Goldtransport und Stauseemord - Sven Kellerhoff - E-Book
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Goldtransport und Stauseemord E-Book

Sven Kellerhoff

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Beschreibung

Ein malerisches Bergdorf im Zillertal. Ein rätselhafter Überfall. Und ein Mörder im Goldrausch. Eigentlich wollte sich das Allgäuer Ermittlerduo Leopold Geiger und Anna Zähler im schönen Zillertal eine kleine Auszeit gönnen. Während die Kommissarin in einem Yoga-Retreat auf Entspannung setzt, erklimmt Geiger lieber die umliegenden Berge. Doch als in Mayrhofen der Überfall auf einen Goldtransporter für Aufregung sorgt und der Fahrer sowie der ortsansässige Bankdirektor ermordet aufgefunden werden, ist es erst einmal vorbei mit der Urlaubstimmung. Dass sich Anna und Leopold in die Ermittlungen der Dorfpolizei vor Ort einmischen, gefällt nicht allen, und der Sumpf des Verbrechens scheint tiefer als gedacht.

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Goldtransport und Stauseemord

Der Autor

Sven Kellerhoff, 1975 in Bad Ems geboren, lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Grevenbroich bei Düsseldorf. Seit vielen Jahren bei einer Sparkasse tätig, veröffentlicht er neben seinem Beruf Regionalkrimis. Der Roman »Zirbenholz und Alpenmord«, rund um das Allgäuer Kommissaren-Duo Anna Zähler und Leopold Geiger, ist sein Debut.

Das Buch

Ein malerisches Bergdorf im Zillertal. Ein rätselhafter Überfall. Und ein Mörder im Goldrausch.

Eigentlich wollte sich das Allgäuer Ermittlerduo Leopold Geiger und Anna Zähler im schönen Zillertal eine kleine Auszeit gönnen. Während die Kommissarin in einem Yoga-Retreat auf Entspannung setzt, erklimmt Geiger lieber die umliegenden Berge. Doch als in Mayrhofen der Überfall auf einen Goldtransporter für Aufregung sorgt und der Fahrer sowie der ortsansässige Bankdirektor ermordet aufgefunden werden, ist es erst einmal vorbei mit der Urlaubstimmung. Dass sich Anna und Leopold in die Ermittlungen der Dorfpolizei vor Ort einmischen, gefällt nicht allen, und der Sumpf des Verbrechens scheint tiefer als gedacht.

Sven Kellerhoff

Goldtransport und Stauseemord

Ein Zillertal-Krimi

Ullstein

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Originalausgabe bei UllsteinUllstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2023 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®E-Book powered by pepyrus.com ISBN 978-3-8437-3001-3

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Leseprobe: Zirbenholz und Alpenmord

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Cover

Titelseite

Inhalt

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1

»Mensch, ist das heiß!«

Schnell stellte Herrmann Pichler seinen Kaffeebecher zurück in den Cup Holder und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche.

»Nicht so gierig, Kollege.« Jakob Frankhauser lächelte und blickte durch seine dunkle Sonnenbrille konzentriert auf die Straße.

Die beiden Mitarbeiter eines großen Goldhändlers aus Innsbruck waren mit ihrem gepanzerten Werttransporter auf der Zillertaler Bundesstraße unterwegs.

»Das ist mal wieder ein Wetterchen heute«, schwärmte Herrmann und schaute durch die abgedunkelten Scheiben hinaus auf die saftigen, fast schon künstlich wirkenden Wiesen der Berghänge. Sie zogen sich von dem breiten Tal weit hinauf in die Höhe, bevor sie von schroffen Felsen abgelöst wurden. Die sattgrüne Farbe wurde hier und da von dunkelgrünen Nadelbäumen, Häuseransammlungen und Bauernhöfen unterbrochen, die wie Stecknadeln an die Hänge geheftet schienen. Der Himmel war an diesem schönen Sommertag fast wolkenlos. Weiter taleinwärts, wo sich das Zillertal in mehrere schmale Hochtäler verzweigte, tänzelten bunte Paraglider wie herumschwebende kleine Regenschirme durch die Luft.

»Was kann ein Mensch nur mit so viel Gold anfangen wollen?«, fragte sich Herrmann Pichler, der einen Blick auf den Lieferschein warf. »So viel haben wir noch nie an einen einzelnen Kunden ausgeliefert.«

Pichler fuhr schon seit Jahrzehnten für die Firma Edelrausch Werttransporte aus Innsbruck. Zusammen mit seinem früheren Kollegen, der im letzten Monat in den Ruhestand gegangen war, hatte er Tag für Tag Millionenbeträge für die Kunden des Unternehmens transportiert. Seit letzter Woche fuhr er mit Jakob Frankhauser, einem neuen Kollegen, an den er sich noch nicht ganz gewöhnt hatte. Wenn man jahrelang als eingespieltes Team unterwegs gewesen war, brauchte es seine Zeit, bis man sich auf jemand Neues einstellen und wieder Vertrauen aufbauen konnte.

Herrmann Pichler hatte keine Familie. Er war frei und ungebunden und vermochte so auch die Touren zu übernehmen, die zu den unchristlichsten Zeiten stattfanden, in denen Familienväter lieber zu Hause waren. Dies bescherte ihm die ein oder andere Schichtzulage, die er sorgsam beiseitelegte, um etwas früher in Rente gehen zu können. Davor lagen allerdings weitere zehn Jahre Werttransporte.

So eine Tour wie heute war ihm in den letzten zwanzig Jahren nicht untergekommen. Das war kein alltäglicher Auftrag, den sein Chef an Land gezogen hatte. Der Juwelier Hollfede aus Mayrhofen orderte für seinen Kunden achtzig Goldbarren zu je einem Kilogramm. Der Gesamtwert betrug über fünf Millionen Euro.

Pichler schlürfte an seinem Kaffee, der in seinem Thermobecher mittlerweile eine trinkbare Temperatur erreicht hatte.

»Ich wüsste schon, was ich damit anfangen würde«, grinste ihn Jakob Frankhauser an.

Sein Ausspruch klang in den Ohren von Herrmann Pichler ein wenig hämisch.

Jakob schaltete das Licht an und fuhr durch einen kurzen Tunnel, der die Zufahrt zum Gerlospass unterquerte.

Als sich ihre Augen wieder an das Tageslicht gewöhnt hatten, fiel ihr Blick auf die Braustätte der Zillertaler Brauerei, die sich in Zell am Ziller seit mehr als fünfhundert Jahren um die Hopfenversorgung Tirols kümmerte.

Jakob Frankhauser war Mitte dreißig. Für den Job als Türsteher war er langsam zu alt. Er wollte sich die Nächte nicht mehr bei Wind und Wetter vor einer Diskothek um die Ohren schlagen.

Nun hatte er endlich geregelte Arbeitszeiten und saß in seiner neuen Dienstkleidung mit ordentlich rasiertem Vollbart in einem Werttransporter. Die Ärmel des blauen Hemdes mit dem Firmenemblem lässig nach oben gekrempelt, lehnte er mit dem Ellenbogen auf dem halb geöffneten Fenster. Sein Dienstausweis, der in einem Plastikhalter an der Brusttasche befestigt war, baumelte im Fahrtwind. Seine Finger tippten auf dem Lenkrad herum.

»Schau mal, wir werden heute sogar eskortiert«, stellte Herrmann Pichler mit einem Blick in den Seitenspiegel fest. »Die Polizei ist hinter uns.«

Sie passierten gerade das Ortsschild von Ramsau und fuhren auf der lang gezogenen Hauptstraße durch den Ort. Nun sah Jakob Frankhauser das Fahrzeug auch. Es setzte mit eingeschaltetem Blaulicht zum Überholen an.

»Bestimmt ein Einsatz«, vermutete Herrmann Pichler. Er schlürfte abermals an seinem Kaffee, als der Streifenwagen an ihnen vorbeizog.

Die Polizei fuhr nun direkt vor ihnen und reduzierte das Tempo. Auf dem Dach leuchtete plötzlich Bitte folgen in grell leuchtenden roten Buchstaben auf.

»Was ist denn jetzt los?«, fragte Herrmann Pichler, der etwas besorgt auf die Uhr blickte. »Einen ungeplanten Stopp können wir uns nicht leisten.«

Der gepanzerte Werttransporter folgte der Polizei in eine schmale, wenig befahrene Nebenstraße, die an einigen Wohnhäusern vorbei auf dem Parkplatz eines ehemaligen Sesselliftes endete. Das verwaiste Gebäude der Talstation wirkte winzig auf dieser großen Asphaltfläche. Eine verwitterte Panoramakarte und eine schiefe Preistafel hingen ungenutzt an der Seitenwand.

Das Polizeifahrzeug hielt an. Die beiden Vordertüren öffneten sich, und zwei Beamte kamen auf sie zu. Jakob Frankhauser drückte auf den Fensterheber, um das Fenster auf der Fahrerseite zu öffnen.

»Inspektor Hofler«, stellte sich einer der Beamten vor. »Und das ist mein Kollege Gaishüttner. Ihre Fahrzeugpapiere und Ihren Führerschein bitte.«

Herrmann Pichler beugte sich zu seinem Kollegen und betrachtete die beiden Beamten, die so gar nicht wie ein Hofler oder Gaishüttner aussahen. Ihr Erscheinungsbild wirkte für ihn eher südländisch. Kleiner ovaler Kopf, große braune Augen, dichte Augenbrauen, dunkle Haare und dunkler Teint.

Jakob Frankhauser reichte ihnen die Papiere aus dem Seitenfenster.

Der Polizist, der sich als Inspektor Hofler vorgestellt hatte, betrachtete diese oberflächlich und fragte: »Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?«

»Das werden Sie uns sicher gleich sagen«, antwortete Herrmann Pichler. Da er nicht wusste, ob Jakob vielleicht auf den letzten Kilometern mit zu hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen war, wollte er jegliche Aussage vermeiden. Das wurde einem schnell als Geständnis ausgelegt. »Bitte kommen Sie zur Sache, wir haben einen wichtigen Auftrag, der pünktlich zu erledigen ist«, fügte er hinzu.

Der Polizist zog die Augenbrauen hoch.

»Es gibt den Vorwurf eines Steuerdeliktes, meine Herren. Wir müssen Ihre Ladung überprüfen.« Er blickte zu Jakob Frankhauser. »Sie bleiben bitte im Wagen, und Ihr Kollege geht nach hinten und öffnet uns die Tür zum Laderaum.«

Herrmann Pichler ging zwischen den beiden Vordersitzen hindurch und öffnete die Seitentüre, die als äußere Schutzhülle fungierte. Er blickte zu den beiden Polizisten hinaus.

»Ich hätte gerne Einsicht in die Papiere, die Sie zur Durchsuchung des Fahrzeugs berechtigen. Die haben Sie doch sicher dabei, oder?«

Die beiden Polizisten nickten sich kurz zu.

»Uns berechtigt das hier, Freundchen.«

Plötzlich zog einer der Polizisten seine Pistole aus dem Halfter und drückte Herrmann Pichler damit in den Laderaum des Werttransporters. Sein Kollege folgte ihm.

»Sie öffnen uns sofort die Wertfächer. Auf der Stelle!«

»Das werde ich nicht tun, bevor Sie mir nicht den Beschluss zeigen, der Sie dazu ermächtigt. Mich können Sie so nicht einschüchtern.« Herrmann Pichler wurde misstrauisch. Verhielten sich so Polizisten der Bundespolizei Tirol?, fragte er sich. Gut, dass die Wertfächer noch einmal gesondert mit einem Fingerabdrucksensor gesichert waren. Ohne seinen Finger kam keiner an die wertvolle Ladung heran.

»Ich habe mit so einem störrischen Verhalten schon gerechnet«, sagte der Polizist, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, ruhig. Er nestelte an seiner Uniformtasche herum und zog eine Gartenschere hervor.

»Wollen Sie Rosen schneiden, oder was?« Herrmann Pichler hätte es fast witzig gefunden. Ein Polizist mit einer Gartenschere auf einem Parkplatz mitten in den Wiesen in Ramsau. Doch die Waffe, die kühl und gleichzeitig schmerzlich auf seine Flanke drückte, trübte diese Heiterkeit. Schlagartig wurde ihm klar, dass dies ein Überfall war und die angeblichen Polizisten es auf ihre wertvolle Ladung abgesehen hatten.

»Du bekommst von mir eine letzte Chance, deinen verdammten Finger selbst auf den Sensor zu legen. Solltest du es nicht tun, werden wir das für dich übernehmen.«

Mit hämischem Grinsen ließ er die Gartenschere einige Male auf- und zuschnippen.

»Nur über meine Leiche«, antwortete Pichler mit ernster und bestimmter Miene. Solche Überfälle hatte er schon öfter erlebt. Häufig gaben die Täter auf, wenn man ihnen dominant entgegentrat und sich nicht einschüchtern ließ.

»Gut, du hast es nicht anders gewollt.«

Jetzt ging alles sehr schnell. Herrmann Pichler blieb keine Zeit, sich zu wehren. Der Polizist, der sich als Inspektor Gaishüttner ausgegeben hatte, zog einen langen Kabelbinder aus seiner Uniformjacke, packte gewaltsam beide Hände von Herrmann Pichler, zerrte sie auf den Rücken und verschloss die praktische Fessel stramm um seine Gelenke. Sie drückte sich tief in die Haut.

»Möchtest du es dir noch mal überlegen?«, fragte Gaishüttner und ließ die Schere vor den Augen von Herrmann Pichler hin- und herbaumeln.

Dieser schüttelte vehement den Kopf. »Auf keinen Fall öffne ich euch die Wertschränke«, sagte er selbstbewusst, wohl wissend, dass das Pendel der Machtverhältnisse hier gerade nicht in seine Richtung ausschlug.

»Du hattest mehrere Chancen. Jetzt reicht es.«

Während Hofler weiter die Waffe auf ihn gerichtet hielt, verschwand Gaishüttner aus seinem Blickfeld. Er bemerkte den Schweiß auf seiner Stirn, der nicht von den hohen Temperaturen kam. Plötzlich spürte er das kalte Metall der scharfen Schneide an seinem Zeigefinger.

»Noch immer kein Einsehen?«, fragte Gaishüttner und verstärkte den Druck auf die Gartenschere ein wenig.

»Nein, von euch lass ich mich nicht unterkriegen. Ihr Würstchen!«

Mit diesem Satz war die Geduld der beiden angeblichen Staatsbediensteten endgültig zu Ende. Gaishüttner drückte mit voller Kraft zu. Pichler schrie laut auf.

Hatte der Möchtegernpolizist es wirklich getan? Er spürte zunächst keinen Schmerz. Doch das Adrenalin in seinem Körper versagte nach wenigen Sekunden. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen. Dann stabilisierte sich sein Kreislauf, und die höllischen Schmerzen waren da. Er spürte, wie das Blut sein Hemd auf dem Rücken durchtränkte, und fing an zu zittern.

»Was ist denn hier passiert?«

Jakob Frankhauser erschien an der Seitentür des Werttransporters. Sofort richtete Hofer seine Waffe auf ihn, worauf Frankhauser die Arme hob.

»Komm, Freundchen. Wir holen den Verbandskasten. Dein Kollege braucht ein kleines Pflaster.«

Gaishüttner schnitt den Kabelbinder durch, und Jakob Frankhauser verband die Hand seines Kollegen. Während Hofler noch immer mit gezogener Waffe vor den Opfern des Überfalls stand, drückte Gaishüttner den Finger von Herrmann Pichler auf die Sensoren, die neben den einzelnen Wertschränken angebracht waren. Surrend bewegten sich die Verriegelungsbolzen. Gaishüttner zog an insgesamt drei Stahltüren, die sich mühelos öffnen ließen. Der Anblick des Inhalts ließ ihn kurz lächeln. Sorgfältig aufeinandergestapelte Goldbarren glänzten ihm entgegen. Er packte den Finger in einen Safebag, einen Plastikbeutel, der eigentlich für die Aufbewahrung und den Transport von Geldscheinen und Münzen gedacht war, und verschloss diesen mit dem eingearbeiteten Klebestreifen. Sein Blick fiel auf einen roten Rucksack, der auf dem Boden stand.

»Wem gehört das Ding«, fragte er und hob den Rucksack an.

»Das ist meiner, da ist meine Mittagsjause drin«, antwortete Pichler mit zittriger Stimme und rot unterlaufenen Augen.

Gaishüttner packte den Finger in den Rucksack und ließ die magnetischen Druckknöpfe, die als Verschluss dienten, wieder zuschnappen.

»Los, mitkommen!«

Gaishüttner machte eine Geste, die Jakob Frankhauser aufforderte, Herrmann Pichler zu stützen und zum Streifenwagen zu begleiten. Er drückte beide auf die Rücksitze des Fahrzeugs und schlug die Türen zu. Die Fenster waren geöffnet, und eine leichte Brise zog durch den Innenraum.

Herrmann Pichler sog die frische Luft ein. Der Verband stillte die Blutung, der Schmerz pochte jedoch unaufhörlich gegen den Zellstoff. Gaishüttner war nicht mehr zu sehen. Pichler blickte sich vorsichtig um und zog mit seinem verbliebenen Zeigefinger am inneren Türgriff. Natürlich tat sich nichts. Es handelte sich schließlich um ein Polizeifahrzeug.

Sie hörten, wie der Kofferraumdeckel geöffnet wurde. Nach und nach wurden die Goldbarren hinter ihrem Rücken aufeinandergestapelt.

Herrmann Pichler erkannte das metallische Geräusch der sich berührenden Goldbarren sofort.

Er fuhr zusammen, als der Kofferraumdeckel mit einem lauten Knall ins Schloss fiel.

Gaishüttner trat an sein Fenster.

»Hier, deine Mittagsjause und dein Finger«, sagte er verächtlich und warf ihm den Rucksack auf den Schoß.

»Was haben Sie mit uns vor?«, fragte Jakob Frankhauser ängstlich.

»Das werdet ihr schon früh genug erfahren. Los geht’s, und verhaltet euch bloß ruhig.« Gaishüttner hob mahnend den Finger.

Die angeblichen Polizisten stiegen ein. Das Polizeifahrzeug fuhr von dem verlassenen Parkplatz zurück auf die Hauptstraße.

Pichler vermutete, dass sie ganz schnell das Land verlassen würden. Bestimmt ging es nach Italien oder noch eher nach Slowenien. Doch er irrte sich. Hofler steuerte den Streifenwagen taleinwärts in Richtung Mayrhofen. Wo wollten sie mit ihnen hin? Das Tal war eine Sackgasse, eine Flucht unmöglich. Es gab keine Verbindung durch den Berg. Das war vielleicht ihre Chance. Kannten sich die Täter nicht aus und fuhren in die Falle?

Die hinteren Fenster waren noch immer geöffnet. Jakob Frankhauser starrte auf seiner Seite hinaus. Er stand wohl unter Schock. In einem unbeobachteten Moment ließ Herrmann Pichler den Rucksack aus dem Fenster nach draußen gleiten, wohl wissend, dass sein Finger damit für immer verloren war. Vielleicht konnte dafür sein Leben und das seines neuen Kollegen gerettet werden, der noch immer von ihm abgewandt aus dem Fenster sah und von seiner selbstlosen Heldentat nichts mitbekam.

2

Darian Poljak war mit dem Fahrrad zu seinem ersten Arbeitstag auf der Granatalm unterwegs, die auf dem Erlebnisberg Penken im hinteren Zillertal lag. Erst gestern war er aus seiner Heimat Slowenien hier in Ramsau angekommen und hatte ein kleines Ein-Zimmer-Appartement in einem Mehrfamilienhaus am Rande des Ortes bezogen. Während der Hauptsaison wohnten hier viele seiner Landsleute. Die meisten arbeiteten in der Gastronomie im Tal und auf dem Berg.

In der gerade erst beginnenden Sommersaison hatte Darian auf Empfehlung seines Kumpels Robert eine Stelle als Kellner auf der beliebten Alm bekommen. Es herrschten familiäre Arbeitsbedingungen, man hatte einen freien Tag in der Woche und eine Entlohnung gemäß Tarifvertrag. Außerdem beteiligte der Chef alle Angestellten am Trinkgeld, und das fiel meist üppig aus. Die Gäste auf dem Berg waren in Urlaubsstimmung und hatten neben den Wanderhosen auch ihre Spendierhosen an. Nach ein paar Monaten harter Arbeit fuhr er dann wieder zurück nach Slowenien, machte ein paar Wochen Urlaub und war pünktlich zur lukrativeren Wintersaison wieder zurück im Zillertal. Er fuhr mit seinem klapprigen Fahrrad, freihändig und mit einem riesigen weißen Kopfhörer über den streng zur Seite gegelten Haaren, nach Mayrhofen. Hier würde er sein Rad an der Talstation der Penkenbahn abstellen und mit der Gondel auf den Berg hochfahren.

Darian Poljak war ein schlaksiger und groß gewachsener junger Mann mit Stoppelbart, der auf dem etwas zu kleinen Fahrrad ein wenig verloren aussah. Seine schwarze Kellnerhose war für seine Körpergröße viel zu kurz geraten, und das viel zu große weiße Hemd wurde vom Fahrtwind aufgeblasen wie ein Ballon. Er trat noch etwas stärker in die Pedale. Er wollte an seinem ersten Arbeitstag keinesfalls zu spät kommen.

Schon von Weitem sah er einen knallroten Gegenstand am Straßenrand liegen. Er hielt an, stieg kurz vom Fahrrad und betrachtete ihn genauer. Er konnte es nicht fassen. Ein Rucksack von der Marke Bergwärts. Mensch, das war sein Glückstag. Den musste einer verloren haben. So einen Rucksack wollte er sich schon immer einmal kaufen. Mordsmäßig teuer die Dinger. Er blickte sich unauffällig um, schnallte den Rucksack auf den Gepäckträger und fuhr weiter. Wenn er sich beeilte, konnte er mit der ersten Gondel hinauf und sich vor seinem Dienstbeginn noch ein wenig umschauen. Außerdem waren es dreißig Minuten Fußmarsch von der Bergstation bis zur Hütte.

Mitten in Ramsau hatte sich ein langer Stau an der einzigen Ampelkreuzung im Ort gebildet, eigentlich wie immer. Ein richtiges Nadelöhr war das hier. Gut, dass Darian mit dem Fahrrad unterwegs war und die wartenden Autos überholen konnte. Mist, jetzt sprang die Ampel auf Rot. Er hielt direkt neben einem Polizeiwagen an.

Er wartete darauf, dass der Querverkehr vorbeizog. Ein Traktor mit angehängtem Güllefass fuhr im Schneckentempo über die Kreuzung. Leider war das Fass nicht ordnungsgemäß verschlossen, sodass Teile der stinkenden Flüssigkeit auf einem hochglanzpolierten Porsche landeten, der direkt dahinter kam. Der Fahrer der Luxusmarke hupte und gestikulierte wild mit den Armen, was den Landwirt am Steuer des Traktors dazu ermunterte, Gas zu geben und rasch die Kreuzung zu passieren. Dadurch verteilte er noch mehr Gülle auf dem makellosen Lack des Porsche, der ihn direkt hinter der Kreuzung überholte und mit eingeschalteter Warnblinkanlage zum Halten zwang. Darian wartete darauf, dass die Ampel endlich grün wurde. Im Augenwinkel sah er einen Mann mit einer verbundenen Hand am hinteren Seitenfenster des Streifenwagens, der sehr hilflos dreinblickte. Na ja, wahrscheinlich war er gerade in Gewahrsam genommen worden. Da wäre ihm auch nicht zum Lachen zumute. Ihre Blicke trafen sich, und der Insasse des Polizeifahrzeugs gab ihm ein Zeichen:

Die Innenseite der ausgestreckten flachen Hand war sichtbar, der Daumen wurde in die Handinnenseite gelegt, danach wurden die anderen vier Finger über den Daumen gelegt.

Seltsam, dachte er. Irgendwo hatte er von diesem Zeichen schon mal gelesen. War das ein Notruf? Er konnte sich nicht erinnern und notierte zur Sicherheit in seinem Kopf: BP-82 130 – ein Kennzeichen der Bundespolizei Tirol.

Das Auto fuhr an und war schnell aus seinem Blickfeld verschwunden. Er schüttelte leicht den Kopf und setzte seine Fahrt auf dem Radweg fort.

3

Noch immer tänzelten die Gleitschirme am Himmel im hinteren Zillertal. Nun waren sie fast über ihnen. Erfreuen konnten Herrmann Pichler und Jakob Frankhauser sich daran nicht. Sie waren noch immer in der Gewalt der angeblichen Polizisten, die das gesamte Gold gestohlen hatten und zusammen mit ihnen in diesem Auto transportierten. Kurz vor der Zillertal-Klinik in Mayrhofen folgten sie dem Schild zum Schlegeisstausee.

Gaishüttner, wenn das sein richtiger Name war, richtete eine Waffe auf die beiden. Der Verband von Herrmann Pichler hatte sich an vielen Stellen blutrot gefärbt, ein Zeichen dafür, dass die Wunde noch immer stark blutete und dringend ärztlich versorgt werden musste. Das Polizeifahrzeug bog von der neu erbauten Schluchtenstraße auf einen schmalen Forstweg ab, der steil durch den Wald nach oben führte. Aus dem Augenwinkel hatte Herrmann Pichler ein oranges Verkehrszeichen mit der Aufschrift Finkenberg erkannt.

Auf den Waldweg folgte eine ebene Wiesenfläche. Entlang der Straße weideten Kühe und Pferde. In der Ferne konnten sie eine kleine Ansammlung von Häusern ausmachen. Der angebliche Inspektor Hofler bremste und bog auf einen schmaleren Weg ab, der an einem doppelten Maschendrahttor endete. Er stieg kurz aus, öffnete das Vorhängeschloss mit einem Seitenschneider und stieß die beiden Tore auf. Dann sprang er zurück ins Fahrzeug und fuhr an. Schon bald endete der Weg an einer hüfthohen Betonwand. Herrmann Pichler konnte nicht erkennen, wo sie waren. Er kannte sich in der Gegend gut aus, weil er oft zum Wandern herkam. Hier war er allerdings noch nie gewesen. Wie auch, dachte er sich. Schließlich hatte sich Hofler unerlaubt Zutritt zum Gelände verschafft.

»Auf geht’s, ihr Spezis. Aussteigen und mitkommen.«

Die hinteren Türen wurden geöffnet. Unsanft wurden sie am Arm gepackt, aus dem Auto gezogen und zu der Betonwand gezerrt. Herrmann Pichler wurde dabei erneut schwindelig. Er verlor immer wieder kurz das Bewusstsein und musste von Jakob Frankhauser gestützt werden.

Jetzt erkannte Herrmann Pichler, wo sie die Männer hingeführt hatten. Bei der Betonwand handelte es sich um eine Einfassung für ein Speicherbecken, welches für die Stromerzeugung durch Wasserkraft gebraucht wurde. Es hatte einen Zufluss und auf der gegenüberliegenden Seite, talwärts gerichtet, den Abfluss. Das Wasser schoss durch ein riesiges Rohr zu einem weiter unten im Tal liegenden Wasserkraftwerk. Er hatte in seinem letzten Urlaub eine Führung durch eine solche Anlage mitgemacht. Die Fläche des eingefassten Beckens entsprach in etwa der Größe eines Tennisplatzes. Hier musste viel Wasser reinpassen. Gerade als er überlegte, wie viel Wasser es wohl sein musste, wurde dieser Gedanke von einer düsteren Vorstellung unterbrochen. Warum waren sie hier? Warum hatten die beiden Möchtegernpolizisten sie an diesen Ort gebracht.

Gaishüttner und Hofler kommandierten sie näher an das Becken heran. Jetzt spürte Herrmann Pichler wieder das kalte Metall der Waffe durch den Stoff seines Diensthemdes. Ihm schwante Böses. Die Ganoven wollten sie aus dem Weg räumen. Herrmann Pichler wurde übel. Er konnte gerade noch einen aufkommenden Würgereiz unterdrücken. Plötzlich reichte der angebliche Polizist, der sich als Inspektor Hofler vorgestellt hatte, die Waffe an Pichlers neuen Kollegen Jakob Frankhauser.

»Hier, du darfst dich darum kümmern.«

Herrmann Pichler riss die Augen auf.

Jakob zog sich Gummihandschuhe an, nahm die Waffe an sich und lud sie durch.

»Jakob, bist du wahnsinnig? Leg sofort die Waffe weg! Was soll das?« Herrmann Pichler lehnte mit wackeligen Knien an der Betonwand.

»Herrmann, es war eine schöne Zeit mit dir. Jetzt ist unsere kurze Zusammenarbeit leider zu Ende.«

»Jakob, du bist verrückt. Du kannst mich doch nicht tatsächlich erschießen wollen.«

»Mensch, Herrmann, mit dem Transport von Gold und Geld kannst du nicht reich werden. Das musst du schon auf einem anderen Weg versuchen.«

Da ging ihm ein Licht auf. Jakob steckte mit denen unter einer Decke. Bevor er diese Tatsache ganz realisieren konnte, hinderte ihn ein kleines sauberes Einschussloch auf seiner Stirn daran, weiter darüber nachzudenken, was denn nun zu tun sei. Stattdessen trieb er jetzt mausetot in dem mit eiskaltem Gebirgswasser gefüllten Staubecken.

»Karlo, schmeiß den Finger mit rein.«

Gaishüttner, der mit echtem Namen Mateo Novak hieß, wies seinen Komplizen Karlo Varga an, den Rucksack von Herrmann Pichler aus dem Wagen zu holen und ebenfalls in dem Wasserbecken zu entsorgen. Karlo Varga reagierte erst nicht, sosehr hatte er sich bereits an seinen neuen Namen Hofler gewöhnt. Schließlich lief er zum Wagen.

»Er ist nicht da!«, rief er aufgeregt zu Jakob und Mateo herüber.

»Was? Das kann nicht sein!« Verärgert schaute Mateo zu Jakob, der sich gerade der Gummihandschuhe entledigte, die er vor der Abfeuerung der Waffe zur Vermeidung von Schmauchspuren angezogen hatte.

»Warum hast du nicht auf ihn aufgepasst, verdammt noch mal? Er hatte den Rucksack doch die ganze Zeit auf dem Schoß liegen.«

»Du hättest ja selbst aufpassen können«, antwortete Jakob Frankhauser schnippisch. »Schließlich hast du ja die ganze Zeit die Wumme auf uns gerichtet, oder?«

Karlo durchsuchte den kompletten Wagen. Keine Spur von dem Rucksack mit der Mittagsjause und dem Finger von Herrmann Pichler.

»Dann ist es so. Kommt, lasst uns von hier verschwinden, bevor jemand das offene Tor bemerkt.«

Sie stiegen ein, und Karlo Varga steuerte den Streifenwagen im Rückwärtsgang von dem eingezäunten Gelände. Sie verschlossen das Tor, damit der Einbruch nicht sofort bemerkt wurde, und fuhren die steile Strecke durch den Wald zurück. Entlang der Schluchtenstraße steuerten sie taleinwärts zum Schlegeisstausee.

4

Darian Poljak hatte die Bergstation erreicht. Mayrhofen lag ihm tief unten zu Füßen. Immerhin befand sich der Penken 1400 Meter über dem Ort am Ende des Zillertals. Er atmete die frische würzige Bergluft ein. Wie hatte er das vermisst. Seit dem Ende der Wintersaison waren drei Monate vergangen. Eine lange Zeit ohne Graukäsesuppe, Tiroler Gröstl und Kaiserschmarrn.

Er spazierte über den Panoramaweg zu seinem Arbeitsplatz in der Nähe des Speicherteichs am Penkenjoch. Mit seinem roten Straßenfund auf dem Rücken hätte man ihn auch für einen Touristen halten können. Er würde den Gästen auf der Granatalm in den nächsten Monaten einen so unvergesslichen Service bieten, dass die Trinkgeldkasse nur so klingeln würde. Das war seine Mission.

Vorbei an einem Klettersteig und duftenden Bergwiesen erreichte er nach einer halben Stunde Fußmarsch das Wasserreservoir unweit der Granatalm, das den Kunstschnee für die Skipisten im Winter lieferte.

Bis zu seinem Schichtbeginn war noch ein wenig Zeit. Er steuerte zwei Bänke an, die dicht nebeneinander am Speicherteich aufgestellt waren. Auf einer Bank saß ein älteres Ehepaar, die andere Bank war frei. Er nahm seinen Rucksack vom Rücken, stellte ihn neben sich und sah sich um. Gewaltig! Hier am Penkenjoch war er zuvor nie gewesen. Ein grandioses Panorama bot sich ihm. Sämtliche Bergspitzen strahlten ihm wie weiß eingezuckert entgegen. Es waren nur wenige Schleierwolken am Himmel, und die Sonne tauchte den See und die umliegenden Wiesen in ein stimmungsvolles Licht.

Ihm fiel ein Gebäude mit einem Kreuz auf, das direkt am See stand. Er hatte schon einmal davon gelesen. Es handelte sich um eine Kapelle, die hier oben von einem Schweizer Architekten errichtet worden war. Das Einmalige an dem kleinen Gotteshaus war die Form. Sie sah aus wie ein geschliffener Granat. Die Erbauer hatten einen besonderen Ort für dieses Schmuckstück ausgewählt.

Verträumt betrachtete er die Szenerie. Ein Wunsch tauchte vor seinem inneren Auge auf. Wenn er in der Gastronomie einmal genug Geld verdient hatte, würde er irgendwann eine eigene Berghütte auf so einem wunderschönen Fleckchen Erde besitzen, seine eigenen Gäste bedienen und seine eigene Trinkgeldkasse haben.

»Aber, Agnes, wir wollten von hier zu Fuß ins Tal laufen.«

Darian Poljak wurde aus seinen Tagträumen gerissen.

Der Mann, der direkt neben ihm auf der Nachbarbank saß, schrie seine Frau an.

»Was? Ins Tal? Nee, bergab geht gar nicht.«

»Warum hast du denn nicht eben im Hotel schon was gesagt? Wir wären dann einen Teil der Strecke hochgelaufen und mit der Bahn ins Tal gefahren. Jetzt sitzen wir hier, und du kommst nicht weiter. Das ist wieder mal eine Nummer.«

Agnes schaute beleidigt und schob sich hektisch ihr gebundenes Kopftuch zurecht, das ihr über die Sonnenbrille rutschte.

»Eduard, bergauf kann ich auch nicht gehen. Da komme ich völlig außer Atem. Außerdem habe ich Hunger.«

»Bitte was?« Eduards Kopf glich einer überreifen Tomate.

Agnes griff in ihren Minirucksack aus Leder, der so klein war, dass er auch aus ihrer Kindergartenzeit stammen könnte, zog eine Art Stoffpäckchen heraus und legte es auf ihre Oberschenkel.

»Was hast du da?«, wollte Eduard wissen.

»Semmel mit Leberwurst«, antwortete sie unvermittelt.

»Agnes, du hast dir im Hotel keine Semmel geschmiert und dir als Jause in deinen Rucksack gepackt, oder?«

»Doch. Warum? Wir haben das ja bezahlt.«

Eduard war außer sich. »Wenn sich jeder nach dem Frühstück eine Jause schmiert und aus dem Hotel mitnimmt, zahlen wir nächstes Jahr den doppelten Preis.«

»Komm schon, Eduard, von einer Semmel mehr oder weniger werden die schon nicht arm werden. Und wenn ich die Semmel aufgegessen habe, würde ich gerne drüben in der Granatalm einen Kaffee trinken, bevor wir wieder runterfahren.«

»Ach, den hast du dir nicht vom Frühstückstisch in die Thermoskanne umgefüllt?«, fragte Eduard provokativ.

Er blickte plötzlich zu Darian, der die Diskussion auf der Nachbarbank interessiert verfolgt hatte. Möglicherweise hoffte er auf moralische Unterstützung des jungen Mannes im Kellner-Outfit.

Darian fühlte sich ertappt. In diesen Ehekrach wollte er nicht hineingezogen werden. Schnell zog er an den Druckknöpfen seines neuen Bergwärts-Rucksack und erweckte den Anschein, als würde er etwas Wichtiges darin suchen. Verstohlen blickte er zu der Nachbarbank.

Eduard widmete sich derweil wieder seiner Agnes.

Darian zog an der Kordel und blickte in das große Hauptfach des Rucksacks.

Langsam hob sich sein Kopf, bis er wieder kerzengrade auf der Bank saß. Er machte große Augen, und sein Mund stand so weit offen, wie man es oft bei Opernsängern beobachten kann. Was war das in seinem Rucksack? Unsicher blickte er sich um. Hätte er ihn bloß nicht vom Straßenrand aufgehoben. Jetzt nicht nervös werden und so unauffällig verhalten wie möglich.

Er lächelte zu dem Ehepaar hinüber und schaute erneut in das Hauptfach. Er fand noch etwas anderes, eine Brotbox. Vorsichtig schob er den Inhalt, den er als Erstes entdeckt hatte, zur Seite und zog die Box ans Tageslicht. Darin befand sich kein menschliches Körperteil, sondern ein fein säuberlich aufeinandergelegtes Bauernbrot, belegt mit Käse und Salami, ein hartgekochtes Ei, eine Tomate und ein paar Scheiben Gurken. Er schob die Box zurück in den Rucksack. Er musste den Rucksack unauffällig loswerden.

Er überlegte, den Fund zur Polizei zu bringen, verwarf den Gedanken allerdings schnell wieder. Wer weiß, was die ihm für einen Strick daraus drehen würden. Besser nicht auffallen und keinen Ärger mit der Staatsgewalt bekommen, sonst wäre er womöglich sofort seinen schönen neuen Job hier oben am Berg wieder los. Während er fieberhaft überlegte und Agnes und Eduard neben ihm auf der Bank weiter stritten, fiel sein Blick auf die Capella Granata.

5

»Ich hoffe, ihr habt ein gutes Versteck ausgewählt. Ich habe keine Lust, dass wir jetzt noch auffliegen, nachdem wir bereits ein Leben geopfert haben.«

Jakob Frankhauser schaute zwischen den beiden Vordersitzen hindurch auf das sonnengeflutete grüne Schlegeistal. Er war froh, dass seine Beschäftigung bei Edelrausch Werttransporte nun beendet war. Auf die Plackerei mit den schweren Kisten voll mit Münzen, die aus Hunderten von Spardosen den Weg über die Banken und Sparkassen in ihre Transportboxen gefunden hatten, konnte er gut verzichten. Das Gold war zwar auch schwer wie Blei, aber wenigstens wertvoll. Sie hatten Ginzling hinter sich gelassen und steuerten auf der mautpflichtigen Alpenstraße dem mächtigen Schlegeisstausee entgegen, der am Ende des Tals lag.

»Keine Sorge, Jakob. Das Versteck ist bombensicher, im wahrsten Sinne des Wortes.«

Karlo Varga, der am Steuer saß, blickte kurz über die Schulter zu Jakob Frankhauser.

»Da hat er recht«, bestätigte Mateo Novak. »Dort ist das Gold bestens aufgehoben, und für die Beamtenschleuder hier …« Er schlug mit der Hand auf das Armaturenbrett. » … haben wir auch den idealen Unterstellplatz gefunden. Du wirst begeistert sein.«

Am Alpengasthof Breitlahner vorbei, erreichten sie nach einigen Lawinentunnel über die in Kehren steil ansteigende Straße die Krone der Staumauer. Das breite, befahrbare Betonbauwerk hielt das türkisgrüne Wasser im Zaum, das durch mehrere Bäche und das abfließende Tauwasser des mächtigen Schlegeis-Gletschers zu einem riesigen See gestaut wurde. An der anderen Seite der Staumauer ging es über hundert Meter hinab in den schattigen Zamser Grund. Es war ruhig hier oben am Ende des Tals. Der letzte Linienbus war ihnen eben entgegengekommen und brachte die Tagestouristen zurück nach Mayrhofen.

Karlo Varga bog auf die Staumauer ab, fuhr bis zum anderen Ende und hielt an.

»Wir sollten uns beeilen. Gleich ist Lagebesprechung im Hotel Alpin. Los lasst uns die Barren verstauen.«

Karlo Varga zeigte auf eine Betontreppe, die entlang der Staumauer zur Talsohle führte. Sie hievten die Kisten aus dem Kofferraum und stiegen die Stufen hinab. Entlang der Treppe waren einige überdachte Zugänge errichtet worden. Karlo öffnete eine Stahltür, die in einen winzigen Vorraum führte. Eine weitere Tür gab den Weg ins Innere der Staumauer frei. Karlo betätigte einen Schalter, worauf einige längliche Neonröhren an der Decke des kaum mannshohen Gangs aufflackerten.

»Folgt mir!«

Karlo Varga lief los, hielt an einer Abzweigung, orientierte sich kurz und wählte einen weiteren schmalen Gang, der wieder an einer Tür endete. Er schloss sie auf.