Baden (Pittsburgh Titans Team Teil 1) - Sawyer Bennett - E-Book
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Baden (Pittsburgh Titans Team Teil 1) E-Book

Sawyer Bennett

4,5

Beschreibung

Nach einer schrecklichen Verletzung, die seine Karriere zu beenden droht, muss Baden Oulett lernen, dass ein Neuanfang manchmal genau das ist, was der Arzt verordnet. Ich habe mein ganzes Leben lang auf ein einziges Ziel hingearbeitet: Profi-Eishockeyspieler zu sein. Als Mitglied des Arizona Vengeance-Teams lebte ich meinen Traum, bis die Entscheidung, eine Frau zu retten, in Sekundenbruchteilen alles zunichte gemacht hat. Anstatt meine Schlittschuhe zu schnüren und aufs Eis zu gehen, verbrachte ich meine Tage in der Reha und Physiotherapie, damit ich wieder laufen konnte. Als sich mir nach dem Leidensweg die Möglichkeit bietet, als Trainer bei den Pittsburgh Titans zu arbeiten, finde ich eine Karrierechance vor, die ich nie in Betracht gezogen hatte, die es mir aber ermöglicht, weiterhin Teil des Sports zu sein, den ich liebe. Während meine Verletzungen körperlicher Natur sind, kann man das von der Frau, der ich das Leben gerettet habe, nicht behaupten. Sophie Winters leidet an unsichtbaren Wunden, und hat sich aus Angst und Schuldgefühlen von der Welt zurückgezogen. Ich kannte Sophie vor jener schicksalhaften Nacht nicht, aber ich weigere mich, sie mit ihren Dämonen allein zu lassen. Entschlossen, Sophie ein Freund zu sein, unterstütze ich sie auf die einzige Art, die ich kenne: indem ich einfach da bin. Durch unser gemeinsames Trauma kommen wir uns immer näher, und was als Freundschaft begann, wird immer leidenschaftlicher. Aber kann eine Liebe, die aus Angst geboren wurde, Bestand haben? Teil 1 der Spinoff-Reihe der Erfolgsserie "Arizona Vengeance" von New York Times-Bestsellerautorin Sawyer Bennett.

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Sawyer Bennett

Pittsburgh Titans Teil 1: Baden

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Lisa Blume

© 2022 by Sawyer Bennett unter dem Originaltitel „Baden: A Pittsburgh Titans Novel“

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-614-0

ISBN eBook: 978-3-86495-615-7

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig. 

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Autorin

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich hoffe, dass Ihnen das Lesen dieses ersten Buches aus einer neuen und wunderbaren Eishockey-Romanzen-Serie viel Freude bereiten wird.

Wie Sie sicher wissen, ist dies nicht meine erste Eishockeyserie. Nach meiner ersten Serie, Carolina Cold Fury, folgte eine zweite über die Arizona Vengeance. Nun führt Baden uns an eine neue Eishockeyspielergeneration heran, die Pittsburgh Titans.

Diese Bücher werden ein klein wenig anders sein.

Es wird emotionaler und es wird ein größeres Augenmerk auf die Hintergrundgeschichte gelegt. Und, sofern es mir gelingt, werde ich Ihnen die eine oder andere Träne entlocken. #sorrynotsorry

Selbstverständlich gibt es wieder eine epische Liebesgeschichte, einige prickelnde Liebesszenen und einen atemberaubenden Helden.

Die Pittsburgh Titans sind am Ende, und aus dieser Mannschaft wieder ein Team zu machen, wird eine schmerzhafte und schweißtreibende Angelegenheit sein.

Es ist mir wichtig, auf die Notwendigkeit einiger kreativer Freiheiten in dieser Geschichte hinzuweisen. Wie Sie sicher wissen, handelt es sich bei meiner Liga um eine rein fiktive. Dennoch versuche ich, die Regeln und Gepflogenheiten der NHL nach bestem Wissen und Gewissen abzubilden. Um so authentisch wie möglich zu bleiben, greife ich auf die Erfahrungen eines ehemaligen professionellen Eishockeyspielers zurück. Dennoch sind die Umstände, die dazu führen, dass Baden in Pittsburgh landet, ziemlich dramatisch. So komme ich nicht umhin, die eine oder andere Regel ein wenig zu umgehen.

Sollten Sie ein Pittsburgher sein, werden Ihnen hier und da einige Anpassungen an das Stadtbild mit Sicherheit nicht entgehen. Pittsburgh ist in der westlichen Hemisphäre meine Lieblingsstadt, und ein Großteil meiner Familie stammt aus West Pennsylvania. Dennoch könnte es sich zutragen, dass ich aus dramaturgischen Gründen das Eishockeystadion (und, wie Ihnen nicht verborgen bleiben wird, ein paar andere Gebäude) umsiedeln muss. Ebenfalls verbergen sich in dieser Buchreihe einige „Ostereier“, die Ihnen als sportbegeisterter Pittsburgher sicher nicht verborgen bleiben werden. Viel Spaß beim Suchen.

Reden wir nun über das Gesetz. In diesem Buch werden auch strafrechtlich relevante Angelegenheiten von mir angesprochen. Als ehemalige Anwältin möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich mir ein ordentliches Stück künstlerischer Freiheit genehmige, um die Mühlen des Justizsystems schneller mahlen zu lassen. Denn die Mühlen der Justiz mahlen langsam – sehr, sehr langsam.

Zu guter Letzt: Badens Verletzungen. Als ich begonnen habe, über einen Spieler nachzudenken, der sich nach seinem verletzungsbedingten Karriereaus wieder zurück an die Spitze kämpft, diente mir zunächst Ryan Shazier als Vorbild.

Sollte Ihnen dieser Name nichts sagen, googeln Sie ihn. Er spielte für meine beiden Lieblingsteams, die Buckeyes und die Steelers. Er wurde damals durch einen Zusammenprall mit einem anderen Spieler teilweise gelähmt. Über die Jahre habe ich ihm dabei zugesehen, wie er sich zurück ins Leben gekämpft und gelernt hat, wieder zu gehen. Bei einer so schwerwiegenden Verletzung liegt die Chance, dass man sich wieder davon erholt, bei eins zu einer Million.

Ich weiß, dass es bei Baden genauso wäre. Auch hier nehme ich mir die Freiheit, seine Genesung und die Wiederherstellung seiner Mobilität zu beschleunigen. Das, wofür Baden einige Monate braucht, hat bei Ryan Jahre gedauert. Seien Sie sich also bitte im Klaren darüber, dass all das durch mich beschleunigt wird, um den Verlauf der Geschichte so kompakt wie möglich zu halten. Ich hoffe, dass es mir gelingt.

Aber nun lassen Sie mich Ihnen bitte vorstellen … die Pittsburgh Titans.

Prolog

Baden

Zwei Trauerfeiern gleich hintereinander.

Erst gestern habe ich die Trauerrede für meinen besten Freund Wes gehalten. Seine Eltern saßen in der ersten Reihe ihrer Kirche in Montreal. Es war dieselbe Kirche, in die ich als Kind mit meinen Eltern gegangen bin. Hier sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Wir waren von Anfang an dicke Freunde. Lange bevor wir uns darüber bewusst waren, dass wir beide Eishockey liebten oder gar gut darin sein würden. Auch wenn uns altersmäßig nur drei Monate getrennt haben, war er derjenige, an den ich mich wandte, wenn ich Rat suchte.

Für ihn war ich der Mann, bei dem er Rat suchte.

Und jetzt ist er nicht mehr da und es zerreißt mich innerlich.

Ich sitze im Eishockeystadion der Titans bei einer kollektiven Gedenkfeier für all die, die ihr Leben bei dem Flugzeugunglück verloren haben. Die Organisation hat eine Veranstaltung für die Öffentlichkeit gewollt, da die breite Masse der Fans vor Trauer und Schock wie gelähmt waren. Für die Fans, die Dauerkarten besaßen, gab es Sitzplätze. Alle übrigen sind ausgelost worden.

Im Stadion, in dem auch das städtische Profi-Basketballteam spielt, ist der Boden heute eisfrei. Auf der Spielfläche sind Stuhlreihen für Familienmitglieder und Freunde der Opfer aufgebaut worden. Man hat mir einen dieser Sitzplätze zugewiesen, weil ich die Hollyfield-Familie repräsentierte. Nachdem sie ihren Sohn erst gestern zu Grabe getragen hatten, brachten Wes’ Eltern es einfach nicht übers Herz, auch noch an dieser Trauerfeier teilzunehmen.

Ich wünschte, ich wäre nicht gekommen.

Bei jedem Redner, der das Podium betritt, fühlt es sich an, als triebe man ein Messer Stück für Stück immer tiefer in die Wunde. Niemand kann sich hinstellen und die Dinge so positiv darstellen, wie man es bei der Trauerfeier für eine einzelne Person tun könnte. In diesem Fall wäre es durchaus akzeptabel, zu sagen: „Er ist jetzt an einem besseren Ort“ oder „Die Zeit wird den Schmerz lindern“. Aber verdammt, wenn das Leben Dutzender Menschen einfach so ausgelöscht wurde, dann fühlt sich jede weitere traurige Ansprache wie Folter an.

 Zweiundvierzig Menschen sind bei dem Flugzeugunglück ums Leben gekommen, manche davon nicht sofort. Es war ein entsetzlicher Unfall. Das Flugzeug hat sich beim Aufprall erst überschlagen, ist dann auseinandergebrochen und in Flammen aufgegangen.

Wenn ein Flugzeug abstürzt, kann man davon ausgehen, dass man innerhalb von Millisekunden einen schmerzlosen Tod stirbt, sobald das Flugzeug mit der Kraft einer Bombe auf die Erde aufprallt. Dieses Flugzeug ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Einige der Passagiere mussten vor ihrem Tod sehr leiden. Alle kamen ums Leben: Zwei Piloten, drei Flugbegleiterinnen, fünf Trainer, zweiundzwanzig Spieler, sechs Spielerbetreuer, ein Geschäftsführer, ein Miteigentümer des Teams, ein Analyst und der Service-Direktor des Teams.

Noch bevor die Trauerfeier vorüber ist, entschließe ich mich, zu gehen. Mir ist nicht danach, herumzustehen und mit Menschen zu reden. Viele Spieler aus der Liga sind gekommen. Man hat bis übermorgen eine ligaübergreifende Spielpause ausgerufen, damit die Spieler Zeit haben, zu trauern.

Ich habe genug von Trauerfeiern und Kummer.

Ich will einfach nur zurück zu meinem Leben in Phoenix.

Für den Fall, dass ich früher gehen will, habe ich mir einen Sitzplatz in der hintersten Reihe gesucht. An mir vertrauten Orten, an denen ich mich sicher fühle, kann ich mich ohne Krücken bewegen. Dennoch habe ich sie jetzt dabei. Nicht nur, um besser durch das Stadion und all die Menschen manövrieren zu können, sondern auch, weil meine Beine nach dem Unglück vor lauter Schock und Trauer wieder schwächer geworden sind.

Leise entferne ich mich von den Trauergästen zu einem Ausgang, durch den ich zu einem Aufzug gelange, der mich ins Erdgeschoss bringt. Dort kann ich mir ein Uber bestellen. Auch wenn mein Rückflug erst in sechs Stunden ist, ziehe ich es vor, die Zeit in der Club Lounge des Flughafens zu verbringen. Ich habe mich blicken lassen und mit allen gemeinsam getrauert. Jetzt bin ich damit durch.

„Mr. Oulett“, spricht mich jemand an, noch bevor ich den Ausgang erreicht habe.

Ich bleibe stehen, werfe einen Blick über meine Schulter und sehe, dass ein Mann in einem dunklen Anzug auf mich zukommt. Ich drehe mich um und sehe ihn direkt an.

„Mr. Oulett“, wiederholt er mit gedämpfter Stimme, als er mich erreicht hat. „Wie ich sehe, wollen Sie gerade gehen. Ms. Norcross würde dennoch gern wissen, ob Sie kurz Zeit für sie hätten. Ich weiß, dass sie nach dem Ende der Zeremonie auf Sie zukommen wollte.“

Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf. Es gibt nur eine Ms. Norcross, die er meinen kann, und das ist Brienne Norcross, Miteigentümerin der Pittsburgh Titans. Sie war nicht auf dem Flug gewesen, aber ihr Bruder Adam – der Miteigentümer.

Ich hatte bisher keine Ahnung, dass sie überhaupt weiß, wer ich bin, noch weniger weiß ich, weshalb sie mit mir reden will. Es ist überall bekannt, dass ihr Bruder alles gemanagt hat, obwohl ihr das Titans-Eishockeyteam zur Hälfte gehört. Sie war eher ein stiller als ein aktiver Teilhaber. Aber wenn ich darüber nachdenke, hat sie jetzt wohl keine andere Wahl, als das Ruder zu übernehmen.

Andererseits, was zum Teufel gibt es da noch zu managen? Das gesamte Team ist tot.

„Ich bleibe nicht bis zum Ende“, sage ich zu ihm. Wahrscheinlich ist er einer von Ms. Norcross’ Assistenten.

„Selbstverständlich, Sir“, erwidert er, eine Verbeugung andeutend. „Ich kann Sie zur Loge der Besitzer begleiten, und wenn Sie möchten, können Sie dort warten. Ich vermute, dass die Feier in etwa fünfzehn Minuten vorbei sein wird.“

Ich möchte nichts lieber, als einfach nur weg von hier, aber es wäre mehr als unhöflich, sich zu weigern, mit der nun einzigen Besitzerin eines toten Teams zu sprechen. Besonders, wenn man explizit um ein Gespräch gebeten wird. Also nicke ich und folge dem Mann, der mich zur Loge der Teameigentümerin bringt.

***

Brienne Norcross ist eine wunderschöne Frau. Aber mehr, als dass sie nach dem Tod ihres Vaters vor zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder das Team geerbt hatte, weiß ich nicht über sie. Ich habe keine Ahnung, wie alt sie ist, ich schätze sie auf Anfang dreißig. Sie ist dem Anlass entsprechend schwarz gekleidet. Ihr aschblondes Haar trägt sie in einem Knoten straff im Nacken zusammengebunden, wodurch die Konturen ihres Gesichts betont werden. Ihre Augen sind tiefblau und von all den vergossenen Tränen rot umrandet. Die dunklen Ringe unter ihren Augen deuten darauf hin, dass sie kaum geschlafen hat.

Wer könnte es ihr verdenken?

„Mr. Oulett“, begrüßt sie mich, als sie die Eigentümerloge betritt, dicht gefolgt von demselben Assistenten, der mich hergebracht hat. Er bleibt in der Nähe der Tür stehen. „Ich bin Brienne Norcross.“

Sie hält mir ihre Hand hin und ich ergreife sie. Meine Krücken habe ich abgelegt, um mich mit dem Ellbogen auf einem der Stehtische abzustützen.

„Ms. Norcross, es tut mir leid, Sie unter diesen Umständen kennenzulernen.“

„Nennen Sie mich bitte Brienne“, sagt sie und fragt dann höflich: „Darf ich Sie Baden nennen?“

„Sehr gerne“, erwidere ich.

Wir lassen unsere Hände los, sie stellt sich mir gegenüber, legt ihre Unterarme auf dem Tisch ab und hält sich an der Tischkante fest während sie mich ansieht.

„Mein Beileid“, sage ich, um die Trauerbekundungen endlich hinter mich zu bringen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie nahe sie ihrem Bruder gestanden hat. Da sich ihre Augen mit Tränen füllen, gehe ich davon aus, dass sie sich sehr nahegestanden haben.

Sie nickt und lächelt kaum merklich. „Danke sehr. Ich habe es immer noch nicht ganz begriffen. Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie und Wes Hollyfield eng miteinander befreundet?“

Die Überraschung darüber, dass sie etwas derart Persönliches über mich weiß, steht mir offensichtlich buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

„Verzeihen Sie bitte“, entschuldigt sie sich mit sanfter Stimme. „Ich habe mich gestern mit Dominik Carlson über Sie unterhalten, und er hat gesagt, dass Sie und Wes befreundet waren. Daher wusste ich auch, dass ich Sie hier treffen würde.“

Jetzt bin ich wirklich verdammt verwirrt, und in Anbetracht der Ereignisse der vergangenen Woche bin ich nicht gerade erfreut darüber. „Sie haben mit Dominik über mich gesprochen? Warum?“

„Weil ich das Team wieder aufbauen muss. Und …“

Ich schnaube heftig. Ich bin mir durchaus der Unhöflichkeit meiner Geste bewusst, aber ich bin gerade nicht in der Stimmung für Entschuldigungen. „Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist, meine Beine funktionieren gerade nicht richtig. Mir ist klar, dass Sie ein neues Team aufstellen müssen, aber ganz sicher bin ich nicht die erste Wahl, wenn Sie nach einem Goalie suchen.“

Brienne errötet und entschuldigt sich. „Es tut mir leid. Ich bin nicht sehr gut darin, ein professionelles Eishockeyteam zu leiten. Selbstverständlich bin ich mir Ihres derzeitigen Gesundheitszustandes völlig bewusst, aber ich bin nicht auf der Suche nach einem neuen Goalie.“

„Und wonach suchen Sie dann?“, frage ich zögerlich.

„Nach einem neuen Goalie-Trainer.“ Sie fixiert mich mit ihrem Blick. Jeder Hauch von Entschuldigung ist verschwunden. „Da Dominik mir keine Auskunft über Ihren aktuellen Gesundheitszustand geben wollte, habe ich die Zusammenfassung eines Presseartikels über Ihre Verfassung gelesen. Ich weiß nicht, ob Sie jemals wieder spielen können, aber falls nicht, möchte ich Ihnen eine Alternative anbieten.“

„Eine Alternative?“

„Als Goalie-Trainer für unsere Mannschaft“, erklärt sie. Ich kann ihr ansehen, dass sie sich nicht sicher ist, ob ich ihr Angebot verstehe.

„Ich bin kein Trainer“, erwidere ich und leugne damit sofort meine Fähigkeiten.

„Sie sind aber auch kein Spieler“, antwortet sie ruhig.

Ich zucke innerlich zusammen. Zugegeben, das war heftig, aber auch die Wahrheit.

„Warum ich?“, frage ich. Ich muss wissen, ob sie mich für einen Wohltätigkeitsfall hält oder ob sie nur ins Blaue hinein fragt und sich in Wahrheit gar nicht für das Team interessiert.

„Nun ja, mein Bruder Adam hatte Sie ins Auge gefasst.“ Als sie seinen Namen ausspricht, versagt ihr kurz die Stimme. Sie sieht auf ihre Hände hinab, bis sie sich gefangen hat. Als sie wieder aufblickt, sind ihre Augen zwar mit Tränen gefüllt, aber auch voller Entschlossenheit. „Er wollte Sie kontaktieren, um zu fragen, ob Sie an einer Position als Goalie-Assistenz-Trainer interessiert wären. Unser aktueller Trainer – ich meine den, der sich im Flugzeug befand – wollte zum Ende dieser Saison in den Ruhestand gehen.“

„Oh.“ Ich blicke links an ihr vorbei, um zu sehen, was außerhalb der Eigentümerloge vor sich geht. Und obwohl wir zu weit vom Geländer entfernt stehen, als dass wir die gesamte Arena überblicken könnten, kann ich erkennen, dass sie sich bereits größtenteils geleert hat.

„Ich weiß, dass es erst einmal viel zu verarbeiten ist. Insbesondere, nachdem Sie Ihren Freund verloren haben. Es ist mein Ziel, das Team so schnell wie möglich wieder aufzubauen, und ich brauche deshalb schon bald eine Antwort. Ich habe hier ein schriftliches Angebot für Sie …“

„Wieder aufbauen?“, rufe ich aus und unterbreche damit ihre sehr auswendig gelernt klingende Ansprache. „Wie zur Hölle wollen Sie ein komplettes Team wieder aufbauen?“

Die Vorstellung, dass die Spieler so einfach zu ersetzen sind, lässt Wut in mir hochkochen.

Viel mehr noch der Gedanke daran, dass Wes so einfach zu ersetzen sein könnte.

„Größtenteils haben wir auf Spieler aus den Minors, den niedrigeren Ligen, zurückgegriffen“, sagt sie emotionslos. „Andere haben wir aus dem Ruhestand zurückgeholt.“

„Das Flugzeug ist erst vor einer Woche verunglückt“, sprudelt es aus mir heraus. „Wie wäre es, wenn Sie den Leuten ein bisschen Zeit gäben, um damit klarzukommen?“

Wütend funkelt sie mich an. „Mein Bruder ist bei dem Unglück ums Leben gekommen. Auch wenn ich Sie um den Luxus beneide, Ihre Trauer entsprechend ausleben zu können, so trauere ich nicht nur um meinen Bruder, sondern ich muss auch noch ein Unternehmen leiten. Ich trage die Verantwortung für Hunderte Menschen, die auf ihre Jobs angewiesen sind, und auch diese Firma hier muss ihre Rechnungen bezahlen. Entweder bringe ich eine Mannschaft aufs Eis oder das gesamte Unternehmen geht den Bach runter.“

Das hat gesessen. Schon der Hinweis auf den Verlust ihres Bruders hat mich hart getroffen, und ich kann mir nicht einmal ansatzweise den Druck vorstellen, unter den gegebenen Umständen auch noch ein professionelles Eishockeyteam leiten zu müssen. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich, wenn ich nicht gleichzeitig so verwirrt wäre, geschmeichelt fühlen sollte, dass sie schon lange vor dem Flugzeugabsturz an mir als Assistenztrainer interessiert waren.

„Entschuldigen Sie bitte“, sage ich, meinen Ausbruch aufrichtig bedauernd. „Es ist alles sehr viel gerade. Bis wann brauchen Sie eine Antwort?“

„Gestern.“ Sie lächelt freudlos und ausdruckslos. „Ich weiß, dass Sie über vieles nachzudenken haben …“

„Ich brauche ein paar Tage“, unterbreche ich sie. „Ich muss erst mit meinen Ärzten und Therapeuten sprechen. Und mit Dominik.“

„Sie wollen erst ausloten, wie Ihre Chancen stehen, wieder aktiv auf dem Spielfeld zu stehen“, murmelt sie wissend.

„Ich weiß bereits, dass es eine Chance gibt.“ Ich fühle mich nicht angegriffen, weiß ich doch selbst, dass die Chance bei eins zu einer Million liegt. „Ich brauche nur eine ehrliche Meinung dazu, wie realistisch das ist, und dann kann ich es gegen Ihren Vorschlag abwägen.“

„Das klingt fair.“ Sie deutet auf ihren Assistenten, der immer noch an der Tür wartet. „Wenn Sie so freundlich wären, Michael Ihre Kontaktinformationen inklusive Ihrer E-Mail-Adresse zu geben, werden wir Ihnen unser Angebot umgehend zukommen lassen, sodass Sie darüber nachdenken können.“

Somit wäre ich auch mit spannender Lektüre für den Flug versorgt.

Nicht, dass ich es ernsthaft in Erwägung ziehen würde. Der bloße Gedanke an mich in der Rolle eines Trainers ist lächerlich. Es wäre dumm, meinen Traum von der Rückkehr aufs Spielfeld aufzugeben. Auch wenn dieser Traum vermutlich genauso wahnwitzig ist wie dieses Angebot. Außerdem würde ich, falls ich mich entschließen sollte, das Angebot anzunehmen, all die Menschen verlassen müssen, die mich die ganze Zeit über unterstützt haben, sowie all meine durchaus fähigen Ärzte und Therapeuten.

Es wäre ein vollkommen neuer Lebensabschnitt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich bereit dafür bin. Aber natürlich war ich auch nicht darauf vorbereitet gewesen, meine Beine zu verlieren, und dennoch ist es geschehen. Ich habe sehr hart an meiner Genesung gearbeitet. Im Moment steht es noch in den Sternen, ob sich die ganze Mühe auszahlen wird und ob ich jemals wieder als Goalie auf dem Spielfeld stehen werde.

Auf der anderen Seite eröffnet Brienne mir mit ihrem Angebot die Möglichkeit eines Neustarts und einer Karriere. Eine, die mir so bisher nicht vorgeschwebt hat, die mir aber Sicherheit bieten würde und durch die ich weiterhin mit dem verbunden wäre, was ich mindestens genauso liebe wie mein Leben: das Eishockey.

Kapitel 1

Baden

„Mr. Carlson ist nun bereit, Sie zu empfangen“, sagt die Empfangsdame und ich blicke von meiner Sportzeitschrift auf.

Ich bin überrascht, denn ich warte erst seit zehn Minuten. Da ich keinen Termin vereinbart hatte, habe ich mit einer wesentlich längeren Wartezeit gerechnet. Jemand, der so wichtig und beschäftigt ist wie Dominik, unterbricht seine Arbeit nicht einfach, nur um einen Plausch zu halten. Als ich aber vorbeigekommen bin, um einen Termin für mich zu vereinbaren, war die Empfangsdame gern bereit, ihren Boss zu fragen. Obwohl er ein Multimilliardär ist, ist Dominik Carlson ein ziemlich entspannter Zeitgenosse. Ich war gern bereit, so lange zu warten, bis er ein paar Minuten Zeit für mich hat.

Ich muss mit ihm über das Angebot von Brienne Norcross sprechen.

Wie zugesagt, hat sie mir einen Arbeitsvertrag per E-Mail gesendet, und ich habe ihn auf meinem Rückflug nach Phoenix mehrfach durchgelesen. Genau diesen Vertrag halte ich in meiner Hand, als ich der Empfangsdame in Dominiks Büro folge.

Es ist luftig, mit breiter Fensterfront, durch die man die gesamte Innenstadt und im Hintergrund die Berge überblickt. Opulent ausgestattet mit Designermöbeln und Kunst, sieht Dominik Carlsons Büro exakt so aus, wie man es von einem Besitzer eines erfolgreichen Eishockeyteams erwarten würde. Er ist auch Eigentümer eines Profi-Basketballteams in Los Angeles und hat dafür gesorgt, dass das Team der Arizona Vengeance innerhalb von einer Spielsaison vom Expansion Team zum Cup-Gewinner aufgestiegen ist.

Dieser Mann hat also genügend Gründe, ein riesiges Ego zu haben, und dennoch ist er einer der bodenständigsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte.

Dominik erhebt sich von seinem Schreibtischstuhl und grinst mich schief an. Während ich mit ausgestreckter Hand auf ihn zugehe, schließt die Empfangsdame die Tür hinter mir. Über seinen Schreibtisch hinweg schütteln wir uns zur Begrüßung die Hände. Sein Grinsen wird noch breiter, als er wohlwollend scherzt: „Da sieh einer an, ganz ohne Krücken und Rumgewackele.“

Er hat recht, ich habe meine Krücken diesmal zu Hause gelassen. Auch in Pittsburgh hätte ich sie nicht gebraucht. Dort haben sie mir aber zur Stabilisierung meiner Seele, nicht meines Körpers gedient. Ich hatte befürchtet, die vielen Menschen dort könnten mich aus dem Gleichgewicht bringen. Aber ich habe keinerlei Probleme gehabt, mich bei den Trauerfeiern durch die Menschenansammlungen zu bewegen.

Ich habe heute sogar auf meinen behindertengerecht mit Handsteuerung ausgestatteten Van verzichtet. Der Van ist für mich Mittel zum Zweck, während ich daran arbeite, dass meine Beine wieder stärker werden und mir wieder gehorchen. Es fühlte sich gut an, heute Morgen endlich wieder in meinem Geländewagen zu sitzen und in die Innenstadt zu fahren. Von meinen Ärzten werde ich dafür später wohl eine Standpauke kassieren. Offiziell bin ich bisher noch nicht wieder als fahrtüchtig eingestuft worden, aber ich weiß, was ich kann und was nicht. Wenn ich es schaffe, drei Meilen auf einem Laufband zu laufen, liegt es auf der Hand, dass ich auch in der Lage bin, das Gas- und das Bremspedal in meinem Wagen mit Automatikschaltung zu bedienen.

„Setz dich“, fordert Dominik mich auf und nickt zu einem Besucherstuhl. Er tut es mir gleich und lässt sich auf seinem Stuhl nieder, lehnt sich zurück und schlägt seine Beine übereinander.

„Danke, dass du dir so kurzfristig Zeit für mich nimmst“, sage ich.

„Für meine Spieler nehme ich mir immer Zeit. Was kann ich für dich tun?“

Ich wedele mit dem mehrseitigen Dokument, dem Anstellungsvertrag der Titans. „Ich hatte nach der gestrigen Gedenkfeier ein interessantes Gespräch mit Brienne Norcross.“

Dominik nickt wissend. „Ich war nicht sicher, ob sie dir das Angebot tatsächlich unterbreiten wird, aber sie hat mich kontaktiert, um sich nach dir zu erkundigen.“

„Ja, sie hat erwähnt, dass sie mit dir gesprochen hat.“

Dominiks Gesichtsausdruck ist voller Mitgefühl. „Ja, sie wurde einfach so ohne Rettungsleine ins kalte Wasser geworfen. Sie weiß noch nicht so recht, was sie tun soll, also helfe ich ihr, wo ich nur kann.“

Das überrascht mich nicht. Brienne ist nun alleinige Eigentümerin der Pittsburgh Titans, einem Rivalen der Arizona Vengeance. Auch wenn die gesamte Liga den Verlust des Teams betrauert, bezweifle ich, dass ihr viele hilfreich zur Seite stehen werden. Nicht etwa, weil sie eigennützig wären oder es schlicht und ergreifend nicht wollten, sondern weil sie alle genug damit zu tun haben, ihre eigenen Unternehmen am Laufen zu halten.

„Sie wollen mich als ihren Goalie-Trainer“, sage ich immer noch in demselben ungläubigen Ton wie gestern.

Dominik sieht mich eindringlich an. „Und?“

„Ich bin kein Trainer.“

Dominik schaut mich weiterhin stoisch an.

„Ich bin ein Eishockeyspieler. Ich bin ein Goalie. Ich coache nicht.“

Dominik lehnt sich vor und faltet die Hände auf dem Tisch. „Ich verstehe, dass du darüber nachdenkst, ob du in der Lage bist, ein Team auf professionellem Niveau zu coachen. Normalerweise kommt es nicht vor, dass man einen Trainer ohne Erfahrungen einstellt. Also denke ich, dass es etwas zu bedeuten hat, wenn Brienne mit einem solchen Angebot an dich herantritt.“

Ich hasse es, das zu sagen und wie ein Arsch zu klingen, aber es muss gesagt werden. „Sie hat keinen blassen Schimmer von dem, was sie da tut. Seit sie und ihr Bruder das Team geerbt haben, hat sie sich doch vollkommen rausgehalten. Er hat alles gemacht. Wie kann ich mir da sicher sein, dass sie nicht den größten Fehler ihres Lebens begeht, wenn sie mir diese Position anbietet?“

Dominik zuckt mit den Schultern. „Du weißt doch gar nicht, ob es ein dummes Angebot ist. Du weißt nur, ob du die Eier hast, es zu versuchen. Aber das ist nicht der eigentliche Grund für deinen Besuch.“

Jetzt ist es so weit. Das Thema ist auf dem Tisch. Dominik zwingt mich dazu, mich mit der eigentlichen Frage auseinanderzusetzen, über die wir seit dem Tag meiner Verletzung vor sieben Monaten nicht mehr gesprochen haben: Ob ich je wieder professionell Eishockey spielen können werde.

Dominik ist weder Arzt noch Trainer, sondern Geschäftsmann. Ihm gehört das Team und er hat normalerweise nichts mit Spielerentscheidungen zu tun. Dennoch war er stets im Bilde über meine medizinische Behandlung. Ich habe meine Ärzte von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden und ihnen erlaubt, meinen Gesundheitszustand mit Dominik und den Mitgliedern des Trainerteams zu besprechen, für die diese Informationen von Bedeutung sind. Dominik weiß über jedes noch so kleine Detail Bescheid, das meine Ärzte und ich besprechen. Auch die Akten meines Orthopäden, meines Neurochirurgen und meiner Therapeuten liegen den Ärzten des Vengeance Teams vor, damit wir uns miteinander besprechen und sie Dominik auf dem Laufenden halten können.

Er weiß genauso gut wie ich, wie meine Chancen stehen, wieder in der Liga zu spielen. Ich möchte nur, dass er mir bestätigt, was ich bereits vermute. Ich muss es einfach von ihm hören.

So einfach macht er es mir aber nicht. „Es besteht die Chance, dass du wieder aufs Eis gehen kannst.“

„Keine besonders große“, brumme ich.

Mit Sicherheit kennt er die neueste Einschätzung. Ich kann inzwischen schmerzfrei laufen. Meistens kann ich die Balance halten. Krücken brauche ich nur, wenn ich das Gefühl habe, ich müsste mich stabilisieren. Aber wirklich brauchen tue ich sie nicht.

Ich trainiere mittlerweile meinen Unterkörper mit Squats, Gewichtheben und Beinpressen. Auch wenn ich im Vergleich zu früher mit wesentlich leichteren Gewichten trainiere, mache ich weiterhin Fortschritte. Ich habe sogar schon einige Kastensprünge zu meinem Trainingsplan hinzugefügt. Auf dem Laufband kann ich ebenfalls laufen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich die Handläufe als Vertrauenshilfe benutze.

Selbstverständlich habe ich keinerlei Ausdauer. Meine Beinmuskulatur ist verkümmert und muss erst wieder aufgebaut werden, um zum Rest von mir zu passen. Dennoch bin ich verdammt noch mal ein Wunder auf Beinen.

Und ich bin fleißig und ehrgeizig und werde alles in meiner Macht Stehende tun, um mein Potenzial voll auszuschöpfen. Die Frage ist nur … wie genau sieht mein maximales Potenzial aus?

„Natürlich auf lange Sicht gesehen“, sagt er mit gesenkter Stimme, „Aber für die nächste Saison sehe ich schwarz. Damit du wieder ganz der Alte wirst, steht dir noch ein gutes Jahr harter Reha bevor. Aber ich bin gewillt, dich in meinem Team zu behalten und es dich versuchen zu lassen, wenn du willst.“

Das hilft mir kein Stück weiter. Wenn überhaupt, lässt er den kleinen Hoffnungsschimmer meiner aktiven Rückkehr aufs Eis etwas heller aufleuchten. Ich würde weiter sehr hart trainieren müssen, noch härter, als ich es ohnehin schon tue. Endlose und zermürbende Stunden bei Therapeuten und im Fitnessstudio, um Muskeln erst aufzubauen und sie dann zu formen, damit sie wieder flexibel werden. Beweglichkeit ist für einen Goalie unabdingbar. Immer und immer wieder wiederhole ich ein und dieselben Übungen, um mein Muskelgedächtnis zu trainieren.

Und nachdem all das ausgestanden ist, werde ich mich gegen jüngere Goalies mit perfekten Körpern durchsetzen müssen, die ebenfalls nach dieser Position lechzen.

„Um das jetzt noch mal auf den Punkt zu bringen … Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass ich jemals wieder als aktiver Goalie für das Team spielen werde. Selbst wenn, wäre es irgendwann in ferner Zukunft. Ich weiß nicht, wie man ein Team trainiert, aber ich weiß eine ganze Menge darüber, wie es ist, ein Goalie zu sein. Seit ich zum ersten Mal auf Schlittschuhen gestanden habe, habe ich den Leuten, die mich trainiert haben, gut zugehört. Ich werde also vielleicht der schlechteste Goalie-Trainer der Liga sein, aber ich kann dazu beitragen, ein stark dezimiertes Team wieder aufzubauen.“

„Um darauf zu kommen, hättest du nicht extra herkommen müssen.“ Dominik lacht. „Du hast schon alles selbst auf die Reihe bekommen.“

Habe ich nicht. Nicht wirklich.

Mich zu entscheiden, fällt mir nicht leicht. Ich könnte den Trainerposten annehmen und somit der Möglichkeit, je wieder als aktiver Spieler auf dem Spielfeld zu stehen, den Rücken kehren. Es wäre das Ende meiner Spielerkarriere.

Ich könnte der Goalie-Trainer der Pittsburgh Titans werden, und die Chancen, dass ich dabei voll versage, sind hoch. Meine Ersatzkarriere könnte ein furchtbares Desaster werden.

Auf der anderen Seite könnte ich meinen Körper mit viel Blut, Schweiß, Tränen und Hingabe wieder so weit fit bekommen, dass ich versuchen könnte, meinen Posten in meinem Team wiederzubekommen. Ich könnte Monat um Monat daran arbeiten und immer noch nicht stark oder stabil genug sein. Bis dahin könnte die Gelegenheit, es als Trainer zu versuchen, verstrichen sein. Ich würde als ausgelaugter Eishockeyspieler in Frührente enden, mit einem Finanzpolster, das nur für wenige Jahre ausreicht. Ich würde das Programm der Liga durchlaufen müssen, um mir eine neue Karriere aufzubauen, und momentan habe ich keinen blassen Schimmer, welcher Posten mir überhaupt gefallen würde. Alles, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass es auf jeden Fall irgendetwas mit Eishockey zu tun haben soll.

Während ich Dominik direkt in die Augen sehe, verlange ich zu wissen: „Was soll ich tun?“

Er schaut mich kopfschüttelnd an. „Das kann ich dir nicht sagen. Das ist eine zu persönliche Entscheidung.“

„Na ja“, sage ich gedehnt, während ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr es mich ärgert, dass er mir nicht einfach sagt, was ich tun soll. „Was würdest du an meiner Stelle tun?“

„Ich bin nicht an deiner Stelle, Baden“, sagt er leise und voller Mitgefühl. „Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was du bisher körperlich und emotional durchgestanden hast. Nicht einmal in einer Million Jahren könnte ich das Pro und Kontra dieser Entscheidung abwägen. Nur du kannst die beiden Möglichkeiten gegeneinander aufwiegen, nach deinem Maßstab und anhand deiner Erfahrungen. Ich kann dir nur raten, auf dein Bauchgefühl zu hören.“

***

Ich würde gern behaupten, dass Dominik keine sonderlich große Hilfe war, aber in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Seine letzten Worte hallen nach … dass ich so viel durchgemacht habe, dass nur ich entscheiden kann, was das Beste für mich ist. Auch wenn mir die Wahl wirklich schwerfällt und jede der beiden Optionen ihre Tücken und möglichen Chancen birgt, tendiere ich doch in eine ganz bestimmte Richtung.

Und genau aus diesem Grund sitze ich nun mit Riggs beim Lunch im Sneaky Saguaro. Ich muss nur noch eine einzige Meinung hören, um mir ganz sicher zu sein, dass meine Tendenz die richtige ist.

Nach dem Austausch der üblichen Phrasen, die in Anbetracht der Tatsache, dass ich ihn über die Trauerfeier in Pittsburgh auf den neuesten Stand gebracht habe, nicht gerade erfreulich gewesen sind, erzähle ich ihm von meinem Jobangebot. Er hört sich an, was ich zu sagen habe, stellt hier und da eine Frage und wechselt schließlich das Thema.

Obwohl das ziemlich irritierend ist, da es ja immerhin um mein Leben geht, das vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten ist, spiele ich das Spiel mit.

So sitzen wir nun seit einer halben Stunde bei Chicken Wings und in Bierteig frittierten Zwiebelringen – zweifelsohne Junkfood, das ich niemals angerührt hätte, wenn ich im Training wäre – und reden über Veronica. Riggs ist im siebten Himmel und ich gönne es ihm. Nach all dem, was er durchgemacht hat, verdient er sein kleines Stück heile Welt.

Erst als wir unsere Teller von uns weggeschoben haben, nimmt er mich über den Tisch hinweg ins Visier und fragt: „Wann fragst du mich denn endlich, was du mit dem Angebot der Titans machen sollst?“

„Wann hörst du endlich mit diesem albernen Liebesgesäusel über Veronica auf?“, entgegne ich.

Riggs bellt ein Lachen heraus, sagt aber nichts weiter. Er ist bereit, sich meine Überlegungen zu der mir bevorstehenden Entscheidung anzuhören.

Halbherzig zucke ich mit den Achseln. „Ich habe Dominik gefragt. Er meinte nur, ich sei der Einzige, der diese Entscheidung fällen könne. Niemand außer mir könne das.“

„Schwachsinn“, sagt Riggs zu meiner Überraschung. „Frag mich und ich sage dir, was ich an deiner Stelle tun würde.“

„Ist das so?“ Damit habe ich nicht gerechnet. Niemand will mich in eine Richtung lenken, die ein böses Ende nehmen könnte. Zugegebenermaßen könnten beide schlecht enden. Aber meine Neugierde ist groß genug, um mir Riggs’ Meinung dazu anzuhören. „Okay, dann sag mir doch, was ich tun soll.“

„Nimm den Trainerjob an.“ Ohne jedwedes Zögern, ganz so, als hätte er sich monatelang über die Lösung des Problem Gedanken gemacht und jeden Blickwinkel genauestens analysiert. Das kann aber nicht sein, denn seit ich ihm von Briennes Angebot erzählt habe, hat er über nichts anderes als über Veronica geredet.

Mit leicht gerunzelten Augenbrauen schaue ich ihn an. „Und deine Entscheidung basiert auf was genau?“

Auch wenn es ihm nicht leichtfällt, bleibt er bei der traurigen Wahrheit. „Deine Chancen, ein guter Goalie-Trainer zu werden, stehen weitaus besser als die, dass du jemals wieder professionell spielen könntest, so wie du es gern möchtest. Auch wenn es bedeutet, dass deine Tage als aktiver Spieler gezählt sind, solltest du dich für den Weg entscheiden, der dir die größtmögliche Chance auf Erfolg bietet, und das bedeutet, deine Tage als Spieler hinter dir zu lassen.“

Gott, ich habe schon in diese Richtung tendiert, aber als ich es ihn laut sagen höre, tut es dennoch weh. Es macht es so real, wenn jemand anderes – jemand, dem ich sehr vertraue – tief im Innersten weiß, dass meine Rückkehr aufs Eis bestenfalls in sehr ferner Zukunft möglich sein wird.

Doch andererseits bestätigt es mein Bauchgefühl, das mich seit dem Gespräch mit Dominik nicht mehr losgelassen hat.

„Lass mich dir eine Frage stellen“, sagt Riggs. Die Arme auf dem Tisch überkreuzt, lehnt er sich weiter nach vorn. „Was würde Wes dir raten?“

Es trifft mich wie ein Stich ins Herz. Es ist gerade mal etwas mehr als eine Woche vergangen, seit er gestorben ist, und ich versuche immer noch, mit der Trauer über den Tod meines besten Freundes fertig zu werden.

„Er hatte mir nach dem Spiel in Columbus geschrieben.“ Das war nur wenige Stunden vor dem Flugzeugunglück. „Wir hatten geplant, hier in Phoenix gemeinsam etwas zu unternehmen, nach dem nächsten Spiel der Titans gegen unser Team in zwei Wochen.“

„Hattet ihr schon eine Idee?“, fragt er.

Achselzuckend erwidere ich: „Uns war es eigentlich egal, wo wir uns auf ein paar Bier treffen würden. Er hat aber gesagt, dass er mir etwas Wichtiges sagen wolle und dass er meinen Rat brauche.“

„Allmächtiger“, entfährt es Riggs, als ihm bewusst wird, dass ich nie erfahren habe, wobei Wes Hilfe gebraucht hätte.

Vielleicht ging es um den Wechsel in ein anderes Team, vielleicht war er verliebt oder vielleicht passierte auch gerade etwas Schreckliches in seinem Leben. Ich bin vollkommen ahnungslos. Ich weiß nur, dass wir von Angesicht zu Angesicht darüber reden wollten, wenn er nach Phoenix kommen würde.

Beim Gedanken an meinen Freund lächle ich voller Zuneigung. „Ich möchte gern glauben, er würde es genauso machen wie du gerade und mir ohne Umschweife sagen, was er denkt.“

„Du hast dich entschieden“, schlussfolgert Riggs.

Fest entschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen, nicke ich und hole mein Handy aus der Tasche. „Ich muss kurz telefonieren.“

In der E-Mail mit dem Jobangebot, die mir Brienne Norcross’ Assistent gesendet hat, hat er auch Briennes Handynummer hinterlassen, mit dem Vermerk, ich solle mich melden, sobald ich mich entschieden habe.

Während ich die Nummer eingebe, schaue ich Riggs in die Augen und warte auf das Freizeichen.

„Brienne Norcross“, meldet sie sich nach dem ersten Klingeln.

„Hi, Brienne, Baden Oulett hier.“

„Sagen Sie mir bitte, dass Sie mein Angebot annehmen“, begrüßt sie mich. Ihre Stimme klingt sehr erschöpft und auf positive Nachrichten hoffend.

„Ich nehme an.“ Ihr erleichtertes Aufatmen ist kaum zu überhören. „Wann brauchen Sie mich?“

„Gestern“, antwortet sie mit exakt dem gleichen Wort, das sie bei unserem ersten Aufeinandertreffen gebraucht hat. „Aber morgen wäre auch ganz hilfreich. Wir haben ein Treffen mit den Trainern geplant, und Ihr Vertrag war der letzte, auf den ich noch gewartet habe. Ich habe mich mit Callum Derringer, unserem neuen Manager, zusammengesetzt, und wir haben uns schon auf so gut wie alle Spieler festgelegt, die wir aus den Minor Leagues ins Team holen möchten. Wir haben auch ein paar Angebote gemacht, mit denen wir Spieler aus dem Ruhestand zurückholen möchten. Es gibt da aber noch die eine oder andere Entscheidung, die wir gern bei einem gemeinsamen Brainstorming näher beleuchten wollen.“

„Callum Derringer, sagen Sie?“ Er ist vor ein paar Jahren als General Manager der Ottawa Cougars gefeuert worden, weil das Team sich nicht „weiterentwickelt habe“. Um genau zu sein, war das Team grottenschlecht, das schlechteste der gesamten Liga. Wenn er nicht damit beschäftigt war, das Team zu trainieren oder bei Spielen zu sein, war es seine Aufgabe, neue Spielertalente zu rekrutieren.

Und nun wird er ein Team managen, das quasi das Äquivalent zum Liga-Loser ist. Für ihn kann es also nur noch besser werden.

„Ich bin davon überzeugt, dass Callum der Richtige für diese Aufgabe ist“, sagt Brienne diplomatisch.

„Ich freue mich darauf, mit ihm zu arbeiten“, antworte ich entsprechend höflich.

„Ich weiß, dass Sie noch viele Vorbereitungen für Ihren Umzug hierher treffen müssen. Mein Assistent Michael Taft, den sie bei der Trauerfeier schon kennengelernt haben, wird sich dann um Ihre vorübergehende Unterbringung kümmern und um einen Immobilienmakler für eine dauerhafte Lösung. Lassen Sie ihn einfach wissen, wie er Sie bei Ihrem Umzug unterstützen kann.“

„Okay … danke.“

Für einen kurzen Moment ist es still in der Leitung, bis Brienne schließlich sagt: „Ich bin wirklich froh darüber, Sie als Teil meines Unternehmens verpflichten zu können.“

Wir verabschieden uns und ich lege mein Telefon auf den Tisch. Ich schaue Riggs an. „Sieht ganz so aus, als würde ich morgen nach Pittsburgh umziehen.“

„Morgen?“, fragt er überrascht.

„Sie wollen das Team neu zusammenstellen und es so schnell wie möglich aufs Eis bringen.“

„Wow“, murmelt er, während ihm klar wird, was für eine gewaltige, scheinbar unlösbare Aufgabe mich erwartet. Sein Blick schweift kurz in die Ferne, bevor er mich wieder ansieht. „Weißt du, was wir jetzt brauchen?“

„Was?“

Seine Mundwinkel sind nach oben gezogen und er funkelt mich verschwörerisch an. „Eine Abschiedsparty. Heute Abend. Ich kümmere mich um die Vorbereitungen.“

„Nur der harte Kern, okay?“ Es wird mir das Herz brechen, mich von meinem Team verabschieden zu müssen. Emotionale Abschiede liegen mir nicht. Ich möchte es kurz und schmerzlos halten.

Riggs nickt. Er weiß, wen ich mit dem harten Kern meine. Nicht das gesamte Team, und ganz sicher nicht die Rookies. Nur die Jungs, mit denen ich mich am besten verstehe. Ich weiß, dass ich mich dahingehend auf ihn verlassen kann.

Kapitel 2

Sophie

Der aufkommende Verkehr vor dem Bürofenster meines Hauses weckt meine Neugierde. Ein Polizeiauto mit Blaulicht, aber ohne Sirenen fährt langsam vorbei. Dahinter fährt ein schwarzer Leichenwagen, gefolgt von einer schwarzen Limousine mit getönten Scheiben. Den drei Fahrzeugen folgt eine lange Schlange weiterer Fahrzeuge in Richtung des Friedhofs. Der Friedhof liegt drei Blocks von meinem Haus auf den Duquesne Heights entfernt. Alle Fahrzeuge fahren mit hell erleuchteten Scheinwerfern.

Gestern habe ich in der Zeitung gelesen, dass nach der Trauerfeier im Stadion der Titans in den nächsten Tagen weitere Beisetzungen stattfinden werden. Auch wenn ich nicht weiß, ob die Trauerprozession, die gerade an meinem Fenster vorbeizieht, für jemanden ist, der bei dem Flugzeugunglück ums Leben gekommen ist, muss ich sofort daran denken. Es gibt kein anderes Thema mehr.

Örtliche Fernsehnachrichten, Zeitungen und die sozialen Netzwerke überschlagen sich. Zunächst ist es nur um die Schreckensnachricht des Unglücks gegangen und um die vielen Menschen, die dabei ihr Leben gelassen haben. Inzwischen geht es darum, wie wohl die Zukunft der Titans aussehen wird.

Pittsburgh ist für vieles bekannt. Für seine lang vergangene Blütezeit in der Stahlproduktion, welche mittlerweile durch das Finanzwesen, die Tech-Branche und ein exzellentes Gesundheitswesen abgelöst wurde. Die geschäftigen Straßen der Innenstadt mit ihren gotischen Gebäuden werden von pittoresken Flüssen und sanft anmutenden Hügellandschaften umschlossen. Sie lenken den Blick von all dem Stahl und Beton ab und machen Pittsburgh zu einem wunderschönen und einmaligen Ort, an dem man gern leben möchte.

Doch ist Pittsburgh vor allem für eines bekannt – Sport. Die Stadt kann sich mit einem erfolgreichen Footballteam sowie mit einem sehr guten Baseball- und Eishockeyteam rühmen. Die Fans sind die besten, die sich ein Team nur wünschen kann – jedes Team wird unabhängig von Sieg oder Niederlage verehrt. In meinem Kleiderschrank hängen von jedem Team in Pittsburgh Shirts, Jacken und Trikots.

Der Verlust der Pittsburgh Titans stellt für die Stadt einen herben Schlag dar, und die Menschen sind am Boden zerstört, weil das Team einfach Teil ihrer Identität ist. Sie sehnen sich nach einem Hoffnungsschimmer, dass für unser Eishockeyteam doch noch nicht alles verloren ist.

Ich habe in den Morgennachrichten gesehen, dass Brienne Norcross, die Eigentümerin der Titans, versprochen hat, hart dafür zu arbeiten, das Team so schnell wie möglich wieder aufzubauen, damit unsere Saison weitergehen kann. Sie klang sehr diplomatisch, als sie sagte: „Wir fangen bei null an. Es könnte Jahre dauern, bis wir wieder zu alter Form auflaufen. Aber jeder einzelne Spieler, den wir bis dahin aufs Eis bringen können, wird den Geist jener talentierter und hartnäckiger Spieler in sich tragen, die wir auf so tragische Weise verloren haben.“

Es war ein Hinweis darauf, dass wir zumindest ein Team hätten, auch wenn es auf die Schnelle zusammengewürfelt und wahrscheinlich ziemlich schlecht sein würde. Ich bin schon ganz gespannt darauf, wie es letztendlich ausgehen wird.

Ich wende mich wieder meinen Laptop zu und lenke meine Aufmerksamkeit weg von dem Trauerzug, hin zur Überprüfung und Fertigstellung meines Reiseplans für den kommenden Monat. Es gehört zu meinem Job, zu koordinieren, welcher unserer Schulungsleiter wann wohin reist, und dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Reise als auch die Unterbringung entsprechend angenehm ausfallen.

Es ist eine stupide, langweilige und viel zu einfache Aufgabe für mich, aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Schließlich habe ich eine Hypothek und ein Auto abzubezahlen und noch einige andere offene Rechnungen, welche sich während des Erwachsenwerdens so ansammeln. Und da die Möglichkeiten, von zu Hause aus zu arbeiten, begrenzt sind, füge ich mich lächelnd und treu ergeben meinem Schicksal.

Gerade als ich meine Tabelle abspeichere und dabei bin, Excel zu schließen, heult mein Telefon mit einer Warnung des Bewegungsmelder-Alarms meiner Überwachungs-App auf. Ich hasse es, wie mein Herz vor Angst sofort mit voller Wucht loshämmert. Gemäß der Instruktionen meiner Therapeutin atme ich ein paarmal tief ein und aus. Ich entscheide mich dagegen, zu meinem Medizinschrank zu eilen und mir eine kleine Dosis Xanax einzuwerfen, die mir mein Arzt für den Fall, dass meine Angststörung wieder zuschlägt, verschrieben hat. Stattdessen stelle ich mich mutig der Herausforderung und sehe nach, was draußen vor meinem Haus vor sich geht.

Mir ein paar Klicks auf meinem iPhone öffne ich die Kamera meiner Sicherheits-App und rufe die Aufzeichnungen des Bewegungsmelders auf.

Als ich feststelle, dass es sich bei dem Eindringling lediglich um eine der Hinterhofkatzen handelt, die es sich auf einem Pfosten meines zwei Meter hohen Sicherheitszaunes gemütlich gemacht hat, löst sich meine Anspannung augenblicklich in Wohlgefallen auf. Mein Vorgarten und auch der Garten hinter meinem Haus sind vollständig mit Bewegungsmeldern ausgestattet. Die Gesamtfläche ist recht überschaubar, um genau zu sein, sind es zusammengenommen nicht einmal vierhundert Quadratmeter, und es gibt nicht einen Quadratzentimeter, den ich dank meines exzellenten Sicherheitspakets nicht einsehen kann. Nachdem ich im vergangenen Jahr in Phoenix überfallen worden war, habe ich es von Jameson Force Security installieren lassen, einer hier ansässigen Sicherheitsfirma. In den seither vergangenen Monaten habe ich mich hier halbwegs sicher gefühlt.

Auch wenn ich weiß, dass der Sensor sehr wahrscheinlich wieder anschlagen wird, sobald die Katze sich noch einmal bewegt, aktiviere ich ihn wieder. Ich beschließe, den Eindringling zu verscheuchen, damit ich nicht ständig von den Benachrichtigungen meiner App gestört werde, wenn er an meinem Zaun entlang streift und damit die anderen Sensoren auslöst. Das System zu deaktivieren, bis die Katze sich dazu entschließt, weiterzuziehen, stellt für mich keine Option dar. Ich könnte nie auf das System verzichten, das mich ein kleines Vermögen aus meinen Rücklagen gekostet hat.

 Während ich mich von meinem Schreibtischstuhl erhebe, greife ich nach meiner Tasse. Wenn ich schon einmal nach unten gehe, kann ich mir auch nachschenken.

Als ich aus dem zum Büro umfunktionierten Schlafzimmer hinausgehe und die Treppe hinunter, knarrt der Holzboden unter meinen Füßen. Auch die Treppenstufen knarren, und einige klingen sogar so, als würden sie meinem Gewicht nicht standhalten. Viele würde das stören, aber für mich gehört es zum Charme dieses kastenförmigen Prärie-Hauses aus den 1940er-Jahren, welches ich mir vor ein paar Jahren gekauft habe. Ich habe es in meiner Freizeit umgebaut, aber einiges habe ich aus Nostalgie erhalten. Der alte Holzboden mit den breiten Dielen hat es mir besonders angetan. Mein Vater und ich haben Raum für Raum das wunderbare Holz erst abgeschliffen, dann gebeizt und versiegelt. Nun sieht es aus wie neu.

Es ist vielleicht nicht das schönste Haus, und ich bin kein großer Fan dieser hellbraunen Ziegel und der braunen Verkleidung, aber es steht in einer schönen kleinen Wohngegend am äußeren Rand der Duquesne Heights. Es ist ein einfaches kastenförmiges Haus mit einem pyramidenförmigen Dach und Mansardenfenstern. Die Doppelgarage ist separat und über eine kleine Gasse hinter dem Haus zu erreichen. Wenn ich auf meiner vorderen Veranda stehe, mich ganz weit über das rechte Geländer beuge und meinen Hals ganz weit strecke, kann ich durch die dicht aneinandergebauten Häuserreihen entlang des Hügels sogar ein Stück der Skyline von Pittsburgh erkennen.

Meine Nachbarn sind freundlich, aber nicht aufdringlich, man ist schnell auf der I-376 und der Flughafen liegt nur zwanzig Autominuten entfernt. Angesichts meines Jobs als Vertreterin für medizinische Geräte und der vielen damit verbundenen Inlandsreisen ist die Nähe zum Flughafen wirklich von Vorteil.

Jetzt reise ich natürlich nicht mehr umher.

Seit ich im vergangenen Juli während einer dreitägigen Schulung in Phoenix überfallen worden bin, war ich einfach nicht mehr in der Lage, den sicheren Hafen meiner Heimatstadt zu verlassen. Also arbeite ich nun als Sekretärin für einen der Manager. Gnädigerweise hat er mir erlaubt, von zu Hause aus zu arbeiten, weil mich manchmal sogar leichte Panikattacken überkommen, wenn ich nur das Haus verlassen muss.

Na ja, vielleicht ist er nicht ganz so gnädig. Er hat schon sehr oft nachgefragt, wann ich denn meinen alten Job wieder aufnehmen könne, und so langsam gehen mir die Entschuldigungen aus. Mein ständiges „Ich habe Angst davor, zu reisen“ zieht bei ihm nicht mehr. Heute ist für sechzehn Uhr eine Zoom-Konferenz geplant, um meine Wiedereingliederung als Ausbilderin für die Ärzte zu besprechen, wie er sagt. Vielleicht sollte ich davor besser eine Xanax nehmen.

Es ist nie mein Traum gewesen, als Vertreterin und Ausbilderin für Medizinprodukte zu arbeiten. Dafür bin ich nicht aufs College gegangen. Vor vier Jahren habe ich die Penn State Universität mit einem Titel in Englischer Literatur abgeschlossen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was ich damit anfangen soll, weiß ich eines doch ganz genau: Ich liebe Literatur. Ich habe viel darüber nachgedacht, zu unterrichten, bin dann aber irgendwie in meinen jetzigen Job bei Reynis hineingestolpert. Reynis stellt Herzkatheter und das zugehörige Equipment her. Meine Mitbewohnerin und beste Freundin Francesca „Frankie“ Dillard hat damals angefangen, dort zu arbeiten, und mich bekniet, mich auch zu bewerben. Die Bezahlung war unglaublich gut, und die Möglichkeit, viel zu reisen, aufregend.

Es war keine gewöhnliche Vertreterstelle. Den Verkauf wickeln bereits die Manager über mir ab. Nachdem ich über mehrere Wochen intensiv angeleitet und geschult worden war, bis ich mich wirklich gut auskannte, wurde ich dann in die jeweiligen Krankenhäuser entsendet, um den Ärzten und Technikern beizubringen, wie man die Geräte bediente. Frankies Hauptaugenmerk war, neben den guten Verdienstmöglichkeiten, vor allem darauf gerichtet, sich einen heißen Mediziner zu angeln. Für mich hat es sich nach einem interessanten Job angehört.

Aber das ist damals gewesen, damals, als ich noch gern gereist bin und meinen Job motiviert und mit Begeisterung ausgeübt habe.

Jetzt ist es anders.

So, wie seit Phoenix alles anders ist.

Von drei Männern mit den bösesten Absichten angegriffen zu werden, hat mich mit Sicherheit schon schwer traumatisiert. Dann aber auch noch hilflos dabei zusehen zu müssen, wie mein Retter in der Not von diesen Kerlen aufs Übelste zusammengeschlagen wird, hat meine schlimmsten Albträume Realität werden lassen. Dieser Vorfall hat die Person, die ich bis dahin war, vollkommen zerstört. Nun erkämpfe ich mir Tag für Tag und Stück für Stück mein altes Ich zurück.

So sitze ich also hier, erstelle für einen Bruchteil meines vorherigen Gehaltes Tabellenkalkulationen und bin so gar nicht glücklich damit.

Ich bin aber auch noch nicht bereit für etwas anderes.

Man könnte also sagen, ich stecke fest.

Ich habe mich an die Annehmlichkeiten meiner eigenen vier Wände und an all die Bewegungsmelder, Überwachungskameras und die Notrufstandleitung gewöhnt, die sofort aktiviert wird, sobald ich einen der vielen in meinem Haus verteilten Panikknöpfe drücke. Ich gehe nicht mehr mit meinen Freunden aus, auch wenn Frankie es immer wieder versucht, und ich gehe an keine Orte, an denen ich mich nicht auskenne.

Ich habe mich nicht vollkommen abgeschottet. Ich fahre noch immer runter nach Mount Lebanon, um meine Eltern zu besuchen, wenn auch nur bei Tageslicht. Und da sie darauf besteht, fahre ich auch zu meiner Therapeutin, und gelegentlich besuche ich Frankie. Zugegeben, es gibt schlimme Tage, an denen mich die Angst schlichtweg übermannt. Dann kann ich mein Haus gar nicht verlassen und Dinge tun, die für mich eigentlich selbstverständlich sein sollten. So bin ich zum Beispiel dazu übergegangen, mir meine Einkäufe liefern zu lassen, statt selbst zu gehen. Ich belüge mich selbst, indem ich mir vorgaukle, dass mir diese Annehmlichkeit die Freiheit gibt, mich um wichtigere Dinge zu kümmern. Denn in Wahrheit bin ich viel zu traumatisiert, um einige meiner Ängste zu überwinden.

Manchmal fühle ich mich wie ein kleines Kind und wie ein kompletter Versager, weil ich mich immer noch nicht vollständig erholt habe. Es gibt Momente, in denen fühle ich mich mutig. Wenn ich zu meinen Eltern fahre, zum Beispiel. Doch wenn ich ankomme und sehe, dass mein Dad auf der Veranda auf mich wartet, damit ich mich auf dem kurzen Stück Weg vom Auto ins Haus sicher fühle, weiß ich wieder, dass ich alles andere als mutig bin. Er ist besorgt und überfürsorglich, und ich lasse es zu.

Frankie hingegen weigert sich, mir solche Zugeständnisse zu machen. Sie ist davon überzeugt, dass meine Ängste durch das Verhalten meines Dads nur noch befeuert werden – und vermutlich liegt sie damit gar nicht mal so falsch. Ich brauche es, dass Frankie mich herausfordert, und ich brauche es, von meinem Vater voller Rücksichtnahme behandelt zu werden.

Obwohl ich immer noch sehr eingeschränkt bin, geht es mir schon sehr viel besser als vorher. Im ersten Monat nach dem Überfall ist es mir unmöglich gewesen, überhaupt aus dem Haus zu gehen. Schon in der allerersten Woche habe ich die Firma Jameson damit beauftragt, mein Haus mit einem Sicherheitssystem auszustatten. Ich habe Frankie überredet, für die ersten beiden Wochen zu mir zu ziehen, und immer wenn sie das Haus verließ, litt ich unter schrecklichen Panikattacken. Aber ich bin weiß Gott nicht dumm. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass ich unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, weshalb ich auch in Therapie bin.