Bergesspitz und Meuchelmord - Sven Kellerhoff - E-Book

Bergesspitz und Meuchelmord E-Book

Sven Kellerhoff

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Beschreibung

Eine Morddrohung. Fünf Weggefährten. Und eine dunkle Vergangenheit Was für ein saublöder Tag im idyllischen Mayrhofen: Dorfpolizist Paul muss sich mit den Übungen für den anstehenden Fitnesstest rumschlagen und das, während sein Kollege Vitus neben ihm genüsslich eine Leberkassemmel verspeist. Und dann klingelt auch noch das Telefon: Auf der berühmten Grüblspitze im Zillertal haben fünf Freunde eine grausige Entdeckung gemacht. Im Gipfelbuch findet sich eine Morddrohung, an sie alle gerichtet. Und während sich Paul und Vitus auf den Weg machen, gibt es schon den ersten Toten. Gemeinsam mit Kommissar Leopold Geiger, der sich eigentlich um die Almhütte seiner Oma kümmern sollte und seiner Kollegin Anna Zähler, folgen die Polizisten Spuren, die bis in die Schulzeit der fünf Leidensgenossen führen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn vier weitere Leben stehen auf dem Spiel ...

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Bergesspitz und Meuchelmord

Sven Kellerhoff, 1975 in Bad Ems geboren, lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Grevenbroich bei Düsseldorf. Seit vielen Jahren bei einer Sparkasse tätig, veröffentlicht er neben seinem Beruf Regionalkrimis. Der Roman »Zirbenholz und Alpenmord«, rund um das Allgäuer Kommissaren-Duo Anna Zähler und Leopold Geiger, ist sein Debut.

Eine Morddrohung. Fünf Weggefährten. Und eine dunkle Vergangenheit

Was für ein saublöder Tag im idyllischen Mayrhofen: Dorfpolizist Paul muss sich mit den Übungen für den anstehenden Fitnesstest rumschlagen und das, während sein Kollege Vitus neben ihm genüsslich eine Leberkassemmel verspeist. Und dann klingelt auch noch das Telefon: Auf der berühmten Grüblspitze im Zillertal haben fünf Freunde eine grausige Entdeckung gemacht. Im Gipfelbuch findet sich eine Morddrohung, an sie alle gerichtet. Und während sich Paul und Vitus auf den Weg machen, gibt es schon den ersten Toten. Gemeinsam mit Kommissar Leopold Geiger, der sich eigentlich um die Almhütte seiner Oma kümmern sollte und seiner Kollegin Anna Zähler, folgen die Polizisten Spuren, die bis in die Schulzeit der fünf Leidensgenossen führen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn vier weitere Leben stehen auf dem Spiel ...

Sven Kellerhoff

Bergesspitz und Meuchelmord

Ein Zillertal-Krimi

Ullstein

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Originalausgabe bei Ullstein E-BooksUllstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Februar 2024 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024

Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus.com ISBN 978-3-8437-3199-7

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

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Leseprobe: Goldtransport und Stauseemord

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

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1

Mit einem Blumenstrauß und der Visitenkarte des örtlichen Floristen in der Hand war es ihm ein Leichtes gewesen, der netten Rezeptionistin des Hotel Bergesglück die Zimmernummer zu entlocken. Die Perücke und die Kleidung, die er normalerweise nicht trug, sowie der aufgeklebte Schnauzer hatten dafür gesorgt, dass die Dame ihn nicht erkannte, obwohl sie sich schon einmal begegnet waren. Jetzt musste er nur noch das richtige Apartment finden. Entlang des Flurs mit der halb hohen holzvertäfelten Wand und den darüber hängenden alpenländischen Fotomotiven, schlich er über den tannengrünen Hochflorteppich, der jeden seiner Schritte sachte dämpfte. Schließlich fand er das Zimmer mit der Nummer 11, die kunstvoll auf ein eisernes Herz aus Edelrost, das an einem karierten Stoffband an der Tür hing, gemalt war. Er zog eine weiße unbeschriftete Plastikkarte aus seiner Hosentasche und hielt sie vor den elektronischen Leser. Wie einfältig die kleine Blonde aus der Wellnessabteilung doch war. Mit einer kostenlosen Probepackung eines neu entwickelten Pflegeproduktes eines namhaften Herstellers hatte er sie davon überzeugen können, ihm die Generalkarte des Hotels kurz zu überlassen. Schnell trat er ein und schloss die Tür hinter sich. Sein Blick schweifte durch das Zimmer von Eduard und Petra Abelshauser. Zwei verschlossene graue Reisekoffer lagen auf dem Bett, daneben ein farblich passendes Beauty-Case und ein paar Outdoor-Jacken. Vermutlich war das Ehepaar erst vor Kurzem angereist und hatte seine Kleidung und Utensilien noch nicht in den Regalen und Schränken des Hotelzimmers verfrachtet. Er schritt durch den Raum und blickte auf dem Weg zum Balkon kurz in das dunkle fensterlose Bad. An der großen Panoramascheibe angekommen, zog er langsam den schweren filzartigen Vorhang einige Millimeter zur Seite und entdeckte auf dem Balkon zwei Paar Wanderschuhe, die frisch geputzt auf dem vom Sonnenlicht stark angegrauten Holzboden standen. Er sah kurz auf und schaute mit leicht betretenem Blick auf den Hintertuxer Gletscher, der weit hinten am Talende nicht mehr ganz so weiß strahlte, wie er das aus früheren Zeiten gewohnt war. Der heiße Sommer trug dazu bei, dass nur das gräuliche Weiß des ewigen Eises in der Morgensonne glänzte. Vom Schnee des letzten Winters war nicht mehr viel übrig geblieben, sodass sich der weiße Riese eher zu einer grauen Maus verwandelt hatte. Langsam schloss er den Vorhang wieder, drehte sich zum Bett und öffnete vorsichtig das Beautycase. Mit seinen Latexhandschuhen berührte er die Fläschchen und Tuben, die sorgfältig nebeneinander aufgereiht in dem Kosmetikkoffer einsortiert waren. Bevor er zugriff, versicherte er sich, dass es die einzige Tube Sonnencreme war, die neben Zahnpasta und Deo dicht an dicht stand. Schnell zog er sie heraus und fasste zeitgleich in seine Jackentasche, um eine Spritze mit einer aufgesetzten feinen Nadel herauszunehmen. Er betrachtete die Sonnencreme, drehte sie in der Hand und injizierte die Mixtur aus seiner Spritze vorsichtig in den Tubenfalz. Das wird so schnell keiner herausfinden, dachte er sich und stellte die Sonnencreme wieder sorgsam zurück zu den anderen in das kleine graue Behältnis.

»Was machen Sie denn hier?«, rief eine Stimme plötzlich hinter ihm und ließ ihn kurz, aber kaum sichtbar zusammenzucken. Er drehte sich um. Eine ältere Frau in einem weißen Kittel und mit einem Stapel Handtücher auf dem Arm trat in den Raum und steuerte ihren korpulenten Körper auf das Badezimmer zu.

»Sie sind nicht der Herr Abelshauser, oder?«, fragte die Dame, die wohl das zuständige Zimmermädchen war, und sortierte die Handtücher in ein Regal.

»Äh, nein. Ich bin im Auftrag des Hotelchefs hier«, antwortete er mit fester Stimme. »Ich komme von der Kosmetikfirma und schaue, wo wir unsere Pflegeprodukte am besten den Gästen präsentieren können.«

»Aber doch bestimmt nicht im Bett, oder?«, erkundigte sich die Frau mit musterndem Blick.

»Nein, natürlich nicht. Das Bad ist perfekt dafür geeignet. Ich habe es mir bereits angesehen. Aber gerade bin ich auf dieses tolle Beautycase hier aufmerksam geworden und wollte schauen, um welchen Hersteller es sich handelt.«

»Das gehört den Gästen. Das können Sie nicht einfach anfassen«, sagte das Zimmermädchen bestimmend. Sie nahm den Blick nicht von ihm und tastete mit einer Hand nach ihrem Putzwagen. Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen zog sie ihn vom Flur ins Zimmer.

»Da haben Sie natürlich recht. Das war nicht richtig von mir.« Noch bevor er den Satz ausgesprochen hatte, war er aufgesprungen, drückte sich durch eine enge Lücke zwischen der fülligen Dame und dem zimmerhohen Garderobenschrank hindurch zurück in den Hotelflur und flüchtete schnellen Schrittes zum Treppenhaus. Mit erstauntem Blick sah die Reinigungsfrau ihm hinterher, widmete sich dann aber ihrem Wischmopp, den sie galant auf den Halter des Putzstiels zog und in das saubere, schaumige Wasser ihres blauen Eimers eintauchen ließ.

2

»So, dann wollen wir mal schauen, ob der gute alte Gottlieb einen Laib Brot für uns Wanderfreunde hat, was?«, sagte Hansjörg Gahleitner zu seinem Freund Johannes Wartelsteiner und schlug ihm sachte auf sein Schulterblatt.

Er schloss die Tür seines Autos, das er auf einem kleinen gekiesten Parkplatz an der Tuxer Mühle abgestellt hatte. Sie öffneten ein Gatter und betraten einen kleinen Pfad, der sich leicht bergan zu der historischen Mühle schlängelte. Das Wasserrad verursachte bis hier unten zum Parkplatz ein leises Rotationsgeräusch, dem sie nun folgten. Die beiden Männer kannten sich bereits seit Schulzeiten. Sie hatten die Volksschule Tux besucht und ihre Jugendzeit gemeinsam in diesem wunderschönen Hochtal der Zillertaler Alpen verbracht. Hansjörg und Johannes wollten nach der Schule in die große weite Welt hinaus, und doch verabredeten sie sich seither Jahr für Jahr mit drei weiteren Schulfreunden hier im Tuxertal. Heimatgefühle einmal im Jahr, das musste einfach sein, meinten die beiden regelmäßig, wenn sie aufeinandertrafen. Trotz seiner starken Brille mit Gläsern, die Glasbausteinen ähnelten, und einem Wohlstandsbäuchlein, setzte Hansjörg Gahleitner sicher und flink einen Fuß vor den anderen. Er hatte sich direkt nach dem Schulabschluss auf den Weg in die Tiroler Landeshauptstadt nach Innsbruck gemacht und eine Lehre zum Versicherungskaufmann begonnen. Er wollte raus aus dem, wie er meinte »kleinkarierten Dorfleben« und nicht in diesem Tal versauern. Seinem Vater gehörte die hiesige Schreinerei in Lanersbach, die er aber keinesfalls übernehmen wollte. Selbstständigkeit war nichts für ihn. Mittlerweile hatte er sich bei seiner Versicherung hochgearbeitet und bekleidete einen guten Posten mit auskömmlichem Verdienst und geregelten Arbeitszeiten. Hansjörg war ewiger Junggeselle. Er hatte seine große Liebe bislang nicht gefunden und ein Premium-Abo auf allen einschlägigen Dating-Portalen, bislang allerdings ohne Erfolg.

»Das Mühlrad hat ordentlich Wasser, was bedeutet, dass es viel Mehl und dementsprechend auch viel Brot geben muss«, verkündete Hansjörg und strich sich durch sein lichtes Haar, dessen Blond sich allmählich zu einem Grau wandelte.

»Ist der Gottlieb noch immer so ein komischer Kauz wie früher?«, erkundigte sich Johannes Wartelsteiner, der seit Jahren keinen Kontakt mehr zu dem Müller hatte.

»Schon ein wenig. Er ist, glaube ich, noch immer sehr pikiert darüber, dass er früher nur das fünfte Rad am Wagen war und nicht in unserer Clique mitmachen durfte.«

»Dann wollen wir mal hoffen, dass er eins seiner hervorragenden Brote für uns lockermacht«, frotzelte Johannes und trottete weiter hinter Hansjörg den Pfad hinauf.

Johannes Wartelsteiner hatte sich nach der Schulzeit nach München aufgemacht. Er hatte dort Medizin studiert. Aus Liebe zog er später nach Regensburg, wo er in einer internistischen Gemeinschaftspraxis tätig war. Sein vor wenigen Jahren verstorbener Vater war der einzige Medizinmann hier im Tal gewesen. Nachdem der Vater sich zur Ruhe gesetzt hatte, war es für Johannes keine Option, in das Tal zurückzukehren und die Praxis zu übernehmen. Schließlich wurde sie an eine junge Ärztin verkauft.

»Geht es auch etwas schneller, Hansjörg?«, fragte Johannes, der wieselig und leichtfüßig von Stein zu Stein hinter seinem Schulfreund den Berg hoch tänzelte.

Johannes war fit. Sein Pferdeschwanz baumelte wild hin und her. Er hatte eine drahtige Figur und lief regelmäßig Marathon. Die einzige körperliche Beeinträchtigung, die er hatte, war, dass er eine Lesebrille benötigte, die seit einigen Jahren sein ständiger Begleiter war und an einem Band um seinen Hals hing.

»Immer mit der Ruhe. Wir sind gleich angekommen.« Gahleitner wies auf die Wassermühle, die nur wenige Meter vor ihnen lag.

Das von der Sonne gebräunte Holz ließ die Mühle wie aus einer längst vergangenen Zeit erscheinen. Die Tuxer Mühle lag leicht erhöht an einem Berghang. Von hier führte ein Wanderweg weiter in ein Seitental, das touristisch kaum erschlossen war. Gleichzeitig fand man hier die höchstgelegene Bergkäserei in der Umgebung. Der schmackhafte, würzige Käse wurde überall im Tuxertal und im tiefer liegenden Zillertal verkauft.

Jahrelang kümmerte sich keiner um die alte stillgelegte Mühle, die mehr und mehr verfiel. Gottlieb Widmoser hatte sich ihrer vor einigen Jahren angenommen und restaurierte sie in liebevoller Kleinarbeit. Der Wasserzulauf aus dem Junsbach wurde wiederhergestellt, und eines Tages fing sich das Mühlrad zur Freude von Talbewohnern und Touristen wieder an zu drehen.

»Servus Gottlieb, altes Haus. Wie geht es dir?«

Nachdem sie die Mühle betreten hatten, entdeckte Hansjörg den Müller, der gerade in einer staubigen Ecke Mehlsäcke verknotete.

»Was wollt ihr beiden Hansel denn hier oben?«, fragte er knorrig und blickte nur kurz zu ihnen auf.

»Warum so unfreundlich, Gottlieb? Laufen die Geschäfte nicht, oder ist der Mehlwurm bei dir eingezogen?«, erkundigte sich Johannes und zwinkerte Hansjörg zu.

»Ich habe wirklich keine Lust auf eure Späße«, antwortete Widmoser und richtete sich auf. »Also, was wollt ihr?«

»Eigentlich nur ein Brot und etwas Käse kaufen und ein bisschen mit dir trotschn.« Johannes packte aus den hintersten Gehirnwindungen sein Tirolerisch aus und meinte mit ›trotschn‹, ein wenig mit ihrem alten Schulfreund über vergangene Zeiten zu plaudern.

»Trotschn tu ich nur mit Freunden«, antwortete der Müller derb und platzierte einen Laib Brot und ein großes Stück Bergkäse so unsanft auf seiner schmalen Ladentheke, dass der feine Mehlstaub aufwirbelte und die winzigen Partikel auf den hereinscheinenden Sonnenstrahlen tänzelten.

»Dann eben nicht, du sturer Hund«, antwortete Johannes, warf einen Geldschein auf die Holzplatte und steckte das Brot und den Käse in einen Rucksack. »Wenn du mit all deinen Kunden so redest, machst du das Ding bald wieder zu.«

»Stimmt!«, bestätigte Hansjörg. »Mit so einem mürrischen Vertreter möchte keiner was zu tun haben.«

»Schleichts euch«, war die knappe Reaktion des Müllers, der sich wieder seinen Mehlsäcken zuwandte und die beiden Freunde einfach stehen ließ.

»Lass uns gehen«, wandte sich Johannes an Hansjörg und zog ihn am Ärmel seines Wanderhemds sachte zur Tür. »Wer nicht will, der hat schon.«

Sie verließen die Mühle und machten sich auf den Weg zurück zum Parkplatz.

»Hast du von den anderen schon was gehört? Sind dieses Jahr alle dabei?«, wollte Johannes wissen, der erneut wie ein kleiner Junge von Stein zu Stein hüpfte.

»Ja, alle schon eingetroffen. Morgen früh geht es mit der Eggalmbahn den Berg hinauf, und wir starten unsere traditionelle Bergtour.« Hansjörg hob dabei einen Zeigefinger und lächelte.

Seit vielen Jahren trafen sich die Freunde zu einer Bergtour in ihrer alten Heimat. Nun war es wieder so weit. Noch ahnten die gut gelaunten Männer allerdings nicht, dass eine schwarze Wolke des Unglücks über ihrem Gipfelkreuz aufziehen würde.

3

Sie vernahm leise Stimmen unter sich, die sich unterhielten. Anna zog sich die mit Blumen bestickte Bettdecke über den Kopf. Sie wollte noch nicht aufwachen. Mehrfach drehte sie sich um und drückte die Ohren fest in das Kopfkissen und den Bettbezug. Wenig später gab sie es auf. Das dumpfe Gemurmel ließ sie nicht mehr weiterschlummern. Mit einem tiefen Seufzer setzte sie sich auf. Die Sonne schien bereits durch die kleinen Sprossenfenster in die Schlafstube der Gletscherblickalm, die unter dem Dach der Hütte lag und über eine schmale knarrende Holztreppe zu erreichen war. Draußen strahlte ihr der blaue Himmel entgegen. Es würde wieder ein schöner und warmer Tag hier oben in Hochkrimml werden. Ein wenig wacher nahm sie jetzt die Stimmen klarer wahr, die über die offene Treppe zu ihr nach oben drangen. Eine gehörte zweifelsfrei Leopold, die andere konnte sie nicht zuordnen. Sie saß auf der Bettkante und fingerte nach ihrem Bademantel, der über dem rund geschwungenen Kopfteil des massiven breiten Holzbetts lag. Sie stülpte die langen Ärmel nach außen, bedeckte mit dem flauschigen Stoff ihren nackten Körper und schlüpfte in die Kuhfellclogs, die im Zimmer verteilt herumlagen. Vorsichtig stieg sie mit den offenen Schuhen die steile Holztreppe hinunter, die direkt am Eingang der Gaststube endete. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Kaffeemaschine, die hinter einem kleinen Verkaufstresen in einer Nische eingebaut war. Leopold und sein Gast, die sich an einem massiven Holztisch gegenübersaßen, drehten sich zu ihr um.

»Anna, du bist schon auf. Guten Morgen. Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt, aber der Herr Schmidbauer hatte spontan Zeit und wir haben uns sofort zusammengehockt.«

Herr Schmidbauer nickte ihr freundlich zu und konzentrierte sich schnell wieder auf ein Blatt, das vor ihm auf dem Tisch lag.

»Guten Morgen, Leopold, Grüß Gott, Herr Schmidbauer. Kein Problem, ich kann ja meinen Schönheitsschlaf später fortsetzen. Schließlich habe ich Urlaub«, entgegnete sie fröhlich und hatte dem Vollautomaten schon einen ersten heißen Kaffee abgezapft.

Während Anna an der Theke lehnte, ihre Tasse mit beiden Händen zu ihrem Mund führte und gedankenverloren daraus trank, setzte Leopold das Gespräch mit seinem Gegenüber fort. Herr Schmidbauer war zu einem Bewerbungsgespräch da, wie viele bereits vor ihm in den letzten Tagen. Anna hörte zu und achtete darauf, nicht neugierig zu wirken. Leopold suchte seit einiger Zeit einen Pächter für die Gletscherblickalm. Er hatte die Hütte und das darum liegende Anwesen von seiner Oma geerbt. Die Übernahme der Hütte war allerdings an die Bedingung geknüpft, dass Leopold diese für mindestens ein Jahr eigenständig bewirtschaften sollte. Hätte er das Vermächtnis seiner Großmutter so nicht angenommen, wäre die Alm versteigert worden und der Erlös zu großen Teilen an die Krimmler Bergwacht geflossen. Leopold hatte sich daraufhin vom Polizeidienst beurlauben lassen und kämpfte seither mit den Herausforderungen, die so eine Arbeit am Berg mit sich brachte. Kühe melken, Weidepfosten versetzen, Wanderer bewirten und Holz zu Brennholz verarbeiten. Gleichzeitig versuchte er, die Hütte nach seinen Vorstellungen umzubauen und notwendig gewordene Reparaturen und Sanierungen vorzunehmen. Jetzt ging das Jahr bald schon zu Ende, und er hatte noch immer keinen Pächter gefunden, der die Milch zu Käse verarbeiten konnte. Bisher lieferte Leopold die gesamte Milch an die Sennerei in Mayrhofen. In dem Testament wurde jedoch verfügt, dass die von den Kühen auf der Gletscherblickalm produzierte Milch vollständig zu Butter und Käse verarbeitet werden sollte, und zwar vor Ort. In ein paar Wochen würde der Notar aus Kempten vorbeischauen, um sich von der ordnungsgemäßen Umsetzung des letzten Willens von Leopolds Großmutter zu überzeugen.

»Ja dann, auf Wiedersehen, Herr Schmidbauer, nix für ungut!«

Anna wurde aus ihren Gedanken gerissen und ging hinüber zu Leopold, der seinen Kopf mit den Händen abstützte und verzweifelt wirkte.

»Was ist denn los, Leopold?«, fragte Anna mitfühlend, beugte sich zu ihm runter und fasste ihn am Unterarm.

»Mir wächst das Ganze hier wirklich langsam über den Kopf. Die viele Arbeit, die Melkerei und das alles bringt mich wirklich an meine Grenzen.«

»War das wieder kein geeigneter Kandidat?«, fragte Anna behutsam?

»Nein. Er hatte weder Erfahrung in der Gastronomie noch in der Landwirtschaft. Das ging gar nicht. Außerdem wollte er die Hütte zu einem Preis pachten, der nicht einmal die festen Ausgaben deckt, die ich übernehmen muss. Da kann ich die Hütte gleich aufgeben.«

»Warum denkst du nicht einmal über einen Melkroboter nach und über einen Hirten, der dir beim Käsen helfen kann? Vielleicht bekommst du es so hin und brauchst keinen Pächter suchen«, schlug Anna vor.

»Sagt diejenige, die bisher nur Käse aus der Packung gekauft hat und die Münchner City besser kennt als jede Bergwiese«, antwortete Leopold mit einem Grinsen.

Anna zog ihre Hand weg und setzte einen Schmollmund auf. Daraufhin nahm er sie in den Arm.

»Entschuldige bitte, das war nicht ernst gemeint.«

»Ich kann nichts dafür, dass du so angespannt bist. Ich versuche dir nur zu helfen«, entgegnete Anna beleidigt.

»Du hast vollkommen recht. Komm, ich ziehe mir einen Kaffee und wir setzen uns draußen vor die Hütte in die Morgensonne, okay?«

Anna hatte Leopold schnell verziehen. Aneinander geschmiegt saßen sie nun mit dem Rücken zur Hütte auf der kleinen Terrasse der Gletscherblickalm und schauten verträumt in die umliegende Bergwelt.

»Sag mal, läuft die Fahndung nach den Goldräubern noch? Hast du da was gehört?«, wollte Leopold wissen. »Ich bekomme ja hier in der Einöde von den Ermittlungen so gut wie nichts mit. Paul war vor Kurzem mal hier oben. Ihn hatte ich gefragt, aber er wusste auch nichts.«

»Ja, die läuft noch. Die Kollegen in Schwaz suchen immer noch nach den Tätern. Einer der Goldräuber, den Hariku Kitano unbeabsichtigt zur Strecke gebracht hat, liegt ja unter der Grasnarbe und kann keine Auskünfte mehr geben. Das war echt ein verrückter Fall.«

»Wo sind die nur abgeblieben?«, fragte Leopold mehr zu sich selbst. »Die können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben.«

»Apropos in Luft auflösen. Schau mal hier, der Gürtel von meinem Bademantel löst sich auch bald in Luft auf. Da könntest du wirklich mal ermitteln, was damit los ist«, sagte Anna keck und zog an der Schlaufe des weichen Stoffs.

»Na, das wollen wir einmal genau unter die Lupe nehmen. In der Schlafstube dürfte dies am besten zu untersuchen sein«, antwortete Leopold verschmitzt, nahm Anna bei der Hand und zog sie zur Hüttentür.

4

Das Hotel Bergesglück ist wirklich ein Glücksfall«, scherzte Eduard Abelshauser und betrat mit seiner Frau Petra ihr gemeinsames Apartment.

»Diese Lage ist einmalig, und das Frühstück war Bombe!«, schwärmte Eduard und trat auf den Balkon, wo ihm die majestätische Bergwelt der Tuxer Alpen regelrecht entgegenstrahlte.

Sie waren gestern aus Frankfurt angereist und hatten gerade auf der Terrasse des Hotels ihr Frühstück genossen. Sie waren für das jährliche ›Gipfeltreffen‹, wie er die Bergtour mit seinen Jungs immer nannte, extra einen Tag früher aus Mallorca zurückgeflogen, um das Wanderhighlight mit seinen alten Freunden nicht zu verpassen. Eduard Abelshauser war im Tuxertal aufgewachsen und hatte nach der Schule eine Lehre bei einem Autohändler in Mayrhofen begonnen. In dieser Zeit hatte er sich in Petra, eine Praktikantin, verguckt und war mit ihr nach Frankfurt gegangen. Ihre Kinder waren mittlerweile aus dem Haus, und Eduard und Petra nutzen die gemeinsame Zeit zu zweit. Dazu gehörte, dass die beiden mindestens einmal im Jahr nach Mallorca flogen. Gestern waren sie von ihrer Lieblingsinsel zurückgekommen und hatten sich direkt von der Mainmetropole auf den Weg in die Berge gemacht. Der einzige Bezugspunkt zum Tuxertal waren Eduards Freunde, mit denen er sich einmal im Jahr hier traf. Familie und Verwandte hatte er keine mehr, alle waren verstorben.

»Mensch, tut das weh«, klagte Eduard und fasste sich an das Schulterblatt.

»Kein Wunder«, antwortete Petra knapp. »Wenn du dich ohne Schutz für Stunden in die pralle Sonne legst, ist dir nicht mehr zu helfen.«

Eduard, dessen Statur, Hautfarbe und Haarfarbe sehr an Mr Bean erinnerte, wirkte im Moment nicht gerade britisch blass und kühl, sondern eher wie eine bald aufplatzende Tomate. Sein gesamter Körper war von der massiven Sonneneinstrahlung auf des Deutschen liebster Ferieninsel so rot, dass eine sachte Berührung bereits Schmerzen verursachte und die Kleidung auf der Haut unangenehm brannte.

»Ich bin halt eingeschlafen. Du hättest mich ja wecken können«, antwortete Eduard pikiert und zog sich sein Hemd vorsichtig aus.

»Stimmt, du bist eingeschlafen. Konnte ich ahnen, dass du dich vorher nicht eingecremt hast?« Petra faltete ihr Shirt und zog eine leichte Sommerbluse aus dem Schrank.

Eduard nahm die Sonnenmilchtube aus dem grauen Beautycase und cremte penibel sämtliche Hautflächen seines Körpers ein. Auch die ein oder andere Falte, die im Laufe seines Lebens dazugekommen war, wurde mit der gelblich zähen Lotion versorgt. Petra saß vorm Spiegel und betupfte ihr Gesicht mit einem Pinsel, als würde sie an einem Kunstwerk arbeiten.

»Wo geht’s denn heute hin?«, wollte sie von Eduard wissen.

»Wie immer!«, antwortete dieser und drehte die Tube wieder zu. »Es geht zur Grüblspitze. Da lässt der Alois keine Experimente zu. Gutes bewahren!«

Petra verdrehte die Augen und pinselte weiter.

»Was habt ihr Mädels denn vor? Shopping in Innsbruck?« Eduard lehnte sich zu Petra und zwinkerte ihr zu.

Während die Männer sich auf ihrer Bergtour vergnügten, traf sich Petra mit den anderen Frauen.

»Wir wollen heute nach Wattens zu den Kristallwelten. Marga hatte davon gelesen. Es wird in jedem Touristenführer empfohlen.«

Marga war die Frau von Johannes Wartelsteiner. Sie suchte meist nach einem passenden ›Mädels-Event‹, wenn die Männer sich zu ihrer Wanderung trafen.

»Oh ha, Glitzer und Glamour, was?«, spottete Eduard und zog sich seine Bergschuhe an.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte Eduard Abelshauser nicht, dass sein Sonnenbrand keinesfalls die größte körperliche Beeinträchtigung war, die ihm heute zu schaffen machen würde.

5

»Pünktlichkeit war ja noch nie Karls Stärke«, posaunte Alois heraus und fingerte die Bankkarte aus dem Deckelfach seines Rucksacks, der auf einer Bank vor der Talstation der Eggalmbahn in Lanersbach stand.

Neben Alois Tanne warteten Johannes Wartelsteiner, Hansjörg Gahleitner und Eduard Abelshauser auf ihren Freund Karl Niederlahnbacher, der, wie eine WhatsApp-Nachricht gerade mitteilte, in den nächsten Minuten eintreffen sollte. »Schön, dass es dieses Jahr wieder geklappt hat und ihr alle hergekommen seid«, meinte Alois Tanne fröhlich. »Es hat ja wirklich schon Tradition, dass wir uns hier auf diesem Parkplatz treffen und gemeinsam unterwegs sind.«

Tatsächlich kamen die fünf Schulkameraden Jahr für Jahr genau an diesem Ort zusammen, um sich zu ihrer Bergtour aufzumachen, deren Strecke seit langer Zeit nicht mehr verändert wurde. Alois Tanne hatte die Route vor einigen Jahren ausgesucht, die sie seither immer liefen. Keiner hatte jemals den Wunsch geäußert, einen anderen Weg auszuprobieren. Alois Tanne war unter den fünf Schulfreunden der Einzige, der dem Tal treu geblieben war und nicht in die große weite Welt hinauswollte. Der Bauer war ewiger Junggeselle und suchte seit Jahren eine Frau. Aus der ein oder anderen Liebschaft, die sich auf Dorffesten, Almabtrieben und Hüttenabenden ergeben hatten, war bisher keine feste Beziehung entstanden. Alois war ein echtes Tiroler Mannsbild, sein Filzhut und seine kurze speckige Lederhose schienen wie angewachsen. Auch im tiefsten Winter blieb er seinem Outfit treu. Das war möglicherweise ein Grund, warum die Damenwelt sich ihm gegenüber zurückhielt. Gemeinsam mit seinen Eltern bewirtschaftete er einen Bergbauernhof im Tuxertal. Die körperlich schwere Arbeit blieb fast ausschließlich an Alois hängen, was an seiner ausgeprägten Oberarmmuskulatur durchaus zu erkennen war. Seine Eltern waren schon alt, halfen aber, wo es ging. Der Vater von Alois kümmerte sich mit um das Vieh und die Almwiesen, die Mutter um das Haus und die Fremdenzimmer, die seit Jahrzehnten immer wieder an die gleichen Stammgäste vermietet wurden.

»Gut, dass wir die ersten Höhenmeter mit der Bahn fahren. Ich bin im Moment nicht gut im Training«, gab Eduard Abelshauser bekannt.

Johannes Wartelsteiner lachte laut auf. »Wenn du eben nicht von deinem ausgiebigen Sonnenbad auf Mallorca erzählt hättest, würde ich bei deiner roten Rübe auf eine ausgeprägte Hypertonie tippen.«

»Hyper … was?«, fragte Eduard und zog seine Sonnenbrille nach oben in die wenigen schwarzen Haare.

»Hypertonie. Bei einem medizinischen Laien auch als Bluthochdruck bekannt. Wobei ich grad nicht weiß, was schlimmer ist. Bluthochdruck oder dieser rot gefärbte Körper mit seinen sich ablösenden Hautschichten.« Johannes Wartelsteiner grinste und schlug Eduard freundschaftlich auf die Schulter.

»Aua!«, schrie dieser schmerzvoll und fasste vorsichtig auf die getroffene Stelle. »Pass doch auf. Das brennt höllisch.«

»Wie der Enzian vom Alois, was?«, ergänzte Hansjörg, der sehr hoffte, dass der Bauer seinen Selbstgebrannten während der Bergtour wieder kredenzen würde.

Alois grinste und wollte sich gerade auf den Weg zum Ticketschalter machen, als sich mit ohrenbetäubendem Lärm ein Motorrad näherte und gleichzeitig ein Hupkonzert veranstaltete. Der Fahrer bremste das massiv aussehende Zweirad kurz vor ihnen ab und klappte sein Helmvisier nach oben.

»Servus Männer, schön, euch zu sehen. Sorry, ich bin etwas spät dran.« Karl Niederlahnbacher stieg von seiner Maschine.

»Wie immer«, antworteten die vier Freunde wie im Chor.

Der Mittfünfziger zog seinen Helm ab und strich sich mit den Händen seine graue schulterlange Mähne zurecht. Er parkte sein Fahrzeug am Rand des Parkplatzes und kam mit einem übergroßen Fotorucksack zurück zu seinen Kameraden. Karl Niederlahnbacher hatte das Tuxertal ebenfalls sehr früh in seiner Jugend verlassen und sich ins Pinzgau verzogen. Nach einer gescheiterten Ehe lernte er die Fotografin Beate kennen, mit der er nun in Zell am See ein Fotoatelier betrieb und sich auf Naturfotografie spezialisiert hatte. Hierzu gaben Beate und Karl gut besuchte Seminare im gesamten Alpenraum. Durch seinen ständigen Aufenthalt in den Bergen war Karl braun gebrannt und fit wie ein Turnschuh.

»Karl, altes Haus. Hast du Beate im Bergesglück abgesetzt?«, wollte Eduard wissen. Marga Wartelsteiner, die Frau von Johannes, war ihm schon auf dem Hotelflur entgegengekommen, als er zur Eggalmbahn aufgebrochen war.