Basler Unbequeme Gedanken - Bassam Tibi - E-Book

Basler Unbequeme Gedanken E-Book

Bassam Tibi

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Beschreibung

Nicht wenige Fragen gibt es, über die ihre wahre Ansicht zu sagen fast alle mit Rücksicht auf die Folgen sich selbst verbieten. Rasch verselbständigt sich solche Rücksicht zu einer inneren Zensurinstanz, die schließlich nicht nur die Äußerung unbequemer Gedanken, sondern diese selbst verhindert. Theodor W. Adorno, Auf die Frage: Was ist deutsch? Spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015, so die Diagnose des syrischen Migranten Bassam Tibi, ist die Warnung seines Lehrers Adorno vor innerer Zensur in Deutschland beklagenswerte Wahrheit geworden. Vor nicht allzu langer Zeit war Bassam Tibi in deutschen Medien noch nahezu omnipräsent – von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Spiegel, Süddeutsche Zeitung und Welt bis hin zum ZDF, für das er von 1990 bis 2001 als Islam- und Nahostexperte arbeitete; nun wurde er mit seinen kritischen Analysen zur islamischen Welt und den gegenwärtigen Migrationsbewegungen zum Stammautor in Schweizer Zeitungen, nämlich der Basler sowie der Neuen Zürcher Zeitung, für die er gegenwärtig schreibt. Der vorliegende Band versammelt Tibis analytisch scharfe, ungeschminkte Analysen, die von Juli 2016 bis August 2018 in der Basler Zeitung erschienen sind, erstmals in ungekürzter Fassung. Die Beiträge sind, mit Einführungen versehen, thematisch gruppiert und werden flankiert von einer Einleitung sowie einem ausführlichen Interview mit Bassam Tibi. Tibi betrachtet länderübergreifend die Geschehnisse in der islamischen Welt: Die Wanderungsbewegungen nach Europa, den nach Europa zugewanderten Antisemitismus, die Entwicklung der islamischen Minderheiten, beispielsweise in Indien seit Abspaltung Pakistans, die Hintergründe des Iran-Deals von 2015 – und was aktuell in der Türkei und in Syrien passiert. Benedict Neff, politischer Deutschland-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, steuert ein sehr persönliches Geleitwort bei.

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Seitenzahl: 446

Veröffentlichungsjahr: 2018

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort von Benedict Neff

Vorrede Über unbequeme Gedanken in Deutschland unter der Vorherrschaft des links­grünen Narrativs und über »Das Gewerbe der Niedertracht« im Umgang mit Andersdenkenden

Statt einer Einleitung Das folgende Interview erschien in der Basler Zeitung am 7. Juli 2016 unter dem Titel: »Diese Männer denken: Deutsche Frauen sind Schlampen« – Bassam Tibi: Worüber er spricht, will in Deutschland niemand hören: Judenhass der Araber, Sexismus und deutscher Extremismus. Tabus im Zeitalter islamischer Massenzuwanderung nach Europa

Erster Teil Tabuisierte Themen (I) – eingeschränkte Redefreiheit in einer politischen Kultur von Unfreiheit, Diffamierung Andersdenkender und erzwungener Selbstzensur

Einführung zum ersten Teil

BaZ-Artikel 1 Es bleibt mir nur, in die Schweiz zu flüchten. Ich weigere mich zu schweigen. (BaZ vom 5. August 2016)

BaZ-Artikel 2 Die Tyrannei der Willkommenskultur: Über die Veröstlichung der Politik unter Angela Merkel und das Fehlen einer Debating Culture. (BaZ vom 26. August 2016)

BaZ-Artikel 3 Die verdeckte Islamisierung Europas. Saudis und Türken führen im Westen einen religiösen Eroberungskrieg – eines ihrer strategischen Zentren ist Genf. (BaZ vom 11. Oktober 2016)

BaZ-Artikel 4 Millionen Afrikaner sitzen auf ihren Koffern. Vor der libyschen Küste arbeitet Europa mit Menschenhändlern zusammen – über eine fatale humanitäre Politik. (BaZ vom 12. Dezember 2016)

BaZ-Artikel 5 Die Feinde Europas. Linksgrüne arbeiten mit Islamisten zusammen – über den Anschlag auf die europäische Identität. (BaZ vom 20. Februar 2017)

BaZ-Artikel 6 Europa braucht eine starke Identität. Der Kontinent kann sich nur behaupten, wenn er die Einwanderung begrenzt und Zugewanderte besser integriert. (BaZ vom 12. Mai 2017)

Zweiter Teil Tabuisierte Themen (II) – Islam, Völkerwanderungen nach Europa ohne Integration und die unterdrückte Debatte hierüber

Einführung zum zweiten Teil

BaZ-Artikel 7 Die große Völkerwanderung. Europa muss sich wandeln. Es braucht einen Diskurs ohne Tabus und neue Konzepte für Einwanderung und Integration. (BaZ vom 9. Januar 2017)

BaZ-Artikel 8 Es geht nicht um ein Stück Textil. Es geht um Politik, Macht und ein Spiel, in dem die Frau missbraucht wird. Marokko verbietet die Burka, Europa zaudert. (BaZ vom 26. Januar 2017)

BaZ-Artikel 9 Die Rückkehr des Judenhasses. Im Land des »Nie wieder!« kultivieren Muslime den Antisemitismus neu. Deutschland blendet das weitgehend aus. (BaZ vom 13. März 2017)

BaZ-Artikel 10 Die missbrauchte Leitkultur – eine Beschwerde. Deutsche Politiker streiten über einen Begriff, den sie nicht verstehen. Das Land bräuchte ihn aber dringend. (BaZ vom 29. Mai 2017)

BaZ-Artikel 11 Wann wacht Europa auf? Es gibt einen Zusammenhang von Zuwanderung und Sicherheit. (BaZ vom 22. Juni 2017)

BaZ-Artikel 12 Kein taugliches Modell für Europa. Die Sonderstellung der islamischen Minderheit in Indien. Ein warnendes Beispiel. (BaZ vom 14. Dezember 2017)

Dritter Teil Herkunftsländer der Flüchtlingskrise und Fehlinformationen am Beispiel Syriens

Dritter Teil Herkunftsländer der Flüchtlingskrise und Fehlinformationen am Beispiel Syriens

Einführung zum dritten Teil

BaZ-Artikel 13 Krieg ohne Hoffnung. Im Syrienkonflikt kämpfen Sunniten gegen Schiiten, um den IS geht es nur am Rande. Über einen unverstandenen Krieg. (BaZ vom 3. Oktober 2016) – leicht aktualisiert 2018

BaZ-Artikel 14 »In Syrien sind alle böse« (Carla del Ponte). Es gibt für diesen Krieg keine Lösung. Er wird noch lange dauern. (BaZ vom 24. August 2017)

Vierter Teil Berichtigungen über die Türkei: Die AKP ist nicht islamisch-konservativ, sondern fundamentalistisch-islamistisch; ihre Parteienherrschaft ist eine totalitäre Islamokratie, keine Ein-Mann-Erdogan-Diktatur. Entkemalisierung als De-Säkularisierung

Einführung zum vierten Teil

BaZ-Artikel 15 Die Türkei wird das neue Syrien. Erdogan beseitigt gerade die letzten Reste von Atatürks Erbe – der laizistische Staat ist nur noch brüchige Fassade. (BaZ vom 23. Juli 2016)

BaZ-Artikel 16 Erdogans fünfte Kolonne. Die Mehrzahl der Türken in Deutschland steht hinter Erdogan – dieser rüstet sich für Referendum und Kulturkampf. (BaZ vom 29. März 2017)

BaZ-Artikel 17 Die AKP-Herrschaft in der Türkei ist eine totalitäre Islamokratie. Präsident Erdogan hat keine Ein-Mann-Diktatur errichtet, sondern die Herrschaft einer islamistischen Partei. (BaZ vom 6. September 2017)

Fünfter Teil Die nahöstliche Welt des Islam vor Europas Toren: Der von Iran intensivierte islamische »Geo-Civil War«, der saudische Widerstand dagegen, Katar als Vorposten und Deutschland auf iranischer Front gegen die USA

Einführung zum fünften Teil

BaZ-Artikel 18 Die heimliche Macht. Wie der Iran mit uralten politischen Mitteln einen schiitischen Gürtel zwischen Mittelmeer und Afghanistan errichtet. (BaZ vom 5. Oktober 2017)

BaZ-Artikel 19 Machtkampf am Golf. Katar ist größenwahnsinnig, Saudi-Arabien greift ein, und der Iran mischt mit. (BaZ vom 3. Juli 2017)

BaZ-Artikel 20 Weltpolitik in der Wüste. Das kleine Katar gibt nicht nach. Der Konflikt auf der arabischen Halbinsel wird immer gefährlicher. (BaZ vom 24. Juli 2017)

BaZ-Artikel 21 Die geöffnete Büchse der Pandora. Saudi-Arabien wird bedroht und es strampelt, während der Iran auf dem Vormarsch ist. (BaZ vom 30. November 2017)

BaZ-Artikel 22 Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode. Weshalb sich europäische Politiker von Amerika ab- und dem Iran zuwenden. (BaZ vom 2. Juli 2018)

Sechster Teil Hat Europa eine starke Identität sowie eine Policy für die Integration zugewanderter Muslime, oder wird es in der Zukunft Eurabia?

Einführung zum sechsten Teil

BaZ-Artikel 23 Wenn Europa so weitermacht, wird es zu Eurabia. Der muslimische Anteil an der europäischen Bevölkerung steigt unaufhaltsam, ohne dass eine Integration stattfindet. (BaZ vom 5. April 2018)

BaZ-Artikel 24 Rückkehr der Religion in die Politik; die Europäer verschlafen die sich zuspitzende Problematik. (BaZ vom 30. Januar 2018)

BaZ-Artikel 25 Was der Westen wissen müsste. Die islamistische Herausforderung an den säkularen Staat. (BaZ vom 9. März 2018)

BaZ-Artikel 26 Europa am Scheideweg. Die Konzepte, die sich unversöhnlich gegenüberstehen, sind Minderheiten-Kollektiv oder Citoyen-Individuen. (BaZ vom 23. April 2018)

Siebenter und abschliessender Teil Die Demografie, die Völkerwanderungen und die Frage »Gehört der Islam zu Deutschland« bzw. gehört Europa zu Dar al-Islam? Und wie steht es mit Afrika?

Einführung zum siebenten Teil

BaZ-Artikel 27 Tugendwächter und Gesinnungsdiktatoren. Anmerkungen zu Angela Merkels Credo »Der Islam gehört zu Deutschland«. (BaZ vom 28. Mai 2018)

BaZ-Artikel 28 Gehört Afrika zu Europa? Über den Zusammenhang von Demografie und Migration – und den Unterschied von Einwanderung und Zuwanderung. (BaZ vom 19. Juni 2018)

Statt eines Nachworts Unbequeme Gedanken über das deutsch-romantische »Unbehagen an der Normalität« (Rüdiger Safranski): Der deutsche Mord an den Juden und seine Aufarbeitung in der Vergangenheit und heute. Die verlogene Sühne und die Entledigung von Schuld durch Duldung von zugewandertem »Neuen Antisemitismus«.

BaZ-Artikel 29 Der neue Antisemitismus: Linksgrüne Antiamerikanisten und rechte Islamisten verbinden sich in Deutschland zu einem üblen Bündnis. (BaZ vom 27. August 2018)

Impressum

Geleitwort von Benedict Neff

Ich muss gestehen, dass ich Bassam Tibi lange nicht gekannt habe. Erst im Mai 2016 bin ich auf einen kurzen Artikel von ihm in der Bild-Zeitung gestoßen. Ich war damals Deutschland-Korrespondent der Basler Zeitung in Berlin, und die Flüchtlingskrise war das alles dominierende Thema. Die Überschrift von Tibis Artikel lautete: »Ich habe Mitleid mit den Deutschen«. Der Text wurde in einer Zeit publiziert, in der die Willkommenskultur immer noch fühlbar war, gleichzeitig hatten die massenhaften sexuellen Übergriffe durch junge männliche Migranten in der Kölner Silvesternacht das Land erschüttert. Tibi machte eine Kaskade provokativer Aussagen. Deutsche würden ständig zwischen den Extremen pendeln: Fremdenfeindlichkeit oder Fremdeneuphorie, ein Mittelmaß gebe es nicht. Mit Sorge beobachte er, dass viele Syrer die deutsche Kultur nicht respektieren. Schuld an diesem Verhalten seien auch die Deutschen, die sich nicht trauten, Asylsuchende zurechtzuweisen – aus Angst, als Rassisten zu gelten. Deshalb auch Tibis Mitleid mit den Deutschen.

Es war, wie gesagt, nur ein kurzer Artikel, der in einer Serie zum Thema »Was ist deutsch?« erschienen ist. Er fiel damals aber komplett aus dem Rahmen dessen, was man in den etablierten deutschen Medien so lesen konnte. Am erstaunlichsten für mich war jedoch, dass der Autor in Damaskus geboren und aufgewachsen war, später in Deutschland studiert und eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere hingelegt hatte: Er lehrte in Göttingen, Harvard, Yale, Berkeley und auch in St. Gallen. In seinem wissenschaftlichen Leben befasste er sich ausgiebig mit dem Islam, er entwickelte das Konzept des Euro-Islam und der Leitkultur. Das hatte ich mir allmählich ergoogelt, und meine Verwunderung wurde nur noch größer. In Deutschland drehte sich alles um die Flüchtlingspolitik, und Tibi hätte mit seiner Biographie und seinem wissenschaftlichen Fokus eigentlich der Mann der Stunde sein müssen; ein Erklärer, ein Vermittler zwischen den Welten. Es schien absurd, dass er in den Medien nahezu abwesend war. Seine Debatte, sein Lebensthema wurde verhandelt. Aber ohne ihn.

So kam die Idee für ein großes Interview, und dieses Gespräch war die Grundlage für alle Artikel, die Tibi später in der Basler Zeitung publizierte und die nun in diesem Buch gebündelt erscheinen. Wir trafen uns damals im Bahnhofsrestaurant in Göttingen, Tibis Heimatstadt, und redeten über Stunden. Das Interview trug die Überschrift: »Diese Männer denken, deutsche Frauen sind Schlampen«. Im Bild zu sehen waren arabische Jugendliche, die vor dem Kölner Dom standen – es war das Bild, das zu den Berichten über die massenhaften sexuellen Übergriffe in Köln vom Silvester 2015/16 immer wieder erschienen war. Der Titel mochte etwas reißerisch sein, aber er war so unverblümt und schonungslos, wie Tibi die Dinge zu analysieren pflegt. Bei aller Integration in Deutschland hat er sich den akademischen Stil des Landes glücklicherweise nicht angeeignet. Das Interview wurde die meistgeklickte Geschichte der Basler Zeitung im Jahr 2016. Es war, um es vorsichtig auszudrücken, voller unbequemer Gedanken: Es ging um den arabischen Antisemitismus, den Sexismus in der arabischen Kultur und den deutschen Extremismus.

Erst allmählich wurde mir klar, dass Tibi nicht nur wegen seiner Biographie und seiner Kenntnisse ein interessanter Ansprechpartner ist, wenn es um Fragen des Islams und der Integration geht. Es gibt noch einen anderen, mindestens ebenso wichtigen Grund: Tibi ist ein freier, rücksichtsloser Denker; ein Einzelkämpfer ohne Lobby, der bereit ist, sich mit allen anzulegen. Er wurde in seinem Leben viele Male geehrt, auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse hat er 1995 erhalten, »für ein besseres Verständnis des Islam in Deutschland und für seine Vermittlung zwischen den Zivilisationen«. Letztlich ist und bleibt er aber ein Außenseiter, der nie zum Establishment gehört hat; ein Ausländer, der in Deutschland angekommen ist und auch nicht; ein deutscher Staatsbürger, aber kein Deutscher, wie er selber sagt. Diese durchaus nicht einfache Existenzform gibt Tibi eine Unabhängigkeit, die seine Urteile umso interessanter macht.

Tibis Analysen und Thesen werden gerne instrumentalisiert; gerade Rechte scheinen oft nur seine Kritik an der muslimischen Kultur und des Islams wahrzunehmen und die an der deutschen Politik und Gesellschaft großzügig zu überhören. Eine solche Lesart wird Tibi aber nicht gerecht. Ein Fazit unseres Gesprächs war damals: Schlecht integrierbare Menschen treffen auf eine Gesellschaft, die nicht fähig ist, Menschen zu integrieren. Nicht nur der Islam und die arabische Kultur stehen einer Integration im Wege, sondern auch die deutsche Kultur, die kein Identitätsangebot hat. Tibi ist zwar stets der Ankläger der Deutschen und der Migranten, aber er ist immer auch ihr Anwalt. Bei all seiner Kritik bangt er um den Westen und die freie Gesellschaft.

Das Interview in der Basler Zeitung war eines jener Phänomene, die mit dazu beigetragen haben, dass sich in Teilen des deutschen Publikums der Begriff »Westpresse« etablierte. Damit ist gemeint, dass Schweizer Medien in der Flüchtlingskrise eine Funktion einnahmen, die mit dem Westfernsehen zu Zeiten der DDR vergleichbar ist. Dieser Ausdruck war immer schon eine unhaltbare und letztlich groteske Übertreibung. Im innersten Kern brachte er aber etwas zum Ausdruck, das auch ich als Schweizer Korrespondent in Deutschland beobachten konnte: In der Schweiz wurde über alle Aspekte der Flüchtlingskrise in Deutschland anders und freier geschrieben. Bei vielen deutschen Medien befiel mich das Gefühl, dass Journalisten versuchten, den Kurs der Regierung abzustützen: Nur nicht die Willkommenskultur gefährden, nur nicht spalterisch wirken! Probleme der Zuwanderung wurden eher nicht angesprochen, aus Angst, ihre klare Benennung könnte das Publikum gegen die Asylsuchenden aufhetzen. Diese Vorsicht lässt sich mit der deutschen Geschichte erklären, aber sie war einer kritischen Auseinandersetzung mit der Migration hinderlich. Die Tendenz zu einer pädagogischen Berichterstattung, wie sie 2015 und 2016 erkennbar war, hat sich dann bei den meisten Medien allmählich abgeschliffen.

Bassam Tibi war in jener Zeit eine unbequeme Stimme, die man, trotz oder vielleicht wegen all seiner Kenntnisse, anfangs lieber nicht hören wollte. Deutschland war in der Fremdeneuphorie. Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte: »Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf.« In dieser Phase konnte man einen Professor syrischer Herkunft nicht gebrauchen, der in die Szene platzt und sagt: »Leute, wir haben ein Problem!« Auf den virulenten arabischen Antisemitismus und die Integrationsprobleme von Muslimen hat Tibi schon hingewiesen, als viele noch glaubten, Deutschland stehe unmittelbar vor einem großen wirtschaftlichen Aufbruch angesichts neuer Arbeitskräfte, die zu Hunderttausenden ins Land kamen. Tibi ließ diese Kreise als unheimlich naiv erscheinen. Gleichzeitig konnten Tibis Kritiker seine Meinung nicht einfach wegwischen: Er kommt ja aus Damaskus, er kennt den Orient. In vielen arabischen Ländern hat er gelebt und unterrichtet.

Die Zusammenarbeit mit Bassam Tibi war intensiv: Viele Gespräche, Telefonate, E-Mails. Tibi ist ein fordernder Autor. Wenn seine Artikel nicht bald erscheinen, hakt er nach, fragt, was los sei. Es konnte auch vorkommen, dass ich bei ihm 12.000 Zeichen bestellt und das Dreifache erhalten habe. Tibis Erklärung: »Ich bin ein Künstler, ich kann mich nicht beschränken.« Beim Redigieren und Kürzen ließ er einem wiederum freie Hand, auch Interviews pflegt er nicht einmal gegenzulesen. Ein solches Vertrauen und eine solche gelebte Liberalität ist im eitlen Geschäft der Medien keineswegs üblich. Dass Tibi nun in seinem Buch aber auf die Publikation der ungekürzten Artikel bestanden hat, versteht sich von selbst.

Je mehr ich über den Titel dieses Buches nachgedacht habe, desto passender schien er mir: »Basler unbequeme Gedanken«. Zum einen ist Tibi ein unbequemer Denker, der es dem Publikum nicht einfach recht machen will. Auch ich teile nicht alle seine Thesen und Meinungen. Aber darum ging es in der Zusammenarbeit auch nicht. Mir war schnell klar, dass Tibi eine interessante Stimme ist, dass seine Artikel bedenkenswert sind und seine Stimme gehört werden muss, gerade in diesen Jahren, in denen die Themen Migration und Islam die Medien zuweilen fast beherrschen. Zum anderen passt der Titel, weil die Basler Zeitung ein Medium ist, das stets bereit ist, solche unbequemen Stimmen auch zu publizieren. Genaue Leserzahlen habe ich nicht, aber vermutlich war kein Gastautor bei der Basler Zeitung erfolgreicher als Bassam Tibi.

Mit der Publikation dieses Buches schließt sich ein Kreis. Die Asyl-Debatte in Deutschland hat sich verändert, sie orientiert sich heute mehr an Realitäten als an Wünschen und Hoffnungen. Dazu beigetragen hat auch Bassam Tibi. Die Basler Zeitung, die unter Chefredaktor und Verleger Markus Somm Tibis Artikel publizierte, wird per Ende 2018 verkauft.

Bassam Tibi und ich treffen uns gelegentlich im Hotel Intercontinental in Berlin zum Frühstück, und dann wird die ganze Welt verhandelt. Was also bleibt? Bassam Tibis unerschöpfliches Reservoir unbequemer Gedanken. Sein Spezialthema, der Islam und die Integration, werden Deutschland noch auf Jahrzehnte beschäftigen. Bassam Tibi ist in dieser Diskussion eine wichtige Stimme.

 

Berlin, 13. Juli 2018

Benedict Neff

 

VorredeÜber unbequeme Gedanken in Deutschland unter der Vorherrschaft des links­grünen Narrativs und über »Das Gewerbe der Niedertracht« im Umgang mit Andersdenkenden

Der Begriff »unbequeme Gedanken«, der im Buchtitel als Charakterisierung dieser Sammlung meiner Basler Artikel erscheint, ist, wie unten noch belegt wird, eine Anleihe bei meinem akademischen Lehrer Theodor W. Adorno, der 1933 Deutschland auf der Flucht zunächst ins Schweizer Exil verließ. Auch ich habe Deutschland, wenngleich unter völlig anderen Bedingungen – denn die Bundesrepublik ist eine Demokratie –, nach meiner endgültigen Rückkehr aus Amerika Ende 2010 geistig wieder in Richtung Schweizer Exil verlassen. Dort habe ich die in diesem Band versammelten 29 Artikel in der Basler Zeitung (BaZ) zwischen 2016 und 2018 veröffentlicht. In Deutschland herrscht seit einigen Jahren eine Gesinnungsdiktatur der Links-Rechts-Polarisierung, welche die Artikulation von »unbequemen Gedanken« durch andersdenkende Menschen erstickt; dies ist der Grund meiner Flucht.

Als zweiten Begriff, der im Untertitel des Buches vorkommt, verwende ich »illegale Zuwanderung«. Im Zeitalter der »Tugendwächter und Gesinnungsdiktatoren« (vgl. BaZ-Artikel 27 unten) zeige ich, wie die Sprachpolizei in totalitärer Art und Weise solche Begriffe verbietet; wer sich nicht daran hält, läuft Gefahr, in den Prozess der linksgrünen, polarisierenden Schubladisierung zu geraten und in die rechte Schmuddelecke verwiesen zu werden. Für eine legitime Verwendung des Begriffes »illegale Zuwanderung« berufe ich mich auf drei Argumente:

1. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat selbst den Begriff wertfrei benutzt; in den ARD-Nachrichten vom 14. Juni 2018 um 20 Uhr wird die Bundeskanzlerin mit folgendem Zitat eingeblendet: »Die illegale Migration ist eine große Herausforderung an die Europäische Union.« Obwohl ich nicht zu den Merkel-Fans gehöre, stimme ich ihr hierbei vorbehaltlos zu und verweise darauf, dass dieser Gegenstand ein zentraler Inhalt des vorliegenden Buches ist. Es ist angebracht, hier anzuführen, dass selbst das angeführte Merkel-Zitat Opfer der sprachpolizeilichen Zensur wurde. Bei der Wiederholung des Zitats in späteren Sendungen wurde das Adjektiv »illegal« wegredigiert.

2. Das zweite Argument ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, worüber die Zeitung Die Welt am 27. Juli 2017 berichtete. Vorab möchte ich den sprachlichen Unterschied zwischen Gedanken und Fakten hervorheben. Wenn Gedanken diskursiv sind, können sie in einer genuin politischen Kultur der Demokratie (Debating Culture) debattiert werden. Dagegen beziehen sich Fakten auf Realitäten, nicht auf Meinungen, stehen also nicht zur Debatte. In diesem Sinne bezieht sich der Begriff »illegale Zuwanderung« auf einen Fakt, nicht auf eine Meinung. Nun zum EuGH-Urteil: Im oben zitierten Welt-Bericht wird das Urteil so wiedergegeben: »Wer ohne Visum in ein EU-Land einreise, sei illegal unterwegs […], denn die EuGH-Richter sehen Grenz­öf­fnungen auf keinen Fall durch geltendes EU-Recht abgedeckt: Wenn eine Person ohne Visum in ein Land einreise, sei das ein illegales Überschreiten einer Grenze, so das Gericht.«

3. Meine »Seinslage« – um einen Begriff des Wissenssoziologen Karl Mannheim zu gebrauchen – legitimiert mich, vorurteilsfrei an den Gegenstand heranzugehen. Ich bin selbst Migrant, sunnitisch-muslimischer Syrer und Flüchtling aus Damaskus, der den Reform-islamischen Enlightened Muslim Thought als Denkrichtung innerhalb des Islam vertritt (siehe dazu auch das Buch Islam and Democracy in the Middle East, Johns Hopkins University Press 2003, Kap. 24). Jeden Deutschen, der mit Schmutz versucht, mein Wirken zu kontaminieren, schlage ich zurück mit der Zitierung meines jüdischen Freundes Michael Wolffsohn. In seinem Welt-Artikel vom 4. Mai 2018 spricht er von den »Nachfahren von Hitler und Co.«, die propagandistisch unter anderem mit den Begriffen Rassismus und Islamophobie hantieren und Andersdenkende verfemen. Meine »Seinslage« veranlasst mich dazu, gleichermaßen gegen die rechte AfD (vgl. die Vorbemerkungen »Statt eines Nachworts« zu BaZ-Artikel 29) wie die linksgrünen Gesinnungsdiktatoren zu argumentieren. Meine Autorität ist der britische Kollege Anthony Giddens mit seinem Buch Beyond Left and Right.

In der unübertreffbar vergifteten politischen Kultur dieses Landes herrscht eine manichäische Polarisierung in Gut (links) und Böse (rechts). Ich erlaube mir hier, Max Weber und Thomas Mann zu zitieren, die bestreiten, dass aus Gutem immer Gutes hervorgeht. In den restlichen Teilen dieser Vorrede werde ich noch den Begriff »Gewerbe der Niedertracht« (geprägt vom Welt-Journalisten Jacques Schuster) ausführen, womit das Diffamieren Andersdenkender durch gutgläubige Moralisierung gemeint ist.

Es liegt mir fern, meinen Lehrer, den unendlich großen Adorno, mit dem bescheidenen Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, der für mich im Gegensatz zu Helmut Schmidt kein großer Staatsmann war, gleichzusetzen. Dennoch mache ich hier eine Anleihe bei Kohl. Als die deutsche Presse nach einem Skandal alles tat, ihn in seinen letzten Amtsjahren in den »Dreck« zu ziehen und zu entwürdigen, mied er zu Recht eine bestimmte Sorte von deutschen Journalisten, die als unanständige Meinungsmacher agieren. Von Kohl leihe ich mir den Satz, den er einer dieser niederträchtigen Personen vor TV-Kameras sagte, als diese angab, »ihn nur interviewen« zu wollen. Kohl schrie diesen Journalisten an: »Verschwinden Sie, gehen Sie mir aus dem Weg, Sie wollen nicht mit mir sprechen, Sie wollen nur diffamieren.« Diesen Satz habe ich im Kopf, wenn ich auf bestimmte deutsche Personen stoße, die versuchen, meine »unbequemen Gedanken« mit »Niedertracht« in den Schmutz zu ziehen.

Zu diesen »unbequemen Gedanken« gehört die Kritik an Angela Merkels Credo: »Der Islam gehört zu Deutschland« (vgl. hierzu meinen BaZ-Artikel, unten ungekürzt als Artikel 27 abgedruckt). Diesen Gedanken unterstellen diese Personen Perfidie. Diejenigen, die Kritik formulieren, »wollen Deutschland Moslem-frei halten«, behaupten diese Personen. Den Kritikern illegaler Zuwanderung wird sogar »Fremdenfeindlichkeit und Unmenschlichkeit« unterstellt. Den Begriff »Gewerbe der Niedertracht« entleihe ich – wie bereits angeführt – bei Jacques Schuster, dem leitenden Redakteur des Ressorts Außenpolitik der Welt, um eine solche Geisteshaltung als »niederträchtig« einzuordnen. Als Schöpfer des Konzepts der Leitkultur und Vordenker eines europäischen Islam antworte ich auf Personen, die mich wegen meiner »unbequemen Gedanken« in die Schmuddelecke verweisen, durch die Zitation der oben angegebenen Worte von Kohl und Jacques Schuster. Das perfide Umgehen mit Andersdenkenden ist ein »Gewerbe der Niedertracht«. In seinem Leitartikel vom 26. April 2018 kritisiert Schuster »große Teile der Politik und Publizistik«, die »Probleme in Deutschland zu lange verschwiegen« haben und ihre Widersacher mit Schmutz zu bewerfen pflegen; sie tun das in ihrem Selbstverständnis als »Tugendwächter«. Diese Personen verteufeln alle, »die Missstände beim Namen« nennen; sie tun dies zum »Zwecke moralischer Hinrichtung«, und darin besteht das »Gewerbe der Niedertracht«. Auf solche Verunglimpfungen antworte ich stets mit der oben zitierten Anleihe bei Helmut Kohl und verwende hierfür die von Jacques Schuster oben angegebene verwendete Einordnung.

Mit der soeben skizzierten Einstellung habe ich die in diesem Buch gesammelten 29 Artikel, die ich in den Jahren 2016 bis 2018 in der Basler Zeitung im Anschluss an ein großes Interview vom Juli 2016 veröffentlicht habe, geschrieben; sie enthalten »unbequeme Gedanken«.

Als ein Mensch, der als syrischer Muslim in Damaskus 1944 zur Welt gekommen, islamisch aufgewachsen ist und hiernach in Frankfurt 1962–1972 eine zweite Sozialisation durchlaufen hat und in den Jahren 1982–2010 in den USA (Harvard, Princeton, Berkeley, Cornell und Yale) eine weitere, dritte Sozialisation durchlief, bin ich in meinem hybriden Leben hunderten geistigen Autoritäten begegnet. Auch habe ich tausende Bücher in vier Sprachen gelesen, aber nichts und niemand hat mich in meiner intellektuellen Entwicklung so entscheidend beeinflusst wie Theodor W. Adorno und seine Bücher. Den Begriff »unbequeme Gedanken« – so der Titel dieses Buches – stammt eben von ihm.

In seinem Aufsatz Auf die Frage: Was ist deutsch? (Vortrag im Deutschlandfunk 1965, erschienen im selben Jahr in Liberal und 1969 bei Suhrkamp in Adornos Aufsatzsammlung Stichworte) spricht er von seiner Rückkehr nach Deutschland aus den USA, wohin er der totalitären NS-Herrschaft nach dem oben angeführten Zwischenaufenthalt in die Schweiz entfloh; seine Versöhnung mit Deutschland war jedoch weder bedingungslos noch vollständig. Auch in dieser Hinsicht hat er mich entscheidend beeinflusst, auch bei der Formulierung der hier zum Ausdruck gebrachten »unbequemen Gedanken«. Durch Adornos Kritische Theorie bin ich nicht nur religions- und islamkritisch, sondern auch ein Deutschland-Kritiker geworden.

Adorno hat immer die deutsche Tradition verabscheut, die »jede Abweichung gereizt zu ahnden« pflegt. In der hier beanstandeten deutschen gleichermaßen »rechten« als auch »linken« Tradition wird »die Äußerung unbequemer Gedanken« als »Abweichung« inkriminiert und entsprechend geahndet; beide sind deutsch. Die Entwürdigung Andersdenkender geschieht in einem »Pathos des Absoluten«. Hierdurch werden nicht nur »unbequeme Gedanken« verhindert. Denn hierbei entsteht eine »innere Zensurinstanz«, die das Denken »selbst verhindert«. In diesem Sinne lernte ich bei Adorno die Kritische Theorie als kritisches Denken. In meinem kulturell hybriden Leben war dieser Lernprozess bereichert durch die Lektüre Max Webers, der wichtigsten Säule meiner Bildung.

Das zentrale Thema der folgenden Basler Texte ist die illegale Zuwanderung nach Deutschland seit der rechtswidrigen Öffnung der Grenzen infolge der Abschaffung aller Kontrollen, d.h. auch der rechtmäßigen Souveränität des Landes. Das ist keine Polemik, sondern Rechtsprechung auf höchster europäischer Ebene. Der Europäische Gerichtshof hat Mitte Juli 2017 das bereits oben zitierte Urteil gefällt, dass das Überschreiten der europäischen Grenzen ohne Visum und gültige Papiere »illegal« sei. Zu diesem zentralen Thema gehört komplementär der Topos der Denk- und Meinungsfreiheit, auch über diesen Gegenstand.

Ich selbst komme aus einem totalitären Staat, Syrien, wo es kein Recht gibt. In Deutschland habe ich gelernt, den Unterschied zwischen Legalität und Illegalität sowie die Vorzüge des Rechtsstaates zu schätzen. Legalität, d.h. nach Max Weber Rationalität und Berechenbarkeit, gilt als Wesensmerkmal der kulturellen Moderne, die weder mit »links« noch mit »rechts« etwas zu tun hat.

Angesichts der Ächtung des Schriftstellers Uwe Tellkamp – Autor des Suhrkamp-Romans »Der Turm« – allein deswegen, weil er es öffentlich wagte, »die illegale Massenzuwanderung« zu kritisieren, frage ich mich als Syrer: In welchem Land lebe ich? Wenn die Ablehnung von Illegalität auf diese Weise geächtet wird, gibt es dann noch Vernunft in Deutschland?

Neben Adorno ist Hannah Arendt eine weitere jüdische Quelle des Einflusses auf mein Denken; ihr folge ich, wenn sie illegale Herrschaft als Totalitarismus, gleich ob rechts (NS-Faschismus) oder links (Kommunismus), kategorisiert. In diesem Sinne wehre ich mich generell gegen die Denkweise des Totalitarismus, die »unbequeme Gedanken« ächtet. Das ist ein »Gewerbe der Niedertracht« (Schuster).

Als ehemaliger Autor des Suhrkamp-Verlages empöre ich mich über diesen, der sich von seinem Autor Tellkamp distanziert. Tellkamp hat Suhrkamp immerhin Millioneneinnahmen durch den Bestseller-Roman »Der Turm« beschert; ich schäme mich fremd für Suhrkamp. Dies habe ich von meinem Schweizer Exil aus am 5. April 2018 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) geäußert. Das ist ein Verrat an Adorno, dessen oben zitierte Aufsatzsammlung »Stichworte« bei Suhrkamp erschien, der nun widrig handelt. Zwischen 1973 und 1992 war ich auch Suhrkamp-Autor mit 6 Bänden und zwei herausgegebenen Editionen. Ich distanziere mich im Gegenzug von Suhrkamp und stelle mich auf die Seite Tellkamps, der das Recht haben muss, seine »unbequemen Gedanken« ungestraft zu äußern. Deswegen und aus Solidarität habe ich die »Gemeinsame Erklärung 2018« unterschrieben. Eine genuin demokratische Debating Culture basiert auf den drei Normen 1) we agree 2) to disagree 3) with respect. Ich vermisse alle drei Tugenden einer demokratischen politischen Kultur in Deutschland. Man kann Andersdenkenden widersprechen, aber ohne Diffamierung und stets »mit Respekt«. Dies vermisse ich im Merkel-Deutschland.

Als Schüler jüdischer Überlebender der NS-Barbarei und als erster Muslim, der als Resnick Fellow for the Study of Antisemitism am Center for Advanced Holocaust Studies in Washington D.C. gewirkt hat, gehört zu meinen »unbequemen Gedanken« die Warnung vor dem mit den islamischen Migranten »zugewanderten Antisemitismus«. Dieser wird vom linksgrünen Narrativ vertuscht und als Israelkritik entsprechend kleingeredet. Der seit 2018 neue deutsche Außenminister Maas, in der alten Regierung bis 2017 Justizminister von – nach der NZZ (vom 13. April 2017) – »Deutschland als Zensurrepublik«, verkündete bei seinem ersten Besuch im Ausland, in Israel, ein zunächst sehr sympathisches Bekenntnis zum »Kampf gegen Antisemitismus«. Wenn dieser aber zum New Antisemitism (ein Begriff von Bernard Lewis, der im Mai 2018 im Alter von 102 Jahren gestorben ist; vgl. unten, BaZ-Artikel 29) aus Nahost schweigt, dann erweist sich sein verbal lautes Bekenntnis als wertlos. Ebenso wertlos war seine »vollmundig angekündigte« Zusicherung – so die Weltam Sonntag (WamS) vom 28. Januar 2018 im Artikel Strafbar oder geduldet? –, wortwörtlich zitiert, »dass Polygamie in Deutschland keinen Platz finden darf«. Richtig ist, wie es im zitierten WamS-Artikel steht, dass der Fall eines syrischen Flüchtlings in Montabaur mit vier Frauen und 23 Kindern »kein Einzelfall ist« und dass auch in Berlin »der Anteil arabischer Männer mit Zweitfrauen bei 20 bis 30 Prozent« liegt. Wie glaubwürdig ist Maas, wenn er sich analog zur Polygamie über den Antisemitismus äußert?

Die hier artikulierten, von Selbstzensur freien »unbequemen Gedanken« haben mit der vom linksgrünen Narrativ unterstellten Anfeindung der Flüchtlinge nichts zu tun. Das ist eine böse Verfemung meiner Person – der ich selbst Flüchtling aus Syrien bin. Es geht primär um die Frage: »Wer verändert wen?«, das heißt um die Frage, ob die Zugewanderten europäische Werte als Hausordnung – ich meine damit die Leitkultur, vgl. mein BaZ-Artikel Nr. 10 unten – akzeptieren oder ob sie Polygamie und Antisemitismus u.a. im Namen der Anerkennung anderer Kulturen durchsetzen. Gelingt die Integration? Und wie?

Der international anerkannte und ebenso respektierte jüdische Publizist Walter Laqueur äußert sich hierüber in seinem Buch Die letzten Tage von Europa (2008) skeptisch. Nach Descartes sind methodischer Zweifel, Vermutung und Skepsis die Quelle rationalen Denkens. Damit jene ihn verfemende Linke keinen Erfolg haben, verweist Laqueur auf seine jüdische Biografie Ich war dreimal in meinem Leben ein Flüchtling, womit er diesen den Boden entzieht. Deswegen wehrt er sich gleich zu Beginn, »in die rechte Ecke gestellt« zu werden, wenn er folgende zwei »unbequemen Gedanken« äußert:

1) Muslime werden weiterhin Enklaven bilden und Integration verweigern. Islamische Hassprediger, so Laqueur ,belehren den islamischen Zuwanderer, sie seien den »Ungläubigen weit überlegen« und indoktrinieren sie mit der ihnen zugeschriebenen »Opferrolle«. Wahr ist jedoch, so Laquer weiter, dass »ihre soziale und kulturelle Ghettoisierung oft freiwillig und hausgemacht« ist.

2) Mit der demografischen Expansion dieser Enklaven ist der »Niedergang Europas wohl unvermeidlich«. Dieser »Abstieg Europas ist bedauerlich und vielleicht lässt er sich bremsen, wenn nicht teilweise rückgängig machen«.

Einen solchen Versuch unternehme ich in den in diesem Buch enthaltenen BaZ-Artikeln Nr. 6 sowie Nr. 22 bis 26, aber auch in den im abschließenden Teil enthaltenen Texten. Erste Voraussetzung hierfür ist die Rückeroberung der Rede- und Denkfreiheit, um frei hierüber sprechen und schreiben zu können.

Lange vor Laqueur hat der Religionswissenschaftler John Kelsay in seinem Buch Islam and War (1993) im Rahmen der Erörterung der Frage, wer die Welt in Zukunft bestimmen wird, auf die islamische Zuwanderung mit diesen Worten hingewiesen: In Europa bilden sich im Rahmen der Zuwanderung »Islamic Communities as a sort of sectarian enclave […] in the West, but not of it.« (S. 118) Das ist eine vorsichtige Feststellung einer Islamisierung.

Nicht nur weil ich hier jüdische Autoritäten wie Adorno, Arendt und Bernard Lewis zitiere, sondern auch weil ich das Existenzrecht der Juden in Israel öffentlich anerkenne, bin ich Opfer von islamistischer und islamischer Diffamierung. Obwohl die von Mohammed A. T. al-Husni verfasste, autoritative Geschichte von Damaskus das Aschraf ([Aristokratie]-Haus) von Banu al-Tibi, der Familie, aus der ich stamme, als Institution erwähnt, aus der sich Kadis und Muftis der Stadt seit dem 13. Jahrhundert rekrutierten, verfemen mich die angeführten Kreise mit dem auf mehreren Ebenen widerlichen Vorwurf, »ein verdeckter Jude« zu sein. Ich lasse mich dennoch nicht beirren. 1994 habe ich mit Rabbiner Albert Friedlaender in der Londoner Westminster-Synagoge den jüdisch-islamischen Dialog gegründet; unter Forderung des britischen Juden mit deutschen Wurzeln Lord Weidenfeld trug ich im Jahr 2000 zum Cordoba-Trialog bei. Unter Muslimen, Juden und Christen war ich sieben Jahre später von 2007 bis 2010 am US-Memorial Holocaust Museum in Washington D.C. als Resnick Fellow for the Study of Antisemitism als ein Mitträger des Trialogs tätig. Hieraus ist das Buch Encountering the Stranger (2012) hervorgegangen. In meinem Beitrag darin plädiere ich für ein »rethinking Islamic tradition«, um Juden und Christen im Rahmen der Einführung eines Pluralismus der Religionen vom Status Gläubiger zweiter Klasse / Dhimmi zu befreien. Das muss auch in Deutschland geschehen, sonst gibt es keine Integration. Leider haben weder Kirchenväter noch Politiker den Mut, offen solche Forderungen zu stellen. Die Frage lautet: Welcher Islam für Europa? Es wird dem Problem nicht gerecht, undifferenziert wie Angela Merkel von dem Islam zu sprechen (vgl. unten, BaZ-Artikel 27).

Nach diesen Ausführungen, die der Einbettung der folgenden 29 Artikel aus der Basler Zeitung in die Struktur eines Buchs, das sich »Unbequeme Basler Gedanken« nennt, dienen sollen, stelle ich Fragen. Die erste hiervon betrifft die demokratische politische Kultur der Redefreiheit, die unser Grundgesetz in Artikel 5 gewährt. Der Fall Tellkamp von 2018, den ich bereits oben angeführt habe, veranlasst zum Zweifeln darüber, ob die Verfassungswirklichkeit in Deutschland in einem Merkel-Regime – begleitet von einer linksgrünen Deutungshoheit – in Einklang mit dieser steht.

Ich möchte meine Zweifel sachlich demokratietheoretisch und ohne Polemik zum Ausdruck bringen. Eine Hilfe hierbei bietet mir die Bibel der Demokratie aus dem 19. Jahrhundert, nämlich John Stuart Mills On Liberty. Ich gestatte mir als Syrer, daraus zu zitieren. Ich bin in Damaskus im Jahr 1944, d.h. ein Jahr vor der Befreiung Deutschlands von der NS-Herrschaft (ich schreibe nicht Hitler-Diktatur, weil ich den Totalitarismus als Herrschaftsform nicht personifizieren will) außerhalb Europas geboren worden. Erwähnenswert ist der Kontext der deutschen Ausgabe dieses Werkes, die 1945 in Zürich erschien. Auf meinem Schreibtisch liegt diese deutsche, beim Züricher Pan-Verlag in Massenauflage erschienene Übersetzung von Adolf Grabowsky; sie gehörte zu den geistigen Säulen der Entnazifizierung Deutschlands. Meine zweite Frage lautet: Ist diese totalitäre »Tyrannei« als politische Kultur, gegen die sich John Stuart Mill im 19. Jahrhundert gewandt hat, überwunden worden? Lebt sie nicht doch fort im heutigen Deutschland?

In dem als Bibel der Demokratie geachteten Werk On Liberty denkt John Stuart Mill darüber nach, was Demokratie ist, und darüber, was ihr im Wege steht. Auf S. 134 der oben genannten Ausgabe definiert Mill

Demokratie als ein System, das »Freiheit des Denkens und Fühlens, unbedingte Freiheit der Meinung und Anschauung« gewährt.

Er fügt hinzu: »Keine Gesellschaft, in der diese Freiheiten nicht im Ganzen geachtet sind […], kann wahrhaft frei genannt werden«. Mill klagt die »Tyrannei der öffentlichen Meinung und Gesinnung« an und rechnet sie »ganz allgemein zu den Übeln, gegen welche die Gesellschaft auf der Hut sein muss«.

Meine in den folgenden 29 BaZ-Artikeln formulierten »unbequemen Gedanken« richten sich gegen diese Tyrannei, unter der ich im Merkel-Deutschland Tag für Tag lebe. Die Schweizer Basler Zeitung hat mir ein Forum geboten, um über Freiheit zu schreiben.

Freiheit kann gleichermaßen durch, erstens, Staatsgewalt und, zweitens, »Tyrannei der herrschenden Meinung« behindert werden. Was kann eine Demokratie gegen diese Gefahren für die Freiheit unternehmen? Die erste Gefahr lässt sich leichter als die zweite neutralisieren, nämlich durch rechtsstaatliche »Einschränkung der Staatsgewalt«. Das Individuum wird formalrechtlich gegen die »Tyrannei der herrschenden Meinung« dadurch geschützt, dass die »Äußerung unbequemer Gedanken« (Adorno) auch nach Mill nicht strafbar ist, aber der britische Demokratietheoretiker war schon im 19. Jahrhundert nicht so naiv wie manche heutigen europäische Politiker, die Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit verwechseln und auf dieser Grundlage jede Beanstandung der eingeschränkten Meinungsfreiheit abweisen. Zwar sei in einer Demokratie keine strafrechtliche Ahndung von Meinungsäußerungen möglich, doch erkennt Mill »andere Mittel als bürgerliche Strafen«, um Menschen daran zu hindern, »unbequeme Gedanken« zum Ausdruck zu bringen. Und so ist es in Deutschland unter dem Merkel-Regime. Die heutige linksgrüne »Tyrannei der herrschenden Meinung« schränkt Grundrechte ein. Dennoch ist es in Deutschland besser als in Syrien. In Deutschland kann ich Bücher veröffentlichen, die zwar seit 2002 medial und in Fachzeitschriften total verschwiegen werden, aber ich sitze deshalb nicht im Gefängnis, was in Syrien meine Bestrafung wäre – in Kombination mit Folter.

Nun zur Struktur des vorliegenden Buches: Es versammelt ein Interview und 29 Artikel, die unzensiert zwischen 2016 und 2018 in der Basler Zeitung erschienen sind. Weil ich es in meinem schriftstellerischen Leben nie geschafft habe, meine Texte an die redaktionelle Länge einer Zeitungsseite anzupassen, mussten fast alle meine Artikel nicht nur redigiert, sondern auch gekürzt werden. Hier jedoch liegen nun alle diese Artikel ungekürzt vor. Tagespolitische Bezüge wurden jedoch entweder gestrichen oder aktualisiert. Die BaZ-Redigierung wurde beibehalten. Statt einer chronologischen Einordnung in der Reihenfolge des Erscheinens der Artikel habe ich es vorgezogen, die 29 Artikel in sechs thematische Schwerpunkte und Teile einzuordnen.

Die in diesem Buch abgedruckten BaZ-Artikel enthalten »unbequeme Gedanken«, die in Deutschland von Gesinnungsdiktatoren sozusagen als verfassungswidrig verfemt, de facto also verboten sind und geahndet werden. Ich höre sogleich den Widerspruch, das Grundgesetz erlaube ein solches Verbot nicht. Gegen diese Naivität habe ich bereits John Stuart Mill On Liberty zitiert. Dieser Bezug erklärt auch, warum diese Artikel in der Schweiz, nicht in Deutschland veröffentlicht worden sind.

Ehe ich abschließe, noch dies: Im Kontext des Brechens aufgezwungener deutscher Tabus und meines Widerstands gegen die erzwungene Selbstzensur bin ich nur geistig und nicht wie Adorno und Horkheimer physisch in die Schweiz geflüchtet. Im Internet stößt man auf ein Urteil, wonach die Schweizer Presse heute für die Bundesrepublik die Funktion erfülle, die früher für die DDR das West-Fernsehen war. Für mich ist die Basler Zeitung seit 2016 das Fenster zur Welt, weil ich dort Dutzende von Artikeln veröffentlicht habe, in denen ich demokratischen Widerstand leisten konnte gegen Deutschland, die Zensurrepublik – wie es die NZZ am 13. April 2017 formulierte. So lautet der Titel eines Artikels, den Eric Gujer als Chefredaktor der seit 1780 erscheinenden, auch und gerade für die Qualität ihrer Auslandsberichterstattung bekannten Neuen Zürcher Zeitung in der Schweiz über Deutschland veröffentlichte. Ich bestätige sein Urteil voll und ganz. Gujer klagt in besagtem Artikel darüber, dass die Deutschen – andere belehrend – »sich gern für die besten Europäer halten« und kritisiert den Gesetzentwurf des damaligen Justizministers Heiko Maas zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der inzwischen geltendes Recht geworden ist. Darin wurde »weit übers Ziel hinaus« – als Moralwächter – geschossen.

Was ich in dem Interview vom 7. Juli 2016 und in den folgenden 29 Artikeln von 2016–2018 beklage, hat es in Deutschland schon vor 2015/2016 gegeben. Es war immer so, wenn auch in Grenzen, aber seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 und unter der medialen Herrschaft der linksgrünen Deutungshoheit eines Narrativs im »neuen Deutschland« (ich verwende diesen Titel bewusst) ist es dramatisch geworden. Unter Adenauer wurde der Prozess, den der Historiker Heinrich August Winkler »Verwestlichung Deutschlands« nannte, eingeleitet. Dies ist heute unterbrochen worden (vgl. unten, BaZ-Artikel 29). In der Basler Zeitung vom 26. August 2016 (vgl. unten, BaZ-Artikel 2) habe ich diese »unbequemen Gedanken« ausgesprochen: Es findet eine Veröstlichung Deutschlands unter der in der DDR sozialisierten Angela Merkel statt. Ebenfalls von der Schweiz aus, also in der NZZ vom 9. Februar 2018, schrieb die deutsche Publizistin Susanne Gaschke: »Deutschland leidet unter einer Zerrüttung der Diskussionskultur«. Das ist traurig, aber wahr.

Anstelle einer Einleitung zu den folgenden 29 Artikeln entschied ich mich dafür, das erwähnte Interview vom 7. Juli 2016, mit dem ich meine BaZ-Geschichte begonnen habe, gleich am Anfang zu platzieren. Das Interview hat Benedict Neff unter dem Titel Worüber Bassam Tibi spricht, will in Deutschland niemand hören veröffentlicht. Diese Formulierung spiegelt die Behandlung Andersdenkender in Deutschland wider. Das Interview war der Türöffner für 29 Artikel, die in den folgenden zwei Jahren erschienenen sind. Das war sozusagen eine Entlassung aus dem Gefängnis des mir aufgezwungenen Schweigens und der Zensur. Seit dem Irak-Krieg 2003 wurde ich in dieses Gefängnis eingepfercht; 2004 folgte ich einem Ruf an die Cornell University als A.D. White Professor und wanderte in die USA aus. Mit den folgenden 29 Artikeln kehrte ich als Autor in den deutschsprachigen Raum zurück.

Ich habe mich bei Christian Schön vom ibidem-Verlag für den Mut zu bedanken, diese »unbequemen Gedanken« in einem Buch zu veröffentlichen. Diese Danksagung ist kein Ritual, keine Façon de parler, wie es auf Französisch heißt, sondern aufrichtig und von Herzen. Die beiden BaZ-Redakteure Benedict Neff, der 2017 zu NZZ gewechselt ist, und Erik Ebneter haben meine schriftstellerische Tätigkeit bei der BaZ redaktionell und menschlich vorzüglich betreut. Dank gilt auch dem BaZ-Chefredaktor Markus Somm und seinem Stellvertreter David Thommen, die meine Tätigkeit als Autor ihrer Zeitung auf allen Ebenen gefördert haben, ferner danke ich Martin Furrer für seine lektorierende Unterstützung und Erik Ebneter für seine hervorragende Betreuung und Koordination meiner Mitarbeit bei der BaZ. Wichtig war nicht zuletzt der Zuspruch meiner Frau Ursula, ihr gilt daher meine größte Dankbarkeit.

Ich hoffe auf geistesoffene Leser meiner »unbequemen Gedanken«. Zu den Highlights meines Lebens gehören die Begegnungen mit Ernst Bloch, dem Philosophen des Prinzips Hoffnung; ihm folge ich auch sonst – also auch in seiner Verteidigung des Vernunftdenkens der aristotelischen Linken im Islam seit Ibn Sina / Avicenna gegen die »Mufti-Welt« der schriftgläubigen Orthodoxie im Islam. Ich muss es als Muslim offen sagen: Was Freiheit anbelangt, sind »linksgrüne Tugendwächter« weit intoleranter als Muftis und Islamisten, die mein Leben bedrohen und die ich als Anhänger der islamischen Denkschule des Enlightened Muslim Thought von Avicenna und Averroës verabscheue.

 

Göttingen, August 2018

Bassam Tibi

 

Statt einer EinleitungDas folgende Interview erschien in der Basler Zeitung am 7. Juli 2016 unter dem Titel: »Diese Männer denken: Deutsche Frauen sind Schlampen« – Bassam Tibi: Worüber er spricht, will in Deutschland niemand hören: Judenhass der Araber, Sexismus und deutscher Extremismus. Tabus im Zeitalter islamischer Massenzuwanderung nach Europa

BAZ: Herr Tibi, Sie schrieben vor kurzem in der Bild-Zeitung: »Deutsche pendeln zwischen den Extremen: Fremdenfeindlichkeit oder Fremdeneuphorie. Es gibt kein Mittelmaß.« – Gibt es einen deutschen Hang zum Extremismus?

Bassam Tibi: Ich lebe seit 54 Jahren unter Deutschen und auf der Basis dieser Erfahrung glaube ich, ein Urteil fällen zu können. Ich beobachte, dass die Deutschen unausgeglichen sind. Entweder sie sind für etwas oder dagegen. Ein Mittelmaß gibt es nicht. Das sage aber nicht nur ich. Zwei deutsch-jüdische Philosophen haben dasselbe beobachtet. Helmuth Plessner schrieb, dass die Deutschen immer wieder »dem Zauber extremer Anschauungen verfallen«. Theodor W. Adorno spricht von einer deutschen Neigung, in einem »Pathos des Absoluten« jede »Abweichung« durch »unbequeme Gedanken« gereizt zu ahnden. Ich erlebe dies jeden Tag.

Diese Unausgeglichenheit mag ein Phänomen der Deutschen sein. Was aber ist der Grund dafür?

Georg Lukacs spricht von »Eigentümlichkeiten der geschichtlichen Entwicklungen Deutschlands«. Als England und Frankreich den Weg zur Nation gefunden haben, waren die Deutschen noch komplett verstritten: Sie hatten keine politische Kultur des demokratischen Debattierens und gaben sich der Kleinstaaterei hin. Die Art, wie Deutschland 1871 vereinigt wurde, ist nicht normal. Die Deutschen haben Identitätsprobleme seit dem 19. Jahrhundert, nicht erst durch die NS-Katastrophe von 1933.

Und welche Rolle spielt Hitler?

Hitler war kein Unfall, er war programmiert. Adorno schrieb: Wäre Hitler in Frankreich oder England aufgetaucht, man hätte ihn nur ausgelacht. In Deutschland wurde er bejubelt. Hitler war einer von Deutschlands Sonderwegen.

Auch die deutsche Flüchtlingspolitik stellen Sie in die Reihe dieser Sonderwege. Können Sie das erklären?

Der französische Präsident sagt: Wir nehmen 30.000 Syrer und dann ist Schluss. Die deutsche Bundeskanzlerin nimmt 1,5 Millionen Flüchtlinge auf und weigert sich selbst dann noch, eine Obergrenze einzuführen. Das ist ein Sonderweg, wie er für die Deutschen typisch ist. In einem Streitgespräch in der Welt mit dem jüdischen Journalisten Henryk Broder sagte ein Künstler: »Wir sind Deutsche, wir können keine Normalität haben.« Da fragte Broder: »Wieso nicht?« Da sagte der Künstler: »Wir haben die Juden ermordet.« Da sagte Broder: »Ich bin Jude und ich möchte in einem normalen Land leben.« – Diese Normalität herzustellen wäre wichtig für Deutschland. Aber die Eliten aus Wissenschaft, Politik und Medien weigern sich dagegen.

Deutschland verärgert Sie, gleichzeitig haben Sie auch Mitleid mit den Deutschen. Wieso eigentlich?

Meine Heimat ist heute Göttingen. Die Stadt hat mehrere Tausend Flüchtlinge aufgenommen und die bestimmen, wo es langgeht. Die machen viel Lärm auf den öffentlichen Plätzen und bringen Unruhe in die Innenstadt. Wenn ich mich gestört fühle, sage ich: »Machen Sie bitte das Radio aus.« Oder: »Sprechen Sie bitte leise.« Ich habe keine Angst, dies zu tun. Die Deutschen aber haben Angst, weil sie sich fürchten, als Rassisten bezeichnet zu werden. Darum habe ich Mitleid mit ihnen. Die sind so eingeschüchtert, dass sie sich nicht mehr trauen zu sagen, was sie denken.

Sie selber sind Syrer. Ihre zweite Heimat Deutschland nimmt Hunderttausende Ihrer Landsleute auf – Sie müssten sich doch darüber freuen.

Ich fahre sehr viel Taxi, denn ich habe kein Auto. Das Schönste am Taxifahren sind die Gespräche mit den Deutsch-Türken und Deutsch-Iranern. Die denken genau wie ich. Wir haben es geschafft, hier Arbeit, Freiheit und ein bisschen Ruhe zu finden. Diese 1,5 Millionen Flüchtlinge bringen Unruhe in diese Gesellschaft. Wir deutschen Ausländer haben Angst um unsere Integration. Der hässliche Deutsche ist stets Nazi oder Gutmensch. Das sind die beiden Seiten derselben Medaille. Ich habe Angst, dass die Gutmenschen von heute morgen Nazis sind.

Weil sie sich plötzlich überfordert fühlen könnten?

Ja.

Sie selber waren ein Antisemit, als Sie nach Deutschland kamen.

Ich bin in Damaskus geboren und habe da bis zum 18. Lebensjahr gelebt. In der Schule und in den Medien habe ich jeden Tag gehört, dass die Juden Verschwörer und Feinde der Araber sind – das war die Hintergrundmusik meiner Kindheit. Ich kam als Judenhasser nach Deutschland, nicht weil ich Bassam Tibi bin, sondern weil ich in dieser antisemitischen arabischen Kultur aufgewachsen bin. Die meisten Syrer sind Antisemiten.

Wie haben Sie diesen Antisemitismus abgelegt?

Ich hatte das Glück, bei zwei großartigen jüdischen Philosophen in Frankfurt zu lernen: Adorno und Horkheimer. Adorno hat mein Leben verändert, er hat mich von meinem Antisemitismus geheilt. Wenn Adorno Jude ist, dachte ich, dann können Juden nicht schlecht sein. Ich war später der erste Syrer, der nach Israel reiste und öffentlich sagte: Ich anerkenne das jüdische Volk und sein Recht auf Staatlichkeit in Israel. In Syrien galt ich deswegen als Landesverräter.

Sie sprechen syrische und arabische Flüchtlinge spontan auf der Straße an und reden mit Ihnen, wie Sie in der Bild-Zeitung schrieben.

Ja, und ich kriege Informationen, die Deutsche nicht bekommen. Denn die Syrer sprechen mit den Behörden nicht so ungezwungen wie mit mir.

Was erfahren Sie über ihre Vorstellungen vom Leben, ihre Erwartungen an Deutschland?

Ich gebe Ihnen zwei Beispiele. Ein Palästinenser, der in Damaskus lebte: Er ist in Göttingen, sein Asylverfahren wird sehr langsam bearbeitet. Der Grund: Die deutschen Behörden sind überlastet. Er sagte zu mir: »Die Juden sind schuld.« Ich fragte: »Was haben die Juden mit dem deutschen Asylverfahren zu tun?« Er: »Hast du nicht gesehen, hier in Göttingen gibt es eine Judenstraße und da sitzen sie und regieren die Stadt.« – Ich versuchte, mit ihm rational zu reden, aber das hatte keinen Sinn. Ein anderer Syrer: anerkannter Asylant, vier Kinder, spricht kein Wort Deutsch. Er wollte von der Stadt ein Auto haben, diese hat es ihm aber verweigert. Er sagte mir: »Das waren Juden, die das entschieden haben.«

Sind das repräsentative Beispiele?

Ja. Diese Menschen sind sozialisiert in einer antisemitischen Kultur.

Ihnen geht die »arabische Lärmkultur« auf die Nerven. Wie reagieren Ihre Landsleute, wenn Sie sie im öffentlichen Raum zurechtweisen?

Ich habe eine Methode im Umgang mit diesen Leuten. Ich gehe hin und sage auf Arabisch: »Mein Name ist Bassam Tibi. Ich bin aus Damaskus, ich bin Muslim wie du, ich lebe hier und bin dankbar dafür.« Dann sage ich: »Ihr benehmt euch unanständig. Das ist gegen syrische Sitten.« – Ich beschäme sie also, und wenn das nicht funktioniert, zitiere ich Verse aus dem Koran und sage, sie würden sich unislamisch benehmen. Ich kenne den Koran in- und auswendig, mit Suren kriege ich sie klein. Glauben Sie mir: Wenn ich Arabisch rede mit arabischen Argumenten, habe ich mehr Macht über diese Leute als ein deutscher Polizist.

Der normale Deutsche kann nicht Arabisch und kommt nicht aus Damaskus. Sie wünschten sich aber gerade, dass Deutsche mehr reklamieren, wie ihre Kultur funktioniert. Wie soll das gehen?

Ich habe lange in Amerika gelebt. Muslimische Jugendliche in Boston, New York und Washington haben eine Mischung aus Angst und Respekt, wenn sie einen Polizisten sehen. Sie wissen, dass sie ins Gefängnis kommen, wenn sie ihn frech behandeln. Die deutschen Ordnungsbehörden müssen Ausländer, die sich gegen den Staat verächtlich verhalten, in die Schranken weisen. Das passiert aber nicht. Die Angst vor dem Rassismus-Vorwurf ist in Deutschland größer als die Angst vor dem Verfall der öffentlichen Ordnung.

Die Medien akzentuieren stark die Dankbarkeit der Flüchtlinge für die deutsche Gastfreundschaft. Erleben Sie das auch so oder überwiegt eine realitätsfremde Erwartungshaltung?

Es überwiegen die hohen Erwartungen, aber diese sind auch rational erklärbar. Wir leben in einer globalisierten Welt: Die Leute sehen schon in ihren Herkunftsländern, dass es in Deutschland tolle Wohnungen, blonde Frauen und den Sozialstaat gibt. Ich war gerade in Kairo: Da ist eine Zweizimmerwohnung ein Luxus. Ein Mann, der in Kairo heiraten will, muss dem Vater des Mädchens nachweisen, dass er eine Zweizimmerwohnung hat. Hier in Göttingen kenne ich 16-jährige Araber, die für sich alleine eine Zweizimmerwohnung haben. Und wer mit 16 eine Zweizimmerwohnung hat, will mit 18 ein Auto! Aber der Sozialhilfesatz reicht dazu nicht aus.

Darin wittern Sie ein großes Enttäuschungspotenzial.

Ja. Denken Sie, selbst der dankbare Syrer, der mit Merkel das berühmte Selfie gemacht hatte, war vor ein paar Wochen im Fernsehen und erklärte, er sei nun von Merkel enttäuscht: Er wolle Arbeit, ein sicheres Einkommen und eine Wohnung. Wir werden große soziale Konflikte erleben.

Wie können Sie sich da so sicher sein?

Erstens, weil Deutschland die hohen materiellen Erwartungen nicht erfüllen kann. Zweitens, weil diese Flüchtlinge ein Wertesystem haben, das mit der Moderne nicht vereinbar ist. Die Syrer, mit denen ich rede, sagen: »Die Deutschen haben keine Ehre, weil ihre Frauen mit jedem schlafen.« Sie sagen: »Mit meiner Frau, mit meiner Tochter und Cousine kann nicht jeder herumschlafen. Die sind meine Ehre.«

Was bedeutet das im Umgang mit deutschen Frauen?

Wir haben das in der Silvesternacht von Köln gesehen. Hunderte junge muslimische Männer behandelten Frauen als Freiwild.

Diese Männer wissen, dass sie eine Straftat begehen. Denken sie trotzdem: Deutsche Frauen sind einfach Schlampen, die man belästigen kann?

Beides trifft zu. Sie wissen, dass es gesetzlich verboten ist. Aber sie denken auch: Deutsche Frauen sind Schlampen. Und dazu kommt das Wissen, dass ihr Handeln keine Folgen hat. Deutsche Polizisten haben im Umgang mit Flüchtlingen Angst. Sie haben nicht vor den Flüchtlingen Angst, sondern Angst davor, als Rassist bezeichnet zu werden, wenn sie Flüchtlinge zurechtweisen. Das ist aber ein verheerendes Signal. Viele Neuankömmlinge halten Deutsche deshalb für Weich­eier. Sie nehmen Deutsche gar nicht ernst.

Sie haben die Ereignisse auch mit einer Rache der Verlierer erklärt. Vereinfacht gesagt: Die, die das Auto und die schöne Wohnung nicht kriegen, rächen sich am deutschen Mann, indem sie seine Frau missbrauchen.

Vergewaltigung von Frauen ist ein Mittel der Kriegsführung in Syrien. Alle Kriegsparteien machen das. Die Flüchtlinge, die hierherkommen, kommen aus dieser Kultur und nicht alle sind Opfer. Wenn solche Männer nicht kriegen, was sie erwarten, werden sie wütend. In der Kultur, aus der ich komme, will man Leute demütigen, die einen wütend machen. Im Orient demütigt man einen Mann, indem man seine Frau demütigt: durch Vergewaltigung. Meine Vermutung ist, dass diese jungen muslimischen Männer in Köln die Frauen demütigen wollten, und hinter dieser Demütigung steht die Demütigung des deutschen Mannes. Die Frau ist ein Instrument dafür.

Sie sagen: Köln war nur der Anfang. Warum blicken Sie so negativ in die Zukunft?

Wenn es dem deutschen Staat gelingt, Flüchtlinge zu integrieren, dann gibt es keine Probleme. Aber ich sehe kein Integrationskonzept, keine Einwanderungspolitik, ich sehe nur Chaos.

Patriarchalisch gesinnte Männer aus frauenfeindlichen Kulturen lassen sich nicht integrieren, sagen Sie. Was soll ein Staat mit solchen Männern machen, wenn er sie nicht ausschaffen kann?

Die Leute, die hier sind, müssen umerzogen werden. Die Deutschen waren 1945 mehrheitlich Nazis. Hitler hat mit der Zustimmung der Mehrheit der Deutschen regiert. Die Deutschen wurden vom Westen umerzogen zu Demokraten. Ich verlange eine Umerziehung für die Migranten aus der Welt des Islams: eine Umerziehung aus der patriarchalischen Kultur hin zur Demokratie.

Solche Bemühungen hat Deutschland mit seinem Integrationsgesetz auch in die Wege geleitet.

Davon habe ich nichts bemerkt. Die Deutschen denken, alles könne per Gesetz geregelt werden, das ist Teil ihres obrigkeitsstaatlichen Denkens. Das ist Teil des deutschen Sonderwegs. Wertevermittlung ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe.

Warum haben Deutsche solche Probleme, ihre Werte zu vermitteln?

Ich umarme Sie für diese Frage! Ich habe in Amerika noch keinen muslimischen Immigranten erlebt, der nicht gesagt hätte: I am an American. Alle meine türkischen Freunde in den USA sagen das! Ich habe einmal auf einer US-Militärbasis Vorträge über den Islam für amerikanische Offiziere gehalten und gesehen, wie Leute, die im Sudan, in der Türkei und in Syrien geboren sind, weinend unter der amerikanischen Flagge standen und die Hymne sangen. »Integration is providing a sense of belonging« – Integration bedeutet Zugehörigkeit. Ich selbst habe hier in fünfzig Jahren aber nur geschlossene Türen erlebt. Neulich fragte mich eine TV-Moderatorin in einer Talkshow: »Schämen Sie sich, dass Sie Syrer sind?« Ich sagte: »Ich schäme mich nicht, aber ich möchte Deutscher sein.«

Sie sind ja Deutscher!

Ich bin deutscher Staatsbürger, aber kein Deutscher. Ich gelte als Syrer mit deutschem Pass. In Deutschland unterscheidet man zwischen dem Staatsbürger und dem Deutschtum. Ich füge mich und nenne mich Syrer. Der deutsche Pass gibt mir Rechts­sicherheit und ich nehme mir die Rechte, die viele Deutsche gar nicht brauchen.

Sie kamen als Syrer und Antisemit nach Deutschland. Mittlerweile sind Sie eingebürgert und machten eine wahnsinnige wissenschaftliche Karriere in diesem Land. Ihr Beispiel macht doch Hoffnung, dass Integration gelingen kann.

Sie sagen, ich habe hier eine wahnsinnige Karriere gemacht – das stimmt nicht! Ich bin mit 28 Jahren Professor in Göttingen geworden, aber das war auch das Ende meiner Karriere in Deutschland. Meine Karriere habe ich in Amerika gemacht. In Deutschland bin ich ausgegrenzt, getreten und gemobbt worden. Eine Willkommenskultur habe ich nie erlebt. Der einzige Grund, warum ich hier blieb, ist meine deutsche Familie. Die wollte nicht nach Amerika gehen. Die Entscheidung war womöglich falsch.

Warum haben Sie den deutschen Pass angenommen?

Ich wollte Deutscher sein. 1971 habe ich einen Antrag gestellt. Es hat fünf Jahre gedauert, bis ich ihn bekommen habe. In diesen fünf Jahren wurde ich unheimlich gedemütigt. Ich hatte einen deutschen Doktor­titel, eine deutschsprachige Habilitation geschrieben. Aber stellen Sie sich vor: Auf dem Amt diktierte mir ein deutscher Polizist einen Text aus der Bild-Zeitung, um meine Deutsch-Kenntnisse zu prüfen. – Wie wollen die Deutschen 1,5 Millionen Muslime integrieren, wenn sie mich, der ich dreißig Bücher in deutscher Sprache geschrieben habe, nicht integrieren konnten?

Sind Muslime besonders schwer inte­grierbar?

Seien wir ehrlich, ein Hindu oder Buddhist integriert sich sicher leichter. Das Gerede, die schlechte Inte­gration von Muslimen habe mit dem Islam nichts zu tun, ist Quatsch. Der Islam macht den Muslimen Schwierigkeiten bei der Integration, solange er nicht reformiert ist.

Das heißt: In Deutschland tritt gerade der Worst Case ein. Schlecht integrierbare Menschen treffen auf eine Gesellschaft, die nicht fähig ist, Menschen zu integrieren?

Genau! Ich hatte zwei Vorstellungen im Leben und kreierte dazu zwei Begriffe: den des Euro-Islams und den der Leitkultur. Heute muss ich einsehen: Deutschland ist unfähig, eine Hausordnung für das friedliche Zusammenleben anzubieten. Die Muslime in Deutschland sind ihrerseits unwillig, sich zu einem europäischen Islam zu bekennen. Ich halte mittlerweile beides für Utopien. Ich kapituliere.

Schafft nicht die deutsche Willkommenskultur die Grundlage für ein neues Verhältnis zu den Migranten?

Im Januar 2016 schrieb die Zeit: