneller, wenn er Kordula nur sah? Das war vom ersten Augenblick an so gewesen. Dabei – hatte er nicht gerade erst auf die schmerzhafte Art das Ende einer Beziehung erlebt?
Gernot war nicht der Mann, der sich schnell oder gar unüberlegt an eine Frau band. Deshalb tat auch der Gedanke allein an Ina immer noch so schrecklich weh. Eigentlich hatte er doch gedacht, endlich die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Ina war klug und hübsch, doch leider hatte sich nur allzu rasch gezeigt, dass sie nur wenig Verständnis für das immer etwas unregelmäßige Leben eines Tierarztes aufbrachte. Abgesagte Verabredungen, versäumte Konzerte, gestörte gemütliche Abende waren nun einmal das tägliche Los, und Gernot machte sich schon lange keine Gedanken mehr darüber – für ihn war das die Normalität. Doch Ina hatte nach dem anfänglichen Reiz des Neuen immer mehr auszusetzen gefunden an seiner Arbeit und schließlich auch an ihm selbst. Dann hatte sie mit einem großen Knall das Ende ihrer Beziehung verkündet. Verletzt und gedemütigt hatte Gernot sich zurückgezogen, immer mehr in die Arbeit verkrochen und sich vorgenommen, auf keinen Fall wieder zuzulassen, dass jemand seinem Herzen zu nahe kam.
Und dann war da plötzlich Kordula gewesen. Eine Frau, herzerfrischend offen, sympathisch, ehrlich und offensichtlich mit einer Menge Interesse und Verständnis für Tiere und die damit verbundene Arbeit.
Nein! Er rief sich selbst zur Ordnung. Sicher machte er sich selbst gerade etwas vor. Vielleicht war er noch so tief verletzt, dass er ganz einfach mehr in dieser Frau sehen wollte, als da wirklich war. Doch es machte ihm Spaß mit ihr zu reden, auch wenn ihre Meinungen manchmal auseinander gingen.
Er nahm sich vor, einfach mal darauf zu achten, wie sie sich ihm gegenüber verhielt. Das Kind sollte jedenfalls kein Hindernis sein. Laura war ein reizendes Mädchen, klug, aufgeweckt und fast zu erwachsen für ihr Alter. Sollte sich der Glücksfall als wahr herausstellen, dass Kordula die Arbeit im Tierheim annahm, würde er alles Weitere auf sich zukommen lassen.
Und so verbannte er energisch die Gedanken an Ina aus seinem Kopf. Fröhlich griff er zum Telefon und meldete Kordula an, was dort begeistert aufgenommen wurde.
Kordula war erstaunt, dass Pia, von der sie nun wusste, dass diese praktisch das Tierheim leitete, keine weiteren Zeugnisse haben wollte. Außerdem war alles ziemlich einfach und unkonventionell abgelaufen.
„Was nützt mir ein Zeugnis, in dem drinsteht, dass du deine Arbeit verstehst?“, hatte sie fröhlich verkündet und war einfach zum Du übergegangen. „Ich habe gesehen, dass du innerhalb kürzester Zeit Ordnung geschaffen hattest. Und du liebst Tiere, das habe ich auch gesehen. Jetzt muss ich dich nur noch fragen, ob es dir etwas ausmacht, wenn du auch an anderen Stellen einspringen musst. Weißt du, es kann schon mal vorkommen, dass wir einfach zu wenig Leute an allen Ecken und Kanten sind. Dann müsstest du auch mit saubermachen, füttern oder Hunde ausführen. Und es kann vorkommen, dass die Arbeitszeiten etwas unregelmäßig sind.“
Für einen Moment war Kordula doch ins Zögern gekommen. „Wenn ich ab und zu Laura mitbringen kann, gibt es, glaube ich, keine weiteren Probleme“, war dann doch spontan ihre Antwort gekommen.
„Von Herzen gerne“, hatte Pia erleichtert ausgestoßen, und ihre angespannte Miene hatte sich etwas gelockert. Mit so viel Glück hatte sie nicht gerechnet.
Pia machte mit Kordula jetzt einen Rundgang, um ihr auch das zu zeigen, was diese noch nicht kannte und wohin auch normale Besucher nicht durften. Dann stellte sie ihr die anderen Mitarbeiter vor und fragte, wie schnell Kordula wechseln könnte. Diese Frage kannte sie doch schon? Aber dann kam ihr eine Idee.
„Eigentlich kann ich ja erst nach vier Wochen Kündigungsfrist wechseln. Aber mir steht noch Urlaub zu, und wir wollten ohnehin nicht wegfahren. Das würde heißen, ich kann in zwei Wochen anfangen.“
Ein Strahlen glitt über das Gesicht von Pia. „Das würdest du tun? Herzlich willkommen bei uns.“ Sie drückte Kordula herzlich die Hand, strich Laura über den Kopf und eilte sogleich zurück an die Arbeit.
Laura strahlte. „Da hast du aber jetzt eine tolle Arbeit, Mama.“
„Na, das warten wir doch erst einmal ab. Ich denke, zu Anfang wird es nicht ganz einfach werden. Aber das ist es ja nie, wenn man irgendwo neu anfängt.“
„Du machst das schon.“ Das Vertrauen des Mädchens in die Fähigkeiten der Mutter schien unbegrenzt.
Gleich an ihrem ersten Tag im Tierheim kam Kordula gar nicht dazu, darüber nachzudenken, dass sie hier eigentlich fremd und neu war. Im Grunde hatte sie das Ende ihrer Arbeit in der anderen Firma herbeigesehnt. Nachdem sich ihre Kündigung herumgesprochen hatte, war die Arbeit kaum noch zu ertragen gewesen. Der Abteilungsleiter hatte sie regelrecht schikaniert, bis sie fast soweit gewesen war, sich bis zum Schluss krank zu melden. Aber das wäre ihr wie Feigheit vorgekommen, und Kordula war nicht feige. Und sie hatte auch nicht darauf verzichten wollen, ihrem Vorgesetzten gründlich die Meinung zu sagen. Aber dieser Mann war so sehr von sich selbst überzeugt, dass er ihre Worte nicht einmal für bare Münze hielt. Verständnislos hatte er sie angestarrt und schließlich den Kopf geschüttelt, weil er ihre Kritik an sich nicht zulassen wollte.
Ohne Bedauern hatte Kordula der Firma den Rücken gekehrt. Und nun hatte sie gedacht, erst einmal zwei bis drei Tage für die Einarbeitung zu haben, doch alles kam etwas anders.
Kordula wurde am frühen Morgen begrüßt von einem ganzen Konzert bellender Hunde, die unruhig und auch hungrig in den Zwingern auf und ab liefen. Pia war schon da, und auch Michael und Bastian, die anderen Helfer, sie alle bereiteten in der Futterküche die Näpfe zu.
„Schön, dass du so früh da bist.“ Pia machte keine langen Umstände, sie drückte Kordula eine Gummischürze in die Hand und sagte ihr, wo sie das Futter für die Katzen fand. Mehr als eine Stunde war sie dann damit beschäftigt, die morgendliche Versorgung mit zu übernehmen. Erst danach ging sie in das kleine Büro, in dem wieder das gleiche Chaos herrschte wie bei ihrem allerersten Besuch.
Pia kam irgendwann mit einem Becher heißen Kaffee und ein paar Keksen. „Tut mir leid, du hast dir deinen ersten Tag wahrscheinlich ganz anders vorgestellt. Aber du glaubst gar nicht, wie froh und dankbar ich bin, dass du nicht erst gezögert hast. Solche Leute wie dich brauchen wir. Ich wünschte, es gäbe mehr davon.“
„Sehr schmeichelhaft“, stellte Kordula lächelnd fest. „Aber bist du mit deinem Urteil nicht noch etwas zu früh? Dies ist mein erster Tag.“
„Eben deswegen“, erklärte Pia zwischen zwei Schlucken Kaffee. „Manch anderer hätte erst einmal überlegt, ob das wirklich zum Arbeitsbereich gehört. Du warst großartig und hast einfach mit angefasst. Heute Nachmittag kommt dann die Feuerprobe für dich.“
„Klingt ja schrecklich. Wie meinst du das?“
„Nun, heute kommen Leute, die Tiere nach Hause holen möchten. Aber so gerne wir das auch tun – nicht alle Leute sind für Haustiere geeignet. Na ja, du wirst schon merken, wie ich das meine. Ach ja, und wenn die Polizei sich meldet, dann sag bitte Michael Bescheid und verständige Gernot.“
Pia wollte schon gehen, aber Kordula hielt sie auf.
„Das verstehe ich nicht ganz“, meinte sie trocken. „Was haben wir mit der Polizei zu tun?“
„Himmel, ja, du musst mich für einen schrecklichen Schussel halten. Das liegt sicher daran, dass du mit deiner Ruhe den Eindruck machst, als wärst du schon ewig hier. Die Polizei meldet hier auch Fundtiere und Misshandlungen. Das ist leider gar nicht so selten, wie wir hoffen würden. Deshalb muss Gernot die Tiere sofort untersuchen. Sollte sich dann ein Halter feststellen lassen, kann Anzeige erstattet werden. Ich wünsche es dir nicht, aber früher oder später wirst du auch zu solchen Terminen mitgehen müssen. Aber du hast noch Schonzeit. Wenn du willst, bring deine Laura heute Nachmittag mit, sie kann Hunde ausführen.“
Und schon war Pia davon wie ein Wirbelwind. Kordula schüttelte den Kopf. Hatte sie wirklich gefürchtet, es könnte Probleme mit der Eingewöhnung geben? Nein, von der ersten Minute an hatte sie ganz einfach dazugehört. Und wenn das hier so blieb, würde sie auch bestimmt niemals Langeweile bekommen.
Einer der Vorteile, die Kordula von Anfang an hier gesehen hatte, war die Tatsache, dass sie mittags daheim sein konnte bei ihrer Tochter. Und offensichtlich hatte niemand etwas dagegen, dass Laura nachmittags hier war. Wenn das Kind dann mit den kleineren Hunden einen Spaziergang machte, half sie auch gleichzeitig, denn es waren immer zu viele Tiere für zu wenige helfende Menschen.
Gerade als Kordula zur Mittagspause gehen wollte, kam wirklich noch ein Anruf von der Polizei. Man hatte eine verwahrloste, offensichtlich hochträchtige Hündin in einem Schuppen gefunden.
Kordula schüttelte den Kopf. Was waren das nur für Menschen, die so etwas taten?
Wie angewiesen verständigte sie Michael und Gernot, dann fuhr sie zunächst nach Hause.
Drei Wochen waren vergangen wie im Flug. Kordula hatte sich mühelos eingearbeitet, die Arbeit auch mit den Tieren machte ihr Freude, und auch einige der Besucher bereiteten ihr Spaß. Nicht alle, ganz bestimmt nicht. Doch die meisten Menschen kamen wirklich aus dem Bedürfnis heraus, den Tieren zu helfen und ihnen mit einem neuen Zuhause etwas Gutes zu tun. Zwei- bis dreimal pro Woche durfte auch Laura die Nachmittage hier verbringen. Das Kind hatte sich schnell mit einigen der Tiere angefreundet. Ihre besonderen Lieblinge blieben die Katzen, aber auch Meerschweinchen und sogar zwei Schildkröten waren neben einigen Hamstern und Kaninchen zu versorgen, und das waren durchaus Arbeiten, die das Mädchen mit Sorgfalt und Umsicht ausführte.
Kordula hingegen hatte noch an ihrem ersten Tag die Bekanntschaft von Della gemacht. Das war die Hündin, die man gefunden hatte. Michael und Gernot brachten das entkräftete und misshandelte Tier am Nachmittag ins Heim, und vom ersten Augenblick an fühlte Kordula sich zu der Golden Retriever-Hündin hingezogen. Mit großen braunen Augen hatte Della die Frau angesehen, als Gernot sie mit sanften, vorsichtigen Bewegungen in eine gepolsterte Box legte. Der Leib des Tieres war füllig, an den Flanken gab es blutige Striemen, das Fell war voller Schorf, verkrustetem Blut und Schlamm.
„Wer kann denn so etwas tun?“, war es Kordula entfahren, die vor Mitleid gar nicht wusste, was sie zuerst tun sollte.
„Pass auf, sie könnte nach dir beißen. Sie hat vom Menschen bisher nicht viel Gutes erfahren“, warnte Gernot, ohne sich darum zu kümmern, dass er Kordula duzte. Sie kümmerte sich nicht weiter um seine Worte. Stattdessen stellte sie einen Napf mit Wasser in Reichweite und sprach beruhigend auf das bebende Tier ein. Dann hielt sie zum Schnuppern die Hand in die Nähe der Nase und streichelte schließlich zart über den Kopf.
„Ich mag neu hier sein, aber ich bin nicht ganz dumm“, erwiderte die junge Frau dann im ruhigen Tonfall.
Gernot grinste. „Ich habe doch gewusst, dass wir mit dir ein Goldstück an Land gezogen haben. Du verfällst also nicht gleich in Panik, wenn du so etwas siehst?“
„Nein, eher dann, wenn ich denjenigen in die Finger bekomme, der dem Tier das angetan hat.“
„Die Polizei hat gegen den Halter Anzeige erstattet, aber weiß Gott, die Strafen sind lächerlich gering. Kannst du sie festhalten, während ich sie weiter untersuche?“
Es war ein faszinierendes Gefühl zwischen den beiden Menschen, sie schienen sich blind zu verstehen. Und auch die Hündin wusste, dass keiner von diesen beiden ihr etwas zuleide tun würde. Sicher war sie auch viel zu entkräftet, um Widerstand zu leisten, doch der Blick, den sie auf Kordula richtete, war voller Vertrauen.
Es verging in der Folgezeit kein Tag, an dem Kordula sich nicht um Della kümmerte, wie auch Laura die Hündin gleich ins Herz schloss. Die Mutter hatte es nicht einfach, dem Mädchen begreiflich zu machen, dass es Menschen gab, die einem Tier so etwas Schreckliches antun konnten. Gernot war es, der viele Worte fand, doch Laura war von einem heiligen Feuereifer erfüllt.
„Solche Leute dürften doch keine Tiere halten“, empörte sie sich. „Gibt es denn niemanden, der das überprüft?“