Berber und der Raub der Raubkunst - Georg Steinweh - E-Book

Berber und der Raub der Raubkunst E-Book

Georg Steinweh

0,0

Beschreibung

Der nicht besonders erfolgreiche Privatdetektiv Daniel Berber wird von den "Dunklen" angeheuert, um auf Mallorca einen berüchtigten Hacker für einen großen Coup zu gewinnen. Aus den fragwürdigen Genfer Zollfreilagern sollen die historischen Schätze "befreit" werden, die der Islamische Staat bei seinen kriegerischen Raubzügen erbeutet hat. Berber muss auf Mallorca seine Geliebte zurücklassen. Lisbeth streitet mit ihrem Vater kreuz und quer durch drei Länder, während die "Dunklen" gegen die Verabredung weitere Kunstwerke rauben. Berber scheint verloren, Erec, der Hacker wird entführt. Liebeth verfolgt mit ihrem Vater die geraubte Ware. Mit Magos Unterstützung bewaffnen sie sich, um bei einem gefährlichen Showdown auf einem Schrottplatz den "Dunklen" Paroli bieten zu können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 473

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Georg Steinweh war während seiner Schulzeit drei Jahre lang Minigolf-Pächter, Shakespeare-Fan und Motorrad-Schrauber. Nach dem Kamera-Studium in Berlin drehte er weltweit Imagefilme, Dokumentationen und SWR-Tatorte.

Zwischendurch erzählte er seinen drei Kindern selbsterfundene Einschlafgeschichten. Die Kinder sind aus dem Haus, die Phantasie lässt sich nicht stoppen …

Weitere Veröffentlichungen am Buchende

Informationen über den Autor und seine Werke:www.georg-steinweh.de

wichtige Figuren

Daniel Berber Ende 40, groß, dunkelhaarig. Mittelmäßiger Privatdetektiv mit gelegentlichen Geistesblitzen und Hang zum Zynismus. Durchaus charmant. Absoluter Einzelgänger mit schlechten Umgangsformen, ist beziehungsunfähig und lehnt seine Tochter ab. Führt dafür gern Selbstgespräche und zitiert endlos berühmte Vorbilder, bevorzugt Philip Marlowe.

Lisbeth Berber Mitte 20, eifert auch äußerlich ihrem Idol Lisbeth Salander nach. Kreativer PC-Junky. Zirkusartistin und Ninja-Sterne-Werferin. Perfekte Bogenschützin. Hat gerade einen Fall mit ihrem Vater gelöst. Liefert sich gerne Wortduelle mit ihm. Und wird zur Heldin der Reihe

Mago, ihr Freund Ende 20, Halb-Spanier und genialer Hacker-Schüler seines Stiefvaters Erec. „Unerhört“ verliebt in Lisbeth, unterstützt sie trotzdem bei ihren Online-Recherchen. Redet gerne in spanischen Metaphern und entwickelt sich zum unentbehrlichen Überwachungsspezialisten und Waffenlieferanten.

Erec M, der „Condor“ 62, Ex-“Black-Hat”, der ins Pentagon und NORAD eingedrungen war. Hat sich auf die Insel zurückgezogen, gärtnert gerne. Lehrmeister von Mago, Ehemann von

Antònia Díaz 50, Magos Mutter. Als ihr Mann starb, zogen sie mit Zwillingstöchtern Maria und Magdalena (23) zurück zu Schwester Elmira nach Mallorca. Ein Familienmensch in einer großen Finca.

die „Dunklen“ Emma 35, sehr groß, sportlich, trägt nur afrikanische Designerinnen-Mode. Stets mit der aktuellsten Computer-Hardware im Einsatz. Nahkämpferin, Typ „Emma Peel“

und John 64, der „Sir“ unter den Verbrechern. Immer britisch gekleidet, Umgangsformen á la „John Steed“. Der Stratege, will den Islamischen Staat subtil bekämpfen

Stella Dolores Martin 41, mallorquinische Drogen-Kommissarin, dunkelhaarige Motorrad-Fahrerin. Unterstützt Berber in allen Lebenslagen Gegnerin des korrupten

Franco Muñoz 60, Polizeichef von Santa Margalida, beugt für Geld gerne das Gesetz. Bauernschlau, aber nicht klug, macht Fehler.

Louis-Eugène Favre 63, oberster Staatsanwalt von Genf, alter französischer Adel, vernetzt mit allen, die wichtig sind. Freund vom Geschäftsführer der Zoll-Lagerräume, M. Monroe und Förderer von

Andrea Bernasconi 53, Chef des Zollfreilagers Genf, in dem unschätzbare Werte unverzollt „zwischenlagern“. Er stammt aus der italienischen Schweiz, temperamentvoll, extrem ehrgeizig.

Motive

Stuttgart

in einer sanierbereiten Villa

Franken

goldene Hochzeit von Lisbeths Großeltern

Mallorca:

Palma,

Erecs Server-Appartement, Bar Café Coto (Frieda Kahlo)

Sa Pobla,

Finca der Familie Dìaz

Alcudia,

Berbers Hotel, Stellas Wirkungsbereich, der Tabaco-Laden von Antònias Schwester Elmira

Santa Margalida,

Zentralgefängnis von Franco Muñoz

Genf

Flughafen, Hotels, Restaurants

Zollfreilager

in Depots lagern Milliardenwerte von Gemälden, Wein, Diamanten, …

Seepark

Berbers Ort des Nachdenkens

Genua

diverse Lokale, Hotels

Industriehafen

hier wird ein Frachtschiff erwartet, hier wird gekämpft

Autohof

ein Versteck und ein guter Platz für einen Showdown

KAPITEL

Freitagnacht

Stuttgart, Villenviertel, Mitternacht

Samstag

Sonntag

Erec

Montag

Montagabend

Dienstag

Palma, Dienstagnachmittag

Mallorca, Sa Pobla, nach 19 Uhr

Santa Margalida, Mittwochfrüh

Franken, „auf die Keller“, Nachmittag

Sa Pobla, Finca Díaz, Abend

Genf, Hotel Mandarin Oriental, Donnerstag

Franken, Lisbeth und Großeltern

Playa Alcudia, Berber und Stella

Palma, Erecs Appartement

Palma, Verwirrungen

Atlantik, Fischkutter Aljana

Palma, Hafengebiet

Alcudia, nach 22 Uhr

Erec, Freitagfrüh

Santa Margalida, Gefängnis

Altstadt von Alcudia, Freitag 20 Uhr

Polizeistation Santa Margalida, Samstag

Flughafen Palma

Genf, Pont-Rouge-Center

Campingplatz Bellerive

Flughafen Palma, Sonntagmittag

Sa Pobla, Finca Díaz

Genf, Hotelzimmer Erec

diverse Orte, ein Internet, Montag 11 Uhr

Alcudia, Lisbeth und Elmira

Altstadt Alcudia

Genf, Büro des Zollchefs, Montagnachmittag

Dienstagfrüh, an wichtigen Plätzen der Welt

Genf, Pont-Rouge-Center

Genf, im Fahrzeug der

Dunklen

Genfer Zollfreilager, Empfangsschleuse

Palma, Staatsanwaltschaft und Revier

Genf, Zollfreilager

Genf, Bernasconi

Wanderparkplatz nach Genf

Im Weindepot

Santa Margalida, Revier

Im Weindepot

Genf, Flughafenhotel

Büro Bernasconi

Landstraße nach Sa Pobla

Genua, Autohof

Genua, Industriehafen

Autostrada, Alfetta

Genua, Donnerstag 10 Uhr

Genua, Via Formellin, Autohof

Industriehafen, Hotel

Genf, Staatsanwaltschaft, 16 Uhr

Industriehafen, 17 Uhr

Autohof, Freitag 5 Uhr

was für ein Finale

Danke

Inmitten der Gesellschaft verbergen sich große Verbrechen am besten. An Orten wie Mallorca, Genf und Genua verhält es sich bestimmt ähnlich, denn: „Das Böse ist immer und überall“.

Was für eine allgemeine Verunsicherung.

Mein Name ist Daniel Berber. Meine Waffe habe ich nicht dabei, meine Tochter erreiche ich nicht. Wenn sich meine Lage nicht schnellstens ändert, werde ich nicht mehr darüber nachdenken müssen, was mir in Zukunft wichtiger wäre.

*

FREITAGNACHT

Daniel Berber fläzt auf dem Sofa und schaut versonnen dem nachtstrahlenden Stuttgart entgegen. Es gibt keine Beleuchtung in dem Raum, was ihn nicht stört. Es ist auch nicht sein Sofa. Und es steht nicht in seinem Haus. Ist es wenigstens sein Stuttgart, das ihn mit Lichtern lockt?

Vom Flur scheint ein schmaler Lichtstreifen herein, spiegelt sich im Fenster. Plötzlich gleitet ein Schatten durch die Spiegelung, als wandere ein Riese durch den gegenüberliegenden Hügel.

Berber bemerkt den Schatten. Trotz später Stunde ist er immer noch aufmerksam. Das ist kein Riese, das ist ein Einbrecher. Jetzt hektisch aufzuspringen hieße, sich schlagartig in eine schwächere Position zu bringen. Wo ist der Schatten? Berber räkelt sich umständlich, gähnt laut, steht auf. Behält das Fenster, die Spiegelung der Tür im Auge. Schlurft Richtung Nebenzimmer. Auch dort kein Licht, aber die Tür steht offen. Er geht hinein, leise, wie man auf Socken eben sein kann. Und wird vom Dunkel verschluckt.

Während er durch die Räume schleicht und dem Einbrecher folgt, entgeht ihm ein zweiter Schatten. Der reglos in einer dunklen Ecke steht und wartet. Auf eine günstige Gelegenheit, wofür auch immer. Im engen Dunkel der Garderobe wirkt der Schatten noch schmaler als er ist und würde Berber ihn bemerken, er würde sicher lächeln über die vermeintliche Bedrohung dieses Hänflings. Doch wo ist der erste Störenfried? Er bewegt sich mit einer Eleganz durch die Dunkelheit, als kenne er sich aus. Kein Rumpeln verrät ihn, nirgends stößt er an, seine behandschuhten Finger gleiten lautlos um die Türzargen, der lange Stock in der Hand ist Teil seines Körpers. Das ist keine Gehhilfe. Ein kurzer Reflex des Mondlichts, der Lichtscheins des Flurs offenbart die brutal glänzenden fünfzehn Zentimeter lange Spitze des Stocks. Ein geschärfter Stahl, auf den sich alles wenige Licht zu stürzen scheint – und in dem alle Zuversicht des Trägers liegt, den Auftrag erfolgreich abzuschließen.

Berber nähert sich dem Schatten, ganz sicher, unbemerkt zu bleiben. Sein Herz pocht heftig, die Adrenalinschübe versorgen ihn mit einem aufputschenden Cocktail aus Körperspannung, Zuversicht und Kaltblütigkeit. In dieses Haus bricht keiner ein. Das zu verhindern ist schließlich sein Job. Und darf sich nach dieser Aktion gerne beim einschlägigen Gesindel herumsprechen. Sie stehen Wand an Wand. Berber wartet auf den günstigen Moment. Was ist in dieser Situation ein günstiger Moment? Konzentriert fixiert er sich auf kleinste Bewegungen jenseits der Wand.

Leider ist ihm entgangen, dass sich eine zweite Person auf ihn zu bewegt. Berber schiebt sich vorsichtig zur Tür.

Der Schatten mit dem Stock ist ein ebenbürtiger Gegner. Er gleitet zurück ins Dunkel des zweiten Raums. Die Lichter der Großstadt spielen hier keine große Rolle. Hätte er eine Bewegung ahnen können? Aber kein Mensch hat hinten Augen.

Die Eindringlinge wissen sich nahe. Das ist nicht ihr erster Auftrag, sie verlassen sich blind darauf, absolut synchron anzugreifen. Berber ist in der Falle. Falls es in den nächsten Sekunden überhaupt laut werden sollte, werden ihrem Opfer nur wenige Sekunden des Erkennens und des Erschreckens bleiben. Dann ist es vorbei.

Der von Berber fatalerweise unbemerkte zweite Schatten schlingt einen Schal um die Hände.

So zäh und zermürbend das Katz-und-Maus-Spiel bisher zu sein scheint, so rasend schnell ist es vorbei. Berber stürzt durch die Tür auf den Eindringling zu. Von hinten schwingt der schmale Schatten das Tuch um Berbers Hals und reißt Berber durch seinen eigenen Schwung heftig zurück. Der verfolgte Schatten steht angespannt mitten im Zimmer, hebt seinen Stock vor Berbers Körper und taxiert sein Ziel für den Bruchteil einer Sekunde. Mit einem wuchtigen Hieb stößt er ...

Wild um sich schlagend und schreiend taucht Lisbeth aus der Geschichte auf. Sie schnauft entsprechend kurzatmig, ihre Augen sind weit aufgerissen und versuchen, aus der Dunkelheit irgendeine Erkenntnis zu gewinnen. Aufrecht und stocksteif sitzt sie im Bett und klammert sich an die Matratze.

„Papa!?“

*

STUTTGART, VILLENVIERTEL, NACH MITTERNACHT

Verdammt, ja. Es gibt Schlimmeres, als im Dunkeln zu sitzen und die dritte Flasche Bier zu trinken. Oder war es die vierte? Ich habe meine Ruhe, aber keine Bleibe mehr. Ein saublöder Werbespot fällt mir ein. Muss an meiner völligen Vereinsamung liegen.

„Mein Haus, mein Boot, mein Pferd.“ Meine Güte. Bei mir würde der Spot sicher so klingen: „Kein Haus, kein Job, kaum Geld.“

Wenn mir nicht Corinna die Bewachung dieses Hauses angeboten hätte – verdammt, ich säße ganz schön auf dem Trockenen. Kernsaniert, muss man sich leisten können. Die Wände bleiben stehen und drinnen tobt sich der Geld verschwendende Wahnsinn aus. Und damit niemand einbricht, lieg ich nachts hier rum. Gut, dass das niemand mitkriegt.

Auf zum Klo, das Bier muss raus. Immerhin funktioniert wenigstens die Toilette, mit Licht haben sie´s noch nicht so, zwei Baustrahler im Flur vermeiden, über die Berge von teuerstem Material zu stolpern. Das Licht bleibt an, haue mich wieder aufs Sofa, das Corinna freundlicherweise besorgt hat. Liegen, sitzen, schauen. Sitze also auf einem Sofa, das mir nicht gehört. In einem Haus, das mir nicht gehört, und schaue auf eine dunkle Stadt, die nichts von mir wissen will.

„Okay Berber, wollen mal nicht ins Drama abrutschen.“

Meine Fresse, jetzt führe ich schon Selbstgespräche. Dabei hatte die Geschichte mit Lotte und dem Rotlicht-König immerhin dazu geführt, dass einzig durch meine Arbeit endlich ein Prozess gegen das Geschäftsmodell des angeblich so feinen Pinkels angezettelt werden konnte. Und seine türkischen Hintermänner kamen auch nicht gerade glimpflich dabei weg. Im Gegensatz zu mir. Außer einer teilerotischen Rückbesinnung an mein frühes Liebesleben blieb mir immerhin genügend Kohle, um eine Weile über die Runden zu kommen. Familie? Familie kann mir gestohlen bleiben, das bestätigten mir die Königs. Auch die nächste Flasche leert sich. Nicht schon wieder aufstehen. Ich werde echt faul. Schade, so ein klitzekleiner Auftrag ... nein! Keine Lust, kein klitzekleiner Auftrag. Ich bin hier ausreichend beschäftigt und ebenso honoriert. Träge oder müde oder beides suche ich den Horizont ab. Was nachts um halb zwei zugegebenermaßen nicht ganz leicht ist. Das Stuttgarter Berg- und Talgewese leuchtet an vielen Stellen. Einzelne Flecken, aber auch lindwurmartige Ausfallstraßen, Leuchtbänder wohlhabender Städte. Da wo nichts mehr ist, wo nichts mehr leuchtet, da muss der Horizont sein. Leuchtet mir ein. Ich muss lächeln. Dem schweigsamen Fenster entgegen. Und freue mich über meinen Wortwitz.

Im riesigen Fenster spiegelt sich das Flurlicht, ergänzt die Stadtlichter am Hang. Aufregend. Zu faul, aufzustehen, morgen stelle ich gleich die Bierkiste neben das Sofa, so viel ist klar. Beiläufig strecke ich mich und rutsche zusehends flacher auf das Sofa, rein instinktiv natürlich, um meiner Perspektive einen anderen Blickwinkel zu verpassen.

„Das muss die Welt gesehen haben. Was für ein unschuldiger Schlaf.“

John hat sich hinter dem Sofa postiert und schaut ungläubig auf Berber hinunter. Emma steht vor dem Sofa am Fenster und bewundert das Lichtermeer.

„Übersichtliche kleine Stadt, charming, dieses Stuttgart. Aber bist du wirklich sicher, dass dieser Träumer der richtige Mann für unser Projekt ist?“

Berber schnarcht. Und wie er so daliegt, mit angewinkelten Beinen, auf einem Sofa, das ihn duldet, in einem Raum, den er mit seinem Schnarchen füllen darf, wäre es ihm sicher recht gewesen, wenn sich in den kommenden Stunden an seiner entspannten Lage nichts ändern müsste. Aber entspannt scheint die Lage nur, weil er schläft. Und ändern kann sich alles.

Emma bewegt sich lautlos auf Berber zu, darauf achtend, keine Bierflasche umzustoßen. John bleibt zwei Schritte vom Sofa entfernt, vom Dunkel des Raums fast verschluckt. Der Knauf an seinem Stock glänzt verräterisch. Und gefährlich. Emma behält Berber im Blick. Sie hat nicht allzu leise geflüstert, aber dieser Kerl lässt sich in seiner Seelenruhe nicht stören. Und scheint sehr angenehme Träume zu haben. Zumindest wirkt er entspannt. Genug. Die Zeit drängt. Leichtfüßig hebt sie ein Bein und drückt Berber den sehr langen, sehr dünnen Absatz ihres schwarzen Lederstiefels in den Schenkel.

„Hätten Sie bitte die Freundlichkeit, aufzuwachen, Mister Berber, Sir?“

Mein Bein tut weh. Das passt nicht zu meinem Traum. Die Stimme auch nicht. Wer nennt mich schon „Mister Berber“? Wer weiß überhaupt, dass ich hier bin? Profi genug, vermeide ich, in dieser ungeklärten Situation hektisch aufzuspringen, im Zweifel bringt mich das nur schlagartig in die schwächere Position. Umständlich räkeln, laut gähnen, umdrehen – und unkontrolliert staunen.

„Guten Abend“, haucht mir eine sexy Frauenstimme zu, die so dunkle, abgründige Schwingungen aufwies wie die Figur, die sich von dem scheißdunklen Stuttgart da draußen leider nur undeutlich abhebt.

„Äh ... guten Abend, ja ... wie kommen Sie denn hier rein? Sind Sie die Besitzerin?“

Im selben Moment ist mir klar, wie blöd man fragen kann. Es ist mitten in der Nacht, da steht keine Besitzerin in ihrem ungemütlichen Fast-Rohbau und betrachtet einen erstklassigen Detektiv, der zurzeit ... ach, lassen wir das. Mein latenter Traum, der Schatten, ist groß und schlank. Und schaut auf mich runter. Das kann so nicht weitergehen. Ich stehe auf, denn ich bin auch groß und – naja, nicht ganz so schlank. Wir stehen uns gegenüber. Nicht so entfernt, um sie nicht überraschend greifen zu können. Nicht so nah, um ihr Parfüm zu riechen. Und ich hätte es gerne gerochen. Sie ist immer noch verdammt groß. Und schweigt.

„Haben Sie keine Angst?“ Ich hab schon blödere Anmachen gestartet.

„Wovor?“, antwortet sie schnell, als kämpft sie mit ihrer Zunge gegen mich.

Nun ist es an mir, zu schweigen. Und zwar beleidigt.

„Ich habe nie Angst“, raunt sie. Womöglich will sie mir eine Brücke bauen. Ich nicke verständig und hoffe, sie kann das sehen. So beiläufig wie möglich gehe ich Richtung Fenster und tue ganz überrascht.

„Ach wie schön. Da passen wir ja gut zusammen. Ich nämlich auch nicht.“

Sehr gesprächig ist meine dunkle Schönheit nicht gerade. Wo ich mich so gerne in diese Stimme verlieben möchte. Aber sie steht einfach da, entspannt, auf hochhackigen Stiefeln, wie ich gerade so sehe, in einem sehr engen Outfit, Überschrift „zweite Haut“.

„Ähm“, räuspert sich etwas aus dem Dunkel des Salons. Ich erschrecke fürchterlich.

„Pardon me, wenn ich Ihr geduldiges Schweigen so ungalant unterbreche ...“.

Ich drehe mich um, sehe nichts. Höre nichts. Es bewegt sich jemand näher, das fühle ich, höre aber keine Schritte. Langsam löst sich eine zweite Gestalt aus dem Dunkel des weiten Raums und bleibt direkt hinter dem Sofa stehen. Ich staune nicht schlecht, gehe aber davon aus, dass das glücklicherweise nicht sonderlich auffällt.

Der Mann zieht zur Begrüßung seinen Hut, eine Art Bowler, die man auf dem Festland kaum mehr sieht und demnächst sicher mit einem Importverbot belegt werden.

„Schön Sie zu sehen, Herr Berber. Welch glückliche Fügung für ein Team. Denn wenn ich es recht bedenke, ist mir Angst tatsächlich auch fremd.“

Ach du grüne Neune, was ist denn das für Einer? Ich muss Land gewinnen, kleiner Plauderansatz.

„Dafür trichtere ich meiner Tochter immer wieder ein, wie wichtig es ist, Angst zuzulassen. Damit man vorsichtig bleibt. Aber ... Entschuldigung, Sie wissen ja nicht, wovon ich rede. Ich habe eine Tochter. Nur so nebenbei.“

An sich interessiert es mich nicht, ob die zwei Eindringlinge sich für meine Familienverhältnisse interessieren.

„Doch, doch, my dear“, gönnt mir die Dunkle ein paar nette Worte, „wir wissen. Ihre Lisbeth ist ein ausgesprochen munteres Mädchen. Aber wann Sie in der Lage waren, ihr väterliche Ratschläge zu erteilen, wäre in der Tat eine Überlegung wert.“

„Wo Sie sie doch, sagen wir, ausgesprochen selten sahen, so über die Jahre betrachtet.“

Das behauptet der Kerl, dessen Unverschämtheit mir plötzlich gar nicht britisch vorkommt. Da pfeif ich doch auf den Upperclass Akzent. Oder so. Ich stutze. „Was wollen Sie mit meiner Tochter?“ Hatten die was mit Lisbeth am Hut, Kontakt zu ihr? Ich bin ratlos. Soll ich mich setzen, ungeduldig hin und her gehen?

„Sie zu verwirren, ist nun wirklich nicht unsere Absicht.“

Er nun wieder.

„Da bin ich aber gespannt auf Ihre Absichten. Wollen Sie ein Bier?“ Drehe mich zur unkenntlichen Schönheit. „Sie vielleicht?“

Beide lehnen ab.

„Gut, dann nehme ich auch keins.“

„Unsere Begegnung liegt geraume Zeit zurück. Erinnern Sie sich an die Beerdigung?“

„Die Beerdigung? Welche Beerdigung?“ Als ob ich in meinem ganzen Leben nur auf einer einzigen Beerdigung war. Auch noch mit Lisbeth? Habe ich leicht genickt?

„Da waren wir uns, ganz aus der Distanz natürlich, zufällig begegnet. Eine wirklich eigenwillige Tochter, in der Tat.“

„Das können Sie laut sagen“, fällt mir nur ein. Und sinke auf der Sofalehne nieder. So ganz wach bin ich wohl doch nicht.

„Aber Herrgott nochmal“, wuchtet es mich wieder hoch, „können Sie einfach mal klipp und klar sagen, was Sie hier wollen? Außer mir den wohlverdienten Schlaf rauben.“

„Sehr gerne“, sagt sie sehr schnell. „Wir brauchen Ihre Unterstützung für etwas Großes, etwas weltweit Bedeutendes. Da ist geraubter Schlaf vernachlässigbar. Dieser Raub wird Folgen fürs Weltgeschehen haben.“

Meine Fresse.

„Weltgeschehen. Soso. Drunter machen Sie es wohl nicht. Und warum denken Sie, sollte mich das Weltgeschehen interessieren? Außerdem bin ich kein Räuber, sondern Detektiv. Auch wenn das nun nicht fett und kursiv draußen an der Klingel steht. Wer sind Sie überhaupt?“

„Sie haben recht. Pardon me. Nennen Sie mich John. Und die Dame an Ihrer Seite hört auf den wohlklingenden Namen Emma.“ Er setzt seinen Bowler wieder auf. Dabei fällt mir sein glänzender Stock auf.

„Klingt echt gut, verdammt authentisch“, brummele ich. „John Steed und Emma Peel. Großartig. Dann bin ich Bond, James Bond.“

„Ach Daniel, das haben Sie wirklich nicht nötig“, säuselt Emma.

Da hat sie nun auch wieder Recht.

„Haben Sie schon mal von Zollfreilagern gehört?“

Was für eine Frage.

„Freilager? Nee. Never.“

„Das sind offiziell genehmigte Lagerhäuser, gesicherte Bunker. In denen Superreiche ihre Preziosen horten, untereinander weiterverkaufen und Steuern sparen.“

„Sehr knapp, aufs Wesentliche reduziert“, meint John. „Leider ist das mittlerweile auch ein unauffälliger Umschlagplatz für Superböse. Der ‚Islamische Staat’ ist Ihnen aber sicher geläufig?“

„Hören Sie mal, wem nicht. Aber was haben Superreiche mit Superbösen gemeinsam? Auch wenn sich das oft nicht wirklich trennen lässt.“

„Da haben Sie auffallend recht, my dear.“

Unverkennbar Emma. Auch Upperclass. Ach, ich könnte ihr stundenlang zuhören.

„Wir suchen eine Person, die uns Zutritt zu den Tresorräumen in dem Zollfreilager Genf verschafft. Zugegeben, keine leichte Übung. Ist nur was für die Besten. Genau den suchen wir.“

„Ich sagte schon, ich bin kein Einbruchshelfer, sorry und erst recht kein Typ vom Roten Kreuz, der obskure Personen aufspürt. Da müssen Sie wen anders fragen.“

„Der IS hat auf seinen barbarischen Kriegszügen nicht nur religiöse Stätten anderer Kulturen zerstört, sondern alle Heiligtümer und antiken Fundstücke, die einigermaßen transportabel waren, geplündert und aus den eroberten Gebieten geschmuggelt. Unvorstellbare Werte.“

Ich höre Emma zu und konstatiere sofort zwei Dinge. Sie hat meinen stillen Wunsch nach ihrem Redefluss erhört – und sie zieht mich immer mehr in ihren Bann. John ist auch noch da. Wie schade.

„Auf nicht nachvollziehbaren Wegen und mit falsch deklarierten Zollpapieren gelangten immens viele der Jahrtausende alten Schätze in besagtes Genfer Lager. Dort wird diese Raubkunst gehortet.“ John atmet ruhig durch, gönnt sich eine kurze Pause, seine Stimme klingt eindringlich. „Und natürlich gibt es weltweit interessierte Kunden, die unbedingt eine antike Figur aus dem Zweistromland auf ihrem Sockel stehen haben wollen. Und dieser Sockel steht wie zufällig in einem weiteren Tresorraum im Freilager. So bleiben die Verkäufe verdeckt, es fließt enorm viel Geld, natürlich taxfree. Und nach dem zweiten Zwischenverkauf sind weder Herkunft, Preis noch letzter Besitzer rückverfolgbar.“

„Auf diese Weise häuft der IS unvorstellbar viel Kapital an, mit dem weitere Kriegszüge und Terroranschläge finanziert werden können.“

Sie verwirren mich. Beide.

„Wir reden von Krieg, Vergewaltigung, Völkermord. Das können Sie doch nicht gutheißen.“

Ach Emma. Sie verwirrt mich noch mehr. „Ja ... nein ... natürlich. Das mit den Lagern wusste ich echt nicht. Das ist ja eine Granatensauerei. Meine Fresse.“

Ich lasse mich wieder mal auf die Sofalehne sinken. „Und das mitten in Europa. Ich sag´s ja, die Schweizer. Nicht grad meine Freunde. Und das nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg.“

Ich werde nachdenklich, was uns aber in der Dunkelheit nicht weiterbringt. Ein großes Ding gegen den Islamischen Staat zu drehen, klingt spektakulär. Aber welchen Part ich von hier aus dazu spielen soll, ist mir völlig unklar.

„Wir wussten es. Sie sind der richtige Mann für uns.“

Ach, wenn Emma das nur anders meinen würde. Ich hoffe, ihr demnächst am Tage zu begegnen. Oder bei Mondschein.

„Ach so. Ich soll bei einem Raubzug helfen, um Raubkunst zu rauben? Nee danke, bisschen viel Geraube.“

„Aber die Welt ...“

„Kann mir gestohlen bleiben. Und die soll nun ausgerechnet ich mit euch retten? Echt jetzt?“, unterbreche ich John.

John geht ans Fenster, schaut auf diesen winzigen Ausschnitt der Welt, der sich Stuttgart nennt. Und nickt.

„Ja“, übersetzt Emma, falls ich die Bewegung in der Dunkelheit übersehen haben könnte.

„Und warum, blöd gefragt, sollte ich das tun?“

Emma setzt sich in einer fließenden Bewegung zu mir auf die Sofalehne. Meine Güte ist die Frau schlank und leicht. Die Lehne hält uns beiden stand. Ich dagegen werde schwach.

„Betrachten wir Ihre Welt doch mal realistisch. Fühlen Sie sich momentan in der Lage, lukrative und auch noch ihrem Ruf schmeichelnde Aufträge abzulehnen, Mister Berber?“

Ein Wimpernschlag in Zeitlupe, dunkle Augen, dunkler Teint. Also gut, sie hat mich. Ehrlich gesagt, längst. Ab jetzt werde ich dieses Paar nur noch die Dunklen nennen.

„Okay. Wohin soll es gehen und wer wird gesucht?“ Wenn schon aufgeben, dann mit einer Spur Lässigkeit.

Ich konzentriere mich auf Emmas Atem. John redet.

„Wir suchen einen ‚Black Hat’, einen international so gefürchteten wie verfolgten Hacker, der in den späten achtziger Jahren nicht nur bei der NSA eingedrungen war. Ersparen Sie uns zumindest in dieser späten Stunde ausschweifende Details zur Vita des ‚Condor’. Vielleicht ist er ja mittlerweile geläutert und arbeitet als ‚White Hat’.“

Mein Gesichtsausdruck hat wohl vor auswegloser Ahnungslosigkeit geleuchtet.

„Die kriminellen Hacker, die Regierungen und Firmen anzapfen, streng geheime politische Ziele oder Firmenpatente verkaufen, werden Black Hats genannt. White Hats sind diejenigen, die für Konzerne Sicherheitssysteme analysieren, deren Schwachstellen offenlegen und unantastbare Konzepte vorlegen.“

Emma hat eine Art, mit mir zu reden – meine Haltung ist sowas von antastbar.

„Der Engländer soll uns die Türen öffnen. Ihn zu finden ist Ihr Job.“

Unverkennbar John, der mich von dort wegholt, wo ich nicht einmal zu hoffen wage, hin zu gelangen. Mist.

„Ich fühle mich geschmeichelt. Fassen wir zusammen: Die CIA fahndet weltweit, findet diesen Typen nicht und ich mach mich auf, weil sie sagen, finde den Engländer. Gibt es eine winzige Idee, in welchem Heuhaufen ich diese Nadel finden soll? Und wieviel Zeit ich habe?“

Jetzt brauche ich doch ein Bier. Das ist mir echt zu aufregend. Muss mich leider kurz von Emma lossagen, schlage an der Bierkiste gekonnt den Kronkorken ab und gönne mir einen großen Schluck.

„Nicht doch eins?“, halte ich John meine Flasche fragend hin.

„Danke.“

„Danke ja oder Danke nein?“

„Danke nein. Wir denken, es könnte schön für Sie werden und vor allem ganz einfach. Wir haben für den Anfang zwei Wochen auf Mallorca gebucht, ein Fünf-Sterne-Hotel, all inklusive natürlich. Dazu Taschengeld in Höhe von dreihundert Euro. Täglich.“

„Mallorca, klingt gut. Aber für dreihundert arbeite ich nicht, bei allem Weltrettungsverständnis.“

„Sind wie gesagt auch nur Spesen. Tageshonorar wäre als Vorschlag achthundert Euro. Ist da der Auslandszuschlag schon dabei, Sweetheart?“

Emma schüttelt gewinnbringend den Kopf.

„Okay, sagen wir also tausend Euro am Tag.“

Ich nicke. Auch gewinnbringend.

„Und was macht ihr mit den zurückeroberten Schätzen? Ein eigenes Museum vielleicht? Kommen die in ihre englische Villa?“

Bis auf die Tatsache, dass der IS historische Kunstschätze zu viel Geld machen kann, verschließt sich mir der Sinn dieser für mich undurchführbaren Aktion. Aber mal abwarten.

„Das ist“, John räuspert sich, „zugegebenermaßen ein schwieriges Feld. Da wir sowohl verdeckt wie multinational agieren, lassen es die Interessen unserer Auftraggeber nicht zu, offen darüber zu reden. Aber wir operieren im Auftrag einer höchst seriösen Interessengemeinschaft, seien Sie versichert.“

Ich räuspere mich auch. „Soso, seriöse Operation. Und mich braucht ihr dazu. Ist klar. Da fallen mir irgendwann sicher ein paar Fragen dazu ein, aber ...“

„Wir haben Sie mehr als möglich, über alle Vernunft ins Vertrauen gezogen, lieber Daniel“, unterbricht mich Emma scharf. Eindeutig eine Rüge. „Wenn es so läuft, wie geplant, kommen die geschichtsträchtigen Relikte zu den Völkern zurück, denen sie gestohlen wurden. Vermutlich nicht alle unversehrt, aber immerhin. Wir versuchen es. Das sind wir diesen Menschen schuldig. Zu diesem Zweck gibt es diese Organisation. Und der IS wird scheitern. Definitely!“

Hörbar, spürbar steigert sich Emmas Inbrunst, meine Gefühlslage wankt.

Trotzdem. „Gibt es vielleicht einen Tipp? Mallorca ist klar nicht so riesig, aber naja, es könnte dauern.“

„Erec M, wie er sich mittlerweile nennen könnte, lebt seit Jahren mit einer mallorquinischen Frau und ihren Töchtern im Norden der Insel.“

„Und den soll ich in Malle aufspüren?“

„Auf Malle, lieber Daniel. Wenn schon Malle, dann auf Malle.“

„Ach. Hatten die auch mal zu?“

Niemand lacht. Über alte Türkenwitze schon gar nicht.

„Einen Hinweis gibt es noch. Die Frau des Engländers hat einen Sohn namens Mago.“

„Mago? Ach herrje.“ Da muss ich nun selber lachen. „Das soll eine Hilfe sein? Da kenne ich in Franken auch einen. Was für ein Zufall. Was glauben Sie, wie viele Magos es auf Malle wohl geben wird?“

Natürlich betone ich das ‚auf Malle’ besonders. Die Dunklen können es einem aber auch schwer machen.

John versucht, mich wieder runter zu bringen. Mir hilft nur ein Schluck Bier.

„In dieser Sache gibt es keine Zufälle, geschätzter Daniel. Davon gehen Sie bitte einfach aus, wenn Sie mit uns zu tun haben. Und nun gönnen wir Ihnen noch ein paar Stündchen Schlaf. Morgen kündigen Sie ordentlich ihren ...“

John unterbricht sich, ihm fehlten tatsächlich die Worte, sowas.

„... ja, Ihren bisherigen Hausmeisterposten. Die Maschine fliegt übermorgen neun Uhr fünfzehn gen Mallorca.“

Wieder ein neues Attribut für Mallorca gelernt: gen Mallorca. Sensationell. John hat recht. Es gibt keine Zufälle. Was, wenn mein Mago auch sein Mago ist? Wie schnell komme ich dann ans Ziel? Werde ich John sicher nicht auf die edle Nase binden.

„Badehose nicht vergessen“, holt mich Emma aus strategischen Gedanken.

War da ein süffisanter Unterton? John legt einen großen, dicken Briefumschlag neben mich.

„Da finden Sie das Wichtigste für die ersten Tage, vor allem Geld. Alle weiteren Details vor Ort. Wir wissen ja, wo Sie residieren. Und wie gesagt, das kann ein angenehmer Job werden. Ein sehr angenehmer. Liegt ganz in Ihrer Hand.“

Emma löst sich von mir, ohne nah gewesen zu sein.

„Viel Vergnügen.“

„Wir sehen uns doch wieder?“

„Haben Sie mich denn gesehen?“

*

SAMSTAG

Das Lokal ist voll. Das Lokal ist laut. Das Lokal ist fest in italienischer Hand. Bis auf wenige Ausnahmen. Logisch, dass am Samstagabend die Forchheimer hordenweise beim Italiener einfallen, als hätten die ersten Pizzabäcker erst kürzlich die fränkische Kreisstadt als Zentrum ihres heimatfernen Wirkens erkoren. Die Bambini überbrücken die Wartezeit auf die üblichen Spaghetti Bolognese mit lautstarkem Wettrennen durchs Lokal, die Frauen haben sich um die Ecke des Tisches zusammengerottet, um die nächsten Urlaubspläne zu besprechen, ihre Kinder zu loben oder darüber zu diskutieren, wann Luigi nun endlich die Terrasse plätteln würde. Oder ob überhaupt in diesem Leben. Aber vor allem, warum Giuseppa immer noch nicht verheiratet ist. Schließlich ist sie schon neunundzwanzig.

Für Mago ist das normal. Für Lisbeth eher die böse Vorahnung dessen, wohin das Leben führt, wenn das, was „Familie“ genannt wird, über einen hereinbricht. Deswegen ist es ihr Lieblingslokal, vorgelebte Warnungen. Wenn es die denn bräuchte.

„Ich muss verreisen.“

Es dauert eine Weile, bis Lisbeth den Satz versteht. Eine weitere Weile betrachtet sie ihr Gegenüber. Endlich nickt sie.

„Wo soll´s denn hingehen?“

„Nach Malle.“

Mago ist offensichtlich etwas kurz angebunden.

„Bist du auf der Flucht? Außerdem heißt das Mallorca, und nicht Malle.“

Mago zuckt die Schultern. „Einmal Proll, immer Proll. Meine Nürnberger Kinderstube werde ich nimmer los.“

Lisbeth ist irritiert. „Hast du mich deswegen in meinen Lieblingsitaliener eingeladen?“

Es ist nun nicht so, dass Mago über jeden seiner Pläne Rechenschaft abgeben muss. Obwohl Mago gern in dieser komfortablen Situation wäre. Aber Lisbeth pflegt eine Distanz, die mehr als eine gute Freundschaft nicht zulässt. Da muss sie eben akzeptieren, dass der gute Mago sich nach Mallorca verabschiedet, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.

„Ich wollt jetzt kein großes Bohei draus machen“, lächelt Mago etwas schuldbewusst. Ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. „Hätte es dir auch gern früher erzählen, aber die Lisbeth hat ja richtig viel zu tun. Also fliehe ich aus Franken.“

„Jeder hat sein Päckla zu tragen, lieber Mago. Und? Machst jetzt schon Überwinterungsurlaub wie die Rentner mit Pauschalpaket?“

„Alles inklusive habe ich schon, wenn du das meinst. Ich fahr zu meiner Familie. Mama freut sich riesig, mich mal wieder zu sehen.“

Gekonnt hebt er ein größeres Pizzastück vom Teller, bewahrt mit der anderen Hand das labberige Ende davor, abzusacken und beißt hinein. Er hat sich nichts vorzuwerfen. Lisbeth träufelt etwas abwesend noch mehr Olio picante auf ihre Pizza und bevorzugt im Gegensatz zu Mago nach wie vor mit Messer und Gabel zu essen. Das Stück, das sie sich in den Mund schiebt, ist deswegen auch nicht kleiner, als der Brocken, an dem Mago kaut. Er hätte viel dazu zu sagen. Aber erstens sind es Themen, auf die Lisbeth überhaupt nicht abfährt und zweitens hat er den Mund voll. Außerdem ist völlig klar, Lisbeth will von seinen Anbandelungs-Versuchen verschont bleiben. Erst recht mit vollem Mund.

„Ich fahr gern zu meiner Mutter. Wird echt höchste Zeit. Warum besuchst du denn nicht mal wieder deinen Vater?“

Mago ahnt, dies ist nicht Lisbeths Lieblingsthema. Aber – hat Lisbeth überhaupt ein Lieblingsthema? Mago seufzt. Das geht auch mit dicken Backen.

Lisbeth nickt. Abwartend. Abschätzend.

„Und? Was will mir der geneigte Freund damit sagen? Ich kann´s dir sagen. Ich träum sogar von ihm.“

„Hmpf?“, hustete Mago. Fast hätte er sich verschluckt.

Scheppernd lässt sie ihr Besteck auf den Tisch fallen. „Und natürlich muss es gleich ein Alptraum sein!“

Mago schluckt. „Was heißt Alptraum?“

„Was man halt so von einem Detektiv träumt. Einbruch ins Haus, Überfall, Gefangennahme, Bedrohung mit Stichwaffen. Das Übliche eben.“

Lisbeth spürt, während sie erzählt, wie sie das Geträumte wieder einholt, aufwühlt. Und versucht, es zu bagatellisieren.

Nun ist es an Mago, zweideutig zu nicken. „Soso. Das Übliche. Und, hast ihn angerufen?“

„Wieso angerufen?“

„Meine Güte Lisbeth. Ob er gesund ist und so. Das sind doch Vorahnungen, Visionen. Meinetwegen Metaphern. Die muss man ernst nehmen.“

„Muss man nicht – und frau schon gar nicht“, platzt es aus Lisbeth raus. Und nimmt einen großen Schluck weißen Frizzante.

Mago saugt unwillig an seiner Cola, denn trotz so regelmäßiger wie inständiger Nachfrage weigert sich Paolo standhaft, Club Mate auf die Karte zu setzen. Und schweigt. Er spürt, wann es angesagt ist.

„Ich ruf doch wegen ´nem Alptraum meinen Vater nicht an. Soweit kommt´s noch. Er meldet sich ja auch wochenlang nicht.“ Lisbeth hält kurz inne, schaut Mago an. „Hast du was gesagt?“

„Ich? Wo denkst du hin. Wie kommst denn darauf?“

„Okay. Dachte nur.“ Noch ein Schluck. „Bist doch stets kommentarbereit.“ Lisbeth schaut tief in ihr Glas. „Ich kann im Zirkus vom Trapez stürzen, wäre ihm scheißegal.“

„Nur weil er es nicht weiß, meine Liebe“, wagt sich Mago weit nach vorn.

Lisbeth mustert ihren Freund, fuchtelt mit der Gabel vor seinem Gesicht.

„Mein lieber Mago, mir ist völlig klar, wann du ‚meine Liebe’ sagst. Und dir dürfte auch völlig klar sein, wann das sowas von kontraproduktiv ist.“

Während sie doziert, nutzt sie die Gabel wieder für den vorbestimmten Zweck, fixiert die Pizza, schneidet mit heftigen Bewegungen ein großes Stück ab. Keine weitere Diskussion. Nachtragend ist Mago wirklich nicht. Will Lisbeth nicht einfach mit nach Malle? Ob sie es will, bleibt ihr Geheimnis, sie kann nicht. In ein paar Tagen feiern ihre Großeltern goldene Hochzeit. Das will sie erleben, so lange die das noch erleben.

„Meine Schwestern wollen mich auch mal wieder erleben. Und meine Mutter würde dich sehr gerne kennenlernen.“

„Wieso“, staunt Lisbeth, „hast du von mir erzählt? Sind wir schon verlobt? Habe ich was versäumt?“

Mago konzentriert sich mühsam auf seine Cola, trinkt sie aus.

„Quatsch, Lizzy. Ist einfach schön jetzt auf Malle. Ruhig und so. Und klar habe ich von meiner besten Freundin erzählt. Ich lebe doch nicht vereinsamt in Franken. Was übrigens nicht so schwer wäre.“

Lisbeth weiß manchmal echt nicht, was sie von dem Kerl halten soll. Ihre Blicke zeigen das überdeutlich.

„Mallorca Mago, Mallorca. Meine Freunde haben Mallorca zu sagen. Es geht nicht. Ich habe noch drei Auftritte im Zirkus. Dafür muss ich trainieren wie der Teufel. Meine Ninja-Sterne fliegen nicht von selbst ins Ziel. Und ins Flugzeug darf ich die bestimmt nicht mitnehmen.“

Lisbeth lehnt sich zurück, ganz sicher, dieses Thema ein für alle Mal abgeschlossen zu haben.

Mago meint, wenn das Flugpersonal wüsste, dass es Lisbeth selbst sei, die waffenscheinpflichtig sein müsste, dürfte sie wahrscheinlich überhaupt nicht die Maschine betreten.

Im Nachhinein war er gar nicht mehr so sicher, ob er das gesagt hat – oder sich nur traute, es zu denken ...

*

SONNTAG

Zwei Dinge brachten mich unglaublich schnell nach Malle: Der mit Rentnern proppenvolle Sunshine-Liner und meine weit zurückliegenden Erinnerungen. Beifall für den souverän landenden Piloten war ab einem bestimmten Fluggast-Alter anscheinend out. Ein gewisses Maß an alkoholischer Grundversorgung während des Pauschal-Flugs leider auch. Der Flughafen ist in den letzten 18 Jahren Umschlagplatz eines internationalen Bienenvolkes geworden. Wobei sich dieses Volk hier nicht durch produktives Verhalten, sondern preisgünstigsten Konsumwunsch auszeichnet.

Die Dunklen haben meine Reise gut organisiert. Trotzdem werde ich nicht an das Gute in ihnen glauben. Warum sonst drängt sich mir ständig dieser alberne Begriff Dunklen auf, wenn ich an dieses obskure Pärchen denke. Immerhin haben sie Namen. Während ich so Emma und John vor mich hinflüstere, komme ich zum Mietwagen-Schalter.

„Ola. I would like to rent a car“, verrate ich in ordentlichem Englisch und krame meine Reservierung aus der Jackentasche. Die dunkelhaarige Schönheit hinterm Tresen faltet mühsam die Dokumente auseinander.

„Disculpe, solo estoy hablando”, meint sie trocken. Und ergänzt mit einem außergewöhnlichen Lächeln “… oder gerne auch Deutsch.” Dabei streicht sie so abwesend meine Reservierung glatt, dass ich mir nur wünschen kann, zu knitterigem Papier zu werden.

Zurücklächeln, gewinnend natürlich und deutsch reden. Der Mini, der bestellt ist, löst keine Freude bei mir aus. Ich verfluche meine Planer.

“Oh, Señora, ich hab sicher nicht so schöne Beine wie Sie. Aber haben Sie keinen Wagen mit etwas mehr … sagen wir … Beinfreiheit?” Ich lehne mich an den Tresen und komme ihr näher. Sonja, so steht es auf ihrem Reversschild, weicht synchron zurück. Natürlich nur, um aus dem Regal eine Mappe zu holen.

“Sie haben Glück. In Ihrer gebuchten Preisklasse ist leider kein Wagen vorrätig. Da kann ich Ihnen ein upgrade anbieten. Ohne Aufpreis natürlich.”

“Natürlich”, nicke ich und suche weit hinter ihrem Namensschild ihre persönlichen upgrades.

“Sind Sie beruflich unterwegs?”, fragt Sonja, während sie das Formular ausfüllt.

“Nein”, log ich, “aber ich kann das eine vom andern nie so richtig trennen.” Nun hat sie auch noch meine Telefonnummer.

Sonja überreicht mir formvollendet die kleine schwarze Mappe und eine mehrfarbige Wegbeschreibung zu meinem Wagen.

“Ich kann das gut”, lächelt sie mich an, wünscht mir einen angenehmen Aufenthalt auf Mallorca – und widmet sich dem nächsten Kunden.

Okay, als Niederlage würde ich das nicht bezeichnen, aber mein Groll verkürzt mir den Weg zum Auto. Ein ewiger Fußweg, zig Hinweisschilder, meine Fresse gibt es viele Autovermieter. Parkflächen brav nach Händlern sortiert. Nummer 72E. WOW! Laut Kühlerlogo ein Opel. Aber irgendwie auch wieder keiner. Neugierig erstmal ans Heck. Cascada, schick. Dunkelblaumetallic würde ich sagen, fast wie vor 18 Jahren. Ich drücke meinen Koffer in den erstaunlich kleinen Kofferraum und überfliege das übersichtliche Bilderrätsel zum Öffnen des Faltdachs. Ja, es war auch noch ein Cabrio. Dies zum kleinen Kofferraum. Es sind 16 Grad am Mittag, ich habe ein Cabrio. Das muss offen gefahren werden. Das Glück ist mir hold, Sonja schon verschmerzt. Eine knappe Stunde bis Alcudia.

Die Mallorquin sind Profis, zumindest was die Verkehrslenkung für Touristen angeht. Die begehrlichsten Ziele des Massentourismus sind in riesigen Lettern ausgeschildert. Da muss ich nicht mal die Bedienung des Navi ergründen. Die Magistrale Richtung Norden ist für einen Sonntag gut gefüllt. Welche Expertise ich da herzog, ist schleierhaft, jedenfalls bewege ich mich in einem gesitteten Strom Richtung Ziel. Der Opel schnurrt leise, der Fahrtwind wird durch das Windschott gekonnt ausgebremst. Außerdem bin ich eh kein Weichei. Wie geht nochmal der Spruch vergangener Tage?

„Jeder Popel fährt ´nen Opel. Fährt er in den Graben, will ihn keiner haben.“

Sehr aufregend ist die Gegend nicht. Felder, nochmal Felder, langgezogene Industriebauten. Warum suchen die Dunklen nicht selbst nach diesem Hacker? Ich werde sparsam mit Details versorgt, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ... Die hatten mich einmal auf einem Friedhof gesehen. Dann schneien sie vier Monate später nachts in ein fremdes Haus und schicken mich ganz dringend für einen Auftrag nach Mallorca. Kurz nach Inka gruselt es mir. Die wussten zu viel über mich. Und sicher erst recht über diesen Erec. Das war wiederum nachvollziehbar. Den Typen mussten sie unbedingt haben. Und dass sie mich haben wollten – bei meinem Ruf auch nicht ungewöhnlich. Waren eben Realisten, trauten sich die Sache nicht zu. Und wenn das tatsächlich Lisbeths Mago ist, dann habe ich ein sehr großes Ass im Ärmel auf der Suche nach dem Hacker.

Kein Ort meines Vertrauens. ‚Vanity Hotel Golf’, fünf Sterne. Ist ja eh immer Landeskategorie, was der gemeine Spanier eben unter fünf Sternen versteht. Sehr sauber allerdings. Hinter der Rezeption zwei Männer, eine Frau. Die verschwindet, als ich näherkomme. Nicht fein.

„Ola, Berber. Daniel Berber. Für mich ist ein Zimmer reserviert.“

In so einem Hotel hat man deutsch zu sprechen. Und es ist so.

„Herzlich willkommen Señor Berber. Haben Sie einen Voucher?“

Der Typ ist ausgesprochen freundlich.

„Und Ihren Ausweis, wenn ich bitten darf.“

Es wundert mich immer wieder, was in meinen Jackentaschen alles Platz findet. Vor allem, wenn ich mal keine Waffe dabeihabe. Das verbietet sich ja bei einem Flug. Ich kann mir sowieso nicht vorstellen, wofür die hier gut sein soll. Außer zum Ausbeulen der Taschen eben.

Ricardo wird mich zu meinem Departamento geleiten. „Wir haben 117 Zimmer, 80 davon mit Meerblick.“

Darauf hoffe ich.

„Ihres natürlich auch. Ein Doppelzimmer zur Alleinnutzung.“

Er will damit wohl sagen, dass Singles im Allgemeinen keinen Meerblick verdient hätten. Darauf gehe ich gar nicht erst ein. Ricardo öffnet die Tür mit einer Scheckkarte und lässt mir mit einer generösen Geste den Vortritt.

„Gar nicht so unübel.“ Mein erster Schwenk durchs Zimmer findet keinen Makel. Ein ausreichender, von den Nachbarn abgegrenzter Balkon, der versprochene Blick zum Meer.

„Das beste Haus weit und breit“, schwärmt Ricardo, schiebt meinen Koffer ins Zimmer und bleibt mitten im Raum stehen.

Angewurzelt. Als ob ihm der Strom ausgegangen wäre. Na gut. Dann will ich seine Batterie mal wieder füllen. Und drücke ihm fünf Euro in die Hand. Am Anfang muss man großzügig sein, man weiß ja nie, wozu das Personal mal braucht wird. Mit einem Lächeln, das ruhig etwas dankbarer hätte ausfallen dürfen, verabschiedet er sich.

*

EREC

Mit schaumschlagendem Getöse drücken die Seitenstrahlruder die Fähre gegen den Pier. Der Hafen gehört zu Erecs bevorzugten Joggingstrecken, am späten Nachmittag, wenn es den Touristen zu spät für die Kaffeerunde und zu früh für den Sundowner war. Kein Slalomlaufen. Wenige Einheimische. Er ist gut in der Zeit, kein unnötiger Ehrgeiz, nicht schneller, rastloser, jugendlicher. Er ist 62, schlank, fit, ansehnlich. Er liebt Schiffe, irgendwann wird er Antònia so weit haben, dass sie mit ihm auf einem Hausboot leben wird. Frei. Ohne Anschluss. Allerdings auch ohne Glasfaseranschluss.

Ein langer Ton vom Nebelhorn. Ohne Nebel macht sich der Ausflugsdampfer daran, zum x-ten Mal anzulegen. Zehn Sekunden, nur zehn Sekunden gönnt sich Erec, trippelt im Stehen weiter, nur nicht den Aggregatszustand runterfahren, das Können des Kapitäns an der Anzahl der Ruderkorrekturen definieren. Es gibt noch einen Aufmerksamen. Ein vielleicht fünfjähriger Junge sitzt auf einem Poller, baumelt ungeduldig mit den Beinen und schaut dem Wasser zu, wie es schäumt, dann wieder von sich selbst verschluckt wird, weiße Kronen, schwarze Glätte. Erec schaut sich um. Ein Kind allein, das kann er sich nicht vorstellen. Und tatsächlich: Im Schatten eines Baums sitzt eine Frau auf einer Bank. Fast hätte er sie nicht gesehen. Und fast ist ihm entgangen, dass sie ein Baby stillte. Das hat er lange nicht mehr gesehen, in der Öffentlichkeit schon gar nicht. Sofort ist ihm sein Voyeurismus unangenehm. Gut, es ist nur ein zufälliger Blick, den er schnell wieder woanders hinlenkt. Stillende Frauen stehen nicht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Er hat ja seine Antònia. Der kleine Mann scheint auch ganz brav und folgsam im direkten Blickfeld seiner Mutter.

Erec will weiter, auf den Kapitän kann er sich verlassen. Nur einmal einen Poller touchiert. Irgendwann, Antònia, wirst schon sehen ... Er passiert die Mutter, steigert sein Tempo. Zwei Sekunden später holt ihn ein erschütternder Schrei ein. Er erstarrt, dreht sich um, sieht die Frau mit dem Baby im Arm zum Steg rennen. Der Junge. Wo ist der Junge?

„FLORI!“, schreit sie. Die Stimme verzerrt.

„Hilfe! Hilfe! Mein Kind ist ins Wasser gefallen!“ Die Frau schreit, weint und umklammert hilflos ihr Baby, unfähig, in dieser Situation irgendeine richtige Entscheidung treffen zu können. Schnell ist Erec neben ihr, schaut sie kurz an. Ein ängstlicher Blick, Augen voller Tränen.

„Tun Sie doch was, bitte tun Sie was“, jammert sie.

Erec zögert nicht, sieht den Jungen im Hafenbecken heftig mit den Armen aufs Wasser schlagen, schreien und prusten und schreien und doch nur unnötig Wasser schlucken. Gleich geht er unter.

Schnell schlüpft Erec aus den teuren Laufschuhen, legt sein Handy hinein und springt kopfüber ins Wasser. Eine Sekunde. Noch ist der Junge nicht untergegangen, noch kann er ihn sehen. Noch eine Sekunde. Wenn den Kleinen die Kräfte verlassen und er untergeht, wird es schwer werden ... Aber diese Gedanken verbietet er sich. Noch eine Sekunde. In zwei starken Zügen ist er bei dem Kind, doch bevor er zugreifen kann, geht es unter. Eine Sekunde versäumt. Erec schnappt Luft, taucht hinterher, muss schneller sein als der natürliche Abtrieb des leichten Körpers. Zu jung zum Sterben, denkt Erec. Ich krieg dich. Eiskalt ist das Mittelmeer Anfang März. Aber sehr sauber, Hafen hin oder her. Noch eine Sekunde. Erec ahnt den Schatten, der Junge ist schon zu tief. Es dauert. Zu lange? Noch zwei Züge, endlich kann er ihn packen und taucht – wieder Sekunden verloren – mit dem leblosen Körper an die Oberfläche. Ein heftiger Schrei öffnet sein Ventil und füllt die Lungen mit frischer Kraft.

In kurzer Zeit hat sich der Steg mit Menschen aus dem Schiff gefüllt, Personal schafft sich Platz, Rettungsringe mit Fangleinen schwimmen neben Erec, ein Matrose lässt sich behände an einer schnell eingehängten Leiter brusttief ins Wasser hinunter, klammert sich an die Leiter und hält Erec seine Hand entgegen. Vorsichtig schiebt Erec dem Matrosen den Jungen zu, Sekunden später hängt der kleine Mann im Arm des zweiten Retters. Am Steg haben Ersthelfer Decken und Alufolien ausgebreitet, der Bordsanitäter beginnt sofort mit der Wiederbelebung.

„FLORI!“, schrie die Mutter.

Ein Pärchen stützt sie, der junge Mann hält das Baby, damit sie sich um ihren Sohn kümmern kann. Das Baby schreit.

Flori atmet.

Die Mutter schüttelt ein Krampf aus Angst und Glück. Ruhig atmend steigt Erec die Behelfsleiter hoch, was niemand registriert. Er nimmt seine Schuhe in die Hand, lässt das Handy im Schuh. So triefendnass will er weder seine Schuhe schädigen noch das Handy anfassen. Er hinterlässt weiter nichts als eine dunkle feuchte Spur auf den Holzplanken des Stegs und verschwindet im Rücken der dem glücklichen Ende zugewandten Menschenmenge. Und auch diese wenigen Spuren werden schnell verschwunden sein und keinen Hinweis mehr auf seine Gegenwart liefern können.

Denn das Einzige, was Erec nicht brauchen kann, ist Aufmerksamkeit. Weder von Menschen noch von Medien.

*

MONTAG

Keine Ahnung, wo ich Erec finden würde. Also hier, im hohen Norden von Formentor sicher nicht. Keine Funkmasten, kein Strom, kein schnelles Internet. Apropos Geschwindigkeit. März ist eine super Zeit, um mit reichlich Speed die engen Kurven zu schneiden, die sich durch die üppige Felslandschaft winden. Kaum Reisebusse, noch weniger Radfahrer oder gefährliche Mopeds. Was braucht ein Hacker? Wo lässt sich so einer nieder? Auf dem Land? Never. Der braucht Glasfaser, Futter für seine Server, Großstadt. Malle hat nicht so viel von all dem. Ich schrubbe um die Kurven, dass es deutschen Blitzanlagen eine Freude wäre, meine Strecke alle Kilometer minutiös abzulichten und denke nach. Nicht, weil ich ein schlechtes Gewissen haben sollte. Sollte ich? Warum? Weil ich mich nicht in von mir unerschlossenen Milieus rumtreibe, um einfach mal so nach einem gesuchten „Black Hat“ zu fragen? Mein Gewissen ist rein. Wie die Luft und das Meer, das ab und an zwischen Felslücken weit entfernt und doch so blau lockt. Brrrr. Schon hatte ich die Baumgrenze überschritten, in meinem Cabrio wird es nun doch langsam kühl. Warum fällt mir gerade jetzt ein, meine Tochter anzurufen?

„Hallo Lisbeth, wie geht´s, wie steht´s?“

„Hallo Papa. Das willst du nicht wirklich wissen. Oder? Jedenfalls, bei mir ist alles im Plan wie eh und je.“

Lisbeth schweigt, ich will schon fragen ...

„Aber sag mal, bei dir ist ja auch alles beim Alten. Jedenfalls telefonierst du immer noch, wenn du Auto fährst. Und das in der Großstadt.“

„Ich bin nicht in Stuttgart und von Großstadt kann da eh keine Rede sein. Ich fahr Serpentinen. Kannst du mir die Adresse von Mago mal rüberreichen?“

Ich will weder plaudern, noch mich entschuldigen. Ich habe einen Lauf und eine Idee. Schlimm genug, deswegen meine Tochter Lisbeth kontaktieren zu müssen.

„Der wohnt irgendwo in Nürnberg. Was ist da jetzt wichtig für dich?“

„Nein Tochterherz, nicht in Nürnberg. Die in Mallorca.“

„Wie in Mallorca? Außerdem heißt das auf Mallorca, werter Vater. Warum willst du das wissen?“

Meine komplizierte Tochter. Einmal im Leben einfach eine Frage beantworten, meine Güte!

„Weil ich auf Mallorca bin.“ Betone das „auf“ besonders, ich bin ja lernfähig.

„Das ist echt zum Mäusemelken. Warum sind bloß grad alle auf Mallorca? Gibt´s da was Besonderes? Was machst du da? Mago wollte da auch hin, wollte mich sogar mitnehmen.“

Ich muss langsamer fahren, es wird enger, spitzer und das Gespräch anstrengender. „Keine Sorge, ich will dich nicht mitnehmen. Einfach nur eine harmlose Adresse auf Mallorca.“

„Mensch Papa, wahrscheinlich hast wieder was vor, wo du mich nicht dabeihaben willst. Ich kenn dich doch.“

„Jetzt mecker hier nicht so rum. Du kennst mich eben gar nicht. Alles harmlos, will einfach mal ausspannen. Urlaub nennt man das glaube ich.“

„Mit Mago? Cerveza trinken und so? Ich kenn dich echt nicht.“

„Schick mir einfach ´ne SMS mit der Adresse. Ich kann grad nicht schreiben, wie du dir vorstellen kannst. Bin kurz vorm Cap Formentor.“ Und will mich der reichlichen Gegend und meinen Gedanken hingeben. Ach, was geht´s mir gut.

„Hauptsache dir geht´s gut. Oma hat die Tage goldene Hochzeit, ich grüße sie mal von dir in Mallorca.“

Das klingt nun aber etwas gehässig. Soll ich das merken? Jedenfalls, „Gute Idee, Lisbeth. Grüße sie mal. Wenn du meinst, das hilft.“

Ich verabschiede mich von meiner launischen Tochter, trete das Gaspedal durch und spüre kurz darauf einen herben Schlag am Lenkrad. Sofort schlittert der Wagen gegen die Kurvenrichtung. Begleitet von einem schrecklich schabenden Geräusch wie von einem alten Güterwaggon auf dem Abstellgleis. Ich lenke, nicht tut sich, bremse mit aller Kraft. Das Steuer will nicht, wie ich will. Kurz vor einem Felsen kommt der Wagen zum Stehen. Der Horror. Eine gefühlte Ewigkeit. Kein Zeitgefühl. Angstschweiß, vergessen zu atmen. Ich steige aus, atme tief durch. Das war knapp. Der Wind bläst über mein nasses Gesicht. Plattfuß vorne rechts. Ich presse meine Hände zusammen. Die scharfe Kurve hat außerdem den Mantel von der Felge geschält, eine meterlange Schleifspur hinter mir. Ein Schienenrad ohne Schiene. Scheiße.

Doch blöd, dass keine Hauptsaison ist. Da wird erstmal niemand vorbeikommen hier oben. Kofferraum auf, Motorhaube auf, Pannensignale. Und natürlich kein Ersatzrad im Kofferraum, nicht mal eins dieser halblebigen Noträder. Schöner Mist.

Lehne mich an einen Felsen. Aussicht genießen. Bloß nicht aufregen Berber. Bist aber doch aufgeregt Berber. Schon aus der Ferne hab ich´s gehört. Nichts zu sehen, aber ein Getöse wie von einer Rennmaschine. Endlose Sekunden später schießt ein Motorrad an mir vorbei.

„Idiot“, fluche ich dem potentiellen Nierenspender hinterher. Und schon ist er nicht mehr zu sehen. Plötzlich auch nicht mehr zu hören. Verdammt. Hoffentlich nicht die Klippen runtergestürzt. Da ist es wieder. Ich atme durch, puh. Das aggressive, hochtourige Geräusch, laut wie vorher. Wird es lauter? Kommt der Raser zurück? Schneidet in Ideallinie die Kurve auf der falschen Seite, schießt auf mein Cabrio zu und hält direkt vor der Stoßstange. Der Typ steigt ab, winkt kurz zu mir rüber, geht einmal ums Auto und tritt gegen das defekte Rad.

„Hey, was soll das? Das Rad ist schon kaputt. Treten hilft da gar nicht. Bewegen sie sich mal schleunigst weg von meinem Besitz.“ Ist mir völlig egal, ob der Typ mich versteht, meine Stimmung ist eindeutig international.

Der Rocker hebt beschwichtigend eine Hand, zieht die Handschuhe aus, legt sie auf die Sitzbank und schält sich den Helm vom Kopf. Meine Fresse. Eine Frau. Langes, dunkles Haar breitet sich über ihre Schultern aus. Ich staune. Nicht schlecht.

„Ola“, meint sie freundlich.

„Olala“, gebe ich sicherheitshalber mal zurück. Wer weiß, wie das weitergeht ...

Sie bietet ihre Hilfe an, hat sofort ein Telefon in der Hand, redet kurz und zackig auf jemanden ein, in dem melodiösesten Spanisch, das ich je gehört hatte. Hatte ich je richtig Spanisch gehört außer beim Bestellen im Lokal? Wenn die jetzt den Abschleppwagen ordert, kann es dauern. Sie lächelt mich an, redet weiter, rüttelt am defekten Rad, gibt das Automodell durch. Das habe ich verstanden. Sie legt auf.

„Stella.“ Sie streckt mir die Hand entgegen.

Ich bin – natürlich ungewollt – irgendwie überfordert. Und jetzt?

„Und Sie?“, fragt sie auf Deutsch und selbst in den wenigen Worten spüre ich einen wunderbaren Akzent. Ach je.

„Äh, excusa. Mein Name ist Berber, Daniel Berber.“ Ganz ohne fränkischen Akzent.

„Bis der Werkstattwagen da ist, dauert es eine Weile. Sicher länger, als Sie hier hoch gebraucht haben, wenn ich mir die Felgenspur so ansehe. Respekt.“

Ihr Blick durchbohrt mich. Ein Verhör?

Irgendwie muss ich da dranbleiben. „Schöner Mist. Aber hab ja grad eh nichts vor. Was machen Sie denn so die nächste halbe Stunde?“ Eine Motorradbraut in grauer Kombi, auf grüner Maschine. So eine Chance kriegt man nicht so oft. „Leider kann ich mich momentan nicht erkenntlich zeigen, in der Pampa hier ... Ihre Hilfe und so ... danke jedenfalls.“

„Ich fürchte, eine halbe Stunde reicht da nicht, lieber Daniel Berber.“

Ach, wie sie Daniel Berber sagt. Verdammt, die Mallorcina hat mich am Wickel. Wie gesagt, schade. Was soll ich noch sagen? Da ich die Nordspitze verpasst habe, lädt sie mich ein, mit dem Motorrad hochzufahren, dort kann ich ihr einen Kaffee ausgeben und sie mich rechtzeitig zum Auto zurückbringen. Die Fahrt auf dem Sozius war gewöhnungsbedürftig, wenn ich mich nicht mächtig gegen die Kurvenlage gebeugt hätte, wären wir sicher ein paarmal aus den Kurven geschlittert. Sie zwang die Maschine in Schräglagen, die jenseits meiner physikalischen Einschätzungen lagen und ich wartete nur darauf, dass mein oder ihr Knie vom Straßenbelag geschliffen wurde.

Endlich trinken wir den versprochenen Kaffee. Stella ist sehr nett, aber irgendwie außen vor. Fremd. Ich zahle. Wir fahren zurück. Aufgewühlt – von der Fahrt natürlich – stehe ich neben meinem Auto und verfolge die Arbeit des Mechanikers. Spüre ich weiche Knie? Klugerweise ist der Typ nicht mit dem Abschleppwagen gekommen. Er montiert ein komplett neues Rad, legt das defekte auf seine Ladefläche und tauscht beiläufig ein paar Satzfetzen mit Stella, meiner Rockerbraut, aus. Ich gebe ihm 150 Euro, er mir seine Visitenkarte, wo ich die Tage das reparierte Rad abholen könne – all das erklärt mir Stella, nun auch noch meine Dolmetscherin. Der Mechaniker klingt ziemlich respektvoll, als er mit ihr redet. Aber Ahnung hat er. Stella setzt ihren Helm auf. Verdammt, wird jetzt etwas zu Ende gehen, bevor es beginnt?

„Stella, sorry ... ah ... excusa ... ich habe mich noch gar nicht bedanken können. Das bisschen Kaffee war doch nicht ...“. Zwei Dinge fallen mir schlagartig auf: Ich bin verdammt noch mal auf der Suche nach dem richtigen Satz und gefalle mir grade gar nicht, wie ich mich anstelle. „Haben Sie heute Abend schon was vor?“

„Ich habe grad meine Tage, da steh ich nicht so auf Sex.“

Stellas Stimme klingt etwas dumpf durch den Helm, trotzdem spüre ich jede Wortspitze am ganzen Körper. Meine Fresse. Naja, da gäb´s ja auch noch andere Möglichkeiten. Aber sicherheitshalber denke ich das nur und nenne mein Hotel.

„Vanity Hotel Golf?“, sagt sie ungläubig. „Fürchterlich. Da dürfen ja nicht einmal Kinder wohnen.“

„Also ich finde das gut so.“

„Ich hol Sie um halb neun ab.“

Dann braust sie davon. Geiler Abgang.

Endlich darf ich sprachlos sein, bin ja nicht mehr peinlich. Ich muss was aus dem Mechaniker rauspressen, vielleicht versteht er mich, vielleicht versteh ich ihn. Und wie es sich für einen Mechaniker auf der beliebtesten Insel der Deutschen gehört, versteht er leidlich Deutsch. Als ich ihn frage, ob er die Frau denn gut kenne, das lief ja wie am Schnürchen und so, meint er nur:

„Oh ja, das ist Comisaria Dolores Martinez. Mit der ist aber nicht zu spaßen.“

*

MONTAGABEND

Kurz vor halb neun steh ich an der Hotelbar und erkenne mich nicht. Was trinke ich? Keinen Alkohol. Noch nicht. Kurz nach halb neun –mein Wasser ist fast leer – kommt Stella herein und ich erkenne sie nicht wieder. Ihre Figur adelt nicht nur jede Motorradkluft, dieses Strickkleid klebt an ihr wie eine zweite Haut, wobei sie von ihrer ersten nicht viel preisgibt. Die hohen Schuhe bringen sie etwas mehr in meine Höhe, trotzdem ist sie eher klein.

Stella ist eindeutig die Bestimmerin. Wir nehmen mein Auto, was ich schon mal gut finde. Ich habe mich schon auf dem Rücksitz ihrer Maschine gesehen. Immerhin hätte ich mich da natürlich nur aus Sicherheitsgründen an ihrer Taille festhalten können. Also Auto, gut. Etwa zwanzig Minuten später hat sie mich in eine andere Welt entführt, was ich ihr sowieso locker zutraue. Ein gepflasterter Innenhof mit vielen kleinen Tischen. Die Sonnenschirme sind geöffnet, obwohl weder die Sonne scheint, noch Regen droht. Die vielen Lichter aus den Fenstern der den Hof säumenden Gebäude und die überall platzierten Laternen schaffen selbst in mir eine gewisse heimelige Atmosphäre. Stella fragt, ob ich Fisch mag, oder selbstgemachte Nudeln, vielleicht ein leichter Rosé dazu. Was soll ich sagen? Jorgo, unser eifriger Kellner, empfiehlt ein dreigängiges Menü, zu dem dreierlei Pizzen gehörten. Aus dem Holzofen natürlich. Es war März, dunkel und nicht sehr warm. Aber lauschig, privat und der Beginn eines heißen Dates. So meine Gedanken.

Während der Rosé schon mal schmeckt, erzählt mir Stella die Geschichte des Trencadora. Eine ehemalige Mühle, in der die Mandelschalen vom Kern getrennt wurden. Mittlerweile Teil der Peter-Maffay-Stiftung. Schon davon gehört. Der Salat kommt. Schlichter Ruccola, mit Sardellen und Kapern, gerösteten Pilzen. Dazu Pizzaecken, die so dünn und frisch sind, dass mir das Stück fast aus der Hand fließt, als ich es zum Mund hebe. Immer wieder fällt mein Blick auf die etwa zehn Zentimeter lange Narbe an Stellas Hals. Sie versucht gar nicht, sie zu verbergen. Sie gehört zu ihr, wie der intensive Blick, wenn sie mir zuprostet. Mein Blick ist ja eher fragend, aber ich traue mich nicht. Also erzählt sie ungefragt, dass ein Dealer sie mit dem Messer umbringen wollte.

„Dann bist du also wirklich eine Comisaria?“, frage ich erstaunt.

„Woher weißt du?“, fragt sie, gar nicht erstaunt.

„Hat mir dein Mechaniker erzählt. Der hat ja richtig Respekt vor dir. Aber wie kommst du an einen Kampf mit einem Dealer?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

Ziert sie sich? „Also ich hab Zeit.“

„Und was machst du so hier?“

Will sie das Thema wechseln?

„Wonach sah es denn aus, bis ich meinen Platten hatte? Was halt ein Deutscher so auf Mallorca macht.“

Stella lächelt. Endlich. “Na, immerhin sagst du nicht ‚in Mallorca’, wie viele deiner Landsleute.“

Na den Punkt hab ich mal gemacht. Ich deute mit dem Finger zur Narbe, schaue sie fragend an und mache eine unmissverständliche Handbewegung. Die nach Halsabschneiden aussehen soll.

„Ist schon eine Weile her, zwei Jahre fast. Ich kann nicht viel erzählen, wir ermitteln noch gegen einen albanischen Clan, du verstehst.“

Ich verstehe nicht, nicke aber sicherheitshalber.