Bächle, Gässle, Puppentod - Ute Wehrle - E-Book

Bächle, Gässle, Puppentod E-Book

Ute Wehrle

4,8

  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Die Freiburger Journalistin Katharina Müller freut sich auf ein paar Tage Urlaub in Überlingen. Doch die Vermieterin ihrer Ferienwohnung taucht nicht auf. Was einen guten Grund hat, denn ihre Leiche wird wenig später im Höllental gefunden. Während die Polizei den Täter im Umfeld des Opfers sucht, ist Katharina überzeugt davon, dass der Tod der Frau mit geheimnisvollen Schaufensterpuppen zusammenhängt, die mehr im Kopf haben, als manchem lieb sein kann.

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Seitenzahl: 353

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Ute Wehrle ist gebürtige Freiburgerin und studierte Touristik-Betriebswirtschaft in Heilbronn. Sie arbeitet als freie Journalistin und Autorin.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2016 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: shutterstock.com/Iasmina Calinciuc Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Susanne Bartel eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-984-4 Originalausgabe

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Wer hinter die Puppenbühne geht,

sieht die Drähte.

Wilhelm Busch

Prolog

Duftige Spitzen umschmeichelten den tiefen Ausschnitt; der Saum, der locker das Knie umspielte, war mit Volants verziert. Das Teil sah ausgesprochen edel aus. Silke Busch drückte sich –nicht zum ersten Mal– die Nase am streifenfreien Schaufenster der Nobelboutique inmitten der Freiburger Altstadt platt. Wie magisch angezogen starrte sie auf das schwarze Kleid. Es würde ihr super stehen. Wenn da nur nicht der Preis wäre. Und ihre kleine Tochter, die ungeduldig an ihrem Arm zerrte. »Mama, komm!«

»Nur noch ganz kurz.« Silke Busch warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das Designerstück. Sogar die ausgestellte Größe müsste passen, obwohl sie um die Hüften herum in den vergangenen Monaten etwas zugelegt hatte. Aber mit Kind und einem Halbtagsjob als Sekretärin blieb eben nicht mehr viel Zeit zum Joggen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt auf dem Schlossberg ihre Runden gedreht hatte.

Das Mädchen neben ihr quengelte weiter. »Mama, ich will hier weg. Schnell.« Der Griff um Silke Buschs Arm verstärkte sich.

»Was hast du denn? Sonst schaust du doch auch gern hübsche Sachen an.« Sie wurde ärgerlich. Seit Emily ihren fünften Geburtstag gefeiert hatte, wurde sie immer dickköpfiger. Woher sie das nur hatte? Von ihr jedenfalls nicht.

Emily zog heftiger.

»Jetzt gib endlich Ruhe«, schimpfte ihre Mutter. Immer musste das Kind seinen Willen durchsetzen. Ganz der Vater, schoss es ihr durch den Kopf. Der wurde genauso unausstehlich, wenn ihm etwas nicht passte.

Es war einer dieser Momente, in denen sie tief im Innersten bereute, in jener Urlaubsnacht auf Teneriffa nach einem ausgelassenen Disco-Abend die Pille vergessen zu haben. Nun, daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Mit den Folgen ihrer Vergesslichkeit würde sie noch die nächsten dreizehn Jahre leben müssen. Mindestens. Aber ganz sicher würde sie sich bis zu Emilys Volljährigkeit nicht von ihr auf der Nase herumtanzen lassen. Das wäre ja noch schöner.

Silke Buschs Stimme wurde energischer. »Hör sofort auf mit dem Theater, Emily. Mama will schließlich auch mal Spaß haben.« Wozu sie wahrlich selten genug Gelegenheit hat, fügte sie im Stillen hinzu. »Wenn du brav bist, bekommst du nachher auch eine Kugel Erdbeereis.« Der pädagogisch fragwürdige Bestechungsversuch funktionierte gewöhnlich immer. Ihre Tochter liebte Eis über alles.

Heute allerdings nicht.

Emily begann zu schniefen. »Ich will kein Eis. Ich hab Angst.«

Das durfte doch nicht wahr sein! Silke Busch verdrehte die Augen.

»Was redest du da für Unsinn? Hier ist nichts, wovor du Angst haben müsstest.«

»Die Puppe schaut mich an. Die ist ganz arg böse.« Emily stampfte mit den Füßen auf, um ihrer Behauptung Nachdruck zu verleihen.

Eine Frau, die einen plärrenden Jungen im Kindergartenalter hinter sich herzog, warf Silke Busch im Vorbeigehen einen mitfühlenden Blick zu.

Silke Busch runzelte die Stirn. Welche Puppe meinte Emily? Etwa die Schaufensterpuppe mit den violetten Augen, die das Kleid trug? Zugegeben, die wirkte ziemlich lebensecht, obwohl deren perfekte Körpermaße eher dem Reich der Phantasie als der Realität entstammten. Silke Busch kannte nicht eine einzige Frau in ihrem Bekanntenkreis, die mit ihr hätte mithalten können.

»Mama.« Aus Emilys Augen kullerten dicke Tränen. Sie wirkte völlig verängstigt.

Was war nur in das Kind gefahren? Normalerweise war Emily nicht so nah am Wasser gebaut. Langsam, aber sicher beschlich Silke Busch ein Verdacht. Sie kniete sich vor ihre Tochter und umfasste deren Schultern. »Was hast du gestern Abend eigentlich mit Sina im Fernsehen angeschaut, als Papa und ich im Theater waren?« Sina, die fünfzehnjährige Tochter der Nachbarin, passte auf Emily auf, wenn Silke Busch und ihr Mann ausgingen. Es gab schließlich auch noch ein Leben außerhalb der heimischen vier Wände. Zum Glück.

Emily schaute haarscharf an ihrer Mutter vorbei. »Och, irgendetwas mit einer Puppe. Die hieß Tschaggi oder so. Die war richtig böse und hat Leute umgebracht. Ich bin aber um acht ins Bett.«

Von wegen. Silke Busch kannte ihre Tochter gut genug, um zu wissen, dass sie in puncto Zubettgehen flunkerte. Aber Tschaggi? Wer oder was sollte das sein?

Plötzlich dämmerte es ihr. Diese verflixte Sina und ihre Leidenschaft für Horrorfilme. Wenn Silke nicht alles täuschte, sprach ihre Tochter von Chucky, der Mörderpuppe. Deshalb also benahm sie sich so seltsam. Hundertprozentig hatte sich Sina wieder eine DVD von ihrem großen Bruder gemopst, um den Abend mit der Kleinen unterhaltsamer zu gestalten. Na, die konnte was erleben! Sich mit einer Fünfjährigen einen Film über einen Serienmörder reinzuziehen, der als Puppe sein Unwesen trieb, das war nun wirklich der Gipfel.

Silke Busch spürte, wie ihr Ärger auf ihre Tochter verrauchte. Liebevoll wuschelte sie ihr durchs Haar. »Emily, mein Schatz. Du weißt doch, dass ich dir streng verboten habe, Fernsehen zu schauen, wenn wir nicht zu Hause sind. Und erst recht nicht so grässliche Sachen. Kein Wunder, dass du dich jetzt fürchtest.«

Emily schaute betreten zu Boden und schwieg. Das schlechte Gewissen war ihr anzusehen.

»Ist ja gut, du musst keine Angst mehr haben. Puppen leben nicht. Und jetzt gehen wir zur Eisdiele.« Silke Busch nahm sie an die Hand und wollte sich gerade auf den Weg machen, als sich Emily noch einmal umdrehte und mit dem Zeigefinger Richtung Schaufenster deutete.

»Die hat mich trotzdem böse angeguckt«, sagte sie trotzig.

1

»Du dämlicher Vollpfosten!« Katharina stieg erbost auf die Bremse, als die Bremslichter des holländischen Wohnmobils direkt vor ihr aufleuchteten, bevor es, ohne zu blinken, in die Parkbucht abbog. Im Rückspiegel beobachtete sie, wie ein flachsblonder Mann in kurzen weißen Hosen heraussprang, die nur eine Nuance heller waren als seine bleichen Beine. Er zückte seine Kamera, um einen kapitalen Hirsch abzulichten, der im Begriff stand, in luftiger Höhe die B31 zu überspringen. Dass er die andere Straßenseite nie erreichen würde, hatte einen guten Grund: Der Hirsch war aus Bronze. Und abgesehen davon für sportliche Höchstleistungen zu alt. Mit mehr als hundertfünfzig Jahren auf dem Buckel machte man eben keine großen Sprünge mehr. Das Denkmal zählte neben bollenhuttragenden Mädels zu den beliebtesten Fotomotiven im ganzen Schwarzwald. Was in Katharinas Augen allerdings noch lange keine Entschuldigung dafür war, sämtliche Verkehrsregeln zu ignorieren.

Leise schimpfend fuhr sie weiter. Die Straße zwischen Himmelreich und Hinterzarten, auf der sich Berufs- und Ausflugsverkehr gleichermaßen durchquälten, gehörte sowieso nicht zu ihren Lieblingsstrecken. Von der elenden Kurverei wurde ihr regelmäßig übel.

Trotz des flauen Gefühls im Magen drückte Katharina ordentlich aufs Gaspedal. Sie musste einen Zahn zulegen, wenn sie pünktlich in Überlingen sein wollte. Um zwei Uhr war sie mit der Vermieterin ihrer Ferienwohnung, einer gewissen Vanessa Engel, verabredet, die ihr den dazugehörigen Schlüssel überreichen sollte.

Katharina freute sich wie ein kleines Kind auf ihre freien Tage am Bodensee. Doch erst mal musste sie dort ankommen.

Wo kamen nur die vielen Lastwagen her? Und wo wollten die eigentlich alle hin? Katharina zog auf der Überholspur an einem polnischen Brummi vorbei. Ein Mercedes, der es ebenfalls eilig hatte, schmiegte sich an ihre Stoßstange. Wie sie diese unsägliche Auffahrerei hasste! Schleunigst scherte Katharina wieder rechts ein, um hinter einem italienischen Transporter zu landen. Gegen die Pferdestärken einer Edelkarosse, gepaart mit einem Idioten am Steuer, kamen sie und ihr altersschwacher Fiat einfach nicht an.

Sie drosselte das Tempo und fischte sich eine Zigarette aus der Packung, die neben ihr auf dem Beifahrersitz lag. Es würde schon nicht schlimm sein, wenn sie sich um ein paar Minuten verspätete.

Zugegeben, ein Schnäppchen war die luxuriöse Behausung, in der sie ihr verlängertes Wochenende verbringen würde, nun nicht gerade, sinnierte sie, als sie den Qualm durch das geöffnete Autofenster in den Schwarzwald pustete. Ausschlaggebend für Katharinas Wahl war ein riesiger Balkon gewesen, der zu der Wohnung gehörte. Die Aussicht direkt auf den Bodensee, mit deren Fotos die Eigentümerin im Internet um Gäste warb, war die hundert Euro pro Nacht locker wert. Vanessa Engel hatte ihr telefonisch noch einmal bestätigt, dass es sich um keine Fotomontage handle, und Katharina dezent darauf hingewiesen, das Geld doch bitte schnellstmöglich im Voraus zu überweisen, da noch andere Gäste großes Interesse an der traumhaft gelegenen Immobilie zeigten.

Vier Tage Bodensee– die hatte sie sich redlich verdient, fand Katharina. Nach dem ganzen Stress, den sie in den vergangenen Wochen in der Redaktion gehabt hatte, brauchte sie dringend eine Auszeit. Sie fühlte sich komplett ausgebrannt– ein Gefühl, das ihr bislang unbekannt gewesen war.

Besonders der letzte Artikel, den sie kurz vor ihrer Abfahrt noch hatte schreiben müssen, ging ihr immer noch an die Nieren: Eine taiwanesische Studentin war auf dem Rückweg von der Geburtstagsfeier einer Kommilitonin mitten in der Nacht auf der Habsburgerstraße von einem Auto angefahren worden, als sie den Zebrastreifen überqueren wollte. Was schon schlimm genug war. Noch schlimmer war, dass der Unfallverursacher einfach weitergefahren war, ohne sich um die schwer verletzte Frau zu kümmern. Zwei Nachtschwärmer hatten sie gefunden. Trotz ihres beachtlichen Alkoholpegels waren sie geistesgegenwärtig genug gewesen, den Notdienst zu verständigen.

Die Fahndung nach dem unfallflüchtigen Autofahrer lief bereits auf vollen Touren– doch bislang gab es nicht einen einzigen Zeugen, der der Polizei weiterhelfen konnte, wie Katharina von ihrem besten Freund, Hauptkommissar Jürgen Weber, wusste. Der Gesundheitszustand der Taiwanesin, die an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg studierte, war mehr als bedenklich. Man konnte nur hoffen, dass sie überlebte.

Es gab jedoch noch einen anderen Grund, warum sich Katharinas Stimmung, was ihre Arbeit betraf, auf dem Tiefpunkt befand. Der bisherige Verleger des »Regio-Kuriers«, Peter Bärkamp, der die kleine Zeitung seit Jahren finanziell am Leben hielt, hatte vor drei Monaten den Entschluss gefasst, in Ruhestand zu gehen. Seine Frau hatte vehement darauf bestanden, die badische Sonne endlich gegen die spanische einzutauschen. Bärkamp hatte nachgegeben und die Koffer gepackt. Seither residierte er in einer schmucken Finca auf Mallorca, genoss das Nichtstun und ließ es sich gut gehen. Vermutete Katharina zumindest.

Zuvor hatte er die Leitung der Zeitung schweren Herzens in andere Hände gelegt. Die bedauerlicherweise seinem Schwager gehörten, einem ehrgeizigen Mann Ende vierzig. Bodo Kiesel, der vor seinem Umzug nach Freiburg als stellvertretender Chefredakteur einer hessischen Lokalzeitung die Redakteure das Fürchten gelehrt hatte, zeigte sich wild entschlossen, den sinkenden Auflagenzahlen des »Regio-Kuriers« mit peppigen Storys auf die Sprünge zu helfen.

Schon seine erste selbst recherchierte Titelgeschichte über einen durchgeknallten Wanderverein, dessen Mitglieder ihrem Hobby bar jeglicher Kleidung nachgingen, war ein echter Knüller gewesen. Fünf Abonnenten hatten daraufhin empört den »Regio-Kurier« abbestellt, weil ihnen angesichts der Nackedeis in roten Socken und Wanderstiefeln angeblich das Frühstück im Hals stecken geblieben war. Mit der Folge, dass Kiesel zwar dankenswerterweise keine Artikel mehr verfasste, sich aber stattdessen ständig in die tägliche Redaktionsarbeit einmischte. Das bisherige Ergebnis seiner Bemühungen konnte sich durchaus sehen lassen– die gesamte Belegschaft stand kurz vor einem kollektiven Nervenzusammenbruch. Denn Kiesel verfügte trotz seines überschaubaren Intellekts über eine gnadenlose Selbstüberschätzung, die nicht die geringste Kritik an seiner Person oder seinen Entscheidungen zuließ. Zudem war sein Frauenbild, um es höflich auszudrücken, eher traditionell geprägt. Da er Katharina und ihre Kolleginnen aber zu seinem größten Bedauern nicht an den Herd stellen konnte, weil es in den Büroräumen des »Regio-Kuriers« einen solchen schlicht nicht gab, vergällte er ihnen stattdessen mit markigen Sprüchen den Arbeitstag.

Auch Redaktionsleiter Anton Gutmann, obwohl männlichen Geschlechts, litt unter dem neuen Regiment. Vor lauter Besprechungen über die Zukunft der Zeitung, die seit Kurzem »Jour fixe« und »Meetings« hießen, kam er überhaupt nicht mehr zum Schreiben. Und wenn er sich nicht gerade selbst mit dem neuen Verleger herumärgerte, heulte sich die Belegschaft in seinem Büro über Kiesels rüde Umgangsformen aus. In jüngster Zeit zählte Katharinas gutmütiger Chef immer verbissener die Tage bis zu seinem Ruhestand– eine Beobachtung, die sie mit großer Sorge erfüllte. Gutmann war die letzte Bastion im Kampf gegen Kiesel, die dessen Angriffen noch standhielt. Wenn sie fallen würde…

Katharina versuchte, den unerfreulichen Gedanken schnell zu verdrängen, während sie ihren Fiat im dritten Gang an Felsen und Bäumen vorbeiquälte. Schließlich hatte sie jetzt Urlaub. Und Kiesel, dieser aufgeblasene Wichtigtuer, war nun wirklich der Allerletzte, an den sie dabei denken wollte.

Uff. Erleichtert ließ sie das Höllental hinter sich. Wenn nichts dazwischenkam, würde in spätestens einer Stunde der Bodensee vor ihr auftauchen. Hoffentlich spielte das Wetter die nächsten Tage mit. Mitte Mai wusste man nie, ob die Eisheiligen nicht noch zuschlugen. Im Moment sah es allerdings nicht danach aus. Der Himmel war strahlend blau, und die Sonne tauchte Tannen und Laubbäume in warmes Licht. Selbst Katharina genoss den Anblick, obwohl sie nicht gerade zu den Fans des Schwarzwalds zählte. Für ihren Geschmack gab es hier zu viel Gegend und zu wenig Zivilisation. Und definitiv viel zu viele Püppchen mit Bollenhüten. Sie schaltete in den vierten Gang.

Ihr Haustier machte ebenfalls Urlaub– bei ihrem Nachbarn und Freund Manfred Klein, der ihr hoch und heilig versprochen hatte, Hasi täglich einmal die ABBA-CD vorzuspielen, die Katharina nebst unzähligen Vitaminpillen, Stroh, Trockenfutter und Trinkfläschchen für ihn eingepackt hatte. Um Hasi musste sie sich also keine Sorgen machen– der war für die nächsten Tage bestens versorgt. Und musste im Gegensatz zu Katharina keinen einzigen Euro für seine Unterkunft mit Animationsprogramm bezahlen.

»Geht’s noch?«

Ein Autofahrer, der sich in letzter Sekunde dazu entschlossen hatte, in Richtung Donaueschingen und nicht nach Triberg zu fahren, war haarscharf vor Katharina eingeschert. Auf dem Hinterteil der Rostlaube prangte fett ein Aufkleber »2fast 4you«.

»Idiot!«, brüllte Katharina, beschloss dann aber, sich nicht weiter aufzuregen. Es brachte ja eh nichts. Mit einer Hand fummelte sie eine CD aus dem Handschuhfach und schob sie in den Player. Schon bei den ersten Gitarrenriffs verbesserte sich ihre Laune schlagartig. Sie drehte die Lautstärke bis zum Anschlag hoch und grölte »Smoke on the Water« von Deep Purple mit. Das war noch richtige Musik und nicht so ein komisches Gedudel, auf das die heutigen Jugendlichen abfuhren. Ihr würde es für immer ein Rätsel bleiben, warum die auf Flachpfeifen wie Justin Bieber standen. Aber die Kids fanden es ja auch geil, wenn sich irgendwelche Idioten im »Dschungelcamp« zum Affen machten. Was konnte man da schon an kultiviertem Musikgeschmack erwarten? Als ob er ihr recht geben wollte, drosch Ian Paice wie ein Wilder auf sein Schlagzeug ein. Hingerissen trommelte Katharina mit zwei Fingern den Rhythmus auf dem Lenkrad mit.

Neun Deep-Purple-Songs später tauchte der Bodensee vor ihr auf. Über seine blanke Wasserfläche glitten unzählige Segelboote– wie bewegliche weiße Tupfen auf einem blauen Tischtuch. Ein wohliges Gefühl machte sich in Katharina breit: Diesen Anblick würde sie die nächsten Tage von ihrem Balkon aus genießen dürfen. Bei »Highway Star« erreichte sie Überlingen. Nun musste sie nur noch ihre Ferienwohnung finden. Sie angelte nach der Wegbeschreibung, die sie ausgedruckt und neben ihren Zigaretten auf dem Beifahrersitz deponiert hatte. Mist. Sie hatte die richtige Abzweigung verpasst. Vielleicht sollte sie sich doch endlich mal ein Navi anschaffen. Nachdem sie erst an der Therme und dann am Friedhof gelandet war, bog sie um kurz nach zwei Uhr endlich in den Schilfweg, ihre Zieladresse, ein und stellte ihren Fiat mangels Alternative auf einem Anwohnerparkplatz ab. Eine schwarze Katze, die hier ihren Mittagsschlaf gehalten hatte, schoss davon.

Bewaffnet mit Sonnenbrille und Handtasche, stieg Katharina aus. Das Gepäck ließ sie fürs Erste im Auto, darum konnte sie sich später noch kümmern. Sie umrundete den Häuserblock. Außer zwei Kindern, die die Garageneinfahrt mit bunter Malkreide verschönerten, war kein Mensch zu sehen.

Auf Katharinas Stirn bildeten sich Falten. Hoffentlich besaß Frau Engel die Freundlichkeit, sich nicht allzu sehr zu verspäten, nachdem sie sich selbst so beeilt hatte.

Sie machte es sich direkt gegenüber vom Hauseingang auf einem kleinen Mäuerchen bequem und zündete sich eine Gauloises an. Nach dem letzten Zug drückte sie ihre Zigarette sorgfältig unter einer Buchshecke aus. Nicht dass sie hier noch einen Flächenbrand verursachte. Das würde die Überlinger Feuerwehr bestimmt nicht gut finden. Vanessa Engel war immer noch nirgends zu sehen.

Zwanzig Minuten nach zwei. Wo zum Henker blieb ihre Vermieterin? Katharina hasste unpünktliche Menschen. Sie zog ihre Buchungsbestätigung und ihr Handy aus der Handtasche und tippte die Mobilnummer von Vanessa Engel ein. »Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.« Na, die hatte echt Nerven, sie einfach vor dem Haus sitzen zu lassen.

Katharina hatte keine andere Wahl, als sich in Geduld zu üben– eine Tugend, mit der sie nicht gerade gesegnet war.

Wenigstens saß sie hier in der Frühlingssonne und nicht am Schreibtisch, den sie gestern Abend fluchtartig verlassen hatte.

Kurz darauf landete ihre zweite Zigarettenkippe in der Buchshecke. Halb drei. So langsam könnte die Tussi wirklich antanzen, ärgerte sich Katharina. Wieder versuchte sie, Vanessa Engel telefonisch zu erreichen. Wieder war nur die Mailbox dran. Allmählich wurde Katharina ernsthaft sauer. Sie wollte endlich in ihre Ferienwohnung– schließlich hatte sie dafür bezahlt.

Drei Uhr. Wütend schnippte Katharina ein Aschehütchen von ihrer Zigarette. Unter der Buchshecke sah es mittlerweile aus, als hätte jemand seinen Aschenbecher ausgeleert.

Oben im Haus ging ein Fenster auf. »Hört ihr wohl auf mit der Schweinerei?«, schrie eine ältere Frau, deren Kopf mit einer zu starken Dauerwelle verunziert war, zu den Kindern hinunter. Sofort packten sie kommentarlos ihre Malkreide zusammen und räumten in Windeseile den Garagenvorplatz. Das Fenster wurde zugeknallt. Katharina wechselte die Sitzposition. Die Minuten verrannen. Endlich. »Hells Bells« von AC/DC signalisierte einen Anruf auf ihrem Handy.

»Das wurde aber auch Zeit. Ich warte hier schon ewig«, meldete sie sich pampig, ohne auf die Nummer zu achten, die im Display angezeigt wurde.

»Wieso das denn? Du bist doch noch nicht mal einen halben Tag weg. Hast du schon Heimweh?«, wunderte sich Manfred Klein am anderen Ende.

»Quatsch«, murrte Katharina enttäuscht. »Ich hab gedacht, du wärst jemand anders. Was gibt’s denn?«, fragte sie etwas freundlicher.

»Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du gut in Überlingen angekommen bist. Ist ja immer so eine Sache, bei dem Verkehr.«

Katharina lächelte. Schön, dass sich wenigstens einer um ihr Wohlergehen sorgte.

»Ich sitz mit Hasi gemütlich auf dem Balkon. Es scheint ihm bei mir gut zu gefallen. An Appetitlosigkeit leidet er jedenfalls nicht, er hat schon drei Möhren verputzt. Es ist also alles in bester Ordnung«, plauderte Manfred Klein weiter.

»Da habt ihr mir definitiv was voraus. Ich sitze hier wie bestellt und nicht abgeholt«, sagte Katharina deprimiert, bevor sie ihm ausführlich ihr Leid klagte.

»Jetzt mach dir mal keine Sorgen«, tröstete Manfred Klein sie. »Deine Vermieterin kommt bestimmt gleich um die Ecke gebogen, entschuldigt sich tausendmal, gibt dir den Schlüssel, und dann kannst du endlich die Füße auf deinem Balkon hochlegen.«

»Wenn du das sagst.« Katharina verabschiedete sich und zündete sich erneut eine Zigarette an. Wo steckte Frau Engel nur?

Nach fünf weiteren vergeblichen Anrufen gab sie um halb vier zähneknirschend ihre Stellung auf und marschierte Richtung Strandbad Ost. Dort würde es hoffentlich einen anständigen Kaffee geben.

Sie war nicht die Einzige, die bei dem schönen Wetter auf diese Idee verfallen war. Die großzügige Liegewiese war mit Handtüchern und Strandmatten zugepflastert, auf denen sich Einheimische und Urlauber den ersten Sonnenbrand des Jahres holten. Wer nicht gerade alle viere von sich streckte, saß auf der großen Terrasse, die zum Restaurant gehörte.

Katharina stellte sich ans Ende der Schlange am Ausschank, bevor sie sich mit einem Cappuccino und einem Stück Erdbeerkuchen zu zwei Teenagern, die mit knappen Tops und ebenso stoffarmen Miniröckchen bekleidet waren, an den Tisch setzte. »Noch frei?«, fragte sie anstandshalber, als sie bereits Platz genommen hatte. Die beiden Mädchen ignorierten sie.

»Meine Alten sind ja so was von megaspießig. Stell dir vor, die haben mir verboten, mir meinen Bauchnabel piercen zu lassen«, regte sich die Kleinere auf, die mindestens ein halbes Pfund Lidschatten auf ihre Lider gekleistert hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass sie ihre Augen überhaupt noch öffnen konnte. »Bin ich froh, wenn ich endlich achtzehn bin. Dann haben die mir nichts mehr zu sagen, und ich lass mich piercen, wo ich will.« Beim letzten Satz schlug sie entschlossen mit der Faust auf den Tisch. Katharinas Tasse wackelte gefährlich. »Und tätowieren lass ich mich auch. Ich will unbedingt denselben Schmetterling wie–«

Das andere Mädchen, dessen rechte Augenbraue mit einem silbernen Ring verziert war, fiel ihr ins Wort. »Das ist noch gar nichts. Meine Eltern haben mir verboten, zur Party von Kevin zu gehen, weil ich in Deutsch eine Fünf geschrieben habe. Ich bin die Einzige aus der Klasse, die nicht hindarf. Wie uncool ist das denn?« Sie stand kurz davor, in Tränen auszubrechen. Ihre Freundin streichelte ihr mitleidig den Arm.

Diese Gören hatten vielleicht Sorgen. Normalerweise hätte sich Katharina köstlich über die Unterhaltung amüsiert. Normalerweise. Wenn da nicht die Sache mit der Ferienwohnung wäre. Irgendetwas musste sie unternehmen, schließlich brauchte sie heute Nacht ein Dach über dem Kopf.

Warum war Vanessa Engel nicht gekommen? Und warum ging sie nicht an ihr Handy? War ihr am Ende etwas passiert?

Cappuccino und Erdbeerkuchen brachten Katharinas Denkapparat allmählich auf Trab. Es könnte auch noch eine andere, höchst unerfreuliche Erklärung dafür geben, warum sie jetzt hier neben zwei schnatternden Teenies und nicht auf ihrem Balkon saß: Hatte sie vor Kurzem nicht im ZDF eine Reportage über skrupellose Betrüger gesehen, die ihren Opfern gegen Vorauszahlung Ferienwohnungen andrehten, die überhaupt nicht existierten? Die Falten auf Katharinas Stirn wurden immer tiefer. Konnte es sein, dass Frau Engel mit ihr die gleiche miese Tour abgezogen hatte? Waren die vierhundert Euro, die sie für die Wohnung überwiesen hatte, auf Nimmerwiedersehen verloren?

Entschlossen kippte Katharina den letzten Schluck Cappuccino hinunter und stand auf. Es gab nur einen Weg, um sich Klarheit zu verschaffen. Sie musste zur Polizei.

* * *

Warum ließ sich im Leben nichts rückgängig machen, sinnierte Edi Lange trübselig, als er vorsichtig eine besonders enge Kurve nahm. Doch für Reue war es zu spät. Es half alles nichts– bis zum Hauptbahnhof von Friedrichshafen, dem nächsten vorgesehenen Zwischenstopp, würde er es mit seinem Reisebus auf keinen Fall mehr schaffen. Dafür drückte der dritte Kaffee, den er vor der Abfahrt am Freiburger Hauptbahnhof noch in sich hineingeschüttet hatte, schon zu sehr auf seine Blase. Edi Lange rutschte hektisch auf seinem Fahrersitz herum.

Verzweifelt hielt er nach einer Parkbucht Ausschau, während er durch das Höllental kurvte. Knut, der an seinem Rückspiegel befestigt war, geriet dabei heftig ins Schaukeln. Edi Lange hatte das Eisbärchen von seiner kleinen Tochter zum vierzigsten Geburtstag geschenkt bekommen– seitdem leistete ihm Knut auf seinen langen Fahrten Gesellschaft.

Na endlich. Die Erlösung nahte. Edi Lange setzte den Blinker, bog in eine Parkbucht ein, die den vertrauenerweckenden Namen »Teufelsschwänzli« trug, und griff zum Mikrofon. »Meine Damen und Herren, aufgrund eines dringenden menschlichen Bedürfnisses des Busfahrers werden wir hier kurz halten. Ich bitte um Ihr Verständnis.«

Zwei junge chinesische Studentinnen, die direkt hinter dem Fahrersitz saßen, fingen an zu kichern.

Alberne Gänse, ärgerte sich Lange. Er parkte seinen Bus und sprang wie ein Hase hinaus, bevor er einen kurzen Blick zurückwarf. Fünfzig Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Eine ältere Dame, die bis eben noch tief und fest mit offenem Mund geschlafen hatte, setzte sich sogar ihre Brille auf, um ihm hinterherzuglotzen. Hatten die noch nie einen Mann gesehen, der dringend pinkeln musste?

Edi Lange suchte nach einem geschützten Plätzchen, an dem er dem Kaffee unbeobachtet freien Lauf lassen konnte. Was gar nicht so einfach war, denn rechts von der Parkbucht ging es einen steilen Abhang hinunter. Da würde er ganz sicher nicht hinunterklettern. Der Busfahrer hatte keine Lust, sich das Genick zu brechen, nur um den Anstand zu wahren.

Genervt legte er ein paar Meter Richtung »Verschnuufereckli« zurück. Hinter einem Busch, der halbwegs Sichtschutz vor neugierigen Blicken bot, zog er sich diskret zurück. Meine Güte. Das war wirklich allerhöchste Zeit gewesen. Ein tiefes Gefühl der Erleichterung machte sich wenig später in ihm breit. Als er den Reißverschluss seiner blauen Hose hochzog, fühlte er sich entschieden besser als noch vor wenigen Minuten.

Die verlorene Zeit würde er locker wieder reinholen– vorausgesetzt, der Verkehr machte ihm keinen Strich durch die Rechnung. Nicht dass sich wieder ein paar Fahrgäste beschwerten, wenn er nicht auf die Sekunde genau in München ankam. Heutzutage waren die Leute eh nur noch am Meckern. Zu wenig Beinfreiheit, die Klimaanlage zu kühl oder zu warm eingestellt– was erwarteten die eigentlich an Luxus, wenn sie für schlappe neunzehn Euro pro Nase in die bayrische Hauptstadt kutschiert wurden?

Edi Lange spuckte verächtlich auf den Boden und machte sich auf den Rückweg zum Bus. Wenn er ordentlich Gas gab, schaffte er es vielleicht noch pünktlich zur »Sportschau«. Doch bevor er sich auf dem Hotelbett langlegen konnte, musste er unbedingt seine Frau anrufen– die machte sich immer Sorgen, wenn er unterwegs war.

Plötzlich geriet er ins Stolpern. Was war ihm denn da zwischen die Füße geraten? Verärgert schüttelte er den Kopf. Unglaublich, was die Leute alles wegwarfen. Im Weitergehen gab er dem Gegenstand einen kräftigen Tritt.

Ein rechter Schuh der Edelmarke Louboutin, Größe achtunddreißig, das Paar zu sechshundertfünfzig Euro, flog in hohem Bogen die Böschung hinunter und landete neben drei leeren Coladosen und einer Bierflasche unter einer Brombeerhecke.

Edi Lange setzte sich wieder ans Steuer und startete den Bus. »Es kann weitergehen.«

Die chinesischen Studentinnen applaudierten.

* * *

»Guten Tag, ich will eine Anzeige erstatten. Bin ich bei Ihnen richtig?« Katharina baute sich vor einem leicht übergewichtigen jungen Beamten auf, der hinter einem Schreibtisch saß. Er wies starke Ähnlichkeit mit einem Pandabären auf– nicht nur wegen seiner Statur, die besonders im Bauchbereich deutlich ausgeprägt war, sondern vor allem wegen der schwarzen Ringe, die sich unter seinen Augen abzeichneten. Auf seinem bleichen Gesicht sprossen schwarze Bartstoppeln. Katharina warf einen Blick auf sein Namensschild. Der Pandabär hieß Marco Adler.

»Und in welcher Angelegenheit?« Der Beamte hob müde den Kopf.

»Ich bin einer Betrügerin zum Opfer gefallen. Sie hat mir den Schlüssel für die Ferienwohnung nicht gegeben, obwohl ich im Voraus bezahlt habe«, ratterte Katharina los.

Der Polizist versuchte vergeblich, einen interessierten Eindruck zu machen. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die Geschichte von vorn zu erzählen? So ganz kann ich Ihnen noch nicht folgen.«

Kein Wunder, so verschlafen, wie der aussieht, schoss es Katharina durch den Kopf. »Ich habe im Internet eine Ferienwohnung im Schilfweg gemietet und im Voraus bezahlt. Und jetzt sitze ich schon seit Stunden dumm rum, weil mich die Vermieterin aufs Kreuz gelegt hat. Sie ist einfach nicht aufgetaucht und auch nicht auf dem Handy zu erreichen. Was soll ich denn noch machen?«

Seufzend rieb sich der Pandabär die Augen. »Ich brauche mehr Informationen zu der Frau, der Sie das Geld überwiesen haben. Wie heißt sie, wo wohnt sie? Haben Sie irgendwelche Unterlagen?«

»Ihr Name ist Vanessa Engel. Ausgerechnet Engel. Mit so einem Namen gehört es sich erst recht nicht, andere über den Tisch zu ziehen, wenn es denn überhaupt ihr richtiger ist«, empörte sich Katharina und knallte dem Beamten ihre Buchungsbestätigung auf den Schreibtisch, die sie in weiser Voraussicht ausgedruckt hatte. »Das ist echt das Allerletzte, aber das lasse ich mir nicht–«

»Vanessa Engel?«, unterbrach sie Adler. »Die ist keine Betrügerin, da kann ich Sie voll und ganz beruhigen.«

»Und was macht Sie da so zuversichtlich?« Katharina funkelte ihn aggressiv an.

»Weil ich Vanessa seit Jahrzehnten kenne. Wir sind zusammen in den Kindergarten gegangen. Bestimmt hat sie nur vergessen, dass sie mit Ihnen verabredet war. Das ist zwar ärgerlich, aber noch lange keine Straftat.«

Katharina fühlte sich nicht wirklich getröstet. »Na toll. Und jetzt? Wie soll ich in die Wohnung kommen? Ich würde die Nacht äußerst ungern auf einer Parkbank verbringen. Und nach Freiburg zurückfahren will ich auch nicht. Ist bei Ihnen zufällig noch eine schnuckelige Ausnüchterungszelle frei?«

»Sie sind leider nicht betrunken genug, als dass ich Sie dort einquartieren dürfte.« Marco Adler schmunzelte.

»Das lässt sich ganz schnell ändern, glauben Sie mir«, versicherte ihm Katharina grimmig.

Plötzlich hellte sich das Gesicht des Beamten auf. »Moment. Mir ist da gerade etwas eingefallen.« Er schnappte sich den Telefonhörer.

»Hallo, Helena. Ich bin’s, Marco. Und nein, du hast nichts angestellt. Zumindest nichts, was mir bekannt wäre. Kannst du mir einen Gefallen tun? Setz dich doch bitte sofort auf dein Fahrrad und bring den Schlüssel für Vanessas Ferienwohnung in den Schilfweg. Dort gibst du ihn einer Frau, die auf dich wartet.«

Katharina hörte erregtes Geplapper am anderen Ende, bis der Polizist erneut das Wort ergriff. Dieses Mal etwas lauter. »Das ist mir völlig wurscht, ob du mit deinen Freundinnen zum Eisessen verabredet bist. Du schwingst jetzt dein Hinterteil auf dein Fahrrad und machst dich auf den Weg.– Wie die Frau aussieht?« Er blickte kurz zu Katharina. »Braune Haare, Jeans, grüne Bluse. Schon etwas älter.«

Beim letzten Satz wäre ihm Katharina beinah an die Gurgel gesprungen.

»Und keine Widerrede mehr, sonst sag ich deiner Mutter, dass du vor zwei Tagen den Ethikunterricht geschwänzt hast.– Woher ich das weiß? Die Polizei weiß alles, merk dir das endlich mal. Ciao.« Er pfefferte den Hörer auf die Gabel und wandte sich wieder Katharina zu. »Und Sie gehen bitte wieder in den Schilfweg zurück und warten dort. Meine missratene Nichte kommt gleich. Die hat ebenfalls einen Schlüssel für die Ferienwohnung, weil sie dort putzt, um sich ihr Taschengeld aufzubessern. Helena macht sich gleich auf den Weg.«

Katharina rang sich ein knappes »Danke« ab. Etwas älter. Also wirklich. Die Bemerkung zur Beschreibung ihrer Person war nun wirklich überflüssig gewesen. Sie riss sich zusammen. Schließlich verdankte sie es Marco Adler, dass sie endlich Ferien machen konnte, da sollte sie schon etwas freundlicher zu ihm sein. Zumal der Ärmste den Eindruck vermittelte, als ob er selbst dringend Urlaub nötig hätte. »Sie sehen auch nicht gerade aus wie das blühende Leben«, stellte sie fest.

»Gut erkannt.« Er stöhnte. »Ich schlaf seit Wochen nicht mehr richtig. Mein Jüngster zahnt und brüllt jede Nacht wie am Spieß.« Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.

Katharina wurde von aufrichtigem Mitgefühl überwältigt. Was war ihr durch ihre Kinderlosigkeit nicht alles erspart geblieben! Sie musste sich weder mit Milchzähnen noch mit gepiercten Bauchnabeln beschäftigen. »Na, dann hoffe ich für Sie, dass Ihr Sohn bald alle Milchzähne hat«, wünschte sie dem hilfsbereiten Pandabären und machte auf dem Absatz kehrt. »Es sind ja schließlich nur zwanzig.«

Adler gab ein erneutes Stöhnen von sich. »Ganz herzlichen Dank für Ihre Anteilnahme. Und grüßen Sie meine Nichte von mir.« Als Katharina das Revier verließ, legte er erschöpft den Kopf auf den Schreibtisch.

* * *

Das Fahrrad hielt quietschend vor Katharina, die erneut mit übergeschlagenen Beinen und einer Zigarette in der Hand auf dem Mäuerchen vor dem Häuserblock im Schilfweg saß.

»Sind Sie die Frau, die auf den Schlüssel wartet?« Das schlanke Mädchen ließ den Drahtesel achtlos zu Boden fallen. Ihre wilde Lockenpracht trug sie offen, an ihren Ohren baumelten zwei silberne Schmetterlinge.

Katharina schätzte sie auf um die sechzehn. »Ja. Die nicht mehr ganz junge Frau. Und du bist Helena, stimmt’s?«

»Stimmt.« Das Mädchen grinste breit.

»Nachdem wir die Formalitäten geklärt haben, könnte ich jetzt vielleicht in die Wohnung, wenn’s keine Umstände bereitet?«, schlug Katharina vor. Sie wollte endlich aus ihren verschwitzten Klamotten raus und unter die Dusche.

»Ich muss aber mitkommen. Das Bett ist noch nicht bezogen. Ich hatte keine Zeit, weil ich für eine Klassenarbeit lernen musste«, klärte Helena sie auf. Das Mädchen schien ausgesprochen pflichtbewusst zu sein.

»Von mir aus.« Katharina schmiss sich ihre Reisetasche über die Schulter und griff nach dem kleinen Koffer.

»Und damit kommen Sie zurecht?«, staunte Helena. »Ich nehm immer viel mehr Klamotten in den Urlaub mit. Und Bücher. Kennen Sie ›Die Tribute von Panem‹? Voll krass, wie Katniss die Hungerspiele überlebt, oder? Aber griechische Sagen finde ich noch besser. Odysseus ist voll cool. Haben Sie auch einen Lieblingshelden?«

Ein Teenager, der auf griechische Helden abfuhr? Das war echt schräg. Katharina war verdattert. Wenn sie sich richtig erinnerte, hatte sie in Helenas Alter für Don Johnson geschwärmt– jenen Cop aus »Miami Vice«, der im Gegensatz zu Odysseus über Unmengen an bunten Stoffschläppchen verfügte. Sie hatte jedoch nicht vor, das Thema zu vertiefen. »Könnten wir das vielleicht ein andermal erörtern? Ich will nicht den Rest meines Lebens vor dem Haus verbringen. Außerdem hab ich Durst.«

»Jetzt, wo Sie es sagen. Ich könnte auch einen Schluck Wasser vertragen. Ist ganz schön heiß heute.« Helena marschierte Richtung Haustür.

Katharina seufzte. Es sah nicht danach aus, als würde sie ihre neue Bekanntschaft so schnell wieder loswerden. Sie folgte Helena, die leichtfüßig wie eine Bergziege vor ihr hersprang, in den zweiten Stock.

»Hier ist es.« Das Mädchen schloss die Tür auf.

»Dass ich das noch erleben darf.« Leicht außer Atem ließ Katharina ihr Gepäck im Hausflur fallen und begab sich auf Besichtigungstour.

Die Fotos im Internet hatten nicht gelogen. Die Wohnung sah aus wie einem Lifestyle-Magazin entsprungen. Alles in Weiß, alles hochmodern. Im Wohnzimmer stach Katharina ein riesiger Flachbildfernseher ins Auge. Auf der Sofalandschaft gegenüber lagen eine akkurat zusammengefaltete hellgraue Decke und jede Menge Kissen. In der Ecke glänzte eine silberne Stehlampe, daneben zierte ein Kunstdruck von Miró die Wand. Auf dem kleinen Couchtisch stand eine Blumenvase mit künstlichen Orchideen, der Rest der Wohnung war komplett nippesfreie Zone. Die Sonne, die durch die Glasfront hineinschien, ließ den Raum hell erstrahlen.

»Gefällt es Ihnen? Schauen Sie sich in Ruhe um. Ich hol uns solang etwas zu trinken. Sie nehmen doch Leitungswasser? Was anderes gibt es leider nicht.« Helena, die immer mehr in der Rolle der Gastgeberin aufzugehen schien, verschwand in der Küche.

»Die Wohnung ist traumhaft.« Katharina war restlos entzückt. Sie öffnete die Balkontür und holte tief Luft. Auch was die Aussicht betraf, hatte Vanessa Engel nicht zu viel versprochen. Vor Katharina breitete sich der Bodensee in seiner vollen Schönheit aus. Am blauen Himmel schwebte ein Zeppelin, auf dessen silberner Hülle für ein Geldinstitut geworben wurde.

Katharina zündete sich eine Zigarette an, während sie das Luftschiff beobachtete.

»Krieg ich auch eine?«

Sie drehte sich um. Helena! Die hatte sie vor lauter Begeisterung schlicht vergessen. Das Mädchen stand hinter ihr mit zwei Gläsern Leitungswasser in der Hand. Eines davon reichte sie Katharina, die sie mit gespieltem Ernst ansah.

»Das kannst du vergessen. Du bist ja nicht mal volljährig.«

Helena winkte locker ab. »Ich bin schon sechzehn. Und ich rauch ja auch nur zu ganz besonderen Gelegenheiten.«

»Die in diesem Fall wären?«, erkundigte sich Katharina belustigt.

Das Mädchen kam etwas ins Schleudern. »Ähm, weil heute Samstag ist und ich nicht in die Schule muss?«, schlug sie vor.

Katharina verspürte keine Lust, den Moralapostel zu spielen. Sie leerte ihr Glas und reichte ihre Gauloises an Helena weiter. »Einmal ziehen wird dich schon nicht ins Grab bringen. Aber dann ist Schluss. Wo kommen wir denn da hin, wenn schon Teenies rauchen?« Die Tatsache, dass sie im selben Alter mit der Qualmerei angefangen hatte, behielt Katharina aus pädagogischen Gründen für sich.

Ungeschickt zog Helena an dem dampfenden Sargnagel und gab ihn Katharina zurück. »Das tut gut«, behauptete sie und fing prompt an zu husten. Schnell nahm sie einen Schluck Wasser.

Katharina grinste. Es sah nicht danach aus, als wäre das Mädchen passionierte Kettenraucherin. »Du kannst mich übrigens getrost allein lassen. Wolltest du nicht mit deinen Freundinnen Eis essen?«

»Ich muss doch aber noch Ihr Bett beziehen«, wandte Helena ein.

»Keine Angst, das schaffe ich trotz meines hohen Alters noch allein«, versicherte ihr Katharina. »Aber eine letzte Frage habe ich noch, bevor du abschwirrst. Hast du eine Ahnung, wo Frau Engel steckt? Mit der hätte ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Die Warterei auf sie hat mich mindestens drei Stunden meines kostbaren Urlaubs gekostet.«

Helena zuckte mit den Schultern. »Vanessa? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie heute Abend mit Mama beim Italiener verabredet ist.«

Katharina schnaubte. »Na, dann wollen wir mal für deine Mutter hoffen, dass sie auch tatsächlich erscheint. Besonders zuverlässig scheint sie ja nicht zu sein. Vielen Dank jedenfalls, dass du mich in die Wohnung gelassen hast. Und viel Spaß mit deinen Freundinnen.«

Helena machte keinerlei Anstalten, sich vom Balkon zu verziehen. »Was machen Sie eigentlich so?«, erkundigte sie sich neugierig. »Also, beruflich, meine ich.«

»Ich bin Journalistin beim Freiburger ›Regio-Kurier‹«, klärte Katharina sie auf.

Helenas Augen wurden groß wie Untertassen. »Echt? Das ist ja krass. Ich will nämlich auch Journalistin werden. Das ist ein voll geiler Job.«

»Du sagst es. Ein voll geiler Job«, bestätigte Katharina ironisch. Vor allem, wenn einem einer wie Bodo Kiesel ständig ins Handwerk pfuschte.

Helenas Wangen hatten sich vor lauter Aufregung rot verfärbt. »Darf ich Sie noch mal besuchen? Sie können mir sicher viel über Zeitung und so erzählen.«

Katharina verdrehte die Augen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, einem Teenager den Berufsberater zu geben. Trotzdem wollte sie nicht unhöflich sein, immerhin stand ihre neue Bekanntschaft auf Odysseus statt auf Justin Bieber– was eindeutig für Helena sprach. »Von mir aus. Aber jetzt würde ich wirklich gern in Ruhe meine Sachen auspacken.«

»Das Bettzeug ist im Schlafzimmerschrank«, wurde sie informiert.

»Danke für den Hinweis, aber du musst dich jetzt wirklich nicht weiter um mich bemühen.« Energisch schob Katharina Helena zur Wohnungstür hinaus. Dann ging sie auf ihren Balkon zurück, ließ sich in einen Liegestuhl fallen und legte ihre Füße aufs Geländer. Ihr Kurzurlaub konnte endlich beginnen.

2

Kai Ohlsen wurde zunehmend gereizter. Und das, obwohl ihm von seinem Lebensgefährten Dirk, der neben ihm auf dem Beifahrersitz unentwegt vor sich hin plapperte, für den heutigen Tag eigentlich Entspannung verordnet worden war.

»Mensch, Tiger, ich freu mich so. Ich wollte schon immer mal an den Titisee. Endlich haben wir ein bisschen Zeit füreinander. Ich finde sowieso, dass unsere Beziehung viel zu kurz kommt. Du bist nur noch am Arbeiten. Ich fühl mich schon richtig vernachlässigt.« Im letzten Satz klang unüberhörbar ein Vorwurf mit.

Prima, dachte Kai Ohlsen. Dann wäre das auch mal wieder gesagt. Auf seiner Stirn bildete sich eine bedenkliche Falte. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, mit Dirk zusammenzuziehen. Diese ständige Zweisamkeit raubte ihm noch den letzten Nerv.

Ach, was waren das noch für rosige Zeiten gewesen, als er und Dirk sich nur am Wochenende gesehen hatten. Ohlsen war samstags mit der Bahn zu Dirk gefahren, der mitten im Frankfurter Westend in einer schnuckeligen Zweizimmerwohnung lebte. Abends gingen sie mit Freunden aus oder besuchten das Theater– und am späten Sonntag fuhr er wieder nach Hause und hatte für den Rest der Woche seine Ruhe.

Wäre es nach ihm gegangen, hätte sein Leben ruhig so bleiben können. Warum etwas ändern, was sich seiner Ansicht nach bewährt hatte?

Doch Dirk hatte immer vehementer darauf bestanden, ihre Beziehung zu festigen, wie er sich ausdrückte. Er wollte mit ihm zusammenziehen. Nach nächtelangen ermüdenden Diskussionen hatte Ohlsen nachgegeben.

Mit Sack und Pack war Dirk nach Freiburg in seine Vierzimmerwohnung in der Holbeinstraße eingezogen– und stresste seither nur noch rum. Allein schon dieses ewige Genöle, dass er zu wenig Zeit für ihn habe. Es war immer die gleiche Leier.

Wenn Dirk wenigstens einen Job finden würde. So schwer konnte das als gelernter Reisebürokaufmann doch nicht sein. Obwohl Ohlsen immer auffälliger den Stellenteil der Zeitung auf dem Küchentisch drapierte, machte Dirk keinerlei Anstalten, sich zu bewerben. Wozu auch? Er schien Geschmack an seiner neuen Rolle als treu sorgende Hausfrau gefunden zu haben. Sogar eine Schürze hatte er sich angeschafft– mit der Aufschrift »Hier kocht der Chef«. Ohlsen war es beim Anblick seines Lebensgefährten, als dieser das erste Mal in dem Outfit durch die Küche wirbelte, angst und bange geworden.

Überhaupt legte Dirk allergrößten Wert auf gemeinsame Unternehmungen. Ohlsen hatte das Gefühl, keinen Schritt mehr allein machen zu können. Nur bei der Arbeit hatte er noch seine Ruhe.

»Gell, Tiger? Heute machen wir es uns aber richtig schön. Lass uns Tretboot fahren. Das hab ich schon ewig nicht mehr gemacht.« Dirks Stimme riss Ohlsen aus seinen Gedanken.

Auch das noch. Am liebsten hätte er sich vor Verzweiflung die Haare gerauft. Was leider nicht ging, weil er seit einigen Jahren unfreiwillig oben ohne trug. Tretbootfahren! Doch wenn er sich weigerte, wäre Dirk wieder eingeschnappt.

Resigniert schaute Kai Ohlsen in den strahlend blauen Himmel. Nicht ein einziges graues Wölkchen war zu sehen. Warum konnte es heute nicht regnen? Dann müsste er nicht durch den Schwarzwald gondeln, sondern könnte gemütlich auf dem Sofa sitzen, die Füße hochlegen und in Ruhe über Nicole nachdenken. Aber nein. Stattdessen quälte er sich inmitten von lauter Ausflüglern, die auch nichts Besseres zu tun hatten, als den Tannenbäumen mit ihrem CO2-Ausstoß zuzusetzen, durchs Höllental. Ach, Nicole. Er wäre jetzt viel lieber bei ihr. Auch wenn sie ziemlich hohl war.

»Stopp! Bieg ab! Schnell!« Dirks Finger bohrten sich in Ohlsens Oberschenkel.

»Spinnst du?« Vor Schreck machte er mit seinem Auto einen kleinen Schlenker. Das Fahrzeug hinter ihm hupte, Ohlsen fluchte laut.

Sein Lebensgefährte ließ sich davon nicht beirren. »Da vorne. Schau doch.« Dirk zeigte mit der anderen Hand begeistert auf ein Schild, auf dem groß »Teufelsschwänzli« stand. »Ist das nicht süß? Davon musst du ein Foto machen. Mit mir davor.« Er kicherte. Für einen Mann Anfang vierzig verfügte Dirk über ein erstaunlich kindliches Gemüt.

Um des lieben Friedens willen bog Ohlsen im letzten Moment in die Parkbucht ein. Dirk sprang aus dem Auto und stellte sich vor das Schild, bevor er sorgfältig die Sonnenbrille in seine blond gesträhnte Haarpracht steckte. »Das Schild ist doch total ulkig, findest du nicht? Die Fotos müssen wir unbedingt unseren Freunden in Frankfurt schicken. Die lachen sich kaputt.«

»Aber sicher doch. Darauf haben die nur gewartet. Die flippen vor Begeisterung bestimmt aus, wenn sie das sehen.« Ohlsen, der ebenfalls ausgestiegen war, wurde immer frustrierter. Bis vor Kurzem hatte er den infantilen Humor seines Lebensgefährten noch unwiderstehlich gefunden. Jetzt nicht mehr. Widerwillig schoss er ein paar Fotos, bevor er das Smartphone in seine Jackentasche zurücksteckte. »Können wir endlich weiterfahren? Oder willst du hier Wurzeln schlagen?«, maulte er. Er wollte den Ausflug endlich hinter sich bringen.

Doch Dirk ignorierte ihn. Er stand auf dem Grünstreifen und starrte angestrengt über ein kleines Mäuerchen nach unten. »Schau dir das mal an, was da alles rumliegt. So eine Sauerei! Haben die Leute keine Mülleimer mehr zu Hause?« Plötzlich wurde seine Stimme lauter. »Das gibt’s doch nicht. Tiger, das musst du dir unbedingt ansehen. Da unten liegt ein nagelneuer Louboutin.« Dirk machte Anstalten, über das Mäuerchen den Abhang hinunterzuklettern.