Beschwerdemanagement - Bernd Stauss - E-Book

Beschwerdemanagement E-Book

Bernd Stauss

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Beschreibung

Kundenbindung sichern und Kundenverluste minimieren

Kundenzufriedenheit ist für die meisten Unternehmen ein erstrangiges Ziel. Doch unzufriedene Kunden werden nur selten als profitable Zielgruppe wahrgenommen. Nur wenige Unternehmen ermutigen ihre Kunden, sich mit einer Beschwerde zu melden. Damit lassen sie große ökonomische Potenziale ungenutzt. Denn Beschwerdemanagement ist der zentrale Ansatz, um Kundenbindung zu sichern und Kundenverluste zu minimieren. Darüber hinaus bietet es erhebliche Möglichkeiten für Verbesserungen von Qualität und Effizienz. Hier setzt dieses Standardwerk in der völlig überarbeiteten Neuauflage an: Es zeigt, wie Unternehmen durch ein aktives Beschwerdemanagement ihre Kunden zufrieden stellen und zugleich die eigenen wirtschaftlichen Ziele erreichen können.

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Seitenzahl: 532

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Bernd StaussWolfgang Seidel

Beschwerdemanagement

Unzufriedene Kunden als profitable Zielgruppe

6., aktualisierte Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de/> abrufbar.

Print-ISBN        978-3-446-47421-5E-Book-ISBN   978-3-446-47591-5ePub-ISBN       978-3-446-47620-2

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Alle in diesem Buch enthaltenen Verfahren bzw. Daten wurden nach bestem Wissen dargestellt. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen.Aus diesem Grund sind die in diesem Buch enthaltenen Darstellungen und Daten mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Art aus der Benutzung dieser Darstellungen oder Daten oder Teilen davon entsteht.Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches oder Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Einwilligung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder einem anderen Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – mit Ausnahme der in den §§ 53, 54 URG genannten Sonderfälle –, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2023 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwww.hanser-fachbuch.deLektorat: Lisa Hoffmann-BäumlHerstellung: Carolin BenedixCoverrealisation: Max KostopoulosTitelmotiv: © gettyimages.de/youngID

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort

1 Beschwerdemanagement im kundenorientierten Unternehmen

1.1 Beschwerden als unternehmerische Herausforderung

1.2 Die strategische Bedeutung des Beschwerdemanagements

1.2.1 Beschwerdemanagement im Kundenbeziehungsmanagement (Customer Relationship Management)

1.2.1.1 Zufriedenheitsmaximierung versus Unzufriedenheitsminimierung

1.2.1.2 Customer Relationship Management, Customer Care Management und Beschwerdemanagement

1.2.2 Beschwerdemanagement im Qualitätsmanagement

2 Beschwerden

2.1 Beschwerdebegriff und Beschwerdearten

2.2 Wahres und Falsches über Beschwerden

3 Verhalten unzufriedener Kunden

3.1 Kundenunzufriedenheit und Beschwerdeverhalten

3.2 Beschwerdezufriedenheit und ihr Einfluss auf das Kundenverhalten

3.2.1 Entstehung und Dimensionen von Beschwerdezufriedenheit

3.2.2 Bindungswirkung der Beschwerdezufriedenheit

4 Beschwerdemanagement im Überblick

4.1 Ziele des Beschwerdemanagements

4.2 Aufgaben des Beschwerdemanagements

4.3 Rahmenfaktoren des Beschwerdemanagements

5 Strategische Planung im Beschwerdemanagement

5.1 Strategisches Potenzial und Notwendigkeit einer strategischen Planung

5.2 Der strategische Planungsprozess

5.2.1 Strategische Ist-Analyse

5.2.1.1 Umfeldanalyse

5.2.1.2 Funktionsbereichsanalyse

5.2.2 Strategieoptionen

5.2.3 Strategiebewertung und -auswahl

6 Beschwerdestimulierung

6.1 Beschwerdestimulierung statt Beschwerdeminimierung

6.2 Maßnahmen der Beschwerdestimulierung

6.3 Flankierende Maßnahmen zum Abbau von Beschwerdebarrieren

6.4 Einführung beschwerdestimulierender Maßnahmen

7 Beschwerdeannahme

7.1 Organisation des Beschwerdeeingangs

7.1.1 Schlüsselerlebnis Erstkontakt

7.1.2 Das Prinzip der Complaint Ownership

7.1.3 Beschwerdeeingangsprozesse

7.2 Erfassung der Beschwerdeinformationen

7.2.1 Kriterien der Beschwerdeerfassung

7.2.2 Grundlegende Erfassungsinhalte

7.2.2.1 Beschwerdeinhalts-Informationen

7.2.2.2 Beschwerdeabwicklungs-Informationen

7.3 Kategorisierung von Beschwerdeinformationen

7.3.1 Entwicklung eines Kategorienschemas

7.3.1.1 Anforderungen an ein Kategorienschema

7.3.1.2 Hierarchische Strukturierung von Kategorienschemata

7.3.2 Ergänzung der kategorialen Erfassung durch die freie Fallschilderung

7.4 Dokumentation der Beschwerdeinformationen

7.4.1 Unternehmerische Beschwerdeerfassung mithilfe von Formblättern und softwaregestützten Eingabemasken

7.4.2 Kundenseitige Beschwerdeerfassung mithilfe von Meinungskarten und Beschwerdeseiten im Internet

7.5 Sicherung der Qualität von erfassten Beschwerdeinformationen

8 Beschwerdebearbeitung

8.1 Beschwerdebearbeitungsprozesse

8.1.1 Identifikation unterschiedlicher Beschwerdebearbeitungsprozesse

8.1.1.1 Alleinbearbeitungs-, Einbeziehungs- und Abgabeprozesse

8.1.1.2 Routine- und Ausnahmeprozesse

8.1.2 Analyse von Beschwerdebearbeitungsprozessen

8.1.3 Konkretisierung von Beschwerdebearbeitungsprozessen

8.1.4 Zum Standardcharakter von Beschwerdebearbeitungsprozessen

8.2 Verantwortlichkeiten während der Beschwerdebearbeitung

8.3 Festlegung von Bearbeitungsterminen

8.4 Installation von Mechanismen zur Überwachung der Beschwerdebearbeitung

8.4.1 Das mitarbeiterbezogene Mahnsystem

8.4.2 Das hierarchieübergreifende Eskalationssystem

8.5 Ausgestaltung der internen Kommunikation zwischen den bearbeitenden Stellen

8.6 Dokumentation der Beschwerdebearbeitung

9 Beschwerdereaktion

9.1 Verhaltensregeln im Umgang mit Beschwerdeführern

9.1.1 Verhaltensregeln für das direkte Gespräch mit Beschwerdeführern

9.1.2 Verhaltensregeln für die Beantwortung schriftlich artikulierter Beschwerden

9.2 Anwendung der Verhaltensregeln auf bestimmte Typen von Beschwerdeführern und Beschwerden

9.2.1 Besondere Typen von Beschwerdeführern

9.2.1.1 Wiederhol- und Mehrfachbeschwerdeführer

9.2.1.2 Folgebeschwerdeführer

9.2.1.3 Nörgler und Querulanten

9.2.2 Besondere Typen von Beschwerden

9.2.2.1 Streubeschwerden

9.2.2.2 Beschwerden an die Geschäftsleitung

9.2.2.3 Beschwerden über Mitarbeiter

9.2.2.4 Mit Beschwerden verbundene Drohungen

9.3 Entscheidung über die Fall-Lösung

9.3.1 Lösungsmöglichkeiten und Einflussfaktoren für die Wahl der Reaktionsform

9.3.2 Fall-Lösung mit oder ohne Einzelfallprüfung

9.3.3 Umgang mit „unberechtigten“ Beschwerden

9.3.3.1 Die subjektive Berechtigung von Kundenbeschwerden

9.3.3.2 Reaktionsformen auf „unberechtigte“ Beschwerden

9.4 Differenzierung der Beschwerdereaktion nach dem Kundenwert

9.4.1 Grundlagen der Kundenbewertung

9.4.1.1 Umsatzbezogene Kundenbewertung

9.4.1.2 Deckungsbeitragsbezogene Kundenbewertung

9.4.1.3 Bewertung der Kundenbeziehung über die gesamte Dauer der Kundenbeziehung

9.4.2 Die Anwendung der Kundenbewertung im Beschwerdemanagement

9.4.2.1 Grundsätzliche Überlegungen

9.4.2.2 Ansatzpunkte einer kundenwertorientierten Differenzierung im Beschwerdemanagement

9.5 Kommunikation mit dem Beschwerdeführer während der Beschwerdebearbeitung

9.5.1 Kommunikationsformen

9.5.1.1 Eingangsbestätigung

9.5.1.2 Zwischenbescheide

9.5.1.3 Abschließende Antwort

9.5.1.4 Follow-up-Kontakte

9.5.2 Sicherung der Korrespondenz- und Gesprächsqualität

9.5.2.1 Sicherung der Korrespondenzqualität

9.5.2.2 Sicherung der Gesprächsqualität

10 Beschwerdeauswertung

10.1 Beschwerdeanalyse

10.1.1 Häufigkeitsverteilungen

10.1.2 Kreuztabellierungen

10.1.3 Mengenmäßiger und zeitlicher Bezug der Beschwerdeanalyse

10.2 Ansätze zur Priorisierung von Problemen

10.2.1 Kundenorientierte Frequenz-Relevanz-Analysen von Beschwerden (FRAB)

10.2.1.1 Ansätze zur Ermittlung der Problemrelevanz aus Kundensicht

10.2.1.2 Die Verärgerungs-FRAB

10.2.1.3 Die Handlungsabsichts-FRAB

10.2.1.4 Die Kundenverlust-FRAB

10.2.2 Unternehmensorientierte Frequenz-Relevanz-Analysen von Beschwerden (FRAB)

11 Beschwerdemanagement-Controlling

11.1 Grundlagen des Beschwerdemanagement-Controllings

11.2 Evidenz-Controlling

11.2.1 Der Verärgerungs-Eisberg

11.2.1.1 Nicht artikulierte und nicht registrierte Beschwerden.

11.2.1.2 Kennzahlen des Verärgerungs-Eisbergs

11.2.1.3 Informatorische Grundlagen für die Ermittlung der Kennzahlen

11.2.2 Der Beschwerde-Verärgerungs-Eisberg

11.3 Aufgaben-Controlling

11.3.1 Subjektives Aufgaben-Controlling

11.3.1.1 Messung der Beschwerdezufriedenheit

11.3.1.2 Messung der Zufriedenheit interner Kunden des Beschwerdemanagements

11.3.2 Objektives Aufgaben-Controlling

11.3.2.1 Objektive Qualitätsstandards

11.3.2.2 Objektive Produktivitätsstandards

11.3.3 Exkurs: objektive Qualitäts- und Produktivitätsstandards in Beschwerde-Centern

11.3.4 Die Verknüpfung von Qualitäts- und Produktivitätsstandards in einem Beschwerdemanagement-Index (BMI)

11.4 Kosten-Nutzen-Controlling

11.4.1 Kosten-Controlling

11.4.2 Nutzen-Controlling

11.4.2.1 Controlling des Informationsnutzens

11.4.2.2 Controlling des Bindungsnutzens

11.4.2.3 Controlling des Kommunikationsnutzens

11.4.3 Wirtschaftlichkeits-Controlling

11.4.3.1 Wirtschaftlichkeit des gesamten Bereichs Beschwerdemanagement

11.4.3.2 Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen zur Optimierung des Beschwerdemanagements

12 Beschwerdereporting

12.1 Aktives Reporting von Ergebnissen (Informations-Push)

12.1.1 Inhaltliche Dimension des Beschwerdereportings

12.1.1.1 Beschwerdebezogene Inhalte

12.1.1.2 Beschwerdemanagementbezogene Inhalte

12.1.2 Formale Dimension des Beschwerdereportings

12.1.3 Zeitliche Dimension des Beschwerdereportings

12.1.4 Zielgruppenbezogene Dimension des Beschwerdereportings

12.2 Bereitstellung von Informationen (Informations-Pull)

13 Beschwerdeinformationsnutzung

13.1 Entscheidung über die Problemschwerpunkte

13.2 Nutzung von Beschwerdeinformationen in Qualitätsverbesserungsteams und Qualitätszirkeln

13.3 Methodeneinsatz zur Nutzung von Beschwerdeinformationen

13.3.1 Ursache-Wirkungs-Analyse

13.3.2 Fehlermöglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA)

13.4 Kundenforen mit Beschwerdeführern als Qualitätsverbesserungsinstrument

13.4.1 Generelle Ziele von Kundenforen mit Beschwerdeführern

13.4.2 Methodeneinsatz in Kundenforen

13.4.3 Online-Kundenforen mit Beschwerdeführern

13.5 Umsetzung der Problemlösung und Überprüfung ihrer Erfolgswirksamkeit

13.6 Kommunikation der Beschwerdeinformationsnutzung

14 Personalpolitische Aspekte des Beschwerdemanagements

14.1 Die Bedeutung des Mitarbeiterverhaltens im Beschwerdekontakt

14.2 Erforderliche Mitarbeiterkompetenzen

14.3 Personalorientiertes internes Marketing als Rahmenkonzept für die Sicherstellung der Mitarbeiterkompetenzen

14.3.1 Rekrutierung serviceorientierter und qualifizierter Mitarbeiter

14.3.2 Mitarbeiterkommunikation und Training

14.3.3 Anreizsysteme

14.3.4 Maßnahmen zur Vermeidung von Burn-out-Effekten

14.3.5 Empowerment

14.4 Gestaltung des unternehmenskulturellen Umfelds

15 Organisatorische Aspekte des Beschwerdemanagements

15.1 Zentrales, dezentrales oder duales Beschwerdemanagement

15.2 Der Bereich Beschwerdemanagement

15.2.1 Verantwortung des Beschwerde-Centers für die operative Abwicklung von Beschwerden

15.2.2 Verantwortung der Bereichsleitung Beschwerdemanagement für die konzeptionelle Steuerung

15.3 Einordnung des Bereichs Beschwerdemanagement in die unternehmerische Organisationsstruktur

15.3.1 Inhaltliche Zuständigkeit und Verknüpfung des Beschwerdemanagementprozesses mit anderen unternehmerischen Prozessen

15.3.2 Die Ausstattung des Beschwerdemanagement-Bereichs mit Einflussrechten

15.3.3 Die Etablierung des Bereichs Beschwerdemanagement als Stabsstelle, Linienfunktion oder in einer Matrixorganisation

15.3.4 Der Bereich Beschwerdemanagement als Profit Center?

15.4 Zur Frage eines Outsourcings des Beschwerdemanagements

16 Technologische Aspekte des Beschwerdemanagements

16.1 Grundlegende Determinanten für den Einsatz einer Beschwerdemanagementsoftware

16.2 Die Entscheidung für eine spezielle Beschwerdemanagementsoftware oder eine integrative CRM-Lösung

16.3 Kernfunktionalitäten und Ansätze zur Automatisierung

17 Implementierung eines aktiven Beschwerdemanagements

17.1 Implementierungsschritte

17.2 Implementierungsbarrieren und Maßnahmen zu ihrer Überwindung

18 Quick-Check Beschwerdemanagement

Literatur

Vorwort

Sie kennen mich

Ich bin ein netter Kunde. Ich beschwere mich nie. Ich warte geduldig, wenn Mitarbeiterinnen an der Hotelrezeption ein privates Telefongespräch führen und sich keinen Deut um mich kümmern. Manchmal ist nach einem solchen Gespräch auch noch ein Kollege wichtiger als ich. Aber ich sage kein Wort. Auch dann nicht, wenn in der Arztpraxis immer wieder andere Patienten bevorzugt aufgerufen werden. Ich kritisiere auch niemals eine mürrische Verkäuferin oder einen ungeduldigen Call-Center-Agenten. Ich bleibe immer ruhig und höflich. Wie gesagt, ich beschwere mich nie!

Aber ich bin auch der Kunde, der nach solchen Erfahrungen nie wieder zurückkommt. Das ist meine „Höchststrafe“ dafür, dass man mich links liegen lässt, mich nicht respektiert oder persönlichen Frust an mir auslässt. Ich gehe zu dem Wettbewerber, der mich und meine Erwartungen ernst nimmt und der das Geld wert ist, das ich ausgebe. Und dann lache ich mich kaputt, wenn ich sehe, dass Unternehmen wie verrückt Geld für Werbung ausgeben, um mich zurückzugewinnen oder durch andere Kunden zu ersetzen. Alles unnötig, wenn man mich gleich aufmerksam, freundlich und kompetent behandelt hätte. Es wäre so einfach gewesen!

Mit Worten des netten Kunden haben wir bereits die erste Auflage unseres Buchs „Beschwerdemanagement“ begonnen. Wenn wir auch bei der sechsten Auflage daran festhalten, dann aus dem Grund, dass diese Kunden immer mehr werden: Kunden, die unzufrieden sind, wegen ihrer Unzufriedenheit abwandern und für immer verloren sind.

In Zeiten des harten globalen Wettbewerbs können sich Unternehmen diesen stillen Verlust von Kunden immer weniger leisten. Deshalb müssen sie sich kompromisslos um Kundenzufriedenheit bemühen. Sind Kunden jedoch aus irgendeinem Grund unzufrieden, müssen Unternehmen diese Kunden ermutigen, sich mit einer Beschwerde direkt an das Unternehmen zu wenden, und sie benötigen ein professionelles Beschwerdemanagement, um die Kundenzufriedenheit dauerhaft wiederherzustellen.

Bis heute fehlt in vielen Unternehmen ein ausreichendes Verständnis für Beschwerden als größte Chance zur Kundenbindung, zur Senkung von Fehlerkosten und zur Verbesserung der Produkt- und Servicequalität. Obwohl sich die meisten Topmanager öffentlich zum Ziel der Kundenzufriedenheit bekennen, erleben viele Kunden, die sich mit einem Problem an ein Unternehmen wenden, dass dies nur ein „Lippenbekenntnis“ ist. Sie erhalten keine, verspätete oder unangemessene Antworten. Zudem werden die in Beschwerden enthaltenen Informationen kaum umfassend für Qualitätsverbesserungen und Produktinnovationen genutzt. Unzufriedene Kunden, die nun zusätzlich von der Reaktion des Unternehmens auf ihre Beschwerde enttäuscht sind, werden mit Sicherheit den Anbieter wechseln und negative Mundpropaganda betreiben. Andererseits hat sich in vielen Fällen gezeigt, dass Beschwerdeführer, die durch die Reaktion des Unternehmens auf ihre Beschwerde überzeugt wurden, eine außerordentlich hohe Zufriedenheit und Loyalität aufweisen. Deshalb ist es ökonomisch sinnvoll, wenn sich Unternehmen von der oft noch vorherrschenden widerwilligen Beschwerdeadministration verabschieden und den Weg zu einem Management im Sinne einer systematischen Planung, Umsetzung und Steuerung aller Beschwerdeaspekte und -prozesse einschlagen. Investitionen in das Beschwerdemanagement sind Investitionen in Kundenbindung und Qualität; sie schaffen damit die Voraussetzung für einen dauerhaften Markterfolg.

Dieses Buch wendet sich an Führungskräfte, welche die in Beschwerden enthaltenen Chancen optimal nutzen wollen. Es gibt Einblicke in das Verhalten unzufriedener Kunden, verdeutlicht, welche Ziele mithilfe eines pro-aktiven Beschwerdemanagements erreicht werden können und zeigt konkret auf, wie die einzelnen Aufgaben zu erfüllen sind. Darüber hinaus stellt es dar, wie die personalpolitischen, organisatorischen und informationstechnologischen Rahmenbedingungen zu gestalten sind, um eine optimale Aufgabenerfüllung zu ermöglichen.

Dieses Buch basiert auf unserer langjährigen Zusammenarbeit, die einen ständigen Austausch von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen einerseits und Erfahrungen aus der Praxis andererseits ermöglicht. Aufgrund dieser Kombination von Kompetenzen hat sich das Buch, das auch in einer englischsprachigen und japanischen Version erschienen ist, den Rang eines Standardwerkes erarbeitet, das hiermit in sechster Auflage erscheint.

Wir möchten Sie, die Leserinnen und Leser unseres Buches, herzlich zum Dialog einladen. Wir freuen uns über Ihre Kommentare, Anregungen und natürlich auch Beschwerden. Wir möchten die Chance nutzen, gemeinsam mit Ihnen über neue Lösungen im Beschwerdemanagement nachzudenken – zum Wohle Ihrer Kunden und Ihres Unternehmens.

Ingolstadt im Herbst 2022

Prof. Dr. Dr. h. c. Bernd Stauss

[email protected]

www.bernd-stauss.de

 

Dipl.-Kfm. Wolfgang Seidel

[email protected]

www.servmark.de

1Beschwerdemanagement im kundenorientierten Unternehmen

       Warum ist das Beschwerdemanagement von strategischer unternehmerischer Bedeutung?

       Welche Rolle kommt dem Beschwerdemanagement im Rahmen des Kundenbeziehungsmanagements zu?

       Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Kundenbeziehungsmanagement, Customer Care und Beschwerdemanagement?

       Welchen Stellenwert hat das Beschwerdemanagement im Qualitätsmanagement?

1.1Beschwerden als unternehmerische Herausforderung

Alle im Unternehmen hassen Beschwerden. Mitarbeiter im Kundenkontakt fürchten Situationen, in denen sie von aufgebrachten Kunden beschimpft werden. Mitarbeiter verschiedener Entscheidungsebenen fühlen sich durch Beschwerden unberechtigt kritisiert. Sie ärgern sich auch, weil sie für die Bearbeitung von Kundenproblemen Zeit und andere Ressourcen einsetzen müssen, die für diese Zwecke nicht eingeplant sind. Vorstandsmitglieder sehen sich mehr und mehr damit konfrontiert, dass Kunden ihre Beschwerden an sie persönlich richten und auch eine persönliche Antwort erhalten wollen. Doch das Zeitbudget des Top-Managements ist für die Beschäftigung mit strategischen Fragen bereits verteilt. Zudem gehört es nicht zum Selbstverständnis von Vorstandsmitgliedern, sich mit Detailproblemen unbekannter Kunden herumzuschlagen. Deshalb geben sie in der Regel nur die Anweisung, eine Lösung herbeizuführen. Top-down werden dann die Beschwerden durchgereicht, wobei es häufig die primäre Zielsetzung der Beschwerdebearbeitung ist, Kundenanliegen so weit wie möglich abzuwehren und/oder innerbetrieblich Schuldige zu finden.

Dementsprechend machen es viele Unternehmen ihren Kunden immer noch schwer, sich bei ihnen zu beschweren. Weder Produktverpackungen noch Websites enthalten Hinweise darauf, an wen sich ein unzufriedener Kunde wenden soll. Gelingt es dem Kunden aber doch, mit dem Unternehmen Kontakt aufzunehmen, findet er in vielen Fällen keinen, der sich zuständig fühlt und für eine Lösung des Problems sorgt. Aus solchen Erfahrungen ziehen Kunden Konsequenzen. Sie nehmen zunächst eine innere Kündigung der Geschäftsbeziehung vor und wählen beim nächsten Kauf ein Konkurrenzangebot. Damit ist für das Unternehmen zukünftiges Geschäftspotenzial dauerhaft verloren.

Die Barrieren, die Unternehmen errichten, um unzufriedene Kunden von Beschwerden abzuhalten, haben meist eine noch unmittelbarere Wirkung: Kunden scheuen vor allem bei wenig gravierenden Problemen den Ärger, den Zeitaufwand und die Mühen, die mit der Suche nach verantwortlichen Ansprechpartnern verbunden sind, und beschweren sich nicht, sondern wandern gleich zur Konkurrenz ab. Da Unternehmen dies häufig gar nicht erfahren oder allenfalls indirekt und mit großer Zeitverzögerung, ziehen sie oft völlig falsche Konsequenzen. Sie verweisen auf niedrige Beschwerdequoten und auf die hohe Zufriedenheit, die sich in Kundenbefragungen widerspiegelt. Sie setzen dabei fälschlicherweise niedrige Beschwerdequoten mit Kundenzufriedenheit gleich und übersehen, dass sie in Befragungen in der Regel nur die Kunden erfassen, die zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht abgewandert sind.

Aufgrund dieser Fehleinschätzung verkennen viele Unternehmen, dass Beschwerdemanagement von strategischer Bedeutung ist. Unter verschärften Käufermarktsituationen mit einer zunehmenden internationalen Konkurrenz gehört es zu den wichtigsten Unternehmenszielen, Kundenzufriedenheit zu erreichen und Unzufriedenheit zu beseitigen. Deutlicher als in Beschwerden können Kunden den Unternehmen ihre Unzufriedenheit nicht mitteilen und deutlicher als durch desinteressierte oder abweisende Reaktionen auf Beschwerden können Unternehmen nicht ausdrücken, dass ihnen dies gleichgültig ist. Diese Gleichgültigkeit erweist sich allerdings als Ignoranz gegenüber Kundenverlusten und den entsprechenden Umsatz- und Gewinneinbußen. Wer dagegen Kundenorientierung als Voraussetzung für die langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens erkannt hat, wird Beschwerden nicht primär als abzuwehrendes Problem, sondern als Chance sehen, und das Beschwerdemanagement als Kern einer kundenorientierten Unternehmensstrategie.

1.2Die strategische Bedeutung des Beschwerdemanagements

Beschwerdemanagement beinhaltet einen komplexen unternehmerischen Handlungsbereich. Er umfasst die Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Beschwerden ergreift.

In strategischer Hinsicht ist das Beschwerdemanagement in zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung:

       Zum einen sollen Beschwerdeführer zufriedengestellt und gehalten werden, sodass positive Effekte für den Unternehmenserfolg erreicht werden. Insofern beinhaltet das Beschwerdemanagement ein erhebliches strategisches Potenzial im Kundenbeziehungsmanagement (Customer Relationship Management).

       Zum anderen ist es verantwortlich für die Gewinnung und Nutzung der in Beschwerden enthaltenen Informationen für eine Verbesserung von Produkten und Prozessen, woraus sich ein hohes strategisches Potenzial für das Qualitätsmanagement ergibt.

1.2.1Beschwerdemanagement im Kundenbeziehungsmanagement (Customer Relationship Management)

Vielfach dominiert in der Praxis ein technologisches Verständnis von Customer Relationship Management, das die Zusammenführung und Nutzung aller Kundendaten in einer Datenbank und die Synchronisation aller kundenbezogenen Prozesse in Marketing, Vertrieb und Service in den Vordergrund rückt. Wichtiger als die Technologie ist allerding die konzeptionelle Basis des Konzepts, nämlich die Perspektive, eine vom Kunden als wichtig erachtete Beziehung aufzubauen und zu stärken. In diesem Verständnis erhalten alle Aktivitäten Priorität, die auf die Bindung bestehender Kunden ausgerichtet sind.

1.2.1.1Zufriedenheitsmaximierung versus Unzufriedenheitsminimierung

Bei dem Einsatz von Kundenbindungsmaßnahmen sind zwei vereinbare, aber grundlegend unterschiedliche strategische Orientierungen zu unterscheiden: Wachstum durch die möglichst große Steigerung der Kundenzufriedenheit (Zufriedenheitsmaximierungs-Strategie) bzw. Wachstum durch Vermeidung und Beseitigung von Kundenunzufriedenheit (Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie). In Theorie und Praxis wird der Zufriedenheitsmaximierungs-Strategie bei weitem die größere Aufmerksamkeit geschenkt, während die Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie, die primär mithilfe des Beschwerdemanagements verfolgt wird, in ihrer Bedeutung oft unterschätzt wird. Eine genauere Betrachtung der ökonomischen Wirkungen beider Strategieoptionen zeigt allerdings, dass diese Rangreihung nicht gerechtfertigt ist. In vielen Fällen erweist sich die Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie als weitaus rentablere Option.

Die Zufriedenheitsmaximierungs-Strategie: meist gewählt, aber problematisch

Zentraler Ansatzpunkt dieser Strategievariante ist die intensive Ausschöpfung des kundenspezifischen Umsatzpotenzials aktueller Kunden. Dieser Ausschöpfungseffekt bezieht sich auf die Erhöhung der Kaufintensität und die Initiierung von Käufen in anderen Geschäftsbereichen (Cross-Selling). Dies soll durch zufriedenheitssteigernde Maßnahmen – insbesondere durch die Gewährung von preislichen und sonstigen Vorteilen im Rahmen von kundenwertorientierten Treueprogrammen oder Rabattsystemen – erreicht werden.

Grundlage der Zufriedenheitsmaximierungs-Strategie ist die Annahme, dass Kundenzufriedenheit zu Kundenloyalität führt. So selbstverständlich und banal die Aussage ist, dass sich zufriedene Kunden eher loyal verhalten als unzufriedene, so wenig selbstverständlich ist die Annahme, dass Zufriedenheit in jedem Fall zu Kundenbindung führt. Manager, die meinen, von hohen Zufriedenheitswerten aus Kundenbefragungen auf hohe Kundenbindung schließen zu können, täuschen sich oft. Sie sind in eine der im Folgenden dargestellten Fallen getappt.

Die größte Falle der Zufriedenheitsmaximierungs-Strategie stellt die Zufriedenheitsfalle („satisfaction trap“) dar. Diese wurde bereits vor Jahrzehnten vom amerikanische Wirtschaftsautor Reichheld (1996) beschrieben, als er beobachtete, dass amerikanische Automobilunternehmen auf ständig steigende Zufriedenheitswerte verweisen konnten, während sie gleichzeitig an Marktanteil und Gewinn verloren. Auch wies er nach, dass in vielen Branchen mehr als 90 % der Kunden berichten, dass sie sehr zufrieden oder zufrieden mit einem Produkt oder einer Dienstleistung sind, aber die Wiederkaufquoten sich allenfalls auf 30 % bis 40 % belaufen. Dieses Phänomen hat sich in den letzten Jahren noch verstärkt. Viele Unternehmen sind mit der scheinbar paradoxen Situation konfrontiert, dass die üblichen Zufriedenheitsbefragungen hohe Kundenzufriedenheit signalisieren, während sie gleichzeitig massive Kundenverluste erleiden.

Wenn Unternehmen die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen von Zufriedenheitsbefragungen und Kundenverlusten nicht mehr übersehen können, reagieren sie in der Regel in dreierlei Hinsicht. Sie modifizieren die Messung, erhöhen die Anstrengungen zur Zufriedenheitsmaximierung und versuchen, die Kundenverluste durch Neukundenakquisition zu kompensieren. Dabei besteht die große Gefahr, dass sie in drei weitere Fallen geraten: die Absichtsfalle, die Begeisterungsfalle und die Neuakquisitionsfalle.

Die Absichtsfalle liegt in dem Vertrauen auf Kundenäußerungen bezüglich ihrer Wiederkauf- bzw. Weiterempfehlungsbereitschaft. Aus der Erkenntnis über den geringen Aussagewert hoher Zufriedenheitswerte für die zukünftige Kundenbindung sind viele Unternehmen dazu übergegangen, zusätzlich oder alternativ ihre Kunden nach ihrem geplanten zukünftigen Verhalten zu befragen. Dabei wird insbesondere ihre Absicht erhoben, auch in Zukunft Kunden zu bleiben (Wiederkaufbereitschaft) und/oder das Unternehmen weiterzuempfehlen. Besondere Aufmerksamkeit hat in diesem Kontext der Net Promoter Score (NPS) gefunden, der die Weiterempfehlungsbereitschaft als einzige Messgröße verwendet (Reichheld/Seidensticker 2006; Reichheld/Markey 2012). Auch wenn damit eine stärkere Verhaltensorientierung der Kunden erfasst wird, so können die von den Kunden geäußerten zukünftigen Verhaltensabsichten keinesfalls als verlässliche Prädikatoren des Unternehmenserfolgs betrachtet werden. Aktuelle Aussagen über Verhaltensabsichten sind nicht mit dem tatsächlichen zukünftigen Verhalten gleichzusetzen. Die von den Kunden heute geäußerte Weiterempfehlungsbereitschaft sagt nur wenig darüber aus, ob sie auch morgen noch Kunden sind.

Wenn Unternehmen feststellen, dass sich der gewünschte hohe Bindungseffekt nur bei äußerst hoher Zufriedenheit einstellt, verstärken sie häufig noch ihre Bemühungen zur Zufriedenheitsmaximierung, indem sie Kundenbegeisterung anstreben. Dabei können sie allerdings in die nächste ökonomische Falle, die Begeisterungsfalle, geraten. Keinesfalls alle Produkte und Dienstleistungen sind geeignet, Kunden permanent in den hochemotionalen Zustand der Begeisterung zu versetzen. Zudem muss man hinsichtlich der Qualitätsmerkmale berücksichtigen, dass die Basisanforderungen eine höhere Verhaltenswirkung haben als die Begeisterungsanforderungen. Für Kunden ist die verlässliche Erfüllung der Kernleistung wesentlich relevanter als eine überraschende Zusatzleistung. Dementsprechend kann die Zufriedenheit mit spezifischen Vorteilen nicht die Unzufriedenheit aufgrund von Produktmängeln kompensieren und Abwanderungen verhindern.

Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist zudem zu beachten, dass Maßnahmen zur Kundenbegeisterung nicht nur mit erheblichen Kosten verbunden sind, sondern zugleich das Anspruchsniveau der Kunden erhöhen. Eine auf Kundenbegeisterung zielende Strategie verlangt die permanente Übererfüllung von Erwartungen immer anspruchsvoller werdender Kunden. Dies ist aber nur gerechtfertigt, wenn daraus Mehrerlöse aufgrund verstärkter Kundenbindung generiert werden, welche die erhöhten Kosten übersteigen. Zudem müssen die Investitionen zur Erhöhung der Zufriedenheit bereits zufriedener Kunden rentabler sein als Investitionen zur Verhinderung von Abwanderungen unzufriedener Kunden. Das ist aber sehr oft nicht der Fall.

In der Situation, dass Unternehmen weiterhin massiv Kunden verlieren, erhöhen sie auch ihre Anstrengungen zur Neukundenakquisition, um den Kundenstamm zumindest zahlenmäßig zu erhalten. Dementsprechend werden die Werbe- und Vertriebsbudgets aufgestockt und die Kunden durch teure Sondervergünstigungen vom Wettbewerber abgeworben. Damit geraten aber viele in die Neuakquisitionsfalle, weil die Neukundengewinnung mit zu hohen Kosten verbunden ist und die teuer geworbenen Kunden schon wieder abgewandert sind, bevor sie profitabel wurden. Da zudem die Vorteile nur den Neukunden gewährt werden, ist dies de facto die Aufgabe der Kundenbindungsstrategie: Die aktuellen Kunden werden benachteiligt und bisher zufriedene Kunden werden unzufrieden und zur Abwanderung gedrängt, um bei einem anderen Unternehmen als Neukunde in den Genuss von Vorteilen zu gelangen. Nur wenige Unternehmen ermitteln, in welchem Umfang diese Art der Neukundengewinnung die Abwanderung bestehender Kunden weiter fördert.

Mit der Darstellung von Zufriedenheits-, Absichts-, Begeisterungs- und Neuakquisitionsfalle ist keinesfalls die Botschaft verbunden, dass Bemühungen zur Steigerung von Kundenzufriedenheit, Wiederkauf- und Weiterempfehlungsbereitschaft sowie zur Neukundengewinnung per se problematisch sind. Es geht nur darum, die dargestellten Gefahren zu erkennen und vor allem aber die Rangordnung der strategischen Optionen zu verändern. Entscheidend ist ein Perspektivenwechsel: Priorität gebührt nicht der Zufriedenheitsmaximierungs-Strategie, sondern der Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie.

Die Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie: oft vernachlässigt, aber vorrangig

Die zweite strategische Option des Kundenbindungsmanagements hat eine andere Zielrichtung. Hier hat die Vermeidung von und der Umgang mit Kundenunzufriedenheit Vorrang. Erst an zweiter Stelle steht die Bemühung, die zufriedenen Kunden noch zufriedener zu machen. Für diese Option sprechen eine Reihe von Argumenten.

Für viele Unternehmen stellt die steigende Zahl von Kundenabwanderungen eines der gravierendsten Managementprobleme dar (Shewan 2017). In einer Vielzahl von Branchen liegen die Churn Rates (Kundenabgänge pro Periode im Verhältnis zum mittleren Kundenbestand der gleichen Periode) höher als 20 %. Das gilt in den USA beispielsweise für Branchen wie Kabel-TV, Finanzwirtschaft, Handel oder Telekommunikation (Statista 2022). In dieser Situation ist es für Unternehmen nicht in erster Linie interessant, womit ihre verbliebenen Kunden zufrieden sind, sondern warum Kunden abwandern und in welchem Umfang diese Abwanderungen vermeidbar sind. Daher gilt es, die Unzufriedenheit der Kunden genau zu erfassen und zu analysieren. Denn Unzufriedenheit ist eine zentrale Ursache dafür, dass Kunden ihre Loyalität zum Unternehmen aufkündigen und für Angebote des Wettbewerbers empfänglich werden:

       Hohe Unzufriedenheit von Kunden entsteht nicht beim Ausbleiben von Kundenbindungsangeboten, sondern bei Fehlern in der Kernleistung. Weil in diesen Fällen eine Gefährdung der Kundenbeziehung vorliegt, kommt es darauf an, die vom Kunden wahrgenommenen Qualitätsmängel zu entdecken und abzustellen.

       Wegen Leistungsmängeln aufgetretene Kundenunzufriedenheit erhöht sich noch massiv, wenn Kunden auf ihre Beschwerde beim Unternehmen nur schwer oder kein Gehör finden. Die dann erzeugte ‚doppelte‘ Unzufriedenheit führt oft zu sofortiger Kundenabwanderung.

       Die Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie hat eine defensive Ausrichtung, da sie auf die Vermeidung von Kundenabwanderungen abzielt. Dennoch kann man sie als Wachstumsstrategie bezeichnen. Sie sichert nämlich das ‚verlorene Wachstum‘ aufgrund von Kundenverlusten, das andernfalls durch Neukundenakquise ausgeglichen werden müsste (Seidel 2010).

       Zudem erweist sich die Unzufriedenheitsminimierung häufig als rentabelste Option im Kundenbindungsmanagement. So weisen Venohr/Zinke (2000) für den Sachversicherungsbereich nach, dass eine Kundenbeziehung, die zehn Jahre dauert, acht- bis zehnmal profitabler ist als eine fünfjährige Kundenbeziehung. Mit einer Senkung der Stornoquote von 10 % auf 8 % war es möglich, den Barwert einer Kundenbeziehung um 45 % zu steigern. Insofern erscheint es ökonomisch rational, der Unzufriedenheitsminimierung erste Priorität einzuräumen. Es gilt, Unzufriedenheit vorzubeugen und bei eingetretener Unzufriedenheit die gefährdete Kundenbeziehung durch gezielte Maßnahmen zu stabilisieren.

Zur Sicherung des verlorenen Wachstums kommt dem Beschwerdemanagement die Schlüsselrolle zu. Es liefert wesentliche Informationen zu den Ursachen der Kundenunzufriedenheit und bietet große Chancen, Kundenverluste zu vermeiden und über die wieder hergestellte Kundenloyalität beträchtliche Umsatz- und Gewinnpotenziale zu sichern. Insofern ist das Beschwerdemanagement der eigentliche Kern des Kundenbeziehungs- und Kundenbindungsmanagements (Stauss 2017).

Bild 1.1 fasst die beiden Strategieoptionen „Zufriedenheitsmaximierung“ und „Unzufriedenheitsminimierung“ zusammen und zeigt den notwendigen Perspektivenwechsel.

Bild 1.1Strategieoptionen Zufriedenheitsmaximierung versus Unzufriedenheitsminimierung

1.2.1.2Customer Relationship Management, Customer Care Management und Beschwerdemanagement

In vielen Unternehmen werden Aufgaben des Beschwerdemanagements von Abteilungen übernommen, die mit Customer Care bezeichnet werden. Insofern besteht häufig Unklarheit darüber, ob sich diese Begriffe auf denselben Sachverhalt beziehen. Eine ähnliche Verwirrung besteht bezüglich der Beziehung zwischen Customer Care und Customer Relationship Management, da diese Abteilungen in der Regel unter Einsatz von CRM-Software arbeiten und jeweils Kundenbeziehungsmanagement betreiben. Um in dieser Begriffskonfusion für Klarheit zu sorgen, ist zunächst einmal zwischen den Handlungsfeldern einerseits und den Organisationseinheiten andererseits zu unterscheiden.

Handlungsfelder von Customer Care Management, Customer Relationship Management und Beschwerdemanagement

In Bezug auf die Breite des Handlungsfelds unterscheiden sich Customer Relationship Management, Customer Care und Beschwerdemanagement durch Art und Umfang der jeweils zu erfüllenden Aufgaben.

Unter Customer Relationship Management versteht man die Gesamtheit der unternehmerischen Maßnahmen für die systematische Anbahnung, Entwicklung, Aufrechterhaltung und Sicherung, gegebenenfalls auch für die Beendigung und Wiederanbahnung von Kundenbeziehungen. Im Zentrum des Aktivitätsspektrums steht das Kundenbindungsmanagement.

Das Beschwerdemanagement ist Teil des Kundenbindungsmanagements. Zielgruppe seiner Aktivitäten sind diejenigen unzufriedenen Kunden, die sich mit einer Beschwerde an das Unternehmen wenden. Das Beschwerdemanagement kommuniziert also allein mit der Gruppe der sich beschwerenden Kunden. Von zentraler Bedeutung ist die Inbound-Kommunikation. Die aktive Kontaktierung des Kunden durch das Unternehmen – Outbound-Kommunikation – erfolgt nur insoweit, als es zur Zufriedenstellung des Beschwerdeführers sinnvoll ist. Das betrifft z. B. telefonische Nachfragen, Zwischen- und Endbescheide sowie Nachfassaktionen und Follow-up-Kontakte.

Damit wird deutlich, dass das Beschwerdemanagement nicht mit allen Formen der kundeninitiierten Kommunikation befasst ist. Kunden wenden sich nicht nur mit Beschwerden an das Unternehmen, sondern auch mit weiteren Artikulationen, zu denen vor allem Bestellungen, Kündigungen, Änderungsanzeigen, Lob, Anfragen, Ideen und Verbesserungsvorschläge gehören.

In Bestellungen und Kündigungen geben Kunden rechtsverbindliche und kaufrelevante Erklärungen zum Abschluss eines Kaufvertrags bzw. zur Beendigung einer Vertragsbeziehung ab. In Änderungsanzeigen informieren Kunden das Unternehmen über Veränderungen in ihren persönlichen Verhältnissen, die für die Geschäftsbeziehung relevant sind. In Lob drücken Kunden ihre Zufriedenheit mit Produkten, Dienstleistungen und Verhaltensweisen des Unternehmens aus. Darüber hinaus kommt es vielfach vor, dass sie in Anfragen für sie wichtige Informationen erbitten bzw. sich mit Ideen für konkrete Verbesserungsmöglichkeiten an das Unternehmen wenden. Von diesen Dialogformen zu unterscheiden sind Belästigungen. Hierbei handelt es sich um Äußerungen, die kein erkennbares Anliegen beinhalten bzw. Provokationen, Beschimpfungen oder Drohungen darstellen. Diese Artikulationen lassen in der Regel keine Antwort zu oder stellen Fälle für die Rechtsabteilung dar. Bild 1.2 gibt einen Überblick über die verschiedenen kundeninitiierten Kommunikationsformen.

Bild 1.2Kundeninitiierte Kommunikationsformen (Kundenanliegen)

Aufgabenbereich des Customer Care ist der planvolle Umgang mit sämtlichen kundeninitiierten Artikulationen. Es umfasst somit auch das Beschwerdemanagement als bedeutsamstes Handlungsfeld.

Gemeinsam sind Customer Care und Beschwerdemanagement die Inbound-Perspektive und der Umstand, dass sie Kundenbindung nicht durch den Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen, sondern durch die Lösung der von Kunden vorgebrachten Anliegen zu erreichen suchen. Allerdings hat Customer Care durch die Einbeziehung aller Kundengruppen und Artikulationsformen im Vergleich zum Beschwerdemanagement ein umfassenderes Aufgabenspektrum.

In Bezug auf das Customer Relationship Management stellt wiederum das Customer Care einen Ausschnitt dar. Zusätzlich zu den primär inbound-orientierten Aktivitäten des Customer Care umfasst das CRM also auch Outbound-Maßnahmen, die zur Festigung, Stärkung, Stabilisierung, Sicherung oder – im Extremfall – zur Auflösung der Geschäftsbeziehung erforderlich sind. Auch hier stehen nicht die verkaufsorientierten Aktionen im Mittelpunkt, sondern unternehmensinitiierte Kontaktmaßnahmen, die dem Aufbau und der Weiterentwicklung individueller Kundenbeziehungen dienen. Bild 1.3 fasst diese Zusammenhänge nochmals zusammen.

Bild 1.3Customer Relationship Management – Customer Care Management – Beschwerdemanagement

Für ein integratives Management der Kundenbeziehung ist es darüber hinaus erforderlich, diese beziehungsrelevanten Aufgaben mit den transaktionsorientierten Aktivitäten der Funktionen Marketing und Vertrieb zu koordinieren und auf diese Weise eine konsequente Integration und Abstimmung mit den in diesen Bereichen im Vordergrund stehenden verkaufsorientierten Maßnahmen sicherzustellen.

Organisatorische Lösung für CRM, Customer Care und Beschwerdemanagement

Völlig unabhängig von der aufgabenbezogenen Zuordnung ist die Frage, wie die Wahrnehmung dieser Aufgaben organisatorisch gelöst werden soll. So kann es beispielsweise sehr sinnvoll sein, alle Aufgaben im Umgang mit Kundenbeschwerden in einer spezifischen Abteilung Beschwerdemanagement zusammenzufassen oder aber die gesamte kundeninitiierte Kommunikation in einem Bereich Customer Care zu bündeln. Zudem ist es möglich, dass operative Einheiten – wie etwa Customer Interaction Center – nicht nur mit den dominierenden inbound-bezogenen Aktivitäten des Customer Care befasst sind, sondern zusätzlich auch Outbound-Aktivitäten im Rahmen von Marketing- und Vertriebsmaßnahmen – wie z. B. telefonische Verkaufsaktionen – übernehmen.

1.2.2Beschwerdemanagement im Qualitätsmanagement

Beschwerdemanagement dient der Stabilisierung gefährdeter Kundenbeziehungen und ist somit ein wesentliches Element des auf den externen Kunden ausgerichteten Beziehungsmanagements. Aber darin erschöpft sich nicht die strategische Bedeutung des Beschwerdemanagements. Beschwerden enthalten Informationen über die vom Kunden wahrgenommenen Qualitätsprobleme bei der Nutzung von Produkten und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Die Auswertung von Beschwerden ist damit eine zentrale Grundlage für Initiativen zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung. Insofern ist das Beschwerdemanagement auch ein wesentliches Element des Qualitätsmanagements (Stauss 2016; Reimann 2017).

Dies gilt für sämtliche Qualitätsmanagementsysteme, gleichgültig, ob es sich um umfassende Konzepte der Unternehmensführung – wie das EFQM-Modell der European Foundation for Quality Management – oder enger gefasste branchenbezogene Normen – wie die für die Automobilindustrie oder die Luftfahrt – bzw. um unternehmensindividuelle Konzepte handelt. Die in der Praxis am weitesten verbreitete Norm, die Anforderungen an ein Qualitätsmanagement formuliert, ist die DIN EN ISO 9001.

Beschwerdemanagement im Rahmen der DIN EN ISO 9001:2015

Für die DIN ISO 9001:2015 „Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen“ ist ein kundenorientiertes Qualitätsverständnis charakteristisch. So heißt es in Abschnitt 0.2 der Norm, sie diene der „Entwicklung, Verwirklichung und Verbesserung der Wirksamkeit eines Qualitätsmanagementsystems, um die Kundenzufriedenheit durch die Erfüllung der Kundenanforderungen zu erhöhen“ (DIN 2015, S. 10).

Dieser Gedanke wird auch in der grundlegenden Abbildung des Prozessmodells deutlich, das den Kunden zum Ausgangs- und Orientierungspunkt aller Maßnahmen macht (siehe Bild 1.4). Der Prozess beginnt mit den Anforderungen des Kunden, auf deren Erfüllung die Planungs- und Durchführungsmaßnahmen ausgerichtet sind. Die Produkte und Dienstleistungen als Ergebnis des Wertschöpfungsprozesses sind vom Kunden zu bewerten und die Daten über seine Kundenzufriedenheit sind zu ermitteln, zu analysieren und für Verbesserungsmaßnahmen zu nutzen. Sowohl für die Ermittlung von Kundenanforderungen als auch für die Messung der Kundenzufriedenheit kommt dem Beschwerdemanagement eine zentrale Bedeutung zu, auch wenn auf sie nicht explizit hingewiesen wird. Hinsichtlich der Anforderungen gilt es, aus den Beschwerden Informationen über die Erwartungen der Kunden bezüglich gewünschter Veränderungen von Produkten und Dienstleistungen zu gewinnen und in den Produktplanungsprozess einzubringen. Bezogen auf die Bewertung der Produkte und Dienstleistungen geben Beschwerden eindeutige Hinweise darauf, dass die Kundenerwartungen nicht erfüllt wurden. Da Beschwerden zudem sehr konkrete Problemschilderungen und Lösungsvorschläge enthalten, liefern sie für die Erarbeitung von Verbesserungsmöglichkeiten häufig weit wertvollere Hinweise als die Ergebnisse von Zufriedenheitsbefragungen, die meist nur als relativ abstrakte durchschnittliche Skalenwerte präsentiert werden.

Bild 1.4ISO 9001 Prozessmodell des Qualitätsmanagements (DIN 2015, S. 13), ergänzt durch Hinweise auf Beschwerden

In den Ausführungen innerhalb der Norm wird dieser Zusammenhang zweimal hergestellt. Allerdings erfolgt dies in der neuesten Ausgabe in abgeschwächter Form, da der früher klare Bezug auf die Nichterfüllung von Kundenerwartungen durch den Verweis auf ‚Nichtkonformität‘ und der Begriff ‚Beschwerde‘ vollständig durch ‚Reklamation‘ ersetzt wurde. Im Hinblick auf die Kundenkommunikation wird gefordert, „Rückmeldungen durch Kunden zu Produkten und Dienstleistungen, einschließlich Kundenreklamationen“ einzuholen (DIN 2015, S. 33). Und für den Fall, dass „Nichtkonformität auftritt, einschließlich derer, die sich aus Reklamationen ergeben“, soll die Organisation die Probleme analysieren, die Gründe untersuchen und Korrekturmaßnahmen einleiten (DIN 2015, S. 48).

Die spezifische Beschwerdemanagement-Norm DIN EN ISO 10002:2019

Spezifischer und umfangreicher sind die Aussagen zum Beschwerdemanagement in der Norm DIN EN ISO 10002:2019 mit dem Titel „Qualitätsmanagement – Kundenzufriedenheit – Leitfaden für die Reklamationsbearbeitung in Organisationen“ (DIN 2019). Es handelt sich um eine eigenständige Norm, die die Zielsetzung der internationalen Normen 9001 („Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen“) und 9004 („Qualitätsmanagement – Qualität einer Organisation — Anleitung zum Erreichen nachhaltigen Erfolgs“) unterstützt. Sie stellt einen Leitfaden dar für die Entwicklung und Umsetzung eines effizienten Prozesses zur Reklamationsbearbeitung im kommerziellen und nicht-kommerziellen Bereich (DIN 2019, 01) ohne die Absicht einer spezifischen Zertifizierung des Beschwerdemanagements. Der in der Norm beschriebene Prozess soll Kundenzufriedenheit und -loyalität fördern und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verbessern, indem sie

       Beschwerdeführern Zugang zu einem Reklamationsbearbeitungsprozess verschafft, der für die Probleme der Kunden offen ist,

       die Fähigkeit von Organisationen verbessert, Reklamationen konsequent, systematisch und problemlösend zu bearbeiten,

       bei der Ermittlung und Beseitigung der Ursachen von Reklamationen hilft,

       Mitarbeiter bei der Verbesserung ihrer kundenorientierten Fähigkeiten unterstützt und

       eine Grundlage für die kontinuierliche Überprüfung und Analyse des Reklamationsbearbeitungsprozesses schafft (DIN 2019, 0.1).

Die ISO 10002-2019 umfasst acht Abschnitte, in denen zentrale Begriffe definiert, grundlegende Prinzipien formuliert, innerbetriebliche Voraussetzungen aufgeführt und wesentliche Anforderungen an das Beschwerdemanagement beschrieben werden. Diese Ausführungen werden ergänzt durch einen informativen Anhang mit konkreten Hinweisen und Empfehlungen, in denen u. a. Formularbeispiele für die Abfassung von Beschwerden durch Kunden bzw. für die Erfassung von Beschwerdeinformationen durch Organisationen präsentiert werden.

Grundsätzlich bietet diese spezielle Norm eine nützliche Einführung in das Thema. Sie betont die Notwendigkeit einer systematischen Vorgehensweise und unterstreicht die zentrale Verantwortung des Top-Managements für die Implementierung des Beschwerdemanagements und die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen. Auch berücksichtigt sie die wesentlichen Aufgabenbereiche. Allerdings weist die Norm auch eine Reihe von problematischen Punkten auf. Eine Schwäche liegt schon in der deutschen Übersetzung, die teilweise missverständlich und sinnentstellend ist. Auch inhaltlich kann die Norm nicht überzeugen. Vielfach sind die Forderungen sehr allgemein formuliert und bieten einen breiten Auslegungsspielraum; auch werden nicht alle relevanten Aspekte thematisiert. Insofern ist die ISO 10002:2019 primär für kleine Unternehmen mit einer begrenzten Anzahl von Kunden hilfreich und für alle, die sich zum ersten Mal mit diesem Thema befassen. Sie liefert Basisaussagen zu einem Mindeststandard, der aber für Unternehmen, die ein exzellentes Beschwerdemanagement anstreben, nicht ausreichend ist.

Kapitel 1 ganz kurz:

       Beschwerdemanagement ist von strategischer Bedeutung im Kundenbeziehungsmanagement.

       Es hat die unzufriedenen aktuellen Kunden als Zielgruppe und dient der Stabilisierung gefährdeter Geschäftsbeziehungen.

       Damit ist es zentrales Element einer Kundenbindungsstrategie, die auf die Vermeidung von Kundenverlusten durch Minimierung der Unzufriedenheit ausgerichtet ist (Unzufriedenheitsminimierungs-Strategie).

       Im Rahmen von Kundenbeziehungs- und Kundenbindungsmanagement ist der Bereich Customer Care für die Inbound-Kommunikation zuständig. Dabei übernimmt das Beschwerdemanagement als wichtigster Teilbereich des Customer Care die Kommunikation mit den unzufriedenen Kunden.

       Beschwerden enthalten relevante Informationen über die vom Kunden wahrgenommenen Qualitätsmängel und ihre unerfüllten Erwartungen. Daher ist das Beschwerdemanagement auch im Qualitätsmanagement von strategischer Relevanz.

Literatur

DIN (2015): DIN EN ISO 9001:2015-11, Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen, Berlin.

DIN (2019): DIN 10002:2019-07, Qualitätsmanagement – Kundenzufriedenheit – Leitfaden für die Reklamationsbearbeitung in Organisationen, Berlin.

Reichheld, F. F. (1996): Learning from customer defections, in: Harvard Business Review, 74. Jg., Nr. 2, S. 56 – 69.

Reichhheld, F./Markey, R. (2012): Die ultimative Frage 2.0: Wie Unternehmen mit dem Net Promoter System kundenorientierter und erfolgreicher sind, Frankfurt 2012.

Reichheld, F./Seidensticker, F. J. (2006): Die ultimative Frage, München.

Reimann, G. (2017): Erfolgreiches Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9001:2015, 5. Aufl., Berlin.

Seidel, W. (2010): Customers-at-Risk-Management. Der Befreiungsschlag aus der Wachstumsfalle, in: Gouthier, M. et al. (Hrsg.): Service Excellence als Impulsgeber, Wiesbaden, S. 527 – 547.

Statista (2022): Customer Churn rate in the United States in 2020, by industry; https://www.statista.com/statistics/816735/customer-churn-rate-by-industry-us/ (Abruf: 07. 03. 2022).

Stauss, B. (2016): Stichwort „Beschwerdemanagement“, in: Zollondz, H.-D. et al. (Hrsg.): Lexikon Qualitätsmanagement, 2. Aufl., Berlin/Boston, S. 85 – 89.

Stauss, B. (2017): Vermeidung von Kundenverlusten durch Beschwerdemanagement, in: Bruhn, M./Homburg, Ch. (Hrsg.): Handbuch Kundenbindungsmanagement, 9. Aufl., Wiesbaden, S. 365 – 388.

Venohr, B./Zinke, Ch. (2000): Kundenbindung als strategisches Unternehmensziel: Vom Konzept zur Umsetzung, in: Bruhn, M./Homburg, C. (Hrsg.): Handbuch Kundenbindungsmanagement, 3. Aufl., Wiesbaden, S. 153 – 172.

2Beschwerden

       Was genau ist unter einer Beschwerde zu verstehen?

       Was unterscheidet eine Beschwerde von einer Reklamation?

       Warum ist eine geringe Beschwerdezahl kein aussagefähiger Indikator für Kundenzufriedenheit?

       Wieso verursachen Beschwerden nicht nur Kosten, sondern bieten auch Chancen auf Erlöse und Gewinne?

2.1Beschwerdebegriff und Beschwerdearten

Was sind Beschwerden? Auf den ersten Blick erscheint diese Frage überflüssig, weil Kunden vielfach in ihren Schreiben den Begriff „Beschwerde“ verwenden oder das Gespräch mit dem Satz „Ich will mich beschweren“ beginnen. Doch nicht selten vermeiden Kunden diesen Begriff, kleiden ihre Kritik in eine höfliche Anfrage oder betonen sogar, sie wollten sich zwar nicht beschweren, erwarteten allerdings, dass eine Wiederholung des Vorfalls in Zukunft vermieden würde. Oft werden auch an das Unternehmen Forderungen von Personen gestellt, die weder aktuelle Kunden sind noch als potenzielle Kunden infrage kommen. In diesen wie in anderen Fällen besteht Unklarheit darüber, welche von außen an das Unternehmen herangetragene Äußerung als Beschwerde eingestuft werden soll. Daher besteht die Notwendigkeit, den Begriff der Beschwerde eindeutig zu klären.

Kurz gefasst, ist immer von folgendem Verständnis auszugehen:

Beschwerden sind Äußerungen von Unzufriedenheit im Sinne nicht erfüllter Erwartungen.

Dieses weit gefasste Begriffsverständnis enthält eindeutige Festlegungen:

       Bei Beschwerden handelt es sich um Artikulationen, d. h. um verbale oder schriftliche Äußerungen.

       Aus diesen Äußerungen geht hervor, dass der Beschwerdeführer unzufrieden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Kunde den Begriff Beschwerde verwendet. Auch das Ausmaß der Unzufriedenheit ist unerheblich. Alle Äußerungen, die zeigen, dass Leistungen oder Verhaltensweisen des Unternehmens nicht vollständig den Erwartungen des Kunden entsprechen, stellen in diesem Sinne Beschwerden dar.

       Beschwerden werden nicht nur von Individuen vorgebracht, sondern auch von Institutionen – wie beispielsweise Verbänden oder Medien –, die unabhängig von einem konkreten Einzelfall eine generelle Lösung des Problems verlangen.

       In der Regel handelt es sich um Äußerungen, welche die Betroffenen direkt gegenüber dem Unternehmen selbst vorbringen. Allerdings kann ein unzufriedener Kunde auch einen indirekten Weg wählen, indem er sich an eine Drittinstitution (z. B. Schlichtungsstelle, Behörde, Verbraucherorganisation oder Medium) als „Anwalt“ seines Interesses wendet. In diesen Fällen tritt die Drittinstitution im Namen des Kunden an das Unternehmen heran bzw. informiert die Öffentlichkeit.

       Die Unzufriedenheit von Betroffenen muss sich keinesfalls immer auf einen Mangel am zuvor gekauften Produkt oder einen anderen Aspekt des Marktangebots (z. B. den Preis oder die Werbung) beziehen. Gegenstand von Beschwerden kann darüber hinaus auch das gesellschaftspolitische (z. B. ökologische) Verhalten des Unternehmens sein.

Eine Beschwerde wird intentional vorgebracht, d. h., der Kunde verfolgt mit seiner Artikulation eine bestimmte Absicht. In vielen Fällen wendet er sich in der Nachkaufphase an das Unternehmen, weil er der Ansicht ist, dass er von diesem nicht die erwartete Leistung erhalten hat: Eine Autoreparatur hat nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt, ein Ferienhotel verfügt nicht über das im Reisekatalog beschriebene Schwimmbad oder ausgelieferte Möbel weisen Beschädigungen auf. Dementsprechend will der Kunde entweder eine verbesserte bzw. völlig neue Leistung, die teilweise oder vollständige Rückzahlung des Kaufpreises oder darüber hinaus Schadensersatz für Folgeschäden. Versteht der Kunde diese Forderung als Anspruch an das Unternehmen, den er unter Umständen auch auf dem Rechtswege durchsetzen kann, spricht man von Reklamation. Insofern bezeichnet der Begriff „Reklamation“ die Teilmenge von Beschwerden, in denen Kunden in der Nachkaufphase Beanstandungen an Produkt oder Dienstleistung explizit oder implizit mit einer rechtlichen Forderung verbinden, weil zugesicherte Eigenschaften nicht vorliegen. Diese Forderung bezieht sich in der Regel auf Umtausch, Nachbesserung, Minderung oder Rückgabe.

In diesem generellen Sinne sind Beschwerden somit intentionale Unzufriedenheitsäußerungen von Anspruchspersonen oder ‑institutionen bezüglich irgendeines Aspekts unternehmerischen Verhaltens. Dieses weite Verständnis wird den folgenden Überlegungen zugrunde gelegt, auch wenn eine Konzentration auf bestimmte Beschwerdearten erfolgt. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt auf den Beschwerden, die von Kunden direkt gegenüber dem Unternehmen artikuliert werden (direkte Kundenbeschwerden). Inhaltlich erfolgt eine Konzentration auf Beschwerden, die sich auf einen Aspekt des Marktangebots beziehen, sei es auf das Produkt bzw. die Dienstleistung selbst oder auf einen Aspekt des Vermarktungskonzepts (angebotsbezogene Beschwerden). Das gilt unabhängig von den Motiven und Verhaltensabsichten des Kunden. Alle angebotsbezogenen Beschwerden werden berücksichtigt, gleichgültig, ob der Kunde das Unternehmen nur auf ein Problem aufmerksam machen will, Hoffnungen hinsichtlich einer spezifischen Unternehmensreaktion hegt oder meint, Forderungen im Notfall auch mit juristischen Mitteln durchsetzen zu können (Reklamation).

Wenn im Weiteren von „Beschwerden“ die Rede ist, dann ist in der Regel der beschriebene Typ angebotsbezogener Unzufriedenheitsäußerungen von Kunden gemeint. In dieser Hinsicht handelt es sich um Kundenbeschwerden:

In Kundenbeschwerden äußern potenzielle, aktuelle oder verlorene Kunden ihre Unzufriedenheit mit einem Aspekt des Marktangebots direkt gegenüber dem Unternehmen.

Bild 2.1 gibt die begriffliche Festlegung und die hier vorgenommene schwerpunktmäßige Eingrenzung noch einmal im Überblick wieder.

Bild 2.1Beschwerdearten und Eingrenzung des Begriffsverständnisses

In der Praxis wird häufig darüber diskutiert, ob es sich bei einem Kundenanliegen um eine Beschwerde handelt oder nicht. Wenn Mitarbeiter diesbezüglich unterschiedliche Vorstellungen haben, werden auch verschiedene Kategorisierungen vorgenommen und unterschiedliche Prozesse eingeleitet. Abweichende Reaktionen und verzerrte Analyseergebnisse sind die Folgen. Um dies zu verhindern, gilt es zum einen, für ein einheitliches Verständnis und die Akzeptanz der generellen Beschwerdedefinition zu sorgen, zum anderen ist dieses Verständnis unternehmensindividuell weiter zu konkretisieren (Niefand/Wiegran 2010).

Für die Entscheidung, ob es sich bei einer Kundenartikulation um eine Beschwerde handelt, bietet es sich an, auf bestimmte Worte und Wendungen zu achten, die als Indikator für Unzufriedenheit herangezogen werden können. Dazu gehören:

       Direkte Nennung des Begriffs Beschwerde, Reklamation oder Kritik: „Hiermit beschwere ich mich, reklamiere ich, möchte ich kritisch anmerken . . .“

       Negative Emotionen: „bin unzufrieden, enttäuscht, verärgert, wütend, empört . . .“

       Vorwurf einer groben Misshandlung: „Betrug, Täuschung, Übervorteilung, Abzocke, über den Tisch ziehen . . .“

       Angabe eines Fehlers: „Falschlieferung, Falschberatung, Fehlinformation, Produkt funktioniert nicht, ist defekt, ist beschädigt . . .“

       Mangelnde Dienstleistungsqualität: „unpünktlich, unfreundlich, inkompetent, unzuverlässig, unsauber . . .“

       Direkte Beschreibung nicht erfüllter Erwartungen: „entspricht nicht meinen Erwartungen, ist anders als beschrieben, passt nicht, gefällt nicht . . .“

       Indirekte Beschreibung nicht erfüllter Erwartungen: „schade, dass das Produkt nicht vorrätig ist; ich bedauere, dass kein Rückruf erfolgt ist . . .“

       Unzureichende Reaktion auf Beschwerde: „nicht nachgekommen, nicht reagiert, nicht beantwortet . . .“

       Beschreibungen von Folgen des Problems: „habe viel Zeit verloren, hatte unnötige Wege, musste mir Ersatz beschaffen . . .“

       Forderungen: „will Geld zurück, das Produkt zurückgeben, ein neues Produkt, Schadensersatz . . .“

       Aufkündigung der Loyalität: „mich sehen Sie hier nicht wieder, werde kündigen, gehe zum Wettbewerber . . .“

       Ankündigung der Einschaltung höherer Instanzen: „Vorstand, Aufsichtsrat, Geschäftsleitung . . .“

       Ankündigung der Einschaltung von Drittinstitutionen: „wende mich an Verbraucherzentrale, BaFin, Ombudsstelle, Medien . . .“

       Ankündigung rechtlicher Schritte: „geht an meinen Anwalt, verklage Sie, gehe vor Gericht . . .“

       Drohungen: „das werden Sie noch bereuen . . .“

Um eine einheitliche Identifikation von Beschwerden im Unternehmen zu gewährleisten, ist es sinnvoll, mit Mitarbeitern des Beschwerdemanagements Schulungs-Workshops durchzuführen. Dabei erhalten die Teilnehmer eine Stichprobe realer Kundenanliegen und werden gebeten, die enthaltenen Beschwerden zu bestimmen und die übrigen Anliegen den Kategorien Bestellungen, Kündigungen, Änderungsanzeigen, Lob, Anfragen und Ideen zuzuordnen. Die Fälle, bei denen abweichende Zuordnungen vorkommen, werden anschließend sorgfältig gemeinsam analysiert und dann begründet der richtigen Kategorie zugewiesen.

2.2Wahres und Falsches über Beschwerden

In der unternehmerischen Praxis gibt es weitverbreitete Urteile über Beschwerden, die keinesfalls immer eine gesicherte Informationsbasis haben. Vielfach handelt es sich um Vorurteile, die auf den ersten Blick durchaus plausibel sind. Wer es allerdings mit einem aktiven Beschwerdemanagement ernst meint, muss zwischen Wahrem und Falschem über Beschwerden unterscheiden und auch dafür sorgen, dass Vorurteile im Unternehmen abgebaut werden.

Im Folgenden werden einige der besonders langlebigen und hartnäckigen Vorurteile wiedergegeben und ihnen widersprechende Kommentare argumentativ gegenübergestellt.

Vorurteil 1:

„Unsere Kunden sind zufrieden. Die geringe Zahl von eingehenden Beschwerden beweist dies!“

Kommentar 1:

„Falsch! Geringe Beschwerdezahlen sind kein aussagefähiger Indikator für Kundenzufriedenheit!“

Viele Unternehmen sind überzeugt, Beschwerdemanagement sei für sie kein dringliches Anliegen, weil nur wenige Beschwerden eingehen. Sie schließen aus geringen Beschwerdezahlen auf hohe Kundenzufriedenheit. Dieser Schluss ist falsch. Ein Großteil unzufriedener Kunden beschwert sich nicht. Auch hängt die Tatsache, ob sich ein Kunde beschwert oder nicht, von einer Fülle von Faktoren ab, die zum Teil maßgeblich vom Unternehmen beeinflusst werden. Niedrige Beschwerdezahlen können das Ergebnis hoher Beschwerdebarrieren oder resignierten Kundenverhaltens sein. Darüber hinaus werden in vielen Unternehmen sehr viele kritische Äußerungen von Kunden gar nicht als Beschwerde angesehen oder erfasst, z. B. weil sie mündlich vorgetragen werden. Typische Beispiele hierfür sind Autowerkstätten und Lebensmittelmärkte. Beschwerden werden dort überwiegend in Gesprächen mit dem Kundenkontaktpersonal abgewickelt und nicht weiter aufgenommen. Nur ein Bruchteil der nach diesen Kontakten weiterhin unzufriedenen Kunden beschwert sich schriftlich bei der Unternehmensleitung. Von dieser kleinen Beschwerdezahl auf Kundenzufriedenheit zu schließen, ist nicht gerechtfertigt.

Vorurteil 2:

„Die Zahl der Beschwerden ist zu minimieren!“

Kommentar 2:

„Falsch! Die Zahl der unzufriedenen Kunden ist zu minimieren. Der Anteil unzufriedener Kunden, der sich beschwert, ist zu maximieren!“

Aufgrund der negativen Einschätzung von Beschwerden, aber auch im Bewusstsein, dass sie Artikulationen von Kundenunzufriedenheit sind, wird in vielen Unternehmen als erklärtes Ziel angegeben, die Zahl von Beschwerden zu minimieren. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Beschwerden reduziert werden kann, ohne dass die Kundenunzufriedenheit geringer wird, ist dieses Ziel nicht sinnvoll. Es kommt in erster Linie darauf an, Kundenunzufriedenheit zu minimieren. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das Unternehmen über Art und Ausmaß der Kundenunzufriedenheit möglichst umfassend informiert wird. Insofern ist eine aktive Politik zu betreiben, die dazu führt, dass unzufriedene Kunden nicht schweigen oder abwandern, sondern sich mit Beschwerden an das Unternehmen wenden. Dementsprechend führt der Weg zu einer kundenorientierten Unternehmenskultur meist über ein erhöhtes Beschwerdeaufkommen. Eine langfristige Verringerung von Beschwerdezahlen ist nur zu erreichen, wenn zunächst der Anteil unzufriedener Kunden, der sich beschwert, maximiert wird.

Vorurteil 3:

„Kunden, die sich beschweren, sind Gegner!“

Kommentar 3:

„Falsch! Kunden, die sich beschweren, sind Partner!“

Kunden, die sich beschweren, werden sehr häufig sofort negativ kategorisiert. Sie gelten als böswillig, als Gegner. Dementsprechend wird unmittelbar eine Verteidigungsposition eingenommen, die grundsätzliche unternehmerische Haltung ist auf Abwehr, wenn nicht gar auf Gegenangriff ausgerichtet. Diese Haltung ist falsch. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, dass der Beschwerdeführer aktueller (und möglicherweise auch zukünftiger) Kunde ist, der ein Recht hat, seine Ansichten, Wünsche und Forderungen vorzubringen. Dass er sich gegenüber dem Unternehmen äußert, ist vielfach gerade Ausdruck seines Interesses am Unternehmen, dem er bewusst eine Nachbesserungsmöglichkeit einräumt. Sich beschwerende Kunden sind nicht Gegner, sondern Partner im Bemühen um eine kontinuierliche Verbesserung von Prozessen und Produkten bzw. Dienstleistungen.

Vorurteil 4:

„Die meisten Beschwerdeführer sind Nörgler oder Querulanten!“

Kommentar 4:

„Falsch! Die weitaus meisten Beschwerdeführer sind keine Nörgler und Querulanten!“

Auch in Unternehmen, die den Wert und die Berechtigung von Kundenbeschwerden grundsätzlich einsehen, ist die Ansicht verbreitet, dass Beschwerdeführer zu einem erheblichen Anteil Nörgler und Querulanten sind. Dementsprechend stößt die Forderung nach Beschwerdestimulierung schon deshalb auf große Skepsis, weil man befürchtet, auf diese Weise den Anteil derer noch zu erhöhen, die das Unternehmen mit unberechtigten Beschwerden eindecken, unverschämt auftreten und ungerechtfertigte Forderungen stellen. Doch nach aller Erfahrung sind die weitaus meisten Kunden keine Querulanten. Deshalb kommt es darauf an, in einer Beschwerde nicht primär eine unzulässige Nörgelei zu sehen, sondern ein berechtigtes Kundenanliegen. Um allerdings die Sicherheit zu vergrößern, dass sich Kunden durch Beschwerden nicht unberechtigterweise auf Kosten des Unternehmens einen Vorteil verschaffen, sollten Möglichkeiten der Identifikation von „Berufsbeschwerdeführern“ durch die Analyse von Beschwerdeinformationen sorgfältig genutzt werden.

Vorurteil 5:

„Beschwerden führen nur zu Kosten!“

Kommentar 5:

„Falsch! Beschwerden sind nicht nur mit Kosten verbunden, sondern bieten Chancen für Erlöse und Gewinne! Demgegenüber führt die Vernachlässigung von Beschwerden nur zu Kosten, nie zu Erlösen!“

Beschwerden werden in Unternehmen vor allem auch deshalb als Bedrohung wahrgenommen, weil sie ausschließlich als Kostenfaktor betrachtet werden. Tatsächlich entstehen bei der Bearbeitung von Beschwerden ebenso Kosten wie bei der Erfüllung von Forderungen, die Kunden in Beschwerden erheben (Produktrücknahmen, Erstattungen usw.). Doch diese Kosten sind in Relation zu den erzielbaren Nutzeneffekten zu setzen. Die in Beschwerden enthaltenen kritischen Informationen geben dem Unternehmen die Chance, Fehler zu identifizieren und auszuräumen, d. h. sich ständig zu verbessern und dabei Kosten zu reduzieren. Da die Kunden ihre Kritik gegenüber dem Unternehmen äußern und nicht gleich zum Wettbewerber abwandern, bleibt die Chance, den unzufriedenen Kunden zu halten. „Jedes Problem, das aufmerksame Mitarbeiter aufspüren und lösen, ist eine Chance, mehr als nur eine Pflicht zu erfüllen, es heißt, einen treuen Kunden zu gewinnen“ (Hart et al. 1991, S. 128). Die Kosten der Beschwerdebearbeitung sind demnach Investitionen in zukünftige Geschäfte.

Wer Beschwerdemanagement implementieren will, wird mit solchen Vorurteilen konfrontiert sein. Um in dieser Situation argumentativ zu überzeugen, muss man über eine fundierte Informationsbasis verfügen. Hierfür kann man auf unternehmensinterne Quellen zurückzugreifen. So lässt sich aus der herkömmlichen Kundenzufriedenheitsbefragung abschätzen, wie viele Kunden in einem bestimmten Zeitraum Anlass zu einer Beschwerde hatten. Durch Gegenüberstellung dieser Zahl mit der tatsächlich im Unternehmen dokumentierten Beschwerdezahl ist in der Regel klar nachzuweisen, dass die registrierten Beschwerden kein aussagefähiger Indikator für Kundenzufriedenheit darstellen. Auch kann man mit einer Befragung verlorener Kunden ermitteln, wie viele Kunden aufgrund von Unzufriedenheit abgewandert sind, ohne sich vorher beschwert zu haben. Bewertet man diese Zahl verlorener Kunden mit ihren durchschnittlichen Käufen, wird schnell deutlich, welche ökonomischen Chancen für Erlöse und Gewinne in Beschwerden stecken. Darüber hinaus lassen sich die üblichen Vorurteile unter Rückgriff auf die im Folgenden präsentierten Erkenntnisse der Zufriedenheits- und Beschwerdeforschung widerlegen.

Kapitel 2 ganz kurz:

       Immer wenn ein Kunde seine Unzufriedenheit gegenüber dem Unternehmen zum Ausdruck bringt – also deutlich macht, dass seine Erwartungen nicht erfüllt wurden –, liegt eine (direkte) Beschwerde vor.

       Reklamationen stellen die Teilmenge von Beschwerden dar, in denen Kunden in der Nachkaufphase ihre Beanstandungen von Leistungsmängeln mit einer rechtlichen Forderung verbinden (können).

       Niedrige Beschwerdezahlen sind kein aussagefähiger Indikator für Kundenzufriedenheit, weil sich der Großteil unzufriedener Kunden nicht beschwert und viele kritische Kundenäußerungen im Unternehmen nicht als Beschwerden registriert werden.

       Beschwerden führen im Unternehmen nicht nur zu Kosten, sondern bieten durch die Verhinderung von Abwanderungen und die Nutzung von Informationen Chancen auf Kostensenkungen, Umsatz- und Gewinnzuwächse.

Literatur

Hart, C. W. et al. (1991): Wie Sie aus Pannen Profit ziehen, in: Harvard Business Manager, 13. Jg., Nr. 1, S. 128 – 136.

Niefand, F./Wiegran, A. (2010): Was sind Beschwerden?, in: Ratajczak, O. (Hrsg.): Erfolgreiches Beschwerdemanagement, Wiesbaden, S. 19 – 32.

3Verhalten unzufriedener Kunden

       Warum beschwert sich ein Großteil unzufriedener Kunden nicht?

       Was erwarten Beschwerdeführer und was macht sie zufrieden bzw. unzufrieden?

       Wie wirkt sich Beschwerde(un)zufriedenheit auf das weitere Kundenverhalten aus?

In der Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit eines Kunden spiegelt sich wider, wie er Produkte oder Dienstleistungen beurteilt, mit denen er zuvor Erfahrungen gesammelt hat. Insofern ist (Un-)Zufriedenheit das Ergebnis einer Ex-post-Beurteilung und setzt ein konkretes, selbst erfahrenes Konsumerlebnis voraus.

Der Beurteilungsprozess wird in der Regel anhand des „disconfirmation paradigm“ (Oliver 2015) beschrieben, nach dem Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit als Folge einer wahrgenommenen Diskrepanz zwischen erwarteter und erlebter Leistung entsteht. Kunden entwickeln gegenüber Marktangeboten mehr oder weniger konkrete Erwartungen. Diese bilden sich in Abhängigkeit von den jeweiligen Bedürfnissen und werden stark geprägt von in der Vergangenheit gewonnenen eigenen Erfahrungen mit gleichen oder ähnlichen Produkten. Darüber hinaus sind Informationen wesentliche Einflussfaktoren der Erwartungen, und zwar sowohl Informationen, die Kunden auf dem Wege der Mundkommunikation in ihrem sozialen Umfeld aufnehmen, als auch Informationen, die das Unternehmen selbst über Medien im Rahmen der Anbieterkommunikation (z. B. Direktwerbung) verbreitet.

Im Prozess des Gebrauchs bzw. des Verbrauchs von Konsumgütern oder der Nutzung von Dienstleistungen erfährt nun der Kunde die tatsächliche Leistung der Güter und vergleicht die wahrgenommene Leistung in einem Abwägungsprozess mit seinen Erwartungen. Zufriedenheit tritt ein, wenn die Kundenerwartungen erheblich überschritten werden, während Unzufriedenheit entsteht, wenn die Erwartungen maßgeblich unterschritten werden. Entsprechen sich Erwartungen und Wahrnehmungen, empfinden Kunden ein Gefühl der Indifferenz (siehe Bild 3.1).

Wenn Erwartungen unerfüllt bleiben und Unzufriedenheit entsteht, steht der Kunde vor der Frage, wie er sich verhalten soll.

Bild 3.1Entstehung von Zufriedenheit/Unzufriedenheit

3.1Kundenunzufriedenheit und Beschwerdeverhalten

In wenig gravierenden Fällen neigen Kunden dazu, sich schnell des unangenehmen Gefühls zu entledigen. Sie betreiben psychischen Dissonanzabbau, indem sie beispielsweise nachträglich ihre Eingangserwartungen reduzieren oder den ersten negativen Eindruck in eine positive Richtung korrigieren. Gelingt eine solche nachträgliche Harmonisierung von Erwartung und Wahrnehmung nicht, stehen dem unzufriedenen Kunden verschiedene Verhaltensweisen zur Verfügung, wobei auch mehrere Aktivitäten zugleich ergriffen werden können. Er kann

       abwandern im Sinne eines Markenwechsels oder eines Marktaustritts,

       negative Mundkommunikation betreiben,

       trotz Unzufriedenheit inaktiv bleiben oder

       sich gegenüber dem Unternehmen bzw. Drittinstitutionen beschweren.

In vielen Fällen wandern Kunden gleich ab, weil sie die Auseinandersetzung mit dem Unternehmen als zeitaufwendig, belastend und/oder vergeblich ansehen. Häufig wird die Abwanderung von negativer Mundkommunikation begleitet, indem der Kunde in seinem sozialen Umfeld – d. h. in der Familie, unter Freunden oder Bekannten – über seine negativen Erfahrungen spricht. Diese Mundkommunikation ist besonders wirksam. Da der Erzählende den Vorfall selbst erlebt hat und mit seiner Schilderung keine eigennützigen Zwecke verfolgt, erscheint der Inhalt der Mundkommunikation den Gesprächspartnern weitaus glaubwürdiger und überzeugender als jede bezahlte Kommunikationsmaßnahme des Anbieters (Kroeber-Riel/Gröppel-Klein 2019).

Einige Kunden ändern ihr Verhalten trotz Unzufriedenheit nicht und erscheinen inaktiv. Sie wandern nicht ab, weil ihnen z. B. die mit dem Wechsel verbundenen Kosten und Unbequemlichkeiten (etwa Auflösung und Neueinrichtung eines Bankkontos) zunächst zu hoch erscheinen. Sie betreiben auch keine nennenswerte negative Mundkommunikation. Dennoch sind die Kunden keineswegs mehr als loyale Kunden einzuschätzen. Bei Auftreten weiterer negativer Vorfälle oder der Ansprache durch Wettbewerber können sie sich schnell für einen Wechsel entscheiden.

Ein Großteil der unzufriedenen Kunden beschwert sich nicht

Beschwerden sind somit nur eine der Reaktionsformen, die dem unzufriedenen Kunden zur Verfügung stehen. Damit stellt sich auch die Frage, unter welchen Umständen er diese Alternative wählt. Die Beschwerdeforschung beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Frage und hält Antworten bereit (u. a. Stephan/Gwinner 1998).

Ein wesentliches Ergebnis ist die Erkenntnis, dass sich ein Großteil der unzufriedenen Kunden nicht mit einer Beschwerde an das Unternehmen wendet. Hinter jeder artikulierten Beschwerde steht eine weitaus größere Zahl von „nicht artikulierten“ Beschwerden („unvoiced complaints“). Nach den Erkenntnissen von Goodman et al. (2000) kann man für die USA branchenübergreifend davon ausgehen, dass im Durchschnitt ca. 50 % bis 80 % der unzufriedenen Kunden darauf verzichten, ihren Ärger gegenüber dem Unternehmen mitzuteilen. Analoges gilt für Deutschland. Die nationale Kundenzufriedenheitsstudie „Kundenmonitor Deutschland“ zeigt, dass der Anteil der Nicht-Beschwerdeführer außerordentlich hoch ist und in einigen Branchen über 80 % ausmacht (Servicebarometer 2020; siehe Bild 3.2).

Bild 3.2Nicht-Artikulationsquoten enttäuschter Kunden (Servicebarometer 2020)

Angesichts dieser Daten ist es offensichtlich, dass die Zahl der im Unternehmen registrierten Beschwerden nur die Spitze eines Unzufriedenheits-Eisbergs darstellt.

Noch deutlicher wird dieses Phänomen, wenn man Kunden nicht nur nach dem aktuellen Stand ihrer Zufriedenheit, sondern auch danach befragt, ob sie sich in einem definierten vergangenen Zeitraum (z. B. in einem Jahr) über das Produkt oder einen Aspekt des unternehmerischen Verhaltens geärgert haben, also Anlass zu einer Beschwerde hatten. In der Regel zeigt es sich nämlich, dass auch Kunden, die mit der Geschäftsbeziehung (noch) zufrieden sind, negative Vorkommnisse erleben und sich von ihnen nur ein Bruchteil beschwert (Stauss/Seidel 2005).

Der Sachverhalt, dass sich nur ein Teil der unzufriedenen und verärgerten Kunden beschwert, hat eine erhebliche betriebswirtschaftliche Bedeutung. Zum einen wandert ein Großteil dieser „Nicht-Beschwerdeführer“ unmittelbar ab, ohne dass das Unternehmen eine Möglichkeit hätte, durch Wiederherstellung von Kundenzufriedenheit die Kundenbeziehung zu retten. Zudem führt eine Orientierung allein an der Zahl der im Unternehmen eingegangenen Beschwerden zu einem verzerrten Bild und einer Unterschätzung des negativen Kundenerlebens. Diese Effekte sind insbesondere deswegen problematisch, weil Nicht-Beschwerdeführer eine höhere Abwanderungsneigung aufweisen als die Kunden, die ihre Unzufriedenheit bzw. Verärgerung in einer Beschwerde zum Ausdruck bringen. Dies belegt u. a. ein Vergleich von Ergebnissen zweier Studien zum (Nicht-)Beschwerdeverhalten von Kunden eines Versicherungsunternehmens. Während eine Befragung unter den aktuellen Kunden ergab, dass sich 55 % der verärgerten Kunden nicht beschwerten, lag der Anteil der Nicht-Beschwerdeführer in einer Befragung unter verärgerten Kunden, die die Geschäftsbeziehung bereits gekündigt hatten, bei 86 % (Stauss/Seidel 2006).

Einflussgrößen der Entscheidung, sich zu beschweren

Wenn man unzufriedene Kunden nach den Gründen ihrer Beschwerdepassivität befragt, erhält man Antworten, die Aufschluss über die wesentlichen Einflussgrößen ihres Verhaltens geben. Bild 3.3 zeigt eine Zusammenstellung solcher Antworten.

Bild 3.3Von Kunden genannte Gründe, warum sie sich trotz Unzufriedenheit nicht beschweren (in Anlehnung an Barlow/Møller 2008, S. 75 – 76)

Als Ergebnis systematischer Analysen von Antworten dieser Art zeigt die empirische Beschwerdeforschung, dass vor allem folgende Aspekte die Entscheidung, sich zu beschweren, beeinflussen und daher als Determinanten des Beschwerdeverhaltens anzusehen sind: Beschwerdekosten, Beschwerdenutzen, Produktmerkmale, Problemmerkmale, personenspezifische und situationsspezifische Merkmale.

Beschwerdekosten: Offensichtlich nehmen Kunden eine interne Kosten-Nutzen-Abschätzung vor, von deren Ergebnis sie es abhängig machen, ob sie sich beschweren oder nicht. Im Rahmen dieser kalkulatorischen Überlegungen spielen auch die Kosten der Beschwerde selbst eine große Rolle. Mündliche, schriftliche oder telefonische Beschwerden sind für den Kunden mit Zeitaufwand und Kosten, häufig auch mit ärgerlichen Auseinandersetzungen, Frustration und Stress verbunden. Diese materiellen und immateriellen Kosten werden wesentlich von den Unternehmen bestimmt. Verweigern sie ihren Kunden Informationen darüber, wo und wie sie sich beschweren können, erhöhen sie deren Beschwerdekosten. Bauen sie für die Erlangung von Wiedergutmachung zudem Hindernisse auf, indem sie z. B. die Einsendung einer angebrochenen Packung verlangen, werden diese Kosten abermals erhöht. Bringen sie den Kunden bei der Beschwerdeartikulation in eine für ihn unangenehme oder peinliche Situation, steigen dessen immaterielle Kosten. Über die Variation der Beschwerdekosten können somit Unternehmen die Wahrscheinlichkeit einer Kundenbeschwerde im Unzufriedenheitsfall beeinflussen.

Beschwerdenutzen: Die aufzuwendenden Kosten werden dem Nutzen der Beschwerde gegenübergestellt. Dieser ist in erster Linie abhängig vom subjektiven Wert der Problemlösung, die der Kunde vom Anbieter erwartet. Der Wert wird allerdings mit der angenommenen Erfolgswahrscheinlichkeit der Beschwerde gewichtet. Die meisten Kunden beschweren sich nur, wenn sie eine Chance sehen, dass das Unternehmen zur Wiedergutmachung oder zu einer Änderung seines Verhaltens bereit ist. Wer keine Hoffnung auf eine positive Reaktion hat, unterlässt meist die Beschwerde. Paradoxerweise haben daher Unternehmen umso weniger mit Beschwerden zu rechnen, je abweisender und inflexibler sie sich gegenüber dem Kunden verhalten.

Produktmerkmale: Zu den Produktmerkmalen, die die Beschwerdewahrscheinlichkeit beeinflussen, gehört vor allem die Relevanz des Konsumereignisses. Das Vorbringen von Beschwerden ist aufwendig und lästig. Der Kunde nimmt dies nur in Kauf, wenn er den Schaden, den er erlitten hat, als erheblich ansieht. Das ist immer dann der Fall, wenn es sich um Güter handelt, die wegen eines hohen Preises oder ihres Prestigewerts vom Kunden als besonders wichtig eingeschätzt werden.

Problemmerkmale: Nicht alle Probleme, die Kunden wahrnehmen, machen sie auch in gleichem Maße zum Gegenstand von Beschwerden. Am ehesten wählen sie diesen Weg, wenn es sich um manifest nachweisbare Probleme handelt, also um eindeutige, quasi objektiv beschreibbare Probleme mit geringem subjektivem Bewertungsspielraum. Ist der Sachverhalt aber nicht zu beweisen oder kann der Vorfall von verschiedenen Personen unterschiedlich interpretiert werden, gehen Kunden seltener das Wagnis einer (vor allem schriftlichen) Beschwerde ein. So werden beispielsweise Qualitätsmerkmale, die – wie z. B. mangelnde Freundlichkeit – stark einer subjektiven Einschätzung unterliegen, wesentlich weniger zum Gegenstand von Beschwerden gemacht als belegbare Sachverhalte – wie ein funktionsunfähiges Produkt –, selbst wenn der Grad der empfundenen Unzufriedenheit gleich groß ist.

Als Problemmerkmal spielt auch die Eindeutigkeit der Ursachenattribuierung eine große Rolle. Beschwerden kommen als Reaktionsweise unzufriedener Kunden umso mehr in Betracht, je eindeutiger die Ursache der Unzufriedenheit dem Anbieter zugeschrieben wird. Ist der Kunde fest davon überzeugt, dass nur der Anbieter die „Schuld“ für das aufgetretene Problem trägt, beschwert er sich eher als in den Fällen, in denen er sich selbst eine gewisse Mitschuld gibt. Daraus lässt sich auch das vergleichsweise geringe Beschwerdeaufkommen in Bezug auf bestimmte Probleme im Dienstleistungsbereich erklären. Viele Dienstleistungen werden in einem Interaktionsprozess zwischen dem Kunden und den Mitarbeitern des Anbieters erstellt. Damit der Prozess zum gewünschten Ergebnis führt, muss sich der Kunde selbst an der Leistungserstellung beteiligen, z. B. genaue Informationen über seine Wünsche und Erwartungen liefern. Ist der Kunde nun mit dem Ergebnis des Dienstleistungsprozesses (z. B. der Frisur) nicht zufrieden, ist es möglich, dass er sich selbst eine Teilschuld am Misserfolg gibt. Hat er den Eindruck, seine Wünsche nicht klar genug formuliert zu haben, ist eine Beschwerde wenig wahrscheinlich.

Personenspezifische Merkmale: Auch Persönlichkeitsmerkmale sind offenbar mit dafür verantwortlich, ob sich ein unzufriedener Kunde beschwert oder nicht. In verschiedenen empirischen Studien wurde der Einfluss von soziodemografischen Merkmalen (wie Alter, Geschlecht, Bildung), psychografischen Merkmalen (wie Produktkenntnis, Selbstbewusstsein, Beschwerdeerfahrung) sowie Verhaltensmerkmalen (z. B. Kommunikations- und Interaktionsverhalten) untersucht. Die Ergebnisse sind nicht einheitlich (Kim et al. 2010). Dennoch lassen sich grobe Tendenzaussagen machen, die nahelegen, dass der typische Beschwerdeführer eher jünger, männlich, von gehobener Ausbildung und mittlerem bzw. höherem Einkommen ist. Darüber hinaus unterscheiden sich Beschwerdeführer von Nicht-Beschwerdeführern durch ein erhöhtes Selbstbewusstsein und die ausgeprägte Überzeugung, Beschwerdesituationen erfolgreich bewältigen zu können (East 2000; Susskind 2000).

Situationsspezifische Merkmale: Nicht zuletzt sind es auch die Umstände einer bestimmten Situation, die entscheidenden Einfluss darauf haben können, ob sich ein Kunde beschwert. So kann wahrgenommener Zeitdruck Kunden dazu veranlassen, von einer Beschwerde abzusehen, oder aber Kunden können sich durch Bemerkungen von Begleitpersonen