Ayla und der Stein des Feuers - Jean M. Auel - E-Book
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Ayla und der Stein des Feuers E-Book

Jean M. Auel

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Beschreibung

Band 5 der Steinzeit-Saga von Jean M. Auel

Das neue Buch aus der erfolgreichen Vorzeitsaga "Die Kinder der Erde"! Nach vielen Abenteuern sind Ayla und Jondalar am Ziel ihrer Reise angelangt. Während Jondalar von seinem Stamm freudig begrüßt wird, bringt man Ayla anfangs nur Abneigung und Misstrauen entgegen.

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Jean M. Auel

Ayla

und der Stein des Feuers

Roman

Aus dem Amerikanischen von Maja Ueberle-Pfaff und Christoph Trunk

Heyne

Die Originalausgabe »The Shelters of Stone« erschien bei Crown Publishers, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2002 by Jean M. Auel

Copyright © dieser Ausgabe 2003 by

Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by Heyne Verlag,

in derPenguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Eisele Grafik Design

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-07921-5

V003

www.heyne.de

Für KENDALL, der mehr darüber weiß, was kommen wird, als fast jeder andere, ausgenommen seine Mutter, und für CHRISTY, die Mutter seiner Söhne, und für FORREST, SKYLAR und SLADE, drei von den Besten, in Liebe

WOHNSIEDLUNGEN

Die Neunte HöhleDie Neunte Höhle der ZelandoniiKleines TalDie Vierzehnte Höhle der ZelandoniiFlusswinkelDie Elfte Höhle der ZelandoniiFelsen der zwei FlüsseDie Dritte Höhle der ZelandoniiPferdekopffelsenDie Siebte Höhle der ZelandoniiHerdfeuer der ÄltestenDie Zweite Höhle der ZelandoniiDrei FelsenDie Neunundzwanzigste Höhle der ZeladoniiSommerlagerWestgrotte von Drei Felsen, Neunundzwanzigste HöhleSüdwandwarteNordgrotte von Drei Felsen, Neunundzwanzigste HöhleAbglanz FelsenSüdgrotte von Drei Felsen, Neunundzwanzigste HöhleAltes TalDie Fünfte Höhle der ZelandoniiBergkammDie Neunzehnte Höhle der Zelandonii

1

Menschen versammelten sich auf dem Absatz der Kalksteinwand und blickten argwöhnisch auf sie hinunter. Keiner zeigte eine Willkommensgeste, und manche hielten Speere und schienen sich, auch wenn sie nicht damit drohten, durchaus bereitzuhalten, sie auch zu schleudern. Die junge Frau konnte die nervöse Angst der Leute fast mit Händen greifen. Sie beobachtete unten vom Pfad aus, wie sich weitere Menschen auf den Felsabsatz drängten und auf sie herabstarrten. Es waren weit mehr, als sie erwartet hatte. Ihr Widerstreben, sie angemessen zu begrüßen, kannte sie bereits von anderen Menschen, denen sie und ihr Gefährte auf ihrer Reise begegnet waren. Das ist nichts Besonderes, sagte sie sich, am Anfang ist es immer so. Dennoch war ihr unbehaglich zumute.

Der hoch gewachsene Mann sprang vom Rücken des jungen Hengstes herab. Er wirkte weder beklommen noch angespannt, zögerte aber einen Moment und ließ das Halfter des Pferdes nicht los. Er wandte sich um und sah, dass seine Begleiterin sich lieber im Hintergrund hielt. »Ayla, nimmst du bitte Renners Leine? Er scheint unruhig zu sein«, sagte er und blickte dann zum Felsvorsprung hinauf. »Ich glaube, die dort oben sind es auch.«

Sie nickte, schwang das Bein über den Rücken ihrer Stute, ließ sich herabgleiten und ergriff die Leine. Der junge braune Hengst war nicht nur wegen der fremden Leute nervös, sondern auch immer noch brünstig. Auch wenn die Stute nicht mehr hitzig war, so verströmte sie doch nach wie vor die Gerüche von ihrer Begegnung mit dem Leithengst der Herde. Ayla hielt das Halfter des Braunen kurz, während sie der falben Stute viel Spiel gab und stellte sich zwischen die beiden. Sie hatte überlegt, ob sie Winnie die Zügel schießen lassen sollte, denn mittlerweile war die Stute mehr an große Gruppen von Fremden gewohnt und ließ sich meist nicht aus der Ruhe bringen. Jetzt aber schien auch sie beunruhigt zu sein. Diese Menschenmenge hätte jedes lebende Wesen nervös gemacht.

Als die Menge den Wolf zu Gesicht bekam, drangen von dem Sims vor der Höhle aufgeregte und erschreckte Laute herab. Aber war das wirklich eine Höhle? Eine wie diese hatte Ayla nie gesehen. Wolf strich an ihrem Bein entlang und schob sich ein wenig vor sie, während er eine argwöhnische Verteidigungshaltung einnahm. Sie konnte das Vibrieren seines leisen Knurrens spüren. Inzwischen war er gegenüber Fremden weitaus vorsichtiger als noch vor einem Jahr, als sie sich auf ihre lange Reise begaben, doch damals war er fast noch ein Welpe gewesen. Seitdem hatten einige gefahrvolle Erlebnisse seine Beschützerinstinkte gegenüber Ayla geweckt.

Als der Mann den Abhang hinauf auf die angespannt wartende Menge zuschritt, war ihm keine Furcht anzumerken. Die Frau aber war froh, dass sie zurückbleiben und die Menschen weiterhin beobachten konnte, ehe es zur Begegnung kam. Sie hatte sich auf diesen Augenblick seit über einem Jahr vorbereitet und ihn gefürchtet. Der erste Eindruck war entscheidend, und zwar auf beiden Seiten.

Eine junge Frau löste sich aus der Menge und eilte auf Jondalar zu. Er erkannte seine kleine Schwester sofort wieder, obgleich das hübsche Mädchen in den fünf Jahren seiner Abwesenheit zu einer schönen jungen Frau erblüht war.

»Jondalar! Ich wusste, dass du es bist! «, rief sie und warf ihm die Arme um den Hals. »Endlich kommst du wieder nach Hause!«

Er drückte sie fest an sich, hob sie voller Freude hoch und drehte sich dabei mit ihr im Kreis. »Folara, ich bin so glücklich, dich zu sehen!« Er setzte sie wieder ab, hielt sie auf Armeslänge von sich und betrachtete sie. »Aber du bist erwachsen geworden. Du warst noch ein Mädchen, als ich ging, und jetzt bist du eine schöne Frau – so, wie ich es immer erwartet habe.« Das Funkeln in seinen Augen verriet ein wenig mehr als nur brüderlichen Stolz.

Sie lächelte ihn an, blickte in seine unglaublich lebendigen blauen Augen, deren Ausstrahlung sie sofort in ihren Bann zog. Sie merkte, wie sie errötete, nicht wegen des Kompliments – das dachten die Umstehenden –, sondern weil sie den Mann, den sie lange Jahre nicht gesehen hatte, so anziehend fand, ungeachtet dessen, dass er ihr Bruder war. Sie hatte Geschichten gehört über ihren gut aussehenden großen Bruder mit den außergewöhnlichen Augen, der jede Frau bezaubern konnte, doch in ihrer Erinnerung war er ein großer, liebevoller Spielkamerad, der bei allem mitgemacht hatte, was sie unternehmen wollte. Nun als junge Frau spürte sie sein starkes, unbewusstes Charisma zum ersten Mal in vollem Ausmaß. Jondalar merkte, was in ihr vorging, und musste über ihre süße Verwirrung lächeln.

Sie blickte hinab zu dem Pfad bei dem kleinen Fluss. »Wer ist diese Frau, Jondé?«, wollte sie wissen. »Und wo kommen die Tiere her? Tiere rennen doch vor den Menschen weg. Warum laufen sie vor ihr nicht davon? Ist sie eine Zelandoni? Hat sie sie ›gerufen‹?« Sie runzelte die Stirn: »Wo ist Thonolan? « Ihr stockte der Atem, als sie den Schmerz in Jondalars Gesicht sah.

»Thonolan reist nun durch die nächste Welt, Folara«, sagte er, »und ich selbst wäre nicht hier, wenn diese Frau nicht gewesen wäre.«

»Oh, Jondé! Was ist geschehen?«

»Das ist eine lange Geschichte, und jetzt ist nicht die rechte Zeit, sie zu erzählen«, sagte er. Er musste lächeln, weil sie ihn Jondé genannt hatte. Das war ihr Spitzname für ihn. »Diesen Namen habe ich nicht mehr gehört, seit ich fortgegangen bin. Jetzt weiß ich, dass ich zu Hause bin. Wie geht es euch allen, Folara? Wie geht es Mutter? Und Willomar?«

»Sie sind beide wohlauf. Vor ein paar Jahren hat Mutter uns einen Schrecken eingejagt. Aber Zelandoni hat ihren Zauber eingesetzt, und jetzt geht es ihr wieder gut. Komm und sieh selbst«, sagte sie, nahm ihn an der Hand und führte ihn das letzte Stück des Pfades hinauf.

Jondalar drehte sich um und winkte Ayla zu, um ihr zu bedeuten, dass er bald zurück wäre. Er ließ sie nur ungern allein mit den Tieren zurück, aber er wollte seine Mutter sehen, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Die Sache mit dem Schrecken, den sie den anderen eingejagt hatte, beunruhigte ihn. Außerdem musste er mit den Leuten über die Tiere sprechen. Er und Ayla wussten, wie fremd und furchterregend für die meisten Menschen der Anblick von Tieren war, die nicht vor ihnen wegliefen.

Alle Menschen, denen sie auf ihrer Reise begegnet waren, jagten Tiere, und meist achteten und verehrten sie sie oder ihre Geister auf die eine oder andere Weise. Seit Menschengedenken hatte man Tiere aufmerksam und genau beobachtet. Es war bekannt, welche Orte und welche Nahrung die verschiedenen Tierarten bevorzugten, wie ihre jahreszeitlichen Wanderungen aussahen und zu welchen Zeiten sie sich paarten und ihre Jungen gebaren. Aber niemand hatte jemals versucht, ein lebendiges Tier in freundlicher Absicht zu berühren. Niemand hatte je versucht, irgendeinem Tier ein Seil um den Hals zu legen und es daran herumzuführen. Niemand hatte je versucht, ein Tier zu zähmen, oder sich auch nur vorgestellt, dass das überhaupt möglich war.

So sehr die Leute sich darüber freuten, dass einer der Ihren von einer langen Reise zurückkehrte – und noch dazu einer, den jemals wiederzusehen nur wenige erwartet hatten –, war ihre erste Regung doch Angst, denn zahme Tiere waren für sie etwas völlig Unbekanntes. Das Phänomen war für sie derart fremd und unerklärlich und widersprach ihren Erfahrungen und Vorstellungen so sehr, dass sie glaubten, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Es musste etwas Widernatürliches oder sogar Übernatürliches im Spiel sein. Viele von ihnen wären am liebsten weggerannt, um sich zu verstecken, oder mit Waffen auf die furchteinflößenden Tiere losgegangen. Was sie davon abhielt, war einzig und allein, dass Jondalar, den sie ja kannten, mit den Tieren gekommen war und nun mit seiner Schwester den Pfad vom Waldfluss hochschritt und im hellen Sonnenlicht ganz und gar vertraut aussah.

Folara hatte einigen Mut bewiesen, indem sie so auf ihren Bruder zugestürmt war, doch sie war jung und besaß die Furchtlosigkeit der Jugend. Und sie freute sich so sehr, den Bruder zu sehen, an dem sie immer besonders gehangen hatte, dass sie nicht hatte warten können. Jondalar würde nie irgendetwas tun, um ihr zu schaden, und ganz offensichtlich hatte er selbst keine Angst vor den Tieren.

Ayla beobachtete unten vom Pfad aus, wie die Leute Jondalar umringten und willkommen hießen, ihn anlächelten, umarmten, küssten, ihm die Hand auf die Schulter legten oder beide Hände reichten. Das Stimmengewirr war groß. Ihr fielen eine ungeheuer dicke Frau auf, ein braunhaariger Mann, den Jondalar in die Arme schloss, und eine ältere Frau, die er mit besonderer Herzlichkeit begrüßte und dann noch eine Weile umfasst hielt. Das ist vermutlich seine Mutter, dachte sie, und fragte sich, was die Frau wohl von ihr halten würde.

Diese Menschen waren seine Familie, seine Sippe, seine Freunde, mit denen er aufgewachsen war. Sie dagegen war eine Fremde, eine verstörende Fremde, die von Tieren begleitet wurde und vielleicht noch ganz andere bedrohliche Sitten und unerhörte Ideen mitbrachte. Würden die Leute sie dennoch akzeptieren? Und was, wenn sie sie ablehnten? Sie konnte nicht einfach zurück, denn ihre Leute lebten mehr als eine Jahresreise weit im Osten. Jondalar hatte versprochen, dass er wieder mit ihr fortgehen würde, falls sie das wollte – oder dazu gezwungen war –, doch das war gewesen, bevor er alle wiedersah und so herzlich empfangen wurde. Wie würde er jetzt darüber denken?

Sie bekam von hinten einen Stups und streckte die Hand aus, um über Winnies kräftigen Hals zu streichen, dankbar, weil ihre Freundin sie daran erinnerte, dass sie nicht allein war. Als sie den Clan verlassen und im Tal gelebt hatte, war die Stute eine Zeit lang ihre einzige Gefährtin gewesen. Eben hatte Ayla es nicht bemerkt, dass Winnie sich näherte und die Leine dabei lockerer wurde. Nun gab sie auch Renner ein wenig mehr Leine. Meist fanden die Stute und ihr Sohn beieinander Freundschaft und Trost, doch als die Stute hitzig wurde, hatte das ihr gewohntes Verhältnis durcheinander gebracht.

Mittlerweile hatten sich noch mehr Menschen eingefunden, die in Aylas Richtung schauten – wie konnten es denn nur so viele sein? Jondalar sprach mit ernster Miene mit dem braunhaarigen Mann, winkte dann in Aylas Richtung und lächelte. Als er sich auf den Weg zurück nach unten machte, folgten ihm die junge Frau, der braunhaarige Mann und einige andere. Ayla holte tief Luft und wartete.

Als sie näher kamen, begann der Wolf lauter zu knurren. Ayla legte ihm die Hand auf den Nacken, um ihn dicht bei sich zu halten. »Es ist schon gut, Wolf«, sagte sie, »das sind nur Jondalars Leute.« Die besänftigende Berührung signalisierte ihm, dass er mit dem Knurren aufhören sollte, damit er nicht zu bedrohlich wirkte. Es war nicht leicht gewesen, ihm das Zeichen beizubringen, aber die Mühe hatte sich gelohnt, dachte sie, besonders in Situationen wie dieser. Sie wünschte, sie würde eine Berührung kennen, die sie selbst beruhigte.

Jondalars Begleiter blieben in einiger Entfernung stehen und versuchten ihre Beklommenheit zu verbergen. Sie vermieden es, in Richtung der Tiere zu schauen, die sie ihrerseits freiheraus anstarrten und an ihrem Platz blieben, obwohl sich fremde Menschen auf sie zubewegten. Jondalar stellte sich zwischen Ayla und die anderen.

»Ich glaube, wir sollten nun mit der förmlichen Vorstellung beginnen, Joharran«, sagte er zu dem braunhaarigen Mann.

Als Ayla die Halteleinen niederlegte, um für die förmliche Vorstellung beide Hände freizuhaben, gingen die Pferde ein wenig zurück, während der Wolf blieb, wo er war. Sie sah die Angst in den Augen des Mannes aufblitzen, der auf sie indes den Eindruck machte, als fürchte er sich sonst nur vor wenigen Dingen. Sie blickte zu Jondalar. Hatte er einen besonderen Grund dafür, dass er sogleich zur förmlichen Vorstellung übergehen wollte? Sie schaute sich den fremden Mann genauer an, und mit einem Mal erinnerte er sie an Brun, den Anführer des Clans, bei dem sie aufgewachsen war. Der kraftvolle, stolze, kluge und fähige Brun hatte vor nichts Angst gehabt, außer vor der Welt der Geister.

»Ayla«, sagte Jondalar ernst, »das ist Joharran, Anführer der Neunten Höhle der Zelandonii, Sohn von Marthona, der einstigen Anführerin der Neunten Höhle, geboren am Herdfeuer des Joconan, dem einstigen Anführer der Neunten Höhle.« Mit einem Lächeln fuhr er fort: »Nebenbei auch Bruder von Jondalar, dem Reisenden in ferne Länder.«

Ein kurzes Lächeln huschte über die Gesichter. Jondalars Bemerkung milderte die Anspannung ein wenig. Bei einer förmlichen Vorstellung war es streng genommen möglich, die Stellung einer Person anhand einer vollständigen Liste kundzugeben und nicht nur ihre eigenen Namen, Beinamen, Titel und Taten aufzuzählen, sondern auch alle wichtigen Verwandten und mit ihnen in Beziehung Stehenden mit deren Titeln und Taten. Auf diese Weise verfuhr man aber meist nur, wenn es sehr feierlich zuging. In der Regel beließ man es bei den wichtigsten Angaben. Es war nichts Ungewöhnliches, dass jüngere Leute, insbesondere Brüder, das ausgiebige und manchmal ermüdende Rezitieren der Verwandtschaftsbeziehungen mit scherzhaften Ausschmückungen anreicherten. Jondalar hatte seinen Bruder an die Jahre erinnert, in denen noch nicht die Verantwortung als Anführer auf ihm gelastet hatte.

»Joharran, das ist Ayla von den Mamutoi, Angehörige des Löwenlagers, Tochter vom Herdfeuer des Mammut, vom Geist des Höhlenlöwen Erwählte, vom Höhlenbären Beschützte. «

Der braunhaarige Mann kam auf die junge Frau zugeschritten und streckte beide Hände mit den Handflächen nach oben aus, in der allgemein gebräuchlichen Geste des Willkommens, der Offenheit und der Freundschaft. Ihre Zugehörigkeiten und Beinamen waren ihm alle unbekannt, und so war er sich nicht sicher, welche die wichtigsten waren.

»Im Namen von Doni, der Großen Erdmutter, heiße ich dich willkommen, Ayla von den Mamutoi, Tochter vom Herdfeuer des Mammut«, sagte er.

Ayla legte ihre Hände auf die seinen und sagte: »Im Namen von Mut, der Großen Mutter Allen Lebens, grüße ich dich, Joharran, Anführer der Neunten Höhle der Zelandonii«, und lächelnd fügte sie hinzu: »und Bruder des Reisenden Jondalar. «

Joharran bemerkte, dass sie seine Sprache beherrschte, aber mit einem ungewöhnlichen Akzent sprach. Ihm wurde auch bewusst, wie fremd ihre Kleidung und ihre ganze Erscheinung waren, doch als sie lächelte, lächelte er zurück, weil ihre letzten Worte deutlich machten, dass sie Jondalars Bemerkung verstanden hatte und Joharran zeigen wollte, dass sein Bruder ihr wichtig war. Vor allem aber fand er ihr Lächeln unwiderstehlich.

Ayla war, ganz gleich, welche Maßstäbe man anlegte, eine attraktive Frau: Sie war groß, hatte einen straffen, wohlgeformten Körper, langes, dunkelblondes, leicht gewelltes Haar, klare blaugraue Augen und feine Gesichtszüge, die indes von etwas anderer Art waren als die der Zelandonii-Frauen. Wenn sie aber lächelte, dann war es, als würde ein Sonnenstrahl jeden Zug ihres Gesichtes von innen her erleuchten. Ihre Schönheit war so strahlend und überwältigend, dass es Joharran schier den Atem verschlug. Jondalar hatte ihr schon oft gesagt, wie außergewöhnlich ihr Lächeln sei, und er schmunzelte, als er entdeckte, dass auch sein Bruder empfänglich dafür war.

Joharran bemerkte, wie der Hengst nervös auf Jondalar zutänzelte, und blickte dann auf den Wolf. »Jondalar sagt mir, dass wir diese Tiere, äh, irgendwo unterbringen müssen – irgendwo in der Nähe, nehme ich an.« Aber nicht zu nahe, dachte er.

»Die Pferde brauchen nur eine Wiese mit Gras, wo Wasser in der Nähe ist«, sagte Ayla. »Wir müssen den Leuten aber sagen, dass sie am Anfang nicht versuchen sollten, sich den Pferden zu nähern, wenn Jondalar oder ich nicht dabei sind. Solange Winnie und Renner sich an einen Menschen noch nicht gewöhnt haben, sind sie nervös.«

»Ich sehe da keine Schwierigkeit«, sagte Joharran. Aus dem Augenwinkel sah er Winnie mit dem Schwanz schlagen und beobachtete sie wachsam. »Sie können hier bleiben, falls dieses kleine Tal dafür geeignet ist.«

»Ja, das wäre gut«, sagte Jondalar. »Wir bringen sie aber wohl besser ein Stück flussaufwärts, damit sie ein wenig aus dem Weg sind.«

»Wolf ist daran gewöhnt, in meiner Nähe zu schlafen«, fuhr Ayla fort. Sie sah, wie Joharran besorgt die Stirn in Falten legte. »Er will mich beschützen, und wenn er nicht in meiner Nähe sein kann, gibt das möglicherweise großen Aufruhr. «

Vor allem an der sorgenvoll gerunzelten Stirn konnte sie sehen, wie sehr die Brüder einander ähnelten, und beinahe wäre wieder ein Lächeln über ihr Gesicht gehuscht. Joharran aber schaute so ernst und besorgt drein, dass dies nicht der rechte Augenblick dafür schien, selbst wenn seine Miene ihr so angenehm vertraut vorkam.

Auch Jondalar hatte das Stirnrunzeln seines Bruders bemerkt. »Ich glaube, das wäre ein guter Zeitpunkt, um Joharran mit Wolf bekannt zu machen«, sagte er.

Joharrans Augen weiteten sich in Panik, doch ehe er etwas einwenden konnte, ergriff Ayla seine Hand und ging neben dem Fleischfresser in die Hocke. Sie legte den Arm um den Hals des großen Wolfs, um das aufkommende Knurren zu unterdrücken. Selbst sie konnte die Angst des Mannes riechen und wusste also, dass auch der Wolf sie wahrnahm.

»Lass ihn zuerst an deiner Hand riechen«, sagte sie. »So geht bei Wolf die förmliche Vorstellung.« Der Wolf hatte gelernt, wie wichtig es Ayla war, dass er einen aus seinem Menschenrudel, den sie ihm auf diese Weise vorstellte, freundlich akzeptierte. Er mochte den Angstgeruch nicht, beschnüffelte den Mann aber dennoch, um mit ihm vertraut zu werden.

»Hast du jemals das Fell eines lebendigen Wolfs berührt, Joharran?«, fragte sie und schaute zu ihm hoch. »Du kannst spüren, dass es ein wenig borstig ist«, sagte sie und führte ihm die Hand, damit er das zottelige Halsfell des Tieres fühlte. »Er ist immer noch dabei, sich zu haaren, und es juckt ihn oft. Deshalb gefällt es ihm sehr, wenn man ihn hinter den Ohren krault.« Sie zeigte Joharran, wie er es machen sollte.

Joharran befühlte den Pelz, nahm aber vor allem die Körperwärme wahr. Er hatte wirklich einen lebendigen Wolf vor sich! Dem Raubtier aber schien es gar nichts auszumachen, dass er es berührte.

Ayla merkte, dass Joharrans Hand nicht mehr so verkrampft war und dass er wirklich die Stelle zu streicheln versuchte, die sie ihm gezeigt hatte. »Lass ihn noch einmal an deiner Hand riechen.«

Als Joharran die Hand zur Nase des Wolfs führte, weiteten sich seine Augen erneut, doch diesmal vor Überraschung. »Der Wolf hat mich an der Hand geleckt!«, sagte er, ohne recht zu wissen, ob er das nun als erfreulich oder bedrohlich empfinden sollte. Dann sah er, wie der Wolf Ayla über das Gesicht leckte und ihr das sehr zu gefallen schien.

»Ja, du warst brav, Wolf«, sagte sie lächelnd, während sie ihn streichelte und ihm die Mähne zauste. Dann stand sie auf und klopfte vorn auf ihre Schultern. Der Wolf sprang an ihr hoch und setzte die Pfoten auf die angezeigten Stellen. Als sie ihm den Hals darbot, leckte er ihn ab, um sodann mit einem tiefen Knurren, aber höchst behutsam ihr Kinn in sein Maul zu nehmen.

Jondalar hörte, wie Joharran und die anderen vor Staunen nach Luft schnappten, und machte sich klar, wie furchterregend der ihm so vertraute Akt wölfischer Zuneigung jenen erscheinen musste, die nicht verstanden, was da geschah. In der Miene seines Bruders mischten sich Furcht und Verblüffung: »Was tut er mit ihr?«

Folara fragte fast gleichzeitig: »Bist du sicher, dass da auch nichts passiert?« Sie konnte nicht länger stillhalten, und auch bei den anderen entlud sich die Anspannung in fahrigen Gesten und Bewegungen.

Jondalar lächelte. »Ja, für Ayla besteht keine Gefahr. Er hat sie gern und würde ihr nie weh tun. Das ist die Art, wie Wölfe ihre Zuneigung zeigen. Auch ich habe eine Weile gebraucht, um mich daran zu gewöhnen, und ich kenne Wolf so lange wie sie, seit er ein wuscheliger kleiner Welpe war.«

»Aber das ist kein Welpe!«, sagte Joharran. »Das ist ein großer Wolf! Das ist der größte Wolf, den ich je gesehen habe! Er könnte ihr den Hals wegreißen!«

»Ja, das könnte er. Ich habe gesehen, wie er einer Frau den Hals weggerissen hat, einer Frau, die Ayla töten wollte. Wolf beschützt sie.«

Den zuschauenden Zelandonii entfuhr ein kollektiver Seufzer, als der Wolf von Ayla abließ und wieder neben ihr stand. Sein Maul stand offen, so dass die Zunge zur Seite heraushing und die Zähne zu sehen waren. Das war sein Wolfsgrinsen, mit dem er zeigte, wie zufrieden er mit sich war.

»Macht er das immer?«, fragte Folara. »Bei allen?«

»Nein«, sagte Jondalar. »Nur bei Ayla und manchmal bei mir, wenn er sich besonders wohl fühlt, und nur, wenn wir ihn lassen. Er ist gut erzogen und würde keinem Menschen weh tun – außer wenn Ayla bedroht wird.«

»Und was ist mit Kindern?«, wollte Folara wissen. »Wölfe haben es oft auf die Schwachen und die Jungen abgesehen.« Die Gesichter der Umstehenden verrieten ebenfalls Besorgnis.

»Wolf liebt Kinder«, erklärte Ayla rasch, »und sein Beschützerinstinkt ist bei ihnen sehr stark, besonders bei den ganz kleinen oder schwachen. Er ist mit den Kindern des Löwenlagers aufgewachsen.«

Jondalar fügte hinzu: »Am Löwen-Herdfeuer gab es einen sehr schwachen und kränklichen Jungen. Ihr hättet sehen sollen, wie sie miteinander gespielt haben. Wolf gab immer sehr auf ihn Acht.«

»Das ist ein sehr ungewöhnliches Tier«, sagte einer der Männer. »Es ist schwer zu glauben, dass ein Wolf sich so ... unwölfisch verhält.«

»Du hast Recht, Solaban«, sagte Jondalar. »Sein Verhalten kommt Menschen oft sehr unwölfisch vor, aber wenn wir Wölfe wären, würden wir das ganz anders sehen. Ayla sagt, dass er zusammen mit Menschen aufgewachsen ist und sie deshalb für sein Rudel hält. Er behandelt Menschen so, als wären sie Wölfe.«

»Geht er jagen?«, fragte der Mann, den Jondalar Solaban genannt hatte.

»Ja«, antwortete Ayla. »Manchmal jagt er allein und für sich selbst, manchmal hilft er uns bei der Jagd.«

»Woher weiß er«, fragte Folara, »was er jagen soll und was nicht? Warum greift er zum Beispiel die Pferde nicht an?«

Ayla lächelte. »Auch die Pferde gehören für ihn zum Rudel. Du siehst, dass sie keine Angst vor ihm haben. Und er jagt niemals Menschen. Ansonsten kann er jedes Tier jagen, das er will, außer wenn ich es ihm verbiete.«

»Und er gehorcht dir dann wirklich?«, fragte einer der Männer.

»So ist es, Rushemar«, bestätigte Jondalar.

Der Mann schüttelte verwundert den Kopf. Es war schwer zu glauben, dass jemand ein so mächtiges Raubtier unter Kontrolle hatte.

»Was meinst du, Joharran?«, sagte Jondalar. »Können wir es wagen, mit Ayla und Wolf hinaufzugehen?«

Joharran dachte einen Augenblick nach und nickte dann. »Aber falls es irgendwelche Schwierigkeiten gibt ...«

»Es wird keine geben, Joharran.« Jondalar wandte sich an Ayla. »Marthona, meine Mutter, hat uns eingeladen, bei ihr zu wohnen. Folara wohnt bei ihr, aber sie hat ihren eigenen Raum, ebenso wie Marthona und Willamar. Er ist fort, um Handel zu treiben. Sie hat uns den zentralen Wohnraum angeboten. Wir können natürlich bei Zelandoni am Besucher-Herdfeuer unterkommen, wenn dir das lieber wäre.«

»Ich würde sehr gern bei deiner Mutter wohnen, Jondalar«, sagte Ayla.

»Gut. Mutter hat außerdem vorgeschlagen, dass wir mit den meisten förmlichen Vorstellungen noch warten, bis wir richtig angekommen sind. Ich selbst muss ja nicht mehr vorgestellt werden, und es hat keinen Sinn, bei jedem Einzelnen immer alles zu wiederholen, wenn wir das später alles auf einmal erledigen können.«

»Wir sind schon dabei, ein Willkommensfest für heute Abend vorzubereiten«, sagte Folara. »Ein weiteres wird wohl später stattfinden, für alle umliegenden Höhlen.«

»Ich weiß zu schätzen, dass deine Mutter sich so viele Gedanken gemacht hat, Jondalar«, sagte Ayla. »Es wird sicherlich einfacher sein, wenn ihr mich mit allen auf einmal bekannt macht. Aber du könntest mir jetzt dennoch diese junge Frau vorstellen.«

Folara lächelte.

»Das hatte ich selbstverständlich vor«, sagte Jondalar. »Ayla, das ist meine Schwester Folara, gesegnet von Doni, aus der Neunten Höhle der Zelandonii; Tochter von Marthona, der früheren Anführerin der Neunten Höhle; geboren am Herdfeuer von Willamar, dem Reisenden und Handelsmeister; Schwester von Joharran, dem Anführer der Neunten Höhle; Schwester von Jondalar ...«

»Dich kennt sie ja schon, Jondalar, und ich habe ihre Namen und Zugehörigkeiten bereits gehört«, sagte Folara, die keine Geduld mehr für die Formalitäten aufbrachte, und reichte Ayla beide Hände. »Im Namen von Doni, der Großen Erdmutter, heiße ich dich willkommen, Ayla von den Mamutoi, Freundin der Pferde und der Wölfe.«

Die Menschen auf dem sonnenbeschienenen Felssims wichen eilig zurück, als sie sahen, wie die Frau und der Wolf zusammen mit Jondalar und den anderen den Pfad hochkamen. Einer oder zwei wagten sich einen Schritt vor, während andere sich hinter ihnen hielten und die Hälse reckten. Auf dem Felsabsatz angelangt, bekam Ayla einen ersten Eindruck von dem Ort, den die Neunte Höhle der Zelandonii bewohnte, und war überrascht.

Sie wusste, dass das Wort »Höhle«, das Jondalars Heimat bezeichnete, keinen Ort, sondern eine Gruppe von Menschen bezeichnete, und die Felsformation, die sie vor sich sah, war auch tatsächlich keine Höhle im eigentlichen Sinn. Eine Höhle, das war eine dunkle Kammer oder eine Reihe von Hohlräumen in einer Felswand oder unter der Erde, mit einer Öffnung nach draußen. Diese Menschen aber hatten sich in einem Abri eingerichtet, einer nischenartigen Höhlung unter einem riesigen Felsüberhang, der aus der Kalkwand herausragte und vor Regen und Schnee schützte, aber das Tageslicht einließ.

Die hohen Felsen der Gegend waren einst der Grund eines Meeres gewesen. Die kalkhaltigen Panzer von Schalentieren, die in dem Meer lebten, sammelten sich mit der Zeit auf dem Meeresboden an und wurden schließlich zu Kalziumkarbonat, also zu Kalkstein. Während bestimmter Zeitabschnitte entstanden aus den abgelagerten Schalen Kalkschichten, die härter als die übrigen Schichten waren. Als Verschiebungen in der Erdkruste den Meeresboden anhoben, bis schließlich überseeische Felsformationen aus ihm wurden, konnten Wind und Wasser die weicheren Schichten leichter abtragen, so dass sich tiefe Einschnitte und Höhlungen bildeten und darüber und darunter Bänder und Vorsprünge aus härterem Stein stehen blieben.

Diese ungewöhnlichen nischenartigen Felsformationen bildeten, neben den für Kalkfelsen typischen Hohlräumen, die auch hier in großer Zahl vorkamen, steinerne Zufluchtsorte, die als Wohnstätten hervorragend geeignet waren und seit vielen tausenden von Jahren auch als solche genutzt wurden.

Jondalar führte Ayla zu der älteren Frau, die sie vom Pfad aus gesehen hatte und die nun geduldig wartete. Sie war hoch gewachsen, und ihre Haltung zeugte von Würde. Ihr Haar, in dem das Grau das Hellbraun überwog, war aus dem Gesicht zurückgekämmt und zu einem langen Zopf geflochten, der am Hinterkopf aufgerollt war. Ihre grauen Augen waren klar, direkt und aufmerksam.

Als sie bei ihr anlangten, begann Jondalar mit der förmlichen Vorstellung. »Ayla, dies ist Marthona, einstige Anführerin der Neunten Höhle der Zelandonii, Tochter von Jemara, geboren am Herdfeuer von Rabanar, verbunden mit Willamar, dem Handelsmeister der Neunten Höhle, Mutter von Joharran, dem Anführer der Neunten Höhle, Mutter von Folara, die gesegnet ist von Doni, Mutter von ...« Beinahe hätte er Thonolan genannt, besann sich dann und sagte: »... von Jondalar, dem heimgekehrten Reisenden.« Dann wandte er sich an seine Mutter.

»Marthona, dies ist Ayla vom Löwenlager der Mamutoi, Tochter vom Herdfeuer des Mammut, vom Geist des Höhlenlöwen Erwählte, vom Höhlenbären Beschützte.«

Marthona streckte beide Hände aus. »Im Namen von Doni, der Großen Erdmutter, heiße ich dich willkommen, Ayla von den Mamutoi.«

Ayla reichte ihr die Hände und sagte dabei: »Im Namen von Mut, der Großen Mutter allen Lebens, grüße ich dich, Marthona von der Neunten Höhle der Zelandonii, Mutter von Jondalar.«

Marthona fielen an Aylas Sprechweise gewisse Eigenheiten auf, und sie dachte, dass es sich entweder um einen kleinen Sprachfehler handelte oder aber um den Akzent einer ihr völlig fremden Sprache aus einer weit entfernten Gegend. Sie lächelte. »Du bist von weit her gekommen, Ayla, und hast alles, was du kanntest und liebtest, zurücklassen müssen. Hättest du das nicht getan, dann wäre wohl Jondalar nicht wieder hier bei mir. Ich bin dir dankbar dafür. Ich hoffe, du wirst dich hier bald zu Hause fühlen, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen.«

Ayla spürte, dass Jondalars Mutter ihre Worte ernst meinte und direkt und aufrichtig ihre Freude darüber zum Ausdruck brachte, ihren Sohn wieder bei sich zu haben. Ayla war erleichtert und gerührt, dass Marthona sie so empfing. Sie antwortete ebenso direkt und aufrichtig: »Ich habe mich darauf gefreut, dich kennen zu lernen, seit Jondalar das erste Mal von dir sprach ... aber ich habe auch ein wenig Angst gehabt.«

»Das kann ich gut verstehen. Für mich an deiner Stelle wäre das genauso schwierig gewesen. Komm, ich möchte dir zeigen, wo du deine Sachen unterbringen kannst. Du musst müde sein und willst vor der Willkommensfeier heute Abend sicher ein wenig ausruhen.« Marthona wandte sich um, um ihnen unter den Felsüberhang vorauszugehen. Doch plötzlich begann Wolf zu jaulen, ließ sein kleines »Welpengebell« hören und streckte, ganz als wolle er spielen, die Vorderpfoten nach vorn, während er Hinterteil und Schwanz anhob.

Erschrocken fragte Jondalar: »Was macht er denn?«

Auch Ayla war überrascht. Als aber Wolf seine Laute und Bewegungen noch einmal wiederholte, erschien plötzlich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Ich glaube, er will Marthona auf sich aufmerksam machen«, sagte sie. »Er denkt, sie hätte ihn nicht bemerkt, und möchte ihr vorgestellt werden.«

»Ja, auch ich möchte ihn kennen lernen«, sagte Marthona.

»Du hast keine Angst vor ihm«, sagte Ayla. »Und das merkt er.«

»Ich habe zugeschaut«, erwiderte Marthona, »und nichts gesehen, vor dem ich Angst haben müsste.« Sie streckte Wolf die Hand hin. Er beschnüffelte sie, leckte daran und gab erneut ein Jaulen von sich.

»Ich glaube, Wolf möchte, dass du ihn anfasst«, sagte Ayla. »Er hat es wirklich sehr gern, wenn Menschen, die er mag, ihm ihre Aufmerksamkeit schenken.«

»Das gefällt dir, nicht wahr?«, sagte Marthona, während sie Wolf streichelte. »Wie hast du ihn genannt, Ayla? Einfach Wolf?«

»Ja. Das schien der passende Name für ihn zu sein.«

»Ich habe noch nie gesehen, dass er jemanden so rasch gut leiden konnte«, sagte Jondalar, und seine Stimme verriet großen Respekt vor seiner Mutter.

»Mir geht es genauso«, sagte Ayla und beobachtete, wie Marthona mit dem Wolf umging. »Vielleicht freut er sich einfach, einen Menschen zu treffen, der überhaupt keine Angst vor ihm hat.«

Als sie in den Schatten unter dem Überhang traten, spürte Ayla sogleich, dass es dort kühler war. Einen Herzschlag lang bekam sie Angst, und es schauderte sie, als sie zu dem riesigen Steinsims hochblickte, der aus der Felswand ragte. Würde es über ihr zusammenbrechen? Als sich aber die Augen an das gedämpfte Licht gewöhnten, erfüllte Jondalars Zuhause sie von neuem mit Staunen. Die Höhlung unter dem Felsen war viel geräumiger, als sie sich das vorgestellt hatte.

Auf dem Weg entlang dem Fluss hatte sie in den Felswänden ähnliche Nischen gesehen. Manche davon waren offensichtlich bewohnt gewesen, aber keine hatte derart geräumig gewirkt. Diese riesige Felsenzuflucht, in der eine große Zahl von Menschen lebte, war in weitem Umkreis bekannt. Die Neunte Höhle war die größte unter den Gemeinschaften, die sich selbst Zelandonii nannten.

Am östlichen Ende der Nische, entlang der rückwärtigen Wand und freistehend zur Mitte hin, waren verschiedene Aufbauten zu sehen. Viele waren recht groß, und sie bestanden teils aus Stein, teils aus hölzernen Rahmen, die mit Tierfellen bespannt waren. Die Felle waren mit schönen Tierdarstellungen und verschiedenen abstrakten Symbolen in Schwarz und vielen kräftigen Rot-, Gelb- und Brauntönen verziert. Die Aufbauten waren in einem nach Westen weisenden Bogen angeordnet, um eine freie Fläche herum, die in etwa den Mittelpunkt des Raumes bildete.

Als Ayla genauer hinschaute, erkannte sie in dem, was ihr zunächst als ein kunterbunter Wirrwarr von Dingen und Menschen erschienen war, einzelne Abschnitte, die für bestimmte Arbeiten vorgesehen waren, wobei verwandte Bereiche oft nebeneinander lagen. Das Ganze wirkte anfangs nur deshalb unübersichtlich und verwirrend, weil so viele Tätigkeiten gleichzeitig ausgeführt wurden.

Sie sah Tierhäute, die zum Trocknen über Holzrahmen gebreitet waren, und lange Speerschäfte, die offenbar noch gerade gebogen werden mussten und an einer auf zwei Pfosten ruhenden Querstange lehnten. An einer anderen Stelle waren Körbe in verschiedenen Phasen der Fertigstellung aufeinander gestapelt, und sie sah Lederriemen, die zwischen jeweils zwei Pfosten aus Tierknochen zum Trocknen aufgespannt waren. Lange Seilstränge hingen von Zapfen an Querbalken herab, über noch unvollendeten Netzen, die über einen Rahmen gezogen waren, und locker gewirkten Netzschnüren, die in Bündeln am Boden lagen. An einer Stelle wurden Häute zertrennt, die zum Teil gefärbt waren, unter anderem in vielen verschiedenen Rottönen, und nicht weit davon hingen Kleidungsstücke, an denen noch dieser oder jener Teil fehlte.

Die meisten Handwerksarbeiten waren Ayla vertraut, aber nahe der Ecke, in der Kleidung angefertigt wurde, entdeckte sie etwas, das ihr völlig fremd war. In einen Rahmen waren viele senkrecht verlaufende dünne Schnüre gespannt, und durch das Material, das waagerecht dazu eingeflochten war, begann ein Muster zu entstehen. Sie wäre gern sofort hinübergegangen, um sich das näher zu betrachten, doch sie nahm sich das für später vor. An anderen Stellen im Raum erblickte sie Gegenstände – Kellen, Löffel, Schüsseln, Zangen, Waffen – , die aus Holz, Stein, Knochen, Geweih und Mammutelfenbein hergestellt und größtenteils mit geschnitzten oder auch aufgemalten Ornamenten verziert waren. Sie entdeckte auch kleine Skulpturen und Schnitzereien, die sicherlich keine Werkzeuge oder Gebrauchsgegenstände waren, und fragte sich, welchem Zweck sie wohl dienen mochten.

Sie sah große Gestelle mit zahlreichen Querstangen, an denen hoch oben Gemüse und Kräuter und weiter unten Fleischstreifen zum Trocknen hingen. In einiger Entfernung von allen übrigen Verrichtungen gab es eine Stelle, die mit scharfkantigen Steinscherben übersät war. Hier arbeiteten vermutlich Feuersteinschläger wie Jondalar, dachte sie, die die Kunst beherrschten, aus Feuerstein Werkzeuge, Messer und Speerspitzen anzufertigen.

Und wohin sie sich auch wandte, sah sie Menschen. Die Gemeinschaft, die hier lebte, war der geräumigen Felsennische entsprechend sehr groß. Ayla war in einem Clan mit weniger als dreißig Mitgliedern aufgewachsen. Bei dem Clan-Miething, das einmal alle sieben Jahre stattfand, kamen für kurze Zeit zweihundert Menschen zusammen, was ihr damals als eine riesige Menge erschienen war. Beim Sommertreffen der Mamutoi versammelten sich zwar wesentlich mehr Leute, doch zur Neunten Höhle der Zelandonii allein gehörten über zweihundert Menschen, die an diesem einen Ort wohnten und also eine Gruppe bildeten, die größer war als das gesamte Clan-Miething!

2

Die Frau mit der massigen Statur blickte auf, als sich der Ledervorhang über dem Eingang von Marthonas Wohnplatz bewegte, sah aber sofort wieder weg, als die junge blonde Fremde heraustrat. Sie saß an ihrem gewohnten Platz, einem Sitz, der aus einem massiven Kalksteinblock gehauen und stabil genug war, ihr Gewicht zu tragen. Der mit Leder gepolsterte Sitz war eigens für sie angefertigt worden und stand genau da, wo sie ihn haben wollte: im rückwärtigen Teil der großen offenen Fläche innerhalb der gewaltigen, der Siedlung Schutz bietenden Felsnische, mit Blick auf nahezu den gesamten gemeinsam genutzten Raum.

Die große Frau schien in sich versunken zu sein, aber es war nicht das erste Mal, dass sie ihren Platz nutzte, um einen Menschen oder ein Geschehen still zu beobachten. Die anderen hatten gelernt, sie nur im Notfall zu stören, wenn sie so versunken schien, besonders wenn sie ihre Brustspange aus Elfenbein mit der schlichten, unverzierten Seite nach vorn trug. War die Seite mit den geschnitzten Symbolen und Tieren zu sehen, so konnte sich ihr jeder ohne weiteres nähern. Die leere Seite dagegen bedeutete Stille und zeigte an, dass sie schweigen und ungestört sein wollte.

Die Angehörigen der Neunten Höhle hatten sich so sehr daran gewöhnt, wie sie auf ihrem Sitz verharrte, dass sie dort, trotz ihrer eindrucksvollen Erscheinung, kaum mehr wahrgenommen wurde. Wegen ihrer sorgfältig gehüteten Unauffälligkeit hegte sie keinerlei Bedenken. Als spirituelle Anführerin der Neunten Höhle der Zelandonii fühlte sie sich für das Wohlergehen aller verantwortlich und nutzte jedes Mittel, auf das ihr erfindungsreicher Geist verfiel, um ihre Aufgabe zu erfüllen.

Sie beobachtete die junge Frau, wie sie die Felsennische verließ und auf den Pfad zusteuerte, der ins Tal hinabführte. Das fremdartige Aussehen ihrer Ledertunika war unverkennbar, und aus den federnden Bewegungen sprachen Gesundheit, Kraft und ein Selbstvertrauen, dem ihre Jugend und die Tatsache, dass sie sich auf völlig fremdem Territorium bewegte, keinen Abbruch zu tun schienen.

Zelandoni erhob sich und ging auf den Wohnplatz zu. Von dieser Art gab es viele von unterschiedlicher Größe, die in der Felsnische verstreut lagen. Am Eingang, der den privaten Wohnbereich vom Raum der Allgemeinheit trennte, klopfte sie auf das steife Stück ungegerbten Leders neben dem Vorhang und hörte daraufhin durch weiche Ledersohlen gedämpfte Schritte, die sich näherten. Der große, blonde und erstaunlich gut aussehende Mann zog den Vorhang zur Seite. Seine leuchtend blauen Augen weiteten sich verblüfft, um sodann erfreut zu strahlen.

»Zelandoni! Wie schön, dich zu sehen«, sagte er, »aber Mutter ist gerade nicht da.«

»Wie kommst du darauf, dass ich wegen Marthona hier bin? Du bist derjenige, der fünf Jahre lang weg war.« Ihr Ton war scharf.

Plötzlich war er verwirrt und wusste nicht, was er sagen sollte.

»Wie ist es, willst du mich hier draußen stehen lassen, Jondalar ?«

»Oh ... komm doch herein, ja«, sagte er. Seine Stirn legte sich in die typischen Falten, das warme Lächeln war verschwunden. Er wich zurück und hielt den Vorhang zur Seite, während sie eintrat.

Eine Weile lang musterten sie einander schweigend. Als er fortgegangen war, war sie gerade zur Ersten unter Denen, Die Der Mutter Dienen, geworden. Sie hatte fünf Jahre Zeit gehabt, um in ihre Position hineinzuwachsen, und das war auch im wörtlichen Sinne geschehen. Die Frau, die er gekannt hatte, war ungeheuer dick geworden. Sie war zwei- oder dreimal so schwer wie die meisten anderen Frauen und hatte riesige Brüste und ein ausladendes Gesäß. Unter ihrem weichen, runden Gesicht hing ein Dreifachkinn, doch ihren durchdringenden blauen Augen schien nichts zu entgehen. Sie war schon immer groß und kräftig gewesen und bewegte und benahm sich mit einer Würde, die den Anspruch auf ihre herausragende Stellung bekräftigte. Ihre Präsenz und ihre machtvolle Aura forderten Respekt.

Sie hoben gleichzeitig an zu sprechen. »Kann ich dir etwas ...«, fing Jondalar an.

»Du hast dich nicht sehr ...«

»Tut mir Leid ...«, sagte er entschuldigend, als hätte er sie unterbrochen, und fühlte sich merkwürdig befangen. Dann bemerkte er bei ihr den Anflug eines Lächelns und einen vertrauten Blick in ihren Augen und spürte, wie seine Anspannung nachließ.

»Ich freue mich, dich zu sehen ... Zolena«, sagte er. Seine Stirn glättete sich, und sein Lächeln kehrte wieder, als er seine bezwingenden Augen voll Herzlichkeit und Liebe fest auf sie richtete.

»Du hast dich nicht sehr verändert«, wiederholte sie und merkte, wie sie auf seine Ausstrahlung ansprach, die Erinnerungen in ihr wachrief. »Seit langem hat mich niemand mehr Zolena genannt.« Sie bedachte ihn erneut mit einem prüfenden Blick. »Nein, du hast dich doch verändert. Du bist erwachsener geworden. Und du siehst besser aus als je zuvor.« Er wollte protestieren, aber sie schüttelte den Kopf. »Du brauchst das nicht abzustreiten, Jondalar. Du weißt, es ist wahr. Aber etwas ist anders geworden. Du siehst ... wie soll ich sagen ... du hast nicht mehr diesen hungrigen Blick, diese Sehnsucht, die jede Frau gerne gestillt hätte. Ich glaube, du hast gefunden, wonach du gesucht hast. Du bist auf eine Weise glücklich, wie du das nie zuvor warst.«

»Vor dir habe ich noch nie etwas verbergen können«, sagte er aufgeregt, mit fast kindlicher Freude. »Es ist Ayla. Bei der Hochzeitszeremonie diesen Sommer wollen wir uns verbinden. Wir hätten wohl eine Hochzeitsfeier ausrichten können, ehe wir loszogen, oder das unterwegs tun können, aber ich wollte damit warten, bis wir nach Hause kommen, damit du das Band um unsere Hände schlingen und den Knoten für uns knüpfen kannst.«

Allein dadurch, dass er über Ayla sprach, hatte seine Miene sich verändert, und Zelandoni spürte einen Augenblick lang, dass er diese Frau geradezu besessen liebte. Das beunruhigte sie, die Stimme, Stellvertreterin und Werkzeug der Großen Erdmutter war, und weckte in ihr sämtliche Schutzinstinkte, die sich auf ihr Volk richteten – und besonders auf diesen Mann. Sie wusste um die machtvollen Empfindungen, mit denen er als Heranwachsender gekämpft und die er schließlich zu zügeln gelernt hatte. Eine Frau aber, die er so sehr liebte, konnte ihn furchtbar verletzen und ihn vielleicht sogar zugrunde richten. Sie wollte mehr über die junge Frau wissen, die ihn so vollständig in ihren Bann geschlagen hatte. Was für eine Art von Macht hatte sie über ihn?

»Wie kannst du so sicher sein, dass sie zu dir passt? Wo hast du sie kennen gelernt? Wie viel weißt du wirklich über sie?«

Jondalar spürte ihre Sorge, und er war seinerseits beunruhigt. Zelandoni war die oberste aller Zelandonia, der spirituellen Anführerinnen, und sie hatte diesen Rang nicht von ungefähr inne. Sie besaß Macht, und er wollte nicht, dass sie sich gegen Ayla wandte. Die größte Sorge, die ihn – und, wie er wusste, auch Ayla – während der langen und schwierigen Reise geplagt hatte, war gewesen, ob seine Leute Ayla wohl akzeptieren würden. Vieles an ihr war außergewöhnlich, und es wäre ihm eigentlich lieb gewesen, wenn sie einiges davon vor den anderen verborgen hätte. Er bezweifelte aber, dass sie sich darauf einlassen würde. Wahrscheinlich würde sie mit einigen Leuten hier ohnehin genügend Schwierigkeiten bekommen, auch wenn sie Zelandoni nicht zur Feindin hatte. Sie würde also sogar mehr als alle anderen auf die Unterstützung Zelandonis angewiesen sein.

Er streckte die Hände aus und fasste die Frau an den Schultern. Er musste sie irgendwie dazu bringen, Ayla nicht nur zu akzeptieren, sondern ihr auch zu helfen. Als er ihr in die Augen sah, musste er daran denken, wie sie einander einst geliebt hatten, und er wusste plötzlich, dass vollkommene Aufrichtigkeit das Einzige war, was ihn hier weiterbringen konnte, so schwer ihm das auch fallen mochte.

Jondalar gab im Allgemeinen nicht gern preis, was in ihm vorging. Er hatte gelernt, auf diese Weise seine starken Gefühlsregungen unter Kontrolle zu halten. Es war nicht leicht für ihn, einer Person seine Empfindungen zu offenbaren, selbst wenn sie ihn so gut kannte wie diese Frau.

»Zelandoni ...« Seine Stimme wurde weicher. »Zolena ... du weißt, dass du mich für andere Frauen verdorben hast. Ich war fast noch ein Junge, und du warst die aufregendste Frau, die ein Mann sich wünschen konnte. Ich war nicht der Einzige, den nachts das Verlangen nach dir plagte, aber du hast meine Träume wahr gemacht. Ich war von Liebe entflammt, und als du zu mir kamst und meine Donii-Frau wurdest, konnte ich nicht genug von dir bekommen. Mein erstes Erwachen als Mann war ganz von dir erfüllt, aber du weißt, dass es dabei nicht geblieben ist. Ich wollte mehr, genau wie du, so sehr du dich auch dagegen gewehrt hast. Obwohl es verboten war, liebte ich dich, und du liebtest mich. Ich liebe dich noch immer. Ich werde dich immer lieben ... Auch später, nachdem wir die anderen in Aufruhr versetzt hatten, nachdem Mutter mich zu Dalanar geschickt hatte, damit ich bei ihm lebte, und nachdem ich von dort zurückkehrte, kam nie eine an dich heran. Ich hungerte nach dir, wenn ich befriedigt und erschöpft neben einer anderen Frau lag, und ich hungerte nach mehr als deinem Körper. Ich wollte ein Herdfeuer mit dir teilen. Mir war gleichgültig, dass der Altersunterschied zwischen uns groß war und dass kein Mann sich in seine Donii-Frau verlieben sollte. Ich wollte mein ganzes Leben an deiner Seite verbringen. «

»Aber schau, was du dann bekommen hättest, Jondalar«, sagte Zolena. Sie war ergriffen, in stärkerem Maße, als sie das noch für möglich gehalten hätte. »Hast du genau hingeschaut? Ich bin nicht nur älter als du. Ich bin so dick, dass ich allmählich Schwierigkeiten habe, mich zu bewegen. Ich habe immer noch Kraft, sonst wäre es schlimmer, aber mit der Zeit wird sie nachlassen. Du bist jung und so schön anzuschauen – Frauen bekommen Sehnsucht bei deinem Anblick. Die Mutter hat mich erwählt. Sie muss gewusst haben, dass ich irgendwann ihre Gestalt annehmen würde. Für Zelandoni ist das in Ordnung, aber in deinem Haus wäre ich einfach eine fette, alte Frau gewesen, und du wärst immer noch ein gut aussehender junger Mann.«

»Meinst du denn, das hätte mir etwas ausgemacht? Zolena, ich musste bis über das Ende des Großen Mutter Flusses hinaus reisen, ehe ich eine Frau fand, die dem Vergleich mit dir standhielt – und du kannst dir nicht vorstellen, wie weit es dorthin ist. Ich würde es wieder tun, und noch mehr als das. Ich danke der Großen Mutter, dass ich Ayla gefunden habe. Ich liebe sie so, wie ich dich geliebt hätte. Sei gut zu ihr, Zolena... Zelandoni. Tu ihr nicht weh.«

»Aber sicher! Wenn sie richtig für dich ist, wenn sie ›dem Vergleich standhält‹, dann kann ich ihr nicht weh tun, und sie wird und kann dir nicht weh tun. Das ist es, was ich wissen musste, Jondalar.«

Der Vorhang vor dem Eingang wurde zur Seite geschoben, und Ayla trug ihr Reisegepäck herein. Sie sah, dass Jondalar die ungeheuer dicke Frau an den Schultern gefasst hielt. Er zog die Hände weg und blickte verwirrt, ja beinahe beschämt drein, als habe er etwas Falsches getan.

Es war etwas Besonderes daran, wie Jondalar die Frau angeschaut und an den Schultern berührt hatte. Und die Frau? Trotz ihrer Massigkeit war etwas Verführerisches in ihrer Haltung. Jetzt aber traten rasch andere Züge in den Vordergrund. Als sie sich zu Ayla hindrehte, zeigten ihre Bewegungen, aus denen Sicherheit und Selbstbeherrschung sprachen, über welch große Autorität sie verfügte.

Es war der jungen Frau zur zweiten Natur geworden, kleine Details des Gesichtsausdruckes und der Körperhaltung genau zu beobachten und zu deuten. Im Clan, in dem sie aufgewachsen war, verständigten sich die Menschen in erster Linie nicht mit Worten, sondern mit Zeichen, Gesten und feinen Abstufungen des Mienenspiels und der Körperhaltung. In ihrer Zeit bei den Mamutoi hatte sie zunehmend die unbewussten Signale und Gesten von Menschen zu verstehen gelernt, und diese Fähigkeit wandte sie nun auch bei Menschen an, die sich vorwiegend der Sprache bedienten. Plötzlich wusste Ayla, wen sie vor sich hatte und dass zwischen den beiden gerade etwas Wichtiges vorgegangen war, das auch sie selbst betraf. Sie spürte, dass dies jetzt eine Bewährungsprobe war, doch sie zögerte keinen Augenblick.

»Sie ist es, nicht wahr, Jondalar?«, fragte sie, während sie näher trat.

»Ich bin was?«, wollte Zelandoni wissen und funkelte die Fremde an.

Ayla hielt dem Blick stand, ohne zurückzuzucken. »Du bist diejenige, der ich zu danken habe«, sagte sie. »Bevor ich Jondalar traf, verstand ich die Gaben der Mutter nicht, besonders ihre Gabe der Wonnen. Ich hatte nur Schmerzen und Wut gekannt, doch Jondalar war geduldig und sanft, und ich lernte die Wonnen kennen. Er sprach von der Frau, die ihn das gelehrt hatte. Ich danke dir, Zelandoni, dass du Jondalars Lehrerin warst, so dass er mir ihre Gabe weitergeben konnte. Ich bin dir aber für etwas noch Wichtigeres dankbar – für etwas, das dir schwerer gefallen sein muss. Danke, dass du ihn freigegeben hast, so dass er mich finden konnte.«

Zelandoni war überrascht, auch wenn sie sich das kaum anmerken ließ. Auf diese Worte war sie in keiner Weise gefasst gewesen. Sie forschte weiter in Aylas Augen und versuchte, einen Blick in ihr Innerstes, ihre tiefsten Empfindungen, ihr wahres Wesen zu werfen. Ähnlich wie Ayla war sie in der Lage, unbewusste Signale der Körpersprache zu lesen, auch wenn sie dabei intuitiver vorging. Sie hatte diese Fähigkeit nicht entwickelt, indem sie eine in der Kindheit erlernte Zeichensprache auf neue Bereiche übertrug, sondern durch stilles Beobachten und instinktives Analysieren, doch ihr Scharfblick war ebenso ausgeprägt wie der Aylas. Zelandoni wusste nicht, wie sie zu ihren Einsichten gelangte – sie stellten sich einfach ein.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass die junge Frau die Sprache der Zelandonii zwar fließend zu beherrschen schien – sie bediente sich ihrer so souverän, als sei es ihre Muttersprache – , kleine Details aber keinen Zweifel daran ließen, dass sie eine Fremde war.

Fremde, die mit einem Akzent sprachen, waren für Die, Die Dient, nichts Neues, doch Aylas Redeweise wirkte exotischer als alles, was sie bis dahin je gehört hatte. Die Stimme war nicht unangenehm. Sie war recht tief und ein wenig kehlig, und mit bestimmten Lauten hatte Ayla offenbar Mühe. Zelandoni erinnerte sich an Jondalars Bemerkung, wie weit ihn seine Reise geführt hatte, und während sie und Ayla einander ein paar Herzschläge lang stumm betrachteten, dachte sie bei sich: Ja, diese Frau ist zu einer sehr weiten Reise bereit gewesen, um Jondalar in seine Heimat zu begleiten.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass das Gesicht der jungen Frau ausgesprochen fremdartig auf sie wirkte, und sie versuchte zu ergründen, woher dieser Eindruck rührte. Ayla war attraktiv, aber das hätte man von jeder Frau erwartet, die Jondalar mit nach Hause brachte. Ihr Gesicht war etwas breiter und kürzer als das einer Zelandonii-Frau, aber schön proportioniert, mit einem wohlgeformten Kiefer. Sie war eine Spur größer als Zelandoni, und das eher dunkelblonde Haar war mit von der Sonne aufgehellten Strähnen durchsetzt. Die klaren graublauen Augen bargen Geheimnisse und verrieten einen starken Willen, aber keinerlei Bosheit.

Zelandoni nickte und wandte sich an Jondalar: »Ja, du hast gut gewählt.«

Er atmete hörbar aus und schaute dann von der einen zur anderen. »Woher wusstest du, dass das Zelandoni ist, Ayla? Ich glaube nicht, dass ihr einander bereits vorgestellt wurdet.«

»Das war nicht schwer. Du liebst sie noch, und sie liebt dich.«

»Aber ... aber ... wie ...?«, stotterte er.

»Verstehst du denn nicht? Ich habe diesen Blick in ihren Augen gesehen. Meinst du, ich würde die Gefühle einer liebenden Frau nicht kennen?«

»Manche Menschen wären eifersüchtig«, erwiderte er, »wenn sie sehen, wie jemand, den sie lieben, einen anderen Menschen voller Liebe anschaut.«

Zelandoni vermutete, dass er mit »manchen Menschen« eigentlich sich selbst meinte. Sie warf ein: »Aber denk auch daran, Jondalar, dass sie einen schönen jungen Mann und eine dicke alte Frau vor sich sieht. Das ist das, was jeder sehen würde. Deine Liebe zu mir ist keine Gefahr für sie. Wenn aber deine Erinnerung dich blind macht, bin ich durchaus dafür dankbar.«

Sie wandte sich an Ayla: »Ich war mir nicht sicher, was ich von dir halten sollte. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass du nicht zu ihm passt, dann wäre es ganz gleich gewesen, wie weit ihr gereist seid – du hättest dich niemals mit ihm verbinden können.«

»Du könntest nichts tun, um uns davon abzuhalten«, gab Ayla zurück.

»Siehst du?«, sagte Zelandoni zu Jondalar. »Ich habe dir gesagt, wenn sie die Richtige für dich ist, dann kann ich ihr nichts anhaben.«

»Hast du denn seinerzeit gedacht, dass Marona zu mir passt?«, sagte Jondalar ein wenig gereizt, weil er das Gefühl bekam, dass die zwei Frauen ihm keinen Raum dafür ließen, sich eine eigene Meinung über seine Empfindungen zu bilden. »Du hattest nie etwas dagegen einzuwenden, dass ich ihr versprochen wurde.«

»Das war nicht wichtig. Du hast sie nicht geliebt. Sie konnte dir nicht weh tun.«

Beide Frauen schauten ihn an, und obwohl sie einander eigentlich nicht ähnlich sahen, glich sich ihr Mienenspiel jetzt so sehr, dass sie hätten Schwestern sein können. Plötzlich lachte Jondalar auf und sagte: »Also, ich bin froh zu wissen, dass die zwei geliebten Frauen meines Lebens Freundinnen sein werden.«

Zelandoni zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen strengen Blick zu. »Wie kommst du denn auf den Gedanken, dass wir uns anfreunden werden?« Doch als sie hinausging, lächelte sie still vor sich hin.

Jondalar war von widerstreitenden Gefühlen erfüllt, als er Zelandoni den Wohnplatz verlassen sah, doch er war froh, dass die mächtige Frau offenbar bereit war, Ayla zu akzeptieren. Auch seine Schwester war Ayla freundlich begegnet, ebenso wie seine Mutter. Alle Frauen, die ihm hier wirklich wichtig waren, nahmen Ayla also mit offenen Armen auf – das war zumindest ein guter Anfang, dachte er. Seine Mutter hatte sogar zu ihr gesagt, sie würde alles tun, was in ihrer Macht stehe, damit Ayla sich zu Hause fühlen würde.

Der Ledervorhang bewegte sich, und Jondalar war ein wenig überrascht, als seine Mutter, an die er gerade gedacht hatte, vor ihm stand. Marthona trug den konservierten Magen eines mittelgroßen Tiers bei sich. Der Behälter war nahezu wasserdicht, trotzdem war immerhin so viel aus ihm herausgesickert, dass er dunkelrot gefleckt war. Ein Lächeln ging über Jondalars Gesicht.

»Mutter, du hast etwas von deinem Wein hervorgeholt!«, rief er. »Ayla, erinnerst du dich an das Getränk, dass wir bei den Sharamudoi bekamen? Den Heidelbeerwein? Du bekommst nun Gelegenheit, auch Marthonas Wein zu probieren. Sie ist bekannt dafür. Bei den meisten Leuten wird der Saft sauer, ganz gleich, welche Früchte sie dafür nehmen, aber Mutter hat ein besonderes Händchen dafür.« Er lächelte Marthona an und sagte: »Vielleicht verrät sie mir eines Tages ihr Geheimnis.«

Marthona lächelte leise zurück. Ihrer Miene konnte Ayla entnehmen, dass sie tatsächlich über eine geheime Technik verfügte und sich auf das Hüten von Geheimnissen verstand, und zwar nicht nur von eigenen. Wahrscheinlich kannte sie viele. Sie barg viele Schichten und verborgene Tiefen in sich, obgleich sie in dem, was sie sagte, direkt und aufrichtig war. Ayla wusste auch, dass Jondalars Mutter sich trotz des freundlichen Willkommens erst noch ein endgültiges Urteil über sie bilden wollte, ehe sie sie voll und ganz akzeptierte.

Plötzlich kam Ayla Iza in den Sinn, die Clan-Frau, die ihr wie eine Mutter gewesen war. Auch Iza kannte viele Geheimnisse, doch wie alle anderen im Clan log sie nie. Denn in ihrer Gebärdensprache, in der man Nuancen über Körperhaltung und Mienenspiel ausdrückte, war das Lügen nicht möglich, man hätte es sogleich bemerkt. Allerdings konnte man etwas unerwähnt lassen. Wenn klar war, dass jemand etwas für sich behielt, ließ man das unter Umständen zu, um ihm nicht zu nahe zu treten.

Es war nicht das erste Mal, dass ihr an diesem Ort der Clan in den Sinn kam. Der Anführer der Neunten Höhle, Jondalars Bruder Joharran, hatte sie bereits an den Anführer ihres Clans, Brun, erinnert. Sie fragte sich, warum Jondalars Sippe so viele Erinnerungen in ihr wachrief.

Marthona blickte sie beide an und sagte: »Ihr müsst hungrig sein.«

Jondalar lächelte: »O ja, ich bin hungrig! Seit heute früh haben wir nichts mehr gegessen. Ich hatte es eilig, hierher zu kommen, und wir waren schon so nah, dass ich nicht mehr rasten wollte.«

»Wenn ihr eure Sachen hereingebracht habt, könnt ihr euch hinsetzen und ausruhen, während ich etwas zu essen für euch bereite.« Marthona führte sie zu einem niedrigen Tisch, wies auf Polster, auf die sie sich setzen konnten, und goss in zwei Becher etwas von der tiefroten Flüssigkeit. Sie schaute sich um. »Ich sehe dein Wolfstier nicht, Ayla. Ich weiß, dass du ihn mit hereingebracht hast. Auch er wird wohl Nahrung brauchen. Was frisst er?«

»Gewöhnlich gebe ich ihm etwas von dem ab, was wir gerade essen«, antwortete Ayla, »aber er jagt auch für sich selbst. Ich führte ihn hier herein, damit er weiß, wo sein Platz ist, aber als ich das erste Mal ins Tal hinunter zu den Pferden ging, kam er mit und wollte dort bleiben. Er kommt und geht, wie er das will, außer wenn ich möchte, dass er bei mir ist.«

»Woher weiß er, dass du ihn bei dir haben willst?«

»Sie ruft ihn mit einem speziellen Pfiff«, sagte Jondalar. »Auch die Pferde rufen wir mit einem Pfiff.« Er nahm seinen Becher, probierte und seufzte dann anerkennend. »Jetzt weiß ich, dass ich zu Hause bin.« Er nahm noch einen Schluck und schloss genießerisch die Augen. »Aus welchen Früchten ist das gemacht, Mutter?«

»Zum größten Teil aus diesen runden Beeren«, erklärte Marthona und wandte sich an Ayla, »die in Büscheln an langen Ranken wachsen, auf Hängen, die geschützt sind und nach Süden gehen. Ein oder zwei Stunden südöstlich von hier gibt es ein Gebiet, wo ich immer nachschaue. In manchen Jahren wachsen sie gar nicht gut, aber vor einigen Jahren hatten wir einen recht warmen Winter, und im Herbst darauf waren die Büschel riesig und schmeckten sehr fruchtig und süß, aber nicht zu süß. Ich habe ein wenig Holunder und Brombeere dazugetan, aber nicht viel. Dieser Wein kam bei den Leuten sehr gut an. Er ist ein wenig stärker als sonst. Ich habe nicht mehr viel davon übrig.«

Ayla roch das fruchtige Aroma, als sie den Becher an die Lippen hob. Der Wein schmeckte herb und streng, nicht etwa süß, wie es der Duft hätte erwarten lassen. Sie schmeckte auch das typisch Alkoholische, das sie zuerst bei dem Birkenbier von Talut, dem Anführer des Löwenlagers, kennen gelernt hatte. Dies hier war aber eher mit dem vergorenen Heidelbeersaft der Sharamudoi vergleichbar, nur dass jener ihrer Erinnerung nach süßer gewesen war.

Der scharfe und schroffe Geschmack des Alkohols hatte ihr zunächst nicht zugesagt, aber die übrigen im Löwenlager schienen das Birkenbier sehr zu mögen, und sie hatte dazugehören und wie sie sein wollen, also hatte sie sich gezwungen, es zu trinken. Nach einer Weile hatte sie sich einigermaßen daran gewöhnt, auch wenn sie vermutete, dass die Leute nicht so sehr den Geschmack des Biers mochten, sondern das berauschte und desorientierte Gefühl, das es erzeugte. Wenn sie zu viel trank, wurde ihr meist schwindlig, und sie war freundlicher, als sie eigentlich sein wollte, während andere traurig, wütend oder sogar gewalttätig wurden.

Dieses Getränk aber hatte mehr zu bieten. Schwer zu fassende, komplexe Geschmacksfacetten verwandelten den einfachen Fruchtsaft in etwas Außergewöhnliches. Dies war ein Getränk, das sie mit der Zeit sicher zu schätzen wissen würde.

»Das schmeckt sehr gut«, sagte Ayla. »Ich habe nie jemals... noch niemals so etwas geschmeckt«, korrigierte sie sich und wurde ein wenig verlegen. Das Zelandonii ging ihr leicht von den Lippen. Es war die erste gesprochene Sprache, die sie nach ihrer Zeit im Clan gelernt hatte. Jondalar hatte sie ihr beigebracht, während er von den Wunden genas, die ihm der Löwe zugefügt hatte. Sie hatte zwar Mühe mit bestimmten Lauten, die sie nie ganz richtig hinbekam, ganz gleich, wie sehr sie sich auch anstrengte, aber falsche Formulierungen wie eben unterliefen ihr mittlerweile nur noch selten. Sie blickte Jondalar und Marthona an, aber sie schienen gar nichts bemerkt zu haben. Sie entspannte sich und begann, Marthonas Wohnplatz näher in Augenschein zu nehmen.