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Sie sind bis zu 15 Meter hoch, wiegen bis zu 100 Tonnen und speien Tod und Vernichtung – die riesigen von Menschen gesteuerten Kampfmaschinen, die BattleMechs des 31. Jahrhunderts. Das Sternenreich der Menschen ist zerfallen. Angeheuerte Söldnerhaufen ziehen mit ihren Stahlkolossen in die Schlachten der sogenannten Nachfolgekriege. Die Piloten der BattleMechs sind tollkühne Männer und Frauen, die für Geld ihre Haut zu Markte tragen, und viele von ihnen finden den Tod, weil ihre Kampfmaschinen veraltet und dem konzentrierten Feuer aus Laserwaffen und Raketen nicht immer gewachsen sind. Der junge Carlyle nimmt mit seiner Gray Death Legion den ersten Auftrag an: als Trainingskader der Bauernrebellen des Planeten Verthandi. Obwohl er Begabung für Strategie und Taktik hat, ist es ein mühseliges Unterfangen, die Banden der Freiheitskämpfer zu vereinen und gegen einen überlegenen Gegner ins Feld zu führen.
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Seitenzahl: 616
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Titel
William H. Keith
Der Söldnerstern
Zweiter Roman der Gray-Death-Trilogie
Impressum
Yellow King ProductionsLegenden-Band 2
Titelbild: Catalyst Game LabsRedaktion: Mario WeißÜbersetzer: Reinhald H. MaiKorrektorat: Sina-Christin Wilk, Matthias Heß, Peter DachgruberLayout: Michael Mingers
©2026 The Topps Company, Inc. All rights reserved. Classic BattleTech, BattleTech, BattleMech and ’Mech are registered trademarks and/or trademarks of The Topps Company Inc. in the United States and/or other countries. Catalyst Game Labs and the Catalyst Game Labs logo are trademarks of InMediaRes Productions, LLC.
Deutsche Ausgabe Yellow King Productions, Neuöd - Gewerbepark 12a, D-92278 Illschwang unter Lizenz von INMEDIARES PRODUCTIONS, LLC., also doing business as CATALYST GAME LABS.
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Produkt-Nr.: YKBTL02E-Book-ISBN: 978-395752-606-9
EINLEITUNG
Wer nicht selbst vor einem BattleMech gestanden hat, kann die ungezähmte Gewalt und mechanische Präzision dieser zehn Meter großen gepanzerten Kolosse nicht begreifen. Selbst die kleinste dieser Maschinen wiegt 20 Tonnen und kann mit einer Geschwindigkeit und Eleganz über das schwierigste Gelände schreiten – oder springen – die den Betrachter an ihrer Masse und Komplexität zweifeln lässt. Die schwersten Mechs wiegen 90 Tonnen oder mehr und sind mit genug Waffensystemen bestückt, um ein konventionelles Infanterieregiment zu besiegen.
Nur pure Verzweiflung kann unbewaffnete und ungepanzerte Menschen dazu treiben, sich diesen Giganten im offenen Kampf entgegenzustellen, so wie es sich auf Verthandi ereignet hat. Der Planet wechselte im Jahre 3016 den Besitzer, als die Einheiten Haus Kuritas die verteidigenden Steiner-Verbände in der Schlacht um Harvest überwältigten. Zu den Forderungen Lord Kuritas gehörte auch die Herrschaft über die scheinbar unbedeutende Steiner-Welt Verthandi, die an der Grenze der Tamarpakt-Region des Lyranischen Commonwealth lag.
Bis zu diesem Zeitpunkt war Verthandi eine friedliche Agrarwelt gewesen, mit kleinen Dorfsiedlungen zwischen den blaugrünen Bergen. Im Silvanabassin, einer fruchtbaren Talebene, fanden sich vereinzelte Holz- und Kaffeeplantagen, während sich an der tropischen Küste der Blauen See stille Wohnsiedlungen reihten.
Regis, die Hauptstadt des Planeten, wurde von Verthandis Rat der Akademiker regiert, einer demokratischen Regierung, gewählt aus den Professoren für Staatskunde an der Universität Regis. Die seltenen Verbrechen wurden von einer planetaren Miliz untersucht, aber Krieg, Politik und interstellare Intrigen waren Dinge, mit denen der normale Verthander praktisch nie zu tun hatte.
Dann senkte sich die eiserne Faust Kuritas über den Planeten und das Leben auf Verthandi änderte sich von Grund auf.
JANICE TAYLOR
Sie formten Menschen und Schicksale,
Avalon Free Press, 3031
ERSTES BUCH
1
Feuer und Rauchwolken wogten im Nachthimmel über dem sterbenden Dorf. Menschen rannten durch die Straßen, ihre hastig zusammengesuchte Habe an die Brust gepresst oder in Körben hinter sich herziehend, und ihre Schatten wurden von den brennenden Häusern gigantisch und monströs auf den geborstenen Straßenbelag geworfen. Die Luft war erfüllt von Kreischen und Schreien, wirren Rufen, Verwünschungen und gelegentlichen Schüssen. Lauter noch aber war das Tosen des Flammenmeers, in dem das Dorf Bergblick sein Ende fand.
Der MAR-3R Marauder drehte sich schwerfällig um, und die schwerbestückten Unterarme richteten sich auf ihr nächstes Ziel. Dem Schild über den breiten Schaufenstern nach zu urteilen, handelte es sich bei dem Gebäude um einen Agro- und Plantagenbedarfshandel. Auf dem Bürgersteig vor der Ladenfront drängten sich die Flüchtenden, und nicht wenige wurden auf die Straße gestoßen. Ein brennender Wagen beleuchtete die Panik und erzeugte auf den wunderbarerweise unbeschädigten Fenstern ein buntes Lichterspiel.
Die rechte Partikelkanone der Killermaschine leuchtete kurz auf und die Luft zwischen Kanonenmündung und Ziel wurde von einem elektrisch aufgeladenen Energiestrahl von blendender Helligkeit ionisiert. Eines der Schaufenster barst unter der Berührung des künstlichen Blitzschlags, dann explodierte etwas im Innern des Gebäudes — vielleicht ein Düngemittelvorrat — mit einer Wucht, die das Pflaster unter den Füßen des Mechs beben ließ. Die restlichen Fenster explodierten auf die Straße und Glassplitter, Holztrümmer und Stahlbetonbrocken schnitten wie riesige Vibromesser durch die flüchtende Menge. Einen Augenblick lang schienen die oberen drei Stockwerke frei in der Luft zu hängen, dann stürzten sie auf die Trümmer des Erdgeschosses hinab.
Die Trümmer prasselten gegen die Beine des einhundert Meter entfernt stehenden Marauder,während sich eine gewaltige Staub- und Rauchwolke über die Leichen der Opfer und die schreienden Verletzten legte.
Valdis Kevlavic grinste befriedigt. Der Marauder reagierte mit traumhafter Leichtigkeit auf seine sanften Bewegungen, setzte seine Drehung fort und begann mit großen Schritten ins Zentrum des Ortes vorzudringen. Die Infrarotoptiken lieferten ihm grüngefärbte Bilder seiner Umgebung, die dort in weißem Licht verschwammen, wo die Hitze der tobenden Feuer wirre Muster auf den Sichtschirm zeichnete. Gestalten, die vor dem Zorn des Marauders die Flucht ergriffen, wurden zu gespenstisch über den Schirm huschenden grünen Schatten. Kevlavic löste die Autokanone aus, fühlte eine frische Munitionstrommel einrasten und hörte das donnernde Stakkato des todbringenden Schnellfeuergeschützes unmittelbar über seinem Cockpit. Weiße Lichtpunkte zuckten über das Pflaster und fraßen sich mit mörderischem Enthusiasmus durch die Reihen der Flüchtenden.
Diese Machtdemonstration sollte die Regiszentrale zufriedenstellen, dachte Kevlavic. Es hatte zahlreiche Berichte gegeben, in denen Bergblick als Sammelpunkt und Zuflucht für die Rebellen dieser Gegend bezeichnet wurde. Viele der Leichen waren mit Sicherheit Rebellen, auch wenn Kevlavic wenig darum gab. Das würde allen in diesem Tal — vom Silvanabassin bis zu den Grünen Bergen im Osten — demonstrieren, wie Aufrührer behandelt wurden. Nach der Vernichtung von Bergblick würden andere Ortschaften es sich zweimal überlegen, ob sie Verthandis Rebellengeschmeiß Hilfe und Unterschlupf gewährten.
Etwas prallte vom winzigen, gepanzerten Cockpitfenster des Marauders ab und hinterließ auf dem harten Plastik eine helle, sternförmige Narbe. Kevlavic berechnete den Aufschlagswinkel, schwang seine Maschine herum und bemerkte auf der IR-Optik eine Bewegung. Der Scharfschütze hielt sich in den Trümmern eines Kirchturms versteckt und befand sich fast auf gleicher Höhe mit ihm.
Kevlavic ließ den Marauder ein paar Schritte weitermarschieren.
Als seine Maschine über dem halb eingestürzten Glockenturm thronte, konnte er den Scharfschützen sehen, der sich darin verborgen gehalten hatte. Er war kaum dem Knabenalter entwachsen und offensichtlich verschreckt, trug aber denselben militärischen Tarnanzug, den die Rebellen in Verthandis Dschungeln bevorzugten. Der Junge warf sein Gewehr zu Boden und hob die Arme. Die Außenlautsprecher fingen seine schrillen Bitten um Gnade auf.
Nicht zum ersten Mal wünschte Kevlavic, sein Marauder hätte richtige Mechhände, als er den schweren rechten Unterarm der Maschine langsam hob, bis die doppelläufige Armschiene keinen Meter neben dem Knaben hing. Dann schaltete er die Außenlautsprecher ein. Seine durch die Verstärker donnernde Stimme ließ den jungen Scharfschützen zittern. »Im Namen des Generalgouverneurs von Verthandi und der militärischen Einheiten des Draconis-Kombinats, Sie sind verhaftet! Aufsteigen!«
Der Rebell verstand. Er hastete über die Trümmerbrocken des Turmdachs und packte die an den metallenen Unterarm des Mechs geschweißten Haltegriffe. Selbst ein Gegner, der geschworen hatte, eher zu sterben, als sich dem Feind zu ergeben, bekam Zweifel, wenn ihm die Exekution durch einen 70 Tonnen schweren Marauder bevorstand. Langsam und präzise schwang Kevlavic seinen Gefangenen aus den Ruinen empor und über die Straße. In den Gassen, zwischen den Gebäudetrümmern und überall sonst, wo sie nur halbwegs Deckung finden konnten, hockten die überlebenden Bewohner des Dorfes und starrten zu dem Maschinenmonster empor, dessen Silhouette sich scharf vor dem Hintergrund ihres in Flammen stehenden Heimatortes abzeichnete. Kevlavic lächelte. Gut, dachte er. Terror braucht ein Publikum, um Erfolg zu haben.
Langsam und methodisch trampelte Kevlavics Marauder auf die Kirche ein und legte sie in Schutt und Asche. Dann verfolgte er die vor dem Zusammenbruch Fliehenden mit seinem Laser. Der am Arm des Marauders hängende Gefangene schrie und flehte ihn an, aufzuhören. Mit einem letzten Donnern fielen die Reste der Kirche in einer wogenden Staubwolke in sich zusammen.
Kevlavic ließ den massiven Unterarm ein-, zweimal zucken. Der Gefangene kreischte auf und klammerte sich an die Handgriffe, während seine Beine in der Luft strampelten. Kevlavic bewegte den rechten Arm seines Mechs hinüber. Der noch vom Schuss auf den Agroladen heiße PPK-Lauf zog bei der Bewegung Dampfschwaden hinter sich her. Der Gefangene schrie auf, als ihn das heiße Metall streifte, dann stürzte er strampelnd und heulend hinunter auf das acht Meter tiefer liegende Straßenpflaster.
Der Scharfschütze schrie noch immer, als sich der Fuß des Marauders auf ihn herabsenkte.
2
So oft er die Sache auch durchging, Grayson sah nichts, was er noch hätte tun können. Devic Erudins Angebot war die einzige Möglichkeit, die sich der Gray Death Legion während ihres sechsmonatigen Aufenthalts auf Galatea geboten hatte. Wenn er keine Arbeit für seine Einheit auftreiben konnte, musste er sie auflösen, um seinen Männern die Gelegenheit zu bieten, eine Stellung bei einer größeren, besser ausgerüsteten Söldnertruppe zu finden. Galatea war der Hauptumschlagplatz für Söldner aus dem ganzen Lyranischen Commonwealth und Umgebung. Hier versammelten sich Söldnereinheiten und ihre Agenten auf der Suche nach Aufträgen und hierhin kamen Regierungsbeauftragte, um Söldner zu suchen und unter Vertrag zu nehmen.
Das Problem lag darin, dass es so viele Söldnereinheiten gab, die größtenteils volle Mechkompanien von zwölf Maschinen oder sogar ganze Regimenter aufbieten konnten. Die Gray Death Legion besaß bei ihrer Ankunft auf Galatea ganze fünf BattleMechs. Und nur zwei von ihnen, Lori Kalmars Locust und Graysons Shadow Hawk wurden von erfahrenen Kämpfern gesteuert. Im Verlauf der Woche hatten sich fünf weitere MechKrieger der Truppe angeschlossen, von denen zwei eigene Maschinen mitbrachten, so dass sich die Kampfkraft der Legion auf sieben Mechs vergrößerte. Die Einheit hatte auch Techs und Hilfstruppen anheuern können, und ihre Zeit dann damit verbracht, die Leute auszubilden und gebrauchte Bauteile zur Reparatur und Wiederaufrüstung ihrer Mechs zu beschaffen.
Kapitän Renfred Tor vom Sprungfrachter Ärgernis hatte ein paar Luft/Raumpiloten getroffen und rekrutiert, die bei Einsätzen im Raum oder am Boden mit ihren Luft-/Raumjägern als Unterstützung dienen konnten. Feldwebel Ramage verwandelte in der Zwischenzeit die Bodentruppen in eine gut ausgebildete MechAbwehr- und MechHilfsinfanterieeinheit. Inzwischen umfasste die Legion 186 Männer und Frauen, einschließlich aller Besatzungsmitglieder der alten Ärgernis, den Techs, Astechs und Bodentruppen, die sie von Trellwan mitgebracht hatten und der Handvoll erfahrener Veteranen, die sie auf Galatea hatten anwerben können.
Aber Grayson wusste, dass all ihre Arbeit umsonst gewesen war, wenn es ihm nicht schnell gelang, einen Auftraggeber zu finden. Es gab kaum jemanden, der Bedarf für eine Einheit von nicht einmal zwei vollen Lanzen hatte, schon gar nicht, wenn es sich dabei auch noch um eine neugegründete Truppe handelte, die gerade erst einen Feldzug hinter sich hatte. Nach sechs Wochen war der größte Teil des Geldes ausgegeben, das Grayson von der dankbaren Regierung Trellwans für die Befreiung ihrer Welt aus den Klauen des Draconis-Kombinats erhalten hatte. Nach Bezahlung der Hafengebühren Galateas und dem Kauf von Ersatzteilen für die Mechs, Treibstoff, Nahrungsmitteln, Waffen und Munition — nicht zu vergessen den Bestechungsgeldern für Hafenbeamte — hatte Grayson gerade noch genug übrig, um seine Truppen zu bezahlen. Ja, vor zwei Wochen hatte er sogar begonnen, ihnen Wechsel auszustellen, statt sie in C-Noten zu bezahlen. Kein Händler in Galaport akzeptierte die Wechsel einer Einheit als Bezahlung und es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch die Legionäre sie nicht mehr annahmen.
Grayson war Erudin in einer der unzähligen Kneipen im Vergnügungsviertel von Galaport begegnet. Die Bar hieß ›Marauder Bill‘s‹, aber ein früherer Kunde hatte das ›B‹ des Neonschriftzugs zerschossen, so dass dieser jetzt nur noch ›Marauder ill‘s‹ lautete. Renfred Tor hatte den ersten Kontakt mit dem Mann geknüpft und Grayson später mitgenommen, damit er ihn kennenlernte.
Marauder Bill‘s — oder ill‘s — war eines von hundert einander zum Verwechseln ähnlicher Etablissements in einem Kilometer Umkreis um den Raumhafen. Von außen sah man nichts als verdreckten, von der Sonne gebratenen und vom Zahn der Zeit angefressenen Putz, der in der Wüstenhitze Galateas schimmerte. Im Innern des Gebäudes war es dunkel und nur ein bisschen kühler. Die Geräuschkulisse aus ungestümem Gelächter und Gesprächsfetzen wurde untermalt vom Klirren der Gläser und einer gelegentlichen Schlägerei zwischen Betrunkenen. Erudin hatte weit hinten gesessen, abseits der Scheinwerferkegel, in denen sich nackte Tänzerinnen wanden und abseits der schwerbewaffneten Söldner, die sich um einen Sitzplatz an der Bar oder den mittleren Tischen drängten.
Nichts an dem Mann, der zu ihrer Begrüßung aufstand, deutete auf einen MechKrieger hin. Er war einen Kopf kleiner als der schlacksige Grayson Carlyle und seine blassen Augen wurden von einer starken Brille grotesk vergrößert. Die Brille kennzeichnete ihn als den Bewohner eines Planeten ohne die notwendige Technologie für Netzhautimplantate oder korrigierende Augenchirurgie. Lostech nannte man solche Welten, auf denen im Laufe der Jahrhunderte unablässiger Kriegsführung der lange Sturz aus der Zivilisation in die Barbarei begonnen hatte. Allerdings benutzte man diesen Begriff nur für die Welten mit den größten Wissensverlusten. Schließlich hatte die gesamte Innere Sphäre einen ähnlichen Niedergang der Technik und Verlust an wissenschaftlichen Erkenntnissen hinnehmen müssen.
Welcher Auftrag mochte Grayson und seine Söldner auf einer Lostechwelt erwarten?
Er behielt seine Gedanken für sich, als er Erudin die Hand schüttelte. »Sie müssen Grayson Carlyle sein«, eröffnete der Mann das Gespräch. Er sah zwar eher wie ein Bücherwurm aus, aber sein Händedruck war fest und eine Aura ruhiger Entschlossenheit umgab ihn. »Ihr Pilot hat mir viel von Ihnen erzählt.«
»Dann sind Sie im Vorteil, Mr. Erudin, denn ich weiß nichts über Sie.«
»Bürger Erudin bitte, Herr Hauptmann«, erklärte Tor.
»Er ist Anführer einer hübschen kleinen Revolution ein paar Lichtjahrzehnte von hier.«
Diese Bemerkung ließ Grayson fragend eine Braue heben. ›Ein paar Lichtjahrzehnte‹ deutete auf die Grenzregion zwischen dem Lyranischen Commonwealth und dem Draconis-Kombinat hin. Die angespannte Situation dieser Grenzbereiche zwischen den großen Häusern hielt Söldnereinheiten, Waffenhändler und ganze Flotten und Armeen beschäftigt. Die Grenzwelten wechselten mit monotoner Regelmäßigkeit ihren Besitzer.
»Nein, nein, nicht der Anführer«, korrigierte Erudin und nahm wieder Platz. »Ich bin jedoch Repräsentant des Revolutionsrats von Verthandi. Wir befinden uns im Kampf mit Haus Kurita und wir brauchen Hilfe ... wir brauchen dringend Hilfe.«
»Das würde ich auch meinen«, hatte Grayson auf diese Eröffnung bemerkt. In diesem Moment wurden sie von einer jungen Dame unterbrochen, die mehr Federn und Talmi trug als Bekleidung und nach ihrer Bestellung fragte. Tor hatte eine Runde Lugen Coladas bestellt, aber Grayson unterbrach ihn und änderte seine Bestellung in ein Glas Eiswasser um. Dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu und lauschte dessen Geschichte.
Verthandi war der zweite der drei Planeten des Nornsystems, was Grayson wenig sagte. Und warum sollte es? Es gab so viele Welten ... Verthandi war einmal eine friedliche Welt gewesen, erklärte Erudin, die sich ganz der Landwirtschaft gewidmet hatte. Außerdem war Verthandi in weiten Teilen des Commonwealth für seine Universität in der Hauptstadt Regis bekannt gewesen.
»Aber all das war einmal«, fuhr er fort. »Vor zehn Jahren kam es zu einer großen Kurita-Offensive ...«
Grayson nickte. »Ja, auf Harvest.« Damals war er selbst dabei gewesen, wenn auch als zehnjähriger Knabe. In jenem Jahr war er formell zum MechKriegerAnwärter bei Carlyle‘s Commandos, dem Regiment seines Vaters, geworden. Er konnte sich noch deutlich an die Sorgen seines Vaters erinnern, als eines von Kuritas Schwert-des-Lichts-Regimentern während der Schlacht um Harvest im Rücken des Commandos gelandet war. Sie hatten sich zurückziehen müssen, um nicht aufgerieben zu werden. »Als Harvest verlorenging, hat das Commonwealth eine Reihe von Grenzwelten förmlich abgetreten, nicht wahr?«
»Eine davon war Verthandi«, bestätigte Erudin. »Die erste Maßnahme des Kombinats war der Aufbau einer Flottenbasis auf unserem Mond Verthandi-Alpha. Wir waren völlig auf die militärische Unterstützung der Lyraner angewiesen gewesen. Abgesehen von ein paar Frachtern und Kauffahrern hatten wir keine Schiffe — nicht einmal für einen kurzen Flug zu unserem Mond.«
Grayson nickte wieder. Es passte in das Bild einer Lostechwelt, dass Verthandis Bewohner für Transport und Handel auf andere angewiesen waren. Und er wusste, dass Haus Kurita sie sicherlich nicht darin bestärkt hatte, unabhängiger zu werden. Ganz im Gegenteil. Je abhängiger die Verthander von Kurita waren, desto besser für die Draconier. Welten, die technologisch und wirtschaftlich auf das Kombinat angewiesen waren, pflegten nicht zu rebellieren.
Erudin atmete tief durch. »Kaum wussten wir, was uns geschah, da landeten sie Truppen, Ingenieure und schwere Ausrüstung. Ihre Untersuchungen hatten ergeben, dass Verthandi reiche Vorkommen an bestimmten Metallen haben könnte und sie begannen, das Zeug abzubauen.« Er zuckte die Achseln. »Wir haben uns um so etwas nie gekümmert. Wir haben uns mit unseren eigenen Angelegenheiten und unserer Selbstverwaltung beschäftigt. Die galaktische Politik und die Nachfolgekriege waren uns immer weit entfernt erschienen, muss ich leider zugeben.«
Graysons Mundwinkel hoben sich, mehr in einer Grimasse als einem Lächeln. »Das Draconis-Kombinat hält nicht viel von Selbstbestimmung. Sie ziehen Entwicklungshilfe vor.«
»Du meinst, Hilfe für ihre eigene Entwicklung«, stellte Tor klar.
»Darauf lief es hinaus«, gab Erudin zu. »Unsere planetaren Truppen haben sich dem Kampf gestellt, aber man hat einfach zusätzliche Soldaten eingeflogen und den Raumhafen und unsere Hauptstadt Regis besetzt. Dann wurden neue Wahlen angeordnet, bei denen das Kombinat dafür sorgte, dass seine Leute die meisten Ratssitze errang. In der Südwüste haben sie Bergwerke eröffnet, in denen Arbeiter eingesetzt werden, die mit Waffengewalt aus ihren Heimatorten geholt werden. Wir haben uns natürlich gewehrt.« Seine schmalen Schultern hoben sich in einem hoffnungslosen Achselzucken. »Wir haben uns gewehrt. Wir haben nicht aufgegeben ..., aber als sie BattleMechs einsetzten, konnten wir den Kampf nicht weiterführen. Die Dracos haben ganze Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Jedes Haus, in dem man Rebellen vermutete, wurde niedergebrannt, und die Familien von Rebellen wurden erschossen oder in die Bergwerke des Südens geschickt.
Schließlich entschied der Revolutionsrat, dass es höchste Zeit wurde, auf anderen Welten nach Hilfe zu suchen. Ich habe es geschafft, hierher zu kommen, indem ich mich einer verthandischen Frachterbesatzung angeschlossen habe, deren Kapitän offiziell die loyalistische Regierung und das Kombinat unterstützt, insgeheim aber mit uns zusammenarbeitet. Sein Schiff brachte mich nach Volders, und von dort konnte ich einen Flug nach Galatea organisieren. Wir hatten gehört, hier gäbe es Söldner, die man zu unserer Unterstützung anheuern könnte und Funkgeräte, Waffen und andere Ausrüstung, die wir dringend benötigen.«
Die Serviererin kam mit ihren Drinks. Die Eiswürfel klirrten, als sie die Gläser auf den Tisch stellte. »Das macht fünf Kronen fünfzig für die Lugens und drei fünfundzwanzig für das Eiswasser.«
»Ich will ehrlich sein, Herr Hauptmann«, erklärte Erudin ernst, während er das Geld für die Getränke abzählte. »Der Revolutionsrat hat mich hergeschickt, um eine kleine, kampferprobte Truppe als Ausbildungskader zu finden. Unsere Einheiten sind zerstreut ... ach was, sie sind praktisch zertreten worden, wann immer sie versucht haben, sich den Kuritisten zu deren Bedingungen zu stellen. Im Augenblick müssen wir uns im Dschungel und Gebirge verstecken und den Dracos Ärger machen, so gut es geht.«
Erudin betrachtete das Glas in seiner Hand. »Auf diese Weise können wir den Kampf nicht gewinnen. Das wissen wir. Wir brauchen jemand, um den sich unsere Leute sammeln können ... jemand, der ihnen zeigt, wie wir unsere Mittel so einsetzen können, dass wir die Braunröcke schlagen. Mir ist gleich, wie viele BattleMechs sie haben. Wenn sich genug Verthander erheben, kann keine MechTruppe der Galaxis gegen sie bestehen!«
»Heroische Proklamationen, Bürger ...«
Erudin wurde rot. »Ich erwarte nicht, dass ein Söldner das versteht.«
»Auch Söldner können für eine Sache kämpfen, mein Freund, aber ich trage Verantwortung für meine Leute«, erwiderte Grayson leise. »Was können Sie mir sonst noch sagen?«
Der Rest war nicht gerade ermutigend. Auf Verthandi waren Teile von vier Kurita-BattleMechregimentern stationiert. Wenn auch nur eines davon Sollstärke erreichte, würde die Legion sich Hunderten feindlicher Mechs gegenübersehen.
Die Situation war jedoch nicht ganz so hoffnungslos wie sie sich zunächst darstellte, oder Grayson hätte Erudin einfach für das Gespräch gedankt und sich verabschiedet. Die vier Regimentsteile waren über die gesamte nördliche Halbkugel Verthandis verstreut und in Dutzenden von Städten, Dörfern, Flugplätzen und Bergwerken als Garnisonen eingesetzt. Darüber hinaus war bekannt, dass die Kombinationstruppen über zahlreiche Luft-/Raumjäger verfügten, die jedoch weitestgehend auf Verthandis Mond stationiert waren. Schließlich gab es noch acht Regimenter ›Blauröcke‹, loyalistische Miliztruppen unter dem Befehl der Marionettenregierung in Regis. Nach Erudins Auskunft konnten sie zwar Tausende von Infanteristen ins Gefecht schicken, besaßen jedoch eine schlechte Kampfmoral.
»Es gibt keine hundertprozentige Blockade«, hatte Erudin erklärt. »Ihr Kapitän hier hat mir erklärt, dass Sie Ihr Landungsschiff als Kurita-Frachttransporter der Union-Klasse tarnen können. Wenn Ihnen das gelingt, könnten wir Verthandi möglicherweise ungehindert anfliegen. Ich kann Ihnen einen Landeplatz an der Blauen See zeigen, wo der Dschungel Sie vor Entdeckung schützt.« Einmal sicher gelandet, fuhr er fort, würden sie mit dem Revolutionsrat Kontakt aufnehmen. Die Hauptaufgabe der Legion sollte darin bestehen, die verthandischen Rebellen auszubilden, und zwar insbesondere die Infanterieeinheiten in MechAbwehrtaktik.
Es war wahrlich keine beneidenswerte Aufgabe. Die Einheit sollte eine Kurita-Blockade unterlaufen und dann freiwillig auf einer Welt stranden, die von mehreren hundert feindlichen Mechs besetzt war. Sie musste den Kontakt mit einer weit überlegenen feindlichen Armee vermeiden und gleichzeitig die einheimischen Rebellen im effektiven Kampf ausbilden. Die damit verbundene Einmischung in einen blutigen Bürgerkrieg erhöhte noch die Gefahr des Verrats an die Kombinatskräfte. Und selbst wenn sie ihre Mission erfolgreich abschlössen, hing es ausschließlich vom Erfolg einer allem Anschein nach recht unorganisierten Rebellion ab, ob die Gray Death Legion Verthandi je wieder würde verlassen können. Die meisten Söldnereinheiten hätten einen derart risikoreichen und unsicheren Auftrag weit von sich gewiesen.
Aber die Gray Death Legion konnte sich nicht weigern. AgroMechs! dachte Grayson. Wie, in Gottes Namen, wollen diese Rebellen mit AgroMechs einen Krieg gewinnen?
Schließlich erreichten sie eine Übereinkunft. Graysons Zweifel waren zwar keineswegs ausgeräumt, aber die Legion brauchte den Auftrag. Die einzige Alternative bestand darin, die Einheit aufzulösen, damit ihre Mitglieder auf Galatea einzeln ihr Glück versuchen konnten.
3
Galateas F5-Sonne war ein winziger weißer Lichtpunkt in der flimmernden Hitze des frühen Nachmittags. Ungeachtet der Temperaturen wimmelte es auf dem Raumhafen vor Aktivität, insbesondere um Hangar Zwölf, vor dessen Wartungshalle ein Landungsschiff gedockt in der Startgrube hockte. Zwischen dem Schiff und der Halle vollführten lange, flache Lastfahrzeuge, deren Elektromotoren unter dem Gewicht der Container aufheulten, ein kompliziertes Ballett. LaderMechs hievten die Container zu den Besatzungsmitgliedern des Landungsschiffs hinauf, die sie eilig verstauten.
Das Ganze wurde vom Frachtoffizier und seinen Assistenten überwacht. Sie sorgten dafür, dass die Frachtcontainer und Paletten in der vom Computer errechneten Reihenfolge an Bord gingen — um den Aufwand möglichst gering zu halten und die Ladung an Bord auszubalancieren. Nur so war ein ungehinderter Start sicherzustellen. Zwei Hafenbeamte in auffälligen khakifarbenen Uniformen und schwarzen Schirmkappen beobachteten das Treiben aus dem Schatten des Schiffsrumpfes und machten sich geheimnisvolle Notizen auf ihren tragbaren Compads. Nur die dunklen Flecken an den Achseln und im Rücken ihrer Uniformen zeigten, dass auch die Beamten gegen die Hitze nicht immun waren.
Eine in fleckigem Grau und Grün getarnte 20 Tonnen Stinger schritt mit überraschend elegantem Schwung der mechanischen Gliedmaßen über das in der Hitze brütende Feld auf MechHangar Nummer eins des Landungsschiffes zu. Vier Mechs waren bereits an Bord. Zwei Maschinen warteten noch in der Hangarhalle darauf, dass die Techs mit Schweißbrennern, Polyleim und graugrüner Tarnfarbe ihre letzten Arbeiten abschlossen. Überall sah man die Männer der Söldnertruppe, der das Schiff gehörte, ruhelos an den letzten Vorbereitungen für Einschiffung und Start arbeiten.
Grayson Carlyle überprüfte noch einmal den schier endlosen Frachtbrief: Treibstoff und Ersatzteile; genug Nahrungsvorräte, um beinahe zweihundert Menschen monatelang zu versorgen; Werkzeuge und Wartungsmaschinerie für die Techs; sieben BattleMechs und das kleine Gebirge von Ersatzteilen, Vorräten und Munition, das nötig war, sie einsatzbereit zu halten; und die noch weit größere Menge militärischer Vorräte, die ihr neuer Auftraggeber mitnehmen wollte.
»Alles in Ordnung, Hauptmann«, erklärte einer der Hafenbeamten und reichte Carlyle einen Stift. Die Goldbiesen an seinem Kragen wiesen ihn als Leutnant aus, und sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel an seiner Langeweile. »Ihr Frachtbrief stimmt und Ihre Hafengebühren sind bezahlt. Jetzt fehlt Ihnen nur noch die Freigabe.«
Grayson blickte auf das Namensschildchen an der Brust der khakifarbenen Uniformjacke. »So ist es, Leutnant Murcheson.« Er schrieb seinen Namen auf den Schirm des Compads, drückte die Eingabetaste und reichte Block und Stift zurück. »Wir warten nur noch auf unseren Auftraggeber. Mein Erster Offizier bespricht noch die letzten Einzelheiten mit ihm. Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit etwas zu trinken anbieten?«
Murchesons Finger flogen über die Sensortasten, die sein Okay an das Kontrollzentrum des Hafens weitergaben. »Nein, danke. Wir sind im Dienst.« Er blickte hoch, die Augen vor der strahlenden Helligkeit des Himmels zusammengekniffen. Weit über ihnen waren zwei Männer im Korb einer Hebebühne dabei, Namen und Kennziffer des Landungsschiffs zu übermalen. »Geheime Mission, Hauptmann?« Murcheson zeigte in Antwort auf Carlyles Gastfreundschaft höfliches Interesse und seine Stimme war sorgsam neutral aber freundlich. Die Beamten auf Galatea kümmerte es nicht, wohin ein Schiff mit genug Vorräten für einen kleineren Krieg unterwegs war — oder warum.
Trotzdem war Grayson mit seiner Antwort vorsichtig.
»Nur ein frischer Anstrich, Leutnant. Es muss ja nicht sein, dass die Phobos unserem neuen Auftraggeber zeigt, wie viele Jahre sie auf dem Buckel hat, nicht wahr?«
»Wenn Sie es sagen.« Der Tonfall des Beamten machte klar, dass er dem jungen Söldnerkommandanten kein Wort glaubte, drückte aber auch aus, dass es ihm ohnehin gleichgültig war. »Sie können die Startfreigabe auf der Hafenfrequenz anfragen, sobald Sie soweit sind, Hauptmann Carlyle. Und viel Erfolg bei Ihrem Auftrag.«
Grayson sah den Hafenbeamten hinterher, die sich zu dem Schweber begaben, der sie vom Galaport-Kontrollturm hierher gebracht hatte. Dann blickte er zu den beiden Männern hinauf, deren Hebebühne inzwischen wieder auf dem Weg nach unten war. Die verwitterten Buchstaben, die das Schiff als Phobos,Landungsschiff des Freihändlers Ärgernis,identifiziert hatten, waren verschwunden. Einen neuen Namen und eine entsprechende Identifikationsnummer würde das Schiff erst auf dem Flug erhalten, weit entfernt von neugierigen Blicken. Der Beamte hatte recht gehabt. Es war ein Geheimflug, und je weniger Menschen die neue Identität des Schiffes kannten, desto besser.
Er musterte die Männer und Frauen, die unter der heißen Sonne arbeiteten und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Grayson hatte Zweifel, dass selbst die strengsten Sicherheitsvorkehrungen den heilen Ausgang dieser Mission garantieren konnten. Ihr Problem war nicht die Geheimhaltung, sondern das, was sie am Einsatzort erwartete.
Verflucht, dachte er. In was habe ich uns da hineingeritten? Devic Erudin musste mit den Angaben über die feindlichen Stellungen auf seiner Heimatwelt recht haben, sonst war es nur allzu wahrscheinlich, dass die Karriere des Grauen Tods mit dem zweiten Einsatz bereits ein abruptes und blutiges Ende fand.
»Sir?«
Grayson drehte sich um und erkannte Feldwebel Ramage. Der kleine, drahtige, dunkelhäutige Trellwaner war einer der Männer, die sich ihm angeschlossen hat en, als die Legion seine Heimatwelt verließ. Als ältester und erfahrenster Mann der gesamten Infanterietruppe seiner Einheit hatte Ramage die Funktion des Leitenden Unteroffiziers mit Befehl über die Bodeneinheiten der Legion erhalten.
»Hallo, Ram.« Der trellwanische Einzelname des Feldwebels war unvermeidlicher Weise noch weiter zu einem Spitznamen verkürzt worden. »Wie läuft die Einschiffung?«
»Alles läuft nach Plan, Hauptmann. Aber ein paar der Jungs sind etwas ... na ja ... besorgt. Es ist einiges an Gerüchten im Umlauf.«
»Wenn es etwas gibt, das sie wissen müssen, werde ich es bekanntgeben. Sie könnten die Männer daran erinnern, dass es ihnen freisteht, hierzubleiben, wenn sie an unseren Maßnahmen etwas auszusetzen haben.«
Ramage grinste. »Darüber brauchen wir uns bestimmt keine Sorgen zu machen, Sir! Der Gedanke, hierbleiben zu müssen, reicht aus, dass sie sich freiwillig zum Sturm der Festung Luthien melden!«
Das Motorgeräusch eines Wagens lenkte Graysons Aufmerksamkeit wieder auf das Landefeld. Eine hochgewachsene, attraktive junge Frau in einer ausgebleichten und abgetragenen Uniform stieg aus, bezahlte den Fahrer und kam auf Grayson zu. Als Graysons Stellvertreterin hatte Lori Kalmar bei der verbissenen Verteidigung des Thunder Rift auf Trellwan ihr Können im Bereich der MechKriegsführung unter Beweis gestellt. Jetzt lag jedoch ein Schatten der Besorgnis über ihrem Gesicht.
»Probleme?«, fragte er.
Lori schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Er hatte das Geld. Alle ComStar-Arrangements sind erledigt. Wir brauchen nur noch die Startfreigabe.«
Damit waren sie endgültig unter Vertrag. Nicht, dass Grayson an Erudins Wort gezweifelt hätte. Er hatte die Barren des leichten, biegsamen, grauweißen Metalls gesehen und Erudins Erklärung gehört, dass Vanadium zwar auf manchen Welten ziemlich alltäglich, auf Galatea aber nicht vorhanden war. Ein ComStar-Proktor hatte die Ladung, die Erudin und seine Helfer von Verthandi hierher geschmuggelt hatten, geschätzt und ihr einen Wert von nahezu einer Million C-Noten auf dem freien Markt zugeschrieben. Ein Teil davon war für den Kauf von Waffen und militärischer Ausrüstung verwendet worden, nach denen bei den Revolutionären Verthandis verzweifelter Bedarf bestand, Ausrüstung, die Tor mit der Gray Death Legion dorthin transportieren würde. Grayson hatte dem Eulengesicht versichert, dass der Rest des Geldes ausreichte, um die Legion und Tors Schiff zu bezahlen. Mit der Unterzeichnung der letzten Vertragsunterlagen und der Hinterlegung der Gelder im ComStarbüro Galateas hatten sie die letzte Hürde vor dem Start genommen.
Lori war jedoch sichtlich unzufrieden. Das überraschte Grayson nicht weiter, denn für ihn galt dasselbe. Ihn plagten immer noch Zweifel. Die Überlebenschancen der Legion nach ihrer Landung auf Verthandi waren wahrlich bescheiden. Die Ärgerniswürde sie am Sprungpunkt des Nornsystems absetzen und sich dann so schnell wie möglich in ein anderes Sonnensystem zurückziehen müssen. Danach war die Legion völlig auf sich allein gestellt. Wenn die Revolution gelang, war das kein Problem. Aber wenn sie fehlschlug ...
Grayson sah erneut zum heißen Himmel Galateas empor. Haus Kurita war nicht gerade für seine Nachsicht bekannt. Söldner, die für seine Gegner ins Feld zogen und in Gefangenschaft gerieten, hatten keine Gnade zu erwarten. Alles oder nichts — so lautete die Quintessenz des Vertrags mit dem Revolutionsrat von Verthandi.
Sie hatten eine Chance, das wusste Grayson, aber mehr auch nicht. Was würden seine Männer davon halten, wenn er ihnen reinen Wein einschenkte? In welche Situation führte er sie? Würden sie bereit sein, ihm zu folgen? Zwar kann sich keine Militäreinheit den Luxus einer demokratischen Organisation leisten, aber Söldnereinheiten gestatteten ihren Mitgliedern im Allgemeinen etwas mehr Spielraum, ihre Aufträge zu diskutieren, als dies bei regulären Truppen die Regel war. Schon viele Verträge waren für nichtig erklärt und einige Kriege verloren worden, weil ein Söldnerheer den Auftrag ablehnte, obwohl sein Anführer bereits zugestimmt hatte. Der Grund für Graysons Besorgnis lag darin, dass Devic Erudins Angebot sich weniger nach einem Auftrag als nach einem Himmelfahrtskommando anhörte.
Lori schien in seinen Gedanken zu lesen. »Nicht, dass wir eine Wahl hätten, Hauptmann.«
Er lächelte, auch wenn es ihn Mühe kostete. Beinahe ... beinahe hätte er die Hand ausgestreckt, um sie zu berühren, aber die kühle Distanz in ihrer Stimme hielt ihn zurück. Nach Trellwan hatte er versprochen, ihr Zeit zu lassen. Was ist zwischen uns geschehen, Lori? Wir waren uns so nah ... früher...
Er unterbrach diesen Gedanken sofort. Er hatte mehr als genug Probleme, ohne sich auch noch darüber Sorgen zu machen. Er versuchte, fröhlich zu klingen. »Du hast recht. Entweder wir verhungern auf Galatea oder stranden auf Verthandi. Aber das macht es auch nicht leichter, oder? Unsere Leute verlassen sich auf uns.«
Wenn es stimmt, dass der ideale Spion jemand ist, der Schwierigkeiten hat, in einem Restaurant die Aufmerksamkeit eines Kellners zu erregen, war der unauffällige Mann mittleren Alters in der Uniform eines Unteroffiziers der galateischen Hafenbehörde nahezu perfekt. Während des Gesprächs über die Hafenfreigabe hatte er neben Leutnant Murcheson gestanden und kaum ein Wort gesagt. Aber Syneson Lon hatte aufmerksam zugehört und gehofft, dass Hauptmann Carlyle unbedachterweise einen Hinweis auf seine Pläne oder sein Flugziel gäbe. Er hatte Murcheson überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht, dass die Phobos aller Wahrscheinlichkeit nach mit geheimem Auftrag unterwegs war, in der Hoffnung, der Leutnant würde es erwähnen und dem jungen Hauptmann eine unbedachte Äußerung entlocken. Es gab einflussreiche Persönlichkeiten, die sich für den jungen Söldnerführer und das Ziel seiner Truppen interessierten. Jetzt lehnte Lon an einer Strebe der Stauschutzwand vor Hangar Zwölf und beobachtete die Phobos durch ein kleines aber starkes elektronisches Fernglas.
Der Spion hatte schon allerhand über Carlyle und seine Einheit zusammengetragen. Er wusste, dass der alte Frachter Ärgernisam Zenitsprungpunkt des Systems parkte und er kannte seinen Kapitän — Renfred Tor. Er kannte alle MechKrieger, die sich in den letzten Wochen der Gray Death Legion angeschlossen hatten, und er wusste über Carlyles Treffen mit einem gewissen Devic Erudin im Starspan-Hotel Bescheid. Aber Lon hatte noch nicht herausfinden können, woher Erudin kam, und das machte ihm Sorgen. Erudins Heimatwelt war ohne Zweifel das nächste Ziel der Gray Death Legion. Der einzige Hinweis, den der Spion bislang herausgefunden hatte, war die Tarnbemalung der eingeschifften BattleMechs: sie deutete auf eine Welt der Dschungel und dichten Wälder hin.
Als der Wagen mit Lori Kalmar neben dem Legionskommandanten zum Stehen kam, richtete Lon sein Fernglas auf sie. Nach Kalmars Dossier stammte sie von Sigurd, einer Welt in irgendeinem Banditenkönigreich nahe der Peripherie. Carlyle hatte sie auf Trellwan kennengelernt. Lon grinste und ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie es wert war, durchs Fernglas betrachtet zu werden.
Er berührte einen der Kontrollknöpfe und das Glas stellte sich auf die Gesichter des miteinander redenden Paars ein. Kalmar wirkte besorgt. Das Fernglas war darauf eingerichtet, die Lippenbewegungen zur späteren Analyse aufzuzeichnen, aber der Spion hatte sich durch lange Übung zu einem guten Lippenleser entwickelt. Aus seiner momentanen Position konnte er Loris Worte nicht genau ausmachen, aber Carlyle war deutlich zu erkennen.
»Du hast recht«, sagte er. »Entweder wir verhungern auf Galatea, oder wir stranden auf Verthandi.« Die Worte waren so deutlich, als hätte Syneson sie gehört. Mit einem breiten Grinsen senkte er das Fernglas.
Jetzt wusste er, wohin die Gray Death Legion unterwegs war.
4
Schon in der Einheit seines Vaters waren Grayson Stabsbesprechungen endlos vorgekommen. Jedes Mal kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Abteilungschefs über Einzelheiten, die der junge Grayson nur als stumpfsinnige Zeitverschwendung betrachtete. So viele der Auseinandersetzungen hatten sich um Geld gedreht, das ihn damals kaum interessiert hatte. Jetzt, wo er verstand, wie wichtig ein ungehinderter Geldfluss für eine Mech-Einheit war, tat es ihm leid, bei den Sitzungen im Besprechungsraum von Carlyle‘s Commandos nicht aufgepasst zu haben. Aber das änderte nichts an seiner Einstellung Besprechungen gegenüber.
Er hatte dafür gesorgt, dass er als erster im Aufenthaltsraum der Phobos eintraf, der ihm als Besprechungsraum diente. Ihm gingen nicht nur Stabsbesprechungen ganz allgemein auf die Nerven, er hatte auch etwas gegen die Förmlichkeit, mit der viele kommandierende Offiziere solche Situationen angingen. Als die neun Männer und Frauen den Raum betraten und ihre Plätze einnahmen, blieb Grayson sitzen und zwang sich zu einer entspannten, lockeren Haltung. Er war sich darüber im Klaren, dass ein Großteil seines Unbehagens daher rührte, wie wenig er von den meisten Personen wusste, die inzwischen den Führungskern des Grauen Tods bildeten. Mit Ausnahme von Lori Kalmar, Feldwebel Ramage und Renfred Tor hatte er es mehr oder weniger mit Fremden zu tun. Während sie den Vertrag studierten, studierte Grayson sie.
Davis McCall war ein großer, freundlicher Caledonier mit einem sympathischen Grinsen, einem zügellosen Stolz auf seine terranisch-schottischen Vorfahren und einem oft unverständlichen schottischen Akzent. Er hatte seinen eigenen BattleMech mitgebracht, als er in die Legion eintrat, einen 60 Tonnen schweren Rifleman,den er zärtlich Bannockburn nannte.
Neben ihm saß Delmar Clay, schlank, dunkelhaarig und sehr zurückhaltend, was seine Vergangenheit anging — abgesehen von der Mitteilung, dass er einmal zu Hansens Rauhreitern gehört hatte. Er trug immer noch die charakteristische grüne Uniformjacke der Rauhreiter, jedoch ohne Einheitsabzeichen. Was weitaus wichtiger war, Clay besaß ebenfalls einen eigenen Mech, einen 55 Tonnen schweren Wolverine.
Hassan Ali Khaled war dunkelhäutiger, stiller und im Hinblick auf seine Vergangenheit noch verschlossener als Clay. Einmal hatte Khaled jedoch privat zugegeben, dass er den größten Teil seines Lebens als Ikhivan oder Bruder der gefürchteten Saurimat-Kommandos seiner Heimatwelt Shaul Khala zugebracht hatte. Grayson hatte schon von den Saurimat gehört. Welcher MechKrieger der Inneren Sphäre hatte das nicht? Der Name bedeutete ›Schneller Tod‹, und die Gruppe genoss einen ähnlichen Ruf wie einst auf Terra die alten Kampfgemeinschaften der Ninja und der Assassinen. Khaled steuerte die Stinger des Grauen Tods.
Die beiden jüngsten Teammitglieder waren Piter Debrowski und Jaleg Yorulis, ein seltsames Paar. Debrowski war ein aufgeschossener hagerer Slawe mit heller Haut und blondem Haar, während Yorulis kleinwüchsig, gedrungen und schwarzhaarig war. Sie besaßen zwar keine Kampferfahrung, kannten sich jedoch mit Mechs aus. Das hatte Grayson bewogen, ihnen eine Chance zu geben. Er hatte ihnen die beiden erbeuteten 20 Tonnen schweren Wasps zugeteilt.
Am anderen Ende des Tisches saßen die beiden neuesten Mitglieder der Legion, Jeffric Sherman und Sue Ellen Klein. Tor hatte sie erst vor einem Tag in einer Bar in Galaport getroffen. Sie waren die einzigen Überlebenden einer Luft-/Raumjägerstaffel, die sich an der Steinerwelt Sevren einer Übermacht von Feinden entgegengestellt hatte. Als ihre zerstörte Einheit aufgelöst worden war, kamen sie nach Galatea, um nach Söldnertruppen zu suchen, die Jägerunterstützung gebrauchen konnten. Und — es war fast zu schön um wahr zu sein — sie hatten ihre vom Kampf gezeichneten, aber voll einsatzfähigen Chippewa-Jäger mitgebracht. Eines der Landungsschiffe der Ärgernis konnte zwei Luft-/Raumjäger aufnehmen und sie waren auf der Stelle im oberen Backbordladeraum der Phobos untergebracht worden. Erudin wies zwar noch einmal darauf hin, dass die Blockade des Draconis-Kombinats ohne Schwierigkeiten zu unterlaufen sei, aber Grayson war trotzdem froh, die beiden Jäger dabei zu haben.
Schließlich saß noch Ilse Martinez zwischen Ramage und Kapitän Tor, dessen attraktive, schwarzmähnige Cheflandungsschiffpilotin und Erster Offizier. Sie flog zwar schon seit fünf Jahren mit Tor, aber Grayson hatte sie immer noch nicht näher kennengelernt, da sie für die Dauer der Ereignisse auf Trellwan an Bord der Ärgernis geblieben war. Sie war laut, gelegentlich sogar unverschämt, aber Grayson war bereit, Tors Urteil zu vertrauen, der sie als hervorragende Landungsschiffpilotin bezeichnete. Sie hatte sich freiwillig gemeldet — wenn man ihr lautes Insistieren so nennen konnte —, den Grauen Tod an der Kurita-Blockade vorbei nach Verthandi zu schippern.
Grayson musterte sie eingehend, während sie den Vertrag lasen, und ein ungutes Gefühl stieg in ihm hoch. Er war in der Verbundenheit eines regulären SteinerMechRegiments aufgewachsen, das eine Art erweiterte Familie für ihn dargestellt hatte, mit seinem Vater an der Spitze. Auch wenn es immer eine Weile dauerte, bis ein Neuankömmling akzeptiert wurde, war auch er schließlich ein Teil der Familie geworden. Jetzt war Grayson das Oberhaupt einer eigenen Familie. Und die vielen Neuankömmlinge machten ihm zu schaffen, ein Gefühl, das obendrein auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Das musste sich ändern und zwar schnell. Im Gefecht mussten sie auf seine Führung vertrauen und er sich darauf verlassen können, dass seine Anordnungen ausgeführt wurden. Er musste diese Ansammlung von Fremden zu einer funktionierenden Einheit verschmelzen, deren Mitglieder sich blind aufeinander verlassen konnten. Aber wo anfangen?
Mit einem allgemeinen Rascheln legten die neun nacheinander ihre Kopien des Vertrages beiseite und blickten Grayson an. In ihren Gesichtern suchte er nach Gefühlen, fand aber wenig Hinweise. McCall grinste, aber das war für ihn normal. Yorulis erzählte Debrowski einen Witz.
Na gut, dachte Grayson, sieht so aus, als ob ich die Ansprache nicht länger hinauszögern kann.
»Ihr wisst, was ich von diesem Auftrag halte«, setzte er an. »Viel ist es nicht. Ihr könnt an euren Kopien des Vertrags sehen, was wir mit Bürger Erudin vereinbart haben.«
»Aye«, bestätigte McCall, »wirr setz’n uns tief in de Nesseln fuer den wie Laddie, wie ers aussit.«
Grayson hob eine Augenbraue. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob sie jemals in der Lage sein würden, den großen Caledonier über Gefechtsfunk zu verstehen.
»So ist es, McCall — glaub ich.« Ein paar Gluckser ertönten rund um den Tisch und Grayson entspannte sich etwas. »Es sieht nicht gut aus, Leute. Wir sollen eine Rebellenarmee organisieren und ausbilden, die auf diesem Planeten namens Verthandi die letzten zehn Jahre damit zugebracht hat, sich durch den Dschungel treiben zu lassen. Der Vertrag verlangt minimal 900 Stunden Verbleib im System, und diese Zeit kann durch Übereinkunft mit dem Revolutionsrat verlängert werden. Wir sollen Feindkontakte ›wenn möglich ‹ vermeiden, aber wir wissen alle, dass das leere Versprechungen sind. Wenn wir Kurita-Mechs begegnen, werden wir kämpfen müssen.
Die Bedingungen sind einigermaßen großzügig. Wir sind angeheuert worden, Bürger Erudin und die von ihm beschafften Ausrüstungsteile von Galatea nach Verthandi zu schaffen und dann 900 Stunden dort zu bleiben und seine Leute in MechKampf und MechAbwehr auszubilden. Dafür hat Bürger Erudin 150.000 C-Noten als Vorkasse bei der ComStar-Agentur in Galaport hinterlegt. Wir sind autorisiert, damit unsere vorläufigen Spesen zu bezahlen. Darüber hinaus erhalten wir nach Erfüllung unseres Kontrakts weitere 600.000 Cs.«
»Großzügig?« Delmar Clays Gesicht verzog sich zu einer sauren Miene, als er mit der flachen Hand die Luft zerschnitt. »Siebenhundertfünfzigtausend für mehr als 180 Leute ist großzügig? Das macht etwa 4000 pro Nase — wenn wir zurückkommen.«
»Ha! Wir kriegen nicht einmal das,Del«, stellte Ilse Martinez fest und fuhr sich mit einem Finger quer über die Kehle. »Von dem Geld gehen auch noch unsere Spesen ab.«
Piter Debrowski lehnte sich vor. Seine Hände waren verschränkt, als wolle er seinen Eifer zurückhalten. »He, das ist immer noch mehr, als wir mit Rumsitzen in einer Galaportbar verdienen würden!«
Das jugendliche Ungestüm in Debrowskis Stimme bereitete Grayson Schmerzen, obwohl er nur drei Jahre älter war als der Junge. Debrowski und Yorulis stellten ein besonderes Problem bei der Aufgabe dar, die Truppe zu einer Einheit zu verschmelzen. Die beiden hatten sich gemeinsam verpflichtet. Beide hatten in regulären BattleMechregimenten des Commonwealth eine Ausbildung erhalten, waren aber nicht gut genug gewesen, um eine der seltenen freien Pilotenstellen in ihrem Trainingsregiment zu erhalten. Nach Monaten wiederholter vergeblicher Versuche hatte sie beide der Weg nach Galatea geführt. Yorulis kam von Morningside, Debrowski von der Commonwealthzentralwelt Tharkad. Sie hatten sich auf Galatea wiedergetroffen und in der Hoffnung, ihre Chance auf zwei offene Stellen zu verdoppeln, zusammengetan.
Grayson sah die kaum gebremste Begeisterung in ihren Gesichtern. Das war ihre große Chance, möglicherweise ihre einzige Chance, und es war deutlich, dass sie entschlossen waren, sich zu beweisen. Die entscheidende Frage war natürlich, wie sie in ihrem ersten Gefecht reagieren würden. Das war die letzte Abschlussprüfung eines Kriegers.
Grayson lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. »Ich habe euch nie Reichtümer versprochen. Wenn wir länger als 900 Stunden bei diesen Menschen bleiben — wenn wir tatsächlich eine Chance haben, die Kombinatskräfte zu besiegen —, können wir vielleicht mehr heraushandeln. Im Augenblick scheint es so, als könnten wir nicht mehr bekommen.«
Clay schnaufte. »Erudin war mit nicht mehr als einer dreiviertel Million auf Suche nach Söldnern?«
»Er hatte noch andere Ausgaben, Mr. Clay. Seine Einkäufe werden gerade an Bord der Phobos geladen.« Grayson sah sich am Tisch um. Sein Blick blieb einen Herzschlag länger bei Lori hängen, die noch immer den Vertragsausdruck zu studieren schien. »Noch könnt ihr aussteigen, Leute ... das gilt für jeden von euch. Wenn euch die Bedingungen nicht gefallen oder der Auftrag nicht schmeckt, dann sagt es mir jetzt.«
Yorulis lachte. »Hört sich toll an, Hauptmann! Wir sind dabei!«
Grayson wandte sich zu den anderen Neuzugängen der Legion um. »Was ist mit euch? Khaled?«
Bis jetzt hatte Hassan Ali Khaled den schweigsamen Delmar Clay geradezu redselig wirken lassen. Seine unbewegten Augen wirkten fast wie die einer Echse. »Es liegt nicht an mir, euch Ratschläge zu erteilen, Kolamsi.Ihr habt meine Gefolgschaft. Ich gehe, wohin Ihr führt.«
Die Antwort stellte ihn keineswegs zufrieden, aber Grayson wusste, dass er kaum Chancen hatte, mehr zu erreichen. Khaled war ein unbekannter Faktor in den Reihen der Legion.
Lass ihn! sagte er sich. Er blickte hinüber ans andere Ende des Tischs, zu Sherman und Klein. »Was ist mit euch beiden?«
»Wir sind dabei, Hauptmann«, erwiderte Sherman. Grayson bemerkte, dass die Hand des jungen Mannes auf dem Tisch vor ihm über der Sue Ellens lag. Grayson fühlte einen kleinen, schmerzlichen Stich und warf einen schnellen Blick auf Lori, aber ihre Augen begegneten ihm nicht.
Liebschaften und BattleMechs vertragen sich nicht, dachte er traurig. Er würde auf die Beziehung zwischen den beiden achten müssen. Oder war er nur noch verletzt, weil Lori sich von ihm zurückgezogen hatte? Er verstand ihre Gründe immer noch nicht, wusste nur, dass sie Bedenkzeit erbeten hatte. Esist nicht meine Sache, sagte er sich. Es sei denn, es hat einen Einfluss auf die Funktion der Einheit. Dann werde ich es verflucht schnell zu meiner Sache machen!
»Leutnant Martinez, wie lange brauchen Sie noch, bis wir starten können?«
Der Landungsschiffkapitän grinste. »Wir können abheben, wann Sie wollen, Hauptmann ... sobald unser neuer Arbeitgeber seinen kostbaren Müll an Bord hat. Die Mechs sind alle verschnürt und vernetzt und die Reaktionsmassetanks sind voll. Ich würde schätzen, zehn Stunden.«
»Also gut, Leute. Ihr habt noch zehn Stunden, um auszusteigen. Feldwebel Ramage, Kapitän Tor ... haben Sie die Sache mit Ihren Leuten besprochen? Gut. Ich erwarte bis spätestens T minus zwei Stunden einen letzten Bericht aller Abteilungen. Und jetzt wollen wir uns einmal die Karte von Verthandi vornehmen ...«
Am Ende blieb keines der 186 Mitglieder der Gray Death Legion auf Galatea. Die Chancen auf eine Stelle bei einer anderen Einheit waren zu gering. Fast genau zehn Stunden später stieg das Landungsschiff Phobos auf einer Flammensäule in den Himmel Galateas, mit Kurs auf das Sprungschiff, das von schwachen Ionendüsen auf seiner Parkposition am Zenitsprungpunkt der Sonne gehalten wurde. Der Flug dauerte neun Tage.
Am Sprungpunkt Galateas machte die Phobos an ihrem Dockring an der Seite des spindelförmigen Triebwerkskerns der Ärgernis fest. Mannschaft und Passagiere blieben an Bord, hatten aber jetzt Zugang zu den etwas weniger eingeengten Räumen des alten Frachtschiffs.
Grayson fand Lori im Panoramaraum. Der sanfte, aber beständige Schub der Ionentriebwerke war eingestellt und die Ärgernis befand sich im freien Fall auf die Sonne Galateas zu, einen grellleuchtenden, winzigen Lichtfleck in 10 AE Entfernung. Nachdem das Photonensegel eingezogen und für den Sprung verstaut worden war, war die Sonne zu erkennen. Ringsumher summten und surrten die sich aufbauenden gewaltigen Energien in der Vorbereitung eines computergesteuerten Ausbruchs. Eine elektronische Stimme warnte vor dem in einer Minute erfolgenden Sprung. Grayson trieb in die kleine Kammer und hielt sich an einer Stütze fest. Lori hing bewegungslos neben ihm an einem Handgriff der Schottwand. Da sie sich in der Schwerelosigkeit befanden, gab es weder oben noch unten. Sie blickten auf Galateas Sonne, deren grelles Licht selbst aus anderthalb Milliarden Kilometern Entfernung die Sterne überstrahlte.
Weißes Licht gab ihrem blonden Haar einen silbernen Glanz. Grayson fand, dass sie müde wirkte. »Hallo, Hauptmann«, begrüßte ihn Lori, ohne aufzublicken.
»Ich hatte gehofft, dich hier zu finden.« Sie seufzte. »Es ist ... wunderschön.«
»Lori, was ist los? Du siehst total geschafft aus.«
Sie sah ihn an, drehte ihren Körper um den Festpunkt des Haltegriffs. Unter ihren Augen zeichneten sich Ringe ab. »Es ist nichts, Hauptmann. Ich kann nur nicht einschlafen.«
»Zu viel Arbeit?«
Einen Moment zögerte sie. »Hauptmann ... Gray... ich weiß nicht, ob ich das noch einmal mitmachen kann.«
»Du wirst es schon schaffen, Lori.« Er hasste diese Phrase, während er sie aussprach. Er hatte keine Ahnung, ob sie es schaffen würde ... genauso wenig wie sie selbst.
Grayson war sich nicht sicher, was auf Trellwan mit Lori geschehen war. Er wusste nur, dass es ein tiefer, vielleicht traumatischer Schock gewesen war. Wahrscheinlich hatte es etwas mit dem kritischen Augenblick während der Schlacht zu tun, in dem ihr Locust mit flüssigem Feuer übergossen worden war. Über Gefechtsfunk hatte sie nach ihm geschrien, und er hatte sie gehört, Kilometer entfernt. Er hatte seinen Kampf abgebrochen und war über zerklüftetes Bergterrain zurück zum Thunder Rift gerannt, an dem sich Loris kleiner Trupp aus Mechs und Soldaten gegen den Ansturm des Roten Herzogs verteidigen musste. Seine Ankunft hatte die Angreifer auseinandergetrieben und den Kampf beendet. Das Feuer am Locust war gelöscht, Lori war in Sicherheit.
Aber sie hatte sich verändert. Vor dieser Schlacht waren sie einander so nah gewesen. Danach hatte sie sich von ihm entfernt — auf Dauer entfernt. Vor dem Start von Trellwan hatte er versucht, sich ihr zu nähern, aber sie hatte ihn gebeten, ihr Zeit zu lassen, um ihrer Probleme Herr zu werden.
Die warnende Stimme zählte die Sekunden ab. Um sie herum baute sich die Energie für den Sprung auf. Lori gab den Haltegriff frei und die leichte Bewegung trieb sie in Graysons Arme.
»Gray, ich habe ...«
Sprung! Ihr Gesichtsfeld verschwamm und ein innerliches Wringen erfasste ihre Sinne. Zeit verlor ihre Bedeutung, wurde ein endloses Jetzt, während sich um sie herum der Raum öffnete und zu einem gewaltigen schwarzen Schlund wurde ...
»... Angst.«
Er packte ihre Schultern und hielt sie etwas von sich ab. Draußen hatte sich der Weltraum verändert. Die diamantklare Helligkeit der Sonne Galateas war verschwunden und vom näheren, schwächeren Schein eines dumpfen roten Zwergsterns ersetzt worden. Das musste Gallwen sein, der erste Halt in einer langen Kette von Sprüngen, die sie schlussendlich ins Nornsystem führen würde.
Grayson schluckte schwer und zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen, während seine Gedanken die Nachwirkungen des Sprungs verarbeiteten. Hyperraumsprünge hatten unterschiedliche Auswirkungen auf die Menschen, die sie unternahmen, aber angenehm waren sie nie.
»Die haben wir alle«, sagte er, als er endlich wieder sprechen konnte.
Sie sah fort und ihr schulterlanges Haar formte in der Schwerelosigkeit einen goldenen Wirbel. Verdammt! dachte er. Schon wieder Phrasen! Aber wovor hat sie solche Angst?
Er entschloss sich, das Risiko einer Konfrontation einzugehen. »War es das Feuer, Lori? Du hast mir einmal erzählt, dass deine Eltern bei einem Feuer auf deiner Heimatwelt umgekommen sind ... auf Sigurd.«
»Ich weiß es nicht.« Das rote Licht funkelte in den Tränen, die in ihren Augen standen und ohne Schwerkraft nicht fallen konnten. »Ich weiß es nicht. Ich habe ... Träume. Ich wache auf und kann nicht wieder einschlafen. Ich habe Angst, dass ich das ... das nächste Mal zusammenklappe, Hauptmann. Ich schaffe es nicht ...«
Seine Finger gruben sich tiefer in ihre Schultern. »Auf die Art und Weise nützt du niemandem etwas, junge Frau! Es ist völlig natürlich, dass du nach einem solchen Erlebnis das Zittern bekommst. Aber wenn du erst wieder in deinem Mech sitzt und das machst, wofür du ausgebildet worden bist, wird das vergehen. Glaubst du, wir anderen haben keine Angst?«
Sanft löste sie sich aus seinem Griff und schwebte nach hinten, bis ihre Hand den Haltegriff der Schottwand wiedergefunden hatte. »Ich ... ich bin okay, Hauptmann. Ich brauche nur ... Zeit.«
War sie verärgert, weil er ihr zu nahegekommen war? Vielleicht maß sie seinem Auftauchen hier eine romantische Bedeutung bei, sah es als Ausdruck einer Hoffnung, mit ihr ins Gespräch zu kommen und sie in seine Arme nehmen zu können. Und? War er nicht genau deswegen gekommen? Er konnte es nicht bestreiten. Und sie war in seine Arme geschwebt. Was war zwischen sie getreten?
Vielleicht war es für den Augenblick das Beste, eine rein professionelle Abgrenzung aufrechtzuerhalten. Sie brauchte Zeit, und er brauchte eine tüchtige Stellvertreterin. Sie mussten ihre Anstrengungen auf die neuen MechKrieger richten. Wie sollte er sie behandeln, wie sie zu einer funktionstüchtigen Einheit formen? Yorulis und Debrowski, jung und unerfahren. Clay und Khaled, schweigsam und verschlossen. McCall, ein krasser Individualist, der sich nicht scheute, seine Meinung zu sagen — auf eine Weise, die niemand verstand. Lori hatte die Aufgabe, ihm dabei zu helfen, aus diesen Männern ein Gefechtsteam aufzubauen.
»Du brauchst Schlaf.« Seine Stimme war nüchtern und sachlich. »Sprich mit Tors Bordarzt. Vielleicht hat er etwas, das dir helfen kann.« Sie begann zu protestieren, und sein Tonfall wurde schärfer. »Das ist ein Befehl! Ich kann keine Stellvertreterin mit Ringen unter den Augen brauchen!«
Sie zuckte die Achseln und wandte sich ab. »Jawohl, Sir. Wie Sie befehlen.«
Er sah ihr nach, als sie den Panoramaraum verließ. Die Emotionslosigkeit ihrer Antwort schmerzte ihn, und er ärgerte sich, weil sie keine Lösung gefunden hatten. So schön sie auch war und so sehr er sich auch wünschte, die angenehme Nähe wiederzufinden, die sie vor Thunder Rift verspürt hatten, es blieb dabei, dass er sie vor allem als Stellvertreterin brauchte. Ihre Depression bereitete ihm Sorgen.
Lori kehrte in ihr enges Quartier an Bord der Phobos zurück,ohne vorher die Krankenstation der Ärgernis zu besuchen. Sie hatte bereits verschiedene Schlafmittel ausprobiert und hasste den Schleier, den sie über Geist und Körper legten, das täuschende Wohlgefühl, die bleierne Leere des Schlafs, den sie brachten.
Außerdem konnte keine Medizin die wachsenden Schmerzen in ihrem Innern bekämpfen. Sie hatte Grayson gegenüber zugegeben, dass sie Angst hatte, aber sie hatte nicht alles zugegeben. Sollte er doch glauben, dass sie Furcht vor dem Kampf hatte. Sie hatte Angst vor Tod oder Verletzung, so wie jeder geistig gesunde Mensch die Hölle eines BattleMechGefechts fürchtete. Aber wie die anderen hatte auch sie gelernt, diese Ängste zu verdrängen; man handelte nur und ließ sich vom Training und der geistigen Vorbereitung an der Todesangst vorbeitragen.
Sie hatte Angst, aber es war Angst vor ihren Gefühlen, nicht vor dem Kampf. Das Teuflische daran war, dass sie sich Grayson anvertrauen wollte, die Nähe wiederfinden wollte, die sie verbunden hatte. Aber irgendwie gelang es ihr nicht. Eine Mauer stand zwischen ihnen, und sie wusste, dass sie es war, die sich verändert hatte, nicht er.
Aber Lori wusste nicht, was es für eine Mauer war. Sie hatte Angst vor ihren Gefühlen, weil sie es nicht wagte, in sich zu gehen und mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ihr Blick fiel auf den Spiegel an der Kabinenwand, und ihr war, als blicke sie in das Gesicht einer Fremden.
5
1,28 AE von der Sonne entfernt, trat die Ärgernis am Zenitsprungpunkt des Nornsystems wieder in den Normalraum ein. Norn war ein Stern der Spektralklasse K2, kleiner, kühler und roter als der Heimatstern der Menschheit, Sol. Drei Welten umkreisten das Gestirn gemeinsam mit der üblichen Ansammlung von Asteroiden und Kometen. Vor einigen Jahrhunderten hatten skandinavische Siedler diese Welten nach den drei Schicksalsgöttinnen der nordischen Mythologie benannt. Skuld war wolkenverhangen, giftig und heiß. Die ferne Urth war eine Gletscherwelt mit gefrorenen Ammoniakmeeren und Methanstürmen. Und zwischen diesen Extremen von Feuer und Eis lag Verthandi, fast so groß wie Terra, in einer Umlaufbahn am inneren Rand der Lebenszone Norns. Hier blieb Wasser zwar noch flüssig, aber die langen Sonnentage und der hohe Anteil der Infrarotstrahlung machten aus dem größten Teil der Planetenoberfläche eine Wüstenei.
Vom Zenitpunkt aus war Verthandi nur als silberheller Lichtpunkt 23° neben Norn auszumachen. Die Ärgernis hing im Raum und ihre Sensoren forschten angestrengt nach dem verräterischen Flattern von Fusionstriebwerken oder Raumschiffsreaktoren. Bürger Erudin hatte ihnen zwar erklärt, dass die Einheiten des Kombinats keine routinemäßigen Patrouillen an den Sprungpunkten durchführten, aber in den Monaten seiner Abwesenheit konnte sich viel verändert haben.
Als sie ihren langsamen Sturz in Norns Schwerkraftloch begann, lauschte die Ärgernis, ohne ein Zeichen ihrer Anwesenheit zu geben, angestrengt nach Emissionen und Suchimpulsen von Kombinatsraumern. Aus der Umgebung Verthandis und ihres einzelnen, riesigen Mondes drang starker Funk- und Mikrowellenverkehr herüber, aber der Raum um die Ärgernis war sauber. Langsam begann sich das riesige Sprungsegel des Schiffes zu entfalten und legte sich vor Norns Sonnenwind aus Licht und geladenen Atomteilchen. Das Speichernetz sammelte die Energien, die Transformatoren wandelten sie in Hyperladungen um und schickten sie in die Akkumulatoren des Triebwerkskerns, wo sie das Schiff auf den nächsten Sprung vorbereiteten.
»Es gefällt mir nicht«, erklärte Tor. Er stand mit Grayson im von Kabelsträngen durchzogenen Zentralkorridor, der parallel zur Längsachse der Ärgernisverlief. Ein kurzes Stück vor ihnen lagen die Schleusen, die durch die Dockringe des Sprungschiffs zu ihren beiden Reitern führten. Deimos und Phobos waren kommerzielle Systemtransporter, die in Design und Kapazität den militärischen Standardlandungsschiffen der Union-Klasse ähnelten, die von allen Nachfolgerstaaten eingesetzt wurden. Sie waren jedoch nur leicht bestückt. Die Geschütze waren am ungepanzerten Rumpf montiert, so dass die Deimos und die Phobos weniger gut geschützt waren als die militärischen Landungsschiffe, denen sie äußerlich glichen.
Mit Spritzsystemen, die an Schwerelosigkeit und Vakuum angepasst waren, hatten sie auf dem Flug von Galatea zum dortigen Sprungpunkt die Dracheninsignien des Kombinats, einen neuen Namen und eine neue Kennziffer auf den Rumpf der Phobos gemalt. Die Arbeiten waren in fiebriger Eile durchgeführt worden, und niemand in Graysons Stab wagte vorherzusagen, wie erfolgreich ihr Täuschungsmanöver sein würde. Jedes Landungsschiff, das sich einem Planeten näherte, wurde von Computerortung und Transpondersendungen identifiziert, lange bevor patrouillierende Jäger nahe genug herankommen konnten, um ein verdächtiges Schiff in Augenschein zu nehmen. Eine Überprüfung während des Fluges jedoch konnte leicht ernste Folgen nach sich ziehen. Vor ihrem Abflug von Galatea hatte Grayson lange nachgedacht, ob sie eine bessere Landungsschiffbewaffnung brauchten, aber sie hatten dafür kein Geld mehr zur Verfügung gehabt. Auf Grund ihrer erschöpften Geldreserven lag die gesamte Zukunft Graysons und seiner Männer auf Verthandi.
Aber zuerst mussten sie durch die Kombinationsblockade.
»Ich müsste lügen, wollte ich sagen, dass es mir gefällt«, erwiderte Grayson, »aber wenn wir an den Dracos vorbeikommen, sollten wir erst einmal in Sicherheit sein.«
»Sie werden Patrouillen unterwegs haben.«
»Und wir werden wie ein Kurita-Schiff der Union-Klasseaussehen. Sie werden uns zwar nicht erwarten, aber wahrscheinlich schieben sie das auf ungenaue Zeitpläne. Außerdem bezweifle ich, dass sie einen Einbruch erwarten.«
Tor blickte eher zweifelnd drein. »Ich komme wieder. Ihr habt die Funkgeräte?«
»Alles sicher verstaut. Wir schicken genau 900 Standardstunden nach der Landung einen Codeimpuls. Mach dir keine Sorgen.«
»Mach dir keine Sorgen. Das sagst du so einfach in deinem jugendlichen Leichtsinn. Na gut, in genau 980 Stunden ist die Ärgernis wieder hier. Dann kannst du mir mitteilen, was ihr braucht — oder mich hier treffen, wenn ihr fliehen müsst.« Der Ausdruck in Tors Augen zeigte, was sie beide nur zu gut wussten. Wenn die Legion das System verlassen musste, war nicht damit zu rechnen, dass sie sich dabei an irgendeinen vorgegebenen Zeitplan halten konnten.
Sie drückten sich noch einmal die Hände, dann kletterte Grayson durch den Dockring an Bord der Phobos.Die Luken schlössen sich mit dem charakteristischen Zischen der Druckversiegelung, während die Bordlautsprecher der Ärgernis die Startfreigabe bekanntgaben. Druckluft brach lautlos ins All, die Dockklammern schwangen zur Seite, und die Phobos fiel mit einer Geschwindigkeit von drei Metern pro Sekunde von der langgestreckten Nadel des Sprungschiffs. Sobald das Landungsschiff weit genug von der Ärgernis und ihrem empfindlichen, sich immer noch entfaltenden Sprungsegel entfernt war, richteten die Korrekturdüsen die Phobos auf den Lichtfleck Verthandi aus. Ihre Haupttriebwerke flammten auf, und sie stürzte mit stetig wachsen der Geschwindigkeit auf ihr Ziel zu. Hinter ihr, an Bord der Ärgernis, hatte der Aufbau der zum Sprung in den interstellaren Raum erforderlichen Energie bereits wieder eingesetzt. Kapitän Tor wartete fast drei Stunden, dann teilte er den wartenden Dracos per Funk mit, dass die Phobos vom Zenitsprungpunkt des Systems aus zu ihnen unterwegs war.
Das traurige Schluchzen der als Chirimsims bezeichneten Ornithoiden schallte über die offene Steppe des Azurgrashochlands bis in die Universitätsgärten. Es war sogar laut genug, die Verkehrsgeräusche des viel näheren Regis zu übertönen. Von den oberen Turmstockwerken des Verwaltungskomplexes war der Dschungel als fleckige, schwarzgraue Linie vor dem grünstichigen nördlichen Firmament zu erkennen. Generalgouverneur Masayoshi Nagurno nippte an seinem Drink und runzelte die Stirn.
»Amnestie.« Nagumo ließ das Wort auf der Zunge zergehen, als müsse er seinen Geschmack prüfen. Der zierliche Mann mit den orientalischen Zügen und dem bereits wie seine Schläfen ergrauenden Schnurrbart trug die strenge, schmucklos schwarze Uniform eines hohen Offiziers des Draconis-Kombinats. Die einzige Verzierung der mit einem Stehkragen ausgestatteten Uniformjacke waren die in goldenen Katakanasymbolen ausgeführten Namen Kuritas und Herzog Ricols und die über ihnen prangenden runden Drachenwappen in Schwarz auf Rot. An seinem Gürtel trug er in einem Drehzugholster einen tödlichen Nakajima-Handlaser.
In seinem Rücken kämpfte Olav Haraldssen mit seinen Gesichtszügen. Seine rotgoldene Uniform war weit reicher geschmückt als die Nagumos, aber es konnte keinen Zweifel darüber geben, wer auf dieser Terrasse das Sagen hatte. Das Wappen auf Haraldssens Jacke war das Emblem der Universität von Regis. Er war nicht bewaffnet — kein eingeborener Verthander wurde bewaffnet zum Generalgouverneur vorgelassen —, und die Angst in seinem Gesicht war nicht zu übersehen.
»Ihr Rat schlägt allen Ernstes vor, eine Amnestie für diese ... diese Kreaturen zu erlassen?«
»Es ... es scheint uns die beste Methode, Sir. Die Rebellen werden sich nie ergeben oder einem Waffenstillstand zustimmen, wenn sie damit rechnen müssen ... ohne Gerichtsverfahren niedergemäht zu werden ...«
Nagumo wirbelte herum und starrte den Ersten Ratsherren des Rats der Akademiker von Verthandi an. Das Oberhaupt des Planeten sprach weiter, und seine Zunge überschlug sich vor Hast. »Natürlich werden die Anführer festgenommen und Ihrer Behörde zur Befragung übergeben werden ...«
»O ja, mein gelehrter Freund. Die Anführer werden festgenommen werden. Aber glauben Sie wirklich, dass ein Amnestieangebot diese Leute aus ihrem Dschungel locken wird? Eh?«
»Sir, wir müssen ... wir müssen zumindest versuchen,die Bevölkerung zu beruhigen.«
Nagumo war überrascht vom Mut des Mannes ungeachtet seiner offenkundigen Furcht. Haraldssens Hände
