Baccara Collection Band 464 - Kira Sinclair - E-Book

Baccara Collection Band 464 E-Book

Kira Sinclair

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Beschreibung

HEIßKALTE RACHE IN LAS VEGAS von Kira Sinclair
Um herauszufinden, wer ihr Casino heimlich plündert, engagiert Hotelbesitzerin Annalise einen Detektiv. Ausgerechnet Luca Kilpatrick übernimmt den Job, der unglaublich attraktive Tech-Milliardär und geniale Spieler, der mit Annalises Familie noch eine Rechnung offen hat …

EIN UNWIDERSTEHLICHER NEUANFANG von LINDSAY EVANS
Ein Imageproblem gefährdet den Börsengang von Carter Diallos Unternehmen. Helfen kann nur PR-Expertin Jade – Carters Collegeliebe, die er bitter enttäuschte. Und die noch immer eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausübt. Zu dumm, dass sie ihn hasst …

FÜR EINEN MONAT - UND FÜR IMMER? von JULES BENNETT
Sie möchte nicht heiraten, das weiß Morgan – obwohl sie ein Baby von Ryan erwartet. Doch der Rancher lässt nicht locker: Morgan soll für einen Monat zu ihm ziehen, damit sie ihre Meinung ändert. So ein Unsinn, findet Morgan, denn eine Hochzeit ohne Liebe kommt für sie nie infrage!

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Kira Sinclair, Lindsay Evans, Jules Bennett

BACCARA COLLECTION BAND 464

IMPRESSUM

BACCARA COLLECTION erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA COLLECTION, Band 464

© 2022 by Kira Bazzel Originaltitel: „Blame It on Vegas“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Peter Müller

© 2018 by Lindsay Evans Originaltitel: “Her Perfect Pleasure“ erschienen bei: Kimani Press, Toronto in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Pola Gardner

© 2022 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „One Christmas Night“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd. in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anke Laumann

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751516402

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Heißkalte Rache in Las Vegas

1. KAPITEL

„Er ist da.“

Annalise Mercado holte tief Luft. Luca Kilpatrick – genau der Mann, den sie eigentlich nicht sehen wollte.

Bei dem Gedanken an ihn spürte sie Schmetterlinge im Bauch, wie schon so oft in den letzten zwei Wochen, und das gefiel ihr gar nicht. Obendrein gab es nichts Schlimmeres als diese ungute Mischung zwischen Vorfreude, banger Erwartung und Angst – und genau dieses Gefühl hatte sie begleitet, seit Luca sie auf der Verlobungsparty ihres Bruders überrascht hatte. Mit der Verkündung, er sei der Retter, den ihr Casino brauchte.

Was für ein himmelschreiender Unsinn! Annalise brauchte keinen Retter, keine Hilfe. Und erst recht keinen vorgeblichen Retter, der ein Betrüger war, ein Kartenhai.

Betrüger und Spielcasinos – wenn etwas nicht zusammenpasste, dann das!

Und dass Luca Kilpatrick ein Betrüger war, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

„Lass ihn noch fünf Minuten warten. Und dann kann er kommen.“

Sollte er sich ruhig noch eine Zeit lang die Beine in den Bauch stehen! Sicher, das war ein Machtspielchen von Annalises Seite, aber warum auch nicht? Vor zwei Wochen hatte er sie mit der Verkündung überrascht, er sei engagiert worden, um ihr zu helfen … und dann hatte er sich einfach blitzschnell aus dem Staub gemacht. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, überhaupt darauf zu antworten oder zu protestieren. Deshalb war es nur gerecht, wenn er jetzt ein paar Minuten warten musste!

Sie zog den kleinen Spiegel hervor, den sie immer in ihrer Schreibtischschublade verwahrte, überprüfte ihr Make-up und lächelte probehalber, um sicherzugehen, dass nichts vom Mittagessen zwischen ihren Zähnen steckte. Sie wollte makellos und professionell wirken, wenn sie dem Mann verkündete, er solle sich gefälligst zum Teufel scheren. Das hatte nichts mit Eitelkeit zu tun – und auch nicht damit, dass ihr Herz bei der kurzen Begegnung vor zwei Wochen plötzlich schneller geschlagen hatte.

„Für mich brauchen Sie sich nicht extra fein zu machen, Lady“, ertönte plötzlich Lucas amüsierte Stimme.

Verdammt! Hatte sie nicht ihrer Sekretärin gesagt, sie solle ihn fünf Minuten warten lassen? Das waren garantiert keine fünf Minuten gewesen!

Sie spürte Hitze in sich aufsteigen und konnte nur hoffen, dass sie nicht errötete. Prüfend musterte sie ihn. Er war dunkelhaarig, hochgewachsen und attraktiv. Ja man konnte es nicht leugnen, er sah fantastisch aus – und das wusste er ganz offensichtlich auch. Er strahlte etwas Aristokratisches aus. Sein Anzug war eine Maßanfertigung und ließ den muskulösen Körper darunter erahnen.

Der Mann besaß eine fast schon verbotene Selbstsicherheit. Als ob ihm die ganze Welt gehörte und er alles um sich herum mit eiserner Faust beherrschte. Seinen stahlgrauen Augen schien nichts zu entgehen.

Sollte er sich bloß nicht zu viel einbilden! Schließlich befand er sich in ihrem Reich. In ihrem Büro auf dem Gebiet ihres Casinos. Dort, wo sie das Sagen hatte!

Annalise erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl und bedeutete ihm mit einer Geste, er solle sich auf den Stuhl gegenüber setzen. Lächelnd leistete er der Anweisung Folge. Genüsslich lehnte er sich im Stuhl zurück und sah sich im Büro um. „Hübsch hier. Viel netter als dieser kleine abschließbare Raum im Keller, in den man mich verfrachtet hat, als ich das letzte Mal im Magnifique war.“

Das war jetzt acht Jahre her, aber Annalise erinnerte sich noch sehr gut daran. Luca hatte von ihrem Vater, assistiert von seinen Security-Leuten, eine Abreibung verpasst bekommen. Sein Gesicht war blutverschmiert gewesen, und ihr war bei dem Anblick ganz schlecht geworden.

Man hatte ihn beim Betrügen erwischt, und ihr Vater – noch ganz alte Las-Vegas-Schule – hatte entsprechend hart reagiert, ganz anders, als sie heutzutage so eine Angelegenheit klären würde. Dieses brutale Vorgehen hatte ihre Sicht auf ihren Vater für immer verändert. Noch heute hatte sie daran zu knabbern.

Ja, sie sah vieles anders als ihr Vater, aber er war der einzige Elternteil, den sie noch hatte. Ihre Mutter war von ihrem Stiefvater getötet worden, als Annalise neun Jahre alt gewesen war, und sie und ihr Bruder hatten sogar dabei zusehen müssen.

Aber an dieses traumatische Erlebnis wollte sie jetzt nicht denken. Sie hatte anderes zu tun.

Sie lächelte den Besucher an und versuchte, selbstsicher zu wirken. „Sie hätten sich den Weg hierher sparen können. Aber Sie waren vor zwei Wochen ja so schnell verschwunden, dass Sie nicht einmal meine Reaktion abgewartet haben. Ich weiß nicht, was Anderson Stone oder mein Bruder Ihnen erzählt haben, aber ich brauche Ihre Hilfe nicht.“

Anderson Stone war ein enger Freund ihres Bruders Dominic. Er führte eine renommierte Privatdetektei in Savannah im Bundesstaat Georgia. Eigentlich hatte er das nicht nötig; er war Erbe einer hoch angesehenen amerikanischen Familie und Milliardär. Als sie gegenüber ihrem Bruder erwähnt hatte, dass es im Magnifique zu Diebstählen und Betrug gekommen war, hatte er sofort Stone um Rat und Hilfe gebeten.

Und als Reaktion darauf war Luca erschienen. Nicht gerade das, was sie sich erhofft hatte.

Sie hatte darüber schon ein ernstes Wort mit ihrem Bruder gesprochen, hatte ihm gesagt, dass sie solche Einmischungen nicht schätzte. Das Magnifique mochte auch Teil seines Erbes sein – aber sie leitete es und entschied ganz allein, wen sie einstellte.

Oder nicht einstellte.

Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als diesen Gesprächstermin anzusetzen, um die Sache wieder geradezurücken. Luca schien bereits einen festen Auftrag erhalten zu haben, und den musste sie jetzt annullieren. Dabei kündigte sie ungern jemandem, selbst Luca.

Eigentlich hatte sie gehofft, sie könnte das Gespräch schnell über die Bühne bringen; sie würde ihm sagen, dass sie seine Dienste nicht benötigte, und er würde verständnisvoll nicken, aufstehen und sich entfernen. Stattdessen saß er da völlig entspannt auf seinem Stuhl und schien sich pudelwohl zu fühlen. Er machte nicht den Eindruck, als ob er bereitwillig wieder gehen würde.

Nein, dieser wohl knapp einen Meter neunzig große Mann wirkte, als sei er gekommen, um zu bleiben.

„Sie glauben nur, Sie bräuchten meine Hilfe nicht“, sagte er lächelnd. „Aber in Wirklichkeit haben Sie sie bitter nötig.“

Wie selbstsicher, wie entspannt er da saß! Das machte Annalise ganz rasend! In einer Sache hatte er recht – sie brauchte Hilfe. Aber nicht von ihm. Irgendwie machte dieser Mann sie nervös. Das war schon auf der Verlobungsparty ihres Bruders so gewesen.

„Ich möchte auf Ihre Dienste lieber verzichten.“

Er sah sie nur grinsend an und schwieg.

„Verstehen Sie“, sagte sie verunsichert, „Stone wusste ganz offensichtlich nicht, dass es eine Vorgeschichte zwischen dem Magnifique und Ihnen gibt. Sonst hätte er Sie nie für diesen Job beauftragt.“

Luca grinste jetzt noch breiter. „Oh, Stone hat alles gewusst. Erstens leitet er eine hervorragende Detektei, und es gehört zu seinem Beruf, alles zu wissen. Und zweitens habe ich es ihm selbst gesagt.“

„Sie haben es ihm selbst gesagt?“

„Ja. Ich war ihm noch einen Gefallen schuldig, aber ich wollte, dass er weiß, dass ich diesen Auftrag auch aus persönlichen Gründen annehme.“

Annalise kniff die Augen zusammen. „Das müssen Sie mir schon etwas näher erklären.“

„Ganz einfach. Es bereitet mir eine gewisse Genugtuung zu sehen, dass das Magnifique in Schwierigkeiten steckt.“

„Und trotzdem würden Sie uns dabei helfen wollen, das Problem zu lösen?“ Das ergab überhaupt keinen Sinn.

Er zuckte mit den Schultern. „Ich löse gerne schwere Fälle, ich mag Herausforderungen. Und wenn die Ermittlungen ein bisschen länger dauern, soll es mir nur recht sein. Je mehr Geld Sie verlieren, einerseits durch die Betrüger, andererseits durch die Honorare, die ich koste, desto besser. Ich finde, ein bisschen Bares schuldet das Magnifique mir schon, nachdem Ihr Vater mich so hart angefasst hat. Die Arztrechnungen sind ziemlich hoch ausgefallen. Und ich habe es ihm zu verdanken, dass ich immer noch ein bisschen hinke.“

Annalise verspürte einen Anflug von Mitleid, unterdrückte es aber schnell wieder. Hinkte er denn überhaupt? Als er hereingekommen war, war ihr nichts aufgefallen, allerdings war sie auch in Gedanken gewesen. Vielleicht log er auch nur, um ihr Schuldgefühle einzureden. Na ja, sie würde darauf achten, wenn er wieder ging.

„Okay, Sie sind offen, und das ehrt Sie“, sagte sie. „Aber dadurch haben sie mir genug Munition gegeben, Sie schon vor Arbeitsantritt zu feuern.“

„Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen das gut in den Kram passen würde. Aber Sie können mich gar nicht feuern.“

„Wenn ich das recht verstanden habe, erwarten Sie doch, dass ich Ihr Honorar zahle.“

„Das schon, aber es war Stone, der mich engagiert hat. Und die Abmachung mit ihm ist eindeutig. Nur er kann mich feuern.“

Annalise spürte, wie Wut in ihr aufstieg. Was stimmte denn nicht mit den Männern in ihrem Leben? Warum glaubten sie immer, sie könnten Dinge für sie entscheiden, und dazu noch ohne Rücksprache? Sie selbst hatte mit Stone absolut nichts abgemacht!

Ja, sie würde mit Stone noch ein ernstes Wörtchen zu reden haben. Aber zuallererst musste sie mit dem Problem fertig werden, das da grinsend vor ihr saß.

„Das mit Ihrer Beauftragung werde ich noch zu klären haben. Das Dumme ist nur, dass Sie jetzt schon mal hier sind. Aber wenn ich kein Interesse habe, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, wenn ich Ihnen keine Informationen gebe, dann können Sie nicht aktiv werden. Dann können Sie nur Däumchen drehen.“

Luca zuckte mit den Schultern. „Auch gut, dann werde ich eben fürs Nichtstun bezahlt. Juckt mich nicht die Bohne.“ Entspannt lehnte er sich zurück.

Innerlich kochte Annalise vor Wut. Der Typ wollte einfach nicht gehen, und es schien ihm richtig Spaß zu machen, sie auf die Palme zu bringen. Und je länger die Sache dauerte, desto mehr Spaß würde er haben!

Versöhnlich lächelte er sie an. „Kommen Sie, lassen Sie uns die Sache ein bisschen abkürzen. Warum geben Sie nicht einfach nach und lassen zu, dass ich Ihnen helfe?“

„Weil ich Ihnen nicht traue. Deshalb.“

Wieder zuckte Luca mit den Schultern. „Das macht nichts, ich traue Ihnen ja auch nicht. Damit sind wir quitt.“

„Aber Sie waren doch Kartenzähler, haben Blackjack gespielt. Unsere unerklärlichen Verluste kommen aber von den Spielautomaten. Wie sollten Sie mir da helfen können?“

Schlagartig verschwand sein Lächeln. „Es ist jetzt zwei Wochen her, dass ich Sie auf der Feier angesprochen habe. Da hätten Sie in der Zwischenzeit ja wohl Ihre Hausaufgaben machen können.“

„Sie meinen, ich hätte Sie googeln müssen? Tut mir leid, ich hatte Wichtigeres zu tun. So sehr haben Sie mich dann auch wieder nicht interessiert.“

Er lächelte kaum merklich. „Lady, das ist eine Lüge, das wissen wir beide.“

Sie hatten sich auf der Feier vor vierzehn Tagen gesehen und sie sahen sich jetzt, und verdammt, ja, es stimmte, natürlich interessierte sie sich für ihn, natürlich fühlte sie sich von ihm angezogen. Sie hatte gedacht, sie könnte es verbergen. Aber ganz offensichtlich nicht vor ihm! Trotzdem, zugeben würde sie es ganz sicher nicht.

Luca sah sie durchdringend an. „Also, Lady, ich bin im Besitz einer Software-Entwicklungsfirma. Ich habe über ein Dutzend erfolgreicher Programme geschrieben, von denen Sie die meisten tagtäglich benutzen, ohne es überhaupt zu wissen. Zusätzlich kenne ich mich mit Glücksspiel aus, auch mit den wissenschaftlichen Aspekten, mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Beispiel. Ich bin genau der Mann, der Ihnen helfen kann herauszufinden, wer Sie bestiehlt, wie und warum.“

Wieder lächelte er. „Ich habe es schon gesagt, aber ich wiederhole es gerne noch einmal: Sie brauchen mich.“

Annalise seufzte. Verdammt, wenn er die Wahrheit sagte, hatte er vielleicht wirklich recht.

Lucas rechte Hüfte schmerzte. Normalerweise war es ein ganz leichter Schmerz, den er in der Regel kaum noch wahrnahm, aber heute war es etwas stärker. Sicher lag es daran, dass sein Besuch im Magnifique alte Erinnerungen wachgerufen, alte Wunden aufgerissen hatte. Nein, eine Sternstunde in seinem Leben war die alte Sache vor acht Jahren wirklich nicht gewesen!

Immerhin war es schön, wieder ins Freie zu treten und den strahlenden Sonnenschein von Las Vegas zu genießen. Er setzte seine Sonnenbrille auf und wartete, dass der Mann vom Parkservice ihm seinen McLaren brachte.

Damals, vor acht Jahren, hatte er das Magnifique ganz anders verlassen. Erst hatte Mac Mercado ihn ordentlich verprügelt, danach hatten seine Helfer ihn hochkant aus dem Casino geworfen. Er war den Bordstein entlang geschrammt. Wenn er die Augen schloss, konnte er den Schmerz noch heute spüren.

Der Wagen kam. Luca gab dem Parkservice-Angestellten ein Trinkgeld und setzte sich hinein. Das kühle Leder des Sitzes fühlte sich gut an. Der McLaren war eines seiner liebsten Spielzeuge. Ja, er mochte Spielzeuge. Er hatte Geld genug und gab es gerne aus, und es gab niemanden, der ihm da hereinredete.

Genauso mochte er es!

Luca fädelte sich in den Verkehr ein und fuhr in Richtung der Außenbezirke. Er mochte das von Casinos und Luxushotels beherrschte Zentrum von Las Vegas, das so viele Menschen anzog, aber zum Entspannen und Nachdenken brauchte er mehr Ruhe. Deshalb hatte er sich für einen Wohnsitz am Stadtrand entschieden.

Als er den dichtesten Verkehr hinter sich gelassen hatte, begann er über seine neue Klientin nachzudenken.

Annalise Mercado. Eine überaus attraktive und gepflegte Frau, selbstsicher und gewandt. Vielleicht aber auch zu verwöhnt und eine Spur arrogant. Auf jeden Fall hatte sie Eindruck auf ihn gemacht, das konnte er nicht leugnen.

Ganz sicher war sie eine knallharte Geschäftsfrau. Mit solchen Frauen hatte er für seinen Geschmack schon viel zu oft zu tun gehabt. Wie ernst, wie prüfend sie ihn angesehen hatte! Ihr Mund nicht lächelnd, sondern ein gerader Strich. Sie hatte nicht gerade wie eine glückliche Frau gewirkt.

Einerseits empfand er das Gefühl, nicht willkommen zu sein, als recht angenehm; die Situation stellte eine Herausforderung für ihn da. Andererseits fand er es schade, dass ihr Mund so verschlossen und abweisend gewesen war. Wie viel schöner, wie viel verlockender wären doch diese prachtvollen Lippen, wenn sie sich zu einem Kuss öffneten …

Unwillkürlich musste er lächeln. Ja, diese überaus attraktive Frau mochte kalt und abweisend wirken, aber irgendwann würde das Eis schmelzen. In ihrem Inneren brodelte ein Vulkan, da war er sich sicher, das spürte er …

Die kommenden Wochen versprachen interessant zu werden!

Annalise Mercado brauchte ihn wirklich, und irgendwann würde sie es einsehen müssen. Stone hatte ihm genug Infos über ihre Lage zur Verfügung gestellt. Sie hatte schon viel Zeit und Geld investiert, um das Problem alleine zu lösen. Natürlich, so war sie; sie hatte Schwierigkeiten, die Kontrolle abzugeben.

Dabei war Kontrolle ohnehin nur eine Illusion. Aber das würde sie auch noch einsehen.

Das Magnifique verlor Geld, jeden Tag. Durch die Spielautomaten. Aber niemand wusste, wie es dazu kam und wann es begonnen hatte. Die Verlustbeträge waren im Laufe der vergangenen neun Monate stetig angestiegen – möglicherweise hatte der Diebstahl sogar noch früher begonnen, war aber wegen der zunächst geringen Beträge nicht aufgefallen.

Der Dieb – oder die Diebin – wurde allmählich gierig, und irgendwann würde er zu unvorsichtig werden und einen Fehler begehen. Diese Person zu finden war eine willkommene Herausforderung für Luca. Auch wenn er durch die Lösung des Falls dem Spielcasino Magnifique helfen würde.

Über die Automatik seiner Freisprechanlage ließ er sich mit Anderson Stone verbinden. Sein Freund hielt sich nicht lange mit Begrüßungsfloskeln auf. „Ich hoffe, es hat kein Blutvergießen gegeben?“

Luca musste lächeln. „Nein, ist alles friedlich geblieben. Obwohl, wenn Blicke töten könnten …“

„Soll ich den Auftrag doch lieber jemand anderem geben?“

Stone und er hatten diese Unterhaltung schon öfter geführt. „Nein, nein, ich werde ganz brav sein.“

Das hing natürlich auch von der Definition von „brav sein“ ab. Er hatte auf jeden Fall vor, den Auftrag zu erledigen, für den er engagiert worden war. Vielleicht nicht besonders schnell, aber er würde es tun. Solange Annalise mitspielte. Er hatte sich Stone gegenüber dazu verpflichtet, und das bedeutete ihm etwas. Die Detektei Stone Surveillance hatte schließlich einen Ruf zu verlieren; er würde sie nicht im Stich lassen. Das musste aber nicht heißen, dass er sich bei seiner Arbeit besonders beeilte. Und es musste auch nicht heißen, dass er sich jegliche Annäherungsversuche verkniff.

Es gehörte zu seinem Plan, mit Mac Mercados wunderschöner Tochter ein wenig Katz und Maus zu spielen. Durch die Tatsache, dass sie zur Familie Mercado gehörte und dass sie schweigend mit angesehen hatte, wie er zusammengeschlagen wurde, hatte sie schon eine kleine Quittung verdient.

Eigentlich hatte er keinen konkreten Plan gehabt, bis er heute ihr Büro betreten hatte. Jetzt aber war ihm erst so richtig bewusst geworden, wie schön sie war, wie verlockend. Wäre sie irgendjemand anders gewesen, hätte er sofort einen Annäherungsversuch gestartet.

So würde es vielleicht etwas länger dauern, aber fest stand: Es würde ihm ein Vergnügen sein, Annalise Mercado zu verführen.

Annalise war stocksauer.

Dieser Mistkerl hatte in ihrem Büro den großen Max gespielt, sich als Retter aufgespielt, der vielleicht als Einziger ihre Probleme lösen konnte – und sich dann einfach nicht mehr gemeldet. Schon drei Tage lang.

Sie hatte ein wenig herumtelefonieren müssen, aber schließlich hatte sie herausgefunden, wo er wohnte. Sie hatte nicht schlecht gestaunt, dass er ein riesiges Anwesen in Summerlin, einer der teuersten Gegenden von Las Vegas, sein Eigen nannte.

Sie stand mit ihrem SUV vor einem großen Tor, hinter dem sich das Anwesen verbarg. Alles war riesig, luxuriös.

Wer zum Teufel war dieser Kerl nur? Und warum wollte er ihr helfen? Nötig hatte er so einen Detektiv-Auftrag ganz offensichtlich nicht.

Annalise ließ das Wagenfenster herunter und drückte auf den Besucherknopf, der sich neben dem Tor befand.

Nichts passierte.

Sie wartete einige Minuten ab, dann drückte sie den Knopf erneut.

Wieder nichts.

Nach sechs vergeblichen Versuchen drückte sie nicht nur kurz, wie vorher, sondern ließ den Finger auf dem Knopf. Sie klingelte Sturm.

Es dauerte eine Weile, aber dann ertönte aus dem Lautsprecher plötzlich eine Stimme. „Was wollen Sie?“

Ganz sicher gab es hier eine Kameraüberwachung. Daher sagte Annalise nichts, sondern zeigte nur mit dem Finger auf das Tor.

Sie konnte aus dem Lautsprecher ein Seufzen hören, dann öffnete sich das Tor plötzlich.

Sie fuhr den Weg zum Haus entlang. Was für ein Riesengebäude! Sie war selber in einer Villa aufgewachsen, deshalb war es nicht unbedingt die Größe des Hauses, die sie so verwirrte. Es war vielmehr der Umstand, dass dieses Gebäude ihm gehörte.

Sie dachte zurück an den Luca Kilpatrick, der vor acht Jahren zusammengeschlagen und aus dem Casino geworfen worden war. Und dann dachte sie an den attraktiven, charmanten, erfolgreichen Luca Kilpatrick, der aus ihm geworden war.

Das passte einfach nicht zusammen!

Sie fuhr vor bis zu den Treppen, die zum Eingang des großen Hauses führten, stellte den Motor ab und stieg aus. Oben in der Tür stand Luca. Er trug alte, verwaschene Jeans und ein schlichtes T-Shirt. Sein Haar war zerzaust. Er wirkte, als wäre er gerade erst aus dem Bett gestiegen. Dabei war es bereits drei Uhr nachmittags!

Reglos stand er da, während sie die Treppen hinaufstieg. Auf sie wirkte er wie ein Raubtier, scheinbar völlig entspannt, aber doch in jeder Sekunde bereit zuzuschlagen.

Niemals Angst oder Schwäche zeigen, dachte sie, während sie die letzten Stufen nahm. Das war eine der ersten Lektionen, die ihr Vater ihr beigebracht hatte. In vielen Dingen war sie ganz anderer Meinung als er, aber bei dieser Sache stimmte sie ihm zu.

Sie fühlte Unsicherheit in sich aufsteigen, aber sie unterdrückte das Gefühl. Sie hatte in ihrem jungen Leben schon so einiges mitgemacht; eigentlich wollte sie jetzt nur noch, dass es ruhig zuging, ohne Aufregung. Aber dieser Luca Kilpatrick – der war Aufregung pur.

Sie hielt sich nicht lange mit umständlichen Begrüßungen auf, als sie endlich auf Augenhöhe vor ihm stand. „Sie brauchen weder den Job von mir noch mein Geld“, sagte sie einfach.

„Das haben Sie sehr gut erkannt“, erwiderte er lächelnd.

„Warum dann das Ganze? Warum wollen Sie das machen?“

„Hatten wir diese Unterhaltung nicht schon?“

„Ja, aber ich traue Ihren Antworten nicht.“

Luca zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht mein Problem.“

Nein, aber es war ihr Problem. Und auch wenn sie ihm nicht über den Weg traute – sie brauchte wirklich Hilfe. Immer wieder hatte sie die Akten und Bilanzen durchgearbeitet, hatte mit ihren IT-Spezialisten konferiert, doch sie war keinen Schritt weitergekommen. Und alleine, ohne Hilfe von außen, würde sie auch nicht mehr weiterkommen.

Und wenn sie auch Luca nicht traute, Dominic und Stone traute sie schon. Ihr Bruder und sein Freund würden ihr ja keinen Nichtskönner vermitteln, wenn sie ihr helfen wollten.

Eigentlich rechnete Annalise damit, dass Luca sie jetzt hereinbitten würde. Aber er stand einfach nur da. Schließlich verschränkte sie die Arme vor der Brust und fragte: „Wollen wir hier den ganzen Tag so stehen?“

„Ich hätte nichts dagegen.“

„Jetzt bitten Sie mich schon rein, damit wir über den Dieb reden können.“

Er lächelte sie entwaffnend an. „Ich bin gerade mit etwas anderem beschäftigt.“

„Mir egal. Sie wollten den Job, ich bezahle Sie dafür, und ich bin jetzt hier. Also …“

Er musterte sie einen Augenblick schweigend, dann bat er sie mit einer großen Geste schließlich herein.

Auch der Hausflur war riesig. „Lassen Sie uns in die Küche gehen“, schlug er vor. „Da plaudert es sich am gemütlichsten.“

Auch die Küche war riesig, wie nicht anders zu erwarten. Jeder Profikoch hätte sich hier wohlgefühlt. Sie war nicht makellos rein; man merkte, dass sie wirklich benutzt wurde. Auf dem Herd stand eine Pfanne; es duftete nach Eiern und gebratenem Speck.

Luca streifte sie am Arm, als er an ihr vorbeiging. Sie ging davon aus, dass er sie mutwillig berührt hatte, denn Platz gab es hier wirklich überall genug. Was er damit erreichen wollte, wusste sie nicht. Vielleicht wollte er sie einschüchtern, vielleicht versuchte er sie durch die flüchtige Berührung zu erregen. Aber seine Beweggründe waren auch egal. „Bitte passen Sie auf, dass Sie mich nicht berühren.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ganz wie Sie wollen. Ich werde ganz, ganz vorsichtig sein.“

Er ging zur Kaffeemaschine hinüber und betätigte sie. Als der Kaffee fertig war, fügte er für sie wie selbstverständlich Kaffeesahne und einen Zuckerwürfel hinzu, bevor er ihr den Kaffeebecher überreichte.

Woher zum Teufel wusste er nur, wie sie ihren Kaffee trank?

Sie nahm ihm den Kaffeebecher ab. Nachdenklich blickte sie auf die braune Flüssigkeit. „Es ist drei Uhr nachmittags.“

„Ja, ich weiß. Aber wir wissen doch beide, dass Sie Kaffee zu jeder Tages- und Nachtzeit trinken. Tun Sie nicht so, als ob fünfzehn Uhr keine genehme Zeit dafür wäre. Selbst mitten in der Nacht gehört Kaffee zu Ihren Grundnahrungsmitteln. Nur mit seiner Hilfe kommen sie mit so wenig Schlaf aus.“

Ohne einen Schluck genommen zu haben, stellte Annalise den Becher auf der Arbeitsfläche ab. „Ich merke schon, Sie haben Recherchen angestellt. Allerdings sollten Sie nicht mich recherchieren – sondern den Dieb.“

Wieder lächelte er. Es war kein amüsiertes Lächeln, sondern ein beinahe hochmütiges. Das Lächeln eines Mannes, der all seine Aufgaben gewissenhaft erledigt hatte, der mehr wusste als alle anderen. „Ich weiß nun mal gerne, für wen und mit wem ich arbeite.“

„Was ganz offensichtlich die Informationen mit einschließt, wie ich meinen Kaffee am liebsten trinke.“

„Ach, das war eine meiner leichtesten Übungen. Sie bestellen doch mehrmals am Tag Ihren Kaffee in dem Coffeeshop im ersten Stock des Casinogebäudes. Sie essen auch jeden Tag um die gleiche Zeit zu Mittag und bestellen sich abends – auch immer jeweils um die gleiche Zeit – Ihr Abendessen in Ihr Apartment.“

Er nippte an seinem Kaffee. „Man kann es nicht anders sagen, Sie sind überaus berechenbar, junge Frau. Richtig langweilig. Sie führen ein Casino, könnten an den Spielautomaten, am Roulettetisch oder wo auch immer spielen, wann immer Sie wollten, nur um ein bisschen Spaß zu haben – aber Sie tun es nie. Wie gesagt: laaangweilig. Eines muss ich Ihnen allerdings lassen – bei der Auswahl Ihrer Angestellten scheinen Sie ein gutes Händchen zu haben. Die sind sehr diskret und loyal. Sie alle scheinen Sie wirklich zu mögen. Kaum ein Wort ist denen über Sie herauszukitzeln.“

„Sie haben versucht, meine Angestellten auszuhorchen?“

„Was meinen Sie denn, was ich in den vergangenen drei Tagen gemacht habe?“

„Weiß ich doch nicht. Sie sind in mein Büro geschneit, haben kluge Reden gehalten und sind dann für drei Tage spurlos verschwunden. Kein Anruf, keine Textnachricht, gar nichts.“

„Ich war in Ihrem Casino. Das sollten Sie eigentlich wissen, wenn Sie ein bisschen aufgepasst hätten.“

Sie würde mit ihrem Security-Team ein ernstes Wort reden müssen. Obwohl die Leute eigentlich nicht wirklich etwas falsch gemacht hatten. Der Vorfall mit Luca von damals war acht Jahre her; offenbar hatte er anschließend nie wieder den Versuch gemacht, das Casino zu betreten und war deshalb irgendwann von der Überwachungsliste gestrichen worden.

„Ich leite das Casino, ich bin für alle Belange zuständig. Da kann ich nicht persönlich jeden überprüfen, der reinkommt.“

„Das erklärt vielleicht, wie jemand Sie so ausräubern kann.“

Annalise kniff die Augen zusammen. „Mein Security-Team leistet erstklassige Arbeit.“

„Na ja, wenn Sie meinen …“

Auf ihre Leute ließ Annalise nichts kommen. Die waren handverlesen, und sie sah sie nicht als Angestellte, sondern als Familie. Sie kannte jeden persönlich, wusste fast alles über sie. Einschließlich ihrer Hoffnungen und Träume. Annalise wollte, dass ihre Mitarbeiter ehrlich und loyal waren, und das war am besten zu gewährleisten, wenn sie sich wertgeschätzt fühlten und wussten, dass ihre Arbeitgeberin für sie da war.

Als sie schlechte Zeiten erlebte, als ihre Welt förmlich in Trümmern lag, waren die Leute im Magnifique für sie da gewesen, hatten sie aufgebaut und geschützt. Diese Zuwendung hatte ihrem Leben wieder einen Sinn gegeben. Das gab sie ihnen jetzt zurück, indem sie ihnen die bestmögliche Chefin war.

Ein Mann wie Luca würde das wahrscheinlich nicht verstehen, deswegen versuchte sie gar nicht erst, es ihm zu erklären.

„Okay, was haben Sie denn in den drei Tagen herausgefunden, Mister Sherlock Holmes? Wer ist es? Wer bestiehlt mich?“

Luca zuckte ungerührt mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

2. KAPITEL

Luca wandte sich um und kümmerte sich um die Eier in der Pfanne.

„Sie arbeiten schon drei Tage an dem Fall und haben nichts?“, fragte Annalise fassungslos. „Rein gar nichts?“

„Wie lange arbeiten Sie denn schon daran?“, fragte Luca schnippisch zurück.

„Das ist was anderes. Das spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.“

„Wie Sie meinen“, murmelte Luca, während er das Eiergericht würzte.

„Sie wollen jetzt Eier mit Speck essen?“, fragte Annalise. „Das ist doch ein Frühstück, und wir haben drei Uhr nachmittags.“

„Mag sein, aber ich bin ja gerade erst aufgestanden.“

„Das erklärt so einiges“, kommentierte Annalise. Das Missfallen in ihrer Stimme war überdeutlich, aber das kümmerte Luca nicht weiter.

„Das ist einer der Vorteile, wenn man stinkreich ist“, erklärte er lächelnd. „Wenn ich will, kann ich den ganzen Tag schlafen. Und ich frühstücke, wann immer es mir passt. Wenn mir danach ist, auch erst um Mitternacht.“

Ja, Luca genoss es, finanziell unabhängig zu sein und seinen Tagesablauf völlig frei bestimmen zu können. Das war ja nicht immer so gewesen. Noch gut erinnerte er sich an Zeiten, zu denen es ihm schlecht gegangen war, zu denen er hungrig ins Bett gegangen war.

Aber das würde er Annalise nicht auf die Nase binden. Auch nicht, dass er bis vier Uhr morgens über einem neuen Computerprogramm gebrütet hatte, das er gerade entwickelte.

Aufseufzend begab Annalise sich zum Ende der Kücheninsel und klatschte ihre große Handtasche auf die Arbeitsfläche.

„So ist es recht“, kommentierte Luca. „Machen Sie es sich nur gemütlich. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.“

„Danke, das werde ich. Ich habe die Unterlagen der vergangenen Monate mitgebracht, damit wir sie uns gemeinsam ansehen können. Ich habe das Problem schon eingegrenzt. Es liegt eindeutig an den Spielautomaten.“

„Das haben Stone und Dominic schon erwähnt.“

„Ja, kann sein, dass die beiden es erwähnt haben“, gab Annalise gereizt zurück. „Aber sie wissen es nur, weil ich es herausgefunden habe, durch monatelange Kleinarbeit. Sie sollten sich die Details deshalb lieber von mir geben lassen, der Frau, die zwölf Stunden am Tag daran arbeitet, das Casino zu führen. Und nicht von zwei Männern, die höchstens mal von ferne draufgeguckt haben.“

„Schon gut, schon gut, bitte regen Sie sich nicht so auf. Also schauen wir uns gleich mal die Unterlagen an.“

Annalise griff zu ihrer Handtasche und zog eine Akte heraus.

„Was ist das denn?“, fragte Luca spöttisch. „Papier? Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter! Hätten Sie mir das Ganze nicht per Mail schicken können?“

„Habe ich ja. Vor drei Tagen schon. Aber Sie haben nicht darauf reagiert. Also schauen wir uns das Ganze jetzt schön gemeinsam an, ganz altmodisch auf Papier.“

Luca holte Teller und Bestecke aus dem Küchenschrank, füllte auf und stellte auch vor Annalise eine Portion hin.

„Ich möchte nichts, danke.“

Luca begann bereits zu essen. Dabei musterte er sie kritisch. „Wann haben Sie denn das letzte Mal was gegessen?“

„Ich bin schon ein großes Mädchen“, gab sie gereizt zurück. „Ich kann mich schon alleine ernähren.“

„Das beantwortet nicht meine Frage.“

Entnervt nahm Annalise Messer und Gabel in die Hand und aß einen Happen. „So, jetzt zufrieden?“

„Zufrieden nicht, aber es ist immerhin ein Anfang.“

Er hatte herausbekommen, dass sie sich zwar regelmäßig Essen bestellte, die Teller aber später oft fast unberührt zurückgehen ließ. Ganz offensichtlich war sie oft so in ihre Arbeit versunken, dass sie das Essen glatt vergaß.

Eigentlich konnte ihm das ja egal sein – aber irgendwie war es das nicht …

Annalise schob ihm die Akte zu und deutete auf einige Zahlenreihen.

„Der Algorithmus jedes einzelnen Glücksspielautomaten ist für gewisse Mengen von Gewinnausschüttungen programmiert“, dozierte sie. „Das Ganze läuft über einen Zufallsgenerator. Niemand, weder die Programmierer noch ich, kann vorhersagen, wann ein Gewinn ausgeschüttet wird. Aber natürlich ergibt sich, über einen längeren Zeitraum betrachtet, ein gewisses statistisches Muster.“

Das alles wusste Luca zwar schon, aber er ließ Annalise einfach reden. Dabei beobachtete er sie aufmerksam. Nebenbei aß er, denn er hatte seit dem Vortag nichts mehr zu sich genommen.

„Hier, diese Maschine zum Beispiel“, sagte sie und wies mit dem Finger auf eine Zahlenreihe. „Die hätte viel weniger Gewinne ausschütten dürfen, als hier angezeigt wird.“

Annalise griff erneut in ihre Handtasche, zog eine weitere Akte hervor und öffnete sie. „Das hier sind die Zahlen vom vergangenen Monat. Diese Maschine hatte Gewinnausschüttungen, die genau im Rahmen lagen. Aber diese hier, sehen Sie, hat fast doppelt so viel wie normal ausgeschüttet. Es variiert ständig, aber seit knapp einem Jahr ist jeweils mindestens ein Spielautomat aus der Reihe getanzt, und manchmal waren es sogar bis zu zwölf.“

Luca sagte nichts. Erwartungsvoll blickte sie ihn an. „Sie hören doch zu, oder?“

„Ja, ja, natürlich. Geldautomaten mit zu hohen Gewinnausschüttungen. Ein klares Muster ist nicht zu erkennen. Und das geht schon eine ganze Weile so.“

Luca hatte die Vermutung, dass es die Diebstähle vielleicht sogar schon länger als ein knappes Jahr gab, aber anfangs in einer geringen Größenordnung, die nicht weiter aufgefallen war. „Sie haben sicherlich einige der Spielautomaten aus dem Casino genommen, um die Programmierung zu überprüfen?“

„Ja, mehrfach. Aber die Überprüfung hat nichts Auffälliges ergeben.“

„Also kein Codierungsfehler.“

Annalise schüttelte den Kopf. „Es sei denn, jemand könnte die Codierung der Automaten ändern, während sie im Casino stehen und die Codierung anschließend auf Normalbetrieb zurücksetzen. Sie sind ja der Experte – wäre so etwas möglich?“

„Ganz theoretisch ja, aber es ist nicht wahrscheinlich. Zumindest nicht, ohne dass es auffällt. Auf jeden Fall möchte ich mir einige der Automaten selber genauer ansehen.“

Annalise lächelte ihn an, froh, dass endlich etwas geschah. „Kein Problem. Kommen Sie morgen vorbei. Ich sage dem Leiter unserer IT-Abteilung, er soll mitkommen und Ihnen vollen Zugriff gewähren.“

„Nein.“

Verwirrt blickte sie ihn an. „Was soll das heißen, nein?“

„Ich will das nicht mit dem Leiter Ihrer IT-Abteilung machen, jedenfalls nicht alleine mit ihm. Sie und ich, wir arbeiten gemeinsam an diesem Fall, junge Frau. Wo ich hingehe, gehen Sie auch hin.“

Er liebte es, ihren überraschten Gesichtsausdruck zu sehen. Damit hatte sie nicht gerechnet! Gut so!

„Das wird wohl kaum nötig sein, Luca. Und mir fehlt einfach auch die Zeit dafür. Ich führe das gesamte Casino quasi im Alleingang, und ich habe mich in den letzten Wochen schon viel zu wenig um alles gekümmert, weil ich so mit dem Fall beschäftigt war.“

Luca nahm sich noch ein Stück Speck. „Dann werden Sie sich weiterhin wenig kümmern. Während wir nämlich gemeinsam an dem Fall arbeiten.“

„Ich habe Sie doch angeheuert, um den Fall zu lösen und den Dieb zu finden. Wenn ich Sie auf Schritt und Tritt begleiten soll, wozu brauche ich Sie dann?“

„Nein, Sie haben mich engagiert, damit ich Ihnen helfe, den Fall zu lösen. Helfen ist in diesem Fall das Zauberwort. Ich habe ja, genau wie Sie, noch andere Verpflichtungen. Da müssen wir eben beide sehen, wie wir das zeitlich hinkriegen. Außerdem brauchen Sie mich, weil Sie alleine einfach nicht vorankommen.“

Natürlich hätte er alles alleine machen können, aber so machte das ja keinen Spaß. Nein, nein Annalise sollte schön dicht bei ihm sein. Er brachte sie einfach zu gerne in Verlegenheit!

Er rückte näher an sie heran. „Wir werden in Zukunft viel Zeit gemeinsam verbringen, Annalise. Gewöhnen Sie sich lieber schon daran.“

Annalise stand hinter den beiden Männern und hörte einfach nur zu, ohne besonders viel zu verstehen. Von diesem Computer-Kauderwelsch hatte sie nicht viel Ahnung. Für sie war es wie eine Fremdsprache.

Eigentlich hielt sie sich für recht intelligent; sie führte ein großes Unternehmen, und das nicht schlecht, wenn sie das selbst so sagen durfte, aber in diesem Moment fühlte sie sich dumm, fühlte sie sich, als ob sie nicht dazugehörte.

Und das gefiel ihr gar nicht. Zumal in ihrem Büro so viel Arbeit auf sie wartete.

Nein, das hier brachte ihr gar nichts.

Sie wandte sich um und ging in Richtung Tür. Bis Lucas schneidende Stimme sie aufhielt.

„He, was soll das? Wo wollen Sie hin?“

Wütend blickte sie ihn an. „In mein Büro. Zu diesem Fachgespräch kann ich sowieso nichts beitragen. Deshalb nutze ich die Zeit lieber, um mich ums Casino zu kümmern. Das ist schließlich meine Hauptaufgabe.“

Ihre Stimme war eisig, und ihre Gereiztheit war ihr anzumerken. Hätte sie mit einem ihrer Angestellten in diesem Tonfall gesprochen, wäre die Person wahrscheinlich eingeschüchtert und ganz kleinlaut gewesen.

Aber Luca Kilpatrick war aus anderem Holz geschnitzt. „Kriegen Sie sich wieder ein, Prinzessin“, sagte er respektlos. „Sie bleiben schön, wo Sie sind, ja?“

James, der Chefinformatiker, verfolgte den Wortwechsel mit offenem Mund. Er selbst hätte nie gewagt, so mit seiner Chefin zu reden!

Annalise war bewusst: Sie musste jetzt reagieren, und zwar richtig reagieren! Wenn James weitererzählte, wie Luca mit ihr zu reden gewagt hatte, würden die Angestellten den Respekt vor ihr verlieren. Jetzt musste sie schnell gegensteuern!

Mit entschlossenen Schritten ging sie auf Luca zu und baute sich vor ihm auf. Sie war ihm extra näher gekommen, als die Höflichkeit es normalerweise zuließ, und da sie High Heels trug, wirkte sie auch nicht wesentlich kleiner als er.

Das war eines der Dinge, die sie von ihrem Vater gelernt hatte: Man musste immer sein Gesicht wahren! Sie war nicht schwach, und sie würde sich nichts gefallen lassen!

„Nennen Sie mich nie wieder Prinzessin, Mister Kilpatrick. Sie können Annalise zu mir sagen oder meinetwegen auch Miss Mercado, wenn es etwas förmlicher sein soll. Aber nie wieder diesen Prinzessinnen-Quatsch, verstanden? Davon abgesehen habe ich Sie engagiert, deshalb steht es Ihnen absolut nicht zu, mir Befehle zu erteilen. Ich hoffe, wir verstehen uns.“

Wortlos sah Luca sie an, und nur seine Mundwinkel zuckten ein wenig. Ob er eingeschüchtert war oder doch eher amüsiert, konnte Annalise an seinem Gesichtsausdruck nicht ablesen. Aber es war ihr auch egal.

Schließlich gab Luca klein bei. „Jawohl, Ma’am“, sagte er leise.

Befriedigt trat Annalise einen Schritt zurück. „Ich gehe jetzt in mein Büro. Wenn Sie hier fertig sind, kommen Sie nach und erstatten mir Bericht, Mister Kilpatrick.“ Dann wandte sie sich an James. „Danke für Ihre Hilfe, James.“

Diensteifrig nickte der Mann. „Ich stehe Ihnen jederzeit gern zur Verfügung, Miss Mercado.“

Ohne ein weiteres Wort verließ Annalise den Raum. Erst als sie auf dem Flur ein paar Schritte gegangen war, atmete sie tief durch. Ihr Herz schlug wild, aber sie war froh, dass sie die Situation gut überstanden hatte.

Auch wenn ihre Begegnungen mit Luca bisher nicht besonders freundlich abgelaufen waren – eigentlich ging sie nur höchst ungern auf Konfrontationskurs. Normalerweise ging sie Streitigkeiten aus dem Weg, wann immer es nur möglich war. Sie brauchte keinen Studienabschluss in Psychologie, um zu wissen, woher das kam: aus ihrer Kindheit. Ihr Stiefvater hatte ihre Mutter misshandelt und schließlich getötet. Das hatte bei ihr tiefe seelische Wunden hinterlassen.

Sie und ihr Bruder Dominic waren beide in jener Nacht dabei gewesen, als ihr Stiefvater zu weit gegangen war. Machtlos hatten sie alles mit ansehen müssen. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit – und auch der Schuld – würde sie wohl nie vergessen können.

Zwanzig Jahre war das Ganze nun her, aber es verfolgte sie noch immer. Bei ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des Casinos blieb es nicht aus, dass sie manchmal streng sein musste, die Chefin herauskehren musste, mit Animositäten umgehen musste. Aber leicht fiel es ihr nicht.

Ihre Hände waren von der Konfrontation immer noch schweißnass. Sie hatte jetzt die Fahrstühle erreicht und drückte auf den Knopf, um einen Lift anzufordern.

Die Türen öffneten sich, sie trat ein – und hörte in diesem Moment eilige Schritte. Gerade als die Tür sich wieder schließen wollte, betrat die herangeeilte Person ebenfalls den Fahrstuhl. Es war … Luca. Auch das noch!

Er sah die Verärgerung in ihrem Blick. Eigentlich hatte er gedacht, das würde ihm eine gewisse Befriedigung verschaffen. Aber das war nicht der Fall.

Tief verborgen in ihrem Blick sah er nämlich noch etwas anderes, das eigentlich nicht dazu passte. Etwas, das er noch aus seiner eigenen problematischen Kindheit kannte.

Angst.

Oh ja, sie war unterdrückt und nur für den aufmerksamen Betrachter zu erkennen. Aber sie war da. Und vermutlich hatte er sie durch sein Verhalten ausgelöst.

„Ich dachte, Sie hätten noch etwas mit James zu besprechen“, sagte sie unfreundlich.

„Ja, habe ich auch. Aber ich habe dafür einen Termin heute Nachmittag mit ihm abgemacht.“

„Erst verderben Sie mir die Laune mit diesem ach so wichtigen Gespräch, und dann ist es auf einmal nicht mehr so eilig?“

Er zuckte mit den Schultern. „Sieht so aus.“

Annalise lehnte sich aufseufzend gegen die Fahrstuhlwand. „Ich werde aus Ihnen einfach nicht schlau. Und um meine geistige Gesundheit zu bewahren, werde ich es auch lieber gar nicht mehr versuchen.“

Luca lachte auf. „Ja, ja, reden Sie sich das nur ein. Sie werden es weiter versuchen. Sie können gar nicht anders.“

„Was soll denn das heißen?“

„Nur, dass ich Sie kenne.“

„Tun Sie nicht.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich glaube doch. Ich habe Sie in den vergangenen Tagen ausgiebig beobachtet.“

„Was natürlich überhaupt nicht gruselig und stalkermäßig ist.“

Er musste lächeln. „Sagen wir so: Ich wollte gar nicht unbedingt Sie ständig beobachten – aber Sie waren halt ständig überall. Und genau das ist der Punkt, Annalise. Das Spielcasino mit dem angeschlossenen Hotel ist Ihr Leben. Jede wache Minute verbringen Sie hier. Und Sie schlafen obendrein auch noch hier. Geben Sie es zu: Sie sind ein Workaholic. Sie leben nur für das Magnifique. Sie haben keinen Funken von Privatleben.“

„Das stimmt überhaupt nicht.“

„Sie können es leugnen, aber das ändert nichts an der Tatsache.“

„Und Sie? Was ist mit Ihnen? Sie sind ein Faulpelz, ein Tagedieb, der sich vor ehrlicher harter Arbeit drückt, wo er nur kann.“

„Sie wissen doch überhaupt nichts über mich.“

„Oh doch. Sie sind ein Falschspieler, ein Betrüger. Sie suchen sich für sich immer den einfachsten Weg aus.“

„Seien Sie sich da nicht so sicher. Natürlich, Sie können mir vorwerfen, dass ich die Methode des Kartenzählen beim Blackjack verwendet habe, aber illegal ist das nicht. Und diese Fähigkeit ist nicht gerade einfach zu erlernen. Man braucht dazu ein gewisses Talent, und das habe ich. Dieses Talent verschafft mir vielleicht einen gewissen Vorteil über andere Menschen, aber das gilt doch zum Beispiel auch für Leute im Leistungssport. Sie haben eine gewisse Gabe, aber sie müssen hart daran arbeiten und trainieren, damit sie ihnen wirklich nützt. Und warum hassen die Casinos uns Kartenzähler? Weil wir ein Spielniveau auf Augenhöhe herstellen. Gleiche Chancen. Beim normalen Spielen sind nämlich die Casinos im Vorteil und profitieren davon.“

Annalise wollte etwas sagen, öffnete den Mund – und schwieg dann doch.

Unwillkürlich trat er näher an sie heran. Er kam ihr näher, als es die Höflichkeit gebot, und am liebsten hätte er sie in die Arme geschlossen und geküsst, so anziehend wirkte sie auf ihn. Aber er riss sich zusammen.

Sie war nicht zurückgewichen; sie hielt seine Nähe aus. Entschlossen reckte sie das Kinn hoch und sah ihn durchdringend an.

„Nur raus damit“, forderte Luca sie auf. „Sagen Sie, was Sie mir sagen wollen.“

Er konnte förmlich hören, wie es in ihrem Gehirn ratterte. Es dauerte noch einige Augenblicke, bis sie zu sprechen begann. „Wir waren vielleicht beide etwas voreingenommen, was die Einschätzung des anderen angeht.“

„So sind die Menschen eben.“

„Ja, aber das macht es nicht besser. Man sollte doch unvoreingenommen aneinander herangehen.“

Noch immer war er ihr ganz nahe, und es kostete ihn ungeheure Überwindung, sie nicht einfach in die Arme zu schließen. „Annalise, eigentlich will ich es gar nicht“, sagte er, „aber ich … mag Sie. Sie sind intelligent, Sie haben Courage – und Sie sind verdammt sexy.“ Zärtlich wischte er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie ließ es wortlos geschehen. Erst danach begann sie zu sprechen. „Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor, Luca. Wir müssen uns nicht näher kennenlernen. Wir müssen nur einigermaßen friedlich zusammenarbeiten.“

„Aber was ist, wenn ich Sie näher kennenlernen will?“

„Das ist dann Ihr Pech.“

„Trauen Sie sich doch mal was, Annalise. Gehen Sie mal ein Risiko ein. Ich habe das Gefühl, das tun Sie nicht sehr oft …“

Sie kniff die Augen zusammen. „Was ich tue oder nicht tue, geht Sie nichts an. Ich will mich nicht von Ihnen zu etwas verführen lassen, was ich in Wirklichkeit gar nicht will.“

„Aber damit geben Sie indirekt zu, dass ich Sie zu etwas verführen könnte.“

Annalise seufzte auf. „Bei Ihnen habe ich das Gefühl, Sie könnten selbst einen Heiligen zur Sünde verführen.“

„Das ist das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe.“

„Das war kein Kompliment.“

„Das macht es ja sogar noch besser.“

Annalise schüttelte den Kopf. „Sie sind unverbesserlich. Und gefährlich.“

„Sie werfen mit den Komplimenten ja heute nur so um sich.“

Der Fahrstuhl machte „Pling“. Er war beim gewünschten Stockwerk angekommen. Luca hatte nicht darauf geachtet, welchen Knopf Annalise gedrückt hatte. Er war nur schnell in den Fahrstuhl gesprungen, um ihr zu folgen.

Er war überrascht, als die Fahrstuhltür sich zur Penthouse-Etage hin öffnete. Schnell verließ Annalise den Fahrstuhl und trat auf den Flur. Luca tat es ihr nach und folgte ihr bis zur letzten von drei Türen am Flurende.

Sie drückte ihren Zeigefinger gegen ein schwarzes Sensorfeld neben der Tür.

„Aha, modernste Technik“, kommentierte er. „Was verbirgt sich hinter dieser Tür, Annalise? Familiengeheimnisse? Eine Schatzkammer voller erlesener Wertgegenstände?“

Die massive Tür öffnete sich. Dahinter lag ein geschmackvoll eingerichtetes Apartment.

Annalise machte eine einladende Handbewegung. „Mein Zuhause“, sagte sie lächelnd.

3. KAPITEL

Sie hätte ihn nicht hereinbitten dürfen. Das wurde Annalise klar, sobald er das Apartment betreten hatte.

Das Apartment gehörte zwar zum Hotel, aber schon acht Jahre lang war es auch ihr Heim. Sie hatte es genau nach ihrem Geschmack eingerichtet, luftig, mit nicht allzu vielen Möbeln. Durch die zahlreichen großen Fenster hatte man einen atemberaubenden Ausblick, vor allem nachts. Überall Lichter, Blinken, Funkeln, und dahinter, in der Ferne, die Wüste.

Nur selten ließ sie jemanden hier herein. Sie hatte schon Männer gedatet, die es nicht weiter als bis zur Eingangstür geschafft hatten. Dieses Apartment war ihre Zuflucht, ihr Rückzugsort. Hier fühlte sie sich sicher, geschützt, hier konnte sie entspannen.

Annalise holte eine Flasche Wein aus der Küche, füllte zwei Gläser, dann setzte sie sich. Auch Luca setzte sich.

„Ich hoffe, der Wein schmeckt Ihnen.“

Luca probierte und verzog den Mund. „Viel zu süß. Nicht mein Geschmack.“

Annalise zuckte mit den Schultern. „Dann lassen Sie ihn stehen. Sie müssen ihn nicht trinken.“ Sie wunderte sich über sich selber. Dieser Mann ärgerte sie, war unverschämt – und trotzdem fühlte sie sich irgendwie von ihm angezogen …

„Gut, lassen Sie uns wieder zum Geschäftlichen kommen“, schlug er vor. „Ich habe einige Ihrer Angestellten herausgesucht, über die ich mehr Informationen brauche.“

„Herausgesucht? Was meinen Sie damit?“

„Leute, die grundsätzlich als Täter in Frage kämen. Leute, die Zugang zu den Computersystemen oder zur Security haben und die Möglichkeit zum Stehlen hätten.“

Annalise schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ganz ausgeschlossen.“

„Wie bitte?“

„Das war keiner von meinen Leuten. Auf gar keinen Fall.“

Luca seufzte. „Ich kann verstehen, dass Ihnen der Gedanke nicht gefällt. Aber alles deutet darauf hin, dass der Täter von innen kommt, dass er Insiderkenntnisse hat. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass dem nicht so ist, gibt es zumindest einen Informanten innerhalb des Unternehmens.“

Nein, das konnte Annalise einfach nicht glauben! „Alle meine Leute sind mehr als nur Angestellte. Sie gehören gewissermaßen zur Familie.“

„Tun sie nicht. Annalise, Sie bezahlen diese Menschen, damit sie für Sie arbeiten. Das ist ein rein geschäftliches Verhältnis. Glauben Sie mir, wenn jemand denen mehr Geld bietet oder sie eine Gelegenheit haben, an mehr Geld zu kommen, werden sie nicht nein sagen.“

„Ich kann nicht sagen, dass ich Ihre Weltsicht gut finde, und ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass Sie Unrecht haben. Aber bitte, wie Sie wollen. Ich lasse mir die Personalakten der entsprechenden Mitarbeiter kommen. Und nachher bestelle ich uns noch was zu essen.“

Die Akten kamen schnell. Luca nahm sich die oberste vom Stapel. „Gut, fangen wir mit der hier an. Christine Tillman. Was wissen Sie über sie?“

„Sie leitet unsere Buchhaltung. Sie ist alleinerziehende Mutter, aber ihre Kinder sind inzwischen erwachsen oder auf dem College.“ Sie erwähnte nicht, dass das Magnifique die Kinder bei den Collegekosten unterstützt hatte. Oder dass Christines ältester Sohn ebenfalls für das Casino arbeitete. Wahrscheinlich wusste Luca das ohnehin schon. „Sie dürfte inzwischen schon zwölf Jahre für das Unternehmen arbeiten.“

„Das heißt vermutlich, Ihr Vater hat sie noch angestellt … und nicht Sie?“

„Nein, ich habe sie nicht angestellt. Aber ich glaube, mein Dad auch nicht. Dafür haben wir eine Personalabteilung.“

Luca nickte. „Wussten Sie, dass Mrs. Tillman vor zwei Jahren eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufgenommen hat, um ihrem Sohn das Medizinstudium zu finanzieren? Und dass sie bis über beide Ohren verschuldet ist?“

„Was?“

„Ich werte das mal als Nein. Sie wussten es nicht.“

„Nein. Aber wir haben einen Fonds, der studierende Kinder von Angestellten finanziell unterstützt. Das war auch bei Christine der Fall.“

Luca zog eine Augenbraue hoch. „Scheint für Christines Ansprüche nicht genug gewesen zu sein.“

„Aber das heißt noch lange nicht, dass sie uns bestiehlt.“

„Nein. Aber was verdächtig ist: Seit anderthalb Jahren zahlt sie die Schulden kontinuierlich mit größeren Beträgen als vorher ab.“

Annalise runzelte die Stirn. Konnte Luca wirklich recht haben? Sie wusste, dass Christine sich auch noch lange Zeit um ihre kranken Eltern gekümmert und sie unterstützt hatte. Hatte sie dafür noch mehr Geld gebraucht?

Christine als Diebin – das konnte Annalise sich einfach nicht vorstellen. Sie war immer eine gute und loyale Mitarbeiterin gewesen. „Seit anderthalb Jahren zahlt sie die Schulden verstärkt ab, sagten Sie? Um die Zeit hat sie ihre Eltern verloren. Die beiden sind kurz an nacheinander gestorben.“

„Vielleicht hat die Auflösung des Nachlasses ihr das Geld gebracht, die Schulden schneller tilgen zu können“, sagte Luca. „Das würde sich zumindest mit dem decken, was Joker herausgefunden hat. Aber ich wollte auch Ihre Meinung hören.“

Annalise kniff die Augen zusammen. „Joker? Wer ist Joker?“

„Unser Hacker“, antwortete Luca, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Wie bitte?“

„Sie haben mich schon verstanden.“

„Ist Hacking nicht illegal?“

Luca blickte von den Akten hoch und lächelte. „Joker bewegt sich zwar manchmal an den Grenzen der Legalität, aber er überschreitet sie nicht. Jedenfalls nicht oft.“

Wütend warf Annalise die Akte, die sie gerade in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch. „Ich darf auf keinen Fall in irgendetwas Illegales verwickelt sein, Luca! Das könnte unsere Glücksspiellizenz gefährden!“

Luca zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ach, tatsächlich? Ihr Vater hat das vor acht Jahren wohl nicht so eng gesehen, als er mich zusammengeschlagen hat. Und das noch in Ihrem Beisein.“

Wie oft wollte er das Thema denn noch auf den Tisch bringen? Sie fand es ja selber ganz furchtbar! „Das war mein Vater. Ich konnte doch nichts dafür.“

„Aber Sie haben auch nicht versucht, ihn davon abzuhalten. Sie haben nur dagestanden und zugesehen.“

Jetzt hatte sie allmählich genug. „Ja, Sie haben recht, ich habe ihn nicht davon abgehalten, und zwar, weil ich jung war und Angst hatte. Aber diese Nacht hat mich traumatisiert. Ich hatte noch wochenlang Albträume.“

„Ich bin untröstlich, dass Sie das so mitgenommen hat, Prinzessin“, erwiderte er theatralisch und wies dezent auf sein rechtes Bein. Auf das Bein, mit dem er seit dem Vorfall leicht humpelte.

Annalise senkte schuldbewusst den Blick. „Luca, das mit Ihrem Bein tut mir wirklich leid, und ich heiße auf keinen Fall gut, was damals vorgefallen ist. Mein Vater war eindeutig im Unrecht. Aber ich kann Ihnen versichern, dass so etwas bei uns nicht mehr vorkommt. Schon lange nicht mehr.“ Seit sie die Leitung des Casinos übernommen hatte.

Nach dieser schicksalhaften Nacht hatte sie ein langes Gespräch mit ihrem Vater geführt. Zum ersten Mal hatte sie ihm offenbart, was ihr Bruder und sie in der Todesnacht ihrer Mutter erlebt hatten. Sein brutales Verhalten Luca gegenüber hatte nämlich Erinnerungen an die Brutalitäten wieder wachgerufen, denen ihre Mutter durch ihren Stiefvater ausgesetzt gewesen war. Sie hatte sie vorher nie offenbart, weil alle, auch die Polizei, Annalises Stiefvater geglaubt hatten. Der hatte wahrheitswidrig erzählt, ihre Mutter sei betrunken die Treppe heruntergefallen. Ohne Fremdeinwirkung.

In gewisser Weise hatte der Vorfall um Luca etwas Gutes in Gang gesetzt. Annalise hatte erkannt, dass ihr Vater bei weitem nicht perfekt war. Sie hatte sich geschworen, die Umgangsformen im Magnifique zu zivilisieren, sobald es ihr möglich war.

„Noch mal zu der Hackergeschichte“, sagte Annalise. „Das war mir zu nahe an der Grenze zur Illegalität, wenn es nicht sogar wirklich illegal war. Sie haben ohne mein Wissen meine Angestellten ausgespäht. So geht das nicht, Luca.“

Nachdenklich sah er sie an. „Sie haben recht. Ich entschuldige mich dafür.“

Sie war überrascht, dass er seinen Fehler zugab. „Freut mich, dass Sie das einsehen. Man kann nicht einfach so in die Privatsphäre von Menschen eindringen.“

Luca schüttelte den Kopf. „Die Privatsphäre ist eine Illusion. Joker hat nur öffentlich zugängliche Informationen verwendet. Sicher, wenn er wollte, könnte er sich fast überall einhacken, aber in den allermeisten Fällen braucht er das überhaupt nicht. Die meisten Leute geben freiwillig viel zu viel von sich preis.“

Sie bemerkte die Verärgerung in seiner Stimme. „Das scheint Sie richtig aufzuregen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin Programmierer. Ich bin in der IT-Welt zu Hause, aber das heißt ja nicht, dass ich Fehlentwicklungen nicht erkenne. Nehmen wir nur Ihren Fall mit dem Casino. Ihr System hat irgendeine Schwäche, die jemand entdeckt hat und jetzt ausnutzt. Wir müssen diese Schwachstelle aufdecken und herausfinden, wer sie entdeckt hat – und wie er sie entdeckt hat.“

„Und warum er sie ausgenutzt hat.“

Wieder schüttelte Luca den Kopf. „Warum ist egal. Die Beweggründe spielen keine Rolle.“

Annalise seufzte. Was diesen Punkt anging, würden sie sich wohl niemals einig sein, aber für sie spielten die Beweggründe schon eine Rolle, zumal wenn es sich bei dem Dieb wirklich um einen Angestellten des Magnifique handelte. Für sie waren die Angestellten wie Familienangehörige, und sie wollte wissen, wer ihr Vertrauen missbraucht hatte und warum.

„Doch, Luca. Ich will die Beweggründe wissen.“

Ja, natürlich interessierten die Beweggründe Annalise – weil sie emotional viel zu beteiligt war. Aber aus Lucas Sicht lag sie falsch, wenn sie die Angestellten als Familie sah.

Er sah die Welt mit anderen Augen. Für ihn kannten die Menschen keine Loyalität. Jeder war sich selbst der Nächste, und wer einem anderen half, tat es nur, wenn es ihm nützte oder wenn ihm daraus zumindest kein Nachteil entstand.

Schon früh hatte er gelernt, dass man sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Seine Devise war: Traue niemandem!

Damit ersparte man sich Enttäuschungen, Kopfschmerzen und auch Liebeskummer.

In vielerlei Hinsicht konnte er in Annalise lesen wie in einem offenen Buch. Sie war ein Workaholic; das Magnifique mitsamt der Angestellten war ihr Lebensinhalt. Sie verbrachte nur wenig Zeit außerhalb des Casinogebäudes, und selbst wenn, ließ sie nur sehr wenige Leute von außen an sich heran. Was das anging, waren sie und er sich sogar sehr ähnlich. Auch Luca hatte nur wenige Vertraute.

In anderer Hinsicht jedoch war Annalise ihm ein Rätsel. Das betraf ihre Sicht auf Menschen, ihren Umgang mit Menschen. Und es wurde ihm immer deutlicher, je länger er sie über die anderen Angestellten befragte, die Joker als potentiell Verdächtige ermittelt hatte. Ohne je einen Blick in die Akten werfen zu müssen, konnte sie ihm über jede der betreffenden Personen Auskunft geben, über die Namen ihrer Ehepartner und Kinder bis hin zu ihren Hobbys und Lebenszielen.

Dabei waren diese Menschen nicht wirklich ihre Freunde. Außerhalb des Arbeitsumfelds pflegte sie keine Kontakte zu ihnen. Sie vertraute ihnen auch nichts Privates an. Ihre Angestellten hingegen – die vertrauten ihr scheinbar alles an. Sie zählten auf sie und ihre, ja, Güte; und Annalise übernahm gern die Rolle der Beschützerin und Versorgerin.

Eine gute Stunde beschäftigten sie sich mit den Akten, dann ließ Annalise ihnen erst einmal ein Essen kommen. Dazu servierte sie einen trockenen Rotwein, der Luca besser mundete als der erste Wein.

Anschließend wurde weiter gearbeitet. Es dauerte noch mehrere Stunden, bis sie die Akten der potentiell Verdächtigen durchgearbeitet hatten. Luca hatte es kaum als Arbeit empfunden; er hatte Annalise gerne zugehört. Wie sie voller Mitgefühl die Angestellten verteidigte, die sie für absolut unverdächtig hielt. Wie sie aber auch bereitwillig zugab, wenn sie jemanden doch nicht so genau kannte, wie sie geglaubt hatte.

Ja, es war Arbeit und Pflicht gewesen, hier mit ihr zusammen zu sitzen, aber es war auch sehr schön gewesen. Zumal sie ja ohnehin eine überaus attraktive Frau war …

Lag es am Wein, dass er sich ihr plötzlich näherte? Nur zu gerne hätte er sie geküsst, probiert, wie ihre Lippen schmeckten.

Zu seiner Überraschung wich sie nicht zurück. Nein, als die Lippen der beiden sich kurz darauf berührten, war sie es, die den Kuss begonnen hatte. Bereitwillig, ja, verlangend, öffnete sie ihren Mund für ihn. Sie schmeckte so gut!

Sie umschlangen sich mit den Armen – und dann war plötzlich alles vorbei.

Als wäre sie plötzlich aus einem Traum erwacht, löste Annalise sich aus der Umarmung. „Nein, das … das geht nicht“, stieß sie hervor.

Sie hatte es selber gewollt, war eindeutig mit großem Verlangen bei der Sache gewesen – und jetzt das. Er wollte ihr wieder näher kommen, doch sie wich zurück. Das schmerzte ihn fast körperlich.

„Es tut mir leid, Annalise“, sagte er leise. „Ich hätte mich dir nicht so nähern dürfen, ich hätte nicht …“

„Nein, nein, es ist ebenso sehr meine Schuld“, erwiderte sie. Wortlos blickte sie eine Zeit lang aus dem Fenster, bis sie weiter redete. „Aber so etwas darf nie wieder passieren. Arbeit und Vergnügen sind für mich zwei Paar Schuhe. Das passt nicht zusammen.“

„Wobei du dem Vergnügen ganz offensichtlich sowieso keinen großen Stellenwert einräumst“, konterte er mit einem Anflug von Spott in der Stimme. „Was jammerschade ist, Prinzessin. Ich habe es ja gespürt – in dir lodert ein Feuer, aber du versuchst es immer wieder zu ersticken.“

Sie blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.

Was blieb Luca anderes übrig, als ihr Nein zu akzeptieren? „Gute Nacht“, sagte er leise, dann ging er, so schwer es ihm auch fiel.

4. KAPITEL

Seit dem Kuss waren zwei Tage vergangen. Sie hatten in dieser Zeit weitere Besprechungen gehabt, und Annalise konnte nicht leugnen, dass ihre Wertschätzung für Luca Kilpatrick und seine Detektivarbeit wuchs. Er war gründlich und schreckte auch vor komplizierter Recherchearbeit in staubtrockenen Akten nicht zurück. Und er kannte auch keine heiligen Kühe, sondern stellte wirklich alles und jeden im Betrieb in Frage. Es war doch gut gewesen, jemanden von außen mit den Ermittlungen zu beauftragen!

Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, desto schwerer fiel es Annalise, die Anziehung zu ignorieren, die zwischen ihnen beiden herrschte. Immer wieder musste sie an den einen Kuss zurückdenken, wünschte sich insgeheim weitere Küsse – und noch viel mehr …

Aber es wäre unklug, diesem Verlangen nachzugeben.

Um auf andere Gedanken zu kommen, drehte Annalise eine Runde durchs Casino. Ein Kontrollgang, wenn man so wollte, obwohl sie ihre Mitarbeiter eigentlich nie kontrollierte. Sie hatte ihnen ja immer vertraut.

Eigentlich war es Luca gewesen, der die Saat des Misstrauens in ihr gesät hatte …

Nein, das war Unsinn. Offensichtlich gab es ja wirklich jemanden unter ihren Angestellten, der ihr Vertrauen missbraucht hatte. Das Schlimme daran war nur, dass sie jetzt eigentlich keinem ihrer Angestellten mehr unvoreingenommen gegenübertreten konnte …

Sie war ganz in Gedanken versunken, als sie plötzlich beinahe mit Luca zusammenstieß. „Ach, da bist du ja, Annalise. Ich hatte dich gesucht. Dachte schon, du wärst in deinem eigenen Casino verloren gegangen.“

„Ganz bestimmt nicht. Das Casino kenne ich wie meine Westentasche. Und das schon seit Kindertagen.“

Er lächelte. „Ich frage mich nur, warum ich dich nirgends finden konnte. Gehst du mir vielleicht aus dem Weg?“

„Ganz bestimmt nicht.“

„Du kannst ruhig zugeben, dass du immer an unseren Kuss denken musst, wenn wir uns sehen.“ Wieder lächelte er. „Mir geht es jedenfalls so.“

„So ein Unsinn. Ich muss nicht ständig daran denken.“ Besonders überzeugend klang das nicht …

„Na ja, wie du meinst.“

Nein, zugeben konnte sie es auf keinen Fall! Das wäre ja wie eine Aufforderung an ihn, einen neuen Annäherungsversuch zu starten.

Zum Glück kam in diesem Moment Annalises Sekretärin Amanda angelaufen. „Endlich finde ich Sie, Miss Mercado! Ich suche Sie schon die ganze Zeit!“

Bevor Amanda heran war, zischte Luca ihr noch zu: „Mit dem Thema sind wir noch nicht durch.“

Doch, wenn es nach ihr ging, schon. „Was gibt es denn, Amanda?“

„Wir haben ein kleines Problem in der Personalabteilung. Ich dachte, Sie wollten es sich selbst kurz anhören …“

Annalise wandte sich kurz an Luca. „Entschuldige mich bitte. Ich muss mich um etwas kümmern.“ Sie folgte ihrer Angestellten und bekam gar nicht mit, dass Luca ihr seinerseits folgte.

Im Personalbüro fand sie Carmen vor, eine der Angestellten, die bitterlich weinte. „Was ist denn los, Carmen?“

Carmen versuchte zu erzählen, aber sie wurde immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt.

Amanda reichte der verzweifelten Frau ein Taschentuch und sprang für sie ein. „Carmen hat gerade die Nachricht bekommen, dass ihr Vater und ihr Bruder einen Autounfall hatten. Es scheint ziemlich ernst zu sein. Beide liegen im Krankenhaus.“

„Carmen muss sie im Krankenhaus besuchen“, sagte Annalise. „In welcher Klinik liegen sie denn?“