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Fiete, ein obdachloser mongoloider Junge, kiebitzt seit langer Zeit bei den Backgammonspielern in der Stadt, um das faszinierende Spiel zu erlernen. In einer dieser Nächte bekommt Fiete mit, wie mehrere Männer nach einer Prügelei einen Toten verladen. Obwohl er beunruhigt nach Hilfe sucht, nimmt ihn keiner ernst. Die Obdachlosen der Stadt sind erst gewarnt, nachdem der ein oder andere Kumpel verschwunden ist, halten sich aber der Polizei gegenüber bedeckt. Erst ein Leichenfund während der Maisernte offenbart, das Fiete mit seinen Erzählungen Recht hatte. Hauptkommissar Heino Kleinemeier, der Leiter der Stader Mordkommission ermittelt mit seinem Team und erkennt nach langer Recherche, das es sich hier um eine Serie von heimtückischen Morden an den Obdachlosen der Stadt handelt. Sie bieten all ihre Kraft auf um den Täter dingfest zu machen. Fiete unterstützt aus einer Notlage heraus auf seine Art die Ermittlungen. Die lange Hatz nach den Tätern und die Ermittlungen im Obdachlosenmilieu werden hier spannend erzählt.
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Seitenzahl: 194
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Fiete, ein obdachloser mongoloider Junge, kiebitzt seit langer Zeit bei den Backgammonspielern in der Stadt, um das faszinierende Spiel zu erlernen. In einer dieser Nächte bekommt Fiete mit, wie mehrere Männer nach einer Prügelei einen Toten verladen. Obwohl er beunruhigt nach Hilfe sucht, nimmt ihn keiner ernst. Die Obdachlosen der Stadt sind erst gewarnt, nachdem der ein oder andere Kumpel verschwunden ist, halten sich aber der Polizei gegenüber bedeckt. Erst ein Leichenfund während der Maisernte offenbart, das Fiete mit seinen Erzählungen Recht hatte. Hauptkommissar Heino Kleinemeier, der Leiter der Stader Mordkommission ermittelt mit seinem Team und erkennt nach langer Recherche, das es sich hier um eine Serie von heimtückischen Morden an den Obdachlosen der Stadt handelt. Sie bieten all ihre Kraft auf um den Täter dingfest zu machen. Fiete unterstützt aus einer Notlage heraus auf seine Art die Ermittlungen. Die lange Hatz nach den Tätern und die Ermittlungen im Obdachlosenmilieu werden hier spannend erzählt.
Klaus-Dieter Budde, Jahrgang 1956, lebt mit seiner Ehefrau und Familienhund Kimba im niedersächsischen Landkreis Stade. Die Stader Geest ist dem gebürtigen Ostwestfahlen ans Herz gewachsen. Backgammon ist sein zweiter Kriminalroman vom Ermittlerteam um Kriminalhauptkommissar Heino Kleinemeier. Er zeigt auf seine ganz eigene Art die Problematik der Obdachlosen auf. Budde der bereits als jugendlicher Kurzgeschichten schrieb, entschied sich, nach Abschluss seiner beruflichen Laufbahn, die Schreibarbeit wieder aufzunehmen. Seine Romane, Der Tote im Spargelfeld, Lupus caritate und Halsabschneider sind erfolgreiche Bücher. Mit seiner Affinität zur Region und der Ortskundigen Erzählweise, eroberte er in kurzer Zeit seine Fangemeinde. Budde ist nicht nur begeisterter Wanderer, er betreibt auch die Hundesportart Dog-Trekking. Der Schutz der Umwelt, das Tierwohl sowie Nachhaltigkeit im täglichen Leben sind für ihn ein Selbstverständnis.
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Fiete liebt es, durch die Gassen der Hansestadt Stade zu wandeln. Stade, ist eine Stadt in Niedersachsen. Mit über fünfzigtausend Einwohnern liegt sie am südwestlichen Ufer der Unterelbe. Am Rande der Stader Geest. Einer natürlichen Einheit im Norddeutschen Tiefland.
Was Fiete nicht kennt, ist die Stader Geest, sie ist ein Teil des Elbe-Weser-Dreiecks. Sie ist dünn besiedelt und durch Moore und sandige Böden geprägt. Die Landwirtschaft betreibt vorwiegend Viehzucht. Das Vieh hält man in monströsen Offenställen beim Milchvieh oder Massenzuchtanlagen in der Schweine- und Hähnchenmast. Im Übrigen baut man Kartoffeln und Spargel an. Windenergieanlagen prägen die Landschaft. Die hier zu einer Energielandschaft mutiert ist.
Durch die biologische Energiegewinnung und die eingehauste Massentierhaltung Vermaist die Agrarfläche überproportional.
Kostbare Weideflächen erfahren eine Wandlung in Ackerland für den Maisanbau.
Darüber hinaus ist die Hansestadt Teil der Metropolregion Hamburg und verfügt im Unterschied zum nahen Buxtehude, über einen eigenen Autobahnanschluss. Das hat für die wirtschaftliche Entwicklung der Region eine hohe Bedeutung.
Fiete macht sich darüber keine Gedanken, seit seine Eltern ihn vor Ewigkeiten im Kindesalter von zehn Jahren hier ausgesetzt haben, lebt er in dieser für ihn friedvollen Stadt und schlägt sich durchs Leben. Er wohnt auf der Straße, wurschtelt sich mit seinem kindlichen Charme durch die Jahre.
Seine Familie, das sind die Obdachlosen der Stadt.
Gestrauchelte Existenzen, die ihn ehemals aufgenommen haben. Die Berberfreunde kümmern sich aufopferungsvoll um ihn. Sie unterrichten Fiete in den Teilen, die fürs Überleben auf der Straße maßgeblich sind.
Mit siebzehn Jahren und sieben Jahre Straßenerfahrung macht ihm niemand mehr was vor. Er ist ein heranwachsender Bursche der sein Leben selbstbestimmt im Untergrund der Hansestadt gestaltet. Trotz seiner Trisomie 21 ist was aus ihm geraten. Seine Eltern haben ihn zu früh aufgegeben.
Fiete grübelt kaum über sein Elternhaus, zu arg sind die Erinnerungen.
Seine neue Familie das sind: Manni, Paule, Hunde-Peter, und Käthe. Der Wilhelm mit Fjodor Michajlowitsch dem Russen und Albert haben ein inniges Verhältnis zu Fiete. Sie sind es die ihn in jenen Tagen zuerst gefunden und aufgepäppelt haben.
Kurzum Fiete kommt zurecht in der Stadt, er sammelt Pfandflaschen oder luchst den Touristen der Hansestadt mit seinem Charme die Euros aus der Tasche. Wenn er was übrig hat, gibt er gerne an die ab, die sich nicht mehr leichttun, wie der Hunde Peter, der sich in der letzten Zeit ausgiebig mit seiner Leberzirrhose herumplagt.
Fiete ist den ganzen Tag aufgeregt, heute ist Donnerstag. Das ist sein Tag. Da sieht er den Backgammonspielern bei ihrem Spiel zu. Um neunzehn Uhr ist es soweit, da kommen sie ins Café in der Sattelmacherstraße und spielen ihr Spiel.
Er schaut ihnen dabei zu, um dieses unterhaltsame Brettspiel zu erlernen.
Mit Albert einem ehemaligen Pädagogen, der ihm das Lesen und Schreiben lehrt, probiert Fiete den ein oder anderen Spielzug aus. Sie haben sich aus einem alten Karton und in Scheiben geschnittene Weinkorken ein eigenes Spiel gebastelt.
Die Hälfte der korkigen Spielsteine hat Fiete mit einem Filzer, den er bei Waller in der Hansestraße stibitzt hat, mühsam angemalt.
Gegen achtzehn Uhr macht sich Fiete, der mit seinen obdachlosen Freunden den Nachmittag unter der Brücke bei der Skaterbahn verbracht hat, auf den Weg zum Café.
*
Cord Juskowiak ist auf dem Heimweg. Er hat Feierabend und freut sich auf den heutigen Abend mit seinen Freunden. Seit auf den Tag genau einem Jahr, treffen sie sich im Café zum Backgammon. Das Beabsichtigen sie tüchtig zu feiern.
Cord hat lange mit dem Schichtleiter verhandelt, nach langatmiger Debatte hat er für morgen freibekommen. In Apensen seinem Heimatort erfrischt er sich kurz, trinkt einen kräftigen Kaffee und begibt sich auf den Weg nach Stade.
Cord schaut in den Rückblickspiegel, um seine Frisur zu prüfen, er ist zufrieden mit dem, was er sieht. Mit seinen zweiunddreißig Jahren, der blonden mit Gel gestylten Kurzhaarfrisur und der coolen Sonnenbrille, gefällt er sich.
Er parkt nach dem Tanken am Stader Hafen und bummelt zu Fuß ins Café.
*
Helmer Wilbau ist ein Partylöwe, das macht ihn aus. Er steht in seinem Bad vor dem mannshohen Spiegel und bestaunt sich. Er beugt sich nach vorn und bürstet seine langen braunen Haare kräftig aus. Der Schornsteinfegergeselle achtet darauf, nicht ungepflegt herumzulaufen. Er hat in der Feierszene einen Ruf zu verlieren. Rasch den Dreitagebart mit einem Pflegeöl behandeln, die Matte mit einem Gummiband bändigen und los geht es.
Helmer ist spät, er beeilt sich, seine Freunde warten auf ihn im Café zum Backgammon. Mit dem KVG-Bus fährt er in die Stadt, von Wiepenkathen ist er ratzfatz in der Innenstadt. Er benutzt oft die Öffies, wenn er Party macht, und das strebten sie heute Abend an. Am Pferdemarkt steigt er aus und latscht in aller Seelenruhe zum Café.
*
Malte Caskorb sitzt relaxt beim Barbier in Buxtehude in der Viverstraße, wie er im Spiegel die Uhr erblickt.
«Was siebzehn Uhr dreißig?», fragt er den Barber, der dabei ist seinen Vollbart in Form zu bringen.
«Ja die Uhr stimmt.» «Mach hin! Ich habe heute Abend einen bedeutungsvollen Termin», drängt Malte.
Der Barbier formt den Bart, einen sogenannten Duck-Tail, unter Beimengung von verschiedenen Wachsen zu Ende. Stylt die kurzen schwarzen Haare, die mit einem Undercut soldatisch gestaltet sind, entfernt den Haarschneideumhang und schaut sich sein Werk von allen Seiten an.
«Fertig!», sagt er und schreitet zur Kasse.
Malte zahlt den geforderten Betrag und macht sich auf den Weg nach Stade. Er fährt mit der Bahn, da er Student am Composite Campus in der Hansestadt ist, hat er geringes Geld zur Verfügung.
Malte absolviert ein Studium zum Verbundwerkstoffe / Komposit (Master of Science), steckt mitten in der Hochschulausbildung. Es ist anspruchsvoller, wie er sich das vorgestellt hat. Malte, der ohne jeden Zweifel ein Hektiker ist, macht es sich schwer mit dem Lehrstoff.
Am Stader Bahnhof springt er leichtfüßig aus dem Zug und eilt zum Café, um seine Freunde zu treffen.
*
Fiete steht seit geraumer Zeit im Nahbereich des Cafés und beobachtet den Eingang. Bisher sind die Backgammonspieler nicht eingetroffen. Sie sind spät dran.
Fiete schaut auf seine alte Armbanduhr und setzt sich auf den Sims des Schaufensters gegenüber dem Café.
Der mit dem Vollbart erscheint zuerst, kurz darauf folgen der Langhaarige und der Muskelmann, wie Fiete sie nennt.
Sie begrüßen sich ausgelassen und betreten das Café.
Die Bedienung entfernt das Reservierungskärtchen vom Tisch und die drei setzen sich an ihren Stammtisch direkt vor das Fenster mit den Butzenscheiben.
Sie bestellen sich ihre Drinks und sprechen lachend miteinander. Später bringt die Bedienung das Spiel und der Langhaarige baut das Brettspiel auf.
Fiete steht an einem der Butzenfenster und schaut lernwillig hinein. Für ihn ist es enorm von Belang, dass er den Spielaufbau mitbekommt.
«Der Mogli drückt sich wieder die Nase an der Scheibe platt», bemerkt Cord, derweil er den Spielaufbau beobachtet.
Er schaut in der ersten Runde zu, das praktizieren sie jeden Spieleabend, in der nächsten Partie spielt er gegen den Gewinner.
«Ach lass ihn gucken», sagt Malte und handelt das mit einer beschwichtigenden Handbewegung ab.
Malte und Helmer konzentrieren sich auf das Brett und beschäftigten sich mit ihrer Anfangsaufstellung. Das Spielbrett besteht aus 24 Dreiecken, Zungen genannt, jeweils 12 auf einer Seite. Zwischen der 6. und 7. Zunge auf jeder Seite sind die Zungen durch die sogenannte Bar in ein Heimfeld und das Außenfeld aufgeteilt. Sie spielen mit 15 weißen und 15 schwarzen Steinen, deren Aufstellung fest vorgegeben ist. Auf der jeweils ersten Zunge liegen zwei Steine, auf der in Spielrichtung liegenden 12. Zunge jeweils fünf, auf der 17.
Zunge jeweils drei und auf der 19. Zunge wieder jeweils fünf Steine. Die Position des Gegenspielers ergibt sich daraus, wo der erste anfängt. Zur Bestimmung des Spielers, der anfängt, wirft jeder Spieler einen seiner Würfel in die von ihm aus gesehen rechte Hälfte des Spielbretts. Haben beide Spieler die gleiche Zahl geworfen, wiederholen beide den Wurf.
Der Spieler, der die höhere Zahl geworfen hat, fängt an.
Gewürfelt wird mit zwei sechsseitigen Würfeln.
Fiete kennt das, der Beginn ist bei Malte prinzipiell derselbe, seine Spielzüge sind je nach Gegner verschieden schwer zu durchschauen.
Fiete skizziert sich auf einer grauen Pappe, die er aus einem Karton herausgerissen hat, Zeichnungen der Spielreihenfolge, um diese später mit Albert nachzuspielen. Das ist ein richtiger Sport der beiden, den durchgängig Fiete gewinnt, da er ja den Gewinner kennt.
Er hat mit Unterstützung von Albert ein Jahr benötigt, um das Backgammonspiel zu kapieren. Mit Trisomie 21 ist es problematisch komplexe Vorgänge zu durchblicken, umso mehr freut er sich für jede Verbesserung. Sein Wunsch ist es, in absehbarer Zeit mit den Jungs im Café Backgammon zu spielen, dafür trainiert er täglich seinen Kopf.
Backgammon war früher ein Spiel des Adels und der höheren Gesellschaft. Prominente aus der High Society, die dem Würfelspiel verfallen waren, sowie Medienberichte trugen wesentlich zur Popularisierung des Brettspiels bei.
Die intensive Beschäftigung mit dem Spiel führte dazu, das erste analytische Bücher im Umlauf waren. 1967 in Las Vegas veranstaltete man die erste Backgammonweltmeisterschaft.
Der Weltmeister hieß Tim Holland.
*
Die Stader Backgammonspieler haben sich über das Internet beim Onlinebackgammon kennengelernt. Das Spiel später lieber manuell weitergespielt. Die Atmosphäre in Anwesenheit des Gegners zu gamen, ist was anderes, wie via Internet.
Obwohl das Backgammonspiel im World Wide Web einen deutlichen Zuwachs an Beliebtheit erfährt.
Nachdem Malte das erste Spiel verloren hat, zocken gegenwärtig Helmer gegen Cord. Der würfelt eine Sechs und eröffnet. Cord setzt seine Steine getreu den gewürfelten Augenzahlen. Die Augenzahlen addiert man nicht, sondern setzt sie einzeln. Er platziert sie mit ein und demselben Stein.
Das ist ein zulässiger Zug.
Die Spielsteine bewegen sich vom Feld des Gegners aus über das Außenfeld zum eigenen Heimfeld. Die Steine werden auf die Sektoren gesetzt, die offen sind und auf denen nicht mehr wie ein gegnerischer Stein liegt.
Felder, die mit zwei oder mehr feindlichen Steinen besetzt sind, darf man mit den eigenen Spielsteinen nicht benutzen.
«Heute bin ich nicht ganz so genial drauf», stöhnt Cord und führt sein Glas zum Mund.
«Ja das geht mir genauso», antwortet Malte.
«Ich habe heute meine Zwischenprüfung um Haaresbreite versemmelt. Im letzten Moment, kurz vor der Abgabe der Unterlagen, habe ich es bemerkt und noch korrigiert.» «Lasst uns für heute aufhören, es ist an der Zeit das, wir das Einjährige ins Auge fassen und feiern. Oder habt Ihr das Vergessen?», schlägt Helmer vor.
Seine Spielpartner beenden das Spiel und gemeinsam begeben sie sich auf den Weg ins Fiddlers Green, einem Irish Pub am Pferdemarkt.
Fiete ist geknickt, kaum hat das Backgammonspiel angefangen, ist es wieder zu Ende. Er flitzt zurück zu seinen Freunden, die sich zu dieser Zeit auf der Mauer am Zeughaus aufhalten.
«Na ist der Spieleabend aus?», fragt Albert ihn und schaut sich die Aufzeichnungen an, die Fiete ihm wortlos hinhält.
«Zwei Spiele, was war denn los?», hakt Albert erstaunt nach.
«Ich habe keinen blassen Schimmer, die sind früh rüber gewechselt in den Pub am Pferdemarkt», berichtet Fiete.
Die Stadtstreicher sitzen an diesem Abend lange am Zeughaus.
Wie sich erste Anwohner über den Lärm beschweren und die Polizei Platzverweise ausspricht, verlassen die Obdachlosen den Pferdemarkt. Fiete ist nicht Müde und bummelt durch die laue Nacht. Er sammelt Flaschen, später spaziert er zum Johanniskloster, um seinen Schlafplatz aufzusuchen.
Nachdem er seinen Schlafsack aus dem Versteck geholt hat, kramt er seine Tabletten hervor und schluckt sie in der von seinem Doktor vorgeschriebenen Reihenfolge ein.
Fiete hat einen Herzfehler. Das kommt bei der Hälfte aller Menschen mit dem Downsyndrom vor. Fietes Herzfehlbildung ist der sogenannte atrioventrikuläre-Kanal. Das ist ein Scheidewanddefekt zwischen den Herzvorhöfen und den Herzkammern. Er verursacht Atemnot, Wachstumsstörungen und oft Lungenentzündungen. Fiete hat ebenso, wie viele der mit Trisomie 21 betroffenen, Fehlbildungen im Magen-Darm-Trakt. Kleine Verengungen im Dünndarm, hierfür hat er Tropfen, die den Verdauungsprozess unterstützen. Sein Immunsystem ist unterentwickelt, daher ist Fiete anfällig für Infektionen. Vorzugsweise im Atemwegssystem. Das ist einer der Gründe, weshalb er vom DRK, einen dicken Daunenschlafsack mit einer zusätzlichen undurchlässigen Oberhaut erhalten hat.
Fiete legt sich, nachdem er die Pillen mit Mineralwasser heruntergespült hat, auf eine Bank an der Klostermauer. Er betet, bevor er einschläft zum lieben Gott. Nicht das er dem Herrgott vertraut. Der hat ja zugelassen, dass ihn seine Eltern ausgesetzt haben. Nein er wendet sich an Gott, weil er befürchtet, dass er durch seine nächtliche Atemnot gefährdet ist, und hofft, dass Gott ein Auge auf ihn wirft.
Durch sein Handicap leidet Fiete unter einer schlafbezogenen Atmungsstörung, er schnarcht unüberhörbar, das rührt daher, dass die oberen Atemwege im Schlaf erschlaffen und sich verengen. Das hat kurze Atemaussetzer zur Folge.
Die Sauerstoffsättigung im Blut sackt dabei ab. Fiete wird durch einen natürlichen Impuls geweckt, schläft normalerweise wieder ein und erinnert sich am nächsten Tag nicht. Aus diesem Grund ist Fiete tagsüber oft müde.
*
In der Nacht wird Fiete trotz seines bescheidenen Gehörs durch überlaute Stimmen geweckt. Er horcht geraume Zeit den Stimmen nach und schält sich langsam aus dem Schlafsack. Er schleicht sich voller Neugier an die Streithähne heran. Hinter einer mit Efeu umrankten Gartenmauer hockt er sich in Deckung und beobachtet, was dort vor ihm passiert.
An der Burgbastion, einem schmalen unbeleuchteten Fußweg sieht er, wie drei Kerle wankend einen vierten davontragen, der sternhagelvoll scheint. Am Ende des Weges, beim alten Steakhouse, legen sie den besoffenen ab und warten, bis ein Auto vorfährt. Später laden sie den Kerl in den Kofferraum.
Fiete stutzt, wenn die den in den Kofferraum legen, ist der nicht betrunken.
Der ist tot! Reflektiert Fiete und rennt zurück zu seinem Schlafplatz. An Einschlafen ist nicht zu denken, zu aufgewühlt ist sein Inneres. Fiete entschließt sich, herumzubummeln, um sich in der vertrauten Stadt abzulenken.
In zwei Stunden ist es Tag, da ist der Spuk vorbei, hofft Fiete.
Am frühen Morgen ist ihm klar, dass er das Gesehene meldet.
Er spricht verschiedene Passanten an, die ihn mitleidig betrachten und ihres Weges gehen. Fiete versucht es weiter, er hat die Hoffnung, dass ihm jemand zuhört und die Polizei benachrichtigt.
*
In der Nacht feiern die drei Backgammonspieler Malte, Helmer und Cord zuerst im Fiddlers-Green, später streifen sie enorm angetrunken durch die Innenstadt, kehren überall auf einen Drink ein, um sich ordentlich zu besaufen. Auf ihrem Weg durch das Nachtleben der City, werden sie hin und wieder von obdachlosen Bettlern angequatscht.
«Haste ne Kippe?» Oder - «Gib mir nen Euro für Essen.» Helmer nervt das geraume Zeit, wie er sagt. Je mehr Alkohol im Spiel ist, verhält er sich gegenüber den Pennern, wie er die Stadtstreicher abfällig nennt, zunehmend rabiater.
«Helmer, lass stecken, die haben echt nichts, die kämpfen ums Überleben!», versucht Malte ihn zu beschwichtigen.
Helmer pöbelt unbeirrt weiter. Später, es ist gegen halb drei.
Auf dem Weg zum Hafen, in Höhe der Aussichtsplattform Stadthafen, stößt das Trio wieder auf einen Obdachlosen.
Helmer rastet sofort aus, obwohl der Herumstreicher dort weiter nichts anrichtet, wie in einer Ecke zu stehen, um zu urinieren. Helmer drischt ihn mit roher Gewalt um.
«Helmer!», ruft Malte und versucht, ihn mit einem Griff an die Jacke zurückzuhalten.
Helmer prügelt auf den Gestürzten ein, ja soeben tritt er ihn mit voller Absicht in den Bauch. Der Obdachlose ruft wimmernd um Hilfe. Malte und Cord stehen fassungslos daneben. Sie begreifen in ihrer Trunkenheit nicht, was da in diesem Augenblick vor ihren Augen geschieht.
Helmer ist von Sinnen, wiederkehrend tritt er an den Kopf des Stadtstreichers, bis dieser keinen Laut mehr von sich gibt.
«Was hast du Idiot angestellt? Du kannst den Berber nicht ohne Weiteres umhauen!», Malte ist aufgebracht.
Unterdessen hat sich Cord zu dem zusammengetretenen Obdachlosen heruntergebeugt, um sich die Verletzungen anzuschauen. Bestürzt steht er auf.
«Der ist tot!», sagt er im Flüsterton.
«Was?? Das war ich nicht!», plärrt Helmer los, der sich wieder beruhigt hat.
«Komm, wir bringen ihn hier weg!», raunzt Cord und greift dem Obdachlosen unter die Arme, Helmer erfasst die Füße.
Malte bewegt sich vorneweg und sichert den Transport des Toten ab. An einer Buschgruppe an der Burgbastion, neben dem leer stehenden ehemaligen Steakhouse legen sie ihn vorerst ab. Cord rennt zum Parkplatz am Hafen und holt seinen Wagen, der dort mutterseelenallein auf dem Parkgrund steht. Eilig schaffen sie den Toten in den Kofferraum und brausen davon.
*
Jörg Merkens ist mit seinem arbeitslosen Bruder Heiko auf dem Rückweg von der Agentur für Arbeit. Sie trotten den Hagedorn hinauf, wie sie kurz vor der Messerschmiede ein verwirrter Jugendlicher anspricht.
«Hallo da Toter!», brabbelt er undeutlich vor sich hin und zeigt in Richtung zum Gebäude des Wochenblattes.
Jörg hockt sich nieder und schaut sich den Jungen an.
Sein Bruder fasst ihn an die Schulter und sagt: «Das ist ein mongoloid, dem kannst du nicht helfen, der spinnt!» Jörg steht auf und starrt seinen Bruder erbost an.
«Selbst wenn der Junge äußerlich betrachtet an der Trisomie 21 leidet, hat er ein Recht darauf, das man ihm hilft, wenn er in Not ist!», macht er seinem Bruder klar.
«Wie heißt du denn?», wendet er sich wieder dem Jugendlichen zu.
«Fiete!», antwortet dieser verdruckst.
«Was ist, passiert Fiete?», fragt Jörg behutsam nach.
«Betrunkene Kerle, toter weggeschleppt!» Der Bursche bringt nur Bruchstücke hervor, die durch sein Nuscheln schwer verständlich sind.
«Hallo, was treiben Sie da mit dem Jungen?», ruft unvermittelt eine aufgeregte Stimme.
Eine männliche Person kommt auf sie zugelaufen, sorgt sich um den Jungen. Jörg stellt sich vor: «Kriminalkommissar Merkens!», sagt er und zeigt dem verblüfften Herrn seinen Dienstausweis.
«Das ist Fiete, einer von uns, der ist durcheinander», berichtet der Herr, der sich als Albert Michelsen ausweist.
«Einer von Euch? Wie sehe ich das?», fragt Jörg nach.
«Wir sind eine Gruppe von Obdachlosen und kümmern uns seit Jahren um den Jungen, den seine Familie ausgestoßen hat», berichtet der Herr, der einen gebildeten Eindruck erweckt.
«Ok, übernehmen Sie ihn wieder in Ihre Obhut und passen Sie besser auf den Jungen auf. Der ist in hohem Grade verwirrt.» Jörg gibt dem Herrn seinen Personalausweis zurück und eilt mit seinem Bruder davon. Mit seiner braunen abgewetzten Cordhose der schnuddeligen Schimanski-Jacke und den ausgelatschten Sneakers sieht Jörg Merkens nicht wie ein Kriminalkommissar aus. In seinem Team bei der Mordkommission ist er dessen ungeachtet einer der Leistungsträger.
Er bringt seinen Bruder nach Hause in die gemeinsame Wohnung am Spiegelberg und freut sich auf seinen freien Tag.
Sein Bruder hatte keinen Erfolg bei der Agentur für Arbeit. Ein Langzeitarbeitsloser ist schwer zu vermitteln, hat die Sachbearbeiterin ihnen erklärt. Heiko, sein Bruder ist nicht der Zeitgenosse, der die Arbeit sucht, deswegen ist Jörg zusammen mit ihm zur Arbeitsagentur getippelt. Heiko liegt ihm seit einem Jahr auf der Tasche, damit ist hoffentlich bald Schluss.
*
Am nächsten Morgen ist Cord Juskowiak früh unterwegs, er steht an der Waschanlage an der Altländer Straße in Stade an.
Sein Fahrzeug bedarf einer gründlichen Reinigung. In der Nacht sind sie über einen Acker gefahren, um den Leichnam zu verstecken. Den Kofferraum hat er daheim bereits ordentlich geschrubbt. Cord ist die Ruhe weg, er ist sich sicher, dass man sie in der Nacht nicht beobachtet hat. Den Toten vermisst niemand, außer seine Saufkumpane und die sind eh unglaubwürdig. Die Backgammonspieler haben untereinander Stillschweigen vereinbart. Besprechen alles Weitere am nächsten Donnerstag beim Backgammon.
Ein bisschen sorgt er sich um Malte Caskorb, der steckt das nicht im Handumdrehen weg. Auf den geben wir besser acht, sinnt er nach und ledert den Wagen auf einem Abstellplatz ab.
*
Tage später, Fiete hat sich wieder beruhigt. Er ist mit Albert Michelsen, zu Mittag zur Stader Tafel, in das evangelische Gemeindehaus der Markus Gemeinde im Lerchenweg geeilt.
Die Stader Tafel ist eine anerkannte Tafel. Ist Mitglied des Landes- und Bundesverbandes der Tafeln.
Die Tafel sammelt Lebensmittel, die über den Handel nicht mehr vertrieben werden, und gibt diese an bedürftige Menschen, gegen einen geringen Kostenbeitrag weiter. Heute am Mittwoch um 13:30 Uhr ist hier Ausgabe. Sie erhalten eine Menge für ihr spärliches Geld. Fiete der einen Tafelausweis besitzt, futtert unterwegs die Bananen weg. Zusätzlich haben sie Toastbrot und Käse erhalten, das verzehren sie später im Park am Burggraben. Fiete macht sich den ganzen Tag einen Kopf, ob er morgen Abend wieder zum Backgammon aufbricht. Wenn er darüber nachsinnt, hat er ein mulmiges Gefühl im Bauch, Fiete kapiert nicht warum und das macht ihm Sorgen.
*
Albert und Fjodor Michajlowitsch stehen zusammen und unterhalten sich kaum vernehmlich, damit Fiete es nicht mitbekommt.
«Ich mach mir Sorgen», sagt Fjodor Michajlowitsch, «habe Wilhelm Rüter seit einer Woche nicht gesehen und nichts von ihm gehört.»
«Ja ich vermisse ihn ebenfalls», sagt Albert, den sie auf der Straße den Professor nennen, da er eine pädagogische Ausbildung hat.
«Geben wir eine Vermisstenanzeige auf?», fragt Fjodor behutsam nach.
«Da halte ich nichts davon! Die Bullerei macht da wieder Unruhe in unseren Reihen, das war bei der letzten Vermisstenmeldung genauso. Herausgekommen ist dabei nichts.»
Albert hat üble Erfahrungen mit der Polizei, war oft wegen mickriger Delikte im Gewahrsam.
«Ok, wie es scheint, ist Wilhelm kurz untergetaucht», antwortet Fjodor Michajlowitsch.
Er glaubt für sich nicht daran. Was solls, ich betrachte zuerst mich, wertet er und begibt sich zu den anderen Obdachlosen.
*
Malte Caskorb sitzt im Hörsaal am Composite-Campus in Stade und grübelt. Er hört lange nicht mehr hin, was der vortragende Referent berichtet.
Malte ist in Gedanken bei dem brutalen Verhalten seines Freundes. Er begreift nicht, was seinen Kumpel da geritten hat. Nachdem sie am Morgen die Leiche auf einem Acker vergraben hatten, versprachen sie sich, mit niemanden darüber zu reden. Malte fällt das schwer, er strebt an sich austauschen, und die Sache durchzusprechen.
Seine Freunde blocken jedes Gespräch ab und beabsichtigten erst wie abgesprochen am nächsten Spielabend darüber zu reden. Malte ist zunächst entrüstet, beruhigt sich wieder.