Beinahe tot - Gisela B. Schmidt - E-Book

Beinahe tot E-Book

Gisela B. Schmidt

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Beschreibung

In Pennygrave geschehen merkwürdige Dinge, auf die selbst die erfahrenste Ermittlerin keine Antwort hat …
Das mitreißende Finale der Cosy Crime-Reihe im nicht ganz so idyllischen Cornwall

Mia Midway könnte sich Besseres vorstellen, als mitten in der Nacht aus dem Bett ihres Freundes geklingelt zu werden, weil in ihrem eigenen Cottage das Licht brennt. Es kommt allerdings noch schlimmer, als ihr auf der Straße die völlig aufgelöste und blutbefleckte Sissi Ratherford entgegenkommt: Ihr Mann wurde vor ihrem Haus angefahren und die gemeinsamen fünf Kinder sind allein im Haus eingeschlossen. Auch wenn Mr. Ratherford glücklicherweise knapp mit dem Leben davonkommt, ist schnell klar, dass die ganze Sache kein Unfall war, und Mia muss herausfinden, wer den Familienvater tot sehen wollte. Der Fall wird jedoch schnell zu dem verzwicktesten, den sie bisher hatte, denn niemand der Beteiligten erzählt die Wahrheit oder verhält sich, wie erwartet. Zum Glück hat Mia ihre treue Gehilfin Lady Sophie an ihrer Seite, die allerdings in ihrem eigenen Zuhause, auf Gellam Manor, Geister sieht …

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Erste Leser:innenstimmen
„Der neue Band der Mia Midway Mystery Reihe ist ein richtiger Pageturner. Für mich als Miss Marple Fan genau das Richtige.“

„Ein Cozy Crime ganz nach meinem Geschmack mit einer großartigen Protagonistin.“
„Ich hatte viel Spaß mit dem neuen Krimi von Gisela Schmidt. Spannend und unterhaltsam bis zur letzten Seite.“
„Ein kurzweiliger und überraschender Whodunnit. Hoffentlich kommt noch einen sechster Teil!“

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses E-Book

Mia Midway könnte sich Besseres vorstellen, als mitten in der Nacht aus dem Bett ihres Freundes geklingelt zu werden, weil in ihrem eigenen Cottage das Licht brennt. Es kommt allerdings noch schlimmer, als ihr auf der Straße die völlig aufgelöste und blutbefleckte Sissi Ratherford entgegenkommt: Ihr Mann wurde vor ihrem Haus angefahren und die gemeinsamen fünf Kinder sind allein im Haus eingeschlossen. Auch wenn Mr. Ratherford glücklicherweise knapp mit dem Leben davonkommt, ist schnell klar, dass die ganze Sache kein Unfall war, und Mia muss herausfinden, wer den Familienvater tot sehen wollte. Der Fall wird jedoch schnell zu dem verzwicktesten, den sie bisher hatte, denn niemand der Beteiligten erzählt die Wahrheit oder verhält sich, wie erwartet. Zum Glück hat Mia ihre treue Gehilfin Lady Sophie an ihrer Seite, die allerdings in ihrem eigenen Zuhause, auf Gellam Manor, Geister sieht …

Impressum

Erstausgabe Juni 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-709-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-808-6

Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com: © Konmac, © alexilena, © Globe photo Lektorat: Astrid Rahlfs

E-Book-Version 19.06.2024, 13:40:27.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Beinahe tot

Meinen Leserinnen und Lesern gewidmet, die meine Mia Midway Mysteries lieben.

Danke, dass ihr immer wieder mit mir nach Pennygrave kommt.

1

Erschrocken fuhr Mia in ihrem Bett hoch. Was für ein wunderbarer Traum. Gemeinsam mit Sir William hatte sie auf der kleinen Bank an den Klippen gesessen, aufs Meer hinausgeschaut und die winzigen Schaumkronen bei ihrem wilden Tanz auf der Gischt beobachtet. Gerade war er aufgestanden und im selben Moment, als er eine kleine Schatulle aus seinem Revers ziehen wollte, hatte dieses eigenartige Geräusch sie aus dem Schlaf gerissen.

Intuitiv zog Mia die Decke bis zur Nasenspitze. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass das leise Kratzen real war und sie nicht auf einer Bank an den Klippen, sondern im Bett von Tante Lenas kleinem Cottage saß. Erneut hörte sie das kratzende Geräusch, sogar etwas lauter als zuvor. Mäuse? Igitt, das wäre ja ekelhaft. Nein, Moment, das waren keine Mäuse, da machte sich jemand an der Haustür zu schaffen. Irritiert sah sie aus dem Fenster. Draußen war es stockdunkel. Die Zeiger des altmodischen Weckers auf dem Nachttisch wiesen auf kurz nach Mitternacht. Wer um Himmels Willen tauchte mitten in der Nacht unangemeldet hier auf? Sir William? Nein, der war übers Wochenende in Vermögensangelegenheiten unterwegs und würde erst am Montag nach Gellam Manor zurückkehren.

Es klickte laut. Da malträtierte jemand das Türschloss. Einbrecher! Auch das noch. Als genügte es nicht, dass sie in den fünf Monaten, die sie in Pennygrave lebte, schon vier Morde und einige üble Geheimnisse aufgedeckt hatte. Ein Einbrecher fehlte gerade noch in der Verbrecherbiografie. Mist, Mist, Mist!

Als Tante Lena ihr vorübergehend die Leitung der Bibliothek von Pennygrave übertragen hatte, hatte sie diesen Ort als idyllisch angepriesen. Idyllisch? Mitnichten. Verrückt war dieses Dorf, geheimnisvoll, schrullig, voller menschlicher Abgründe, aber ganz sicher nicht idyllisch. Nicht, wenn man hinter die Fassade der hübsch hergerichteten Gärten und Menschen blickte.

Mit einer Mischung aus Verärgerung und Angst stieg Mia aus dem Bett, warf sich einen leichten Morgenmantel über und tappte barfuß die Treppe hinunter. Bei jedem Schritt knarzte das alte Holz, ein Geräusch, das sie für gewöhnlich liebte, unter diesen Umständen aber war es der blanke Horror.

Auf leisen Sohlen schlich sie in die Küche und schnappte sich die Bratpfanne. Wer auch immer versuchte, sich mitternächtlichen Zutritt zum Cottage zu verschaffen, würde morgen mit verdammt fiesen Kopfschmerzen aufwachen. Selbst wenn der Einbrecher sie letztendlich überwältigen sollte, den ersten Schlag würde sie gezielt platzieren. So leicht ließ sich eine Mia Midway nicht überfallen.

Geräuschlos stahl sie sich zum Eingang, die Pfanne zum Schlag bereit erhoben, riss die Haustür auf und ließ sie auf die Gestalt vor sich niedersausen.

Im letzten Moment wich die kleine Dame geschickt aus. „Ach du liebe Zeit, bist du verrückt geworden?“, rief Lady Sophie entsetzt und nahm der perplexen Mia flugs die Pfanne aus der Hand.

„Sag mal, bist du verrückt geworden? Ich hätte dich fast niedergeschlagen.“

„Das habe ich gemerkt.“

„Na zum Glück. Ich dachte, du wärst ein Einbrecher.“

„Sehe ich etwa so aus?“ Lady Sophie wies an sich hinab und Mia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nein, wie ein Einbrecher sah die Achtundsechzigjährige wahrlich nicht aus, wie sie da in ihrem brokatbestickten Nachthemd vor ihr stand. Die Haare hatte sie mit großen Lockenwicklern akkurat aufgetürmt, ein langer Pelzmantel verhüllte das Schlafgewand notdürftig, war aber vorne nicht geschlossen und gewährte beinahe unzüchtige Einblicke.

Mia verschränkte die Arme vor der Brust. „Genaugenommen wolltest du trotzdem einbrechen. Du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt, Sophie.“

„Tut mir leid. Ich hatte kurz überlegt, zu klingeln, aber ich habe kein Licht mehr gesehen und wollte dich nicht so unsanft aus dem Schlaf läuten.“

„Sehr rücksichtsvoll von dir. Noch rücksichtsvoller wäre es allerdings gewesen, bis morgen früh zu warten und dann zu klingeln.“ Mit gerunzelter Stirn musterte sie ihre Freundin. „Was ist denn überhaupt los? Ist was passiert?“

„Natürlich ist was passiert. Würde ich sonst mitten in der Nacht vor deiner Tür stehen? Noch dazu in diesem Aufzug?“

Erschrocken schlug Mia eine Hand vor den Mund. „O Gott, ist was mit William? Geht es ihm gut, hatte er einen Unfall? Ich hole meine Jacke.“ Schon war sie an der Garderobe, da spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.

„Keine Sorge, mit meinem Sohn ist alles in Ordnung. Er ist noch in der Stadt, um ein paar Dinge mit unserem Vermögensverwalter zu besprechen. Am Montag kommt er zurück.“

„Ja, davon weiß ich. Aber was ist denn dann passiert?“

Lady Sophie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Aber natürlich weißt du das. Manchmal vergesse ich, dass ihr ja jetzt ein Paar seid. Nimm es deiner alten Sophie nicht übel.“

„Das Einzige, was ich dir übelnehme ist, dass du mich aus einem wunderschönen Traum reißt und dann nicht damit rausrücken willst, weshalb.“

„O natürlich, entschuldige vielmals.“ Sie schlüpfte aus ihrem Mantel und reichte ihn Mia, die ihn wie selbstverständlich an den Garderobenhaken hängte. „Ich muss heute bei dir schlafen.“

„Das kannst du gerne tun, aber warum?“

„Weil es auf Gellam Manor spukt.“

Mia prustete los. Empört stemmte Lady Sophie ihre Hände in die Taille. „Da gibt es gar nichts zu lachen, junge Dame. Es spukt dort wirklich. Und so lange William nicht im Haus ist, um mich zu beschützen, werde ich den alten Kasten nicht mehr betreten.“ Mit selbstbewussten Schritten marschierte sie ins Wohnzimmer und setzte sich in einen der kitschig bunten Blümchensessel, die Mia so ans Herz gewachsen waren. Sie folgte und blieb dann grinsend vor ihrer nächtlichen Besucherin stehen.

„Sophie, der alte Kasten ist dein Zuhause und das schon seit Jahrzehnten. Du selbst hast mir bei meinem ersten Besuch dort versichert, dass dieses Herrenhaus nicht mehr ist, als ein großes Haus mit vielen Zimmern und dass es nichts gibt, wovor man sich fürchten müsse. Deine Worte. Und die sind, nebenbei bemerkt, erst wenige Monate her, erinnerst du dich?“

„Natürlich. Ich bin alt, aber nicht senil.“ Sie zwinkerte ihr zu, zum Zeichen, dass sie ihr nicht böse war. Dann wurde sie wieder ernst. „Ich weiß, was ich gesagt habe. Und fast fünfzig Jahre lang hat diese Aussage auch der Wahrheit entsprochen. Aber jetzt spukt es. Kann ich doch nichts dafür.“

„Wenn du den Geist beschworen hast, schon.“

„Was bitte?“

„Nichts, nichts, nur ein Scherz.“

Mahnend hob Lady Sophie den Zeigefinger. „Darüber macht man keine Witze, meine Liebe. Wir müssen zusehen, dass wir diesen Geist wieder loswerden.“

„Wir?“

„Ja, du musst mir natürlich helfen. Du bist bestimmt eine bessere Geisterjägerin als ich und bei den ganzen Mordfällen haben wir doch auch prima zusammengearbeitet.“

„Ach, geht es dir etwa darum?“ Spöttisch verzog Mia die Mundwinkel und erntete einen verständnislosen Blick.

„Worum bitte?“

„Na darum, dass du ermitteln willst. Und da es aktuell nichts zu ermitteln gibt, weil erfreulicherweise mal kein Verbrechen geschehen ist, erfindest du kurzerhand Spukgeschichten? Wir können auch ein Escape Game spielen, wenn du dich nach Rätseln sehnst, wir haben welche im Bibliotheksbestand.“

„Also bitte.“ Mit einem verächtlichen Laut gab Lady Sophie zu verstehen, wie wenig sie diese Theorie ihrer Freundin schätzte. „Natürlich ermittle ich gerne und ja, es nervt mich sehr, dass es in Pennygrave schon so lange ruhig ist, aber ich erfinde doch keine Geister. Es spukt ganz real und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deine Energie in einen konstruktiven Vorschlag stecken würdest, wie wir diese mysteriösen Vorgänge beenden können, anstatt sie dafür zu verschwenden, dich über mich lustig zu machen. Ich kann uns gerne einen Tee kochen, während du nachdenkst.“

„Gegenvorschlag: Ich kümmere mich um den Tee und währenddessen erzählst du mir mehr von deinem Geist. Ehrlich gesagt glaube ich nicht an Gespenster.“

„Ich ja auch nicht, aber da ist eins.“

Gemeinsam gingen sie in die Küche. Während das Wasser kochte und der Tee zog, erzählte Lady Sophie, warum sie so fest von einem Spuk überzeugt war.

„Es fühlt sich an, als ob da jemand wäre, der vorher nicht da war“, erklärte sie in so verschwörerischem Tonfall, als erzählte sie eine Gruselgeschichte am Lagerfeuer. „Und nicht nur das. Manche Dinge verändern ihre Position, manche verschwinden sogar ganz.“

„Vielleicht hat Walter ein wenig aufgeräumt.“

„Ich bitte dich, Verehrteste, er ist der treueste und beste Butler, den wir jemals hatten. Er würde niemals etwas im Haus umstellen, ohne mir Bescheid zu geben.“

Mia goss den Pfefferminztee in zwei Tassen und reichte eine davon der Freundin. „Entschuldige, aber ich muss die Frage stellen: Verschwinden die Gegenstände vor deinen Augen? Und bist du dir sicher, dass du wach bist, während das geschieht?“

„Natürlich bin ich wach. Aber nein, die Gegenstände verschwinden nicht vor meinen Augen. Ich bin mir nicht einmal sicher, welche Dinge verschwinden, nur dass es geschieht. Ich spüre doch, wenn sich die Atmosphäre in einem Raum verändert.“

„Moment mal, du weißt gar nicht, was verschwindet? Du nimmst nur an, dass etwas fehlt?“

„Ich nehme nicht an, ich bin mir sicher.“

Skeptisch verzog Mia das Gesicht. „Vielleicht solltest du dich mal ordentlich ausschlafen und nicht nachts im Nachthemd durch Pennygrave düsen.“

„Ja, aber wie zum Henker soll man denn schlafen, wenn es die ganze Nacht rumpelt, poltert und klopft?“

„Ach, jetzt rumpelt es auch noch?“ Mia kicherte. „Vielleicht klopft jemand an, weil er bei dir übernachten will.“

„Sehr witzig.“

„Ja, irgendwie schon. Tut mir leid, Sophie. Ich kann mir das alles nicht vorstellen. Entweder gibt es eine logische Erklärung für deine Wahrnehmungen oder du bildest dir das alles nur ein.“

Lady Sophie rümpfte die Nase. „Du bist genau wie William. Der glaubt mir auch nicht. Ihr seid wahrlich ein wunderbares Paar. Aber ihr werdet schon sehen …“ Sie nahm ihre Tasse und erhob sich.

„Bist du jetzt böse auf mich?“ Mia hatte keineswegs die Absicht gehabt, ihre Freundin zu beleidigen. Vielleicht hatte sie ungerecht reagiert. Aber, bei aller Liebe, die Geschichte war nicht ernst zu nehmen.

„Ich bin dir nicht böse. Natürlich nicht. Nur müde. Wenn es in Ordnung ist, würde ich mich jetzt gern auf deinem Sofa zur Nachtruhe betten. Wir sollten dieses Thema bei Tageslicht weiter vertiefen. Außerdem ist morgen die Taufe von Elisa Ratherford. Da wäre es unschön, wenn wir in der Kirche um die Wette gähnen.“

Wie auf Kommando gähnte Mia herzhaft. „Du hast recht. Lass uns schlafen. Ich bringe dir gleich noch eine kuschelige Decke.“

„Danke. Das ist lieb von dir. Ich wusste doch, dass ich auf dich zählen kann.“

„Und wenn ein Geist kommt, verpass ihm bitte eine und lass mich weiterschlafen.“

Lady Sophie grinste. „Den konntest du dir jetzt nicht verkneifen, oder? Keine Sorge, ich schlafe neben der Bratpfanne.“

2

„Scht, ist ja gut, meine Kleine. Bitte nicht mehr weinen, du weckst ja noch deine Brüder auf und dann gnade uns Gott.“ Es kostete Sissi alle Mühe, ruhig zu bleiben. Sie wusste, dass ihre Empfindungen sich automatisch auf das Baby übertrugen. Wenn sie unruhig wurde, würde das Elisa nur noch mehr in Rage versetzen. Nichtsdestotrotz war es eine Herausforderung, nicht selbst loszuschreien, wenn man mitten in der Nacht stundenlang ein brüllendes Baby durch die Küche trug. Vom stetig wippenden Gehen taten Sissi bereits Knie und Knöchel weh und ihre Arme schmerzten, obwohl Elisa gerade mal fünfeinhalb Pfund auf die Waage brachte. Als fünftes Kind der Ratherfords war sie nicht nur das erste Mädchen, sondern auch ungewöhnlich leicht.

Sissi seufzte leise. Wenn sie es nicht bald schaffte, dieses schreiende Bündel zu beruhigen, würden am Ende wirklich noch die Jungs aufwachen und dann wäre es mit der Nachtruhe endgültig vorbei. Für ein vier Wochen altes Baby hatte Elisa eine enorm kräftige Stimme. Ein Wunder, dass bisher noch niemand aufgewacht war. Prompt näherten sich leise Schritte. Na toll.

Entgegen Sissis Befürchtungen war es keiner der Jungs, sondern Tristan, der verschlafen die Küche betrat.

„Was ist denn hier los? Warum schreit sie so? Ist sie krank?“

Sissi seufzte erschöpft. „Nein, ich glaube nicht. Zumindest nicht ernsthaft. Vielleicht hat sie Bauchschmerzen oder so.“

„Hm. Ich hoffe, sie hört bald auf. Da kann ja kein Mensch schlafen.“

Wut stieg in ihr auf. Was glaubte er eigentlich? Im Gegensatz zu ihm hatte sie seit Tagen keinen Schlaf bekommen. Zwar hatten sie sich ab der Geburt des ersten Sohnes auf eine klare Rollenverteilung verständigt ‒ er ging arbeiten und sie war für Haushalt und Kinder verantwortlich ‒ trotzdem hätte es ihn nicht umgebracht, sich mal eine Stunde um die Kinder zu kümmern, damit sie wenigstens kurz schlafen konnte.

„Ich hoffe auch, dass sie bald zur Ruhe kommt“, sagte sie ungewollt scharf. „Ich muss dringend mal die Augen zumachen und wenn es nur für ein paar Minuten ist, sonst weiß ich nicht, ob ich Elisas Taufe morgen durchstehe.“

Das wäre der perfekte Zeitpunkt für ihn, zu sagen: Komm Schatz, ich nehme sie eine Stunde, geh du ins Bett. Er sagte es nicht.

„Ich weiß sowieso nicht, warum immer so ein Gewese um die Taufe gemacht werden muss“, brummte er missmutig. „Diesen ganzen Aufwand hätten wir uns auch sparen können. Und die Kosten noch dazu.“

„Nicht dieses Thema wieder.“ Sissi ächzte. „Ich habe dir hundertmal erklärt, dass mir die Tauffeier für Elisa viel bedeutet.“

Sie hatte absolut keine Lust auf erneute Diskussionen. Nach alter Familientradition taufte man die Kinder in den ersten Wochen nach der Geburt im Rahmen eines Gottesdienstes. Dazu wurde die gesamte Gemeinde eingeladen. Es war eine schöne Tradition und es beruhigte Sissi innerlich, zu wissen, dass ihre Kinder bei Gott bekannt und geborgen waren. Nicht nur einmal war sie mit Tristan deswegen aneinandergeraten. Er war selbst gläubiger Christ und teilte die Meinung, dass man die Kinder direkt nach der Geburt taufen lassen sollte, jedoch sprach er sich vehement dagegen aus, die Gemeinde daran teilhaben zu lassen. Tristan hielt keine großen Stücke auf die Bürger von Pennygrave. Im Gegensatz zu seiner Frau hatte er sich hier nie richtig wohlgefühlt. Nicht nur einmal hatte er vorgeschlagen, wegzuziehen und dabei verschiedenste Argumente angeführt ‒ von der Umgebung, den Möglichkeiten, sich städtisch zu orientieren sowie den seltsam schrulligen Einwohnern von Pennygrave, von denen unzählige ihm ein Dorn im Auge waren. Clara Clottingham mit ihrer missgünstigen Art konnte er genauso wenig leiden wie Melody Clearmont, die nichts mehr liebte, als Gerüchte zu erfahren und zu verbreiten. Jeder in Pennygrave wusste, dass Melodys Melodien, wie man sie liebevoll nannte, mit Vorsicht zu genießen waren, genauso wie sich alle darüber amüsierten ‒ alle außer Tristan. Er fand beide Frauen gleichermaßen geschmacklos und war der Meinung, sie vergifteten die Atmosphäre des gesamten Ortes. Genauso wenig hielt er von der jungen deutschen Lehrerin, die vorübergehend die Leitung der Pennygraver Bibliothek übernommen hatte. Sissi dagegen fand Mia Midway nett, ebenso Lady Sophie Gellam, mit der die junge Frau inzwischen schon mehrere Kriminalfälle in Pennygrave gelöst hatte. Sissi liebte ihre Kinder, aber wenn sie ab und zu einen zufälligen Einblick bekam, was für ein Leben Mia Midway führte, dann konnte man schon neidisch werden.

Vollkommen in ihre Gedanken versunken hatte sie nun gar nicht mitbekommen, dass Tristan zu ihr getreten war und die schreiende Elisa auf ihrem Arm betrachtete.

„Vielleicht findet sie den Trubel, den du um die Taufe machst, genauso beknackt wie ich und brüllt deshalb.“ Er streichelte seinem Nesthäkchen vorsichtig über den Kopf, aber das brachte Elisa nur noch mehr auf. Ihr zartes Haar war vom vielen Brüllen schon ganz verschwitzt und jetzt wurde auch noch das kleine Gesichtchen rot. Mit einem Ruck drehte Sissi sich zur Seite, sodass Tristans Hand den Kontakt zu Elisas Stirn verlor.

„Ganz sicher hat sie kein Problem mit der Taufe. Geh doch einfach wieder ins Bett, Tristan. Dieses dämliche Geschwätz ist wirklich das Letzte, was ich gerade gebrauchen kann.“

„Jetzt sei doch nicht gleich so zickig.“ Mit der Hand, mit der er zuvor sein Kind gestreichelt hatte, berührte er sanft ihre Schulter, aber sie drehte sich erneut weg und schüttelte sie ab.

Tristan seufzte. „Ich habe ja gar nichts gegen die Taufe, im Gegenteil. Natürlich möchte ich, dass unsere kleine Prinzessin getauft wird. Aber ich habe sehr wohl ein Problem damit, dass du das alles wieder so übertreiben musst. Das Buffet für die Gottesdienstbesucher im Anschluss kostet Unsummen. Du weißt genauso gut wie ich, dass wir es nicht so üppig haben. Ich liebe jedes einzelne unserer Kinder, aber wir haben, Elisas Feier eingeschlossen, nun fünf Taufen bezahlt, fünfmal den ganzen Ort verköstigt. Es ist mir zuwider, dass sich auf Elisas Taufe zum wiederholten Mal Menschen auf unsere Kosten durchfressen, die mit uns ansonsten gar nichts zu tun haben. Könnten wir nicht einfach eine Feier im kleinen Kreis veranstalten? Das wäre mehr nach meinem Geschmack.“

„Es geht hier nicht um deinen Geschmack, sondern um Tradition, Tristan, und ich finde es unmöglich, dass wir das immer wieder …“ Mitten im Satz verstummte sie. Elisa hatte aufgehört zu schreien. Die Kleine war tatsächlich vor Erschöpfung eingeschlafen.

Eine endlos lang erscheinende Minute war es still im Raum. Weder Sissi noch Tristan wagten es, sich zu bewegen, aus Angst, dass sie wieder aufwachen könnte.

„Ich geh' wieder schlafen“, flüsterte Tristan.

Sissi rührte sich nicht.

„Kommst du auch?“, fragte er, trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie duckte sich darunter hinweg.

„Liebst du mich noch, Sissi?“, fragte er leise.

Als seine Frau noch immer nicht reagierte, drehte er sich um und verließ den Raum.

3

Nach der unruhigen Nacht waren Mia und Lady Sophie nur mühsam aus dem Bett beziehungsweise vom Sofa gekrochen, und erreichten die kleine Kirche gerade noch pünktlich. Hastig sprangen beide aus dem Bentley und rannten in Richtung Eingangsportal. Noch zwei Minuten bis zum Beginn der Tauffeier.

Auf dem Vorplatz war niemand zu sehen. Entweder waren alle schon drin oder nicht viele gekommen, riet Mia. Letzteres war die wahrscheinlichere Variante. Von innigen Freundschaften zwischen der Familie Ratherford und den Pennygravern hatte sie bisher nichts mitbekommen. Mit fünf Kindern fehlte der Familie wohl einfach die Zeit, intensive Kontakte zu pflegen. Zudem war das lausbubenhafte Verhalten ihrer vier Bengel vielen Pennygravern ein Dorn im Auge. Zwar waren sie nicht besonders frech und zerstörten im Gegensatz zu anderen Kindern und Jugendlichen im Ort nichts absichtlich, aber sie waren eben wild, oft schmutzig und laut. Wenn sie durch die Stadt tollten, hörte man sie schon von Weitem. Mia störte sich nicht weiter daran, aber mit zunehmendem Alter nahm die Toleranzschwelle, was Lärmpegel anbelangte, wohl ab.

„Mist, mein Schuh“, rief Lady Sophie.

Mia drehte sich um, lachte kurz auf und reichte ihrer Freundin den Arm, damit diese sich daran festhalten konnte, während sie versuchte, den im akkuraten englischen Rasen eingesunkenen Absatz wieder herauszuziehen.

„Diese neuen Schuhe waren doch eine blöde Idee“, schimpfte Lady Sophie und schlüpfte in das gerettete Exemplar. An dem dünnen Absatz klebte Erde.

„Die Schuhe sind wunderschön. Die Idee, mit ihnen über den Rasen zu rennen, war vielleicht nicht die beste.“

„Aber die schnellste. Und jetzt komm schon, wir sind knapp dran.“ Am selben Arm, auf den sie sich eben gestützt hatte, zog Lady Sophie Mia vorwärts auf die Kirchentür zu.

Elegant schlängelten sie sich durch die Reihen der hübsch dekorierten Gartentische, die bereits aufgebaut waren, und auf denen im Anschluss an die Tauffeier ein Mittagessen vor dem Gotteshaus serviert würde.

Die Kirchentür quietschte leise beim Öffnen. Sofort wandten sich alle Köpfe zu ihnen um. Die kleine Kirche war brechend voll.

„Ich wusste gar nicht, dass die Ratherfords in Pennygrave so beliebt sind“, flüsterte Mia ihrer Freundin ins Ohr, während sie verlegen lächelnd den Mittelgang durchschritten.

„Beliebt … von wegen“, raunte die zurück. „Die einen freuen sich darüber, dass es etwas zu feiern gibt und die anderen spekulieren auf ein kostenloses Mittagessen. Ich denke, nur denen in den ersten Reihen geht es wirklich um Elisas Taufe.“

Mit einem zischenden Laut machte Melody Clearmont auf sich aufmerksam. Aus der zweiten Reihe heraus winkte sie die Verspäteten mit großer Geste zu sich. In ihrer Sensationsgier hatte sie es sich nicht nehmen lassen, einen Platz mit dem besten Blick auf das Taufgeschehen zu besetzen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sie schon seit den frühen Morgenstunden hier campierte.

Peinlich berührt zwängten sich Mia und Lady Sophie durch die Reihen der Kirchenbesucher. Ganz schön frech, sich so vorzudrängeln, aber Melody hatte sie dazu aufgefordert und letztendlich siegte die Aussicht auf eine gute Aussicht. Fortwährende Entschuldigungen murmelnd erreichten sie die zufrieden nickende Melody und setzten sich neben sie. In der Tat der perfekte Platz, wie sich herausstellte, denn eben kam Sissi aus der Sakristei, dem kleinen Nebenraum im Altarbereich, und ließ sich mit der kleinen Elisa im Arm genau vor Lady Sophie in der ersten Reihe nieder. Wie vier Entenküken watschelten die Ratherford-Jungs hinter ihrer Mutter her und setzten sich ebenfalls ‒ hübsch aufgereiht und in sauberen Anzügen. In sichtlichem Bemühen darum, kein Missfallen zu erregen, verharrten sie steif wie Schaufensterpuppen auf ihren Plätzen. Allerliebst. In wahre Verzückung versetzte Mia jedoch das Babygesicht der kleinen Elisa. Sissi hielt sie gerade so im Arm, dass das winzige Köpfchen auf ihrer Schulter ruhte. Aus wachen Babyaugen wurde Mia gemustert und hätte am liebsten eine Hand ausgestreckt, um die Kleine zu streicheln. Melody schien es ähnlich zu gehen, doch mit ihrer Selbstbeherrschung war es nicht ganz so weit her. Etwas zu schnell für den Geschmack der kleinen Elisa ließ Melody ihre Finger nach vorn schnellen und tätschelte hingerissen die rosige Babywange. Der Säugling gluckste irritiert und wand unruhig das Köpfchen, dabei verrutschte die winzige weiße Taufmütze und segelte zu Boden. Reflexartig bückte sich Lady Sophie, um danach zu greifen, und stieß sich dabei den Kopf hart an der vorderen Kirchenbank.

„Aua“, entfuhr es ihr, während sie mit der einen Hand das Käppchen aufhob und sich mit der anderen die betroffene Stelle an ihrem Kopf rieb. Als sie die winzige Mütze zurückgab, lächelte sie trotz des Schmerzes. Auch Melody schien in seltsamer Verzückung erstarrt und vergaß darüber, die alte Mrs McCann zurechtzuweisen, die sich eben am vorderen Ende in die Kirchenbank quetschte. Sogar diese lächelte. Dieser winzige Täufling musste über Zauberkräfte verfügen, wenn es ihm gelang, aus verbissenen alten Damen dahinschmelzende, herzliche Omis zu machen.

Schallend erklang die Gottesdienstglocke und Reverend Martin Morten trat ein. Er lächelte ebenfalls, im Gegensatz zu den örtlichen Beißzangen tat er das allerdings immer, wenn er die Gemeinde zum Gottesdienst willkommen hieß. Die herzlichen Worte, die er für Elisa Ratherford als jüngstem Mitglied der Kirchengemeinde fand, zeigten, wie sehr er sich darüber freute, dass die kirchliche Tradition in der Gemeinde von Pennygrave nach wie vor tief verwurzelt war.

Sissi erhob sich. Mit Elisa auf dem Arm trat sie nach vorn zum Taufstein. Neben ihr reihten sich ihr Mann Tristan sowie die vier Jungs auf, zudem ein Herr und eine junge Frau, anscheinend die Paten der kleinen Elisa.

„Tristans Bruder und Sissis Schwester“, erklärte Lady Sophie prompt. „Sie wohnen nicht hier in Pennygrave.“

Mia nickte verstehend.

Dann begann die Taufzeremonie. Als Reverend Morten das Weihwasser über Elisas Kopf träufelte, begann sie erbarmungswürdig zu schreien. Gequält verzog Sissi das Gesicht, aber niemand nahm Anstoß an der lautstarken Babybeschwerde. Als Ehrengast hatte sie das Recht, sich zu benehmen, wie es ihr beliebte.

Die weitere Tauffeier verlief würdevoll und ohne weitere Zwischenfälle. Mia, die noch nie zuvor einer solchen Zeremonie beigewohnt hatte, konnte nicht verhindern, dass ihre Augen vor Rührung glänzten, als Sissi am Ende stolz den Mittelgang der Kirche durchschritt und Elisa nach draußen brachte, wo die Festlichkeiten in ihren geselligen Teil übergehen sollten.

Wie von Zauberhand waren die Tische im Kirchhof zwischenzeitlich eingedeckt worden, vermutlich von Caroline Sanders und Clara Clottingham, die eben hektisch verschiedenste Speisen am Rand des Kirchplatzes drapierten. Schweißperlen zeichneten sich auf Carolines Stirn ab, während sie sich mit einem der großen Biertische abmühte. In diesem Moment bog Sir William um die Ecke, bemerkte ihre Not und sprang ihr helfend bei. Im Nu war der Tisch aufgebaut und Caroline bedankte sich mit einem strahlenden Lächeln. Als er charmant zurücklächelte, verspürte Mia einen zarten Stich der Eifersucht in ihrem Herzen. Er blieb unbemerkt, denn schon griff Sir William wie selbstverständlich nach einem weiteren am Boden liegenden Tisch und stellte ihn gemeinsam mit Caroline auf.

„Entschuldige mich kurz“, raunte Mia Lady Sophie zu und ging kurzerhand zu den beiden hinüber.

„Mia, Schatz.“ Den Tisch noch in der Hand haltend gab er ihr einen kurzen Kuss auf die geschürzten Lippen, die sie ihm erwartungsvoll darbot. „Ich bin gleich bei dir. Ich helfe nur kurz der armen Caroline beim Aufbau. Diese Tische sind doch viel zu schwer für eine so zarte Frau.“

„Soll ich auch helfen?“, fragte Mia betont freundlich.

„Nein, nein, vielen Dank“, wehrte Caroline ab und lächelte auch sie so offenherzig an, dass Mia unmittelbar ein schlechtes Gewissen bekam. „Es sind nur noch diese beiden Tische, dann sind wir fertig. Clara wird jeden Moment mit den Torten hier sein.“

Mia hob beide Daumen, gab Sir William noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, nur um letzte Besitzansprüche zu klären, und ging dann zu Lady Sophie zurück, die bis über beide Ohren grinste.

„Wo ist denn John?“, grummelte Mia. „Ich denke, Caroline und er sind so glücklich zusammen. Als Gärtner ist er doch mit allen erdenklichen Muskeln bestens ausgestattet. Ihm würde es besser zu Gesicht stehen, seiner Freundin mit den schweren Tischen zu helfen als William, der in seinem eleganten Anzug sicher nicht dazu beschaffen ist, irgendwelche Gartenmöbel durch die Gegend zu wuchten.“

Lady Sophie prustete los. „Pass bloß auf, dass dich die Eifersucht nicht arrogant macht, meine Beste.“ Scherzhaft erhob sie den Zeigefinger. „Aber ich finde es ja schön, zu sehen, dass du meinen Sohn so liebst, dass du ihn einer anderen nicht mal ausleihen willst, um Tische zu schleppen.“

„O Gott, du hast vollkommen recht, ich bin ein fieses Biest.“

„Wer ist ein Biest?“ Natürlich war Sir William zum perfekten Zeitpunkt herangetreten, um genau den letzten Satz zu hören. Mist.

„Niemand. Frauengespräche“, behauptete Mia schnell und küsste ihn zur Ablenkung. Glücklicherweise war er viel zu sehr Gentleman, um nachzubohren. Wenn er spürte, dass etwas nicht wichtig genug war, um erfahren zu werden, aber peinlich genug, um verschwiegen zu werden, übte er sich in gewohnt höflicher Zurückhaltung. Zärtlich erwiderte er ihren Kuss.

Gerade als Mia sich von ihm lösen wollte, sah sie aus den Augenwinkeln Detective Inspector Mellony, der den Vorgang mit traurigen Augen verfolgte. Sein Gesicht war derart verzogen, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.

Mia errötete leicht. Dies wiederum war Sir William Anlass genug, um nach dem Grund zu forschen. Flüchtig drehte er sich um, wurde des Inspectors gewahr und wandte sich grußlos wieder zu Mia um. „Ach der schon wieder“, brummte er genervt.

Instinktiv griff sie nach seiner Hand. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Detective Inspector war seit jeher angespannt, da sich von Anfang an beide um Mias Gunst bemüht hatten. Lange hatte sie gehofft, dass die beiden Männer ihre Unstimmigkeiten beilegen könnten, wenn sie sich für einen von ihnen entschied. Doch seit sie sich mit Sir William in einer offiziellen Beziehung befand, schien sich die Situation nur zusätzlich zu verschärfen. Regelmäßig kochte der Adlige vor Eifersucht, wenn Mellony auch nur in Mias Nähe kam und der Inspector ließ es sich wiederum nicht nehmen, Sir William bei jedem möglichen Anlass zu provozieren. Nach der Kostprobe von Eifersucht, die sie eben bekommen hatte, sollte sie vielleicht etwas nachsichtiger mit den Männern sein. Sie würden sich schon in ihre jeweiligen Rollen einfinden. Hoffentlich, denn sie mochte den Inspector zu sehr, um die Freundschaft mit ihm aufzugeben. Außerdem stieß sie bei ihren Ermittlungen mit Lady Sophie zwangsläufig immer wieder mit ihm zusammen.

„Ich wünschte, er würde sich versetzen lassen“, grollte Sir William.

Mia drückte seine Hand noch fester. Gleichzeitig stellte sie fest, dass Sergeant Angela Angel, der nervtötende Schatten des Inspectors, die hin und her wandernden Blicke ebenfalls bemerkt hatte und ihn sanft am Arm zog. Was mischte die sich denn da ein?

Der Inspector tat, als spürte er die drängende Berührung nicht, löste sich aus der übergriffigen Geste und trat zu dem kleinen Grüppchen. Ob er Mia bewusst zuerst anlächelte, war nicht mit Sicherheit zu sagen, aber Sir William genügte es, um sie noch enger in seinen Arm zu ziehen und festzuhalten. Seufzend ließ sie es geschehen. Wenn es die Situation entspannte, sollte es ihr recht sein.

„Guten Morgen allerseits“, grüßte der Inspector freundlich, und Sergeant Angel schloss sich seinem Gruß mit einem schweigenden Nicken an. „Ein wunderschöner Tag für eine Taufe, finden Sie nicht?“

Alle stimmten ihm zu.

Vor Lady Sophie deutete Detective Inspector Mellony eine respektvolle Verbeugung an. Während der vergangenen Wochen hatte sich das ungleiche Paar kennen und respektieren gelernt. Lange Zeit waren sie nicht besonders gut aufeinander zu sprechen gewesen, inzwischen aber wusste der Inspector Lady Sophies unverblümte Art zu schätzen, besonders, weil jene schon zur Lösung mehrerer Mordfälle beigetragen hatte. Im Gegenzug schätzte die Adlige, dass Mellony angesichts ihrer unlauteren Methoden immer wieder ein Auge zudrückte, wenn sie verbal oder ermittlungstechnisch allzu weit übers Ziel hinausschoss. Auch wenn er ihr im Voraus immer wieder Gegenteiliges androhte. Seine Warnungen, sich nicht in aktuelle Ermittlungen einzumischen, wurden von Mia und Lady Sophie längst nur noch pro forma abgenickt.

„Es ist mir eine große Freude, die Damen auch einmal außerhalb eines kriminalistischen Kontextes anzutreffen“, meinte Mellony eben und lächelte charmant, was von Mia und Lady Sophie gleichermaßen erwidert wurde. Sir William und Sergeant Angel standen sich in ihrer säuerlichen Miene in nichts nach.

„Schön, aber auch ein bisschen langweilig“, antwortete Lady Sophie prompt.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Aber Lady Sophie, es ist doch ein wahrer Genuss. Dieser Frieden, diese Ruhe. Ist es nicht wundervoll, wenn mal gar nichts geschieht?“

„Hm …“, brummte die Adlige protestierend. „So friedlich und ruhig wie Sie glauben, ist es auch wieder nicht.“

Interessiert hielt er ihrem Blick stand. „Wissen Sie etwas, das ich nicht weiß?“

„Es spukt auf Gellam Manor“, ließ Lady Sophie die Bombe platzen. Anschließend ließ sie es sich nicht nehmen, ihre gesamte Spukgeschichte darzulegen, dem Lachen und Augenrollen von Sir William und Mia tapfer trotzend. „Ja, Sie haben ganz richtig gehört. Ein Geist treibt auf Gellam Manor sein Unwesen. Und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich dabei unterstützen würden, diesen zu stellen und dingfest zu machen. Vor allem, da weder mein Sohn noch meine beste Freundin willens sind, mich in dieser Sache zu unterstützen.“

„Moment, so stimmt das nicht ganz“, protestierte Mia. „Ich habe dir keineswegs meine Unterstützung versagt, sondern lediglich erklärt, dass ich nicht an Geister glaube.“

„Ich bedaure, mich hier auf Miss Midways Seite schlagen zu müssen, Ihre Ladyschaft“, der Inspector räusperte sich leicht, „aber auch ich halte es für unwahrscheinlich, dass es auf Gellam Manor spukt.“

Lady Sophie verschränkte die Arme vor der Brust. „Sagt es und lächelt, obwohl er mich inzwischen gut genug kennen sollte. Ich bin doch keine zart besaitete alte Jungfer, die bei jedem Geräusch in Panik ausbricht. Ich verstehe nicht, warum mir niemand helfen will. Aber gut, gut, ihr werdet euch noch wundern. Dann stelle ich mich dem Geist eben alleine entgegen. Und wenn mir etwas passiert, dann werdet ihr schon sehen, was ihr davon habt. Dann …“

„Sophie, Sophie“, unterbrach Mia. „So beruhige dich doch. Es tut mir leid, mir war nicht klar, dass es dir so ernst ist.“

„Ach, glaubst du, ich rase mitten in der Nacht durch halb Pennygrave, noch dazu im Nachthemd, nur um mir ein Späßchen mit dir zu erlauben? Es ist mir sehr ernst. Todernst. Ich habe Todesangst.“

„Na, na“, begann Sir William, aber Mia puffte ihn in die Seite und brachte ihn damit zum Schweigen.

„Sophie, wenn es dir so viel bedeutet, dann komme ich mit und sehe mal nach dem Geist. Ich kann auch bei dir übernachten, wenn dich das beruhigen würde.“

„Ja, das würde mich in der Tat beruhigen“, bestätigte Lady Sophie schnell. „Gut, dann hätten wir das ja geklärt. Du fährst also nachher mit William ins Cottage und holst alles, was du für eine Übernachtung brauchst? Aber stell dich auf alles ein. Ich garantiere dir, das geht nicht mit rechten Dingen zu.“

„Ich kann ebenfalls gerne eine Nacht Wache halten, wenn Sie das beruhigen würde, Lady Gellam“, erbot sich Inspector Mellony und deutete einen leichten Diener an.

„Nein, das wird nicht notwendig sein“, erstickte Sir William das Angebot schroff.

Die Frauen warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Männer! Sie benahmen sich wie die Kinder.

„Ich denke auch, dass das nicht nötig sein wird, nun, da ich nicht mehr allein im Haus bleiben muss“, erklärte Lady Sophie. „Aber gegebenenfalls werde ich gerne auf Ihr Angebot zurückkommen, falls sich die Lage zuspitzt.“

„Das wäre mir sehr recht. Nicht dass den Damen noch etwas zustößt.“

„Nicht solange sie unter meinem Schutz stehen.“ Sir William legte seinen Arm noch etwas enger um Mia.