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Was passiert, wenn der Mond vom Himmel stürzt? Seit Jahren jagt in Amelias Leben ein Skandal den nächsten. Als sich sogar ihr Management von ihr trennt, will die Schauspielerin nur noch eins: Rache. Denn für ihren Absturz ist niemand anderes verantwortlich als der erfolgreiche Produzent Andrew Walker. Jetzt will sie ihn zerstören. Unterstützen soll sie dabei Caden Hill, der nicht bloß ein talentierter Manager ist, sondern auch ihr Herz unerwartet schneller schlagen lässt. Und der nicht ahnt, was Amelia wirklich plant … Die Suche nach Gerechtigkeit inmitten von Liebe und Verrat Before the Moon Falls bietet fesselnde Romantic Suspense in der High Society Londons – rund um Rache und Intrigen in den Managements der Filmwelt. Dabei werden wichtige Themen wie emotionaler Missbrauch, insbesondere als Kinderschauspielerin, die Auswirkungen von Traumata und deren Bewältigung sowie der Weg zu sich selbst berührend dargestellt. Aber auch Romantik und Liebe kommen mit dem Trope Bad Girl x Good Guy keinesfalls zu kurz! Das fesselnde Finale der New-Adult-Reihe voller Spannung, Liebe und Prickeln!
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Seitenzahl: 478
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhalt
Liebe Leser*innen, …
Playlist
PrologThe beginning of the endAmeliaZwei Jahre zuvor
Kapitel 1Always at faultAmelia
Kapitel 2I met the devil when I was only twelveAmelia
Kapitel 3What happens after you hit rock bottom?Amelia
Kapitel 4Time for payback, Mr WalkerAmelia
Kapitel 5Searching for one silver liningCaden
Kapitel 6There is no better taste than the sweetness of revengeAmelia
Kapitel 7Our friendship was treacherousAmelia
Kapitel 8What if doing the right thing means doing the wrong thing?Caden
Kapitel 9In this world of snakes he truly is a gentlemanAmelia
Kapitel 10A new version of youCaden
scandalous secretsHow not to …
Kapitel 11Drama follows me wherever I goAmelia
Kapitel 12This tiny mistake will haunt me foreverCaden
Kapitel 13My crown of flowers turned into a shield of thornsAmelia
Kapitel 14All that glitter, but still no spark of hopeCaden
Kapitel 15You stole my lifeboat and left me to drownAmelia
Kapitel 16Lost in a labyrinth full of dead endsAmelia
Kapitel 17Without a plan, the plan goes onCaden
Kapitel 18If a wall stands in your way, grab a hammer and tear it downAmelia
Kapitel 19One step forward, no looking backCaden
Kapitel 20Shattered suns and fallen moonsAmelia
Kapitel 21How could you do this, Sis?Amelia
Kapitel 22I won’t fail againCaden
Kapitel 23A woman with a broken childhood soulAmelia
Kapitel 24My truth for yoursCaden
Kapitel 25Take my hand and let’s be fearlessAmelia
scandalous secretsAuch ein Neuanfang …
Kapitel 26Maybe we will find our old selves againAmelia
Kapitel 27The web of lies tightensCaden
Kapitel 28One death closerCaden
Kapitel 29They think I’m high on drugs while I’m drunk on my own painAmelia
Kapitel 30Lost and foundCaden
Kapitel 31Can you like me for me, even if I don’t like myself?Amelia
Kapitel 32Drowning in the darkness of my pastAmelia
Kapitel 33About perpetrators and witnessesAmelia
Kapitel 34Truth or truthAmelia
Kapitel 35A perfect place for things to fall apartCaden
scandalous secretsCasa Young vs. Walker …
Kapitel 36Maybe we are too good to be trueAmelia
Kapitel 37Midnight rainCaden
scandalous secretsEin Satz mit X, …
Kapitel 38Miss America and her next heartbreakAmelia
Kapitel 39I fell first … for your liesCaden
Kapitel 40Unlocking the pastCaden
Kapitel 41How many times can one single heart break?Amelia
Kapitel 42The unveilingCaden
Kapitel 43Even the best plans can failCaden
Kapitel 44Maybe the real monsters hide in plain sightAmelia
Kapitel 45An impossible choice I can’t possibly makeCaden
Kapitel 46One of us was born to dieAmeliaWenige Minuten zuvor
Kapitel 47I’d rather lose myself than youCaden
Kapitel 48I can never forgive you, but I chose to forget youAmelia
scandalous secretsAdios, Amiga! …
EpilogA brand new eraAmelia6 Monate später
Danksagung
Content Note
Für alle, die ihren eigenen Smallest Man Who Ever Lived überlebt haben.
Für alle, die sich in Anti-Hero wiedergefunden haben, weil sie sich für das Problem halten.
Für alle, die bei The Archer die Frage danach, wer bleiben könnte, immer am lautesten mitschreien.
Ihr seid genug und es wert, geliebt zu werden.
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Content Note.
Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Geschichte!
Wir wünschen euch das bestmögliche Lesevergnügen.
Eure Franka und das Loewe Intense-Team
Playlist
But Daddy I Love Him – Taylor Swift
»Slut!« (Taylor’s Version) (From the Vault) – Taylor Swift Miss Americana & The Heartbreak Prince – Taylor Swift
Forever – Labrinth
Delicate – Taylor Swift
Call It What You Want – Taylor Swift
Look What You Made Me Do – Taylor Swift
teenage dream – Olivia Rodrigo
I Did Something Bad [Reputation Stadium Tour] – Taylor Swift
Still Don’t Know My Name – Labrinth
The Emptiness Machine – Linkin Park
Midnight Rain – Taylor Swift
Who’s Afraid of Little Old Me? – Taylor Swift
The Smallest Man Who Ever Lived – Taylor Swift
thanK you aIMee – Taylor Swift
Matilda – Harry Styles
Anti-Hero (Acoustic Version) – Taylor Swift
All Of The Girls You Loved Before – Taylor Swift
The Archer – Taylor Swift
False God – Taylor Swift
my tears ricochet – Taylor Swift
the grudge – Olivia Rodrigo
Would’ve, Could’ve, Should’ve – Taylor Swift
King Of My Heart – Taylor Swift
The Bolter – Taylor Swift
I Love You, I’m Sorry – Gracie Abrams
it’s time to go – Taylor Swift
Prolog
The beginning of the end
Amelia
Zwei Jahre zuvor
Der Lärm prasselte auf mich ein wie ein heftiges Sommergewitter. Aus allen Ecken drangen schrilles Gelächter und laute Gesprächsfetzen, die sich mit dem wummernden Bass der Musik und dem stetigen Klirren von Gläsern vermischten. Hinter meiner Stirn pochte es gewaltig und am liebsten wäre ich aufgesprungen und weggelaufen. Fort von all dem hier. Fort von mir selbst.
»Einmal die bestellte Champagnerrunde.« Ein Kellner trat an unseren Tisch und stellte die Champagnerflöten vor uns ab.
Sobald er verschwunden war, hoben wir die Gläser. Das Anstoßen erzeugte ein erneutes Klirren, wodurch das Pochen in meinem Kopf noch stärker wurde. Es war alles zu viel. Viel zu viel. Kaum berührte das Glas meine Lippen, leerte ich es in einem einzigen Zug. Mir war es egal, wie tadelnd meine Mutter mich anblickte, wie viel Enttäuschung in den Augen meines Vaters glänzte. Mir war alles egal, weil ich so viel fühlte, dass ich gar nichts mehr empfand. Nicht seitdem ich ihn auf dieser beschissenen Gala gesehen hatte, wie er grinsend und Arm in Arm mit seiner Frau über den roten Teppich stolziert war. Als würde die Welt ihm gehören. Dabei war ich der Grund dafür, dass alle Welt ihn feierte und liebte. Ich und so viele andere Unschuldige, auf deren Rücken er seinen Erfolg aufgebaut hatte.
Übelkeit stieg in mir auf, vermischte sich mit meinem rasenden Herzschlag und dem immer heftiger werdenden Pochen. Der Alkohol benebelte meine Sinne nicht, sondern sorgte dafür, dass alles noch mehr schmerzte. Holte die Erinnerungen hervor, die ich seit Jahren zu verdrängen versuchte. Nie hatte ich mir so sehr gewünscht, dass ich die Bilder der damaligen Zeit einfach aus meinem Kopf löschen könnte wie ungewollte Fotos aus meiner Galerie. Alles drehte sich in mir, doch ich war gefangen in einer Achterbahn, die niemals zum Stillstand kommen würde. Niemals. Bis plötzlich doch alles stehen blieb.
»Familie Young, wie schön, euch alle hier wiederzusehen!«
Augenblicklich überzog Gänsehaut meinen ganzen Körper. Vor Wut. Vor Kälte. Vor Angst. Vor Hass. Ich nahm wahr, wie mein Vater etwas zur Begrüßung sagte. Dem Mann die Hand schüttelte, der kurz darauf meine Mutter umarmte. Doch bevor er sein Wort an mich richten konnte, war ich aufgesprungen. Das Quietschen des Stuhls war so laut, ich war mir sicher, der ganze Raum starrte mich an. Mein Tisch tat es auf jeden Fall. Traurigkeit in den Augen meiner Mutter, die stille Bitte, kein Drama zu machen, in denen meines Vaters.
»Entschuldigt mich«, brachte ich mit kratziger Stimme hervor und war stolz auf mich, dass ich genug Selbstbeherrschung besaß, ihm nicht an die Gurgel zu gehen.
Ohne eine Antwort abzuwarten – das Seufzen meines Vaters sagte bereits genug –, schnappte ich mir die kleine Clutch, die sorgsam über meiner Stuhllehne gehangen hatte, und verschwand. Weg von den Bekannten, die in Wahrheit bloß Fremde waren. Weg von meinen Eltern, die immer den leichten Weg wählten. Weg von ihm, bevor ich mich doch noch vergaß. Wohingegen ich ihn niemals vergessen würde, sooft die Frau in der Klinik mir auch dazu geraten oder meine Mutter mich genau darum gebeten hatte.
Trotz des Schwindels, der mich fest im Griff hatte, schritt ich grazil auf meinen Louboutins davon. Mir meine Gefühlswelt nicht anmerken zu lassen, alles runterzuschlucken, hatte ich bereits mit zwölf beherrscht. Und meine Maske aus kalter Arroganz hatte ich in all den Jahren perfektioniert. Ich suchte mir einen Weg durch die vielen Stars und Sternchen, den Blick starr geradeaus gerichtet und die Lippen zu einer schmalen Linie verzogen. Warum sollte ich ihnen ein falsches Lächeln schenken, wenn sie sowieso ihr eigenes Bild von mir hatten?
Erst als ich die Tür des kleinen Badezimmers erreichte, atmete ich auf. Es tat mir leid, dass ich die barrierefreie Toilette blockieren musste, aber ich brauchte unbedingt einen Moment der Ruhe. Das Schloss klickte leise, als ich die Tür von innen abschloss. Ich trat ans Waschbecken, drehte den Hahn auf und ließ das Wasser über meine Hände, dann auch über meine ganzen Arme laufen. Das kühle Nass war eine Wohltat, doch es half nicht. Nichts half etwas.
Als mein Blick mein Spiegelbild traf, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Oder doch einfach laut losschreien. Die dunklen Schatten unter meinen Augen waren beinahe so tiefschwarz wie meine Haare. Und die scharfen Konturen an meinen Wangen und am Kinn ließen mich krank aussehen. Egal, wie viel Concealer ich auftrug, unter wie viel Puder und Glitzer ich mein Gesicht verschwinden ließ, es war für alle sichtbar. Drogenrausch statt Filmerfolg – Ist Amelia Young endgültig abgerutscht?, schoss mir die Schlagzeile von Scandalous Secrets durch den Kopf, deren Titelseite ich diese Woche erneut hatte zieren dürfen. Mit einem grauenvollen Foto, auf dem ich nicht nur krank, sondern vor allem absolut hilfsbedürftig wirkte.
Natürlich hatten wir die Schlagzeile ignoriert. Sich gegen die Vorwürfe zu wehren, hätte das Ganze nur noch größer gemacht. Zumal: Was hätte ich der Öffentlichkeit auch schon sagen sollen? Die Wahrheit? Dass ich seit Jahren konsumierte, gerade jedoch an einem neuen Tiefpunkt angelangt war? Weil mich vor ein paar Monaten meine beste Freundin hintergangen hatte? Weil ich alles verloren hatte und meine Eltern mich mehrere Wochen weggeschickt hatten, weil sie mich für eine völlige Katastrophe hielten? Und weil meine Schwester mit dem Mann drehte, der mein Leben zerstört hatte, und ich nichts tun konnte, außer zuzusehen und stumm zu beten, dass er nicht auch sie ruinieren würde? Nein, vor allem mit Letzterem konnte ich nicht an die Presse gehen, sonst würde ich die Karriere meiner Schwester Amanda in Gefahr bringen. Und das hatte ich schon oft genug getan, durch all meine Skandale, durch all das Chaos, das ich anrichtete. Eigentlich war es ein Wunder, dass Amanda trotzdem erblüht war wie die Lilie, auf der ihr Zweitname beruhte. Ich schien dagegen nur immer mehr Dornen wachsen zu lassen.
»Reiß dich heute Abend zusammen«, hallten in mir die Worte meines Vaters nach. »Es ist Amandas Abend, mach ihr das nicht kaputt.«
»Bitte, Amelia«, erklang natürlich auch noch die flehende Stimme meiner Mutter.
Mein Vater würde enttäuscht den Kopf schütteln und meine Mutter diesen gequälten Ausdruck in ihren Augen bekommen, wenn sie wüssten, was ich nun tun würde. Doch sie konnten nicht alles haben. Entweder ich riss mich zusammen – auf meine Art – oder ich müsste verschwinden. Es gab nichts dazwischen, keinen Kompromiss.
Geschickt zückte ich das kleine Tütchen aus meinem BH hervor und musterte den puderweißen Inhalt. Genug, um den heutigen Abend zu überstehen. Ich war nicht abhängig, zumindest redete ich mir das ein. Manchmal brauchte es einfach ein kleines bisschen Glückseligkeit, um in dieser Welt zu überleben. Keine Ahnung, wie ich ohne all das die Dreharbeiten und die Klinikzeit durchgestanden hätte.
Bevor die Erinnerungen aufsteigen und meinen Geist endgültig einnehmen konnten, holte ich mein Portemonnaie hervor und riss das kleine Tütchen auf. Legte mir alles zurecht, rollte eine der Dollarnoten, ehe mich auch schon das süße Gefühl der Erlösung überkam. Dass die Drogen nicht so schnell wirkten, war mir klar. Doch allein zu wissen, dass das Gedankenkarussell gleich stoppen würde, half bereits.
Gerade als ich alles wieder sicher verstauen und mich zum Durchatmen auf den Toilettendeckel setzen wollte, öffnete sich die Tür. Auch wenn sie nur leicht aufschwang, zuckte ich zusammen, als wäre sie mit voller Kraft gegen die Fliesen geschlagen. Zu erschrocken, um zu handeln, stand ich einfach nur da, während ein junger Mann in Anzug das winzige Bad betrat.
»Oh shit, sorry! Ich … i-ich wusste nicht, dass jemand hier drin ist. Sorry, es … es war nicht abgeschlossen!« Sofort hob er die Hände und Röte stieg langsam in seine Wangen. Ich versuchte, sein Gesicht zuzuordnen, das von hellbraunen Locken umgeben wurde. War er Schauspieler? Model? Oder eher irgendein Freund von einer der Hauptrollen? Denn er hatte ein viel zu sanftes Gesicht für dieses Business. Er sah verloren und freundlich aus, eine Kombination, die einem in meiner Welt das Genick brach.
Da ich immer noch nicht reagiert hatte, verrutschte sein Blick. Auf das Tütchen. Auf die Überbleibsel des verräterischen Weiß. Auf den Dollarschein, der noch immer zu einem Rohr gerollt war.
»Bloody hell«, fluchte er – und da wusste ich es. Wusste, dass er vielleicht freundlich und verloren wirkte, Regeln jedoch seine oberste Priorität bildeten. Ich erkannte es an der Art, wie er immer noch meine Schandtat musterte, wie ihm langsam der Schweiß ausbrach und er sich durch die braunen Locken strich. Teddybärlocken. Doch wie viel von einem Teddybären hätte er noch, wenn er mich auffliegen ließ und mir damit vielleicht den einen Stoß verpasste, von dem ich mich niemals erholen würde? Ich konnte das Gerede bereits hören: Hast du schon mitbekommen? Amelia Young wurde auf der Premiere beim Koksen erwischt. Erbärmlich, was aus ihr geworden ist. Dabei war sie doch einst so talentiert.
Der Typ machte einen Schritt auf mich zu und ich hätte mich aufrichten sollen. Ihn mit verschränkten Armen anfunkeln, die Beweise im Klo vernichten und einfach verschwinden sollen. Wenn ich in der Menge abtauchte, würde vielleicht alles gut gehen. Doch ich war wie versteinert, konnte mich keinen Millimeter regen und ließ es geschehen, dass er noch einen Schritt näher kam.
»Solltest du jemals den Wechsel deines Managements in Betracht ziehen, dann melde dich. Vielleicht kann ich dir ja helfen.« Seine Stimme war butterweich, fühlte sich an wie eine Wohltat. Er griff in die Tasche seines Jacketts und reichte mir ein kleines Kärtchen. Sein Finger streifte meine Hand und war so warm wie alles an ihm.
Gänsehaut kroch über meinen ganzen Körper, als ich die Buchstaben entzifferte.
Caden Hill
SilverLake Actors | Assistant
Ich hatte mit allem gerechnet, doch nicht damit, dass er mir seine Visitenkarte reichte. Und schon gar nicht damit, dass er mir seine Hilfe anbot. Was sollte das? Warum verriet er mich nicht?
Doch als ich den Kopf hob und ihn genau das fragen wollte, war er bereits verschwunden. Hatte mich allein gelassen mit einem riesigen Fragezeichen, obwohl ich doch alle Gedanken ersticken wollte. Caden Hill. Er war also doch Teil dieser Welt. Arbeitete für SilverLake. Assistent.
Seine Reaktion war mir ein absolutes Rätsel, gleichzeitig stiegen mir Tränen in die Augen. Ein Mann, dem ich gerade eben das erste Mal begegnet war, wollte mir helfen, während meine eigene Familie ein paar Meter weiter am Tisch saß und so tat, als wäre ich das Problem. Dabei wussten wir es alle besser.
Doch als bloßer Assistent würde er nichts für mich tun können. Und wäre er erst Agent, würde er es gewiss nicht mehr wollen. Wer ließ sich schon freiwillig auf einen Fall wie mich ein, besonders am Anfang der eigenen Karriere? Zumal ich ihn ohnehin niemals kontaktieren würde. Denn diese Welt würde ihn früh genug brechen und ich wollte damit nichts zu tun haben.
Zusammen mit den Resten des Koks spülte ich seine Karte daher das Klo hinunter und fragte mich, warum ich nicht alles so leicht aus meinem Leben verschwinden lassen konnte wie diese eine Begegnung, die ich eigentlich nicht vergessen wollte.
Always at fault
Amelia
Das iPad meines Vaters knallte schwungvoll vor mir auf den schwarzen Tisch und ich war mir sicher, nicht mal eine Ohrfeige hätte mich stärker zusammenzucken lassen. Mit einem Mal fühlte die Welt sich regelrecht stumm geschaltet an. Wie bei Noise-Cancelling-Kopfhörern, die es einem erlaubten, die Realität auszublenden und hinter wummernden Bässen zu verschwinden. Nur blieb mir jetzt bloß mein Herz, das gefährlich schnell hämmerte und alles zum Beben brachte, sowie die verärgerte Stimme meines Vaters, die selbst durch den dumpfen Nebel zu mir drang.
Obwohl ich nicht aufschaute, nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie er sich wieder neben meine Mutter auf die andere Seite des Tisches setzte. »Wie kannst du bloß so naiv sein, Amelia? Warum lernst du nie dazu? Nach allem, was passiert ist!« Ich war mir sicher, hätte ich mich dazu entschieden, doch den Kopf zu heben, hätte ich die Ader an seinem Hals heftig pochen sehen.
Aber ich konnte meinen Blick nicht vom Bildschirm lösen. In roten, provokanten Buchstaben prangte der Titel dort und schien mich zu verspotten. Young and sexy – Amelia Young zeigt sich erneut von freizügiger Seite. Schlimmer als die Schlagzeile waren jedoch die Fotos. Hitze schoss mir ins Gesicht und färbte meine Wangen vermutlich in demselben Ton wie den der dunkelroten Unterwäsche, in der ich abgelichtet worden war.
Die Aufnahmen waren aus betrunkener Unüberlegtheit entstanden. Ein One-Night-Stand mit zu viel teurem Wein, bei dem der Typ – Dallas, ein aufstrebendes Model – auf diese hirnrissige Idee gekommen war. Ich hatte im Gegenzug auch Fotos von ihm gemacht, nur hatte ich sie irgendwann von meinem Handy gelöscht. Doch selbst wenn sie noch in meinem Besitz gewesen wären, hätte das nichts geändert. Meine Bilder sorgten für einen weiteren Skandal, seine hätten ihm vermutlich einen Deal mit Hugo Boss eingebracht.
»Die Fotos waren nie für die Öffentlichkeit bestimmt«, wehrte ich mich und schaffte es endlich aufzusehen.
»Denkst du wirklich, das macht es besser? Mein Gott, Amelia«, herrschte mein Vater mich an und verzog wütend die buschigen Augenbrauen, die ich von ihm geerbt hatte. Generell kam ich optisch deutlich mehr nach ihm als nach meiner Mutter, hatte dasselbe ovale Gesicht mit den zu markanten Wangenknochen, dieselben Augen, die immer müde aussahen, und dieselben vollen Lippen, die er in diesem Moment streng zusammenpresste. Ich war schön, aber auf eine kühle, extravagante Art. Ständig wurde mir gesagt, ich sollte mehr lächeln, freundlicher schauen. Meine Schwester besaß dagegen die weiche Eleganz meiner Mutter und wurde für ihre warme Ausstrahlung bewundert.
»Statt mir Vorwürfe zu machen, solltet ihr lieber Dallas die Anwälte auf den Hals hetzen. Schließlich hat er die Bilder an die Presse verkauft. Gegen meinen Willen!«, erklärte ich.
»Du hast diese Fotos von dir machen lassen. Was hast du denn gedacht, was Dallas mit ihnen anstellen würde? Er ist ein erfolgloses Model, natürlich verkauft er solche Bilder von dir. Wobei ich mich wirklich frage, wie viel sie noch wert sind, so häufig, wie du freizügig abgelichtet wirst. Hat irgendeiner deiner anderen Ex-Lover noch ein Nacktfoto, auf das ich mich vorbereiten muss?«
Meine Augen begannen zu brennen und ich ballte die Hände zu Fäusten. Wich dem Blick meines Vaters aus und konzentrierte mich stattdessen auf die Einrichtung unseres Esszimmers, mit seinen dunklen Möbeln und der ebenso trostlosen Deko. Bloß keine Farbe, bloß keine Lebensfreude. Selbst das Gemälde hinter meinen Eltern war schwarz-weiß. Irgendeine abstrakte Kunst, die sie ein Vermögen gekostet hatte. Davon besaßen wir viel. So wie von den perfekten Familienfotos, bei denen mich jedes Mal der Wunsch überkam, sie von der Wand zu reißen. Das Einzige, was ich an unserem Penthouse mochte, war der Blick auf Manhattan. Auf die Skyline, die mich immer beruhigte. Gerade hatte ich die Fensterfront allerdings in meinem Rücken, sodass sie mir keinen Halt bieten konnte. Doch immerhin tauchte die Spätnachmittagssonne das Esszimmer in ihr goldenes Licht und versprach einen Hauch von Wärme, den man hier nie fand.
»Graham«, sagte meine Mutter besänftigend. Anstatt sich jedoch auf meine Seite zu stellen, legte sie ihre Hand auf den Arm meines Vaters und fuhr mit ihren perfekt manikürten Fingern kleine Kreise über den Stoff seines Hemdes. Seide. So wie ihr Kleid.
Mein Vater seufzte laut. »Tut mir leid, Isabella. Doch sie sollte es inzwischen wirklich besser wissen. Erst letzte Woche die Bilder, auf denen sie lasziv mit einem Mann getanzt hat, und jetzt das. Sie schadet nicht nur sich selbst, sondern unserer ganzen Familie. Vor allem Amanda. Was glaubst du, was Netflix davon hält, dass die Schwester ihres Superstars sich so aufführt?«
Seine Worte gruben sich tief in mein Herz. Natürlich interessierte ihn nur meine Schwester. Wie sollte es auch anders sein? Was es für mich bedeutete, dass diese Bilder veröffentlicht worden waren, war ihm egal. Wie verwundbar, wie entblößt ich mich fühlte, war ihm egal. Ich war ihm egal.
Weil du eine Enttäuschung bist, Amelia. Weil du das schon immer gewesen bist.
Wehmütig blickte meine Mutter mich an. »Wieso verhältst du dich nur so? Du hattest die Chance zu etwas ganz Großem. Du warst dabei, eine der gefragtesten Schauspielerinnen deiner Generation zu werden … und jetzt?«
Die Tränen, die ihre Augen glänzen ließen, schnürten mir die Kehle zu, während gleichzeitig Wut in mir aufbrodelte. Schließlich kannten sie beide die Wahrheit. Wussten, was er mir angetan hatte, wussten, warum ich mich selbst so verloren hatte. Sie hatten sich bloß dazu entschieden, das alles zu ignorieren, weil es nicht in ihr erwünschtes Weltbild passte.
»Mit all deinen Dramen ist nun aber Schluss, Amelia. Diese Familie kann sich keinen weiteren Skandal um dich leisten. Mir reicht es«, sagte mein Vater.
Unter seinem kalten Blick begann ich zu frösteln, weshalb ich sofort wieder den meiner Mutter suchte. Doch sie senkte bloß den Kopf.
»Was soll das heißen?« Mit einem Mal klang meine Stimme ganz dünn.
»Soll heißen, dass du eine Auszeit hast. Drei Monate in einer Klinik ohne Internet, ohne Handys, ohne die Möglichkeit, irgendeine Scheiße zu bauen. Wir haben deinen Vertrag bereits aufgelöst, und bis du nicht wieder auf der richtigen Bahn bist, liegt deine Karriere auf Eis.«
Alles in mir erstarrte. Wie hatte ich diesen Menschen nur einst so bewundern können? Als Kind waren meine Eltern immer meine Vorbilder gewesen. Talentierte Schauspieler, erfolgreiche Manager, liebevolle Menschen. Doch ihr wahres Gesicht zeigten die meisten erst, wenn es schwer wurde. Dass meine Eltern nicht so mitfühlend waren, wie sie sich öffentlich gaben, hatte ich bereits in meiner Jugend spüren müssen. »Ihr schmeißt mich aus unserem Familienmanagement und wollt mich wieder wegschicken?«
Letzteres hatten sie schon einmal getan, als mit einundzwanzig ein Video von mir viral gegangen war, das gezeigt hatte, wie ich auf einer Party in einem alles andere als guten Zustand Drogen nahm. Auch damals hatten sie mich in eine Klinik gesteckt – die eigentlich keine gewesen war, sondern vielmehr ein Ort, an dem Prominente untertauchten. Mit angeblichen Therapeuten, die nicht mir hatten helfen sollen, sondern meinen Eltern, die unter der schlechten Presse litten. Sicher wäre es dieses Mal wieder so.
Dabei wären wir vielleicht niemals hier angelangt, wenn sie vor all den Jahren einfach nur auf ihre Tochter gehört hätten. Ihr geglaubt und geholfen hätten. Doch unser Ruf, ihr Ruf, hatte stets an der ersten Stelle gestanden. Genau wie jetzt.
»So müssen wir uns wenigstens drei Monate nicht jeden Tag darum sorgen, was die Medien heute wieder über unsere Tochter berichten«, gab mein Vater es selbst zu. »Und wer weiß – vielleicht hat der Aufenthalt dieses Mal ja mehr Erfolg. Oder vielmehr überhaupt Erfolg.« Er klang nicht so, als würde er wirklich daran glauben. Als würde er an mich glauben.
Fassungslos starrte ich ihn an, während er mich weiterhin ohne jegliches Mitgefühl musterte. Ein Stich ging durch meine Brust. Fest und schmerzhaft. Und um nicht vor ihnen zusammenzubrechen, klammerte ich mich an meine Wut. »Vergesst es! Ich gehe garantiert in keine Klinik. Und ihr könnt mich auch nicht zwingen. Das ist mein Leben, ihr habt kein Recht, darüber zu bestimmen. Und wisst ihr, was? Ihr könnt mich mal! Ihr habt genug von mir und meinen Skandalen? Gut, mir reicht es nämlich auch!« Damit stürmte ich aus dem Raum.
Meine Eltern riefen mir etwas hinterher – meine Mutter versuchte, mich zu beruhigen, während mein Vater mich anschrie, ich hätte so nicht mit ihnen zu reden. Doch ich blendete ihre Worte aus.
Die Tür zu meinem Zimmer schlug ich extra laut zu und schnappte mir dann den schwarzen Koffer, der direkt neben meinem Schrank stand. Früher hatte ich ihn regelmäßig gebraucht und teilweise mehr daraus gelebt als aus meinem Kleiderschrank. Doch diese Zeiten waren vorbei. Ohne nachzudenken, warf ich alles Mögliche hinein, bis der Koffer vor Kleidung überquoll und ich vor einem großen Haufen Chaos stand. Dass ich dabei die ganze Zeit geweint hatte, realisierte ich erst, als ein Schluchzen aus mir hervordrang. Ich war so wütend. Ich war so verletzt. Und ich war so unglaublich müde.
Ein leises Heulen weckte meine Aufmerksamkeit und sofort wurde mein Herz ein bisschen leichter. Niemals leicht, aber manchmal weniger schwer. »Hab ich dich geweckt, Baby? Das tut mir leid.« Mit schnellen Schritten ging ich zu dem riesigen Hundekörbchen, das direkt vor der gläsernen Fensterfront stand.
Coco schenkte mir ihr süßes Hundelächeln, wobei ihre Ohren nach unten geknickt waren und ihr Schwanz freudig wedelte. Kaum berührten meine Hände ihr weiches Fell, lächelte ich. Das kleine Shiba-Mädchen war die einzige Seele, die mich bedingungslos liebte. Eine traurige Tatsache, wohnte ich doch im Haus der Menschen, denen dieser Satz gelten sollte. Noch trauriger war jedoch der Fakt, dass Coco eigentlich nicht mir, sondern meiner Schwester gehörte. Amanda hatte sie eines Tages mitgenommen, weil sie die Hündin im Schaufenster einer dieser grausigen Tierläden gesehen und sich »sofort in diese Knopfaugen verliebt« hatte. Dass der Welpe auf keins ihrer Kommandos reagierte und mehr Zeit beanspruchte, als Amanda gedacht hatte, war ihr dann aber zu viel gewesen. Bevor sie Coco jedoch hatte weggeben können, war sie meine Hündin geworden. Auf mich hatte sie von Anfang an gehört.
Mit Coco an meiner Seite, die immer wieder meine Hand ableckte oder mich wimmernd dazu aufforderte, sie zu streicheln, schaffte ich es, das Durcheinander, das ich in meinem Koffer angerichtet hatte, zu sortieren und meinen wichtigsten Besitz zu packen. Immer wieder klopfte es an der Tür und die Stimme meiner Mutter drang zu mir durch, doch ich ignorierte sie. Ignorierte sie so, wie meine Eltern meinen Schmerz seit Jahren ignorierten. Irgendwann wurde es jedoch still. Da fiel mir ein, dass sie heute Abend noch ein Geschäftsessen hatten. Umso besser. Dann wären sie nicht hier und konnten mich auch nicht aufhalten.
Erst als ich alles verstaut hatte und die Koffer musterte, wurde mir bewusst, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wohin ich gehen sollte. Wohin ich gehen konnte. Ich hatte keine wirklichen Freundinnen und meine wenigen Bekanntschaften waren nicht eng genug, um für Wochen, vielleicht sogar Monate, bei einer von ihnen einzuziehen. Früher hatte ich nur eine Freundin gebraucht, doch diese hatte mich verraten.
Die Einsamkeit und das Vermissen trafen mich so heftig, dass ich die eine Sache tat, die ich bis heute nicht sein lassen konnte. Ich schnappte mein Handy, gab ihren Namen in die Suchleiste bei Instagram ein und öffnete ihr Profil.
@LoraineLewis. Der Kreis um ihr Profilbild leuchtete bunt auf, und obwohl ich wusste, dass ich es bereuen würde, öffnete ich ihre Story.
Es war lediglich ein Repost von HBO, die neue Filmbilder ihrer bevorstehenden Serie Smoke of Water geteilt hatten, in der Loraine die Hauptrolle spielte. Zwar war meine ehemalige beste Freundin schon immer ein privater Mensch gewesen, trotzdem hatte ich mir mehr erhofft. Vor allem nach dem, was vor ein paar Monaten passiert war. Loraine war bedroht worden. Anscheinend war die Situation sogar gefährlich geworden und trotz allem, was zwischen uns passiert war, hatte ich mir Sorgen um Loraine gemacht.
Einfach nur erbärmlich, nach dem, was sie dir angetan hat!, höhnte die Stimme in meinem Kopf. Und dennoch tippte ich auf das kleine Symbol, das mich zu ihren Markierungen führte. Es war nicht nur erbärmlich, dass ich ihr Profil immer noch hin und wieder aufrief, sondern vor allem traurig. Ich war traurig. Doch obwohl sie mir das Herz gebrochen hatte und ich nie, nie wieder ein Wort mit ihr wechseln wollte, war da ein Teil in mir, der immer noch nicht verstand. Nicht verstand, wieso sie mich damals hintergangen hatte und wie aus unserer Freundschaft, die mir alles bedeutet hatte, ein großes, klaffendes Nichts hatte werden können.
Bevor ich mich weiter auf Loraines Account verlor, schloss ich Instagram bestimmt wieder und öffnete stattdessen die Uber-App. Ich brauchte keine Freunde, bei denen ich unterkommen konnte. Ich schaffte das auch so. Schließlich hatte ich das schon immer gemusst.
Nachdem ich mir ein Fahrzeug vor die Tür bestellt hatte, erhob ich mich vom Bett und schnappte mir meine Handtasche.
»Lust auf einen kleinen Ausflug, Coco?«
I met the devil when I was only twelve
Amelia
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte ich von einem Spaziergang mit Coco in das Zimmer zurück, das nun vorerst mein Zuhause sein würde. Ich hatte keine Ahnung, wie weit meine Eltern gehen würden, und wollte es ehrlich gesagt auch nicht herausfinden. Natürlich hatte ich die Wahrheit gesagt; sie konnten mich nicht zwingen, in eine Klinik zu gehen, zumindest nicht rechtlich, aber sie hatten schon immer irgendwie ihren Willen durchgesetzt. Und dass sie unseren Vertrag aufgelöst hatten, war Beweis genug, dass die Lage ernst war.
Also war ich kurzerhand ins Soho Grand Hotel gezogen. Dank meiner eigenen Kreditkarte hatten meine Eltern keine Chance, mich zu finden. Immerhin eine Sache hatte ich in meinem Leben richtig gemacht: Ich hatte mein Geld stets auf ein eigenes Konto gezahlt. Das Hotel war zwar keine Dauerlösung, aber für ein paar Tage würde es gehen.
Frisch geduscht und in meinen Bademantel gekuschelt, ließ ich mich schließlich in das weiche Bett mit seinen teuren Laken fallen, während Coco auf dem winzigen Sofa schlief. Ich konnte von Glück sprechen, dass ich bereits einige Reisen mit ihr erlebt hatte und es für sie nie ein Problem war, nicht zu Hause zu sein.
Friedlich brummte sie vor sich hin, während in mir immer noch das Gefühlschaos herrschte. Normalerweise ging ich in solchen Momenten feiern, um mich abzulenken. Zwar hatte ich meine schlimmste Phase inzwischen hinter mir gelassen, trotzdem waren laute Musik und Alkohol an manchen Tagen die einzigen Mittel, die mir halfen zu vergessen. Eigentlich war Alkohol immer das einzige Mittel, das mir half.
Doch genau das war das Problem, nicht wahr?
Ich unterdrückte den Drang, einen der Clubs aufzusuchen, und schaltete stattdessen den Fernseher ein, wo irgendeine Realityshow lief. Hoffentlich würde das laute Geschrei der Teilnehmer, die sich wegen irgendetwas stritten, meine eigenen Gedanken übertönen.
Da leuchtete mein Handy auf. Mein Herz machte einen hoffnungsvollen Satz, weil es glaubte, die Nachricht wäre von meinen Eltern. Dass sie sich entschuldigen würden.
Aber natürlich irrte ich mich. Stattdessen war es nur eine Push-up-Nachricht. Zu einem neuen Artikel von Scandalous Secrets. Allein der Titel ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Trotzdem klickte ich auf den Link.
Kaum hatte der Beitrag geladen, erstarrte alles in mir.
Walkers Problemkind
In den vergangenen Tagen häufen sich die Schlagzeilen rund um Schauspielerin Amelia Young. Während seiner Pressetour in New York äußerte sich nun auch Starregisseur und Amelias Entdecker Andrew Walker zu den Skandalen. Er hat die Schauspielerin einst für seine erfolgreiche Kinderserie Debbie’s Diaries gecasted und die damals zwölfjährige Amelia berühmt gemacht.
»Sie war perfekt für die Rolle. So munter und einfach eine tolle Gesellschaft. Sie war wie Rosie genau die beste Freundin, die jeder an seine Seite braucht«, verriet Walker uns im exklusiven Interview.
Doch schon bei den Dreharbeiten soll Amelia Young sich von einer nicht ganz so rosiegen Seite gezeigt haben. »Sie war immer mein kleines Problemkind«, gestand Walker seufzend. »Trotzdem hätte ich nie erwartet, dass sie dermaßen vom richtigen Weg abweicht. Beim Dreh habe ich es bloß für eine rebellische Phase der Pubertät gehalten; mit ihrem jetzigen Verhalten hätte ich niemals gerechnet. Es ist so schade – sie war ein solch süßes Kind und vor allem eine wirklich talentierte Schauspielerin! Ich habe immer sehr gerne mit ihr gearbeitet, eben weil sie das Talent ihrer Eltern besitzt. Doch nicht jeder kommt mit dem Erfolg klar. Und Amelia Young ist wohl leider eine von denen, der alle Türen offenstehen und die dennoch die eine wählt, die sie in die Verdammnis führt.«
Auch wir sind ganz erschüttert über die jüngsten Ereignisse. War Amelia Young einst ein Vorbild für Kinder, ist sie mittlerweile unser aller Sorgenkind. Wir können nur hoffen, dass sie ihre Probleme in den Griff bekommt und doch noch auf den richtigen Pfad abbiegt.
Eine Hoffnung, die auch Andrew Walker teilt: »Ich würde mich freuen, wenn sich unsere Wege irgendwann noch mal kreuzen würden. Damals konnte ich sie leider nicht auf die Art beeinflussen, wie sie es wohl gebraucht hätte. Doch wer weiß, welches Ende die Geschichte bei einem zweiten Versuch nehmen würde?«
Das konnte nicht wahr sein. Das konnte nicht sein Ernst sein!
Hitze durchströmte mich, nur um kurz darauf von eiskaltem Angstschweiß abgelöst zu werden. Ruckartig sprang ich vom Bett auf, was Coco mit einem leisen Winseln quittierte. Und auch wenn dieses Geräusch normalerweise dafür sorgte, dass all meine Aufmerksamkeit auf meiner Hündin lag, hatte ich gerade nur Augen für den Artikel.
Sie war immer mein kleines Problemkind. Es ist so schade – sie war ein solch süßes Kind und vor allem eine wirklich talentierte Schauspielerin!
Er hatte kein Recht, kein Recht, so über mich zu reden! Allein meinen Namen in den Mund zu nehmen, nach allem, was passiert war. Nach allem, was er mir angetan hatte.
Obwohl ich ganz genau wusste, dass ich es bereuen würde, öffnete ich die Kommentare unter dem Beitrag. Sofort flutete ein spitzer Spruch nach dem anderen meinen Bildschirm. Dass ich mich schämen sollte. Dass es traurig wäre, was ich aus mir gemacht hätte. Dass es vielleicht an der Zeit wäre, dass ich keine Aufmerksamkeit mehr bekam, da man mein selbstzerstörerisches Verhalten sonst nur unterstützen würde.
Mir entwich ein Schnauben, das sich kurzerhand in einen erstickten Schrei verwandelte, mit dem ich mein Handy mit voller Wucht gegen die Wand donnerte. Erst als der dumpfe Aufprall erklang, gefolgt von einem Knacken, sank ich zurück auf mein Bett. Spürte, wie die erste Träne über meine Wange lief. Starrte auf meine zitternden Hände und fragte mich, wie ich je wieder glücklich werden sollte, wenn die ganze Welt mich hasste.
»Die erste Folge ist im Kasten und ich bin mir sicher, die Zuschauer werden sie lieben. Zur Feier des Tages gebe ich eine Runde Take-out aus, bestellt, was ihr wollt«, sagte Andrew mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Seine Zähne strahlten beinahe, so weiß waren sie, was im extremen Kontrast zu seiner gebräunten Haut stand.
Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, brach das ganze Set in Jubel aus und ich stieg lächelnd mit ein.
»Wir sehen uns in fünfzehn Minuten drüben in der Halle, damit ihr euch vorher umziehen könnt. Bis gleich!«
Ich wollte gerade den anderen folgen, da berührte mich eine Hand an der Schulter.
»Amelia, du solltest vielleicht noch kurz hierbleiben.«
Beim Klang seiner warmen Stimme zuckten meine Mundwinkel nach oben und ich ermahnte mich, ruhig zu bleiben. Als ich mich zu Andrew drehte, dessen Aufmerksamkeit nun vollkommen auf mir lag, schlug mir das Herz bis zum Hals. Er würde mich nun bestimmt loben. Mir sagen, wie gut ich meinen Part gespielt hatte. Auch wenn ich bloß die Nebenrolle der besten Freundin erhalten hatte, wusste ich, dass sie mir alle Türen öffnen würde. Und ich konnte es kaum erwarten.
»Klar, was gibt es denn?« Die Aufregung ließ meinen ganzen Körper kribbeln, als ich mich zu Andrew umdrehte.
»Du weißt ja, dass dein Vater und ich ziemlich gute Freunde sind, weshalb ich die Rolle auch mit dir besetzt habe. Aber …« Das Lächeln war immer noch da, nur hatte es an Strahlkraft verloren. Wirkte irgendwie … erzwungen.
Unwillkürlich zog sich mein Magen zusammen. »Aber?«, fragte ich, plötzlich unsicher.
»Aber es ist deine Figur. Kann es sein, dass du seit dem Casting zugenommen hast?«
Seine Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht und alles in mir kam zum Stillstand. Mein Körper wurde taub und jeder Gedanke verpuffte einfach.
»Es ist nicht schlimm, wenn dem so ist, das bekommen wir in den Griff. Aber unsere Stylistin hat mich darauf angesprochen, dass wir die für dich geplanten Kostüme eventuell neu bestellen müssen, weil sie alle etwas knapp sitzen. Versteh mich nicht falsch, es ist nicht schlecht, wenn du etwas Haut zeigst. Aber die Zuschauer wollen einen flachen Bauch sehen und keine Speckfalten, oder siehst du das anders?« Er legte mir erneut seine Hand auf die Schulter, zwinkerte mir zu. Das Lächeln, das ihn zuvor noch so freundlich hatte wirken lassen, sorgte nun dafür, dass mir noch kälter wurde.
Meine Gedanken rasten. Stimmte es? Hatte ich wirklich zugenommen? Ja, die Kleidung saß eng, aber das war schon bei der Anprobe vor ein paar Wochen so gewesen. Oder?
Nein, ich musste mich täuschen. Wenn Andrew und die Stylistin sagten, dass ich das Problem war, dann musste es so sein.
»Vielleicht solltest du heute Abend lieber auf die Pizza verzichten. Nicht dass ich die Rosie doch noch anders besetzen muss. Deine Eltern wären gewiss ziemlich enttäuscht von dir«, meinte Andrew mit mitfühlendem Tonfall.
Ich nickte bloß und Andrew entließ mich aus der Unterhaltung.
Zurück bei den anderen wurde ich ganz still, doch niemand bemerkte es. Ich war sowieso die Jüngste am Set und daher oftmals ruhiger. Doch so schweigsam wie heute war ich noch nie gewesen. Die ersten Worte, die meinen Mund schließlich wieder verließen, waren eine Lüge, die ich von da an häufiger benutzte.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte ich lächelnd, als mir ein Stück Pizza gereicht wurde, obwohl mein Magen schmerzhaft knurrte.
Schweißgebadet schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Grelles Licht begrüßte mich, sodass ich gequält blinzelte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich realisierte, dass ich mich in einem Hotelzimmer befand und anscheinend mit der hellen Deckenbeleuchtung eingeschlafen war. Meine Augen brannten verräterisch. Ich hatte stundenlang geweint. Wegen der veröffentlichten Fotos, wegen des Streits mit meinen Eltern, wegen unserer nicht mehr vorhandenen Beziehung und schließlich wegen Andrews Worten. Innerhalb eines Tages war mein gesamtes Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Wobei es schon seit Jahren nur noch auf wackligen Beinen gestanden hatte. Und das alles nur wegen Andrew Walker. Dem Starregisseur, der mich angeblich berühmt gemacht hatte, wenn man Scandalous Secrets fragte.
Und leider hatten sie nicht ganz unrecht, auch wenn ich selbst schon sehr früh für meinen Erfolg gearbeitet hatte, lange vor Andrew. Das erste Mal vor der Kamera hatte ich mit drei Jahren gestanden. Eine winzige Rolle, aus der der nächste kleine Auftritt entstanden war und dann der nächste. Und immer weiter. So war das, wenn die Eltern Teil der Branche waren und in jede Richtung Kontakte besaßen. Sie selbst drehten inzwischen nur noch einen Film pro Jahr. Selten Hauptrollen, eher Gastauftritte, bei denen sie jedoch mehr verdienten als manche Schauspieler in ihrem ganzen Leben. Meine Eltern hatten es geschafft. Das hatten sie sogar schon, bevor sie einander gefunden und ihre Beziehung so weit für die Öffentlichkeit ausgeschlachtet hatten, bis sie das Paar Hollywoods geworden waren. Wie die perfekte Ehe hinter geschlossener Tür aussah, hatte nie jemanden interessiert. Und vielleicht wäre das Bild der perfekten Familie Young mit den überglücklichen Eltern und den wunderschönen, talentierten Töchtern auch für immer bestehen geblieben – wäre da nie Andrew Walker gewesen.
Andrew war ein Bekannter meines Vaters, der seit Jahren als Produzent tätig war. Öffentlich stellten sie sich gerne als Freunde dar, doch in diesem Business bedeutete der Begriff Freundschaft nichts. Trotzdem, als mein Vater in meiner frühen Jugend Andrew erzählt hatte, dass er nach der ersten großen Rolle für mich suchte, hatte der Produzent die Lösung gehabt. Ein britischer Sender wollte damals sein Standing als Kindersender verbessern, weshalb er Andrew Walker mit einer Serie beauftragte. Wegen seiner Erfahrung mit beliebten Sitcoms für Kinder überließen sie ihm das Ruder. Und so entstand Debbie’s Diaries und ich wurde zu Rosie.
Mehrere Jahre spielte ich die quirlige beste Freundin der Protagonistin Debbie, die intensiv Tagebuch schrieb, bis es ihr eines Tages geklaut wurde und die ganze Schule erfuhr, was darin stand. Vier Staffeln erlebten die Zuschauer, wie Debbie mit den Nachwirkungen ihrer offenbarten Geheimnisse zu kämpfen hatte, bis sie schließlich doch das Herz ihres Schwarms eroberte und am Ende alles bekam, wovon sie geträumt hatte. Meine Rolle der Rosie hatte sie dabei in allem unterstützt. Obwohl ich nicht die Hauptrolle gespielt hatte, waren die Fans von mir begeistert gewesen. Weil ich in der Serie so lustig gewesen war. Immer gut gelaunt, immer mit einem toughen Spruch auf den Lippen und stets in die coolsten Sachen gekleidet.
Was hinter den Kameras abgegangen war, das hatte niemand gesehen. Dass Andrew Walker so viel mit einem netten Kinder-Regisseur gemeinsam hatte wie ich mit einer Pflanze.
Hastig schüttelte ich mich, spürte den Drang, die Erinnerungen mit Alkohol runterzuspülen. Doch ich wusste, dass es nichts ändern würde. Die Scham über alles, was ich getan hatte, um die Rolle nicht zu verlieren, würde nicht verschwinden. Begonnen hatten die Dreharbeiten, da war ich zwölf gewesen. Als ich mit sechzehn auf der Premiere der letzten Staffel stand, war alles eskaliert. Andrew Walker. Er hatte mein Leben zerstört.
Es war endlich an der Zeit, dass ich seines zerstörte.
What happens after you hit rock bottom?
Amelia
Andrew war immer noch in New York. Hier, in meiner Heimatstadt. Zusammen mit seiner Frau hatte er seinen neuesten Film beworben und besuchte nun noch einige Freunde, genoss ein paar freie Tage ohne seine Kinder.
Woher ich das wusste? Er selbst war nicht auf den sozialen Netzwerken unterwegs, doch Gleiches galt nicht für seine Frau Jasmine Walker. Diese war nicht nur Andrews rechte Hand, sondern führte auch noch einen erfolgreichen Instagram-Kanal, auf dem sie ihre Follower tagtäglich mitnahm. Zu ausnahmslos allem. Deshalb hatte ich innerhalb kürzester Zeit nicht nur herausgefunden, dass die Walkers noch in Manhattan waren, sondern auch, wo sie übernachteten. Schließlich hatte ich den Infinity-Pool auf dem Dach des Hauses direkt erkannt. Durch ihre aktuellste Story wusste ich sogar, dass Jasmine heute einen Spa-Tag machen würde, weil Andrew mit neuen Skripten beschäftigt war. Es war so einfach, etwas über einen Menschen zu erfahren, wenn dieser alles mutwillig im Internet zur Verfügung stellte.
»Sie können mich hier rauslassen«, sagte ich nun an den Fahrer des Ubers gewandt, das ich mir direkt nach meiner Entdeckung gerufen hatte.
Das Auto kam an einer kleinen Straßenecke zum Stehen. Schnell zahlte ich, ehe ich entschieden aus dem Wagen stieg. Doch erst als der schwarze BMW außer Sichtweite war und ich mich mit einem unauffälligen Blick vergewissert hatte, dass niemand mich beachtete, setzte ich mich in Bewegung. Zwar befand ich mich inmitten einer beliebten Wohngegend, auf deren Straßen es deutlich ruhiger war als im Zentrum selbst, trotzdem irrten auch hier einzelne Touristen umher. Solche, die sich von den klassischen Attraktionen lösten, um im Nachhinein behaupten zu können, das wahre New York gesehen zu haben.
Obwohl wir August hatten, war es heute ungewöhnlich kühl in Manhattan. Sofort schlang ich den schwarzen Stoffmantel etwas enger um mich. Das Wetter mit seinem schneidenden Wind passte jedoch erschreckend gut zu meinem Gemüt. Ich hatte keine Ahnung, was ich genau tun würde. Was ich Andrew sagen würde. Ich wusste nur, dass ich nicht länger untätig bleiben konnte. Ich musste ihn konfrontieren. Und dann sollte die Welt endlich die Wahrheit erfahren.
Meine hohen Stiefel klackten auf dem Asphalt des Gehwegs. Frauen mit Yogamatten unter dem Arm und Männer, die lautstark telefonierend ihren Hund ausführten, kamen mir entgegen, während Maps mich zu meinem Ziel führte. Als ich es schließlich entdeckte, verlangsamte ich meine Schritte.
Beige Front, schwarze Fenster, imposante Erker und eine gigantische Glastür, die einen ersten Blick in die Lobby offenbarte – es sah immer noch so aus wie damals. Plötzlich verspürte ich den Impuls, einfach umzudrehen. Meinen Plan in seinen Anfängen scheitern zu lassen und … aufzugeben. Ich hasste die Angst, die mich erfüllte. Die sich schleichend in meinen Adern ausbreitete und mich zur Salzsäule erstarren ließ. Wie eine Statue stand ich da, vor dem Haus, in dem ich vor so vielen Jahren einst gewesen war. Allein der Gedanke an den heißen Julitag ließ Übelkeit in mir aufsteigen.
Ich war fünfzehn gewesen, als Andrew uns zu einer Poolparty zu sich eingeladen hatte. Der Julihitze zu entkommen und den Tag nach der Premiere in Manhattan mit alkoholfreien Cocktails im Wasser zu verbringen, hatte sich perfekt angehört. Doch von dem Tag existierte lediglich eine einzige Erinnerung. Die, wie Andrew mich in meinem Bikini musterte und einen Scherz darüber machte, dass ich langsam anfangen könnte, in erwachseneren Filmen mitzuspielen. Als Kind würde ich nicht mehr lange durchgehen. Dabei war ich noch ein Kind gewesen.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich holte tief Luft, bevor ich die Tür aufstieß und ins Innere des Gebäudes trat. Der vertraute Vanilleduft, der mir entgegenkam, verstärkte meine Übelkeit, doch ich reckte das Kinn nach vorne. Selbstsicher schritt ich an den Tresen, wo eine junge Frau mich bereits anlächelte.
»Guten Morgen, Miss. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?« Ihre freundliche Miene verrutschte kurz, als ich die Sonnenbrille von meiner Nase schob und sie erkannte, wer vor ihr stand. Mein Ruf war zwar ruiniert, berühmt war ich aber immer noch.
»Guten Morgen. Ich habe eine Verabredung mit Andrew. Andrew Walker. Könnten Sie mich zu ihm hoch lassen?«, fragte ich höflich, wobei in meiner Stimme ein strenger Unterton mitschwang. Sie sollte keine Angst vor mir haben, aber Respekt.
»Es tut mir leid, doch es wurde kein Besuch für Mr Walker vermerkt. Ohne seine Zustimmung darf ich niemanden hochschicken.« Ihr Blick huschte von mir zu ihrem Computer, auf der Suche nach einem Termin, der nicht existierte.
»Das ist ein Scherz, oder? Ich bin extra früh aufgestanden, weil Andrew nur jetzt Zeit für mich hat und es superwichtig ist, dass wir uns treffen. Und Sie wollen mir jetzt erklären, dass Sie vergessen haben, den Termin einzutragen?«
Die Angestellte zuckte unter der Schärfe meiner Worte zusammen, sodass sie mir fast schon leidtat. Doch ich musste unbedingt zu Andrews Wohnung kommen. Das war wichtiger, als dass sie mich für sympathisch hielt. Gewiss hatte sie sowieso bereits ein unveränderliches Bild von mir.
»Ich … Es tut mir wirklich leid, ich … also …«
Genervt seufzte ich auf, bevor ich mir mit zwei Fingern die Nasenwurzel massierte. »Wissen Sie, was? Ich rufe ihn einfach an. So etwas habe ich in all den Jahren nicht erlebt, einfach unglaublich«, murmelte ich und war schon dabei, mein Handy zu zücken, um irgendeine Nummer zu wählen. Denn die von Andrew besaß ich schon lange nicht mehr.
»Oh nein, das ist nicht nötig!«, hielt mich die Rezeptionistin panisch auf. »Es tut mir wahnsinnig leid, anscheinend hat es hier einen Fehler in der Kommunikation gegeben. Ich spreche mit meinen Kollegen vom Frühdienst, damit so etwas nicht wieder vorkommt. Natürlich erstelle ich Ihnen direkt eine Gastkarte.« Kurz wandte sie sich von mir ab, um ihren PC zu bedienen, ehe sie mir lächelnd das Kärtchen zuschob. »Damit kommen Sie jedoch nur auf die sechste Etage. In die Wohnung muss Mr Walker Sie selbst reinlassen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Vielen Dank, das war alles.«
Kaum hatte ich mich umgedreht, atmete ich auf und trotz meines pochenden Herzens stahl sich ein kleines Grinsen auf meine Lippen. Es war ein Leichtes, eine gute Schauspielleistung abzuliefern, wenn es der eigene Job war. Gott, ich vermisste die Stunden vor der Kamera. Ich vermisste es, in andere Rollen zu schlüpfen und Figuren auf Papier eine Seele einzuhauchen. Doch die Sehnsucht hielt nicht lange an, denn die Erinnerungen an Andrew folgten direkt. Er hatte sich wie ein Parasit in mein Hirn gepflanzt und überlagerte jeden schönen Moment, den ich erlebt hatte.
Nachdem ich die Karte an den vorgesehenen Scanner im Aufzug gehalten hatte, setzte sich dieser in Bewegung und kam wenige Sekunden später wieder zum Stehen. Etage sechs. Appartement sechs. Fehlte nur noch eine weitere Sechs und bereits seine Wohnungsnummer würde verraten, mit wem man es dort zu tun hatte.
Ohne zu zögern, schlug ich mit der Faust gegen die Tür. Dabei war mir egal, wie laut das Donnern meiner Hand durch den Flur schallte oder wie sehr Andrew im Inneren vermutlich zusammenzuckte. Wobei das etwas war, das ich nur zu gerne selbst gesehen hätte.
Keine Reaktion.
Ich wartete einige Sekunden, bevor ich erneut gegen das Holz hämmerte, während mein Herz in meiner Brust den gleichen Takt schlug.
Mit einem Mal öffnete sich die Tür und Andrew fucking Walker stand vor mir.
Kantige Wangen, ein schmales Gesicht, der leichte Dreitagebart, ein spitzes Kinn und warme Augen blickten mir entgegen. Dass diese sympathische Miene jedoch bloß Fassade war und hinter der Maske des Familienvaters etwas anderes schlummerte, wusste ich nur zu gut.
»Amelia?«, fragte er überrascht. Innerhalb eines Wimpernschlags verschwand der freundliche Ausdruck aus seinem Gesicht. »Was tust du hier?«
Sofort legte ich meinen Kopf schief und lächelte. Ein eiskaltes Lächeln. »Freust du dich etwa nicht, mich zu sehen, Andy?«
»Nicht, wenn du mich so anschaust. Bist du high?«
Mir entwich ein höhnisches Lachen, bevor ich hastig den Kopf schüttelte. »Ernsthaft, Andrew? Das ist alles, was dir einfällt? Kein: Wie geht es dir? Wie war dein Leben die letzten Jahre? Du siehst gut aus, konntest du die Essstörung überwinden, in die ich dich getrieben habe?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, zischte er und warf einen hastigen Blick in den Flur. »Was auch immer das hier wird, vielleicht sollten wir es lieber drinnen klären.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schnaubte. »Hast du etwa Angst, jemand könnte etwas von unserem Gespräch mitbekommen? Ich dachte, du hast nichts zu verbergen.«
»Was willst du, Amelia?« Von dem immer netten Produzenten, der doch angeblich wie ein Vater für uns alle gewesen war, war nichts zu sehen. Vor mir stand er, Andrew Walker, skrupellos, herzlos und absolut verabscheuungswürdig.
»Was ich will? Das ist ganz einfach.« Wieder dieses Lächeln auf meinen Lippen, das mich vermutlich etwas irre aussehen ließ. Doch ich genoss seine Reaktion, das Mahlen seiner Kiefermuskeln und das Hüpfen seines Adamsapfels, als er schluckte. Er würde es niemals zugeben, aber meine Anwesenheit machte ihn nervös. Weil er ganz genau wusste, dass meine Wahrheit sein Ende wäre. »Rache.«
Andrew lachte auf. »Rache? Amelia … Du scheinst wirklich nicht ganz bei dir zu sein. Welche Pillen nimmst du denn mittlerweile? Ecstasy? Oxycodon?«
Das Bedauern in seinem Blick brachte etwas in mir zum Reißen. »Du hast mein Leben zerstört! Du bist eine Schande für die Filmwelt und solltest nie wieder, nie, nie wieder in die Nähe von Kindern oder jungen Erwachsenen gelassen werden. Der einzige Grund, warum ich überhaupt je zu diesen beschissenen Pillen greifen musste, warst du!«
»Red dir das ruhig weiter ein.«
Ich schnaubte. »Oder ich rede mit der Presse. Was hältst du davon?«
Andrew lachte auf. Nicht panisch. Nicht ängstlich. Nicht einmal mehr verunsichert. Es war ein echtes, herzhaftes Lachen, weil er mich auslachte. Mich, meine Worte, meine Gefühle und alles, was er angerichtet hatte. »Amelia, denkst du wirklich, dass dir irgendjemand glauben wird? Du bist eine gefallene Schauspielerin, die sich lieber irgendetwas hinter die Birne kippt oder eine Line zieht, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was sie einst interessant gemacht hat. Niemand wird dir auch nur ein Wort abkaufen, vor allem dann nicht, wenn nicht mal deine eigenen Eltern hinter dir stehen.«
Der letzte Satz schlug in meinen Magen ein wie eine Faust. Brachte mich zum Straucheln, obwohl ich mit zwei Beinen auf dem Boden stand. Aber ich würde nicht nachgeben. Obwohl Andrew mit seinen Worten so ins Schwarze getroffen hatte, dass es wehtat. »Na und? Meinst du nicht, dass auch andere laut werden, wenn ich erst das Wort erhebe? Ich bin sicher nicht die Einzige, die du missbraucht hast.«
»Missbraucht?« Ein weiteres Lachen von ihm. Ein weiteres Stechen in meinem Herzen. »Mein Gott, Amelia, den Hang zur Dramatik hast du wirklich von deiner Mutter. Weißt du eigentlich, was Missbrauch ist?«
»Psychischer Missbrauch ist vielleicht unsichtbar, aber dadurch nicht weniger vorhanden. Was du getan hast, ist genau das. Du hast mir eingeredet, ich wäre zu dick. Du hast mich gezwungen, Sachen zu tragen, die ich nicht anziehen wollte. Du hast mir gedroht, mir die Rolle zu entziehen, wenn ich nicht alles mache, was du sagst!« Meine Hände ballten sich zu Fäusten und die Hitze glühte in meinen Wangen und meinem ganzen Körper. Ich stand in Flammen und brannte immer weiter.
Und er? Er zuckte bloß mit den Schultern. »Das ist das Business, Amelia. Genau das habe ich dir schon damals gesagt. Wenn du nicht damit klarkommst, dass du als Schauspielerin ein Objekt bist, das erst den Fantasien der Produzenten dient und später denen der Fans, dann bist du nicht für den Job geeignet. Ich habe alles für dich getan, dich aufgebaut, dich an deine Grenzen gebracht. Was du daraus gemacht hast, ist weder meine Schuld, noch liegt es in meiner Verantwortung.« Seine Stimme triefte vor Gleichgültigkeit, während er mich mit verschränkten Armen von oben herab musterte.
»Nein, das ist nicht das Business. Es war deine Aufgabe, mich zu beschützen. Ich war zwölf, als ich an dein Set kam. Zwölf!« Ich schüttelte den Kopf, als es hinter meinen Augen verdächtig zu brennen begann. Ich wollte garantiert nicht vor ihm weinen. Wollte es nicht und konnte es nicht. »Wenn du mit Kindern drehst, dann liegt ihr Wohlbefinden in deiner Verantwortung. Und das wird die Öffentlichkeit ebenfalls so sehen!«
Andrew blieb völlig ruhig. »Amelia, nenn mir eine Sache, eine einzige, die du gegen mich in der Hand hast.«
»Die Wahrheit.«
Er schenkte mir einen mitleidigen Blick. Den, den er mir früher schon geschenkt hatte. »Ich wiederhole mich gerne noch mal: Wer soll dir diese Wahrheit abkaufen? Du hast keine Beweise, nur Worte, die dir niemand glauben wird. Weil sie aus deinem Mund stammen. Und aus dem kommen doch seit Jahren keine glaubwürdigen Sätze mehr. Du willst ihnen sagen, dass ich dich in eine Essstörung gedrängt habe, weil ich dafür gesorgt habe, dass du in Form bleibst? Mach das. Erzähl ihnen all die schlimmen Dinge, die ich angeblich getan habe. Ich werde auf der anderen Seite warten und den perfekten Konter bereithaben.« Seine Augen funkelten und brachten mein Herz zum Stolpern, doch er war noch nicht fertig. »Und selbst wenn es ein paar wenige geben sollte, die dir doch glauben: Könntest du es ertragen, wenn es die meisten nicht tun? Wenn sich alle über dich das Maul zerreißen? Noch mehr als sonst? Solltest du an die Öffentlichkeit gehen, schadest du dir mehr als mir. Du kannst mir nichts, Amelia Young. Gar nichts.«
Bei seinen letzten Worten war er näher gekommen und ich reflexartig zurückgewichen. Dabei hatte ich stehen bleiben, ihn anschreien wollen. Doch das kleine Mädchen, das damals in seiner Nähe vor Angst erstarrt war, war wieder da. Genauso hilflos und verloren wie vor zehn Jahren. Denn er hatte recht. Man würde an meinen Worten zweifeln. Das taten die Leute immer in solchen Fällen und bei meinem Ruf würden sie es noch mehr. Hätte ich die Kraft, das durchzustehen? Die Schlagzeilen, das Gerede, die Kommentare? Ohne jemanden, der mir beistand?
Ich war mir nicht sicher. Doch ich war kein Kind mehr. Vielleicht war die Presse keine Option, aber ich würde einen anderen Weg finden. Einen anderen Weg, um ihm jegliche Macht zu nehmen, die er noch über mich hatte.
Ich schluckte meine Angst hinunter, legte einen eisige Miene auf und sagte bestimmt: »Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder an ein Filmset darfst. Das verspreche ich dir. Ich werde dich ruinieren, Andrew Walker. Du willst wissen, wie?«
Jetzt trat ich meinerseits einen Schritt auf ihn zu, sodass kaum noch Abstand zwischen unseren Gesichtern lag. Hasserfüllt funkelten wir einander an. Durch die hohen Schuhe war ich nicht viel kleiner als er. Und so straffte ich meine Schultern, bevor ich mein Kinn in die Höhe reckte.
»Ich weiß, dass du noch mehr Dreck am Stecken hast. Und wenn ich dir eins versprechen kann, dann, dass ich so lange graben werde, bis ich dein dunkelstes Geheimnis kenne. Wir alle haben eins und deins muss genauso pechschwarz sein wie dein Herz.« Ja, die Dramatik hatte ich definitiv von meiner Mutter geerbt, doch das war nichts, wofür ich mich schämte.
Meine Behauptung war reines Pokern, doch tatsächlich glänzte in Andrews Augen zum ersten Mal so etwas wie Angst auf und er schluckte schwer.
Ich wollte gerade triumphierend grinsen, da mischte sich eine mir vertraute Stimme in das Gespräch. Eine Stimme, mit der ich nicht so schnell gerechnet hatte.
»Amelia? Bist du das?«
Ich drehte mich zur Seite und entdeckte Jasmine Walker, die aus dem Aufzug stieg und verwundert zwischen mir und ihrem Ehemann hin- und herschaute. Mit ihrer klassischen Schönheit, dem perfekten Körper, den teuren Markenklamotten und dem nahezu faltenlosen Gesicht passte sie perfekt zu ihm.
Was jedoch nicht zu ihm passte, war ihr Charakter. Im Gegensatz zu ihrem Mann hatte ich Jasmine immer als liebevolle Person wahrgenommen. Sie war stets zuvorkommend gewesen, hatte sich bei jedem für seine Arbeit und Mühen bedankt, sich um reibungslose Abläufe gekümmert und alle zum Lachen gebracht.
Schon oft hatte ich mich gefragt, wie sie mit jemandem wie Andrew zusammen sein konnte. Und wie sie einfach hatte wegsehen können. Früher hatte ich immer geglaubt, dass sie nichts von seiner grausamen Seite wusste. Schließlich hatte Andrew stets darauf geachtet, dass niemand von seinen Kommentaren etwas mitbekam. Und womöglich war es auch so, vielleicht hatte sie keine Ahnung. Vielleicht.
»Was verschafft uns die Ehre?«, fragte Jasmine nun mit einem herzlichen Lächeln.
Schnell bemühte ich mich ebenfalls um eine höfliche Miene. »Ich wollte nur Hallo sagen, wenn ihr schon in der Gegend seid. Es ist eine ganze Weile her, dass wir uns zuletzt gesehen haben. Aber leider muss ich auch schon wieder los.«
»Oh, wie schade. Aber beim nächsten Mal müssen wir unbedingt einen Kaffee trinken, versprochen?« Sie wirkte ehrlich enttäuscht.