Begehren -  - E-Book

Begehren E-Book

4,3

Beschreibung

Erotische Phantasien vom Feinsten - Erzählungen rund um das lesbische Begehren Ob in der Londoner Tube oder der CityNightLine, ob an der Ostsee oder in Brandenburg, beim Umzug oder Renovieren, im Kino, Café oder Supermarkt - in der Phantasie ist überall alles möglich. Die erotische Anthologie "Begehren" präsentiert an- und aufregende Erzählungen zum genüsslichen Lesen und Vorlesen von: Anne Bax | Jule Blum | Lea Brandes | Chuluk Brudi | Gitta Büchner | Silke Buttgereit | Katrin Janitz | Cynthia Kear | Katrin Kremmler | Manuela Kuck | Litt Leweir | Inge Lütt | Sabine de Martin | Regina Nössler | Brigitte Ourlin | Ulrike Schuff | Stephanie Sellier | Renate Stendhal | Corinna Waffender | Renate Zeiss "Dieses Buch ist wie ein Pralinenkasten ... Zarte frauenliebende Marzipanseelen werden sich vielleicht in der ›Seelöwinnen‹ -Geschichte wiederfinden, bei der empfindsame Blicke und Andeutungen Lüste und Begierden freisetzen ... Lady Joghuretten docken sich wohl eher durch die Anmache im Supermarkt in ›Möhren durcheinander‹ an, wo eine in Aussicht gestellte Verabredung die Heldin in den süßen Wahn zwischen Selbstzweifeln und Begierde treibt. Oder die mit dem Faible für Bitterschokoladentrüffel mit einem Hauch von Chili delektieren sich an den Erinnerungen der Pflegeheimbewohnerin, welche sich von einer jungen Altenpflegerin inspiriert in ihre selbst erlebten Liebesgeschichten zurückträumt. Überhaupt schützt Alter keinesfalls vor lesbischem Begehren, ebenso wenig wie eine Nonnengelübde. (...) Das Buch passt gut auf den Badewannenrand neben ein Glas Prosecco und für Allein-Begehrende auch zum Sonntagsfrühstück im Bett, umrahmt von Croissant und Cappuccino." Mathilde Frauenzeitung, Darmstadt

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FRAUEN IM SINN

 

Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

Begehren

Silke Buttgereit

Josephine

So gefiel es ihr. Junge Frauen trugen das, was man früher Seidenstrümpfe genannt hatte, unter den kurzen Röcken, deren Saum sich zwischen Gesäß und Knien an die Beine schmiegte. Schöner waren die Beine, wenn sie in Strümpfen steckten. Schon allein der Strümpfe wegen zog Josephine Roseboom den Frühling dem Sommer vor. In der sommerlichen Hitze schmolz jede Hemmung dahin, und alle stellten ihre Beine unbedeckt aus, ob sie es verdienten oder nicht. Mit Strümpfen glänzten die Beine in der Sonne, Strümpfe hoben die Form und nicht die Schwächen hervor. Wohlerzogen sagten sie nichts über das, worüber man schweigen sollte. Doch heutzutage hatte man solch anständiges Schweigen ganz einfach verlernt. An diesem Aprilmorgen hatte die Sonne schon lange auf ihre Bank am Uferweg geschienen, das verblichene Holz war trocken und warm, und Josephine Roseboom hatte das aufblasbare blaue Sitzkissen in ihrer Handtasche gelassen. Die Trauerweiden am Kanal waren von einem ersten grünen Flaum überzogen, und das Ufer war erstaunlich belebt für einen normalen Werktag. Wer konnte, ging über den Uferweg zur Arbeit; die unverwüstlichen Jogger versuchten sich vereinzelt schon in kurzen Hosen. Auch Männerbeine, fand Josephine, gehörten in der Stadt grundsätzlich angezogen. Und offensichtlich war die aberwitzige Sportart mit den zwei Skistöcken mit diesem Frühling auch in Kreuzberg heimisch geworden. Über die hätte sie mit Hanne herzlich lachen können.

Zwischen Kinderwagen, Fahrrädern und kleinen Gruppen türkischer Frauen mit Kindern näherte sich eine junge Frau Josephine Rosebooms Uferbank. Ihr Kleid war kurz und aus rotgeblümtem Stoff, der locker jede Bewegung nachzeichnete. Schöne Stoffe gab es in diesem Frühjahr, ausgefallene Blumenmuster auf leichter Viskose und Tüll, der mehr schwebte und hüpfte, als er fiel. Auch der Faltenrock erlebte eine hübsche Renaissance. Nur die Tendenz zur Überknielänge missfiel Josephine Roseboom gründlich. Sie setzte sich ein wenig auf und stieß dabei mit dem Fuß gegen den Gehstock, der neben ihr an der Bank lehnte. Rücklings kippte er vor die Füße der Spaziergängerin. Josephine Roseboom ächzte kurz auf und machte Anstalten, sich schwerfällig von der Bank zu erheben. Die junge Frau kam ihr zuvor. »Lassen Sie mal, ich hab die jüngeren Gelenke«, sagte sie und bückte sich mit dem Oberkörper voraus nach dem Stock. Josephine Roseboom nutzte die Gunst des Augenblicks, beugte sich rasch nach vorne und warf einen kurzen, tiefen Blick unter das Kleid. »Ach, das ist aber nett von Ihnen!« sagte sie freudig, schenkte der jungen Frau ein glückliches Oma-Lächeln und nahm den Stock dankbar entgegen. »Gerne doch, und einen schönen Frühlingstag wünsch ich Ihnen.« Ach, Beine haste, Mädel, die sind erste Sahne, und ordentliche Strümpfe, echte Strümpfe, halterlose und keine Strumpfhosen. Strumpfhosen waren etwas für Kinder und Schneewanderungen, aber nichts für junge Frauenbeine im April auf einer Berliner Uferpromenade. Siehste, Hanne, in solchen Dingen waren wir schon immer einer Meinung, echter Stil zeigt sich vor allem da, wo keiner hinschaut. Josephine Roseboom stellte den Stock an seinen Platz an der Bank zurück und schaute dem Blumenstoff hinterher, der zwischen Herrchen und Frauchen mit Hunden und einer Horde Kleinkindern auf einem Leiterwagen langsam aus ihrem Blickfeld wippte. Sie legte die Hände auf das rissige Holz der Parkbank und atmete tief durch die Nase. Früher hätte sie sich jetzt eine Zigarette angezündet und genossen, wie herber Tabakgeschmack und leichte Frühlingsluft sich miteinander zu einem feinen Glücksgefühl verflochten. Früher, das war, als Hanne noch lebte. Fünf Jahre lag Hannes Tod nun zurück. Dort, wo die junge Frau verschwunden war, sah sie nun die Silhouette einer weiblichen Gestalt in beiger Hose und apricotfarbener Fleeceweste auftauchen. Funktionskleidung. Der Sündenfall der Textilindustrie im Nach-68er-Zeitalter. Funktionskleidung schwieg nicht – sie schrie eine Lebenshaltung in die Welt. Unifarben, praktisch, leicht, dazwischen blieb kein Platz für Schönheit. Nun ja, bei dieser Trägerin mochte das so eben noch als Stil durchgehen. Josephine Roseboom schätzte sie auf gute siebzig Jahre. Da fing man natürlich an, nach brauchbaren Alternativen zur Schönheit zu suchen. Unvermeidliche Mephisto-Schuhe komplettierten die Erscheinung, und ihr Gang war erstaunlich geschmeidig, obwohl sie das rechte Bein ein wenig nachzuziehen schien. Josephine Roseboom selbst trug eine cremefarbene Leinenhose, eine kurzärmlige rosa Bluse und dezent modische Lederturnschuhe der besseren Sorte, eine Variante, für die sie sich entschieden hatte, seitdem Pumps die zunehmende Unförmigkeit ihrer Fesseln zu sehr betonten. Die dünne helle Strickjacke hatte sie neben sich über die Bank gehängt. Zwar fröstelte sie noch etwas in der frischen Luft, aber sie hatte den Frühling auf der Haut spüren wollen. Die Frau hielt auf sie zu, blieb auf Höhe ihrer Bank stehen und sagte: »Guten Tag. Ist auf dieser schönen Bank vielleicht noch Platz für mich, wenn ich Sie nicht störe?« Von nahem betrachtet, sah die Dame doch recht stattlich aus. Unter der Funktionsweste trug sie eine schöne chamoisfarbene Hemdbluse; das gewiss gefärbte dunkelblonde Haar war dicht und in einem gutsitzenden Kurzhaarschnitt frisiert. »Aber natürlich, setzen Sie sich, die Sonne und ich laden ein!« Wahrscheinlich auf Familienbesuch in Berlin – reife Damen mit Anstand und Kleingeld verirrten sich sonst selten nach Kreuzberg. Man wohnte in Wilmersdorf oder Charlottenburg oder im grünen Südwesten. Doch Josephine Roseboom war Kreuzbergerin, immer schon gewesen. Dieser Kiez war ihrer, sie hatte schon an diesem Ufer gewohnt, als es noch das Kottbusser Ufer gewesen war. Sogar Hanne, die entsetzlich schnieke sein konnte, hatte immer gemeint, nein, wir bleiben hier, Kreuzberg, das ist wie SoHo in New York, das passt zu uns. Und als die Mauer fiel, hatte Hanne gesagt, siehst du, jetzt sitzen wir mittendrin in Berlins neuer Mitte. Sie hatte über Jahrzehnte erlebt, wie Kreuzberg sich wandelte, hier war man nah dran am Leben, und so blieb man frisch im Kopf, heute immer noch.

»Jetzt im Frühling ist das Viertel hier richtig schön. Als ich das letzte Mal in Berlin war, war es November und arg trist. Da habe ich mir richtig Sorgen um meine Tochter gemacht. Die wohnt hier um die Ecke.« Die besorgte Mutter, sie hatte es ja gewusst. Schöne Stimme, klar und voll, geradezu ungehörig jugendlich. Vielleicht eine Schauspielerin. Oder Sängerin. In jedem Fall eine anregende Gesellschaft für einen Donnerstagmorgen. »Ach, da heißt es immer: Kreuzberg – trist und gefährlich. Dabei ist es eigentlich ganz friedlich und erstaunlich grün. Man kann hier schon leben.« Sie lächelte und schaute der Schauspielerin ins Gesicht, ein kleinfaltiges Gesicht. Indianerfalten nannte sie diese gleichmäßig über das Gesicht verteilten unzähligen Hautlinien, die mit einer gesunden Gesichtsfarbe einhergingen. Die Schauspielerin musste viel an der frischen Luft sein, Gartenliebhaberin wahrscheinlich. So würde Hanne jetzt vielleicht auch aussehen. Ach was, Hanne war klein und ein wenig drall gewesen, ganz anders als die für ihre Generation sehr hochgewachsene Frau neben ihr. Aber Indianerfalten, die hatte Hanne auch gehabt. Hanne, du bist so gegenwärtig heute – was ist los? Sticht dich der Frühling? Josephine Roseboom glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod, aber sie glaubte an Trauerkannibalismus. Daran, dass man sich einen geliebten Menschen nach seinem Tod immer mehr einverleibte, um ihn nicht ganz zu verlieren. Dann trug man ihn in sich, sprach mit ihm, lebte mit ihm. Kannibalismus ist ein vernünftiger Akt wider die Vergänglichkeit, nicht wahr, Hanne? Sie setzte sich ein wenig schräg, um ihre Banknachbarin besser betrachten zu können. Wirklich sehr gut erhalten, bestimmt war sie Schauspielerin. Eine junge Frau mit Kind, das einen bunten Ball in den Armen trug, näherte sich ihrer Parkbank. Als dem Kind der Ball aus den Armen glitt, stand die Schauspielerin behende auf, griff nach dem Ball und kullerte ihn vorsichtig zurück zu seinem kleinen Besitzer, der erst schüchtern hinter seiner Mutter verschwand und dann vor Vergnügen quietschte. Vielleicht doch keine Schauspielerin, sondern eine Sportlerin, Leichtathletin, Olympionikin der sechziger Jahre. Als es noch keine Doping-Kontrollen gab. Daher auch diese schöne volle Stimme, die Hormone eben. Die Sportlerin setzte sich wieder, ohne sich auf der Lehne abzustützen, alle Achtung, gut trainiert, und wandte sich ihr wieder zu. »Sie leben also hier? Sind richtige Berlinerin?« »So kann man das nennen, ja, bis ins dritte Glied.« Das Kind verabschiedete sich vergnügt winkend und lief geradewegs in die Beine einer jungen Frau in kurzem schwarzem Lederrock, eine der inzwischen rar gewordenen Punkerinnen. Derbe Schnürstiefel, viel silbernes Kettenwerk und zahlreiche Ringe durch Nase, Ohren und Lippe, dazu ganz reizende Netzstrümpfe. Josephine warf einen prüfenden Blick auf die Olympionikin neben sich und kickte kurz entschlossen gegen ihren Stock – Punk und Anstand schlossen sich nicht aus, so gut kannte sie Kreuzberg allemal. »Hoppla!« Die Punkerin bückte sich und bot den erhellenderen Einblick von hinten der Sportlerin a.D. dar, die sich den Stock reichen ließ und sich sehr artig bedankte. Hanne hatte auch gerne Schwarz getragen. Im kleinen Schwarzen hatte sie hinreißend ausgesehen. Nein, eben nicht wie Audrey Hepburn, Hanne hatte die Kurven ihrer Kleider in allen Regionen gründlich ausgefüllt.

Die Sportlerin saß nun ein wenig breitbeinig, die Hände auf den Stock gestützt. »So ist Berlin! Man bekommt schon eine ganze Menge zu sehen, wovon man bei uns auf dem Land nicht mal zu träumen wagt. Schöner Stock, und so leicht. Ich hab ja manchmal Sorgen mit dem rechten Bein, aber ein Stock? Man ist doch eitel und will sich nicht so gebrechlich zeigen.« Na, nun aber Vorsicht, meine Liebe. Zeigte sie sich etwa gebrechlich? Funktionskleidung, war das der Eitelkeit letzter Schluss? Mephisto-Schuhe ein Accessoire strotzender Jugend? Josephine Roseboom entriss der Sportlerin den Stock und legte ihn über ihren Schoß. »Er hat sich bewährt, und das ist die Hauptsache. Sie hinken ein wenig, wenn ich es richtig gesehen habe. Was haben Sie denn mit dem Bein?« Die Sportlerin ignorierte den spitzen Angriff. »Ach, ein dummer Autounfall vor ein paar Jahren. Das Hüftgelenk. Man sagt mir immer wieder, ich könnte ja ein neues haben, aber ich hänge an meinen alten Knochen. Die haben mir gute Dienste erwiesen.« Sie setzte sich entspannt zurück und legte den Arm auf die Banklehne. Josephine Roseboom betrachtete die Hand der Sportlerin. Knochig und kräftig, am Ende war die Sportlerin eine Künstlerin, Bildhauerin, die Haut ein wenig transparent, man konnte die Adern und einige Altersflecken erkennen. Gebrauchte Hände, breite Fingerkuppen und sehr gepflegte Nägel. Ohne regelmäßige Maniküre hatte man keine solchen Hände, da kannte Josephine Roseboom sich aus. Würden Hanne und sie sich heute noch anfassen wie früher? Würde Hanne ihr an einem solchen Frühlingsmorgen noch immer mit der Hand so über den Arm streichen, dass sie vor allem die Härchen und kaum die fröstelnde Haut berührte und sagen, Gänsehaut wie ein junges Huhn, Fine, ist dir kalt? Und dann ihre Hand nehmen, die Fingerspitzen mit einem Zwinkern in den Augen küssen, weil sie beide wussten, dass ihr jetzt nicht mehr nur kühl, sondern auch ganz sonderlich war. Und würde sie selbst dann heute immer noch albern kichern und sagen, Hanne, hör auf, nicht hier …? Hier, heute, mit dreiundsiebzig Jahren auf einer Parkbank mittenmang in Kreuzberg, würde man sich da berühren und sich nichts dabei denken, weil alle das heute einfach so taten? Ihr Blick lag noch immer auf der Hand der sportlichen Künstlerin. Eine Hand, die man berühren wollte, weil sie bestimmt warm und trocken war und einen Händedruck fest erwidern würde. Ob in den Mephisto-Schuhen wohl ebenso gepflegte Füße steckten? Josephine Rosebooms Ärger war verflogen. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte. Grau, nein, weiß waren ihre Haare, aber voll und von dem kräftigen Schlohweiß, das nur einst schwarzes Haar annimmt. Schwarz wie Ebenholz – Schneewittchen hatte Hanne sie früher manchmal genannt. Sie lehnte den Stock wieder gegen die Bank und schaute einer Gruppe türkischer Jugendlicher entgegen. Die Hände tief in den Taschen vergraben mit wippendem Gang waren sie in ein lautstarkes Gespräch vertieft und schubsten sich gegenseitig immer wieder in Richtung Kanalböschung. Arme Schweine, hätte Hanne gesagt und gelacht. Hanne war nicht leicht zu beeindrucken gewesen, Fine, sei froh, dass du als Frau zur Welt gekommen bist. Die haben nur deswegen so breite Schultern, weil dort die Verzweiflung sitzt. »Halbstark und ganz daneben«, sagte die Frau neben ihr und lachte in sich hinein. »Alt werden ist nicht nur einfach, aber so jung möchte man nicht noch einmal sein.«

Den Jugendlichen folgte eine attraktive Frau mit einem riesigen schwarzweißen Hund und grell gemusterter Schlaghose. Das Tier stürmte geradewegs auf die Künstlerin zu, schnüffelte an ihren Schuhen und rieb sich an ihrer Wade. »Ja, das riechst du gleich, dass ich auch so einen habe wie dich, mein Schöner«, sagte die Frau und kraulte den Hund am Hals. Das Tier reckte den Kopf steil nach oben, setzte sich neben sie und sah für einen Augenblick aus wie eine porzellanene Wohnzimmerstatue. Die Besitzerin war schon weitergegangen, schaute nun jedoch zurück und pfiff schließlich durchdringend auf den Fingern. Der Hund zuckte, schüttelte sich, stieß mit der Schnauze nochmals gegen das Bein der Kreuzbergbesucherin und galoppierte seiner Besitzerin hinterher. »Man wird ein wenig seltsam im Alter«, bemerkte die Künstlerin, »spricht mit Hunden und hört sie auch noch antworten. Man spielt nicht mehr wirklich mit. Man schaut nur zu und paff! hat plötzlich eine unverhoffte Narrenfreiheit.« Sie ergriff Josephine Rosebooms Arm und zeigte nach rechts auf den Uferweg. Durch ihre leichte Bluse hindurch spürte Josephine Roseboom jeden einzelnen Finger auf ihrer Haut. Warm, trocken und fest. Sie blickte in die angezeigte Richtung und sah eine Frau in einem fast wadenlangen Rock auf sie zu schlendern. Nicht sehr vielversprechend. »Man schaut nur zu«, wiederholte die Künstlerin, ohne ihre Hand von Josephine Rosebooms Arm zu nehmen, »und stellt fest, dass es sich meistens lohnt, genauer hinzusehen.« Sie kicherte, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß kräftig gegen den Stock, der der Langberockten vor die Beine fiel. Die Künstlerin hatte recht, und Josephine Roseboom hätte es beinahe übersehen. Die Ausstattung des Décolletés hielt mehr bereit, als der biedere Rock versprach. Prall gefüllter, glänzend roter Stoff, der den Blick geradlinig auf die ausgesparte und kräftig gewölbte Mitte lenkte – herrlich. Hanne hatte ihre großen Brüste immer gemocht. Und wenn Hanne ihre Brüste umfasste, hatte sie sich unerhört aufgehoben gefühlt. Josephine beugte sich ein wenig vor, um der gebückten Frau den Stock abzunehmen. »Ach, danke, wir sind ja auch so ungeschickt.« »Das ist der Frühling. Da muss man die Gelenke erst neu justieren«, sagte die Frau in roter Seide. Und helle, fast weiße Haut, keine Solariumsanhängerin, Gott sei Dank, Josephine Roseboom wusste es zu schätzen, wenn die Haut von den Jahreszeiten erzählte. »Man wird frecher im Alter, das stimmt schon«, sagte sie, als sie sich wieder zurückgelehnt und die Frau ihren Weg fortgesetzt hatte. »Man entdeckt so allerhand, wenn man nichts mehr zu verlieren hat.« Die Künstlerin lachte, wirklich eine wunderbare Stimme, klangvoll und stark. Vom nahegelegenen Bocciaplatz her vernahm man schon um diese Tageszeit das metallische Klacken der Kugeln, ab und zu ein Schimpfen, Jubeln und Gelächter. Die sportliche Künstlerin hatte denselben Humor wie Hanne, deswegen war Hanne heute so gegenwärtig. Nein, das stimmte nicht. Hanne hatte einen wunderbaren Humor gehabt, war aber in manchen Dingen etwas preußisch streng gewesen. Hanne hätte das Spiel mit dem Stock niemals mitgespielt. Die Frau neben ihr lebte gerne, das war es, das schwang mit in diesem Lachen. Hanne hatte auch gerne gelebt.

»Wissen Sie, wonach mir nun wäre? Eine ordentliche Tasse Kaffee in der frischen Frühlingsluft. Darf ich Sie einladen, nachdem Sie Ihre Bank so nett mit mir geteilt haben? Hier muss es doch ein schönes Gartencafé geben.« »Reizende Idee, wirklich. Und natürlich, gleich um die Ecke kann man wunderbar sitzen.« Erstaunlich warm war die Sonne an diesem Aprilmorgen, sogar im Bauch spürte sie die wohlige Frühlingswärme. Schwungvoll erhob sich Josephine Roseboom von der Bank und bot der Künstlerin den Stock an; lachend nahm diese ihn an. Zusammen stiegen sie die wenigen Treppenstufen zur Straße hinauf. Josephine Roseboom drehte sich nicht um. In ihrem Nacken saß die feste Überzeugung, Hanne sei auf der Bank sitzen geblieben und sähe ihr mit tadelndem Kopfschütteln hinterher. Nein, Hanne, jetzt nicht. Doch mit dem nächsten Windhauch hörte sie Hannes Stimme an ihrem Ohr: Fine, eine ziemlich durchgeknallte Alte bist du geworden. Und dann lachte sie lauthals, bevor sie verschwand.

Anne Bax

Möhren durcheinander

Die Liebe traf mich mit voller Wucht in die Kniekehlen. Ich sank hilflos neben ein Sonderangebotsregal voller Babynahrung und starrte schmerzerfüllt auf ungezuckerten Aprikosenbrei. »Tut mir leid!« stammelte die Frau, die mich so unsanft zu Boden gezwungen hatte und zog ihren Einkaufswagen zurück. »Ich habe Sie nicht gesehen.«

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