Bad Billionaire - Stefanie London - E-Book

Bad Billionaire E-Book

Stefanie London

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Beschreibung

Das Finale der New-York-Bachelors-Reihe von USA Today-Bestseller-Autorin Stefanie London Annie hatte ihr Leben im Griff: Hochbezahlte Karriere? Check. Schickes Appartement? Check. Sexy Mann, mit dem sie alt werden wollte? Check. Nur dass ihr Verlobter sie verlassen hat, um seine Karriere anzukurbeln. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, waren da die Fotos auf allen Society-Blogs, die ihn mit einer Frau zeigten, die ihren Hochzeitsring trug. Annie wollte sich nicht nur an ihrem Ex rächen, sondern alle Frauen davor warnen, sich von Playboys fernzuhalten. Doch leider ging das nach hinten los und nun ist sie die meistgesuchte Frau in New York. Joseph hat in seinem Leben viele Fehler gemacht. Aber keiner war so schlimm, wie die Liebe seines Lebens zu verlassen, um im Ausland Karriere zu machen. Nun ist der Manager wieder in New York und will Annie zurück. Er versucht alles, um sie zu überreden, ihm eine zweite Chance zu geben, aber je stärker er sich bemüht, desto mehr stößt sie ihn von sich. Doch als Hacker herausfinden, wer Annie wirklich ist, ist Joe der einzige, der ihr helfen kann …   Von Stefanie London sind bei Forever by Ullstein erschienen: Bad Bachelor (New York Bachelors 1) Bad Boss (New York Bachelors 2) Bad Billionaire (New York Bachelors 3) Meinungen zum Buch: Es war Lesevergnügen pur, der Band hat mir am besten von allen dreien gefallen, weil er mir unter die Haut ging - Leseempfehlung dafür und auch für die gesamte Reihe. (Rezensentin auf Amazon) Schade - das war's bereits mit der Reihe "New York Bachelors". Dieses Buch war leider schon der dritte und letzte Band der Serie. Ich muss sagen, ich hab selten eine Serie so verschlungen wie diese. Wie gewohnt fesselnd beschrieben, absolut faszinierende, liebenswürdige Protagonisten mit vielen Höhen und Tiefen und eine toll ausgearbeitete Geschichte mit schönen Idealen. Hätte die Freunde gerne noch länger begleitet ... (Buchhändlerin Eva-Maria Scheuer auf NetGalley) Ich habe das letzte Buch der Reihe mit einem lachenden und einem weinenden Auge beendet. Denn die Charaktere in allen Bänden haben mich begeistert und mitgerissen. Ich freue mich auf weiteren Nachschub aus dieser Autorenfeder, denn mich haben gerade die Bad Bachelors wunderbar unterhalten! (Rezensentin auf NetGalley)

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Seitenzahl: 514

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Bad Billionaire

Die Autorin

Stefanie London stammt ursprünglich aus Australien, lebt aber inzwischen mit ihrem ganz persönlichen Helden in Toronto. Sie ist USA Today und iBooks Bestseller Autorin und hat bereits mehr als fünfzehn Liebesromane veröffentlicht. Für ihre Bücher erhielt sie verschiedene renommierte Auszeichnungen. Stefanie wuchs in einer Familie von Frauen auf, die es lieben zu lesen. Sie absolvierte ein Studium der Betriebswissenschaft und arbeitete eine Zeit lang im Kommunikationsbereich, bevor sie zum Romanschreiben fand. Stefanie liebt es, die ganze Welt zu bereisen. Sie hat eine Schwäche für guten Kaffee, Lippenstift, Love Storys und alles, was mit Zombies zu tun hat.

Das Buch

Das Finale der New-York-Bachelors-Reihe von USA Today-Bestseller-Autorin Stefanie London

Annie hatte ihr Leben im Griff: Hochbezahlte Karriere? Check. Schickes Appartment? Check. Sexy Mann, mit dem sie alt werden wollte? Check. Nur dass ihr Verlobter sie verlassen hat, um seine Karriere anzukurbeln. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, waren da die Fotos auf allen Society-Blogs, die ihn mit einer Frau zeigten, die ihren Hochzeitsring trug. Annie wollte sich nicht nur an ihrem Ex rächen, sondern alle Frauen davor warnen, sich von Playboys fernzuhalten. Doch leider ging das nach hinten los und nun ist sie die meistgesuchte Frau in New York.

Joseph hat in seinem Leben viele Fehler gemacht. Aber keiner war so schlimm, wie die Liebe seines Lebens zu verlassen, um im Ausland Karriere zu machen. Nun ist der Manager wieder in New York und will Annie zurück. Er versucht alles, um sie zu überreden, ihm eine zweite Chance zu geben, aber je stärker er sich bemüht, desto mehr stößt sie ihn von sich. Doch als Hacker herausfinden, wer Annie wirklich ist, ist Joe der einzige, der ihr helfen kann …

Von Stefanie London sind bei Forever by Ullstein erschienen:Bad Bachelor (New York Bachelors 1)Bad Boss (New York Bachelors 2)Bad Billionaire (New York Bachelors 3)

Stefanie London

Bad Billionaire

Aus dem Englischen von Christiane Bowien-Böll

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Forever.Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuli 2019 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019© 2018 by Stefanie LondonTitel der amerikanischen Originalausgabe: Bad Breakup

Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Übersetzung: Christiane Bowien-BöllAutorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-335-3

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

EPILOG

Danksagungen

Leseprobe: Bad Bachelor

Empfehlungen

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Drei Jahre zuvor …

Joseph würde ihr verzeihen, dass sie es sich anders überlegt hatte; er musste einfach. Sie waren doch jetzt eine Familie. Zwar waren sie noch nicht verheiratet, aber sie hatte schon den Ring gesehen. Den kunstvoll verarbeiteten, riesigen Diamanten, ein echtes kissengeschliffenes Meisterstück, umkränzt von zahllosen kleineren Brillanten. Der Ring befand sich, hübsch verpackt, in einer dunkelblauen Samtschatulle, ganz hinten in Josephs Sockenschublade. Der Stein bedeutete etwas. Ihre gemeinsame Zukunft. Er war ein Symbol ihrer Verbindung.

War nicht die Bereitschaft zu verzeihen das, was eine Familie ausmachte?

Oder Kompromissbereitschaft?

Aufgewühlt lehnte sich Annie Maxwell an die Schlafzimmerwand und blickte auf die Kartons, die sich überall in der Wohnung stapelten. Alle waren in Annies ordentlicher Handschrift mit schwarzem Marker für den Umzug beschriftet: Küche, Badezimmer, Schlafzimmer. Sie hatte ein sehr ungutes Gefühl nach diesem Telefonat.

Vielleicht machst du dir unnötig Sorgen.

Joseph liebte sie, und sie liebte ihn. Nur darauf kam es an … oder?

Annies Hand zitterte, als sie sie auf den teuren Türknauf aus Messing legte. Den hatten sie zusammen in einem Antiquitätenladen ausgesucht, denn ihr Apartment sollte eine individuelle Note bekommen. Nachdem sie sich eine halbe Stunde nicht auf Messing oder Gusseisen hatten einigen können, hatte Joseph nachgegeben und die Entscheidung Annie überlassen, solange er die Vorhänge wählen durfte.

Stichwort Kompromiss.

Aber das hier war anders. Jetzt ging es nicht um Ästhetik oder Design. Es ging um Karriere oder Familie. Ihre Familie, seine Karriere. Das eine zu unterstützen, bedeutete, das andere aufzugeben. Wie sollten sie da zu einem Kompromiss kommen?

Annie musste einfach ihrer Mutter Vorrang einräumen, denn sie konnte unmöglich wegen Josephs neuem Job auf die andere Seite des Planeten ziehen, während ihre Mutter mit einer Krebsdiagnose konfrontiert war. Und schon gar nicht, nachdem Connie, ihre Mutter, sie unter Tränen angerufen und gebeten hatte, zu bleiben.

Merkwürdig, was für ein Chaos so ein kleiner Haufen Zellen anrichten konnte.

Letzte Woche, als ihre Eltern Connies Diagnose verkündet hatten, hatte ihr Mutter noch ganz ruhig gewirkt. Sie hatten schon eine ganze Weile über den Krebs Bescheid gewusst und nur den richtigen Moment abgewartet, um ihre Kinder zu informieren. Sie hatten abgewartet, bis es einen Therapieplan gab und sie allen versichern konnten, dass im Grunde alles in Ordnung war. Der Arzt hatte gesagt, die Chancen, den Tumor in der rechten Brust ihrer Mutter entfernen zu können, stünden gut. Er hatte eine vollständige Heilung vorausgesagt. Dreiundneunzig Prozent Überlebensrate. Das hörte sich doch gut an … oder nicht?

Aber später hatte er mit Begriffen wie Mastektomie und Chemo- und Hormontherapie um sich geworfen.

Und als vor einer halben Stunde das Telefon geklingelt hatte, war Annies Mutter völlig aufgelöst gewesen. Annie hatte sie sehr lange nicht mehr so weinen hören.

Bitte geh nicht fort, Annie. Ich brauche dich hier. Ich schaffe das nicht ohne dich.

Wie konnte sie die Frau, die sie großgezogen hatte – die sich für sie aufgeopfert hatte – im Stich lassen, wenn sie sie wirklich brauchte?

Wenn sie so weit entfernt lebte, würde das bedeuten, dass sie viel zu weit weg wäre, um ihre Mutter zu Arztterminen zu begleiten oder im Haushalt zu unterstützen oder sie einfach nur in die Arme zu nehmen. Joseph hatte versprochen, sie könnte jeden Monat hierherfliegen, wenn sie wollte. Aber ihre Mutter brauchte sie hier. Jetzt.

Singapur musste warten.

Auch wenn sie diesen Umzug seit Monaten geplant hatten. Auch wenn Joseph dieser Job auf dem Silbertablett angeboten worden war. Auch wenn ihr gesamtes Hab und Gut in Kartons verpackt war und morgen die Umzugsfirma käme. Weil sie und Joseph eigentlich morgen umziehen würden.

Die Bank hatte Joseph ein einmaliges Angebot gemacht – einen Antrittsbonus, die Finanzierung des Umzugs, ein Gehalt mit mehr Nullen, als Annie fassen konnte. Sie hatten ihm die Leitung einer kompletten Abteilung im IT-Bereich übertragen, er würde dem Chief Information Officer direkt unterstehen. In seinem Alter war das einfach unglaublich. Annie hatte Joseph noch nie so glücklich erlebt.

Wenn nur ihre Mutter nicht diesen Knoten hätte.

Annie lockerte Arme und Hände und atmete langsam aus. Vielleicht machte sie sich ganz unnötig Sorgen. Joseph würde ihre Entscheidung verstehen … oder?

»Joe?« Annie zwang sich, ganz ruhig zu bleiben und betrat das Schlafzimmer. »Können wir reden?«

Er blickte auf. Das Blau seiner Augen wirkte so kalt wie ein zugefrorener See. Unergründlich. Ein Koffer lag mitten auf dem Bett, darin ein Stapel sorgfältig zusammengefalteter Hemden. Josephs Krawatten steckten zusammengerollt in den Ecken des Koffers – silberne, graue und dunkelblaue, dazwischen ein paar rote Farbtupfer. Und dann war da noch die leuchtend blaue, die Annie ihm gekauft hatte, weil sie so gut zu seiner Augenfarbe passte. Es war seine Lieblingskrawatte.

Ihre auch. Joseph sah einfach zum Anbeißen aus, wenn er sie trug.

Sie wartete auf ein Lächeln, eine Reaktion … irgendetwas. Doch Josephs Gesicht blieb unbewegt, seine Lippen bildeten eine schmale Linie. Angst stieg in ihr auf. Er hatte vor fast einem Monat gekündigt. So wie sie selbst. Die letzte Woche hatten sie damit verbracht, alles, was sie besaßen, sorgfältig einzupacken und ihre gemeinsame Zukunft zu besprechen. Das Leben zu planen, das sie sich erträumten.

Und sie würde das alles jetzt zunichtemachen.

»Wir müssen reden«, sagte sie, diesmal mit festerer Stimme. Ihre Finger krümmten sich Halt suchend um den hölzernen Bettrahmen. »Über Singapur.«

»Da gibt es nichts zu reden.« Joseph drehte sich von ihr weg und richtete seine Aufmerksamkeit auf seinen Kleiderschrank. Die metallenen Kleiderbügel stießen klirrend aneinander, als er ein kurzes, schwarzes Jackett herauszog. »Du hast dich also entschieden?«

Annies Herz pochte schnell und unregelmäßig. Wie die Hufe eines Pferdes, das über einen schlammigen Untergrund zu galoppieren versuchte. »Was meinst du damit?«

Joseph legte das Jackett aufs Bett und faltete es in seiner typischen peniblen Art zusammen, bis es ein quadratisches Format aufwies. »Ich habe das Gespräch mit deiner Mutter mitgehört. Du hast ihr gesagt, dass du nicht die Absicht hast, nach Singapur zu ziehen.«

»Du sagst das so, als hätte ich das die ganze Zeit so geplant.«

»Es läuft auf das Gleiche hinaus, oder etwa nicht?«

Annies Magen fühlte sich plötzlich an wie mit Blei ausgegossen. Ihre Mutter wusste, dass sie im Begriff waren, umzuziehen. Wusste, was das für ihre Lebensträume bedeutete – sie wollten beide Karriere machen und die Welt erkunden. Es war das Ziel, auf das sie hinarbeiteten, seitdem in jener sternenreichen Nacht in Annies erstem Collegejahr aus ihrer Freundschaft mehr geworden war.

»Sie hat geweint, Joseph. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.« Annie verschränkte die Finger ineinander und drückte sie zusammen, bis die Gelenke schmerzten.

»Dann stimmt es also nicht? Wir treffen Entscheidungen immer noch gemeinsam?«

Sie hörte eine winzige Andeutung von Hoffnung in seiner Stimme mitschwingen, obwohl sein Gesichtsausdruck nichts preisgab. Wie immer. Sie hatte sich schon am Anfang ihrer Beziehung geschworen, nie wieder mit Joseph Poker zu spielen, nachdem er einmal sämtliche Einsätze eingestrichen hatte, nur um ihr dann das Geld unters Kopfkissen zu legen. Ihm ging es nicht ums Geld. Gewinnen, das war seine Droge.

»Es ist nicht so, dass ich nicht vorhabe umzuziehen, aber jetzt … ich kann einfach nicht. Ich kann sie nicht im Stich lassen.« Annies Lippen zitterten. Sie holte tief Luft. »Aber das ist trotzdem immer noch unsere Entscheidung.«

»Das ist eine Lüge, denn du hast sie ja schon getroffen und jetzt bist du hier, um mir zu sagen, was wir tun werden, anstatt erst mit mir darüber zu sprechen.« Er klappte den Kofferdeckel zu. »Es war von vornherein klar, dass ich nicht in die Entscheidung miteinbezogen werde, nicht wahr?«

»Du wirst sehr wohl miteinbezogen.« Annie wand sich innerlich. Joseph hatte nämlich recht – sie hatte die Entscheidung ohne ihn getroffen. Eine Entscheidung, die sie beide betraf. Die von beiden einen Verzicht forderte.

»Und ich habe mir eingebildet, es gäbe nur uns beide. Dabei bin ich hier anscheinend nur das fünfte Rad am Wagen.«

»Nein, bist du nicht.« Sie drückte die Finger an die Schläfen und massierte sie kreisförmig, denn der Schmerz hatte sich von einem dumpfen Pulsieren in ein unerträgliches Pochen verwandelt. »Ich liebe dich.«

»Warum hast du dann nicht mit mir geredet?« Sein verletzter Gesichtsausdruck schnitt ihr ins Herz. »Wir wollen morgen abreisen. Ich habe meinen Job aufgegeben. Was erwartest du? Dass ich wieder zurückgehe und sage ›Äh, sorry, tut mir leid‹?«

»Sie würden dich wieder nehmen.« Annie hielt die Luft an. Sie wusste, sie befand sich auf dünnem Eis. »Sie wollten doch, dass du bleibst, nicht wahr? Sie haben dir mehr Geld geboten.«

»Jake hat mich an meinem letzten Tag zur Seite genommen und gesagt, er sei froh, dass ich sein Gegenangebot nicht angenommen habe. Dieser Job ist nämlich …« Joseph warf die Hände in die Luft. »Alles würde sich ändern für uns. Wir würden zusammen ein neues Leben anfangen, eigenständig. Es wäre unser Geld und wir wären nicht mehr von meinem Vater abhängig. Wir könnten reisen. Die ganze Welt sehen. Du würdest nicht mehr in dem Job arbeiten müssen, der dir zuwider ist. Wir könnten tun, was wir wollen.«

Außer bei ihrer Mutter zu sein, wenn die sie doch so sehr brauchte. »Die Situation hatte sich geändert.«

»Das verstehe ich. Wirklich. Du weißt, ich liebe deine Eltern. Ich will, dass deine Mutter gesund wird.« Für einen Moment wurde Josephs Ausdruck wieder weich, sein Blick warm und mitfühlend. Er gestattete es sich nicht oft, diese Seite zu zeigen. Die verletzliche Seite. Aber Annie hatte diesen Gesichtsausdruck an ihm schon öfter gesehen, durch Augenlider, die nur einen schmalen Schlitz weit geöffnet waren, um ihn glauben zu machen, sie schliefe noch. »Und ich habe angeboten, dass du so oft zurückfliegen kannst, wie du es für nötig hältst. Ich werde mit dir zurückfliegen, jedes verdammte Wochenende.«

»Das ist nicht dasselbe. Wenn sie mich anruft, kann ich eben nicht gleich bei ihr sein, wenn ich mich am anderen Ende der Welt befinde.«

»Warum hast du mir das nicht gesagt? Warum redest du mit mir erst ganz zuletzt, wie immer?«

»Ich … das tu ich nicht …«

»Ach nein? Und wie war das, als du befördert wurdest und ich das erst erfahren habe, als deine Schwester mir gesimst hat, ich solle ein Überraschungs-Dinner für dich organisieren?« Seine Stimme klang so ruhig. Oh, so ruhig. Joseph schrie nämlich niemals. Das hatte er nicht nötig.

»Ich habe gesagt, wie leid es mir tut.« Annie schluckte die panische Angst hinunter, die ihr die Kehle zuschnürte, sich aber auch mit Wut vermischte, weil er ihr diese Kleinigkeit immer noch nachtrug.

»Ja, aber du hast mir versprochen, dass es nie wieder vorkommen wird.«

»Du bist jetzt ganz schön egoistisch, Joe.«

»Egoistisch? Ich?« Er blickte sie an und schüttelte den Kopf. »Du bist es, die für uns beide eine Entscheidung getroffen hat, ohne mit mir darüber zu sprechen. Du entscheidest dich immer für sie.«

Sein ätzender Ton brachte Annies Blut zum Kochen. »Es geht hier nicht darum, jemandes Partei zu ergreifen.«

»Ach nein? Ich möchte nämlich, dass wir Entscheidungen gemeinsam treffen und das bedeutet, dass du zur Abwechslung einmal mir Vorrang einräumen musst.«

»Das ist doch idiotisch.«

»Nein, ist es nicht.« Er zog den Reißverschluss des Koffers zu und legte dabei eine geradezu unheimliche Ruhe an den Tag. »Irgendwann musste ich wohl die Zeichen erkennen.«

»Dir ist deine Karriere also wirklich wichtiger als sie?« Annies Stimme zitterte, verunsichert durch den Widerstreit negativer Gefühle in ihrem Inneren. »Wichtiger als ich?«

»Ich muss diese Chance nutzen, so eine Gelegenheit bietet sich nicht zweimal. Es ist genau das, was ich immer wollte. Wir haben darüber geredet, wie wir in Zukunft leben wollen, erinnerst du dich?«

Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Rasch blinzelte sie sie weg. »Ich werde sie nicht im Stich lassen.«

»Ich habe nie gesagt, dass du sie im Stich lassen sollst. Ich wollte einen Mittelweg suchen. Einen Kompromiss.« Da war es wieder, dieses Wort.

»Ich kann keine Kompromisse machen, wenn es um meine Familie geht«, erklärte sie.

Einen Augenblick lang verriet seine Miene, was er fühlte.

Das war alles, was Joseph ihr zugestand … einen Augenblick. Gefühle hatten keinen Platz in seinem Leben, denn er hatte sie jahrelang verdrängt, bis er unfähig geworden war, welche zu zeigen. Es war nicht seine Schuld, dass seine Eltern Perfektion forderten. Dass sie von allem und jedem erwarteten, ihre hohen Erwartungen zu erfüllen.

Joseph wusste nicht, wie man sich lieben ließ.

Annie war bereit gewesen, sich damit abzufinden … in der Hoffnung, dass er sich mit der Zeit ändern würde. Dass sie vielleicht der positive Einfluss in seinem Leben sein könnte, der ihm helfen würde, dieses Problem zu lösen.

Und es hatte auch eine gewisse Verbesserung gegeben. Durch ihre Familie hatte er begonnen zu lernen, im Team zu spielen anstatt immer nur solo. Aber dieser Streit sagte ihr, dass er sich nicht genug geändert hatte – er würde wohl niemals verstehen, was es bedeutete, etwas jemand anderem zuliebe zu opfern. Die Wahrheit war nämlich, dass sie sehr wohl mit ihm nach Singapur gehen wollte. Sie wollte das Leben, das sie gemeinsam geplant hatten. Die Zukunft, auf die sie zugearbeitet hatten.

Mehr als alles andere wollte sie ihn. Für immer. Aber sie musste die Bedürfnisse ihrer Mutter vor ihre stellen.

Die Brust tat ihr weh, sie konnte nur noch flach atmen. Konnte es wirklich sein, dass es vorbei war? »Wir könnten es schaffen. Singapur ist nicht so weit weg.« Joseph legte die Hände auf den Koffer und beugte sich vor, sein Adamsapfel bewegte sich sichtbar, als er schluckte. »Ich zahle so viele Flugtickets, wie du brauchst.«

Annie schüttelte den Kopf. »Ich komme nirgendwohin, bevor es ihr nicht besser geht. Ich kann nicht.«

»Kannst du nicht oder willst du nicht?«

Die negativen Emotionen verursachten ein Chaos in ihrem Kopf: Wut, Trauer, Enttäuschung. Aber sie würde sich nicht unter Druck setzen lassen. »Beides.«

Er hob den Koffer vom Bett und stellte ihn neben sich auf den Boden. »Sieht aus, als müssten wir ein paar Anrufe tätigen.«

1. Kapitel

Hallo, Bad Bachelors, bevor es eure App gab, habe ich wirklich geglaubt, ich würde einsam sterben.

 

– SincerlySingle

Noch nie hatte jemand Annie Maxwell mit einem Gebäckstück gedroht. Zum Glück auch noch nie mit einer Pistole, aber als ihr Vater mit dem frisch gefüllten Cannolo regelrecht auf sie zielte, hatte sie das Gefühl, es wäre besser, jede plötzliche Bewegung zu vermeiden. Sie stand in der Mitte seines noch nicht geöffneten und deshalb menschenleeren Cafés.

»Ich wollte gerade joggen gehen.« Sie deutete auf ihre knallpinken Nikes und Leggings. »Ich kann jetzt keinen Kuchen gebrauchen. Außerdem treffe ich mich mit den Mädels.«

Besser gesagt mit einem Mädel. Singular. Eine von ihren beiden besten Freundinnen redete zurzeit nicht mit ihr. Aber aus alter Gewohnheit redete sie immer von den Mädels, schließlich waren sie doch eigentlich eine Gruppe.

Und nicht so ein armseliges, verkrampftes Duo.

Sal Russos dunkle Augen verengten sich und er schürzte die Lippen. »Du solltest etwas frühstücken.«

»Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber das da ist kein Frühstück.« Sie deutete auf das Cannolo. »Das ist Nachtisch. Bestenfalls kann man es vielleicht als Snack bezeichnen. Aber es ist ganz sicher kein Frühstück.«

Wie auch immer, Sal musste den Leuten von Bensonhurst geben, was sie wollten – und das waren nun mal knusprige, überzuckerte Gebäckstücke, die nicht wirklich zum Frühstück taugten.

Sal brummte und stellte das Tablett voller Cannoli ab. Der Rand seines dunklen Schnurrbarts war mit Puderzucker gesprenkelt, was Annie verriet, dass er heute bereits sein eigener Kunde gewesen war. Egal, wie sehr Annie ihm zuredete und ihm schmeichelte, er kam einfach nicht gegen seine Vorliebe für Süßes an. Oder er wollte es nicht.

»Italiener essen so seit Generationen.«

»Genau. Warum denkst du wohl, hat Nonno jetzt Probleme mit seinem Blutzucker? Zu viele Cannoli.« Annie schüttelte den Kopf. Sich um die Gesundheit ihres Großvaters zu sorgen hatte genauso wenig Sinn, wie sich wegen der ihres Stiefvaters den Kopf zu zerbrechen. Wenn es nach ihr ginge, würden sie beide für immer leben. »Ganz zu schweigen von der vielen Salami, die er isst. Und dem Schinken … und den fettigen Gnocchi.«

»Jetzt willst du uns auch noch unsere Pasta nehmen?« Sal gab sich entrüstet.

»Ach, wie schlimm aber auch.«

»Ich sage ja nur, dass du …« Er schüttelte den Kopf. »Man muss nicht immer perfekt sein. Du setzt dich viel zu sehr unter Druck.«

Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, sagte dann aber doch nichts. Früher hätte er jetzt wohl gescherzt, dass er sie niemals unter die Haube bekäme, solange sie so verspannt sei – und hätte sie damit scheinbar unabsichtlich dazu gebracht, ihm eine Predigt darüber zu halten, dass Frauen das Recht hätten zu wählen. Dass eine Frau selbst entscheiden dürfe, ob sie heiraten oder was für ein Leben sie führen wolle – was ja in Wahrheit auch genau Sals Meinung entsprach. Er wünschte sich seine Töchter stark und unabhängig, obwohl er sie immer wieder deswegen neckte. Inzwischen machte jedoch in Annies Gegenwart niemand mehr Scherze über dieses Thema. Man redete nur darüber, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, und selbst dann warf man sich dabei verstohlene und mitleidige Blicke zu.

Arme Annie. Was, wenn sie niemals den Richtigen findet? Zum Glück hat er ja zwei andere Töchter, die die Familie stolz machen und ihm ein paar allerliebste Nipoti schenken werden.

O Mann. Annies Tante wusste nicht, dass sie dieses Gespräch mitbekommen hatte. Und auch wenn Annie nicht glaubte, dass Sal etwas darauf gab, ob sie ihm nun Enkel schenkte oder nicht, diese Bemerkung hatte ihr einen Stich versetzt und es schmerzte Monate danach immer noch.

»Mir geht es prima und Joggen macht mir Spaß.« Sie straffte die Schultern. »Du solltest es auch mal probieren.«

Er lachte, sein Gesichtsausdruck entspannte sich, er zog Annie in die Arme und drückte sie an sich. Bestimmt hatte sie jetzt lauter Zuckerglasurflecken auf ihrem Hoodie. »Für den Quatsch bin ich zu alt.«

Annie schmunzelte trotz aller Sorgen. Es gab kaum etwas, das sich nicht mit einer herzlichen Umarmung ihres bärenhaft starken und beschützenden Stiefvaters in Ordnung bringen ließ. Als er seinen Job aufgegeben hatte, um seinen Traum zu verwirklichen und ein Café zu eröffnen, hatte der Familienrat beschlossen, es nach ihm zu benenne: Café l’Orso, Café zum Bären. Innerhalb von zwei Jahren war es zu einem Treffpunkt für Hipster geworden, gerade einmal fünf Minuten von der Wohnung der Familie entfernt.

»Ma ist ja so stolz auf dich, weißt du das?« Annie blickte sich im Café um und ihr wurde ganz warm ums Herz.

»Nur deine Mutter?«

Sie schmunzelte. »Na ja, ich auch. Aber wir alle wissen, dass nur ihre Meinung zählt.«

Sal drückte sie an sich. »Stimmt. Ist schon komisch, dass ihr Krebs sich so positiv ausgewirkt hat. Er hat uns gezwungen, das Leben viel mehr wertzuschätzen.«

Annies Eltern hatten sich in den vergangenen drei Jahren sehr verändert. Sal hatte sich abgewöhnt, bei allen Entscheidungen immer nur die Sicherheit im Blick zu haben, und ihre Mutter – sie war immer die Temperamentvolle, Streitlustige gewesen – hatte gelernt, sich mehr zurückzuhalten und Kompromisse zu machen. Aber sie waren glücklicher als je zuvor. Und als Paar stärker denn je.

Annie schluckte den Kloß hinunter, der ihr die Kehle verengte. »Ich muss los.«

Draußen sah es verlockend aus. Das Sonnenlicht spiegelte sich in den von einem Regenschauer hinterlassenen Pfützen und ließ das spätherbstlich eingefärbte Laub besonders warm leuchten. Bald wäre das Café voller Menschen und Annie wollte lieber weg, bevor sie sich zum Helfen verpflichtet fühlen würde, weil aus der Nachbarschaft die Kundschaft für ihre samstägliche Dosis Koffein herbeiströmte. Immerhin war das Annies erster freier Tag seit fast einem Monat und sie hatte Pläne gemacht. Heute Morgen wollte sie sich mit ihrer Freundin Darcy treffen. Danach würde sie ihren Organizer öffnen und ihre Liste von Erledigungen in Angriff nehmen.

»Du weißt, du musst nicht extra nach mir schauen, nur weil du frei hast.« Sal lächelte und wedelte mit der Hand. »Ich kann mich glücklich schätzen, drei so gewissenhafte, hart arbeitende Töchter großgezogen zu haben. Aber du bist mir die Liebste.«

Niemals hatte Sal Annie das Gefühl gegeben, nicht zur Familie zu gehören, obwohl sie als Einzige nicht mit ihm blutsverwandt war.

»Ich wette, das sagst du zu allen. Einschließlich Mom.« Annie lachte, denn sie wusste genau, dass ihr Vater das tatsächlich zu jeder von ihnen sagte. »Wir kennen deine Tricks.«

»Ja, ja, schon gut. Und jetzt verschwinde.«

Sal drehte sich um und ging hinter den Tresen, wo er die Espressomaschine einschaltete und Kaffeebohnen in das Mahlwerk gab. Dampf entwich mit einem lauten Zischen und übertönte die Geräusche aus der Küche, als Annie das Café verließ und in den frischen Herbstmorgen hinaustrat.

Annie liebte diese frühen Wochenendvormittage, wenn Brooklyn noch nicht erwacht war. Sie liebte es, wie sich die Farbe des Himmels von einem Nachtblau über ein Violett und Gold in ein strahlendes Blau verwandelte. Sie liebte den Frieden und die Stille. Nachdem Joseph fortgegangen war, hatte es lange gedauert, bis sie die Stille genießen konnte, denn sie hatte im Geist ihren letzten Streit immer wieder wie in einer Endlosschleife durchgespielt. Aber mittlerweile fand sie in der Stille Trost.

Sie ging zur U-Bahn und nahm die D-Linie zum Columbus Circle. Sie wohnte in Manhattan, was bedeutete, dass sie jedes Wochenende eine lange Fahrt nach Brooklyn auf sich nehmen musste, um ihre Familie zu besuchen, aber sie war froh, morgens vor der Arbeit eine Jogging-Runde einschieben zu können.

Die Bahn hielt an, Annie stieg aus und stieß fast mit Darcy zusammen. »Hey«, sie hob grüßend die Hand.

Darcy brummelte einen halbherzigen Gruß als Erwiderung. »Ich verstehe immer noch nicht, warum ich den ganzen Weg bis hierher in Kauf nehmen muss, um ein bisschen zu laufen.« Darcy hatte ihr Haar straff zurückgenommen und zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, ihr Kinn war in einem übergroßen Mets-Hoodie verborgen. Da er an ihr fast so lang war wie ein Kleid, stammte er wohl von Reed, Darcys Verlobtem. »Sport nervt.«

Annie verdrehte die Augen. »Du hast mich gebeten, dir zu helfen, hast du das vergessen? Ich dachte, du willst Reed unterstützen.«

Eine Woche zuvor war Darcy zu ihr gekommen und hatte Fragen zum Thema Laufen gestellt und erzählt, Reed würde an einem Vier-Meilen-Benefizlauf durch den Central Park teilnehmen und habe sie zum Mitmachen überredet. Nachdem sie als Nächstes gefragt hatte, ob sie das in ihren Doc Martens machen könnte, hatte Annie einen Trainingsplan ausgearbeitet.

»Und ihn unterstützen bedeutet, unchristlich früh aufzustehen und eine Reise in die City zu unternehmen?« Darcy gähnte. »An meinen freien Tagen schlafe ich normalerweise mindestens vier Stunden länger.«

»Es ist besser, wenn man sich mit dem Terrain vertraut macht. Wenn du hier laufen sollst, ist es sinnvoll, auch hier zu trainieren.« Sie gingen die Treppen hinauf und die Straße entlang. »Was hat er eigentlich gesagt, um dich rumzukriegen?«

Darcys Wangen färbten sich dunkler. »Nichts, was ich in aller Öffentlichkeit wiederholen möchte.«

Der Central Park leuchtete in herbstlichen Goldtönen. Es wimmelte von begeisterten Touristen mit Kameras und Selfie-Sticks. Die Luft war frisch und kühl, aber es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich milder Tag. Mit anderen Worten, ein perfekter Tag für ein Lauftraining.

»Warst du gestern Abend bei deinen Eltern?«, erkundigte sich Darcy, als sie den Park betraten.

»Ja, Allegra ist übers Wochenende vom College gekommen und Sofia hat beschlossen, einen Filmeabend zu veranstalten.« Annies Stiefschwestern waren einundzwanzig und siebzehn Jahre alt. »Es war eine echte Frauenfilmorgie, aber es hat Spaß gemacht. Wir haben Popcorn gegessen und Pizza bestellt. Aber im Hinblick auf Jungs sind die beiden wirklich total durchgeknallt. Wir haben die Hälfte des Abends damit verbracht, Sofia zu beraten, zu welcher Halloween-Party sie gehen soll, weil sie es davon abhängig machen wollte, welchem Jungen sie jeweils begegnen würde.«

»Ich bin einfach nur froh, nie wieder etwas mit einer Highschool zu tun haben zu müssen.«

»Ich auch.« Sie blieben an einer Sitzbank stehen, um Dehnungsübungen zu machen. Annie beugte ein Knie und zog die Fußspitze zum Po, um die Oberschenkelvorderseite zu lockern. »Die Kids sind so …«

»Hormongesteuert?«

»Ich wollte sagen naiv.«

»Du meinst, sie sind noch nicht von dem Zynismus angesteckt, den man sich zulegt, wenn man erst einmal eine Beziehung hinter sich hat?«, half Darcy aus. Das war eines der Dinge, die Annie an ihrer besten Freundin liebte. Ihr fiel immer eine sarkastische Bemerkung ein. Außerdem beherrschte sie das beste Pokerface, das Annie je gesehen hatte, verfügte über fundiertes Wissen in klassischer Literatur und hatte eine Vorliebe für ästhetische Tattoos.

Darüber hinaus war sie der gutmütigste Mensch, dem Annie je begegnet war.

»Mit Anfang zwanzig war das Leben einfacher, das steht fest.« Annie seufzte. »Und mach jetzt bloß nicht auf neunmalklug, nur weil du in einer Beziehung bist.«

»Ich meine ja bloß, wenn sogar ich jemanden gefunden habe, dann besteht praktisch für jeden Hoffnung.« Darcy lachte. »Du musst also nicht als vertrocknete alte Jungfer enden.«

Annie wechselte das Bein und gab Darcy mit der freien Hand einen Klaps. »Alte Jungfer? Scher dich zum Teufel.«

»Man muss aufpassen, dass man nicht aus der Übung kommt«, sagte Darcy und nickte weise. »Hast du das nicht einmal zu mir gesagt?«

»Ich glaube, das war Remi.«

Ein unbehagliches Schweigen entstand zwischen den beiden. Seit dem großen Streit waren zwei Monate vergangen. Abgesehen davon, dass sie sich Remis Auftritt bei der Premiere des Tanztheaterstücks Out of Bounds angesehen hatten, hatte es keinen Kontakt zwischen ihnen gegeben. Annie wählte ihre wenigen Freunde mit Bedacht aus, weshalb Remis Abwesenheit eine große Lücke in ihr Leben riss. Ganz zu schweigen von der tiefen Wunde in ihrem Herzen.

Sie würde das irgendwie regeln. Irgendwann. Aber Remi brauchte erst einmal Abstand und dieses Mal würde Annie das respektieren.

»Sie wird sich schon wieder einkriegen«, sagte Darcy, als ob sie die Gedanken ihrer Freundin gelesen hätte.

»Hoffentlich.« Aber hoffen war vielleicht nicht genug. Annie hatte Remi wirklich verletzt und der Gedanke daran verfolgte sie jeden Tag.

»Hey.« Darcy beugte sich vor und drückte den Handrücken an Annies Stirn. »Geht es dir gut? Du siehst blass aus.«

»Mir geht’s gut.« Annie winkte ab. »Ich bin nur müde. Ich habe in letzter Zeit sehr viel gearbeitet.«

»Arbeit ist nicht alles, weißt du?«

Darcy hatte natürlich recht. Arbeit war wirklich nicht alles … jedenfalls für die meisten Menschen. Aber im Moment war ihre Arbeit das Einzige, was Annie am Leben erhielt. Nicht ihr Job, sondern die Arbeit, die der wahre Zweck ihres Lebens war.

Bad Bachelors. Die Website und App, die sie kreiert hatte, um das Verhalten von Frauen beim Dating zu ändern. Dadurch, dass sie nun eine Möglichkeit hatten, Männer zu bewerten und zu kommentieren, konnten die Frauen von New York Betrügern und Manipulatoren aus dem Weg gehen. Eine Frau konnte sich jetzt vorab informieren, bevor sie sich auf eine Beziehung einließ. Annie war überzeugt, dass diese App Gutes bewirken konnte. Allerdings hatte sie auch schon eine Menge Probleme verursacht.

Abgesehen von ihrem Streit mit Remi und den Problemen mit der Bad-Bachelors-App gab es noch etwas, weswegen Annie ein mulmiges Gefühl hatte. Nächste Woche wären es drei Jahre, seit die Liebe ihres Lebens die Koffer gepackt und sie verlassen hatte. Drei lange Jahre, in denen sie verletzte Gefühle, Wut und Reue verdrängt und versucht hatte, ihre Energie in andere Kanäle zu lenken.

Jedes Mal, wenn sich das Datum jährte, beging sie den Tag in der gleichen Weise. Sie machte kein Drama daraus, aber sie vergaß den Tag auch nicht. Sie badete ganz allein in ihrem Elend, schaute sich traurige Filme an und weinte sich die Augen aus, als wollte sie Bridget Jones übertrumpfen.

Dieses Jahr war sie jedoch entschlossen, dieses unproduktive Verhalten zu umgehen und sich sinnvoll zu beschäftigen. »Also«, sagte sie und hüpfte auf den Zehenballen auf und ab. »Wir joggen jetzt hinüber zum See, laufen um ihn herum und kommen hierher zurück. Das sind ungefähr eineinhalb Meilen. Dann sehen wir, wie fit du zurzeit bist.«

»Und wenn ich dabei sterbe?«

»Dann gehen wir für eine Weile zum Schritttempo über.« Annie grinste. »Es sei denn, du stirbst wirklich. Dann rufe ich einen Krankenwagen.«

»Wieso habe ich mich nur darauf eingelassen?«, jammerte Darcy. »Ich werde ins Schwitzen kommen, nicht wahr?«

Annie musste lachen. »Ich frage mich, wie du dir einen Typen wie Reed angeln konntest, wenn du etwas dagegen hast, ins Schwitzen zu kommen.«

Bevor Darcy etwas erwidern konnte, joggte Annie los, allerdings in einem für ihre Verhältnisse langsamen Tempo. Darcy holte rasch auf und dann bahnten sie sich gemeinsam einen Weg zwischen den vielen kleinen Touristengruppen hindurch. Mit jedem Schritt spürte Annie, wie die Sorgen von ihr abfielen.

Laufen war die effektivste Form von Therapie, wie sie herausgefunden hatte, und sie hatte inzwischen einiges ausprobiert. Es war nicht nur das Plus an Vitamin D, die malerische Umgebung oder das Pulsieren in ihren Adern, weshalb sie das Laufen liebte. Es war das Gefühl, Fortschritte zu machen. Obwohl sie sowohl in ihrem Job als auch mit der Bad-Bachelors-App erfolgreich war, fühlten sich die vergangenen drei Jahre an wie ein Riesenschritt rückwärts. Beim Laufen fand sie eine Art von Bestätigung, die ihr ansonsten im Leben fehlte.

Annie verscheuchte den bedrückenden Gedanken und lief weiter, wobei sie sich immer wieder nach Darcy umblickte, um sicher zu sein, dass sie auch Schritt halten konnte. Ein paarmal gingen sie kurz im Schritttempo, damit Darcy wieder Atem schöpfen konnte, aber Annie musste ihr zugutehalten, dass sie prima durchhielt. Die Sonne schien sehr grell und das Licht wurde auch noch vom nassen Asphalt reflektiert. Das Wetter in Manhattan war so launisch, dass man jederzeit mit einem Regenschauer rechnen musste. Manchmal dauerte der nur ein paar Minuten, aber das reichte schon aus, um überall kleine Pfützen entstehen zu lassen.

Da sie ihre Sonnenbrille vergessen hatte, versuchte Annie beim Weiterlaufen ihre Augen zu schützen. Aber wenn sie den Arm vors Gesicht hielt, brachte sie das aus dem Rhythmus. Blinzelnd lief sie um die Ecke des Sees herum und steuerte den Bereich an, in dem die meisten Leute stehen blieben, um Fotos zu machen. Es mochte angesichts der vielen Menschen, die sich gerade im Park aufhielten, nicht die beste Route sein, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Annie wich einer Frau mit Kinderwagen aus, umrundete eine größere Pfütze und rannte weiter. Aber dann wurde sie abrupt durch etwas ausgebremst, das im Weg stand. Fast im selben Moment fluchte jemand mit tiefer Baritonstimme und dann folgte ein Geräusch, als wenn etwas ins Wasser fiele.

»Oh mein Gott!« Annie sank auf die Knie und spähte über die Reihe von großen Steinen, die an dieser Stelle den See einfriedeten. »Es tut mir so …« Die Worte erstarben ihr auf den Lippen.

Der Mann im Wasser war keineswegs ein unbeteiligter Fremder. Sie erkannte die strahlend blauen Augen, sie wusste, dass sie exakt die Farbe eines Frühlingsmorgens hatten. Sie kannte diese sinnlichen Lippen nur zu gut. Sie erinnerte sich genau, wie sich sein blondes Haar anfühlte, auch wenn es jetzt völlig durchnässt war und eher dunkelbraun wirkte. Sie kannte alles an diesem Mann.

Schließlich hatte sie ihn einmal heiraten wollen.

2. Kapitel

Ich kann mir gut vorstellen, dass du eine hässliche alte Jungfer bist, die an ihrer Tastatur sitzt und sich total mächtig fühlt, weil sie diese Scheißwebsite gemacht hat. Irgendwann wird jemand deine Identität enthüllen.

 

– WaitingForRevenge

»Willst du da stehen bleiben?« Joseph Preston schwamm ans Ufer.

Annie überlegte, ob sie sich einfach umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung weiterlaufen sollte. Es geschähe ihm nur recht. Aber sie war nun einmal nicht der Typ, der jemanden im Stich ließ, der in Not war … im Gegensatz zu ihm.

Sie packte Josephs ausgestreckten Arm und versuchte, ihm Halt zu geben. Er drohte ihr zu entgleiten und sie musste sich mit aller Kraft gegen die glitschigen Steine stemmen, die den See umrandeten. Mit ihrer zierlichen Figur konnte sie schlecht ein Gegengewicht zu Joseph bilden, der viel größer war als sie. Wenn ihr Eindruck sie nicht trog, hatte er zugelegt seit damals.

»Ein Dankeschön wäre nett«, sagte sie, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

»Du hast mich ins Wasser geschubst.«

»Geschubst nicht gerade.« Es war so typisch für ihn, ihr die Schuld zu geben.

»Wenn ich mich nicht irre, bist du trocken und ich nass und schlammbedeckt.« Er richtete sich auf. Um seine Füße herum bildete sich eine Pfütze.

An seinem linken Fuß befand sich ein teurer Slipper, das Gegenstück war nirgends zu sehen.

Nichtsdestotrotz schaffte er es, umwerfend gut auszusehen, selbst mit nur einem Schuh, ruiniertem Anzug und welken Blättern im Haar. Dass er einen Bart hatte, überraschte sie. Er ließ sein Gesicht ein wenig düster wirken. Düster und aufregend maskulin. Seine blauen Augen leuchteten und das weiße Hemd schmiegte sich an seine muskulöse Brust. Ja, er hatte zugelegt.

Annie wurde es ein wenig flau in der Magengegend.

»Darcy, schön dich zu sehen«, sagte Joseph trocken.

»Joe. Es ist lange her.« Darcy verengte die Lider. »Allerdings nicht lange genug, wenn du mich fragst.«

Joseph ignorierte den Seitenhieb, löste ein Blatt von seinem Ärmel und schnippte es weg. »Ich schätze, ihr wisst beide nicht, wo ich mich frisch machen und meinen Anzug trocknen könnte?«

»Keine Ahnung.« Annie verschränkte die Arme vor der Brust, plötzlich fühlte sie sich in ihren hautengen Leggings sehr nackt.

Er ließ den Blick an ihr auf- und abgleiten, als ob er ihren Anblick Zentimeter für Zentimeter in sich aufnehmen und für immer im Gedächtnis behalten beziehungsweise wieder ins Gedächtnis aufnehmen wollte. »Wirklich nicht?«

Annie konnte kaum weiteratmen, sie hatte das Gefühl gleich zu explodieren, weil ein wildes Durcheinander von Gefühlen in ihr um die Oberhand stritt. »Nein.«

»Kein Apartment in der Nähe, das man mir zur Verfügung stellen könnte?« Sein Blick durchbohrte sie förmlich.

»Mir fällt keines ein.« Sie schüttelte den Kopf.

»Wir müssen weiter.« Darcy zupfte an ihrem Ärmel. »Du schuldest ihm nichts.«

Joseph reagierte nicht auf Darcys Bemerkung, obwohl sie so laut geredet hatte, dass jeder in ihrer Nähe es hören konnte. Sie hatten bereits eine kleine Menschenmenge angezogen. Die Leute begannen zu murmeln, aber Annie konnte einfach den Blick nicht von Joseph losreißen. Er war hier … in New York … Joseph in Fleisch und Blut.

Und warum zum Teufel trug er an einem Samstagmorgen einen Anzug?

»Annie.« Es klang so kehlig, wenn er ihren Namen sagte. Er schaffte es, die beiden Silben zu dehnen, fast wie warnendes Donnergrollen vor einem Sturm. Drei Jahre. Drei verdammte Jahre und immer noch fühlte sie sich wie mitten ins Herz getroffen, wenn sie ihm begegnete. Das Schlimmste war, dass nicht der kleinste Teil von ihr jetzt von hier verschwinden wollte. Joseph hatte immer diese Wirkung auf sie gehabt. Eine Art Magnetismus, der ihn umgab wie eine Aura.

Sie drehte sich zu Darcy um und tat so, als würde ihr das Herz keineswegs bis zum Hals schlagen. »Schon gut. Geh ruhig. Ich komme damit klar.«

»Nein.« Darcy schüttelte den Kopf. Während Annie mit aller Kraft versuchte, ihre Gefühle für sich zu behalten, war Darcys Zorn offensichtlich. »Du musst ihm nicht helfen.«

»Du kannst bei mir duschen«, sagte Annie zu Joseph und nickte dazu. Sie legte die Hand auf Darcys Arm. »Es ist in Ordnung. Wir treffen uns später.«

Darcy sah aus, als wollte sie Feuer spucken, doch sie holte nur kurz Luft und nickte. Mit einem vernichtenden Blick in Josephs Richtung drehte sie sich um und ging mit geballten Fäusten in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ihre Reaktion war nicht überraschend. Sie hatte Annie nach dem Zerbrechen ihrer Beziehung, während der Krebstherapie ihrer Mutter und seitdem jeden Tag zur Seite gestanden. Josephs Name war für sie alle zum Schimpfwort geworden.

Das Verblüffende war, dass Annie nicht auf dem Absatz kehrtmachte und Darcy folgte. Vielleicht war es eine Art perverse Neugierde, die sie dazu trieb, Joseph eine warme Dusche anzubieten. Oder vielleicht wollte sie ihm einfach vorführen, dass sie ihr Leben sehr gut ohne ihn weiterlebte … obwohl das nicht wirklich stimmte.

Sie machten sich auf den Weg. Das angespannte Schweigen zwischen ihnen wurde nur durch das Platschen von Josephs durchnässter Kleidung unterbrochen. Er hatte den Schuh ausgezogen, der baumelte jetzt von seiner Hand.

Es gab so vieles, was sie ihn fragen wollte, zum Beispiel, was zum Teufel er hier an ihrer alten Lieblingsstelle zu suchen hatte?

Sie schluckte. Ihre alte »Lieblingsstelle«, das war der Bereich um den See herum. Irgendwie konnte sie nie joggen gehen, ohne am Seeufer entlangzulaufen und sich selbst mit Erinnerungen zu quälen, zum Beispiel an den Moment, als Joseph ihr zum ersten Mal seine Liebe gestanden hatte.

Da war so vieles, aber sie wagte nicht den Mund zu öffnen, aus Angst loszuheulen oder Joseph noch einmal ins Wasser zu schubsen.

Also sagte sie nichts, und er auch nicht.

Joseph schien noch genau zu wissen, wie man zu ihrem Apartment in einer Seitenstraße der Sixth Avenue gelangte. Würde es ihn schockieren, dass sämtliche Spuren seiner Anwesenheit aus der Wohnung getilgt waren? Würde es ihm überhaupt auffallen?

Joseph räusperte sich. »Ich habe mich gefragt, ob du vielleicht irgendwann ausziehst.«

»Weshalb sollte ich? Ich liebe diese Wohnung.« Annie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet, sie wagte nicht, ihn anzusehen. Ihre Gliedmaßen bewegten sich schwerfällig und unkoordiniert, so ähnlich wie beim Waten durch einen Sumpf.

»Ich habe sie auch geliebt.« Nicht der Hauch eines Gefühls war seiner Stimme anzumerken. Der gute alte prestonsche Stoizismus. Wie der Vater, so der Sohn.

»Du hast einmal alles Mögliche geliebt.«

Joseph war klug genug, um den Mund zu halten. Sie gingen jetzt durch den Eingangsbereich des Apartmenthauses. Der Sicherheitsmann hinter dem Tresen hob eine Braue, als er Joseph sah, machte jedoch keine Anstalten, sie aufzuhalten. Falls er sich an Joseph erinnerte, sagte er es nicht. Annie seufzte erleichtert. Fragen konnte sie jetzt nicht gebrauchen … besonders nicht solche, auf die sie keine Antwort wusste.

Eine Viertelstunde später saß Joseph auf der weichen grauen Couch, frisch geduscht und in ein Handtuch gehüllt. Er hielt eine Tasse Kaffee zwischen den Händen, blies in den aufsteigenden Dampf und blickte konzentriert auf Annie.

So hatte das eigentlich nicht ablaufen sollen. Das Klügste wäre gewesen, ihn sofort nach der Dusche hinauszuwerfen. Stattdessen hatte sie sich einen Kaffee gemacht und ganz automatisch auch einen für ihn.

Das Muskelgedächtnis … so ein Verräter.

Annie kauerte auf der Armlehne des Sofas und tippte mit der Schuhspitze einen lautlosen Rhythmus auf den Boden. Die Sonne strömte durch die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster und tauchte sie beide in goldenes Licht. Die ganze Szene war so vertraut, dass es Annie bis ins Innerste erschütterte. Wie viele Wochenendvormittage hatten sie genau hier gesessen, Kaffee getrunken und ihre gemeinsame Zukunft geplant? Wie viele Male hatten sie das Frühstück Frühstück sein lassen, um sich zu lieben. Auf der Couch, auf dem Boden … und dieses eine unglaubliche Mal auf dem Couchtisch?

Den hatte Annie zuallererst verkauft, als Joseph weg war.

Bei der Erinnerung daran, wie sie die Kartons durchsucht und entschieden hatte, was Joseph nach Singapur folgen und was hier bei ihr bleiben sollte, bekam sie ein brennendes Gefühl in der Brust.

»Musstest du mich unbedingt ins Wasser schubsen?« Joseph fuhr sich mit der Hand durchs Haar, wobei ein paar Tropfen auf seiner Schulter und seiner Brust landeten. Das Handtuch verhüllte seinen perfekten Körper nur unzureichend. Er war immer sehr schlank gewesen, aber jetzt drückten sich seine Schenkel unter dem Handtuch ab und die Bauchmuskeln waren stärker definiert. Seine Schultern wirkten breiter, genau wie die Umrisse seiner Oberarme und Waden.

Annie schluckte, ihr Mund war trocken geworden. »Ganz ehrlich? Ich habe es mir oft vorgestellt.« Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen, froh ihre Hände beschäftigen zu können. »Ich schätze, manchmal werden Träume wahr.«

»Was für ein Tag«, sagte er trocken. Was ärgerte ihn wohl mehr, dass er auf ihre Hilfe angewiesen war oder dass sie ihm einen Anzug von Zegna ruiniert hatte? Wahrscheinlich Letzteres, das wäre typisch.

»Wie oft muss ich sagen, dass es mir leidtut?« Ihr Blick glitt durch den Raum, überallhin, nur nicht zu Joseph. Die Wohnung sah sehr verändert aus, moderne, sachliche Grafiken waren eher femininen Kunstdrucken gewichen. Die trendige, minimalistische graue Farbgebung war mit pastellenen Farbtupfern aufgewertet worden.

»Nur einmal würde schon genügen«, erwiderte er gedehnt.

Annie hatte alle möglichen Szenen eines eventuellen Wiedersehens im Kopf durchgespielt; diese gehörte nicht dazu. Dass sie ihm eine Ohrfeige verpasste und erklärte, was für ein Idiot er war? O ja, das war vorstellbar gewesen. Dass sie ihren durch Lauftraining optimierten superfitten Body in ein unmöglich aufreizendes Outfit hüllte, um zuzusehen, wie Joseph die Kinnlade herabfiel? Absolut.

Dass sie ihn zu Boden beziehungsweise ins Wasser stieß und er sie anschließend dazu brachte, ihm Zugang zu ihrem früheren gemeinsamen Zuhause zu gewähren? Nein, zum Teufel.

»Wenn einer von uns sich entschuldigen muss, dann weiß ich, wer«, sagte sie. »Ich gebe dir einen Hinweis. Ich bin es nicht.«

»Na, du hast ganz schön Power, das muss man dir lassen. Wann hast du mit dem Laufen angefangen?«

»Als du weggingst.«

Dieser eine Satz würde jede Konversation abkürzen. Wozu darum herumreden? Dass sie sich wiederbegegnet waren, verdankten sie einem grausamen Scherz des Schicksals. Es änderte nichts, auch wenn Joseph versuchte, mehr oder weniger höflich Konversation zu machen. Annie hatte nicht einmal gewusst, dass er wieder im Land war. Woher auch? Er hatte weder angerufen noch eine SMS oder E-Mail geschickt … die ganzen drei Jahre lang nicht.

Joseph nippte an seinem Kaffee und hörte nicht auf, sie zu mustern. Sein wissbegieriger Blick analysierte jede Veränderung an ihr, jede Veränderung an ihrem alten Zuhause. Annies Zuhause.

Sie wollte nicht mit ihm reden, wollte ihn nicht so nah bei sich haben. Alte Sehnsüchte wurden wach, überdeckt von der Verbitterung, die von Minute zu Minute größere Ausmaße annahm. Sie musste das Schweigen brechen, bevor er es tat.

Sag ihm, er soll gehen. Schaff ihn raus!

»Wie war Singapur?«, fragte sie und verfluchte sich innerlich.

»Viel Arbeit.« Er stellte die Tasse ab. »Anstrengend.«

Einsam. Annie hörte es an seiner Stimme, eine winzige Veränderung in seinem Ton offenbarte mehr als seine Worte. Während ihrer Beziehung hatte sie gelernt, Stimmlagen zu erfassen. Wenn man mit Joseph zusammen war, musste man das Übersetzen von Körpersprache meisterhaft beherrschen. Sie war zu einer Expertin geworden, wenn es darum ging, seinen Ton zu interpretieren, zwischen den Zeilen zu lesen und jede Nuance zu erkennen.

Hatte er seine Entscheidung fortzugehen bereut? Hatte er sie vermisst? Annies Brust fühlte sich an wie eingeschnürt. »Warum bist du zurückgekommen?«

»Neue Möglichkeiten. HSBC hatte mir alles gegeben, was ich brauchte. Es war Zeit für etwas Neues.«

»Und wie läuft es mit deiner Karriere?« Es gelang ihr nicht so recht, unbeteiligt zu klingen. »Bist du schon auf dem Weg, die Welt zu beherrschen?«

Er straffte die ohnehin breiten Schultern. Annie zwang sich, nicht auf die Bewegung seiner Muskeln an Brust und Oberarmen zu starren, als er das Gewicht verlagerte. Eine falsche Bewegung und dieses Handtuch wäre nur noch ein schwaches Alibi.

»Hast du gesagt, du hättest etwas für mich zum Anziehen?« Er ging nicht auf ihre Frage ein.

Damit hatte sich wohl die Konversation erledigt. Manches änderte sich nie. »Nein, habe ich nicht.«

»Du erwartest, dass ich nackt rausgehe?«

Annie grinste. »Wieso nicht? Ich bin sicher, der weibliche Teil von Manhattan hätte nichts dagegen. Wir haben um die dreizehn Grad plus, Penisschrumpf dürfte wohl kein Problem sein.«

»Das war noch nie mein Problem, das weißt du.« Er kniff die Augen zusammen. »Und ich werde mich nicht an meinem ersten Wochenende in der Stadt wegen unsittlicher Entblößung einbuchten lassen.«

»Dann ist das wohl dein Problem.« Annie wartete darauf, dass Joseph den Kopf einziehen würde. Was er nicht tat. »Wie du von hier weggehst, bleibt dir überlassen, aber deine Optionen sind ziemlich begrenzt.«

»Und was genau sind meine Optionen?«

Sie lächelte. »Dein Anzug oder das Handtuch oder eine von meinen Trainings-Leggings.«

Josephs Blick fiel auf ihre Beine und Hüften, die durch den hautengen dunklen Stoff perfekt zur Geltung gebracht wurden. Selbst wenn er sich da hineinzwängen könnte – was höchst unwahrscheinlich war – ein Waschlappen wäre wohl besser geeignet, seine Männlichkeit zu verbergen. Aber Annie sah verdammt gut aus in diesen Dingern. Ihre Beine waren schlank und straff. Wohlgeformt.

Alles andere an ihr war so, wie er es in Erinnerung hatte – die Augen so dunkel wie Schokolade, umgeben von dichten Wimpern, die schmale Nase, die hohen Wangenknochen. Mit ihrem Lächeln konnte sie einen ganzen Raum erhellen … auch wenn er wohl kaum eine Chance hatte, das in nächster Zeit zu erleben.

»Es muss doch etwas geben, das ich anziehen kann«, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«

»Hast du keine weiten Sweathosen?«

»Ich fürchte, nein.« Die Situation schien ihr verdammt viel Spaß zu machen.

»Du hast also wirklich nichts anderes?« Sollte er sie fragen, ob nicht ein ehemaliger – oder ihr derzeitiger – Freund etwas liegen gelassen hatte, was er sich leihen könnte? Aber wollte er das überhaupt wissen?

»Wie wär’s mit einer Socke?« Sie legte den Kopf schief, ein spöttisches Lächeln spielte um ihre Lippen. »Oder mit einem Schal, geschickt verknotet?«

Offenbar war sie zu keinem Zugeständnis bereit. War das nicht die ultimative Fantasie jeder verlassenen Frau? Den Ex in einer peinlichen Situation erwischen und ihn gnadenlos darin köcheln lassen?

Da Josephs Anzug völlig durchnässt war, würde er wohl den Weg zu seinem eigenen Apartment im Handtuch bewältigen müssen. Als Verhandlungspartner musste man erkennen, wann es keinen Sinn mehr hatte, Forderungen zu stellen. Annie ließ keinen Zweifel daran, dass er auf diese Weise nicht bekommen würde, was er wollte.

Wenn sie glaubte, er würde aufgeben und jammern, hatte sie sich gründlich getäuscht. »Na schön.« Er stand auf und zog den Knoten an seiner Hüfte noch fester.

Annies Blick folgte seinen Händen. Etwas Dunkles, Verruchtes flackerte kurz in ihrem Blick auf. Joseph zwang sich, nicht darauf zu reagieren. Eine Erektion würde in diesem Moment alles noch schwieriger machen. Aber es war schwer, nicht daran zu denken, wie oft sie einander die Kleider vom Leib gezerrt hatten, genau an dieser Stelle. Annie war eine leidenschaftliche Frau und sie hatte oft die Initiative ergriffen, mit wilden, fordernden Küssen, die sein Blut zum Kochen brachten und eine unersättliche Gier nach ihrem Körper in ihm weckten. An heißem Verlangen hatte es nie gemangelt.

Joseph straffte die Schultern und durchquerte den Raum. Dabei ignorierte er sorgfältig die innere Stimme, die ihm gerade zuraunte, auf wie viele Arten er es vermasselt hatte. An der Wohnungstür blieb er stehen, Annies Namen auf den Lippen.

Es gab so vieles, was er ihr sagen wollte, aber über seine Gefühle zu sprechen, gehörte zu den Dingen, zu denen er am wenigsten begabt war. Und auf die er am wenigsten Lust hatte.

»Was ist mit deinem Anzug und deinen Schuhen? Deinem Schuh, meine ich.« Dass sie sich so belustigt anhörte, ärgerte ihn. O ja, sie genoss es richtig, hier die Oberhand zu haben. »Das wird alles total ruiniert, wenn du es jetzt in eine Plastiktüte stopfst.«

»Ich hole das später ab, nach meiner Verabredung.«

Er öffnete die Tür und ging auf den Flur hinaus. Niemand schien hier unterwegs zu sein. Joseph gelangte ohne gesehen zu werden bis zum Eingangsbereich. Aber hier verließ ihn das Glück. Der Pförtner hob eine Braue, als er sah, wie Joseph die Halle durchquerte und dabei mit einer Hand das Handtuch und mit der anderen seine durchnässte Brieftasche festhielt.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte der Mann hinter dem Tresen. Aber Joseph ging ohne ein Wort und barfuß, wie er war, hinaus auf die Straße und hob automatisch die Hand, um ein Taxi heranzuwinken.

Die kühle Luft verursachte ihm eine Gänsehaut. Allerdings war Unterkühlung seine geringste Sorge. Auch wenn New York als wirklich verrückte Stadt bekannt war, ein halbnackter Mann an der Sixth Avenue in Midtown würde mit ziemlicher Sicherheit Aufmerksamkeit erregen. Und Joseph hatte weniger Angst, dass ihm ein Cop begegnen könnte, als dass sich ein Foto von ihm auf Snapchat verbreiten könnte.

Das wäre definitiv nicht der beste Start als »jüngster Chief Information Officer einer amerikanischen Bank«.

»O mein Gott!« Eine Gruppe von Teenagern, die sich gegenseitig untergehakt hatten, ging kichernd an ihm vorbei. Eine von ihnen hielt ihr Handy hoch, das Funkeln der mit Glitzersteinchen besetzten Hülle hatte etwas Drohendes.

Zum Glück hielt gerade in dem Augenblick ein Taxi an und Joseph drehte das Gesicht weg und ließ sich auf die Rückbank sinken. Falls das Mädchen ein Foto gemacht hatte, würde wenigstens nicht sein Gesicht darauf zu sehen sein. »Sutton Place«, sagte er und gab der Fahrerin seine genaue Adresse.

Die Frau zwinkerte ihm im Rückspiegel zu. »Einen Mann im Handtuch hat man nicht jeden Tag als Fahrgast. Haben Sie eine passende Story dazu?«

»Meine Ex hat mich in den See geschubst.«

Ein heiseres Lachen folgte. »Na, so was!«

Josephs neues Zuhause war nicht allzu weit von seiner alten Wohnung − von Annies Zuhause – entfernt. Die Sonne schien durch die Scheiben und wärmte ihn. Er hielt immer noch krampfhaft das Handtuch über seinem Intimbereich fest. Nicht dass er etwa versehentlich die Fahrerin blendete …

Joseph war ganz schön wütend. Erstaunlicherweise jedoch nicht, weil er gezwungen war, in diesem Aufzug den Heimweg anzutreten. Er war wütend, weil er die Kontrolle über sein erstes Wiedersehen mit Annie verloren hatte. Er hatte natürlich vorgehabt, sich mit ihr zu treffen, aber unter seinen Bedingungen, und nicht in so einem … exponierten Zustand.

Im wörtlichen und im übertragenen Sinn.

Jetzt wusste sie, dass er in der Stadt war, und er war so verwirrt gewesen, dass er nicht einmal zu einem normalen Gespräch fähig gewesen war. Er war aufgetreten wie ein arroganter Idiot und hatte sich Annie aufgedrängt, weil er sich einfach nicht von ihr losreißen hatte können. Die Neugier hatte gesiegt, womit bewiesen war, dass Annie innerhalb von fünf Sekunden seine legendäre Selbstkontrolle erschütterte, so wie sie es immer getan hatte. Er hatte wissen wollen, wie es in ihrer Wohnung jetzt aussah. Hatte sie Dinge aufbewahrt, die sie gemeinsam angeschafft hatten? Gab es noch Spuren von ihm? Oder hatte sie sie durch Dinge ersetzt, die einem anderen gehörten?

Der Gedanke, dass ein anderer Mann mit Annie in ihrem alten Apartment wohnen könnte, brachte Josephs Blut zum Kochen. Er war sich darüber im Klaren, dass seine Eifersucht auf Annies neues, eigenes Leben ihn zu einem totalen Heuchler machte. Aber das änderte nichts daran, dass ein sehr hässliches Gefühl mit der Gewalt eines Hochgeschwindigkeitszugs von ihm Besitz ergriff. Nicht dass jemals jemand etwas davon mitbekommen würde. Das würde er zu verhindern wissen.

Allerdings hatte es nicht den Anschein gehabt, als ob mehr als eine Person das Apartment bewohnen würde. Es befanden sich keine Fotos von anderen Männern als ihrem Stiefvater oder Großvater im Wohnzimmer. Nichts an dem femininen Stil der Einrichtung wies auf den Einfluss eines männlichen Geschmacks hin. Alles war ganz und gar typisch Annie. Er hätte deswegen nicht erleichtert sein sollen … aber er war es.

Als das Taxi vor seinem Gebäude anhielt, gab er der Fahrerin die nassen Geldscheine, mehr als doppelt so viele wie nötig. Er konnte nur hoffen, dass die Magnetkarte für die Eingangstür noch funktionierte, denn dem Team vom Empfangstresen war sein Gesicht noch nicht bekannt. Er musste es mehrmals versuchen, aber schließlich verschaffte die Karte ihm Einlass. Sein Wohnungsschlüssel steckte im Münzfach seiner Brieftasche.

Auf nackten Füßen tappte er über die Fliesen des Eingangsbereichs. Der Sicherheitsmann hob den Kopf und betrachtete Joseph belustigt.

Unbeirrt ging er weiter. »Keine Fragen!«

Nachdem er den irritierten Blicken einer Frau im Aufzug erfolgreich ausgewichen war, trat er mit langen Schritten über den Flur zu seinem Apartment und schloss die Tür auf. Er warf seine Brieftasche auf die Küchenbank und runzelte die Stirn, als sie beim Landen ein klatschendes Geräusch machte. Höchstwahrscheinlich würde er nicht nur Anzug und Schuhe, sondern auch die Brieftasche ersetzen müssen. Und sein Handy? Verdammt, verdammt. Das lag jetzt auf dem Grund des Sees, denn er hatte es in der Hand gehalten, als er gestürzt war. Er würde sich die Nummer seines neuen Chefs besorgen müssen. Nicht gerade die beste Art, den Mann zu beeindrucken. Sie waren in weniger als einer Stunde in einem teuren Restaurant zum Mittagessen verabredet.

Joseph hätte eigentlich gar nicht in den Central Park gehen dürfen. Aber der Park hatte auf dem Weg gelegen und er war extra früh losgegangen, um frische Luft zu schnappen und einen klaren Kopf zu bekommen. Und als er dann den Weg zu ihrer Lieblingsstelle entdeckte …

Ihre Lieblingsstelle. Sie waren eines dieser unerträglich glücklichen Paare mit einer Lieblingsstelle im Park, einem Lieblingssong und einem Lieblingsimbiss gewesen. Annie hatte dafür gesorgt, dass ihre besonderen Augenblicke unvergesslich blieben, sie machte aus Dingen wie bestimmten Cocktails, bestimmten Mahlzeiten und bestimmten Orten besondere Erinnerungen, die sie dann in ihren Gedanken aufleben ließ.

Verdammt, so hatte er sich das Wiedersehen mit Annie nicht gewünscht.

Joseph ließ das Handtuch zu Boden gleiten und ging nackt zu seinem Arbeitsplatz. Das Fenster reichte vom Boden bis zur Decke, aber es ging auf den East River hinaus, sodass niemand ihn im Adamskostüm sehen konnte.

Im Moment hatte er wichtigere Sorgen, als über die Probleme zwischen ihm und Annie nachzudenken. Aber seine ruinierte Kleidung befand sich noch in ihrer Wohnung, er hatte also wenigstens einen Grund, sie noch einmal aufzusuchen, es sei denn, sie würde einfach beschließen, alles in den Müll zu werfen.

Joseph klappte seinen Laptop auf, fand die E-Mail mit der Verabredung und rief das Restaurant an, um zu sagen, dass er sich verspäten würde. Dann suchte er sich einen frischen Anzug, ein frisches weißes Hemd und eine blau-rote Krawatte aus. Die Farben der Firma. Vielleicht machte das die Verspätung gut. Ein geschäftliches Essen an einem Samstag! Nun ja, das gehörte jetzt zu seinem Leben.

Freie Zeit, das war ein Luxus, den es in seiner Branche nicht gab. Und er war jung – fast zu jung – für diesen Job, und das bedeutete, dass er sich ständig beweisen musste. Nicht viele weltweit operierende Banken hatten einen CIO, der erst dreißig war. Man würde ihn scharf beobachten.

Er wollte gerade die Wohnung verlassen, als das Festnetztelefon klingelte. »Hallo?«

»Joseph.« Der Befehlston seines Vaters dröhnte durch die Leitung.

»Dad, was für ein Vergnügen«, erwiderte er trocken. Nach diesem Vormittag hatte er wenig Lust, mit Morris Preston zu reden, und brachte nicht einmal die Kraft auf, so zu tun, als ob.

»Du könntest ein bisschen froher klingen, mein Sohn.« Das typische bedeutungsschwangere Schweigen seines Vaters dehnte sich in die Länge. Joseph wusste, er musste sich jetzt für einen Hieb wappnen. »Hattest du keinen guten Start nach deiner Rückkehr?«

»So könnte man es ausdrücken«, murmelte Joseph. »Außerdem habe ich einen Termin und bin spät dran.«

»Schon wieder spät dran.«

Josephs Wangen brannten. Nur sein Vater schaffte es, dass er sich innerhalb einer Minute fühlte wie ein ungezogenes Kind. Er widerstand zum Beweis, dass er seine Karriere im Griff hatte, der Versuchung aus seinem Lebenslauf zu rezitieren. Stattdessen holte er nur Luft und sagte: »Kein Problem.«

»Du verdankst es dieser sorglosen Einstellung, dass du so viele Probleme in Singapur hattest.«

»Ich hatte nicht viele Probleme in Singapur.« Nur eines. Ein großes.

»Aber du bestreitest nicht, dass deine Einstellung zu sorglos war?«

»Ich …«

»Die Frage war rhetorisch. Wenn du wieder mit Leuten aus dem Ausland schläfst, achte vielleicht besser darauf, dass du nicht die Tochter eines Vorstandsvorsitzenden erwischst.«

Joseph hätte am liebsten das Telefon an die Wand geschleudert. Sein »mit Leuten aus dem Ausland schlafen« hatte innerhalb der drei Jahre, die er dort gelebt hatte, aus einer einzigen Beziehung bestanden. Eine einzige Frau hatte er in seinem Bett gehabt. Und auch wenn er im Nachhinein zugeben musste, dass es nicht sehr klug gewesen war, konnte man ihn wohl kaum als Playboy oder Schürzenjäger bezeichnen. Aber so war sein Vater – kaum, dass Joseph wieder im Land war, brachte er dessen Sündenfall zur Sprache. Würde er Joseph jemals damit in Ruhe lassen? Wohl kaum.

»Hast du einen bestimmten Grund für deinen Anruf oder wolltest du mich nur daran erinnern, warum ich so froh war, weg zu sein?« Joseph konnte sich diese spitze Bemerkung nicht verkneifen, verfluchte sich jedoch selbst, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.

Es hatte keinen Sinn, sich mit Morris anzulegen. Er war stur wie ein Esel und jeder Versuch, ihn dabei zu übertrumpfen, würde nur alles schlimmer machen.

»Wie schade, dass der Aufenthalt in Singapur nicht deine Manieren verbessert hat. Ich hatte gehofft, dass diese Erfahrung wenigstens einen positiven Einfluss auf dich hätte, aber da habe ich mich wohl geirrt.« Morris räusperte sich. »Wie auch immer, ich rufe an, weil ich will, dass wir uns zum Essen treffen. Ich habe mir gedacht, dass es wohl zu lange dauert, wenn ich das dir überlasse.«

»Erstaunlich, dass du selbst anrufst und nicht deine Assistentin. Ich fühle mich geehrt.«

»Das habe ich nicht gehört. Komm am Sonntag ins Per Se. Ich sage Millie, dass sie uns einen Tisch reservieren soll.«

Joseph legte auf und stöhnte. Gerade zwei Tage war er wieder in Manhattan und schon entwickelte sich alles südwärts – er war völlig unvorbereitet mit Annie zusammengetroffen, hatte seinen Vater verärgert … was kam wohl als nächstes?

Joseph seufzte und ging zur Tür. Das war es wohl mit der Willkommensparty.

3. Kapitel